Das Kind am Missouri River

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Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben und ich war neun Jahre alt, als mein Vater mir sagte, dass er sich kaum noch daran erinnern könne, wie meine Mutter ausgesehen habe. Ich wollte das nicht glauben.
„Nein, das stimmt nicht!" rief ich und rannte, barfuß wie ich war und in einem alten Kattunkleid, hinunter zum Hafen. Dort, an einem Hafen des Missisouri River, war wie immer etwas los: Menschen, die von einem Schiff kamen, Menschen, die auf ein Schiff gingen, Arbeiter, die etwas reparierten und Nägel in Holz schlugen und sich gegenseitig anschrien, Arbeiter, die schweres Gepäck schleppten und sich gegenseitig anschrien, Familien mit Kindern, Frauen in langen Kleidern, Frauen mit Kopfputz, Frauen mit Sonnenschirm, mit Männern an ihrer Seite, die meist Kleidung in einer düsteren Farbe trugen. Die Männer sah ich mir gar nicht erst genau an. Sie interessierten mich nicht. Ich wollte die Frauen sehen, ihren Anblick in mich aufsaugen. Wie hübsch war die junge dunkelhaarige Frau, die sich gerade über ihr Baby beugte! Ja, so müsste meine Mutter ausgesehen haben, hübsch und dunkelhaarig und jung. In der linken Hand hielt sie einen Sonnenschirm und ihre Haut war porzellanweiß. Und wie liebevoll sie sich um ihr Baby kümmerte, ganz genauso wie meine Mutter sich bestimmt um mich gekümmert hätte.

Es herrschte strahlender Sonnenschein, alles vibrierte von Leben, die Passagiere, die Arbeiter, die Familien, die Mütter, die Kinder und vielleicht auch die uninteressanten Väter. Und ich stand da und sog das Bild in mich auf und auf einmal wusste ich, wie meine Mutter ausgesehen hatte.
 

Wipfel

Mitglied
Hallo silberne Delphine, ein Stück Kurzprosa hast du eingelstellt - ein Kind auf der Suche nach Identität. Mir gefällt das Stück, wengleich es sprachlich noch keine besondere Glanzleitung darstellt - nur meine Meinung. Beispiel:
Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben und ich war neun Jahre alt, als mein Vater mir sagte, dass er sich kaum noch daran erinnern könne, wie meine Mutter ausgesehen habe.
Einen solchen wichtihen ersten Satz wünsche ich mir präziser. Das doppelte war ist unnötige, die Formulierung zu umständlich.

Grüße von wipfel
 
Hallo Wipfel,

danke für deinen Kommentar. Freut mich, dass dir das kleine Stück gefällt. Ich werde den ersten Satz gleich ein wenig umformulieren, denn du hast recht, sprachlich ist er nicht besonders.

LG SilberneDelfine
 
Ich hatte meine Mutter nie kennengelernt, denn sie war bei meiner Geburt gestorben. Ich war neun Jahre alt, als mein Vater mir sagte, dass er sich kaum noch daran erinnern könne, wie meine Mutter ausgesehen habe. Ich wollte das nicht glauben.
„Nein, das stimmt nicht!" rief ich und rannte, barfuß wie ich war und in einem alten Kattunkleid, hinunter zum Hafen. Dort, an einem Hafen des Missisouri River, war wie immer etwas los: Menschen, die von einem Schiff kamen, Menschen, die auf ein Schiff gingen, Arbeiter, die etwas reparierten und Nägel in Holz schlugen und sich gegenseitig anschrien, Arbeiter, die schweres Gepäck schleppten und sich gegenseitig anschrien, Familien mit Kindern, Frauen in langen Kleidern, Frauen mit Kopfputz, Frauen mit Sonnenschirm, mit Männern an ihrer Seite, die meist Kleidung in einer düsteren Farbe trugen. Die Männer sah ich mir gar nicht erst genau an. Sie interessierten mich nicht. Ich wollte die Frauen sehen, ihren Anblick in mich aufsaugen. Wie hübsch war die junge dunkelhaarige Frau, die sich gerade über ihr Baby beugte! Ja, so müsste meine Mutter ausgesehen haben, hübsch und dunkelhaarig und jung. In der linken Hand hielt sie einen Sonnenschirm und ihre Haut war porzellanweiß. Und wie liebevoll sie sich um ihr Baby kümmerte, ganz genauso wie meine Mutter sich bestimmt um mich gekümmert hätte.

Es herrschte strahlender Sonnenschein, alles vibrierte von Leben, die Passagiere, die Arbeiter, die Familien, die Mütter, die Kinder und vielleicht auch die uninteressanten Väter. Und ich stand da und sog das Bild in mich auf und auf einmal wusste ich, wie meine Mutter ausgesehen hatte.
 
Ich hatte meine Mutter nie kennengelernt, denn sie war bei meiner Geburt gestorben. Als ich neun Jahre alt war und zaghaft fragte, wie sie ausgesehen habe, sage mir mein Vater, dass er sich kaum noch daran erinnern könne. Ich wollte das nicht glauben.
„Nein, das stimmt nicht!" rief ich und rannte, barfuß wie ich war und in einem alten Kattunkleid, hinunter zum Hafen. Dort, an einem Hafen des Missisouri River, war wie immer etwas los: Menschen, die von einem Schiff kamen, Menschen, die auf ein Schiff gingen, Arbeiter, die etwas reparierten und Nägel in Holz schlugen und sich gegenseitig anschrien, Arbeiter, die schweres Gepäck schleppten und sich gegenseitig anschrien, Familien mit Kindern, Frauen in langen Kleidern, Frauen mit Kopfputz, Frauen mit Sonnenschirm, mit Männern an ihrer Seite, die meist Kleidung in einer düsteren Farbe trugen. Die Männer sah ich mir gar nicht erst genau an. Sie interessierten mich nicht. Ich wollte die Frauen sehen, ihren Anblick in mich aufsaugen. Wie hübsch war die junge dunkelhaarige Frau, die sich gerade über ihr Baby beugte! Ja, so müsste meine Mutter ausgesehen haben, hübsch und dunkelhaarig und jung. In der linken Hand hielt sie einen Sonnenschirm und ihre Haut war porzellanweiß. Und wie liebevoll sie sich um ihr Baby kümmerte, ganz genauso wie meine Mutter sich bestimmt um mich gekümmert hätte.

