Kapitel 13
Elfriede Schramm begoss die Setzeier liebevoll mit heißem Fett, denn sie hasste es, wenn die oben herum so glibberig waren. Ob man es wohl riskieren konnte, einfach einen Deckel auf die Pfanne zu legen? Rasch wendete sie sich zur Seite und suchte im anliegenden Schrank danach, aber schon begann es in der Pfanne heftig zu blubbern, Fett spritzte empor. Also ließ sie es sein, nahm lieber die Eier vom Herd, ehe die unten herum allzu fest werden konnten.
Elfriede lief nun doch in stiller Vorfreude das Wasser im Munde zusammen. Welch ein leckeres Mahl! Sie schnitt noch dazu zwei dicke Scheiben vom Brot ab, das letzte nach den drei Wochen, welche inzwischen vergangen waren. Es war wohl gut, wenn man sich wieder in die Stadt begab, um dort nach neuen Nahrungsmitteln zu suchen, wenngleich dort eine räuberische Horde, die sich rote Schlange nannte, plündernd umher zog, und die Eier der wilden Hühner ließen sich immer sehr schwer finden, besonders, da Elfriede altersschwache Augen hatte.
Elfriede holte die Teller aus dem Schrank. Mein Gott, diese drei Wochen waren eigentlich wie im Fluge vergangen! Waren eine schöne Zeit gewesen. Der einzige Wermutstropfen dabei, dass sie seit dem weder die Kinder noch Margrit wieder gesehen hatte. Irgendwie empfand sie nämlich eine gewisse Scheu, nach den Unterkünften der Maden zu suchen, zumal selbst Margrit ihr früher nicht gerade die besten Dinge über Günther Arendt erzählt und Elfriede deshalb befürchtet hatte, dass man sie vorn dort wieder zurück zu den Spinnen schicken könnte, sobald sie sich nur zeigen würde.
Wie viel besser hatte sie es deshalb hier in dieser kleinen Hütte mitten im Walde. Sie spitzte die Ohren, denn sie hörte, wie draußen Holz gehackt wurde. Unwillkürlich musste sie dabei an damals zurückdenken. Ach, war sie damals in Panik gewesen, kaum dass sie den riesigen Jisken im Garten entdeckt hatte.
“Erwischt!“ hatte sie auch noch geschrieen und dann waren ihr die restlichen Worte buchstäblich im Halse stecken geblieben. Eigentlich war es ja auch eine Frechheit gewesen, sich einfach an ihrem mühsam erkämpften Fahrrad zu schaffen zu machen. Er hatte die muskelbepackten Arme auch sofort erhoben, obwohl die Pistole in ihrer Hand mächtig am Wackeln gewesen war. Und dann hatte er sich zu ihrer Überraschung plötzlich schmerzerfüllt zusammen gekrümmt und war schließlich unter heftigem Stöhnen einfach zu Boden gegangen.
Zunächst hatte sie völlig verschüchtert gewartet, nicht gewagt sich zu rühren, dies nur für einen mehr oder weniger schlechten Trick gehalten, um sie zu überrumpeln, doch dann hatte sie begriffen: Dieser Außerirdische war wohl zuvor von irgend jemandem derart verletzt worden, dass er deshalb ohnmächtig geworden war. Und jetzt meinte sie auch trotz des Dämmerlichtes mehrere dunkele Rinnsale durch den dünnen Stoff seines Hemdes ins Gras sickern zu sehen. Er konnte auf der Flucht vor irgendwelchen Verfolgern sein, sonst hätte er womöglich ihr Rad gar nicht haben wollen.
Da er also wirklich völlig kampfunfähig war, ergriff sie sich das frisch reparierte Rad, um sich damit an dem Jisken vorbei zu schieben. Aber da packte seine große Hand plötzlich von unten zu. Er hielt das Rad unter stöhnen einfach an den Speichen fest, aber sie brauchte nicht sehr lange daran zu ziehen ... schon verließ ihn die Kraft, die Finger öffneten sich zitternd und erneut überfiel ihn tiefe Ohnmacht.
Und dann geschah etwas in Elfriede, was sie sich eigentlich bis heute nicht erklären konnte, denn als sie sich ein gutes Stück von ihm entfernt hatte, hörte sie ihn wieder entsetzlich aufstöhnen, und plötzlich wendete sie das Rad und fuhr zu ihm zurück. Wenn auch am ganzen Körper zitternd, entwaffnete sie ihn unter beruhigenden Worten erst einmal, legte alles neben sich ins Gras, um beide Hände für ihn frei zu haben, und dann nahm sie ihm einfach diesen lästigen Helm ab. Das war gut gewesen, denn er holte tief Atem. Zwar erschrak sie über sein fremdartiges Äußeres sehr, denn er hatte überhaupt keine Ohren und auch die Augen schienen recht sonderbar geschnitten zu sein. Aber er war ein zwar kräftiger, jedoch wohl auch recht alter jiskischer Soldat, denn sein dunkles Gesicht, dessen Farbe sie im Dämmerlicht kaum richtig deuten konnte, schien tiefe Falten zu haben und das lange, zu einem Knoten hochgebundene Haar war wohl an einigen Stellen schon schneeweiß! Seine Augen blickten so flehend zu ihr empor, dass sie keine Hemmungen hatte, sich die Wunde an seiner Schulter genauer zu besehen. Immer wieder redete sie dabei beruhigend auf ihn ein und obwohl er nur wenig verstanden hatte, ließ er es schließlich nicht nur zu, dass sie ihren Schal um seine Schulter wickelte, sie durfte ihm auch hoch helfen.
Einige Tage lang versorgte Elfriede dann Sungapelke in jenem Haus, wo sie ihn gefunden hatte, am Rande Würzburgs. Gott sei Dank hatte er eine robuste Natur und es war nur eine Fleischwunde gewesen. So erholte er sich rasch. Dennoch verließ Elfriede ihn nur, wenn wichtige Besorgungen zu machen waren, oder wenn es darum ging, bei Pommi wieder mal Auskünfte über Margrit und die Kinder einzuholen.
Eines Tages, als sie nach Hause kam, fand sie sein Bett leer. War er einfach ohne einen Abschiedgruß fort gegangen? Oder hatten ihn seine Verfolger - er fürchtete Jisken und Hajeps gleichermaßen - gefunden und einfach weggeschleppt? Nichts ließ darauf schließen, dass innerhalb des Hauses ein Kampf stattgefunden hätte, denn dass Sungapelke sich kampflos ergab, hatte sie sich trotz seiner Verletzung nicht vorstellen können. Außerdem lagen seine wenigen Waffen wie immer ungenutzt unter dem Bett. Mehrere Decken hatte er auch noch darüber gepackt. Wo also konnte er sein?
Sie ging in die Küche und fand ihn zu ihrer Freude munter am Tisch sitzend vor. Er zerschnitt gerade einige Kartoffeln für die Suppe - leider ohne sie zu vorher schälen – wohl, um ihr bei der Küchenarbeit zu helfen. Neben sich auf dem Tisch hatte er wie immer den etwa handgroßen Computer, über welchen er schon die ganze Zeit Elfriedes Sprache zu erlernen versucht hatte. Er winkte sie zu sich heran, damit sie auf den Bildschirm sehen sollte und seine gelben Augen blitzten sie dabei glücklich an. Dort hatte er nämlich folgende Worte für sie zusammengesucht: Tief angelegte Dankbarkeit, praktiziert im Vorhandensein menschlichem Gewühls dein dir gehöriger Sungapelke!
Damals hatte sie sich viel Mühe geben müssen, um nicht laut loszulachen. Er hatte sich trotzdem sehr erschreckt, weil sie ihm anschließend dafür einen Kuss auf die Wange gegeben hatte. Letztendlich hatte sich dieser kleine Apparat, den er Chasbulak nannte, dann doch als sehr nützlich für sie beide erwiesen. Tja, und Sungapelke benutzte ihn eigentlich auch heute noch, immer, wenn es mal mit der Verständigung allzu schwierig zu werden drohte.
Leise ein Liedchen vor sich hinsummend betrat Elfriede nun das kleine, gemütliche Wohnzimmer.
Ach, war das schön, die großen Fenster und dahinter die verschneiten Tannen. Ein guter Gedanke, dass sie nach etwa vierzehn Tagen in diesen Wald gezogen waren, denn Sungapelke fühlte sich hier sicherer als in Würzburg. Sein scharfes Auge hatte diese Hütte schon damals von oben entdeckt, als er mit seiner Einheit im Militärflieger unterwegs gewesen war und er hatte bereits zu jener Zeit gehofft, dieses kleine Häuschen eines Tages unbewohnt vorzufinden.
Zumindest dieser Wunsch war ihm erfüllt worden. Ganz klar geworden war Elfriede in all den Tagen des gemeinsamen Wohnens zwar noch immer nicht, weshalb eigentlich Sungapelke schon früher auf seinem Heimatplaneten ein politischer Querulant gewesen sein sollte. Sehr nachdenklich stellte sie darum die Teller auf den Tisch, legte das Brettchen für die Pfanne zurecht. Sungapelke war jedenfalls, so hatte sie ihn inzwischen verstanden, auch auf der Erde der jiskischen Staatsmacht zu regimekritisch gewesen, so dass man ihn zur Strafe dazu verdammt hatte, alt zu werden um schließlich daran zu sterben, was Elfriede kaum glauben konnte! Aber er neigte wohl auch ein wenig dazu Märchen zu erzählen. Für den Rest seines Lebens hatte man ihn dann nur noch leicht bewaffnet für halsbrecherische Kommandos eingesetzt, die er sonderbarerweise, oder vielleicht auch wegen seines scharfen Verstandes, alle überlebt hatte. Darum war ihm sein letzter, nicht ganz so gefährlicher Auftrag recht willkommen gewesen, hatte er doch gehofft, dabei seinem eigenen Volk in einem günstigen Augenblick entrinnen zu können, um endlich auf dieser Erde als Eremit ungestört leben zu können. Als Fallschirmspringer war er dann, statt gemeinsam mit den Kameraden den Oten, der sich zusammen mit einer Lumanti hinter einem Molkat – Elfriede wusste nicht was das war – verschanzt hatte, einzukreisen, einfach davon gelaufen.
Leider hatte später einer der Hajeps auch ihn verfolgt und in den Rücken geschossen. Für einen Sekundenbruchteil hatte er noch mit dem Gedanken gespielt sich dafür zu rächen, aber er hatte noch weitere schwer bewaffnete Hajeps herannahen sehen und so war er mit einem lauten Aufschrei zusammengebrochen und hatte sich tot gestellt. Allerdings hatte er befürchtet, bei lebendigem Leib in Humus verwandelt zu werden, als die Soldaten zu seiner Erleichterung aus unerklärlichem Grund plötzlich wieder zurück gerufen wurden.
Später hatte er dann ein Fahrrad gefunden, das aber schnell zu Bruch gegangen war. Er hatte sich jedoch damit trotz seiner Wunde bis zum Rand der Stadt gequält, um endlich in Sicherheit zu sein.
So nun musste Elfriede nur noch die zwei Scheiben Brot auf den Tisch legen und die Pfanne auf das Brett stellen. Doch gerade als sie sich umwenden wollte, um wieder in die Küche zu laufen, hörte sie, wie Sungapelke die Haustüre öffnete um den Flur zu betreten. Gut, so brauchte sie ihn nicht mehr herbei zu rufen. Sicher würde er dabei gleich Holz für den Ofen mitbringen.
Sie hörte jetzt, wie er den Schnee von den Füßen trampelte und dann seine Schritte durch den Flur.
Ein wenig klopfte ihr Herz nun doch, als sie mit der Pfanne aus der Küche kam, denn sie wusste inzwischen, dass er Eier sehr gerne aß, obwohl er sich an die neuartige Lumantikost erst hatte gewöhnen müssen.
Nachdem er die warme Jacke – sie hatte ihm diese aus einer dicken Decke genäht – auf den Haken gehängt hatte, öffnete er die nur leicht angelehnte Wohnzimmertür und schaute blinzelnd zu ihr hinein.
In seinen dichten rosa Wimpern – so man ihm glauben konnte, sollten die nur deswegen rosa geworden sein, weil er alt geworden war - schimmerte noch immer Schnee, den er sich nun verstohlen von der Wange wischte.
„Minus es sich fühlt!“ brummte er und schüttelte dabei fröstelnd die Schultern.
