das Dorf vor der Stadt

4,70 Stern(e) 9 Bewertungen

Tula

Mitglied
das Dorf vor der Stadt

seh ich noch manchmal vor mir:
der Mono-Ton der Häuschen links und rechts mit
aufgeplatzter Haut und eingefallenen Augen im Spiegelbild
der Pfützen, die die Straße längst unter
sich aufgeteilt hatten.

Dort quetschte sich der Zug hindurch, an Rädern
jeder Größe, Tiere, Stiefel … Stiefel (alle gleich
verdreckt), vorbei am Konsum, der verqualmten Schenke
(voller Stiefel) und in der Nase kämpften Schwein und Schweiß
mit LPG-Benzin um ihre Vorherrschaft.

Wir lachten über die vom Dorf; wir aus der Stadt waren
doch viel fortgeschrittener und gewannen stets
mit Zehn zu Null.

Wie es die Zeit ent-wickelte!

Nun spiegelt sich auf dem Asphalt die
Mittelklasse, hochglanzpoliert, und mit Solardach
sind die Häuschen heute so behaglich, dass
sie keiner mehr verlässt. Selbst Kinder nicht.

Die Schenke trägt jetzt einen kaiserlichen Namen.
Auf ihrer schattigen Terrasse aalen sich
ein Köter und ein Spatz. Sogar der Handel
hat sich raus-gemacht: ein Schild verkündet
„Spargel hier“. Drei weitere
ebenso.

Zwei Skelette auf dem alten Bolzplatz versichern:
dieses Dorf verliert kein Fußballspiel!

Überhaupt ist es der Stadt voraus.
Richtung Berlin. Um drei Kilometer.
 

Scal

Mitglied
Hallo Tula,

deine Zeilen skizzieren sehr stimmig und mit leichter Ironie die Dorfgesichts-Verwandlungen - als hättest du sie in einem Pfützen-Spiegelbild erschaut. Ein besonders gefälliger Bildmoment: Mono-Ton der Häuschen ... mit aufgeplatzer Haut und eingefallenen Augen ...
Deinen Text könnte ich mir sehr gut auch unter der Rubrik "lyrische Prosa" vorstellen - mit dann natürlich anderer Textgliederung.

Gruß
Scal
 

Tula

Mitglied
Hallo Scal
Demnächst werde ich da wieder durch-radeln, im Urlaub, freue mich schon drauf. Vielleicht sehe ich dort dieses Mal sogar einen Menschen :)
Ja, lyrische Prosa, da stimme ich zu. Als zusammenhängenden Text würde ich diesen dann allerdings noch etwas auffüllen.

Dir und allen Sternchen-Zauberern ein Dankeschön.

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 22727

Gast
Erzähl- und bildkräftig! Lyrik hin, Prosa her - das aufkommende Erinnerungsmoment macht's! Und die zwei Skelette, deren Herkunft im Text unklar bleibt, in der Dorfchronik möglicherweise nicht. Das hat mich stark an den Wolfgang-Staudte-Film 'Kirmes' erinnert ...

Alles Gute
dmity
 

Tula

Mitglied
Moin dmity
Danke fürs feedback. Die beiden Skelette könnten die beiden letzten Opfer eines unkontrollierten Zusammenpralls auf der Jagd nach dem Ball sein. Immerhin waren die vom Dorf nicht gerade zimperlich ;) Aber nein, gemeint war metaphorisch der Anblick des verwaisten Platzes mit den schiefen oder bereits halb eingestürzten Toren. Gespenstisch irgendwie ...

Dankend lieben Gruß
Tula
 



 
Oben Unten