Es herrschte strahlender Sonnenschein, alles vibrierte von Leben, die Passagiere, die Arbeiter, die Familien, die Mütter, die Kinder und vielleicht auch die uninteressanten Väter. Und ich stand da und sog das Bild in mich auf und auf einmal wusste ich, wie meine Mutter ausgesehen hatte.
 
G

Gelöschtes Mitglied 18005

Gast
Entschuldige die Assoziation: Wolfgang Borchert - "Vielleicht hat sie ein rosa Hemd". Aber auch nur ein Teil aus deinem Text. Die Aufzählung der Menschen dort und die Tatsache, dass nur die Frauen interessant erscheinen. Aber der Rest ist alles anders. Das ist auch die einzige Parallele. Die ganze Geschichte ist ja anders. Und der Stil ist meiner Meinung nach auch nicht vergleichbar. Mir ist der Text bloß so in den Kopf gekommen. Muss dich nicht weiter kümmern.

Nun aber zu "Das Kind am Missouri River": Es ist spannend wie optimistisch das Ende ist! Das Kind weiß wie die Mutter ausgesehen haben könnte! Interessant! Auch lustig fast und überzogen, wie die Eindrücke des Kindes so detailliert beschrieben werden und in welche Richtung der Text einen treibt, obschon es doch um etwas ganz anderes gehen sollte als diesen kleinen Hafen mit den ganzen Menschen dort. Das ist kafkaesk würde ich behaupten. Jetzt reicht es aber mit meinen Vergleichen! :D

Mir gefällt es, dein Werk! Es ist lebendig und herzensnah! Wundervoll eigentlich sogar! Toll ... Dieser Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart, bzw. Leben. Es steckt mehr hinter all dem was du hier beschreibst, als es auf den ersten Blick erscheint!

Beste Grüße, Etma
 
Hallo Etma,

vielen Dank für deinen Kommentar! „Das rosa Hemd" von Borchert kenne ich gar nicht, muss ich mal recherchieren :)

Freut mich, dass dich meine Momentaufnahme bzw. Einblick in eine Zeit so mitgerissen hat.

LG SilberneDelfine
 

Zirkon

Mitglied
eine berührende Kurzprosa, Delphin, in eine beschauliche Zeit versetzt, wo es sich lohnt, Details zu beschreiben. Diese Beschreibungen lenken vom eigentlichen Thema ab, erzeugen Spannung.

Ein Kind sucht das "Bild" seiner Mutter, auch sich selbst.
Der Endsatz, die Pointe, kommt nicht richtig, da du vorher schon schriebst, dass Mutter so ausgesehen haben müsste. Das vorher würde ich also streichen.
Gern gelesen mit lieben Grüßen Zirkon
 
Ich hatte meine Mutter nie kennengelernt, denn sie war bei meiner Geburt gestorben. Als ich neun Jahre alt war und zaghaft fragte, wie sie ausgesehen habe, sage mir mein Vater, dass er sich kaum noch daran erinnern könne. Ich wollte das nicht glauben.
„Nein, das stimmt nicht!" rief ich und rannte, barfuß wie ich war und in einem alten Kattunkleid, hinunter zum Hafen. Dort, an einem Hafen des Missisouri River, war wie immer etwas los: Menschen, die von einem Schiff kamen, Menschen, die auf ein Schiff gingen, Arbeiter, die etwas reparierten und Nägel in Holz schlugen und sich gegenseitig anschrien, Arbeiter, die schweres Gepäck schleppten und sich gegenseitig anschrien, Familien mit Kindern, Frauen in langen Kleidern, Frauen mit Kopfputz, Frauen mit Sonnenschirm, mit Männern an ihrer Seite, die meist Kleidung in einer düsteren Farbe trugen. Die Männer sah ich mir gar nicht erst genau an. Sie interessierten mich nicht. Ich wollte die Frauen sehen, ihren Anblick in mich aufsaugen. Wie hübsch war die junge dunkelhaarige Frau, die sich gerade über ihr Baby beugte! In der linken Hand hielt sie einen Sonnenschirm und ihre Haut war porzellanweiß. Und wie liebevoll sie sich um ihr Baby kümmerte, ganz genauso wie meine Mutter sich bestimmt um mich gekümmert hätte.

Es herrschte strahlender Sonnenschein, alles vibrierte von Leben, die Passagiere, die Arbeiter, die Familien, die Mütter, die Kinder und vielleicht auch die uninteressanten Väter. Und ich stand da und sog das Bild in mich auf und auf einmal wusste ich, wie meine Mutter ausgesehen hatte.
 
Hallo Zirkon,

vielen Dank für deinen Kommentar, der mich sehr gefreut hat. Du hast recht mit deinem Ratschlag- ich habe den Satz vorher jetzt heraus genommen.

LG SilberneDelfine
 



 
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