Sie hörte ihn genüsslich durch seine drei Nasenlöcher in Richtung gebratener Eier schnüffeln und ihr Herz lachte dabei.
„Nun, Sunga?“ fragte sie. „Was hast du wieder alles im Wald erlebt?“
Sonderbarerweise erwiderte er nichts darauf, doch meinte sie in seinem sonst so ausdrucklosen Gesicht einen Anflug von Sorge - womöglich gar Angst? – gesehen zu haben.
Sie lächelte ihm daher unsicher zu und er schaute schnell weg, stapfe weiterhin stumm in die Küche, fegte sich dabei noch schnell mit der freien Hand über die frisch geschorene Glatze, um auch von dort die letzten Schneeflocken herunter zu wischen. Er hatte sein üppiges, rosafarbenes Haar ganz nach der Sitte der Jisken zu einem eleganten Knoten hochgebunden. Dabei war es so lang, dass es ihm noch von dort aus, bis tief den Nacken hin¬ein fiel.
Er hob, tief in Gedanken versunken, nun einige der Metallringe vom Herdloch, stocherte für ein Weilchen traurig in der Glut herum, legte schließlich Holz nach und hielt, immer noch tief in Gedanken, die verkrüppelten Hände zum Wärmen darüber. Dann verschloss er das brodelnde Feuerloch wieder, tappte zurück ins Wohnzimmer.
Elfriede blickte fragend in sein kantiges Gesicht und sah, wie seine gelben Augen leuchteten, kaum dass er die Eier entdeckt hatte. Still bei sich musste sie zugeben, dass es doch ein Weilchen bei ihr gedauert hatte, sich an sein recht ungewöhnliches Äußeres zu gewöhnen, denn seine Haut war dunkelgrau oder hatte die eher eine tiefe lila Farbe? Auch heute war sie sich darüber uneins. Sie entschied sich für eine Mischung aus beiden Farbtönen in verschiedenen Schattierungen. Die schönen gebratenen Eier in der Pfanne schienen ihn von seinem Kummer abzulenken, den er ganz gewiss hatte. Elfriede war sich sicher, dass er bald von dem erzählen würde, was erlebt oder gesehen hatte, denn er verschwieg ihr eigentlich nichts. Stumm nahm er ihr gegenüber Platz am kleinen, hübsch gedeckten Tisch. Er hatte den Chasbulak neben sich liegen. Auch das sagte Elfriede schon genug. Schnell füllte sie ihm eines der Eier auf den Teller und reichte ihm eine der Scheiben Brot. Ach, am allerschwierigsten war es für sie gewesen, sich an seine verkrüppelten Hände zu gewöhnen, mit denen er sich oft auch recht ungeschickt anstellte. Ganz wie jetzt, denn er hatte schon wieder Schwierigkeiten mit der Fingerharke. Als sol¬che bezeichnete er die Gabel, von welcher ihm gerade das doch ein so ein bisschen glibberige Ei geglitscht war.
„Wie ist das mit deinen Händen passiert?“ fragte sie ihn wieder, auch um ihn damit ein wenig gesprächiger zu machen.
Zunächst schaute er verdutzt, dann holte er den Chasbulak aus der Tasche seines seltsamen Hemdes und suchte in dem kleinen Apparat nach Worten. „Jiskhand keiner Wissenwertes darum!“ erklärte er mit seiner rauen Stimme eifrig.
„Das heißt darüber!“ verbesserte Muttchen das letzte Wort.
Er suchte nach diesem, nickte, löschte das alte und gab das neue stattdessen ein.
„Wissenswertes darüber keiner Jiskhand!“ brummte er zufrieden.
„Nein, nein, ganz anders ... völlig anders!“ Sie kam zu ihm um den Tisch herum gelaufen. Kaum stand sie neben ihm, verharrte sie erschrocken, denn von hier aus hatte sie einen guten Blick zum Fenster und sie meinte, jemanden weit hinten durch den Wald schleichen zu sehen. Oder war das nur ein Reh gewesen?
Doch Sungapelke hatte wohl fast im selben Moment die gleiche Beobachtung machen können. Er grunzte bereits erschrocken durch seine seltsame Nase.
Schnell holte er den Jawubani aus einer kleinen Tasche an seinem Gürtel hervor.
Aufgeregt gab Sungapelke dann wenig später einen neuen Satz für Muttchen in den Chasbulak ein.
„Hajepwald Loteken matschieren wie Besitz!“ kommentierte er zornig.
„Oh Gott“, ächzte sie. „Du meinst, irgendwelche Loteken machen hier plötzlich Stunk?“
Er starrte sie ob dieser Ausdrucksweise mit offenem Mund entgeistert an, dann aber mühte er sich, auch diese Worte schnell in den Übersetzer zu geben.
Sie riss sich zusammen. „Äh, ich meinte natürlich, durchstöbern die Loteken etwa plötzlich diesen Wald, obwohl sie eigentlich wissen, dass der den Hajeps gehört?“
„Stunk .. Stinktier!“ beantwortete Sungapelke, stolz, das richtige Wort gefunden zu haben, ihre erste Frage und zu der zweiten sagte er jetzt nur noch schlicht: „Ja!“
„Oh Gott!“ Muttchen musste sich wegen dieser schrecklichen Nachricht erst einmal setzen und zog daher den kleinen Korbstuhl, der hinten in der Ecke gestanden hatte, etwas näher zu Sungapelke heran. „Und was bedeutet das für uns?“
Der Jisk hatte schon wieder seinen Jawubani vor Augen. „Schwarz nicht!“ erwiderte er und zuckte dabei hilflos mit den breiten Schultern.
„Sicherlich meinst du – Weiß nicht!“
Er nickte, immer noch den Jawubani vor Augen habend. “Loteke jitzt wich ... hm ... wick?“ Er legte den Jawubani beiseite schaute wieder im Chasbulak nach. “Wecker!“ rief er begeistert und stolz, schon wieder das rich¬tige Wort gefunden zu haben. „ER Wecker!“ und seine blaue Zunge beleckte dabei aufgeregt die lila und schwarz marmorierten Lippen.
„Sie sind weg?“ fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. „Nischt sie – nischt Frau – Mann!“
Ach, sie hatte es aufgegeben, ihn immer wieder zu verbessern, denn Sprachen schienen ihm wohl nicht allzu sehr zu liegen. Na, Hauptsache man kam einigermaßen miteinander klar.
„Es waren also nicht mehrere?“ fragte sie daher einfach weiter.
Wieder blickte er prüfend durch den Jawubani und nebenbei nickte er. „Jiddin Taig isch bereitzzz gesät habbe ville ... serr ville Loteken. Dir nischt saggin .. sonst traulich! Nischt nür in Wald ... überall!“ Er machte ärgerlich eine weitschweifende Handbewegung. „Haute isch zigarre hammellisch beobachtelt wie Chiunatra mit Trowe hier Treffer midden im Waldi.“
„Du ... du meinst dieser Chiu ... hm ... dings hatte hier eine Verabredung mit einem ... also so einem einfachen ....?“ Sie zog ihre Stirn in nachdenkliche Falten, denn ihr war plötzlich die genaue Bezeichnung dafür entfallen. „Tr ... Tr...“
Sein ansonsten ziemlich regungsloses Gesicht schien nun doch ein wenig Heiterkeit über Muttchens Suche nach dem richtigen Wort anzuzeigen. “Tr .. o ... we!“ sagte er und ließ dabei jeden Buchstaben förmlich auf seinen Lippen zergehen.
„Ach so!“ Ein bisschen rot vor Verlegenheit wurde sie deshalb nun doch.
Die kleinen Fältchen um Sungapelkes Augen zuckten deshalb amüsiert, aber nur für einen Sekundenbruchteil, dann wurde er wieder ernst. „Isch denkt, Loteken wollinn machern Paket mit Trowe, weil Trowe wissenswärter vermuttlisch weggin Zarakuma!“
„Warum?“ fragte sie.
„Trowes langer Zeitig habbin Zarakuma gebeutelt!“
„Etwa gebaut?“ hakte sie nach.
Misstrauisch schaute er erst einmal in seinem Chasbulak nach, schließlich nickte er verstohlen.
Nun konnte sie sich eigentlich ihm gegenüber amüsiert zeigen, doch die Sorge über das, was er ihr soeben berichtet hatte, ließ ihr Lächeln ersterben, denn was bedeuteten diese Gebietsansprüche der Loteken für sie beide? Fragend forschte sie in diesen rätselhaften Augen, mit denen er sie ebenso nachdenklich musterte.
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"Und wie endet nun das Märchen?“ fragte Julchen aufgeregt.
„Äh, das ist gar kein Märchen!“ erwiderte Margrit verdutzt. “Das alles habe ich wirklich erlebt! Ich wollte euch nur erklären, weshalb ich plötzlich so verändert aussehe!“
„Nein, du bist nicht unsere Mama!“ schimpfte Julchen und stampfte dabei mit ihrem Fuß auf. „Weil, die Mama hat nämlich ganz viel bessere Haare als du, so!“ Und noch einmal trat sie wütend auf den Fußboden des kleinen Zimmerchens. Ach, es war wohl eher eine enge Kammer, in welcher die Spinnen Margrits Kinder untergebracht hatten. Zudem schienen sich die beiden in einem schlimmeren Zustand zu befinden als je zuvor. Zwar waren sie wohl tatsächlich nicht mehr geschlagen worden, aber inzwischen bis auf die Knochen abgemagert. Gab man ihnen denn fast gar nichts mehr zu essen?
„Ohne Scheiß“, bekräftigte nun auch Tobias, „in Mamas Haar war ganz viel mehr Weiß drin! Und die ... diiie hatte auch viel mehr ... viiiel mehr Falten überall!“ Tobias nuckelte jetzt an seiner Unterlippe, wie immer, wenn er sehr aufgeregt war und musterte die junge Frau, welche einfach ihre Kammer betreten und gleichzeitig wirre Geschichten erzählt hatte, wieder sehr feindlich. Die war zwar hübsch trotz der zerschlissenen Kleidung, aber trotzdem ziemlich komisch, wie die sich die ganze Zeit benahm.
Vorhin hatte sie mit Mike über die Freilassung von ihm und Julchen verhandelt und dabei immer wieder betont, sie wolle die Kinder endlich mitnehmen.
Neben Margrit stand Chan-Jao, den sowohl Tobias als auch Julchen kannten, doch das tröstete die Kleinen nicht darüber hinweg, ihnen die falsche Frau gebracht zu haben.
Da Krieg war, kam Tobais dazu noch ein zwar furchtbarer, aber im Grunde doch recht alltäglicher Gedanke. „Ist ... ist die Mama etwa .. tot?“ schluckte er und schon standen ihm wieder Tränen in den Augen.
Für einen Moment zögerte Margrit mit der Antwort. Womöglich war es tatsächlich am Besten wenn sie sich selbst – äh, die alte Margrit – einfach beerdigte? Dann gewöhnten sich die Kinder vielleicht rascher an die Neue? Aber dann verwarf Margrit diesen Gedanken doch lieber und schüttelte nur den Kopf mit dem frisch gewachsenen Struwwelhaar. “Wie du siehst lebe ich und ich fühle mich sogar sehr gut!“
Tobias wischte sich zwar die Träne weg, die ihm gekommen war, hatte danach aber schon wieder den alten trotzigen Ausdruck im Gesicht.
„Und die Mama ... die trug eine Brille! “ behauptete Tobias jetzt und Julchen nickte dazu eifrig.
Gut, dass Margrit sich eine für diesen Fall von Elsbeth geborgt hatte. Sie holte nun das komische Drahtgestell hervor und setzte es sich auf die Nase. Puh, sie konnte durch diese Gläser wirklich kaum etwas erkennen.
„Na-ah?“ fragte sie trotzdem selbstbewusst und lächelte dabei wieder freundlich. „Was sagt ihr nun dazu?“
Tobias krauste verächtlich die Nase. „Nein, so hat die Mama nicht ausgesehen!“ zischelte er hervor.
Wieder machte Margrit ein trauriges Gesicht.
Sollte sie doch, diese falsche Schlange! Bei der tat Tobias gar nichts leid! Auch die Sache von vorhin nicht! He, wie gut, dass er und Julchen, seit sie geflohen waren, sich so richtig schön verändert hatten.
