Das Haus am Tümpel

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GKL

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Er wurde auf das Haus aufmerksam, weil es genau seinen Wünschen entsprach: Ein solides altes Walmdachhaus.
In den letzten Jahren hatte er erfolgreich an der Börse spekuliert, nun endlich reichte das Geld für einen sorglosen Lebensabend. Aber ihm behagte das Leben in der Großstadt nicht und er hasste das Gedränge in den Straßen. Der Gestank der Auspuffgase und des Qualms, mit dem die Fabriken die Luft verpesteten, bereitete ihm Übelkeit.
Deshalb war er von der ursprünglichen Landschaft, die das Haus umgab, begeistert und er erkundigte sich im nächsten Dorf, ob das Anwesen zu erwerben sei. Dabei erfuhr er, dass das Haus schon seit geraumer Zeit nicht mehr bewohnt wurde, die Gemeinde bisher vergeblich versucht hatte den Besitz wieder zu vermieten oder zu verkaufen. Und nach kurzem Briefwechsel mit dem Makler, der den Besitz verwaltete, beschloss er, das Haus so bald wie möglich zu besichtigen.

Er stellte seinen Daimler auf dem Parkplatz des Dorfgasthofes ab, öffnete das Handschuhfach und fischte den Schlüssel heraus, den ihm der Makler zugesandt hatte. Das Anwesen konnte man nur über einen von Unkraut und Sträuchern überwucherten Trampelpfad erreichen, der früher als Abkürzung zwischen den Dörfern H... und W... gedient hatte.
Nach zehnminütigem Fußmarsch erreichte er schließlich sein Ziel und blickte sich um: Der Jungwald hatte begonnen seine Schösslinge zwischen die alterskrummen Obstbäume zu streuen. Hinter dem Haus lag eine Wiese, an deren Rand sich hinter Schilf und Kalmus ein brackiger Tümpel verbarg. Hier neigten sich zwei Weiden, wie unter einer schweren Last, über die mit Algen bedeckte Wasseroberfläche. Einige Birken dagegen schienen mit allen Ästen davon fort zu streben, als wollten sie sich um keinen Preis der Welt in diesem Wasser spiegeln.
Er merkte, dass sich hier nichts regte, keinerlei Leben war zu spüren. Weder eine Amsel, noch irgendeinen Sumpfvogel konnte er entdecken, nicht einmal Schmetterlinge, traten sie in dieser Zeit sonst auch überall in Scharen auf.

Er hatte das Haus inzwischen zum zweiten Mal umrundet und näherte sich wieder der Wiese. Trotz des faulig-schlammigen Wassers zog ihn der Tümpel irgendwie an. Er watete durch das Gras bis an das morastige Ufer und sah, dass Bläschen wie Perlen durch die Schleimschicht quollen und sich an der Wasseroberfläche zu phantastischen Gebilden vereinigten. Eine Stelle entdeckte er, an der ein Fetzen aus der Algendecke herausgerissen war, in dem das Wasser den mit schweren Gewitterwolken beladenen Himmel spiegelte.
Es war merklich kühler geworden. Aus der Ferne ließ sich dumpfes Grollen vernehmen, während der Wind die Wipfel der Bäume schüttelte und singend über das Gras strich. Schon erleuchteten Blitze den Himmel, begleitet von rollendem Donner, und der Wind brauste immer mehr auf.
Plötzlich durchzuckte ein Lichtblitz die Luft, worauf ein ohrenbetäubender Donnerschlag folgte. Vom Wald herüber erklang langgezogenes Stöhnen, unterbrochen vom Geräusch brechender Äste.
Er wich erschrocken einige Schritte vom Tümpel zurück und blickte schaudernd auf die Wasseroberfläche. Im Schein des Blitzes war ihm, als tauche eine knotige Hand aus den Fluten, so, als treibe es den Körper eines Ertrunkenen an die Oberfläche.
Fröstelnd eilte er über die Wiese dem Hause zu. Es begann in schweren Tropfen zu regnen.

Er kämpfte eine Weile mit dem widerspenstigen Türschloss, ehe die Eichentür leise knarrend aufsprang. Vor ihm nichts als Finsternis, die auch das durch die offene Tür einsickernde Dämmerlicht nicht zu durchdringen vermochte. Er tastete nach dem Lichtschalter und atmete erleichtert auf, als er ihn gleich neben der Tür entdeckte. Klicken begleitete das Drehen des Schalters, es geschah jedoch nichts, der Raum blieb dunkel. Er trat unsicher einige Schritte vor.
Draußen hatte der Wind fast die Stärke eines Orkans erreicht und peitschte den Regen vor sich her. Plötzlich wurde die Tür von einem Windstoß erfasst und fiel ächzend ins Schloss. Der Hall wurde gellend von den leeren Räumen zurückgeworfen, bis auf einmal kein Laut mehr zu vernehmen war. Stille, er wurde von rabenschwarzer Nacht umgeben. Er begann schnell nach einem Zündholz zu suchen, dann jedoch entsann er sich der Taschenlampe, die in seiner Jackentasche steckte.

Der Strahl der Taschenlampe durchdrang die Finsternis und erleuchtete den vor ihm liegenden Raum. Er sah in eine Diele, an deren Wänden sich die Rahmen einiger Türen abzeichneten. In der Mitte war eine Treppe zu erkennen, die sich in ein höher gelegenes Stockwerk empor wand.
Er stieg die Stufen nach oben. Nachdem er das Obergeschoss flüchtig untersucht hatte, entdeckte er eine kleine Kammer, durch deren Gaubenfenster man auf die Wiese und den Tümpel blicken konnte. In der Kammer stand eine Liege, die bequem zu sein schien. An der Wand, gegenüber dem Fenster, entdeckte er einen Kamin, davor, am Boden, lagen verstreut staubige Bücher.
Um ein wenig auszuruhen warf er sich auf die Liege, lag einige Minuten still da und lauschte dem Heulen des Windes und dem Scharren der Äste am Dach des Hauses. Ohne es recht zu merken, döste er ein und fiel bald in einen tiefen Schlaf.

