Das Double

Frank Zimmermann

Junior Mitglied
Das Double
Zugegeben, schon bevor sie wegfuhr war unsere Beziehung alles andere als harmonisch. Die erste Zeit der stürmischen Liebe war längst vorbei und die Erosionen des Alltags machten sich auch bei unserer Liebe bemerkbar. Ihre Entscheidung für einige Zeit ins Ausland zu gehen, kam zwar plötzlich und traf mich unvorbereitet, aber wirklich überrascht war ich nicht. Ich gab den Pragmatiker: half ihr dabei ihre Sachen in möglichst wenige Koffer und Taschen zu packen und brachte sie schließlich zum Flughafen. Der Abschied war unspektakulär und erst als ich wieder im Auto saß, mußte ich heulen. Vor zwei Wochen dann die e-mail, ganz im Telegrammstil gehalten, so als würde die Nachrichtenübermittlung noch nach der Anzahl der Worte berechnet: "Ankomme am 21.11. mit Nachtzug aus Rom. Eva."
Mehr nicht, kein Gruß, keine Liebeserklärung, keine Äußerung von Vorfreude oder sonstige Emotionen, und daß nach einer Trennung von über acht Monaten! Eigentlich hatte sie nur drei Monate bleiben wollen, aber dann hatte sie einflußreiche Leute kennengelernt und noch ein zweites Praktikum anhängen können. Schließlich hatte sie sich dann noch zu einem Besuch bei einer Freundin entschieden, die mittlerweile in Rom lebte. Doch jetzt kam sie mit dem Nachtzug aus der ewigen Stadt, zurück zu mir, ich war nervös hoch sieben!
Freitag abend war eine Nachricht von ihr auf dem Anrufbeantworter, (auf dem noch immer ihre Ansage lief, wenn er ansprang): "Hallo, ich bin's, Eva. Ich komme am Sonntag morgen um 8:25 Uhr am Hauptbahnhof an, hol mich bitte ab. Wenn du nicht da bist, dann nehme ich ein Taxi. Bis dann.".
So war sie, verschwand für gut acht Monate aus meinem Leben, ließ so gut wie nichts von sich hören und erwartete dann, daß ich sie sonntags früh am Bahnhof abholte.
Zwar hatte ich den Wecker gestellt, aber schlafen konnte ich eh nicht. Schon Stunden vor der eingestellten Zeit wurde ich wach und von da an etwas jede halbe Stunde. Zwischendurch wühlte ich mich durch wilde Träume, die sich natürlich alle um sie drehten. Schließlich schaltete ich den Weckalarm ungenutzt aus und ging ausgiebig duschen. Dann richtete ich die Küche her, so daß wir erst mal gemeinsam frühstücken könnten, wenn wir wieder hier wären. Als ich dann losfuhr, hatte ich so viel Zeitreserve, daß ich den Bahnhof auch mit dem Fahrrad pünktlich erreicht hätte. Ich fuhr betont langsam. Zwar war auf den Straßen nicht viel los, aber es schneeregnete und die Windschutzscheibe, von der ich eben erst das Eis gekratzt hatte, fror von außen schon wieder zu, während sie von innen heftig beschlug. Ich sah so gut wie nichts und war ganz auf mein Gefühl angewiesen. Hätte allerdings von der Seite her jemand meinen Weg gekreuzt, er hätte kaum Chancen gehabt. Im letzten Moment sah ich die rote Ampel und bremste hart. Der Wagen ging aus. Da stand ich nun, mitten auf der Straße, an einem menschenleeren, sonntäglichen Novembermorgen. Ich mußte weiter, aber außer einem heiseren Röcheln konnte ich dem Wagen mit dem Umdrehen des Zündschlüssels nichts entlocken. Ich war gerade dabei den Wagen an den Straßenrand zu schieben, als eine Kolonne von Wagen angefahren kam. Obwohl ich die Warnblinkanlage eingeschaltet hatte, befürchtete ich übersehen zu werden und