Da die Kinder zur Strafe nur noch sehr wenig zu essen bekamen, hatten sie sich wieder ihrer alten Fähigkeiten besonnen, die ihnen schon früher geholfen hatten, als sie noch diebische Straßenkinder gewesen waren. Sie hatten sich inzwischen so einiges zusammen geklaut und auch diesmal gleich ihre Chance erkannt, als diese komi¬sche Frau und Chan-Jao mit Mike verhandelt hatten. Da war Tobias erst einmal an deren Tasche heran geschli¬chen und hatte dann in einem günstigen Moment darin nach Nahrung gestöbert. Julchen und er waren sogar fündig geworden. Obwohl das komische Ding aussah wie eine Zahnpastatube, war aus dieser– nachdem Tobias so ein bisschen damit herum hantiert hatte - mit leisem Zischen doch eine recht leckere Masse herausgequollen wie aus einer Sahnespraydose, welche sie sich gegenseitig dann rasch in die Handflächen gesprayt und schnells¬tens aufgeleckt hatten.
Chan-Jao hatte dann von irgendwo her eine Meldung bekommen, hatte aus irgend einem Grund plötzlich weg gemusst und war im Begriff gewesen sofort zu gehen. Aber die komische Frau war ihm einfach hinterher gelaufen. Dann hatten sie hinten noch ein Weilchen miteinander einiges besprochen und deshalb waren Jule und er für einen Moment mit Mike alleine gewesen. Der hatte sofort gerochen, dass Julchen und Tobias gerade etwas gegessen hatten.
Der herrliche Geruch der Creme schwebte in diesem Moment verführerisch in der Kammer und da alle Menschen derzeit unter chronischen Hungergefühlen litten – oder auch weil Mike von diesem sonderbaren Geruch genau wie Julchen und Tobias plötzlich wie berauscht war - hatte er sich von Tobias einfach etwas davon eben¬falls in die Hand sprayen lassen, ohne darauf zu achten, dass es ein außerirdischer Behälter war, aus dem er die Nahrung bekam.
Schon war die komische Frau gemeinsam mit Chan-Jao zurück gewesen und Tobias hatte noch schnell den merkwürdigen Behälter wieder in der Tasche verschwinden lassen können.
“Hände weg von meiner Tasche!“ hatte sie ihnen noch zugerufen und alle drei hatten ruhig gehorcht.
Jetzt stand diese Frau so einfach vor ihnen, ohne zu wissen, was passiert war.
Sie schaute in die traurigen schmutzigen Gesichter ihrer Kinder. Sowohl Julchens als auch Tobias Augen waren dick geschwollen vom vielen Weinen, wohl, weil sie den Kater und natürlich erst recht ihre Oma vermissten, welche sie doch ab und an hatte trösten können. Aber das erste Problem konnte man wohl schon lösen und so bückte sich Margrit, holte aus der Pappkiste den fest eingeschlafenen Kater hervor.
„Na-ah?“ fragte sie. „Wer erkennt ihn wieder?“
Munk gähnte, riss die gelben Augen auf, schaute zunächst verdutzt, dann fauchte er ziemlich unschlüssig vor sich hin, auch weil ihn Margrit den Kindern so komisch entgegen hielt, dass seine Pfoten nirgendwo Halt hatten.
Tobias und Julchen griffen aber nicht zu, nahmen den Kater keineswegs in den Arm. Tobias betrachtete auch Munk stirnrunzelnd und Julchen wischte sich nur ihre Nase trocken und noch immer streichelte niemand den Kater.
Munk ließ deshalb die Schnurrhaare hinab hängen und machte ein ganz verdrießliches Gesicht. Undankbares Pack! Na ja! Schließlich kannte er ja diese beiden Zweibeiner. Es waren seine! Stets hatte er sich um sie gekümmert, sie mit allen vier Pfoten betrampelt, wenn sie mal traurig oder auch nicht traurig waren, war ja schließlich ganz egal. Und nun sollten sie ihn endlich wieder bekommen. Und was machten sie? NICHTS!
„Aber ...“, begann Tobias zögerlich und noch immer skeptisch, „... der hier hat ja ganz viel Fell!“
„Stümmt!“ bestätigte Julchen. „Der ... deeer hat Fell mit ohne Löchern drin!“
Tobias streckte prüfend die Hand nach Munk aus, um zumindest eine kahle Stelle, die der alte Kater früher hier und da gehabt hatte, im dichten Fell ausfindig zu machen. Das hätte er aber nicht tun sollen! Munk war furchtbar beleidigt. Diese Zweibeiner konnten ihm gestohlen bleiben, ihn so lange hängen zu lassen. Er holte in seiner Empörung jetzt sogar nach Tobias aus!
„Auuutsch!“ kreischte Tobias, als er die frisch gewachsenen Krallen zu spüren bekam.
„D ... das IST Munk!“ jauchzte Julchen begeistert. „Ganz ... gaanz bestümmt!“ Sie hüpfte und klatschte dabei in ihre Händchen.
„G ... ganz ohne Scheiß!“ entfuhr es Tobias verdutzt aber auch sehr erleichtert und er leckte sich über den zerkratzten Handrücken.
„Munk ... Muuunk ... Munkilein!“ jauchzten die Kinder fast gleichzeitig. Na ja, und Munk, kaum hatte er diese liebevolle Tonlage gehört, breitete er seine Arme – äh, Pfoten aus – und schon befand er sich in inmitten zweier weicher Kinderkörper. Ach, was wurde er nun gekrault, geküsst und geherzt und sein Schnurren war dabei fast so laut geworden wie die Stimmen der beiden Kinder.
Margrit freute sich natürlich sehr mit den Dreien. Sie lachte dermaßen, dass ihr dabei die Tränen nur so über das Gesicht liefen und selbst Chan-Jao war ein wenig gerührt. Doch als Margrit wieder versuchen wollte die Kinder zu umarmen, wichen sie ihr mitsamt Kater einfach aus.
Sie musste wirklich ziemlich befremdlich aussehen, denn vorhin, als sie am Eingang gestanden hatte, war selbst Mike ihr gegenüber skeptisch gewesen. Erst ein Anruf bei Adrian – eigentlich Adrian von Haiden - dem Befehlshaber der Maden, überzeugte ihn schließlich auch deswegen, weil schon die Geschichte über Margrits Verjüngung unter den Spinnen kursierte.
Sonderbar, kaum hatte Margrit an Mike gedacht, hörte sie ihn auch schon wieder, diesmal gemeinsam mit Christian, durch den Flur kommen. Chan-Jao und Margrit, die noch immer in der geöffneten Tür der kleinen Kammer standen, schauten sich nach den beiden um.
„Hallo, du da! Äh, Margrit, ich habe eine Idee!“ rief Mike den beiden schon von weitem zu.
Chan-Jaos Augen wurden noch schmaler als sie es ohnehin schon waren, denn Mike hatte plötzlich eine ganz andere Tonlage eingeschlagen als vorhin, wo ihn Margrit noch unter Tränen darum gebeten hatte, einfach das fehlende Brot, das Margrit Mike gleich überreicht hatte, anzurechnen und somit endlich ihre Kinder frei zu lassen, ohne die gleiche gewaltige Menge an Nahrungsmitteln und Medikamenten nochmals zu verlangen. Mike hatte das Brot zwar angenommen, doch einfach gesagt: „Das bekomme ich für die vielen Ungezogenheiten deiner Kinder.“ Ansonsten hatte er sich weiterhin kalt und unnachgiebig gezeigt. Nun aber strahlte er mit einem Male übers ganze Gesicht.
„Und was wäre das für eine neue Idee?“ fragte Margrit darum skeptisch.
„Tja“, Mike räusperte sich gespielt verlegen, ehe er damit heraus kam. „Als ich vorhin die Maden angerufen habe, war auch Günther Arendt anwesend.“
„Nanu?“ rief Margrit verdutzt. “Heut` ist doch gar nicht der Erste?“ Dann lachte sie unsicher.
„Also, der erzählte mir von einer besonderen Waffe, die Sie immer mit sich herumtragen würden. Nun ja, wenn sie mir die versuchshalber überlassen und wenn sich dabei herausstellt, dass wir die gebrauchen können, würde ich mir die Sache mit der Freilassung Ihrer Kinder vielleicht noch überlegen.“ Er rieb sich – ziemlich provozierend, wie Margrit fand - nun das markante Kinn und starrte sie dabei weiterhin freundlich grinsend an.
„Nööö“, fauchte Tobias, den fetten Kater dabei an seine Schwester weiter reichend, weil der ihm auf die Schulter klettern wollte, „mit dieser komischen Frau gehen wir von hier nicht weg!“
„Stümmt“, hörte man auch Julchen, zwar etwas undeutlich, weil sie mit ihren Zähnen schon wieder einen Faden aus ihrem Kittel zog. Dennoch behielt sie dabei den Kater unter dem Arm geklemmt. “Wir warten auf die richtige Mama, so!“
„Du sollst das Nagen sein lassen!“ zischelte Mike erbost, wollte ausholen, senkte dann aber unter Margrits Blick doch lieber seine Hand.
„Außerdem habt ihr frechen Gören dabei gar nicht mitzureden!“ mühte sich Christian trotzdem, das Image seines Chefs wieder etwas aufzupolieren.
„Nun, meine liebe Margrit“, begann Mike von Neuem, „wie schaut`s damit aus?“
Ach, Margrit konnte das Lauern in diesem Blick gar nicht ertragen.
„Ich weiß ja selbst kaum, was es ist“, gab sie, genau wie vor einigen Tagen bei Günther Arendt, auch Mike zu bedenken.
„Sehr richtig, darum wollen wir diese Waffe ja erst einmal testen!“ Mike verschränkte die Arme vor der Brust, wirkte ein wenig genervt und Christian zeigte genau das gleiche Mienenspiel.
„Ich möchte es aber noch nicht aus der Hand geben“, wandte Margrit leise ein. “Außerdem habe ich es bereits Günther Arendt versprochen!“
„Ach so!“ entfuhr es den beiden Spinnenleuten etwas enttäuscht. Dann aber leuchteten Mikes kalte Augen doch wieder ziemlich gierig auf, denn er betrachtete Margrits glatte, junge Haut. „Sie sagen immer ´es´? Hmm ... ist ´es´ womöglich gar keine Waffe, sondern ... he, es ist dieser komische Jungbrunnen, richtig?“ hakte er aufgeregt nach.
„Nein, das wohl eher nicht“, erwiderte Margrit nachdenklich.
„Ach, tatsächlich?“ Mike grinste schief und zog sich dabei die breite Krempe seines frisch gewaschenen Hutes ins Gesicht. „Nun gut!“ sagte er nach einen kurzen Moment des Nachdenkens und gab dabei Christian ein Zeichen, dass sie gehen wollten und schon liefen die beiden durch den Flur zurück. “Na dann“, rief er trotzdem noch Margrit dabei zu, „vielleicht überlegen Sie sich das ja noch! Ungefähr zehn Minuten Zeit haben Sie dazu, dann bin ich nämlich weg! Hab` wieder Schwierigkeiten mit einigen Bauern. Tja, so geht`s unsereins!“ fügte er mitleidheischend und daher auch ziemlich laut hinzu. “Unruhige Zeiten heutzutage!“ Er wandte sich nach ihr um. „Also ... entweder Günther Arendt oder ICH!“
Margrit ging wieder vor Julchen und Tobias in die Hocke. „Hört mal“, sagte sie, „selbst wenn ich nicht eure Margrit sein sollte, so müsst ihr doch zugeben, dass es nicht schön ist, hier immer gefangen zu sein. Ihr ... ihr könntet bei den Maden leben, denn ich habe gemeinsam mit Renate Günther Arendt überreden können. Er bekommt diese Waffe ...Quatsch ... dieses Mittel ...“, sie holte dabei die eigenartige Tube hervor und die Kinder starrten das komische Ding entgeistert an, “... im Austausch dafür, dass ihr künftig dort leben dürft. Nur will euch Mike ohne einen besonderen Lohn nicht freigeben.“ Sie schwieg einen Moment sehr nachdenklich, denn sie hatte plötzlich Angst. Obwohl ihr inzwischen eingefallen war, was Oworlotep damals zu dieser Tube gesagt hatte, war sie plötzlich nicht fähig zu tun, was er ihr geraten hatte. Denn was war, wenn sie damit ihre Kinder vergiftete? Nein, so weit durfte das Vertrauen zu einem Außerirdischen wohl nicht gehen oder? Ach, sie würde wieder Würzburg aufsuchen und sich so lange dort aufhalten, bis sie hier abermals mit vielen Beuteln bepackt ankam.
