Das Ding mit den Chemtrails

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Hagen

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Das Ding mit den Chemtrails



Ich legte die CD mit der Zarathustra-Fanfare ein, drehte auf und rollte langsam vom Taxenplatz, gen Heimat. Eine lange, extensive Schicht lag hinter mir.

War lange her, verdammt lange, dass ich an einer ganz normalen Theke in einer normalen Gaststätte gesessen und ein kühles Bier bestellt hatte, liebevoll gezapft von der lieben Andrea, die beim Zapfen eines wunderbaren Bieres für mich immer ein Lächeln auf ihren ferrariroten Lippen trug, mit einem Häublein Schaum oben drauf, in einem Glas mit Griff an der Seite.

Ich schaute deshalb, nachdem ich abgerechnet hatte, bei Andrea im Bistro rein. Doch statt Andrea stand die liebreizende Jessica an den Zapfhähnen, und Michael saß auf dem Bänkchen ganz hinten, er befand sich in dem Trunkenheitszustand, in dem er gemeinhin anfängt, rumzupöbeln.

„Guten Abend Jessica“, sagte ich, „zapfst du mir bitte ein recht schönes dunkles Bier mit einem Häublein Schaum oben drauf?“

„Gerne. – Du, Michael will nach Hause. Dein Chef hat eben gesagt, du hast Feierabend gemacht, und Rainer ist gerade unterwegs nach Salzgitter. Sei mir bitte nicht böse, ich hab‘ Karl angerufen, er muss gleich kommen.“

„Ich kann dir doch nicht böse sein, allerliebste Jessica! – Michael, was meinst du, wir wollten doch schon immer mal einen zusammen trinken, warum nicht jetzt?“

„Das ist ein Wort“, meinte Michael und setzte sich neben mich, „das Bier für diesen Scheißtaxifahrer bitte auf meinen Deckel.“

„Schon in Arbeit.“ Jessica begann zu zapfen.

„Moment“, sagte ich, „wir sollten uns drauf einigen, uns nicht gegenseitig zu beleidigen. Ich habe gerne eine ausgeglichene Gemütslage und möchte mich nicht von dir aus dieser bringen lassen. Alles klar?“

„Alles klar, Diggäh“, murmelte Michael, „also ein Bier für meinen Lieblingstaxifahrer.“

Im Normalfall wäre ich gegangen, aber heute wollte ich ihn noch soweit bringen, dass er später in des `Proleten-Karls´ Taxi kotzen würde. Dieser kam auch umgehend rein.

„Taxi.“

„Moment noch“, sagte Michael, „nur noch austrinken.“

„Aber schnell, ich habe gleich noch eine Fahrt“, murmelte `Proleten-Karl´.

„Michael, wollen wir denn vorher einen schönen Grappa zu uns nehmen?“ fragte ich.

„Logisch!“ nickte Michael und Jessica schenkte ein, bei der Gelegenheit für sich auch, „auf was trinken wir?“

„Auf die Verfassung“, sagte ich.

„Auf unsere, oder die der Bundesrepublik Deutschland?“, fragte Jessica.

„Auf beides!“ Ich hob mein Glas und warf einen schrägen Seitenblick auf den `Proleten-Karl´, „ein Jammer, dass sie noch fahren müssen!“

Unsere Gläser klirrten aneinander, wir tranken, Michael bestellte neu. Die Situation drohte ein ganz klein wenig zu eskalieren, denn `Proleten-Karl´ gab einen Knurrlaut von sich, ähnlich dem, den ein Hund von sich gibt, bevor er kotzt, trank Kaffee und sagte seine Fahrt ab.

Michael und ich nahmen noch einige gepflegte Biere zu uns, tranken auf den österreichischen Feldmarschall Joseph Graf Radetzky – `Proleten-Karl´ behauptete, dieser hätte den Radetzkymarsch komponiert -, den Generalpostmeister Franz von Taxis, der die erste regelmäßige Postverbindung geschaffen hatte -, aber Michael behauptete, Franz von Taxis hatte das Taxi erfunden, sowie den Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock; - allerdings erzählte ich dem `Proleten-Karl´ das sich Klopstock bei der Entwicklung von klopffesten Kraftstoffen für Otto-Motoren verdient gemacht hatte; - daher das Ding mit der Klopffestigkeit.

Irgendwann kamen wir auf Paul von Hindenburg, tranken erst mal auf ihn, und konnten uns nicht einigen, ob er derzeit den Zeppelin erfunden oder den Hindenburgdamm zu der Insel Sylt gebaut hatte, während sich der `Proleten-Karl´ mit Warten beschäftigte, Kaffee trank, hin und wieder mit der Hand vor den Augen herumfuchtelte und die eine oder andere Fahrt absagte.

Gute eineinhalb Stunden später - `Proleten-Karl´ war gerade mal zum Klo - kam Rainer entlang und wollte mal schnell einen Kaffee trinken.

