Kupernikus1985
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Das Ende einer Täuschung
1.
David drehte sich um, er blinzelte der aufgehenden Frühlingssonne entgegen. Er schob Nadines Hand von sich und erhob sich langsam aus seinem Bett, rieb sich die Augen. Langsam wanderte sein Blick durch die kleine Wohnung. Die zwei Kristallgläser, eines noch halbvoll, die Flasche des teuren Rotweins... Ihm dröhnte der Kopf. Ruckartig riss er die Fensterläden auf, die Wohnung wurde von Licht durchflutet. Dass er nackt im Fenster stand, störte ihn nicht.
Mit seinem athletischen Körper brauchte er sich vor niemandem zu verstecken. „Steh auf, ich muss los!" Zügig raffte er seine Kleidung zusammen. Leicht desorientiert schaute Nadine zu Ihm auf. „Jetzt schon? Wir sind doch gerade erst..." Ihre Stirn legte sich in Falten. „Wie spät ist es?" Mit einem Blick auf Ihr Handy beantwortete Sie sich Ihre Frage selbst. „Fuck! Ich sollte schon an der Uni sein!"
Ungestüm riss Sie die Bettdecke zurück, warf Ihre unbändigen, langen, dunkelblonden Haare nach hinten. Das war es, warum er Sie so liebte. Ihre stürmische Art, die Leidenschaft, Ihre Hingabe und Ihr fast grenzenloser Ehrgeiz. Oder war es auch diese Ähnlichkeit mit Larissa?
Die glatte Haut, der definierte, junge Körper, das im Licht glänzende Haar... Aus einiger Entfernung waren Nadine und seine Frau sich optisch sehr nahe, das musste er sich eingestehen. Nur der sanfte Rotstich in Nadines Haar sorgte für den nuancierten Unterschied.
Sie war Praktikantin in seiner Kanzlei gewesen, er hatte sich sofort in Sie verguckt, war mit der Zeit fast wie von Ihr besessen. Gerade er, dieser Anwalt, der innerlich stolz darauf war, seinen Gefühlen Einhalt zu gebieten, erst Recht keinen äußerlichen Anschein zu erlauben.
Zunächst hatte er sich hinter seiner Arbeit versteckt, entfloh seiner Ehefrau durch den Gang in sein Büro, in der unteren Etage seiner großzügigen Villa. Doch es half nicht. Seit diesem Vorfall vor zwei Jahren war es mit Ihrer Ehe rapide bergab gegangen. Wie so oft war er in der Arbeit versunken, gönnte sich zur Entspannung dem einen oder anderen Whiskey. Eine Schwäche neben dem Rauchen, die er sich als notwendiges Übel missbilligte.
Währenddessen war es passiert. Ein Unbekannter, er wurde nie ermittelt, kletterte auf den Balkon und verschaffte sich über die unverriegelte Tür Zugang zum Haus. Mit großer Brutalität vergewaltigte er Larissa, versuchte Sie anschließend mit einem Küchenmesser zu ermorden. Von alledem hatte er nichts mitbekommen. Seitdem waren da immer diese Vorwürfe. Nicht da gewesen zu sein, nichts gehört zu haben. Die eigene Frau nicht beschützt zu haben. Diese Hypothek wog schwer.
Wie oft raste er bei schweren Gedanken mit seinem Motorrad zur Küste und starrte schwermütig in den Sonnenuntergang. Dann, wenn die letzte Zigarette geraucht war, suchte er sich seinen Weg durch die Nacht.
Meistens schlief Larissa, wenn er nach Hause kam, die leere Flasche Wein auf der Kommode. Ihre Tabletten- und Alkoholabhängigkeit nahm erhebliche Ausmaße an. Gesprochen hatten Sie darüber nie. Ihre hysterischen Anfälle aber, die konnte er immer schlechter ignorieren. Und wenn er ehrlich war, er wollte es nicht mehr.
Seine Ehe war am Ende, er selbst auf dem Weg in das emotionale Abseits. Dann kam Nadine und seine Sinne erlebten Ihren zweiten Frühling.
Mit einem prüfendem Blick in den Spiegel warf er sich das weiße Hemd über und schlüpfte in seine Lewis. Er nahm sein Handy vom Nachttisch, mit der anderen Hand schon den Aktenkoffer im Griff. „Nimm den Schlüssel vom Brett!" Damit warf er die Tür hinter sich zu und verschwand schnellen Schrittes in den allmorgendlichen Verkehrswahnsinn der Stadt.
2.
Die Ohrfeige kam wie aus dem nichts, innerhalb von Sekunden war seine Wange Feuerrot.