Ein wenig verschämt tauschten indes die beiden Kleinen miteinander Blicke aus. Immer noch streichelte Julchen dabei Munk. „Du ... huuu?“ krächzte Julchen plötzlich verlegen und hatte dabei ihr Köpfchen tief gesenkt. „Wir haben vorhin ...“
„Ja, als du mit Mike gesprochen hast“, gestand jetzt auch Tobias ein.
“... einfach davon genascht, denn was da herauskam ... oooh ... das hat ganz doll gut gerochen!“ schwärmte jetzt Julchen richtig.
„Und auch ganz doll gut geschmeckt! Ganz ohne Scheiß!“ setzte Tobias mit strahlenden Augen noch hinzu. “Dürfen ... dürfen wir davon noch ein wenig mehr?“ Er hielt ihr nun seine Handfläche entgegen und Julchen folgte sogleich seinem Beispiel, den fauchenden Munk dabei außer Acht lassend, denn sie hatte sich den schon wieder einfach nur unter den Arm geklemmt .
„Oh Gott, Kinder!“ ächzte Margrit, kaum dass sie die schreckliche Beichte der beiden vernommen hatte. Sie war zu Tode erschrocken. „Wie konntet ihr nur! Ihr .... ihr habt das Zeug tatsächlich ... runtergeschluckt?“
Selbst Chan-Jao, der dabei zuhörte, machte ein erschrockenes Gesicht.
„Och, das war gar nicht so schwer!“ erklärten die Kleinen nun direkt ein bisschen stolz.
Margrit dachte schon an Magen auspumpen und so weiter, aber die Kinder wirkten gar nicht erschöpft. Ihnen war auch nicht übel. Sie hatten keine Schmerzen und zeigten auch ansonsten keinerlei Anzeichen von Vergiftung.
„Und der Mike ... deeer hat auch!“ fügte Julchen mit verschmitztem Lächeln noch hinzu.
„Ja, der hat später echt richtig reingehauen!“ half Tobias seiner Schwester.
„Der auch?“ entfuhr es Margrit mit großer Verwunderung.
„Seltsamer Bursche!“ brummte Chan-Jao
Fieberhaft arbeitete es in Margrits Kopf weiter. Die Kinder wirkten aber auch nicht gerade übertrieben heiter. Dieses rauschige Freiheitsgefühl, von dem Oworlotep ihr berichtet hatte, war also auch nicht eingetreten. Alles war anscheinend wie nichts für die Kinder gewesen. Na ja, außer, dass sie vielleicht ein bisschen satter waren. Das Zeug hatte also nicht geholfen aber auch nicht geschadet. „Tobias, komm her!“ fauchte jetzt Margrit richtig energisch. „Und du auch Julchen!“
Da ließen die beiden den Kater - zu seinem Erstaunen - plötzlich fallen und kamen mit tief gesenkten Köpfen zu Margrit. „Was habe ich euch IMMER gesagt?“ brüllte Margrit zornesrot im Gesicht.
„Wir ... wir sollen nicht klauen!“ krächzten Julchen und Tobias schuldbewusst fast gleichzeitig Und diesmal war Tobias derjenige, welcher sofort die sonderbare Situation begriff. „He, Mann ... d ... das ist ja DOCH unsere Mama!“ krächzte er hingerissen und betrachtete dabei die tiefe Falte über Margrits Nasenwurzel, da sie ihre Brauen heftig zusammen gezogen hatte. “G ... ganz ohne Scheiß!“
„Ja, das IST sie!“ stammelte auch Julchen. “Unsere Mama!“ Und ihre kleine Kinnlade zitterte dabei.
Da fielen beide Kinder Margrit um den Hals. Alle drei – nein vier, denn Chan-Jao holte gerade ein Taschentuch hervor - schluchzten laut voller Glück, endlich wieder zueinander gefunden zu haben.
„Siehst gar nicht mal schlecht aus ... so!“ schniefte Tobias, als er sich einigermaßen beruhigt hatte, und er strich dabei mit der flachen Hand über Margits steil abstehende Struwelmähne.
„Nur die Brille fehlt ... aber nur so ... so ein ganz kleines winziges bisschen!“ Julchen hielt ihre Fingerchen zu einen winzigen Spalt zusammen und direkt vor Margrits rot gewischter Nase.
„Aber, das würd noch ... stümms ... das mit der Brille?“ versuchte Julchen jetzt sehr eifrig Margrit zu trösten.
„Na, ich weiß nicht!“ entgegnete Margrit etwas skeptisch.
„Margrit, es tut mir Leid, aber jetzt ist es Zeit!“ meldete sich Chan-Jao hinter ihr. „Du weißt, wegen dir habe ich eigentlich schon viel zu lange gewartet. Eberhardt hat mir über die Spinnen mitteilen lassen, dass man mich schnellstens braucht! Also, wenn du noch mit mir fahren willst ...“ Er zuckte hilflos mit den Schultern.
„Da muss ich dir Recht geben Chan!“ Christian kam gerade wieder durch den Flur, diesmal um Margrit zu vertreiben. Er nickte dabei Chan-Jao zu. „Margrits Besuchszeit ist nämlich längst um!“
Schon stand der ekelhafte Spinnenmensch breitbeinig neben Margrit. „Schönen Gruß von Mike übrigens, der ist gerade losgefahren. Die Kleinen sollen jetzt schlafen!“
„Was?“ riefen die Kinder enttäuscht. „Jetzt schon?“
„Na klar!“ Christian grinste hämisch übers ganze Gesicht. “Schließlich müsst ihr morgen wieder in aller Frühe raus! Denkt ihr denn, ihr seid nur zum Spielen hier?“
„Aber der Kater kann doch bei uns bleiben, stümms?“ Julchen versuchte Christian mit ihren großen Augen anzubetteln.
Christians Blick fiel auf Munk, der gerade dabei war, sich seine Krallen, an der Wand der kleinen Kammer zu schärfen. Gott, war das immer eine Arbeit, jede Kralle dabei auch richtig schön scharf zu machen, aber Munk machte das immer sehr gründlich.
„Furchtbares Viech, kratzt uns ja hier fast die halbe Kammer weg“, entrüstete sich der Spinnenwachmann. „Nein, das fette Tier kommt weg! Damit spielt ihr ja doch nur bis in die tiefe Nacht hinein.“
„Ach, stimmt ja gar nicht!“ protestierte Julchen.
„Ganz ohne Scheiß, wir schlafen!“ versprach auch Tobias.
„Nix da!“ Christian machte eine auffordernde Bewegung zu Margrit, dass sie den Kater wieder in die Pappkiste packen sollte, doch er kannte Munk nicht! Wenn der nicht wollte, ließ er sich nicht so leicht erhaschen. Nö, wirklich, so `ne blöde Kiste war echt eine Zumutung für einen Kater wie ihn!
„Beeilt euch!“ jammerte Chan-Jao ungeduldig, als er sah, welche Mühe Margrit und die Kinder hatten.
„Könnte ich euch vielleicht helfen?“ schlug er schließlich vor.
„Könntest du ... aber das lässt DER nicht zu!“ erklärte Margrit schnaufend.
„Boah hab` ich einen Durst!“ ächzte Julchen. “Pause bitte!“ Das war nach dieser Hetzjagd sehr verständlich.
„Uuups, ich auch!“ stellte Tobias ebenfalls fest. “Warum ist Munk immer so Scheiße drauf, wenn man ihn fangen will?“
„Hier ist Wasser!“ Julchen war schon zu der Kanne gelaufen, die auf dem Boden neben den beiden Strohsäcken stand, auf denen sie schlafen durfte. Es gluckerte richtig, so gierig trank Julchen das kühle Nass.
Als Julchen fertig war, riss ihr Tobias die Kanne förmlich aus der Hand. „Puh, schwitz` ich!“ ächzte er und schon kippte auch er das Wasser in sich hinein.
„Bäh!“ sagte Julchen und streckte die Zunge dabei weit hinaus. „Is ja plötzlich so ganz doll komisch im Mund!“
„Boaaah! Scheiße, bei mir auch!“ Tobias ließ ebenfalls die Zunge hinaus baumeln.
„Oh nein, Kinder!“ kreischten Margrit und Chan-Jao überrascht und auch Christian machte große, entsetzte Augen.
„Was is denn los?“ fragte Julchen, als sie die erschrockenen Gesichter sah, die sie plötzlich mit solch sonderbaren Blicken anstarrten.
„Streckt noch einmal die Zungen `raus und schaut euch die an! He, merkt ihr das denn nicht?“ keuchte Christian als erster voller Ekel und Entsetzen.
Ein wenig beklommen folgten sie seinem Ratschlag. „Iiih ... igitt!“ quiekte Julchen und wurde käseweiß im Gesicht, kaum dass sie die dicken, rotumrandeten, eiterigen Blasen auf Tobias Zunge entdeckt hatte.
„Ouuuh?“ Tobias ließ die hochentzündete Zunge sofort wieder in seinem Mund verschwinden. Er keuchte leise, außerdem war ihm plötzlich tierisch heiß. Sein ganzer Körper schien zu kochen und er fasste sich gegen die schweißnasse Stirn. “Aber du ... Jule ... du hast dort die ... die gleichen komischen Blasen!“ ächzte er.
„Echt jetzt?“ Auch Julchen quälte plötzlich ein entsetzlicher Schüttelfrost, kleine Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Zitternd fühlte sie ihre Zunge mit dem Finger ab - oh Gott, tatsächlich, da waren plötzlich überall pralle, dicke Blasen und die ganze Zunge tat entsetzlich weh.
„Ganz ruhig bleiben!“ ächzte Margrit verzweifelt. „Legt euch die Decken um die Schultern, damit ihr nicht so zittern müsst ... oh, ooh, meine armen Kleinen! “ Sie brach ab, denn aus dem Augenwinkel hatte sie Munks dickes Hinterteil mitten im Beutel gesehen. Sofort ergriff sie sich den Beutel, hob ihn einfach mitsamt Kater hoch. Munk fauchte da drinnen empört. “Chan, wir müssen sofort einen Arzt für die Kinder rufen!“ keuchte sie.
„Einen Arzt?“ echote der. „Das würde ich dir nicht raten! Weißt ja, wie die Gesetze der Untergrundorganisationen sind, wenn ...“ Er sprach lieber nicht weiter, denn sie Kinder waren ohnehin verzweifelt genug.
„He ... he ... eh?“ ächzte Tobias, dem vorhin beim Trinken auch etwas Wasser über die Finger gelaufen war.
“An den Händen habe ich die .. diese komischen ... komischen Eiterdinger plötzlich auch!“
Margrit schüttelte den nervigen Kater nun einfach aus dem Beutel. „An deiner Nasenspitze ... also ... hm ... da sprießen inzwischen ebenfalls welche ... aber nicht ganz so viele!“ fügte sie noch rasch zum Trost hinzu.
„Na, du musst ihn doch nicht auch noch darauf aufmerksam machen, wo sie überall wachsen Margrit!“ schimpfte Chan-Jao.
„Aber ... von wo kommen denn so urplötzlich diese fürchterlichen Eiterherde her?“ schnaufte Margrit jetzt mit hochrotem Kopf und schob dabei den Kater, der so tat, als habe er sich durch den Sturz aus dem Beutel schwer verletzt, einfach mit dem Fuß beiseite.
„Guck mich nicht so fragend an!“ knurrte Chan-Jao. „Woher soll ausgerechnet ich das wissen. Wahrscheinlich haben sie irgendeine Seuche!“
„Eine Seuch ...?“ wiederholte Christian, brach ab und erbleichte. Der Spinnenwachmann war nicht nur völlig mit den Nerven fertig, er wollte auch sofort davon flitzen, doch Margrit hielt ihn beim Ärmel fest.
„Nein, du bleibst!“ fauchte sie. „Ich will nämlich von dir wissen, was jetzt als nächstes passiert!“ Denn sie hatte sich an Chan-Jaos Bemerkung erinnert.
„Was soll schon passieren?“ mokierte sich Christian mit gefalteter Stirn. „Und vor allem als nächstes?“ Er versuchte dabei, seinen Ärmel aus Margrits festem Griff zu entwinden.
