Das Geheimnis

5,00 Stern(e) 3 Bewertungen

Tezetto

Mitglied
Da ist einmal ein fremdes altes Männlein durchs Dorf gekommen und hat bei einer Bäuerin angeklopft. Als da die Bäuerin öffnete, bat das alte Männlein um Herberge für die Nacht. Sie befahl Mitleid und bat es herein. Nun, da es inmitten des warm erleuchteten Zimmers stand, streifte es seinen Mantel ab, reichte ihn der Bäuerein und hub an zu sprechen. "Frau", begann er zu reden "Es gibt vieles, wovon ihr wisset und ebenso vieles, welches Euren Blicken verborgen bleibt. Ich frage Euch, möchtet ihr ein Geheimnis schauen, welches nur ich kenne und das ich nur selten bereit bin zu teilen?"

Nun schwieg die Bäuerin eine lange Zeit und dachte über das Gehörte nach. Auf der einen Seite war sie nicht wenig neugierig und das Geheimnis, von dem der Alte gesprochen hatte, reizte sie sehr. Auf der anderen war sie im Dorf geachtet als kluge und umsichtige Frau und sie wusste, dass solch ein Geheimnis sie wahrlich verändern konnte. Nun wägte sie ab und überdachte den Nutzen.

Indessen stand der Mann unbeweglich da und blickte sie aus gütigen Augen an. Er schien geduldig und voller Zeit. Keine Regung verriet Ungeduld oder Hast. Er strahlte endlosen Frieden aus.

Nachdem sie nun die Vor- und Nachteile abgewägt und geprüft, den Mann noch lange gemustert und über ihn nachgedacht hatte, begann sie zu sprechen. "Herr, ich bin nur eine arme Bäuerin und werde wenig mit eurem Geheimnis anfangen können. Behaltet es für euch wenn ihr könnt, oder teilt es mit denen, die einfältig genug sind, Geheimnisse erlangen zu wollen, die nicht für Menschen gedacht sind." Sie reichte dem Alten seinen Mantel, er kleidete sich an und trat zur Tür. Noch auf der Schwelle drehte er sich um und sprach: "Ihr seid eine weise Frau und darum will ich euch verraten, was euch entging, obwohl dies sonst nicht meine Art ist. Schaut her." Er fuhr sich über das Gesicht und die Bäuerin erblickte die Gestalt des Todes, der versucht hat, sie mit einer List in sein Reich zu holen. Dann entschwand er.

So blieb ihr das große Geheimnis des Todes noch lange verborgen.
 

Rachel

Mitglied
Hei Tezetto,

eine tiefsinnig berührende Geschichte, die mir eine kleine Gänsehaut eingebracht hat, weil ich mich fragen muss, ob ich dem Geheimnis widerstanden hätte.

Die altertümliche Sprache ging rein wie Butter, sie umrahmt den Inhalt passend.

Überhaupt ... wie ein altes Männchen, dann Mann und Tod sich ergebend fügen: erst gütig, friedvoll und geduldig in voller Zeit wartend, am erfolglosen Ende gerade nicht, fast ein wenig redselig auf der Schwelle seine Art (!) und Gewohnheit brechend - all das kleidet den Tod charakterhaft, auf irritierende Weise sympathisch, wandelbar, eigentlich menschlich.

Gerne mehr!

Liebe Grüße, Rachel
 

minimalist

Mitglied
Sehr flüssig geschrieben. Kein Moment, an dem mir das Lesen fad wurde. Und die altertümliche Sprache passt zum Text, ich habe sie dir abgenommen und hatte nie das Gefühl, es wäre zu viel oder übertrieben.
Einzig oben ist ein kleiner Fehler, sieht aus wie verfluchte Rectschreibkorrektur. Sie befahl wohl nicht Mitleid, sondern empfand solches, oder?
 

petrasmiles

Mitglied
Ich kann das Lob nachvollziehen, und doch hat mich die Geschichte nicht erreicht - vielleicht, weil ich das Geheimnis des Todes nicht so spannend finde, oder von Natur aus ein misstrauischer Mensch bin, der anderen nicht gerne auf den Leim geht? Vielleicht aber auch, weil ich Terry Pratchett Fan bin und der Tod dort einfach nur seinen Job macht und keine Gelüste hat, andere vor ihrer Zeit in sein Reich zu locken.

Liebe Grüße
Petra
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Tezetto :)

Nun, da es inmitten des warm erleuchteten Zimmers stand, streifte es seinen Mantel ab, reichte ihn der Bäuerein und hub an zu sprechen. "Frau", begann er zu reden "
Es oder er, beides verwirrt.

Indessen stand der Mann
Auch Mann oder Männlein.
Sicher ist Männlein hier gemeint als kleiner Mann und damit natürlich ein Synonym für Mann, aber beide Wörter lösen doch stark divergierende Assoziationen aus.

Auch hier: der Alte hat eine völlig andere symolische Austrahlung, was bei Märchentexten nicht ganz unwichtig ist. Im letzten Teil der Geschichte den Tod einen " Alten" zu nennen und dann eine List seinerseits aufzudecken passt symbolimmanent weniger gut zusammen, denke ich.

Ansonsten ist das auch nicht meins: Ein altes Männlein, die Bitte um Herberge, die kluge Bäuerin, die roboterhaft abwägt, die ins Spiel gebrachte Einfalt, die List und der Tod, das Happy End. Da hast du ja wirklich alles bedient ;)

Einen wirklichen Mehrwert [aber das mag an meinen Denkgelee-Apparat liegen] vermag ich nicht zu erkennen. Das wirkt auf mich so fernab - gerade weil es so klug, so weise tut - der Lebenswirklichkeit, dass mir die Moral von der Geschicht wie eine Luxusleistung vorkommt, über die ich nachzudenken vermöchte, wenn die Zigarren nicht auszugehen drohen und der Porsche bald ein Schwesterchen bekommt.

Nichtsdestoweniger bin ich erfreut, dass du ein Märchen versucht hast! Ungewöhnlich, an sich spannendes Projekt! Und ...das nächste sagt vielleicht auch mir zu?

LG
Patrick
 



 
Oben Unten