„Michael möchte gerne nach Hause“, sagte ich, „machst du das bitte mal eben kurz?“

„Kein Problem. Kaffee kann ich ja gleich noch trinken.“

„Ich setz‘ dir schon mal Frischen auf“, sagte Jessica, während Michael einen Geldschein auf die Theke legte, „stimmt so. Und gib meinem Lieblingstaxifahrer noch einen“, murmelte, seine Jacke griff und mit Rainer hinaus wankte. Soweit, dass er das Taxi vollkotzte war er noch nicht. Vielleicht sollte ich diesen Vorgang mal wiederholen und dann den `Proleten-Karl´ anrufen.

„Das hast du doch mit Absicht gemacht!“, sagte Jessica während sie sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte, „es ist doch sonst nicht deine Art ...“

`Proleten-Karl´ kam wieder und wollte wissen, wo Michael war.

„Der ist mit ‘n Taxi weg“, sagte Jessica, „willst du noch einen Kaffee? Ich koch‘ gerade Frischen.“

`Proleten-Karl´ knurrte Unverständliches, ich bekam nur das Wort ’Idiot‘ mit, eilte gen Ausgang und knallte die Tür zu.

Nach diesem Knall brach Stille ins Bistro Oberon, nur die Kaffeemaschine gurgelte leise vor sich hin.

„Er hatte vier Kaffee“, murmelte Jessica, „na, egal.“

Sie ging in die Küche, scheuerte irgendetwas und klapperte mit Töpfen. Ich nahm mein noch halbvolles Bierglas, setzte mich auf das Bänkchen am Ende der Theke und lehnte mich an die Wand.

‚Eigentlich‘, dachte ich, ‚müsste jetzt diese Frau erscheinen, sich zu mir setzen und mir mit rauchiger Stimme zuraunen, dass sie mich begehrt, und dass heute die Nacht der Nächte sei ...‘

Das passierte natürlich nicht, nur zwei bereits etwas angetrunkene Herren kamen rein. Die setzten sich an die Theke, schlugen mit den Händen darauf und verlangten nach Lemmon-Bier. Jessica kam aus der Küche, streifte klatschend die rosa Haushaltshandschuhe von ihren Händen und stellte ihnen je eine Flasche hin.

Die Nacht machte unaufhaltsam weiter, Rainer kam wieder, als die Kaffeemaschine mit einem Faucher kund tat, dass der Kaffee durch war. Wir tranken noch jeder einen Becher davon, und Rainer bekam eine Fahrt.

„Sag’ Bescheid, wenn ich dich nach Hause bringen soll.“

Er setzte sich in Bewegung, ich blieb sitzen und bestellte noch ein Bier.

Jessica zapfte etwas lustlos.

Die beiden dezent betrunkenen Typen an der Theke schienen Ehemänner zu sein, sie unterhielten sich tatsächlich über irgendein Waschmittel speziell für schwarze und dunkle Wäsche. Als sie an der Stelle waren, an der sie sich fragten, ob es die Nacht noch regnen würde, weil einer hätte noch Wäsche abzunehmen, stellte Jessica mir mein Bier hin.

Einer der beiden Typen fragte mich etwas, was mit brutaler, sexueller Ausbeutung der Frau in irgendeiner Unterwäschewerbung zu tun hatte, und was ich davon halten würde.

„Ah, ja? – Tatsächlich? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“

Ich trank einen Schluck Bier. Der Typ hatte so laut gefragt, dass Jessica es mitbekommen haben musste. Die alte Nummer lief wieder an, sie lief, seit die Menschen von den Bäumen runter sind: Da ist Mann erst mal mit dem Weibchen einer Meinung und unterstellt dem Anderen, was gegen Frauen zu haben, oder sie auszubeuten, oder dieses zu tolerieren, oder überhaupt, was Frauen betrifft auf dem Holzweg; - wenn nicht gar auf dem Knüppelpfad zu sein. Dem naiven Weibchen gefiel das, und damit war schon mal ein potentieller Nebenbuhler raus gekickt. Verdammt, ich hatte noch gar nicht angefangen. Ich war viel zu müde, zu kaputt, zu betrunken um dahingehend irgendwelche Aktivitäten zu entwickeln. War auch nicht meine Art.

Und dann tippte mich einer, der aussah wie Nick Nolte, als er besoffen festgenommen worden war, an und meinte ich müsste das wissen, weil ich Taxifahrer bin. Irgendwann hatte ich ihn schon mal gefahren, wenn ich nur wüsste wann, wie, wo, warum; - egal.

„Was muss ich wissen?“

„Warum die Glühbirnen immer so schnell kaputt gehen. Die bauen da doch was ein, damit die durchbrennen und man sich bald wieder eine Neue kaufen muss, dieses neumodische Zeugs, mit den LEDs oder wie das heißt.“

„Was …?“ Ich schaltete ruckartig in mein Element: Rumspinnen bis der Arzt kommt; - aber einer mit soner verkehrt rummen Jacke. Kann natürlich auch leicht schief gehen, angesichts der Humorlosigkeit meiner Zeitgenossen, aber jetzt war ich betrunken und da durfte ich das; - glaubte ich.