“Du weißt sehr wohl, was ich damit meine“, knurrte Margrit einfach weiter, “ich meine damit, werden jetzt die Kinder ... äh ... werden sie ...?“ Sie ließ die Henkel vom Beutel bis zum Ellenbogen hoch rutschen und strich sich dann selber mit dem Finger quer über den Hals.
Chan-Jao nickte dazu beklommen.
„Ach DAS meint ihr damit!“ ächzte Christian verdutzt und schaute dabei von einem zum anderen.
„Tu nicht so! Es wäre nicht das erste Mal, dass ihr Menschen, die von einer Seuche befallen sind, einfach ... ab ... na, murkst!“
„Abmurkst?“ echote er. „Komischer Ausdruck dafür. Nein, die Kinder müssen nur von hier weg und zwar schnellstens. Verdammt, eine Seuche ... eine neue rätselhafte Seuche!“ stammelte er flatternd am ganzen Körper. „Scheiße, Scheiße, Scheiße ...“
„Scheiße sagt man nich. Auch wenn man Schiss hat!“ erklärte ihm Tobias und zog dabei den Schnodder in der Nase hoch.
„Tobias!“ gemahnte ihn Margrit und Chan-Jao reichte ihm ein Taschentuch.
„Ja, aber ... was soll ich denn jetzt machen?“ Christian schaute sich nach allen Seiten um. „Mike ist doch längst fort! Und nicht nur der .. einfach alle!“ stöhnte er hilflos weiter. „Ach, ihr verschwindet jetzt von hier! Habt ihr verstanden!“ brüllte der Spinnenwachmann die Kleinen einfach an.
Diese nickten ein wenig verwirrt mit großen Augen dazu.
„Ganz ruhig bleiben“, wisperte Margrit abermals, „gaanz ruhig! Wir packen erst mal unsere Sachen ...“
„Okay!“ ächzte der Wachmann. Ach, ihm war jetzt alles egal, Hauptsache er kam ohne Streit von hier weg, denn verärgern wollte er sich mit den Maden nicht, zumal er wusste, dass Margrit eine ziemliche Tratschtante sein konnte.
„Und erst dann ...“, Margrit machte jetzt sogar eine kleine, boshafte Pause und der Wachmann schwitzte deshalb noch mehr, „... gehen wir!“
„Ja, bitte geht!“ quietschte Christian. Komisch er hatte plötzlich einen völlig trockenen Hals!
Margrit war deswegen so gelassen, weil ihr inzwischen der Grund für die entsetzlichen Eiterblasen und das plötzliche Fieber der Kinder eingefallen war. Oh, wie listig von Oworlotep. Er war wirklich ein schlaues Kerlchen! Wie mochte es wohl inzwischen Mike ergehen, he, he? Oder hatte der womöglich weniger als die Kinder von diesem Extrakt zu sich genommen und daher noch keinen solchen Durst?
„Die Kinder müssen von hier weg!“ Christian hatte endlich seinen Ärmel aus Margrits Fingern entwunden und daher versuchte er, das ganze etwas sachlicher zu klären:. „Sie sind krank ... sterbenskraaaank!“ Überfiel ihn leider schon wieder heftige Panik.
„Ohne Sch ...? Äh, ich meine ... sind wir jetzt echt ... äh ... sterbenskrank?“ krächzte Tobias erschrocken und Julchen verzog dabei gleich den Mund um laut loszuweinen. Sie hatten inzwischen auch noch knallrote Gesichter und zitterten noch wilder vor sich hin.
„Tobias, frag nicht so viel dummes Zeug!“ rief Margrit übernervös, denn ein bisschen Angst um die Kleinen hatte sie schon und dann versicherte sie Christian: “Keine Sorge wir nehmen die Kinder sofort mit!“ Sie hatte große Mühe, nicht in lauten Jubel auszubrechen, als sie mit scharfer Stimme anordnete: „Los Tobias, Julchen, steht nicht so rum! Packt endlich eure Sachen!“
„B .. bist du verrückt?“ krächzte Chan-Jao deshalb erschrocken. „Siehst doch, wie die Kinder aussehen! Diese entsetzliche Krankheit ist für die Maden bestimmt genauso ansteckend wie für die Spinnen!“
„Da hat er Recht!“ Christian tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. „Soll ich nicht doch lieber jemand herschicken, der diese Kinder einfach ... ab ... also so ein bisschen ... murkst?“
„Nein!“ fauchte Margrit. “Du Mörder!“
„Huhuuuh, wir wollen nich gemurkst sein!“ schluchzten Julchen und Tobias plötzlich los.
Munk schaute verdrießlich von einem zum anderen, Was war nur plötzlich los?
„Margrit, du bist verrückt ... du bist ja so verrückt!“ jammerte Chan-Jao fast ebenso laut.
Da setzte sich Munk hin und fing ebenfalls an laut zu maunzen.
Der Wachposten nahm jetzt einfach Reißaus.
Daher konnte Margrit laut sagen. „Es ist nichts Schlimmes Julchen, Tobias ... und auch nicht ansteckend, Chan und du bist endlich ruhig Munk!“
Sofort herrschte völlige Stille.
„Ja, das sagst DU!“ bemängelte Chan trotzdem, wenngleich in einer etwas leiseren Tonlage. „Aber bist du denn Arzt?“
Auch Margrit fragte sich, ob sie nicht inzwischen zu großes Vertrauen zu Oworlotep bekommen hatte.
Die wenigen Habseligkeiten hatten sich die Kinder schnell unter den Arm geklemmt und dann waren sie auch schon aus den düsteren Tunnelgewölben hinaus. Munk folgte ihnen wie ein Hund.
Oben im Tageslicht atmeten alle vier erst einmal tief durch. Ach, war die Abendsonne herrlich!
Nur Chan-Jao konnte dem allen nichts Herrliches abgewinnen. Was war, wenn er sich schon längst angesteckt hatte? Immer wieder überprüfte er deshalb mit dem Finger, ob schon Blasen auf seiner Zunge sprossen.
Schließlich quälte die Angst, Oworlotep könne Margrit angelogen und in Wahrheit den Tod ihrer Kinder geplant haben, Margrit doch sehr, denn allzu tief saßen noch schrecklichste Erinnerungen in ihrer Seele, welche sie in den vielen Jahren seit der Besetzung der Erde hören und auch selber erleben hatte müssen.
Aber immer, sobald sie nur auf ihre Kinder blickte, wie die – inzwischen schon wieder eifrig miteinander schnatternd und herumalbernd – hinter ihr im Jambuto saßen, mit Munk auf dem Schoß, der laut und selig vor sich hin schnurrte, war Margrit doch froh, die Kleinen so schnell und leicht zurück bekommen zu haben. Alles andere, das hoffte sie inständig, würde sich doch noch irgendwie regeln lassen.
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„Nein, Margrit“, sagte Chan-Jao wenig später, „auch wenn wir beide bereits infiziert sein sollten, so krank kannst du die Kinder nicht bei uns Maden unterbringen. Ich muss zumindest Martin zuvor Bescheid geben.“
„Na, der wird sicherlich nicht zustimmen. Sollen die Kinder dann draußen erfrieren?“
„Das werden sie nicht. Kommen sie halt auch erst mal unter Quarantäne ... sofern sie bis dahin noch leben sollten!“ fügte er zähneknirschend hinzu.
„Die werden bis dahin leben, denn sieh mal, sie können schon wieder lachen! Aber ich denke, mein ehemaliges Quartier ist längst wieder als Lagerraum genutzt worden?“
„Ja, und? Uns wird schon etwas einfallen!“
„Nein, ich will nicht karantel sein!“ schluchzte Julchen plötzlich los, die gerade das mitbekommen hatte. “Denn das tut bestümmt ganz doll weh!“
„Schlappschwanz, bääh!“ konterte Tobias und streckte dabei zu Julchen gewand die Zunge hinaus. “Ich hab keine Angst, siehste!“
„Selber Schnappschwanz ... und auch bäääh!“ Julchen streckte ihre kleine Zunge noch weiter raus als Tobias und Munk tat es den Kindern nach, indem er nach allen Seiten fauchte.
„Nanu?“ riefen Chan-Jao und Margit fast wie aus einem Munde.
„Wie ... wie fühlt ihr euch?“ fragte Margrit etwas zögerlich.
„Sehr gut!“ piepste Julchen und Munk hörte auf zu fauchen, denn er hatte jetzt keine Lust mehr!
„Ich fühl mich auch gut, ganz ohne Sch ...!“ bestätigte ebenso Tobias. „He, warum fragt ihr?“
Erleichtert fielen Margrit und ganz besonders Chan-Jao in ihre Sitze zurück - Munk nicht, der blieb mit verdrießlicher Miene aufrecht sitzen.
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Nach einem Weilchen holte Margrit sehr zu Munks Enttäuschung einfach den Beutel vom Rücksitz,
zu dem er gerade hatte klettern wollen und schon hielt sie die Tube in ihrer Hand. Tobias war nun doch so ein bisschen stolz, Margrit zeigen zu können, wie man die komische Pasta daraus hervorpressen konnte.
“Gott, riecht die guuuut“, ächzte Margrit wenig später. Sie war davon wie berauscht und spritzte sich sogar etwas davon auf den Zeigefinger.
„Ein geradezu teuflisches Zeug!“ stöhnte auch Chan-Jao, weil der Duft bis zu ihm hin gedrungen war. „Was die Hajeps aber auch alles erfinden. Verschließt das Ding nur ja wieder schnell! Sonst mache ich hier noch einen Unfall!“
Margrit war, nachdem sie gehorcht hatte, trotzdem noch ganz schwummerig. „Wie unheimlich!“ ächzte sie und wischte das gelbliche Zeug - wenn auch irgendwie ungern - mit dem Taschentuch von ihrem Finger. „Das ist also der Rausch, den mir Oworlotep damals hatte andeuten wollen. Ich denke, dieses Mittel dient wieder mal der Kriegsführung. Der Feind wird durch diesen unwiderstehlichen Duft verlockt, sich dieser Paste zu bedienen, ob er nun Appetit darauf hat oder nicht und wenig später gerät er in Panik, weil er meint, auf das Schlimmste erkrankt zu sein.“
„Könnte sein“, meinte Chan-Jao und fuhr dabei den Jambo auf die große, breite Hauptstraße. “Und du meinst, deine Kinder haben vorhin davon genascht und nur deswegen diese komischen Eiterblasen bekommen?“
„Das meine ich nicht nur - Munk hör endlich mit dem Geschmuse auf, kriegst ja doch nichts davon ab! - das war es ganz bestimmt!“
„Und warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Ich hätte mich dann bestimmt viel weniger aufgeregt!“ Chan-Jaos Stimme klang richtig vorwurfsvoll.
„Hat eben einen Weilchen gedauert, bis es bei mir ´Klick´ gemacht hat“, entschuldigte sich Margrit. “Hab halt auch nur Nerv ... nein, Munk, die Tube bleibt zu! He, ich denke mir mal, dass die Hajeps sogar völlig verschiedene Mittelchen parat haben werden! Das hier hat wohl die geringsten Nebenwirkungen und ist daher auch für Kinder geeignet“
„Hmm, meinst du wirklich, dass Hajeps so ´ne Sachen bei sich haben, die jeweils andere Krankheitssymptome aufzeigen?“
„Ein paar schon, könnte ich mir so denken!“ sinnierte Margrit weiter. „Wenn Hajeps gefangen genommen worden sind, weil man sie vielleicht später verhören will, bekommt man Angst, sich bei ihnen anzustecken, wenn sie zuvor heimlich irgendeines dieser Mittel genommen haben.“
„Was ist verhören, Mamms?“
„Manchmal so etwas wie Folter!“ brummte Chan-Jao, fuhr den Jambuto in eine Kurve und alle mussten sich festhalten.
„Und was ist Folter?“
„Ach, Tobias, frag nicht so viel!“ erwiderte Margrit traurig. „In welcher Richtung liegt doch gleich Zarakuma, Chan?“
„Du fragst ja auch!“ empörte sich Tobias.
„Dort im Süden!“ Chan-Jao wies dabei nach hinten.
Margrit wendete sich um, schaute in diese Richtung, küsste sich schließlich in die Handfläche und dann pustete sie darüber nach dort wo Zarakuma lag. “Danke dir Owi! “ flüsterte sie dabei und lächelte.
