Das blaue Portal

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Aufschreiber

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Shach-Razad erhob sich aus den seidenen Kissen, auf denen sie geruht hatte. Sie blinzelte
ein paarmal und schüttelte leicht den von lang wallendem schwarzen Haar umspielten Kopf,
um den schweren Traum loszuwerden, der ihren Geist noch immer gefangen hielt.

Nur langsam verschwand der Nachhall der Nachtgesichte, als sie hinaus in den überdachten
Gang, trat. Sie verharrte erstaunt. War es nicht genau dieses Bild gewesen, das gerade eben
verblasst und verweht war?

Im blauen Licht der Nacht spielten die mondbeschienenen
Wellen der Meeresbucht, über der sich der Palast des Scheikhs befand.
Der Scheikh, er war reich und unglaublich mächtig, ein Gott auf Erden. Shach-Razad
schlug bei diesem Gedanken erschrocken die Hand vor den Mund. Das war Blasphemie! -
Niemand durfte so etwas über einen Menschen denken, denn das war Lästerung Marvuds, des Einzigen Gottes.
"Marvud ist heilig!", betete sie. "Er sieht das Herz."
Langsam beruhigte sie sich wieder.
Der Scheikh ... würde sie zur Frau nehmen, zu einer seiner Frauen, denn sein Harem war
bereits wohlgefüllt, mit einheimischen und exotischen Schönheiten.
Es war ehrbar, Gattin eines Scheikhs zu sein. Und wenn der Herr gütig und wohlhabend war,
dann war ein solches Leben auch erbaulich. Die einzigen Aufgaben bestanden darin, dem
Gebieter Gesellschaft zu leisten und ihm zu Willen zu sein, wann immer es ihn nach einem
gelüstete. Nun ja, das Gebären seiner Kinder gehörte natürlich auch dazu, so Marvud die Ehe
zu segnen wünschte.
Ansonsten bestand der Alltag aus Zerstreuungen und Prozeduren, die dem Erhalt von Jugend
und Schönheit förderlich waren. Erst wenn man verfiel und alterte, wurde das Leben
schwierig. War der Herr ein guter Gebieter, durfte man in das Haus der Alten übersiedeln,
war er es nicht, dann drohte eine ungewisse Zukunft.

Der Blick aufs Meer riss das junge Mädchen aus seinen Gedanken. Irgendetwas war anders
gewesen, in ihrem Traum. Sie versuchte, sich zu erinnern, doch die Nachtgesichte waren zu
sehr verblasst, verweht in der frischen Luft und dem blau-silbernen Licht des vollen Mondes.
Sie schaute gedankenlos hinaus, ließ das Gesamtbild auf sich wirken, hoffte, die Erkenntnis
würde zurückkehren, der Traum wiedererstehen.
Doch es gelang nicht, ihn erneut zu beschwören, sie stand und starrte, wohl wissend, nein,
in ihrem Inneren ahnend, dass es wichtig, war, sich zu erinnern; - lebenswichtig?
Ihre Gedanken drifteten ab. Da war Sulejka gewesen. Wer war sie? Wieder versuchte
Shach-Razad, ein klares Bild von dieser Frau zusammen zu bekommen. Es misslang. Alles,
was blieb, war eine vage Gestalt, die an Stelle des Antlitzes einen verschwommenen Fleck
trug. - Oder war da nie ein wirkliches Gesicht gewesen?
Sie spürte, dass es bedeutsam war, dieses Rätsel zu lösen.
Der kühle Nachtwind ließ sie frösteln. Sie lief hinein und legte sich eines der warmen
Tücher um die Schultern, die dort für sie bereit lagen. Ja, der Scheikh verstand es, um ein
Mädchenherz zu werben.

Shach-Razad wandte sich wieder dem Bogengang zu. Plötzlich schien es ihr, als ereile sie
ein Abbild ihres Traumes. Es war der Mond! Der stand ein wenig schief zwischen den
Säulen, die den Mauerbogen trugen. Das war in ihrem Schlaf anders gewesen. - Aber wie?
Ein neues Bild überfiel sie. Es war eine Szene, die sie zusammenbrechen ließ. Da war eine
Frau. Sie war nicht alt, aber man sah ihr wohl an, dass sie die Jugendjahre hinter sich
gelassen hatte. Sie schaute Shach-Razad direkt in die Augen. Auf einmal erbleichte ihr schönes
Angesicht und die Augen verloren ihren Glanz.