„Hast Du Sie gevögelt?" Aus Ihren eisblauen Augen stach der blanke Zorn. „Wie oft habt Ihr es getan? Schämst Du Dich nicht Deine eigene Frau so zu demütigen?" Kurzzeitig erwachte in Ihm der Reflex einfach zuzuschlagen. Er besann sich und entschied wie üblich alles abzustreiten. „Schatz Du weißt doch ich bin da an dieser Sache dran..." Seine Worte wurden scharf abgeschnitten. „Hör auf! Hör einfach auf! Du lügst sobald Du den Mund aufmachst!" Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Vorsichtig legte er seine Hand auf Ihre Schulter.
„Der Fall ist sehr wichtig für mich, für uns, für diese Kanzlei. Es gibt keinen Grund mir zu misstrauen." Auf Larissas verheultem Gesicht bildete sich ein spöttischer Ausdruck. „Ja, das meine ich, genau diese Lügen." Sie drehte sich auf dem Absatz um und stieß die weiß gestrichene Eichenholztür zu seinem großzügigen Büro auf. David stutzte. Sollte hier nicht abgeschlossen sein? Er sah sich um, das blanke Chaos. Larissa hatte das Büro buchstäblich zerlegt. Papiere flogen herum, Briefe achtlos im Raum verteilt. Der Safe stand offen. David warf den Blick auf seinen Teakholzschreibtisch, Hefter und Aktenordner stapelten sich. Irgendetwas in ihm weigerte sich die vor Ihm ausgebreitete Szenerie zu realisieren.
Gebieterisch umrundete Larissa den Schreibtisch und setzte sich auf den komfortablen Drehstuhl, schaltete die Tischleuchte ein. „David, eine Affäre zu verheimlichen, das mag eine gewisse Zeit funktionieren. Aber du hast es einfach übertrieben. Wie konnte ich Dir noch glauben? Als Du damals die Buchhaltung ausgelagert hast, hätte ich schon nachdenklich werden müssen..." Sie weinte nicht mehr, in der Stimme aufkommender Sarkasmus. Mit Nachdruck schob Sie einen Stapel Papiere in seine Richtung. „Wir sind pleite! Diese "Geschichte" mit den Immobilien... Du hast nie daran gearbeitet. Die Strafsache mit dem verunreinigten Insulin? Eine Luftnummer!" Mit einer harschen Handbewegung wischte Sie die Unterlagen vom Tisch. „Was hast Du hier unten gemacht? Der hart arbeitende Ehemann und erfolgreiche Anwalt!" Sie lehnte sich vor, Ihre Stimme wurde schrill. „Du Versager hast Dir hier einen runtergeholt während ich oben fast gestorben bin!"
Mit einer energischen Bewegung knallte David seine Faust auf den antiken Schreibtisch, das alte, abgestellte Whiskeyglas seines Großvaters schepperte. „Ich habe alles für Dich gegeben! Ich habe Dich immer geliebt, ja, auch obwohl Nadine da war! Wer bist Du, dass Du meinst Du könntest mich durch Deinen Sexentzug konditionieren? Und ja, einmal in einem Moment war ich nicht da, und verdammt, ich leide darunter wie ein Hund Dir nicht geholfen zu haben!" Seine Stimme bebte, auf seiner Stirn bildete sich Schweiß. Bedrohlich langsam beugte er sich vor, stützte sich auf seine auf den Tisch ruhenden Handflächen. „Sage nicht es hätte Dir nicht gefallen! Die Partys mit Deinen Freundinnen, der Schmuck, das Auto! Seit dieser Sache vor zwei Jahren ging es immer nur um Dich!" Er richtete sich auf, verschränkte seine muskulösen Arme, lächelte abschätzig. „Du willst mich fertigmachen? Nur zu! Ohne mich bist Du nichts!" Sie wirkte seltsam Emotionslos, in Ihrem Gesicht keine Regung. „Ich habe heute ein paar Telefonate geführt. Mit unserer Bank, den Teilhabern, den Kreditkartenfirmen. Dein Traum ist vorbei." Übelkeit stieg in David auf, das Gefühl einen Fahrstuhlschacht hinab zufallen beschrieb sein Befinden nicht annähernd. Er stolperte durch die Haustüre nach draussen und rang nach Luft.
3.
Die tiefschwarze Limousine, welche durch die Allee rollte, fiel sofort auf. Mit niedriger Geschwindigkeit fuhr Sie die Straße entlang, zwischen den Häuserreihen, unterhalb der knorrigen Bäume, die ihre volle Blüte der Frühlingshaften Morgensonne entgegenstreckten.