„Wer ist denn Owi?“ fragte Julchen neugierig .
„Jule, man fragt nicht!“ gemahnte Tobias seine kleine Schwester..
Und so hörten die Kinder schweigend zu, wie Margrit weitersprach. „Sicher hast du dir das mit mir und den Kindern anders gedacht, nicht wahr?“ Margrit gluckste in sich hinein. “Aber ich danke dir trotzdem für all das Gute, was du uns geschenkt hast!“ Und schon wehte der nächste Kuss von Margrits Hand nach Zarakuma. „Ich wünsche dir, dass du so schnell wie möglich wieder gesund wirst und dass du ...“
„Du bist leichtsinnig, Margrit!“ schimpfte jetzt Chan-Jao.
„Leichtsinnig?“ ächzte sie erschrocken.
„Ja, denn wie kann man einem Hajep wünschen, dass er wieder gesund wird!“ Aber dann lachte er plötzlich los und alle anderen freuten sich mit ihm - bis auf Munk, denn Margrit hatte die Tasche mit der leckeren Tube nicht nur einfach auf ihrem Schoß behalten, sie hielt sie auch noch oben zu.
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„Hm, Margrit, das ist wirklich ganz großartig, dass sie Wort halten!“ Günther Arendt betrachtete kurz danach sehr glücklich die komische Tube in seiner Hand. Er hatte sich extra wegen Margrit zu den Spinnen begeben.
Margrit krauste die Stirn. Sollte sie ihn warnen? Günther Arendt einfach auf die komischen Folgen dieses Sprays aufmerksam machen? Aber dann würde er ihr ganz gewiss nicht mehr erlauben, die Kinder bei den Maden einzuquartieren. Wie also konnte sie ihm das mit den fürchterlichen Entzündungen am besten klar machen ohne dabei der Verlierer zu sein?
„Also das mit diesem Spray ... hm ... hm .... die Sache hat einen kleinen Haken“, begann sie daher etwas zögerlich.
„Wo?“ Er begutachtete die Tube nochmals gründlich. „Ich sehe daran gar keinen? Nur so ein reißverschlussähnliches Gebilde an der einen Seite!“
Margrit lachte. “Nein, dergleichen meinte ich damit nicht!“ Doch insgeheim plagten sie Gewissensbisse. Eigentlich war das reichlich verantwortungslos, was sie da vorhatte. Denn wer wusste schon, wie sich das Mittel bei anderen Personen auswirkte. „Ach“, sagte sie daher matt, „geben Sie mir die Tube doch lieber zurück“, Margrit streckte die Hand danach aus, „denn ich habe es mir inzwischen anders überlegt!“
Er blickte kurz in ihre geöffnete Handfläche und dann in dieses jugendfrische Gesicht und meinte zu erahnen, weshalb sie sich das noch mal überlegt hatte. Sicher wollte sie damit später immer wieder aufs Neue ihre Zellen auffrischen.
„Nein, nein, meine liebe Margrit.“ Schnell versteckte er die Tube hinter seinem Rücken. „Sie brauchen mir nicht viel zu erklären.“ Er schüttelte begütigend seinen Kopf. „Ich behalte das Zeugs, okay? Und sie dürfen die Kinder bei uns einquartieren! Habe das hiermit hoch und heilig versprochen!“
Offensichtlich hatte Martin Günther Arendt noch nicht informieren können oder Chan-Jao hatte Martin noch gar nicht erreicht oder aber Chan-Jao hatte einfach gar nichts mehr davon weiter verraten.
„Danke!“ sagte Margrit nun doch zutiefst erleichtert.
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Als Günther Arendt meinte, sich endlich alleine zu wissen, holte er das Spray hervor. Welches waren wohl die verfaltetsten Stellen in seinem Gesicht? Schon hatte er Stirn und Augen damit besprayt. Komisch, roch irgendwie lecker das Zeugs! Er konnte nicht umhin, sich auch noch seine wenigen Zähne damit einzusprayen.
Nachdem er wie immer vor dem Schlafengehen geduscht und ein schönes Glas Wein genossen hatte, starrte er jedoch erschrocken in den Spiegel. Oh nein, auf seiner Stirn sprossen lauter dicke, eitrige Blasen und aus den Augen konnte er kaum noch gucken, weil die ebenfalls von gelben, entzündeten Quaddeln umgeben waren. Selbst auf der Nase wuchsen dicke, kleine Bläschen. Er öffnete den Mund – oh, Gott! Die Zähne waren dicht von Eiterherden umgeben, der ganze Gaumen brannte schmerzhaft. Puh, war ihm plötzlich heiß! Zudem quälte ihn ein heftiger Schüttelfrost.
Sofort rief er seinen besten Freund an. Mike meldete sich und schien ebenfalls ziemlich aufgeregt zu sein. Auch er war nach seinem Disput mit den Bauern gerade nach Hause gekommen und hatte seinen brennenden Durst gelöscht. Beide konnten gar nicht abwarten, ihr Problem zu schildern, denn auch Mike hatte gerade einen Spiegel vor Augen und betrachtete die grässlichen Folgen seiner Naschsucht.
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„Nein“, brüllte wenig später Günther Arendt durchs Telefon Margrit an. „Die Kinder kommen mir nicht zu den Maden hinunter. Zu keiner Organisation mehr- sollen sie sonst wo bleiben!“
Er hatte Margrit gar nicht zu Wort kommen lassen und so hatte sie ihm gar nicht mehr erklären können, dass diese sonderbaren Erscheinungen sich schon sehr bald wieder legen würden
„Wortbrecher!“ empörte sich Renate, nachdem ihr Margrit alles geschildert hatte. „Aber weißt du was? Günther Arendt kommt hier so selten vorbei, da würde ich dann immer mit den Kindern verschwinden und erst wieder zurückkommen, wenn er fort ist. Weißt du, wir alle halten hier zusammen, und ich würde mir die Augen ausweinen, wenn ich meine kleine Tochter nicht mehr bei mir haben dürfte. Ich kann dich ja so verstehen! Es muss grässlich gewesen sein, was du schon so lange hast aushalten müssen! He, er wird kein Sterbenswörtchen von uns über deine Kinder erfahren. Martin und Chan-Jao werden Rita ich schon noch überreden können. Wäre ja noch gelachter, ha! Nur bei Eberhardt müssen wir ein bisschen aufpassen – nicht nur weil der die größten Stücke von Günther hält, auch weil der immer so geschwätzig ist.“
Renate und Rita waren wirklich treue Freundinnen, noch am selben Abend zogen die Kinder bei den Maden ein. Alles schaute belustigt zu, wie die halb verhungerten Kleinen das Brot in sich hineinstopften, das Paul noch schnell gemeinsam mit Karlchen aus den Speisekammern zusammen getragen hatte. Immer wieder drückten sie dabei ganz doll ihre Mama, und schließlich schliefen sie frisch gewaschen und in sauberer Kleidung – in der Mitte lag natürlich Munk - auf einer großen Matratze glücklich ein.
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Nur Margrit blieb noch lange wach. Immer wieder musste sie über all das nachdenken, was ihr seit dieser sonderbaren Begegnung mit Oworlotep widerfahren war. Was für eine Position mochte wohl Oworlotep bei seinem Volk haben? War er sehr mächtig? Wenn nicht, weshalb war dann Margrit mit solch einem riesigen Aufgebot für so lange Zeit verfolgt worden? Warum eigentlich hatte ihr Oworlotep soviel Gutes zukommen lassen, wo er doch die Menschen verachtete? Und dann diese schreckliche Entführung von Erkan und Gesine. Das passte so gar nicht zu all dem Guten, was Oworlotep getan hatte. Oh Gott, diese beiden armen Menschen! Was die wohl alles inzwischen in Zarakuma durchmachen mussten? Sie hatte schon oft mit Paul und noch häufiger mit George darüber geredet. Ach, je länger sie über die Hajeps nachdenken musste, um so unklarer wurde sie sich doch über die und das machte sie gar nicht glücklich.
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Da Rita, die noch einige Naturrezepte aus ihrer Familie kannte, immer wieder mit Georges verletzter Hand und auch mit dessen Bein ein Seifenbad machte, heilte beides immer besser ab. So konnte er zwar noch nicht richtig schießen, aber schon ohne Stock laufen. Deshalb war es nicht verwunderlich, das man ihn bald auch wieder für einige Arbeiten einsetzte. Dazu gehörte, gemeinsam mit Martin, Renate und Chan-Jao die Bauern zu beschwichtigen, wenn die sich wieder einmal von den Untergrundkämpfern übervorteilt fühlten. George war ein wahres Talent der eleganten Kommunikation, denn bei niemanden beruhigten sich die erhitzen Gemüter so schnell wie bei ihm.
Aus diesem Grunde hatte er heute auch wieder mitfahren müssen, denn die Lieferung, welche sie Bauer Segebrecht versprochen hatten, war diesmal leider viel zu spärlich ausgefallen. Da die Bauern es sich wegen dem knappen Diesel nicht mehr leisten konnten Fahrzeuge zu besitzen, selbst für Bestellung der Felder nutzten sie jetzt nur Pferde, machten sich die Untergrundkämpfer mit ihren Jambutos für sie nützlich. Sie belieferten die Bauern mit speziellen Gütern, die sie von überall her holten im Austausch für deren Ernten.
George hatte sich deshalb schon während der ganzen Fahrt, einige beruhigende Worte für den Bauern zurecht gelegt, doch wie staunte er, als der Bauer mit seinen Knechten, die ebenfalls bewaffnet waren, wenn auch einige nur mit Knüppeln und Mistgabeln, zornesrot bereits am Tor dem Jambuto entgegen eilte.
„Los, wir machen kehrt!“ rief Chan-Jao erschrocken. “Jemand muss ihm verraten haben, dass wir viel zu wenig von dem Zeugs im Wagen haben.“
Er hatte nicht Unrecht, manchmal war es wirklich das Beste, gleich wieder zu verschwinden. Hatte man nicht oft genug von schlimmsten Gräueltaten aufgebrachter Bauern an vereinzelten Untergrundkämpfern gehört? Guerillas waren derzeit nicht gerade sehr beliebt. Außerdem waren sie viel weniger Leute. Der Bauer hatte wohl einige Männer eigens für diesen Kampf aus den naheliegenden Dörfern herbeigeholt. George wusste nur zu gut: Unrecht hatte der Bauer nicht, denn fast die ganze Kohlrübenernte hatte er bereits an die Maden an die Maden abgetreten. Sie hatten viel zu wenige Güter von Pommi erhandeln können. Doch als Martin nach rückwärts ausweichen wollte, sah er, dass dort bereits noch weitere Leute standen. George kurbelte die Scheibe hinab und mühte sich, einen möglichst arglosen Gesichtsausdruck der aufgebrachten Meute zu zeigen.
„Was ist los?“ fragte er freundlich und schaute sich dabei nach allen Seiten um.
Mit langsamen Schritten näherte sich Hannes Segebrecht dem Jambuto. Unter dem Fenster blieb er mit blitzenden Augen stehen, das Gewehr in den Fäusten haltend. „Hier in der Nähe, dicht bei Reichenberg, sind räuberi¬sche Horden unterwegs. Seit uns die Hajeps in Frieden lassen, machen uns komischerweise Menschen das Leben schwer. Und ihr ...“, er holte tief Atem, ehe er weiter sprach, „... seid auch nicht viel anders als die ... ihr raubt uns aus ... ihr ...“
Er brach ab, denn aufgeregt Rufe wurden plötzlich von allen Seiten laut, übertönten ihn völlig. Viele blickten sich dabei nach hinten um. Martin zückte sein Fernrohr und schaute ebenfalls auf das, was sich in der Ferne zeigte. In einer großen Staubwolke preschten mehrere Jambutos über die Hügel.
„Allewetter“, stammelte Martin, „wenn man den Teufel nennt, kommt er gere ...!“ Er brach ab. „Schnell in die Häuser, wir müssen uns verbarrikadieren und Hilfe holen, denn die lassen bestimmt keinen am Leben.
„Oh Gott, sind das viele ... viel zu viele!“ kreischte eine Frau aus der Menge und schwenkte dabei hilflos ihre Mistgabel.