Was dann geschah, ließ das junge Mädchen aufschreien. Der Kopf der Frau fiel von den
Schultern und aus dem zerteilten Halse schoss eine Fontäne aus blau schimmerndem Blut!
Dieses Blut füllte schnell das gesamte Blickfeld und wurde zu dem Bild, das sich vor Ihrem
Auge zeigte. Blaues Licht, blaues Meer, Bogengang, Mond ...
Jetzt wurde es klar. Die getötete Frau, das war Sulejka gewesen. Sie musste sterben, denn sie
war ... nicht mehr jugendlich! Ihre Seele war Shach-Razad erschienen, um sie zu warnen.
Und sie zeigte ihr den Weg.

Es war ... der MOND!
Er barg das Geheimnis, war ... anders, als in ihrem Traum. Sie zermarterte sich den Kopf,
was genau es gewesen war, das sie im Schlafe ...
"Der Mond ..." Sie wiederholte diese zwei Worte wie ein Mantra, inständig hoffend, dass die
Erinnerung kommen möge.

Der Gebieter! - Das war kein liebenswürdiger Herr, ganz gleich, wie freigiebig er um die
Gunst seiner Kandidatinnen warb. Sulejka, die war etwa zehn Jahre älter erschienen, eine
Frau in den besten Jahren, hätte sicher in Freiheit noch gut dreißig weitere Lebensjahre
gehabt!
Sie war es gewesen, die ihr den Traum gesandt hatte. Den Traum ...

Shach-Razad trat wieder an die Steinbrüstung des Bogenganges heran. Es war nichts zu
erkennen. Sie trat einen Schritt zurück, noch einen Schritt ...
Mit einem Mal schien sich die Szene zu verändern. Der Mond hatte seinen Zenit erreicht
und hing nun genau in der Mitte des Mauerbogens
Das Licht schien gespenstisch, unwirklich, zauberisch zu strahlen.
Für einen einzigen Augenblick war da nicht der Mond, sondern ein liebevolles, freundliches
Frauenantlitz. Es lächelte ihr zu, ehe es verschwand.

Doch an seiner Stelle erschien nicht der Mond, sondern es bildete sich eine Straße aus
blau-weißem Licht, die in ein schimmerndes Portal mündete, einem verlockenden Tor, hinter
dem unendliches Glück wartete.
Das war es! - Dieses Portal hatte sie gesehen!
Shach-Razad kletterte auf die Brüstung. Sie ließ das Schultertuch hinab, dem Meer entgegen
flattern. Und dann tat sie einen beherzten Schritt, um den Weg aus blausilbernem Licht zu
beschreiten ...

Als die Sonne sich am nächsten Morgen aus dem rot schimmernden Meer erhob, war Shach-
Razad verschwunden. Alles was an sie erinnerte, war ein Schultertuch, das auf den Wellen
der Meeresbucht schaukelte.
 
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Gelöschtes Mitglied 23958

Gast
Hallo Aufschreiber,

habe ich insgesamt gerne gelesen, die Handlungshintergründe und die Entscheidung von Shach-Razad schilderst du anschaulich und nachvollziehbar.

Du hast die Geschichte dem Bereich Fantasy/Märchen zugeordnet, ich habe mich daher gefragt, ob du dann nicht besser auch erfundene Götter und Propheten verwendest? Würde meiner Meinung nach besser passen.

Formal haben mich hauptsächlich die vielen "..." gestört.

Hier noch ein paar Anmerkungen zu den ersten Absätzen:

Shach-Razad erhob sich aus den seidenen Kissen, auf denen sie geruht hatte. Sie blinzelte
ein paarmal, und schüttelte leicht den von lang wallendem schwarzen Haar umspielten Kopf,
um den schweren Traum loszuwerden, der ihren Geist noch immer umfangen hielt.
kein Komma an der markierten Stelle ;
ich würde "gefangen" statt "umfangen" schreiben

Nur langsam verschwand der Nachhall der Nachtgesichte, als sie hinaus, in den überdachten
Gang, trat.
kein Komma

Das Panorama war märchenhaft. Im blauen Licht der Nacht spielten die mondbeschienenen
Wellen der Meeresbucht, über der sich der Palast des Scheikhs befand.
Den einleitenden Satz brauchst du nicht unbedingt, wenn du deine folgenden Detailbeschreibungen alleine entsprechend wirken lässt.

Niemand durfte so etwas über einen Menschen denken, denn das war Lästerung des EINEN,
Allahs.
Vollständig großgeschriebene Wörter würde ich eher vermeiden.

Plötzlich schien es ihr, als ereile sie
ein Flashback ihres Traumes.
"Flashback" passt nicht so richtig zum Thema und Genre deiner Geschichte.

Weiterhin frohes Schaffen und viele Grüße,
Wörterschmied
 

Aufschreiber

Mitglied
Hallo Wörterschmied,

vielen lieben Dank für Deine Anmerkungen. Ich werde mich sofort noch einmal über den Text machen und sicher viele Deiner Punkte umsetzen.

Beste Grüße,
Steffen
 



 
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