Diese wunderbare Schönheit nahm der Fahrer des Audi nicht wirklich war. Das Seitenfenster war geöffnet und gab den Blick auf den seltsam anmutenden Fremden frei. Mit seinen streng nach hinten gekämmten Haaren, seinen an schwarze Kohlen erinnernden Augen wirkte er wie die in Fleisch gewordene Inkarnation des berüchtigten schwarzen Mannes. Der dunkle, altmodisch wirkende Anzug lag eng am Körper. Seine asketische Erscheinung wurde durch seine hohe Körpergröße noch einmal unterstrichen. Er bremste ab und parkte den Wagen am rechten Fahrbahnrand.
Geübt schnippte er eine Zigarette aus der Schachtel, zündete Sie mit seinem Sturmfeuerzeug an und atmete den Rauch tief ein. Nachdem er kurz innegehalten hatte, wandte er sich nach rechts und griff sich den dünnen Hefter auf dem Beifahrersitz. Penibel darauf achtend, die Zigarettenasche nicht auf Papier und Fahrzeugteppich zu verteilen, öffnete er die Mappe und blätterte Sie in aller Ruhe durch. Die Blicke der Anwohner, verstohlen hinter Vorhängen und Gardinen, registrierte er genau. Vorsichtig schloss er die Akte, legte Sie zurück auf den Sitz, öffnete die Fahrertür und warf seine ungewöhnlich langen Beine schwunghaft aus dem Fahrzeug heraus.
Lässig trat er die Zigarette aus, sein alter Trenchcoat flatterte im seichten Wind. Ohne sich noch einmal umzudrehen, warf er die Wagentüre hinter sich zu und lief mit kontrollierten Schritten über die Straße, direkt auf eine beeindruckende, im Jugendstil gebaute Villa zu.
Die auf der Auffahrt parkende Luxuskarosse nahm er im Augenwinkel wahr. Mit einiger Kraft schob er das gusseiserne Tor auf und stieg die Stufen zu der doppelflügeligen Haustüre hinauf. Beeindruckende Intarsien waren in das edle Eichenholz eingearbeitet. Nachdem er seine schmale, tief dunkelgraue Krawatte auf den richtigen Sitz geprüft hatte, drückte er auf die Klingel. Ein Glockengeläut ertönte, ein Hund fing an zu bellen.
Sicherheitsriegel wurden auf die Seite geschoben, ein Schlüssel drehte sich. Die schwere Tür schwang nach innen auf, wurde jedoch von einer Kette gehalten. Eine Frau mit vielleicht Mitte dreißig schlank und mit Kurzhaarfrisur beäugte den außergewöhnlichen Besucher durch den Türspalt. „Ja Bitte?" Der Mann lächelte verbindlich. „Gehe ich Recht mit der Annahme mit Larissa Dietrich zu sprechen?" Einen Augenblick lang sagte die Frau nichts. „Wer will das wissen?" Beschwichtigend hob der Besucher die Hände. „Entschuldigen Sie mich, wie nachlässig von mir." Mit einem flinken Griff nahm der Mann ein kleines Mäppchen aus der Innentasche seines Mantels und ließ es auf Augenhöhe der Frau aufklappen. „Ich bin Nyberg, Kriminalpolizei." Seine Stimmlage war seidenweich. Die Frau trat einen Schritt zurück, Ihr Ausdruck änderte sich von verhaltener Skepsis zu offener Ablehnung. „Ich habe damals alles gesagt! Es ist lange her!" Nach kurzem Schweigen setzte Nyberg neu an. „Ich gehe also richtig in der Annahme mit Larissa Dietrich zu sprechen?" Die Frau seufzte. „Was wollen Sie? Mein Mann hat sich umgebracht, ich habe genug gelitten, denken Sie nicht? Ich bin froh, dass diese schmerzhafte Episode meines Lebens abgeschlossen ist!"
Der Kommissar hob den Blick und schaute Larissa Dietrich direkt in die wasserblauen Augen. „Frau Dietrich, das respektiere ich. Dennoch würde ich gerne ein paar Fragen stellen. Glauben Sie mir, das ist reine Routine." Gerade als Lea Dietrich den Türspalt schließen wollte, trat Nyberg blitzschnell hervor und schob seinen blank geputzten Lederschuh in den Türrahmen. Den vorher wohlgesonnenen Gesichtsausdruck hatte er verloren, seine tiefschwarzen Augen brannten wie Feuer. „Sie machen einen Fehler!" Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte er sich ab, warf das Eisentor hinter sich zu, lief zu seinem Wagen und verschwand so, als wäre er nie dagewesen. Noch während Larissa Dietrich versuchte die Situation zu verstehen, schob Sie langsam die Türe zu, blickte dabei in die Sonne. Da war er wieder, dieser sanfte Rotstich in Ihrem Haar.
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