Wenig später kauerten ängstlich Untergrundkämpfer und Bauern Seite an Seite im großen Wohnhaus. „Ich will nichts gegen euch gesagt haben“, stammelte der Bauer immer wieder, als er etwa zehn Jambutos durch die Einfahrt donnern sah, und er schaute dabei dankbar auf die gute Bewaffnung von George, Martin und Chan-Jao. Ja, selbst Renate war besser bewaffnet als manch ein Knecht von ihm.
Schon ging die wilde Schießerei los. Einige der Knechte wurden dabei verletzt und Wolfgang, der leichtsinnig die Deckung verlassen hatte, starb im Kugelhagel. Die Situation wurde immer prekärer, als plötzlich neues Motorengeräusch ertönte. Zum Glück waren es keine weiteren Räuber sondern Mike mit seinen Spinnen, die sich gerade in allernächster Nähe befunden und den Notruf gehört hatten. Zwar kamen sie nur mit fünf Jambutos, aber sie verteilten sich so geschickt, dass sie die Räuber von zwei Seiten in die Zange nehmen konnten. Die erkannten, dass sie hier nichts mehr holen konnten.
„Ha“, brüllte Akim, der Anführer der ´roten Schlange´ beim Rückzug, „wir gehen zwar, aber die Loteken werden kommen!“
Noch als sie heimfuhren diskutierten George, Martin, Mike und alle anderen über diesen letzten Satz, denn dass Loteken in die Gebiete der Hajeps eindringen wollten, machte ihnen irgendwie Sorgen.
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„Jedenfalls war unser Rübenbauer plötzlich ganz zahm und dankbar dafür, dass wir ihm überhaupt etwas mitgebracht hatten“, beendete Chan-Jao den Bericht.
Auch Renate musste lachen. „Ja, so kann`s einem gehen!“
„Trotzdem muss das alles für euch ziemlich entsetzlich gewesen sein!“ entfuhr es Rita mit hochrotem Kopf. Sie war richtig heftig bei Georges, Chan-Jaos und Martins Berichterstattungen mitgegangen. Ja, die ganze Geschichte hatte sie dermaßen aufgeregt, dass sie sogar ins Schwitzen gekommen war. “He, manchmal scheint der wilde Mike aber doch zu etwas nütze zu sein!“ fügte sie noch schnell hinzu.
„Das will ich meinen!“ erklärte Martin breit grinsend und alle, die hier um die Tische herum saßen lachten lauthals auf. Und wieder war im großen unterirdischen Speisesaal ein mächtiger Lärm entstanden, denn fast jeder hatte nun über Mike irgendetwas zu berichten, kannte seine Marotten, aber auch dessen großen kämpferischen Qualitäten. Wegen diesen hatte Günther auch Mike als Oberhaupt der Spinnen vorgeschlagen.
Margrit behagte es nicht so sehr, dass hier plötzlich von allen Seiten Mikes großartiges Durchsetzungsvermögen, seine wilde Entschlossenheit und sogar seine Rigorosität lobend hervorgehoben wurden. Allzu sehr hatte sie noch jenes Erlebnis in Erinnerung, als sie ihm vor der unterirdischen Behausungen begegnet war – und zwar ganz alleine. Er hatte sie, als sie mit einem knappen Gruß an ihm vorbei wollte, mit einem Male an ihrem inzwischen schulterlangem Haar gepackt und ihr zugezischelt: „Endlich erwisch ich dich, du kleine Hexe! Hast ja ganz schönen Schabernack mit Günther und mir gemacht! He, he, ich möchte nicht Mäuslein sein, ob du inzwi¬schen trotzdem deine garstigen Rangen bei den Maden angesiedelt hast! Na, komm schon, verrat es dem lieben guten Mike.“ Und er hatte sie dabei an den Haaren nach hinten gezerrt. „Du Glucke, du hast sie da unten in den Tunneln versteckt, nicht wahr?“ Dabei hatte er ihren Kopf hin und her gerissen.
Vergeblich hatte sie ihm beteuert, dass die Kleinen bei ihrer Mutter wären und dass er endlich aufhören solle ihr weh zu tun.
„Ach, das ist ja alles gar nicht wahr!“ hatte er nur hämisch grinsend geantwortet „Margrit, tzizziss ... du lügst viel zu schlecht! He, du kannst ja jetzt um Hilfe rufen! “ Und dann hatte er sie wieder so kräftig an ihren Haaren gezogen, dass sie vor Schmerzen vor ihm in die Knie gegangen war. „Aber du hast ja Angst ... Angst“, hatte er ihr trotzdem weiter zugezischelt, „Angst, dass du dich dann verplappern würdest, dass dann jeder erfahren könnte von unserem etwas heiklen Gesprächsthema, nicht wahr?“
Leise stöhnend hatte sie sich wieder aufgerichtet und ihn gefragt, was er eigentlich von ihr wolle!
„Gar nichts!“ hatte er nur mit kleinen, schmalen Augen erwidert. „Wollte dir nur mitteilen, dass du mich meiner Arbeitskräfte beraubt hast, denn jeder braucht heutzutage Kohle und deine Rotznasen waren hübsch klein, gerade groß genug für unsere schmalen Stollen. Außerdem haben wir jetzt niemanden, der durch diesen neuen Tunnel bis nach Zarakuma vordringen könnte. Kurz, du hast es gewagt, mir mit einem fiesen Trick die Arbeit von Wochen zunichte zu machen! Sobald ich beweisen kann, dass die Kinder hier sind, dann hole ich mir persönlich deine Gören und nicht nur die ...“, er griff dabei mit spitzen Fingern nach Margrits Kinn, „... auch dich!“ knurrte er lustvoll und wollte ihr dreist einen Kuss auf den Mund drücken. Da gab ihm Margrit in ihrer Ver¬zweiflung eine solch kräftige Ohrfeige, dass er vor Schreck auch ihre Haare losließ. Schnell sprang sie ihm davon. “Das wirst du mir büßen, wenn ich dich geholt habe!“ hatte er ihr hinterher gebrüllt. Von diesem schrecklichen Erlebnis hatte Margrit niemandem erzählt, aber es war ihr tief in Erinnerung geblieben.
Immer noch brodelte es im ganzen Saal unruhig und die Anekdoten über Mike und seine eigenartige Schar wollten nicht abreißen. Vieles wurde dabei schöngeredet, wie Margrit fand, und sie war daher ziemlich enttäuscht über den plötzlichen Meinungswandel der Maden.
Selbst Julchen, die nur einige Wortfetzen mitgekriegt und wohl auch verstanden hatte, schob schließlich den kaum leer gelöffelten Teller von sich fort und Tobias hatte den seinigen mit der Hühnersuppe bereits nach unten auf den Fußboden gestellt, somit an Munk weiter gereicht, der dort schon auf Häppchen gewartet hatte und sich auch heißhungrig über die Suppe her machte.
„Ist dir nicht gut, Margrit?“ fragte George, der diesmal an Margrits Seite saß und bemerkt hatte, dass sie immer langsamer ihre Suppe auslöffelte je länger sie zuhörte.
„Ich finde dieses Gesprächsthema nur schrecklich“, entgegnete sie. „Können wir nicht mal über etwas anderes sprechen?“
George grinste nun doch etwas genervt. „Du meine Güte, lass` sie doch jubeln! Haben doch sonst nichts zu lachen! Guck, selbst Renate kann sich darüber amüsieren! He, und Paul zu meiner linken der schüttet sich sogar vor Lachen aus.“
„Weder Paul noch Renate haben solche Dinge mit Mike erlebt wie ich, George!“
„Ja, ich weiß du hast IMMER das Allerschlimmste erlebt, Margrit!“ George schraubte genervt die Augen nach oben und seufzte. „Aber glaube mir mal, Renate hat auch schon so einiges durchgemacht, vielleicht nicht gerade mit Mike, aber leicht hatte DIE es ganz gewiss nicht und die reißt sich hier zusammen!“
Margrit schaute weg, sah lieber dem Kater beim Fressen zu. Ach, sie wusste eigentlich auch nicht so recht, was mit ihr los war. Lag es vielleicht daran, dass man noch immer nichts von ihrer Mutter gehört hatte? Konnte Muttsch tot sein? Sie schluckte und kämpfte mit den Tränen.
„Verdammt, Margrit, wir sind eine Gemeinschaft!“ George legte seine Hand auf Margrits zitterige Finger. „Und in solch einer Gemeinschaft darf jeder Mal von uns dran sein, gelobt zu werden, wenn er das wirklich verdient hat. Und Mike hat das nun mal heute verdient! Er hat wirklich hervorragend gekämpft!“
„Aber doch nicht nur ER, seine Leute schließlich auch!“ Margrit betupfte sich zornig die Lippen mit ihrem Taschentuch, denn Servietten waren Luxus. “Und die werden dabei kaum erwähnt!“
„Aber er hat für sie alle gedacht! Ich verdanke ihm mein Leben! He, dass das gut war, musst auch du zugeben, Margrit, selbst wenn du ihn nicht leiden kannst!“
„Und deshalb soll alles andere, was Mike bisher getan hat, plötzlich vergeben und vergessen sein? Nee, George nicht bei mir!“ Margrit war zornig aufgesprungen und schob nun ihren Stuhl zurück an den Tisch. “Kommt Kinder, wir gehen!“ befahl sie mit eisiger Stimme.
Julchen bückte sich sofort, hob den rülpsenden Munk hoch, klemmte sich diesen unter den Arm und der lies dies geduldig zu und dann folgte sie Tobias und Margrit.
George schlug verärgert die Arme übereinander und warf sich dabei in den Stuhl zurück.
„He, he, welche Laus ist denn plötzlich Margrit über die Leber gelaufen?“ fragte ihn Paul und wischte sich dabei die Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Man, Eberhardt hat mir vielleicht gerade wieder ein Ding über Mike erzählt ... also ... das kann man fast nicht glauben! He, wenn du willst erzählt er`s dir bestimmt noch mal ...“
„Ja, willst du`s hören, George?“ Eberhardts Augen zwinkerten nun ebenso heiter zu George hinüber.
„Ach, lasst nur gut sein!“ erwiderte George mit nachdenklich gefurchter Stirn. War er wirklich Margrit gegenüber zu streng gewesen? „Irgendwie hab` ich jetzt keine Lust mehr dazu!“
„Sag bloß, du lässt dir von dieser Zimtzicke diesen schönen Abend vermiesen. Nimm`s dir nicht so zu Herzen George!“ versuchte ihn Paul zu trösten. „Was Margrit auch immer zu dir gesagt haben sollte, zu mir ist sie manchmal auch so borstig.“
„Tja, man kriegt manchmal den Eindruck“, erklärte nun auch Eberhardt nachdenklich, „dass ihr die plötzliche Verjüngung zu Kopfe gestiegen ist!“
„Da hat er Recht!“ mischte sich nun auch Rita ein. „Margrit scheint sich wohl inzwischen als etwas Besseres zu fühlen!“
„Ach, das ist doch Unsinn!“ rief nun Renate aufgeregt dazwischen. „Sie ist nur etwas ernster geworden. Es scheint ihr inzwischen so einiges durch den Kopf zu gehen und ...“
„Also, du verteidigst sie aber auch immer“, rief Rita völlig fassungslos, „Bei dir kann sie einfach machen, was sie will!“ Rita schlug jetzt ärgerlich mit der Faust auf den Tisch. “Dabei ist Margrit ständig ein Außenseiter. Ich frage euch, kann sie sich nicht endlich mal anpassen?“
„Du lieber Himmel, was hat sie denn eben großartig Schlimmes gemacht, he?“ konterte Renate ebenso wütend. „Sie ist nur aufgestanden und gegangen ... ja, und? Darf sie das plötzlich nicht?“
„Ja und ... ja und!“ äffte sie Rita nach. „DU sitzt hier freundlich lächelnd mit deinem kleinen Kind auf dem Schoß mitten in diesem Lärm und die schnauzt ihre Kinder plötzlich an und geht!“
Renate öffnete gerade den Mund um wieder etwas zu entgegen, als Paul beschwichtigend mit beiden Händen herumwedelte. „Ich geh mal nach ihr Ausschau halten, bringe Margrit ganz einfach wieder hierher, okay?“ mühte er sich, die erhitzten Gemüter weiter zu beruhigen.
Und dann lief er auch schon durch den Saal, in dem es keineswegs leiser geworden war, Richtung Tür.
"Aber, wenn die Loteken hier plötzlich die Macht ergreifen, wird es dann eigentlich leichter für uns werden?“ hörte er noch Renate Eberhardt fragen.