Er war sehr abrupt erwacht, sein Herz schlug heftig. Irgendein Geräusch hatte ihn geweckt. Er erhob sich und blickte aus dem Fenster. Der Mond war zwischen den Wolken hervorgekommen und tauchte die Landschaft in weißes Licht. Er erkannte den Tümpel. Die Birken schienen noch enger zusammengerückt zu sein, wie ein Rudel Rehe bei drohender Gefahr. Da gewahrte er eine Bewegung am Ufer des Tümpels, als ob irgendetwas aus dem Wasser ins Trockene gelangen wollte. Nun begann es klare Konturen anzunehmen, und er sah eine Gestalt, die sich vom Ufer entfernte und sich schleppend dem Hause näherte. Dann war sie verschwunden, und er begann angstvoll zu lauschen.
Es herrschte Stille, eine unheimliche Stille in dem schlafenden Haus, bis auf einmal leise, kaum vernehmbare Laute an sein Ohr drangen. Sie kamen offenbar von unten aus der Diele. Es dauerte eine Weile, ehe sie deutlicher wurden, dann jedoch hörte er ein Geräusch, als drücke jemand einen Schwamm aus. Gleichzeitig vernahm er, wie etwas Stufe um Stufe erklomm.
Furcht schnürte ihm die Kehle zu. Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und ein entsetzlicher Gestank drang in das Zimmer, eine schauderhafte Fäulniswolke hüllte ihn ein.
Er war so betäubt, dass er nicht mehr fliehen konnte. Irgend etwas lauerte dort in der Dunkelheit auf ihn. Er hörte schlurfende Schritte und dann gewahrte er im Licht des Mondes eine gekrümmte Gestalt suchend umhertasten, ein Bündel zerfressener Knochen.
In diesem Moment wich die Lähmung von ihm und er stürmte von Panik getrieben vorwärts. Er hatte schon fast die Tür erreicht, als er über eines der herumliegenden Bücher stolperte, mit dem Kopf gegen die Wand schlug und bewusstlos liegen blieb.

Er erwachte mit brummendem Schädel. Die Morgensonne blinkte durch das Gaubenfenster, so dass er geblendet die Augen zusammenkneifen musste. Weshalb nur lag er am Boden? Langsam kam die Erinnerung und er sah sich in der Kammer um. Hatte er geträumt? Kein Zeichen deutete auf einen nächtlichen Besucher hin. Dann bemerkte er die Wasserlache auf dem Treppenabsatz vor der Tür. Er schüttelte benommen den Kopf, raffte sich auf und taumelte die Treppe hinunter ins Freie. Sein Entschluss stand fest: Er würde sich nach einem anderen Haus umsehen.

Da die Bemühungen, das Walmdachhaus zu verkaufen, gescheitert waren, beschloss der Gemeindevorstand von U..., das Gebäude abreißen zu lassen. Das Grundstück sollte entwässert und der Tümpel trockengelegt werden.
Beim Auspumpen des Tümpels aber stießen die Arbeiter auf eine Leiche. Durch die lange Zeit, die der Tote - wohl durch Schlingpflanzen am Auftauchen gehindert - im Wasser gelegen hatte, bot er einen schaurigen Anblick.
Einer der Arbeiter berichtete später, er hätte gesehen, wie der Leichnam wild gezuckt habe, als die ersten Sonnenstrahlen auf ihn fielen. Aber ein kräftiger Schluck aus der Schnapsflasche überzeugten den Mann, dass er sich wohl getäuscht haben musste.
 

Rub.

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HI GKL,

auch mal am schauen, wie es hier so ist?
Nachdem ich deine Geschichte ja schon kenne, muß ich hier sagen, das sie mir bei jedem Lesen besser gefällt.
Nach wie vor sehr klassisch.

Macht Spaß sie zu lesen.

Rub.
 

GKL

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Hey Rub.,
schön dich hier zu treffen :)
Stimmt, ich will einfach mal schauen, wie’s hier so ist (obwohl ich vor ein paar Monaten schon drei Geschichten hier veröffentlicht habe). Hab die Erfahrung gemacht, dass die Kommentare zu ein und derselben Geschichte oftmals völlig unterschiedlich ausfallen, wenn man das Forum wechselt. Und wenn man sogar noch den Autorennamen ändert, sehen die Kritiken meist völlig anders aus. (Keine Angst, ich schreibe hier nur unter GKL.) Aber auf KG hat einmal jemand eine meiner Kurzgeschichten wortwörtlich kopiert und dann, etwa ein halbes Jahr später, in der selben Rubrik unter seinem eigenem Nick veröffentlicht. Wenn du da die Kritiken verglichen hättest, wärest du erstaunt gewesen, denn unterschiedlicher hätten sie kaum sein können. Ist nach einiger Zeit dann aber doch aufgeflogen und der Typ wurde verwarnt.
Da ich selbst bisher im Leselupe-Forum (leider) kein eifriger Kritiker war (bzw., zu meiner Schande, noch keine einzige Kritik geschrieben habe), erwarte ich natürlich auch nicht, dass meine Geschichte hier vielfach kommentiert wird.
Und deshalb freue ich mich auch besonders, wenn du schreibst, dass dir meine Story mit jedem Lesen besser gefällt. Danke dir dafür.

Gruß

Günter
 



 
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