Das Image muss stimmen

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JennyO

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Ich sitze Janice Kwittner gegenüber. Sie ist eine Journalistin des Mode-Magazins „Vogue“. Ich bin eine berühmte Schauspielerin. Habe zehn Filme in diesem Jahr gedreht. Frau Kwittner will mir Fragen stellen. Das ist Routine für mich. Ich habe praktisch jeden Tag Interviews. Meist stellen die Journalisten immer wieder die selben Fragen.
Ah, da kommt ja schon die erste Frage. Mal wieder so eine typische. Ob ich über Weihnachten in den Alpen gewesen bin. Ich antworte brav: Ja, ich war in den Alpen. Und ja ich bin auch beim Skifahren in den Schnee gefallen. Nein ich bin keine so gute Skiläuferin.
Gott, wie mich diese Fragen anöden. Will mir die Frau denn nicht mal eine einigermaßen intelligente Frage stellen? Oh, nein das will sie nicht. Sie möchte stattdessen wissen, ob mich denn bei solchen privaten Ausflügen die Menschenmengen nicht stören. Natürlich stören sie. Wer will den schon angegafft werden, als ob man ein lila Gesicht hätte? Niemand! Aber alle berühmten Leute bilden eine Ausnahme. Immer schön lächeln, winken und im Kopf die Leute abknallen.
Ob ich einen Freund habe? Natürlich habe ich einen Freund. Er ist fünf Jahre älter. Ob er eifersüchtig auf meinen Erfolg ist? Nein, natürlich nicht. Wir haben eine harmonische Beziehung. Ob schon mal das Thema Hochzeit auf den Tisch gekommen ist? Natürlich! Lukas redet immer zu davon. Wir werden langsam älter. Wir sollten endlich eine Familie gründen. Bla, bla. Er hat den Traum von Hochzeit in Weiß. Ich den Altar entlang schreitend. Ein weißer zwei Meter langer Schleier zeiht sich hinter mir her. Meine weißen Schuhe passen zu meinem Kleid. Und von wessen Geld? Meins natürlich!!! Schließlich ist er moderner Hausmann. So beschreibt man es höflich. Wahrheitsgemäß heißt es: Stinkfaul.
Das sage ich natürlich nicht alles der Lady mir gegenüber. Ich gebe höfliche antworten. Das Image muss stimmen. Komisch was solche Fragen in einem auslösen können.
Heiraten möchte ich noch nicht. Ich bin erst dreißig. Auf dem Höhepunkt meiner Karriere. Eine Heirat wäre für mich tödlich. Das Image wäre futsch. Von sexy Superstar zu Heimchen am Herd. Noch zeigt sich Lukas einigermaßen verständnisvoll. Doch letztes mal als wir wider darüber diskutiert haben, ist er ganz grau geworden und hat schreiend eine Vase gegen die Wand geschmissen. „Deine Karriere? Deine Karriere?“ hat er immer wieder geschrieen. Später hat er sich bei mir entschuldigt.
Auch diese Szene erfährt Frau Kwitten nicht. Wir haben, wie ich schon erwähnt habe, eine völlig harmonische Beziehung. Es ist perfekt.
Ob ich nicht einen Hund hatte? Doch ja, ich hatte einen Hund. Lukas und er sind mal im Winter fischen gegangen. Ich hab Lukas angerufen und ihm gesagt, dass ich zu einem Dreh nach Rio muss und wir uns deshalb vor März nicht wieder sehen. Wieder einmal hat er geschrieen. Zur Strafe hat er meinen Hund zurückgelassen. Er ist erfroren. So ist die inoffizielle Version der Geschichte. Offiziel heißt es, mein Hund wäre bei einem romantischen Spaziergang von mir und Lukas im Eiswasser eingebrochen. Diese Version bekommt auch die Journalistin.
Es ist irgendwie völlig irrational, warum ich überhaupt noch mit ihm zusammen bin, denke ich mir. Doch nein halt. Ich weiß doch den Grund. Wenn ich gehe, hab ich wieder überall blaue Flecken …
 



 
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