Das Jahresticket

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Vickinger

Mitglied
Frühling, Bahnsteig 3

Sie standen unter der Bahnhofsuhr und lächelten sich schüchtern an. Sein Herz klopfte wild, als er vorsichtig nach ihrer Hand suchte. Sie verschränkten die Finger miteinander und grinsten. Ihre Schultern berührten sich. Als der Zug einfuhr, drehte sie sich ruckartig zu ihm. Sie griff nach seiner Wange und küsste ihn mitten auf dem Mund. Er zuckte zusammen, dann schloss er die Augen und drückte sie an sich. Schelmisch lächelte sie ihn an. Sanft strich sie über seine Wange. Behutsam erforschten seine Hände ihre Taille. Sie schlang ihre Arme fest um ihn. Ein letztes Mal küssten sie sich, dann stieg sie ein.

Sommer, Bahnsteig 3

Er saß auf der Holzbank des Wartehäuschens und strich über ihren Rücken. Sie saß neben ihm, ihre Beine auf seinen Oberschenkeln abgelegt. Tief ineinander versunken sahen sie sich in die Augen. Ihre Finger spielten mit seinen Haaren über dem Nacken. Als der Zug einfuhr zog er sie näher an sich heran. Sie vergrub ihr Gesicht in seinem Hals und sog seinen Geruch tief ein. Er spürte ihr Lächeln und ihren warmen Atem auf seiner Haut. Der Zeiger der Bahnhofsuhr sprang zur nächsten Minute. Der Zug fuhr ohne sie ab.

Herbst, Bahnsteig 3

Sie standen nebeneinander. Ungeduldig blickte sie hinauf zur großen Bahnhofsuhr. Er starrte traurig ins Leere. Vorsichtig suchte seine Hand die ihre. Als er sie nicht fand, sah er, dass sie sie in ihrer Jackentasche versteckte. Ausdruckslos fixierte sie das Gleis. Als der Zug einfuhr, drehte sie sich zu ihm. Er wollte sie in den Arm nehmen. Doch sie bückte sich zu ihrem Koffer und schritt auf den Zug zu. Ohne sich umzudrehen stieg sie ein. Verloren stand er am Bahnsteig, bis die Uhr zur vollen Stunde schlug. Der Zug war längst abgefahren.

Winter, Bahnsteig 2

Angespannt stand sie mit ihrem Koffer neben dem Wartehäuschen. Sie schaute zwischen der Menschenmenge von einem Gesicht ins nächste. Traurig blickte sie zu Boden. Plötzlich fasste jemand auf ihre Schulter. Erschrocken drehte sie sich um. Er zog sie in seine Arme. Sie atmete erleichtert aus und vergrub ihr Gesicht in seinem Schal. Mit der Hand streichelte er sanft über ihren Rücken. Sie drückte sich fest an seinen Körper und spürte seinen warmen Atem auf ihrem Scheitel. Er hielt sie so, dass er sie ansehen konnte. Eine Träne rollte über ihre Wange. Lächelnd wischte er sie weg. Leise tickte die Bahnhofsuhr weiter.
 



 
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