„Äh, ja, ich verstehe. Da bist du dem weltweiten Komplott der Phoebus-Glühlampenverschwörung auf der Spur.“

„Was ist das denn, die Phoebus-Glühlampenverschwörung?“

„Das hat die geheime Weltregierung angeordnet. Die arbeiten da einen Stoff in das Halogen-Xenon-Zeugs ein, welches die normalen Glühlampen neuerdings ersetzen. Dieses Zeugs sendet eine bewusstseinsverändernde Strahlung aus, wenn du die Lampe einschaltest. Deshalb gibt es die normalen Glühlampen ja auch nicht mehr zu kaufen.“

„Was für Strahlung?“

„Sogenannte Phoebus-Strahlen. Die wirken direkt aufs Gehirn, und zwar auf das Bewusstseinszentrum. Das liegt ungefähr hier.“

Ich deutete an die Stelle der Schläfe, auf die man tippt, wenn man Jemandem einen Vogel zeigt.

„Da dieses Zeugs Strahlung aussendet, verbraucht es sich“, fuhr ich nach einem tiefen Schluck Bier fort, „und dann geht auch die neumodische Halogen-Xenon-LED-Lampe nach ungefähr tausend Betriebsstunden kaputt.“

„Ich hab mir schon so was gedacht“, sagte Nick und bestellte zwei Klare. „Wir müssen jetzt einen klaren Kopf bewahren.“

„In der Tat, das müssen wir.“

Wir klirrten die Gläser aneinander und tranken.

„Wie machen sich denn diese, wie sagtest du noch gleich? Strahlen bemerkbar?“ fragte er nach einer nachdenklichen Pause.

„Naja, man glaubt alles, was von denen, die in der Hackordnung über einem stehen, die einen Ausweis zücken, oder die eine Uniform tragen, erzählt wird. Man geniest und glaubt das meiste, was im Fernsehen gezeigt wird, sogar der Werbung und kauft diese Produkte. Man gehorcht Befehlen. Man lebt vegan und hört auf zu rauchen, weil es angesagt ist. Man zahlt Steuern. Man trägt teure Markenklamotten mit protzigen Logos. Man tötet jeden, sobald es befohlen wird. Wenn man arbeitslos ist, glaubt man, dass man Arbeit findet, wenn man wirklich arbeiten will. Man hat nie einen eigenen oder gar rebellischen Gedanken ...“

„Nun hör’ aber mal auf! Das glaubst du doch selber nicht.“

„Dann beweis’ mir das Gegenteil!“

Weil Jessica gerade in der Gegend rumstand und nichts zu tun hatte, deutete ich auf unsere leeren Korngläser. Sie schien irgendetwas aufgeschnappt zu haben und fragte, während sie die Gläser nachfüllte: „Und wie kann man sich dagegen schützen?“

„Dagegen kannst du dich nicht schützen! Die von den Phoebus-Strahlen befallenen Menschen sind überall. Am besten, du benimmst dich wie ein Arschloch um nicht aufzufallen.“

Das hätte ich besser nicht sagen sollen, denn sie schauten alle recht grimmig drein, einer, der nur zugehört hatte, auch.

„Ich glaube, bei dir stimmt was nicht“, sagte der.

„Ich habe eher das Gefühl, dass bei uns Allen was nicht stimmt.“

Trug mir nicht gerade überschäumende Sympathien ein, diese Bemerkung. Half auch nichts, dass ich noch einen Korn ausgab. Da sich die Lage bedrohlich zuspitzte, zahlte ich und ging nach Hause.

Wo kann man schon mal richtig rumblödeln, wenn nicht in der Kneipe?

Oder sollte doch was dran sein, an den sogenannten Phoebus-Strahlen?

Als ich nach Hause ging, zog ein Düsenjet am Himmel seine Bahn. Die Kondensstreifen verwehten nicht.

„Chemtrails“, dachte ich, „die sprühen wieder! Der gleiche Effekt wie bei den Phoebus-Strahlen! – Wir können ihnen nicht entkommen!“
 

hein

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Hallo Hagen,

eine tiefsinnige Geschichte. Es ist bewundernswert das du dies nachträglich noch so genau beschreiben kannst.

Wenn ich mal in schlafloser Nacht oder unter der Dusche mehr oder weniger literarisch hochwertige Ideen habe, sind diese spätestens wenn ich vor dem Schreibgerät sitze verstrahlt und weggeätzt. Dann kommt wieder nichts Vernünftiges raus.

LG
hein
 

Hagen

Mitglied
Hallo Hein,

da antworte ich doch mal mit einem Zitat von Albert Einstein:
‘Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben – nicht wegen der Menschen, die Böses tun, sondern wegen der Menschen, die daneben stehen und sie gewähren lassen.'
Besser hätte ich es nicht sagen können!

Wir lesen uns!
Herzlichst
Yours Hagen
 



 
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