daktylen-füßiges pepsinett-popsonett

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
[ 4]daktylen-füßiges pepsinett-popsonett


wie ein ploppender popsong kann dies
lied auch ohne musik-füllung fetzen
brausendes wellengeflüster des letzten
hurrikans im maya-land fließt

durch seine silberne geifernde gischt
durch das getöse zerrissener leiern
verzischender becken die kreisen und feiern
die tränen die neu du zu weinen gemischt

und als du das salzige wasser zur glut
verfärbtest die frostigen laute sich lösten
da tauten die takte die knochen verwesten

und sauerteig-schaumig geblasenes blut
zerrauschte an klippen-gerippen mit resten
zerplatzter zerquollener quallen im sud
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein magischer Tonfall. Gefällt mir gut.
Sehr bildhaft, Metaperngeladen und unheilschwanger.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
dankeschön, bernd!
wußtest du, daß "hurrikan" ein maya-wort ist? der einbeinige, wohl für den tornado-trichter.

in paris, pompidou-centre, dada-raum, hab ich schwitters "ursonate" gesehen.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich habe die Ursonate bei einer Silversterparty mitte der 1980er Jahre in der DDR erstmalig gehört, ohne daruaf vorbereitet gewesen zu sein. Für meine Frau war es gar nichts, deshalb gingen wir in einen Nebenraum, aber meine Neugier war geweckt.
Und ich trug die Ursonate später selbst vor, bei einer Lesung über Dada- und Merz-Dichtung.
Das kam ganz gut an.

Es ist ein bemerkenswertes Werk, dass meine Lyrik-Sicht nach dem Morgensternerlebnis erneut stark erweiterte.

In der Leselupe kamen solche Werke anfangs sehr schlecht oder sehr kontrovers an, später wurde "Experimentelles" gegründet. (Eigentlich war Dada im engeren Sinne kein Experiment mehr.)
 
O

orlando

Gast
Liebwerter,
auch dies ein grandioser Ohrenschmaus!
Wie schön, dass du jetzt die Anerkennung findest, die dir von Anfang an zugestanden hat: inhaltlich, formal und handwerklich.
Lächelnde Grüße
orlando
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
danke und danke!!

zu "anerkennung" von lyrik in diesen jahren allgemein (die zunächst kaum zu existieren schien, siehe die fehlenden lyrik-abteilungen in den buchhandlungen) ist wohl besonders daran zu erinnern, wie Jan Wagner in diesem frühling den leipziger preis bekommen hat und seine "regentonnenvariationen" in der spiegel-bestsellerliste ganz oben hinaufgeschossen sind (wenn auch nur für eine sehr kurze zeit). ein phantastischer dichter, ein wunderbarer sänger, meister der meister. so ein feiner lyriker!
 
O

orlando

Gast
Huch,
jetzt bist du schon wieder auf Seite 2 gerutscht - wie schade.
Und vollkommen unverdient!
Zu diesem "Pepsi-Sonett" gäbe es ungeheuer viel zu sagen, auch Weiterführendes von lupanischem Nutzen. Aus Zeitmangel möchte ich mich aber auf drei Aspekte beschränken:

1. Daktylen
sind natürlich schwieriger in der Herstellung als regelmäßige Jamben. Das war aber sicherlich nicht der Grund für ihre Wahl.
Drückt sich im Jambus eher eine schnelle, zuweilen auch heftige Bewegung aus, finden Ohr und Auge im Daktylus (X v v), dem sog. Doppelfaller, Schwung und tänzerische Eleganz, was sich hier perfekt an das Thema schmiegt.