ruderte deshalb wild mit den Armen durch die Luft, um die Fahrer auf mich, das Verkehrshindernis, aufmerksam zu machen. Diese hielten prompt und boten mir ihre Hilfe an; ein Fußballverein auf dem Weg zu einem Hallenturnier. Flott schoben sie meinen Golf erst an den Straßenrand und rückten dann mit Starthilfekabeln meiner Batterie zu Leibe. Kurz darauf lief mein Wagen wieder und meine Helfer und ich machten uns wieder auf den Weg, sie zur Sporthalle und ich zum Bahnhof. Jetzt war mein Zeitpolster doch geschwunden und ich konnte es nur noch knapp schaffen pünktlich anzukommen. Ich gab Gas und fuhr für die Sicht- und Wetterverhältnisse eindeutig zu schnell, aber ich wollte nicht riskieren Eva zu verpassen.
So in Gedanken nahm ich ein Stück vor mir einen ebenfalls schwarzen Wagen wahr. Ein Golf, wie meiner und jetzt wurde mir bewußt, daß der Wagen irgendwie schon die ganze Zeit über vor mir gewesen war. Aufgrund meines atemberaubenden Tempos kam ich näher an den Wagen heran und las das Nummernschild: - XX 20. Mich durchfuhr es heiß! Das war mein Kennzeichen! Mein schwarzer Golf, in dem ich genau in diesem Moment saß, war auf dieses Kennzeichen zugelassen. Die schlechte Sicht mußte mir einen Streich gespielt haben. Gerade wollte ich noch mal genau hinsehen, als der Golf über eine, von Gelb auf Rot wechselnde, Ampel fuhr. Ich blieb stehen, der Abstand zwischen mir und dem anderen wuchs. Als die Ampel wieder umschlug fuhr ich noch schneller als zuvor. Vielleicht konnte ich den Wagen ja wieder einholen, dann könnte ich sehen, daß ich mich nur verguckt hatte und mir der Zufall einen schwarzen Golf vor die Nase gesetzt hatte, dessen Kennzeichen meinem sehr ähnlich war. Tatsächlich, kurz vor dem Bahnhof tauchte der Wagen wieder in meinem Blickfeld auf, allerdings war er noch zu weit weg, um das Nummernschild zu erkennen. Ich beschleunigte und kam dem Fremden näher, denn dieser machte keine Anstalten schneller zu fahren. Doch als ich ihn fast eingeholt hatte, bog er auf den Bahnhofsparkplatz ein, zu dem auch ich unterwegs war. Da stand Eva und winkte verhalten. Der Golf fuhr zu ihr hin. Sie öffnete die Tür und beugte sich in den Wagen. Ich war sicher, sie würde sich sofort wieder aufrichten, wenn sie den Fahrer sehen und den Irrtum bemerken würde. Doch das Gegenteil geschah: sie lächelte und gestikulierte und verschwand schließlich hinter den beschlagenen Wagenfenstern. Der Wagen fuhr an und ich konnte gerade noch einen Blick auf das Kennzeichen werfen: - XX 20! Völlig verwirrt stellte ich den Motor aus und rieb mir die Augen. Ich stieg aus dem Wagen, natürlich, der Kerl mußte mir meine Nummernschilder geklaut haben. Doch ich sah nach und fand beide Kennzeichen an ihrem ordnungsgemäßen Platz. Zurück im Wagen wollte ich gerade den Zündschlüssel umdrehen, als die Beifahrertüre aufgerissen wurde. Eine fremde, attraktive Frau stieg in den Wagen und mir ein schweres Parfüm in die Nase. Sie lächelte freudestrahlend und verführerisch und sagte mit heiserer Stimme: "Hallo meine Schatz, schön, daß du mich abholst, obwohl es noch so früh ist.", beugte sich zu mir rüber und gab mir einen intensiven Kuß.
Ich startete den Wagen und fuhr los.

(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
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