Das Buch des stillen Leiermannes

Der Sang ist unser hohes Glück,
Denn er treibt an harten Tagen,
Die Freude in das Herz zurück,
Und lässt uns an den Guten klagen.


Drum sind auf unsres Landes Straßen,
Zu jeder Zeit recht gern gesehen,
Die Barden, die mit Liedern spaßen,
Und dazu die Leier drehen.


Sie singen gern von Liebespaaren,
Von großen Männern, feinen Damen,
Freunden, die uns stets begleiten,
Und Brüdern, die sich einst entzweiten,


Von Wäldern, Mooren, Himmelskreisen,
Von Bauern, die die Ernte preisen,
Von lauten Zeiten, und den leisen,
Von jungen Knaben und von Greisen.


Ihr Singen trotzt dem Sturm, den Wolken,
Erhellt das düstre Firmament,
In Nächten die nie enden wollten,
Mit Feiern, frech und ungehemmt.


Dann, in allertiefster Nacht,
Wenn Sterne auf so wilde Weisen,
Vom Rausch getrieben und entfacht,
Gehörig um die Köpfe kreisen,


Tritt er heran ins dimme Licht,
Ein Barde, der nur spielt, nicht spricht,
Ein Büchlein vor ihm aufgeschlagen,
Dessen Seiten keine Worte tragen.


Diesem Leiermeister dann,
Dringt ohne jedweden Gesang,
Die Freude aus den flinken Saiten,
Bedächtig in den Sinn zu gleiten.


Mit jedem Ton schwelgt meine Seele,
Mit jeder Note wächst mein Glück,
Als ob sein Spiel mir still befehle,
„Kehr nun ins Hier und Jetzt zurück!“


Und mit dem Drehn der alten Leier,
Entfacht der Meister neue Wogen,
Er hebt von mir den schweren Schleier,
Als hät‘ er mich neu aufgezogen,


So jagen wir uns durch die Nacht,
Bleiben jung und trinken heiter.
Und er? schaut nur ins leere Buch,
Schweigt und dreht die Leier weiter.
 

Schreibfan

Mitglied
Schön, dass sich jemand der Straßenmusik widmet.
Bei der ersten Strophe, zweite Zeile würde ich das "denn" weglassen, das passt dann besser in den Rhythmus.
LG Schreibfan
 

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Mitglied
Servus und willkommen auf der Lupe, AvZ!

Ich bin sonst nicht so ein I-Tüpferl-Reiter, aber hier habe ich mal etwas gründlicher nachgezählt und nach Reimschema und Co. gesehen, weil ich es eigentlich schade finde, wenn aus einer schönen Idee und definitiv vorhandenem Sprachgefühl nicht das Beste herausgeholt wird.

Erst habe ich ja nach den ersten vier Strophen, die dem Schema abab cdcd efgg hhhh folgen, noch gehofft, es würde sich dasselbe Schema danach nochmals in dieser Abfolge wiederholen, damit der Text eine Struktur erhält, die ihn zusammenhält...aber das fand sich in den vielen (mMn zu vielen) Strophen, die folgten, nicht wieder. Stattdessen wechselst du beliebig zwischen Kreuzreim, Paarreim sowie Haufenreim und sogar ein paar Waisen habe ich entdeckt. Das lässt keinen rechten Fluss aufkommen beim Lesen und gerade bei dieser Thematik wäre das doch oberstes Gebot - es geht schließlich um Gesang, um eine Melodie. Und die sollten auch deine Worte und deren Abfolge so rund und flüssig erzeugen wie nur möglich - egal jetzt, welche Bilder und Handlungen diese Worte beschreiben.

Auch die Silbenzahlen und der Rhythmus von Hebungen und Senkungen sind leider etwas inkonsistent. Da würde eine Überarbeitung und Glättung dem Text auch nochmal auf eine neue Ebene verhelfen - was er aus meiner Sicht durchaus verdient, denn er ist im Großen und Ganzen schon recht gut und definitiv unterhaltsam.
Auch die Länge des Textes würde ich nochmal unter die Lupe nehmen - ev. kannst du ja das eine oder andere straffen und ein paar Strophen "kürzer" werden. Ich spüre da nämlich durchaus eine Dramatik, die sich aufbaut, doch die wird von der Länge des Gedichts leider etwas erstickt und kann sich nicht so recht entfalten.

Stimmungsvoll ist es aber auf jeden Fall schon - nur eben "ungeschliffen" und vom Diamant mit all seinem Funkeln noch ein Eitzerl weit entfernt. Manchmal ist es besser, einen Text mit mehr Geduld zu behandeln, bevor man ihn in die Welt schickt. Ihn eine Weile liegen zu lassen, um ihn selbst mit etwas Distanz zu lesen und dann die Stellen aufzuspüren, die noch nicht ganz rund laufen oder wo man noch eloquenter zur Sache kommen könnte, um Schwung in die Sache zu bringen. Denn auch wenn dein Protagonist hier "leiert", so soll es doch das Gedicht nicht ebenfalls tun. Denn du wolltest ja auf etwas Anderes damit hinaus als den Klang einer sich ewig drehenden Leier erzeugen, wenn ich es richtig sehe.

Gerne gelesen hab ich dein Gedicht jetzt schon! Und ich hoffe, meine Rückmeldung erzeugt keinen Missklang in deinen Ohren.
Dein Einstand hier ist ja schon mal nicht schlecht.

LG,
fee
 
Vielen Dank euch beiden für das nette, konstruktive und auch sehr umfangreiche Feedback.
Dass der Leiermann keinen metrischen Feinschliff erhalten hat, war mir zwar klar, jedoch ahnte ich nicht das die vorliegenden Inkonsistenzen dem Lesen so zusetzen würden.
Da muss ich auf jedenfall nochmal drüber schauen. Vielen Dank.
Umso mehr freut es mich, dass das Gedicht trotz der metrischen Schwächen gefallen konnte.

Freundliche Grüße!
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo und willkommen auf der Leselupe!

Dass der Leiermann keinen metrischen Feinschliff erhalten hat, war mir zwar klar, jedoch ahnte ich nicht das die vorliegenden Inkonsistenzen dem Lesen so zusetzen würden.
Ich lese mir gereimte Gedichte immer laut vor, dann kommen Fehler in der Metrik sofort auf.
Wenn du daran noch arbeitest, kann dies ein richtiges gutes Gedicht werden. Deswegen habe ich es auf freigeschaltet.

Liebe Grüße
MAnfred
 



 
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