2. Alliterationen unterstützen diesen Vorgang und sprechen gleichzeitig mehrere Sinne an; der Klangcharakter des Gedichts bestimmt sich durch die professionelle Handhabung und Häufung gleichartiger Vokale (im ersten Quartett einige unbetonte, die im letzten Terzett in etwa ihre (seitenverkehrte) Entsprechung finden; in den Mittelstrophen hingegen dominieren dunkle (dumpfe) Vokale. Dadurch wird Spannung ausgelöst, die zum Ende hin noch einmal furios aufflammt, um dann zu zerebben.
Das ist schon Kunst.

wie ein ploppender popsong kann dies
lied auch ohne musik-füllung fetzen
brausendes wellengeflüster des letzten
hurrikans im maya-land fließt

durch seine silberne geifernde gischt
durch das getöse zerrissener leiern
verzischender becken die kreisen und feiern
die tränen die neu du zu weinen gemischt

und als du das salzige wasser zur glut
verfärbtest die frostigen laute sich lösten
da tauten die takte die knochen verwesten

und sauerteig-schaumig geblasenes blut
zerrauschte an klippen-gerippen mit resten
zerplatzter zerquollener quallen im sud
Als 3.
möchte ich kurz auf die Metaphern eingehen. Auch hierbei wird wohl das ganze Repertoire genutzt, was die lyrische Küche zum lustvollen Köcheln bereithält.

Es findet sich nämlich keine einzige blasse, ausgelutschte Metapher. Alle sind gut gewählt und zeigen Gehalt.
Und es gibt sog. kühne Metaphern (Beispiel: frostige Laute, geblasenes Blut), es finden sich absolute Metaphern (Beispiel: Tauen von Takten) und durchweg starke, innovative Wortschöpfungen, die unsere Vorstellungskraft anregen, aber nicht beschweren.

Ja, das ist Kunst.

Entzückte Grüße
orlando
 
O

orlando

Gast
Eijeijei,
ein echter Fauxpas, bei dem ich im Nachhinein helle Empörung erwartet hätte! :D:p
Das daktylische Versmaß ist natürlich das, welches Tempo und Dynamik ins Geschehen bringen und eben deshalb tänzerischer wirken als
ein jambisches Versmaß, das wiederum leicht entschleunigend wirkt, im Vergleich zum Trochäus auch weniger hart.
Und weil Mondneins ganzes Gedicht einem Feuerwerk an wilden Lauten, Halbreimen / Reimen, Binnenreimen usw. gleicht, konnte er nur dieses Versmaß wählen.
Ich entschuldige mich bei denjenigen, denen das aufgefallen ist. ;)

Reuige Grüße
orlando
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
daktylen

liebe orlando!
du weißt, daß ich lateinlehrer bin und in daktylischen versmaßen schwimme. in der antike lief die diskussion so, daß die dichtung polarisiert wurde zwischen den hexametern einerseits und den lyrischen versmaßen andererseits: hexameter sind daktylisch, wobei die doppelkürzen durch längen ersetzt werden konnten; lyrische versmaße habe "starre" schemata, z.b. "sapphisch": lang kurz lang lang lang kurz kurz lang kurz lang kurz, wobei die molekülgruppe "lang lang lang kurz kurz" den verschiedenen formen (also auch den aklepiadeischen und alkäischen) gemeinsam ist, nur an anderen stellen liegt (wie bei den modalen tonarten die beiden halbtonschritte der siebenstufigen leitern mal weiter vorne, mal weiter hinten liegen).
zur sache: hexameter waren das epische versmaß schlechthin, krass gesagt: märsche für soldatenstiefel. die lyrischen dagegen als leicht, liedhaft, flüssig. zwischen den beiden polen die distichen, wo den apollo-schritten des hexameters die eros-schritte folgten, denen der geflügelte putto zwei halbe versfüße weggeschossen hatte (wie Ovid im einleitenden carmen 1,1 seiner "amores" es darlegt).
andererseits fließen daktylen auch im epos munter dahin, sonst wären die langen gesänge nicht anziehend und harmonisch. nur die neoteriker (die Rimbauds der antike) liebten sie nicht, vermieden sie, machten sich lustig über - wie sagt Mozart im amadeusfilm? - die götter, die marmor scheißen.
aber du siehst schon richtig, daß ich eher gehüpft bin mit dem ploppenden popsong, als gestiefelt. und wenn schon gestiefelt, dann eher als kater denn als soldat. haha.
 



 
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