„Renate, was hast du plötzlich gegen die Loteken? " fragte Eberhardt einfach zurück. „Wenn du dich über die Jisken aufregen würdest, das könnte ich ja noch verstehen, aber bei denen ...“
„Aber, wir wissen doch im Grunde fast gar nichts, weder über die eine noch über die andere Gruppe“, erklärte jetzt auch Rita besorgt.
„Och, ich glaube Chiunatra ist ganz in Ordnung!“ erklärte Bernd.
„Ich glaube auch, dass Loteken im Gegensatz zu den Hajeps ziemlich idealistisch denken“, knurrte Chan-Jao. „Sie wollen zurück zur Natur, habe ich mir sagen lassen. Ist das denn ein Verbrechen?“
„He, wenn Zarakuma eines Tages von Chiunatra erobert werden würde“, Eberhardt strahlte dabei über das ganze Gesicht, „hätten wir vielleicht sogar endlich Frieden!“
"Und woher kommt diese plötzliche Begeisterung für die Loteken?" murmelte George und nahm dabei noch eine Kelle Hühnerbrühe aus jenem Topf, der direkt vor ihm auf einem Brett stand. “Ich für meinen Teil habe immer wieder gehört, dass gerade Loteken die brutalsten und rücksichtslosesten Außerirdischen sind, die wir kennen.“
„Tja, mir sind allerdings auch einige Fälle bekannt, wo gerade Loteken sehr schlimm gewütet haben“, räumte Martin nachdenklich ein.
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„Ach, da bist du ja!“ brummte Paul erleichtert, als er Margrit endlich in der Küche entdeckt hatte.
„Ja, Paul, ich will mich hier ein bisschen nützlich machen!“ Sie schäumte gründlich den großen Suppentopf ein. “Quasi aus einem Schuldkomplex heraus mache ich das jetzt, denn ich habe vorhin zwei Brotscheiben für meine Kinder aus der Speisekammer geräubert, da Julchen und Tobias plötzlich doch wieder Hunger bekommen hatten.“ Sie lachte zynisch. „He, ausgerechnet ich war hier am Klauen! Hast du gehört? Wo ich doch immer dieje¬nige war, die den Kindern tagtäglich eingehämmert hatte, dass sie nur ja nicht ...“ Sie brach ab und wrang dabei den Lappen aus. „Na ja, so ändert man sich wohl!“
„Du hast Recht, schön ist das nicht gerade von dir, vor allem, weil Brot knapp ist! Aber ich habe das hiermit nicht gehört, okay?“
„Sie nickte und nahm sich die Bratpfanne vor.
„Und die Kinder lässt du nun deshalb hinten in den Gängen einfach alleine?“ fragte er mit einem vorwurfsvollen Unterton. „Ich denke, es war dir immer so wichtig, sie in deiner Nähe zu haben?“
„Ach, sie spielen nur gerade mit Munk ´Fang den Ball´ ... na ja, er macht manchmal ´beiß in den Ball´ daraus, aber da kann man nichts machen!“
„Das meinte ich nicht! Ich finde nur, dass du letzter Zeit ziemlich wenig auf sie aufpasst!“
„Ich kann ihnen nicht immer die Hand halten, Paul!“
„Sehr schön zynisch! Warum kannst du nicht auch mal nett sein, Margrit?“
„Bin ich das denn nicht?“ fragte Margrit nun ehrlich erstaunt.
Da kamen auch schon die anderen, jeder mit seinem Geschirr in die Küche. „Hallo, Margrit, bist du denn heute an der Reihe mit abwaschen?“ fragte Renate erstaunt und legte ihren Löffel und den Teller ins geräumige Waschbecken, wo beides zwischen kleinen Schaumkrönchen im Wasser versank. Babette, eine kraushaarige Mulattin, schaute besonders gelangweilt und nasepopelnd zu. Sie war heute eigentlich mit dem Abwasch dran, aber bitte, wenn Margrit wollte, ließ sie ihr gerne den Vortritt.
„Och, da ist nichts weiter, als dass sich unsere Margrit nur wieder in den Vordergrund spielen möchte!“ erklärte Rita und ließ gleichsam ihren Teller ins Abwaschwasser rutschen und stellte noch eine Tasse dazu.
„Och, das kann sie doch ruhig“, meinte Babette schief grinsend.
„Kommt überhaupt nicht in Frage!“ erklärte Martin, der gleich das gesamte Geschirr seiner Freunde in den Händen hielt. „Bitte Margrit, du bringst unseren Plan hier nicht durcheinander, weil ...“
„He, he, Leute … los!“ wurde er plötzlich von weit hinten unterbrochen.
Alles schaute sich verdutzt um.
„Kommt! Schnell!“ Chan-Jao steckte den hochroten Kopf zur Tür hinein. “Oh, ooooouh!“ ächzte er. „Gott ... Mann! Nun guckt doch alle nicht so deppert, kommt lieber!“ Chan-Jao schien ganz außer sich zu sein, oder was war hier plötzlich los? „Also, das müsst ihr mit eigenen Augen sehen!“ schnaufte er weiter völlig hirnrissig.
„Moment!“ knurrte Martin. „Atme erste einmal tief durch und dann sagst du uns in aller Ruhe, was eigentlich passiert ist, okay?“
„In aller Ruhe?“ ächzte Chan-Jao.
„Sehr, richtig!“ brummte auch Paul.
Chan-Jao riss sich also zusammen und sagte dann ganz langsam und superdeutlich: “Stellt euch vor, Erkan und Gesine sind gerade wiedergekommen!“
„Neiiiiin!“ kreischte alles laut auf.
„Doch, doch! Die beiden haben gestern beim Seppel – na, ihr wisst doch, das ist der Grott, unser neuer Kohlbauer- gepennt ... äh übernachtet, nachdem sie Diguindi dort abgesetzt hatte und Sepp Grott hat dann Adrian Bescheid gegeben, als der gerade Richtung Randersacker unterwegs gewesen ist und .....“
„Moment, Moment! Ein Diguindi hat also unsere Gesine und den Erkan ...?“ Martin beleckte sich vor Aufregung die Lippen. “Nein, das kann ich nicht richtig verstanden haben!“
Der letzte Satz Martins war allerdings bereits nicht mehr gehört worden. Unter lautem Jubel hatten sich die Guerillas an ihm vorbeigedrängt, allen voran George, und liefen nun Chan-Jao hinterher, der in einem fort lachte und dabei fassungslos den Kopf den schüttelte.
„He ... he-eh? Wo geht`s denn jetzt hin, Chan?“ rief ihm Martin darum hinterher. Doch er musste seine Frage bei diesem Lärm immerzu wiederholen. Schließlich gab er es auf, setzte sich ebenfalls in Bewegung.
Paul wollte auch los, doch Margrit hielt ihn beim Ärmel. „Oh Gott, Paul, kann man denn so etwas Verrücktes glauben?“
„Werden wir ja sehen! Los komm!“ meinte er nur.
So folgte ihm Margrit mit skeptischer Miene. Aha, die Maden hatten sich also im Salon versammelt, denn man hörte schon von weitem den beträchtlichen Lärm, da wohl die Türe offen geblieben war.
Mann, war da vielleicht ein Jubel! Margrit staunte, je näher sie kam. Aber zwischendurch wurde es auch wieder ganz still. Also erzählten die Heimkehrer schon so einiges. Dabei mussten ihre Berichte wohl ziemlich seltsam für die Umstehenden klingen, denn Margrit meinte, ab und an verdutzte Ausrufe zu hören. Manch einer lachte jetzt sogar völlig hirnrissig los, und nun tönten sogar Pfiffe immer wieder dazwischen, während ziemlich aufgeregt weiter berichtet wurde.
Seltsamerweise erschien es Margrit, als wäre es nur die Stimme von Erkan, die sie dabei heraushören würde. Das hätte sie nicht weiter gewundert, wenn sie der Meinung gewesen wäre, dass Gesine eine Schweigsame Natur besäße. Aber gerade deren Mundwerk pflegte in letzter Zeit selten still zu stehen, besonders dann nicht, wenn sie etwas Aufregendes erlebt hatte.
Also schob sich Margrit dicht an die Menge heran, um an den Schultern vorbei und nach vorne zu blicken. Es war hier so voll, dass man auch noch im Türrahmen dicht gedrängt stehen musste und so hatte Margrit keine Übersicht.
Paul war geschickter als Margrit gewesen und schob sich gerade tiefer in den Saal hinein.
„Wo steht hier Gesine?“ fragte Margrit darum Eberhardt, der sich genau vor ihr befand und einen langen Hals machte wie sie, wohl um die beiden Heinkehrer in der Menge zu entdecken.
Er zuckte genervt die Schultern. „Na ja, Gesine kam in einem nicht gerade sehr guten Zustand zu uns zurück, hat getaumelt, sich in ihre Kammer zurückgezogen und bis jetzt niemanden zu sich gelassen."
„UND?" Margrits Augen bekamen einen entsetzten Ausdruck.
„Na ja, sie weint pausenlos, will mit niemandem sprechen, hat irgendwie einen Nervenzusammenbruch oder so ... hm ... war ja schon immer ein wenig hysterisch!"
„Sie hat einen ... einen Nervenzusammenbruch?" schnaufte Margrit entgeistert.
Er nickte.
„Na, IHR seid mir vielleicht gut!" brüllte sie aufgebracht. "Ja, sagt mal, spinnt ihr denn alle inzwischen? Habt ihr so wenig Interesse aneinander? Seht ihr jetzt nur noch euch selber? Da lassen wir hier Erkan stundenlang quasseln, debattieren hier wüst herum und niemand kümmert sich um Gesine! Wer weiß, was mit ihr geschehen ist, was die Hajeps mit ihr angestellt haben?"
Elfriede Schramm begoss die Setzeier liebevoll mit heißem Fett, denn sie hasste es, wenn die oben herum so glibberig waren. Ob man es wohl riskieren konnte, einfach einen Deckel auf die Pfanne zu legen? Rasch wendete sie sich zur Seite und suchte im anliegenden Schrank danach, aber schon begann es in der Pfanne heftig zu blubbern, Fett spritzte empor. Also ließ sie es sein, nahm lieber die Eier vom Herd, ehe die unten herum allzu fest werden konnten.
Elfriede lief nun doch in stiller Vorfreude das Wasser im Munde zusammen. Welch ein leckeres Mahl! Sie schnitt noch dazu zwei dicke Scheiben vom Brot ab, das letzte nach den drei Wochen, welche inzwischen vergangen waren. Es war wohl gut, wenn man sich wieder in die Stadt begab, um dort nach neuen Nahrungsmitteln zu suchen, wenngleich dort eine räuberische Horde, die sich rote Schlange nannte, plündernd umher zog, und die Eier der wilden Hühner ließen sich immer sehr schwer finden, besonders, da Elfriede altersschwache Augen hatte.
Elfriede holte die Teller aus dem Schrank. Mein Gott, diese drei Wochen waren eigentlich wie im Fluge vergangen! Waren eine schöne Zeit gewesen. Der einzige Wermutstropfen dabei, dass sie seit dem weder die Kinder noch Margrit wieder gesehen hatte. Irgendwie empfand sie nämlich eine gewisse Scheu, nach den Unterkünften der Maden zu suchen, zumal selbst Margrit ihr früher nicht gerade die besten Dinge über Günther Arendt erzählt und Elfriede deshalb befürchtet hatte, dass man sie vorn dort wieder zurück zu den Spinnen schicken könnte, sobald sie sich nur zeigen würde.
Wie viel besser hatte sie es deshalb hier in dieser kleinen Hütte mitten im Walde. Sie spitzte die Ohren, denn sie hörte, wie draußen Holz gehackt wurde. Unwillkürlich musste sie dabei an damals zurückdenken. Ach, war sie damals in Panik gewesen, kaum dass sie den riesigen Jisken im Garten entdeckt hatte.
“Erwischt!“ hatte sie auch noch geschrieen und dann waren ihr die restlichen Worte buchstäblich im Halse stecken geblieben. Eigentlich war es ja auch eine Frechheit gewesen, sich einfach an ihrem mühsam erkämpften Fahrrad zu schaffen zu machen. Er hatte die muskelbepackten Arme auch sofort erhoben, obwohl die Pistole in ihrer Hand mächtig am Wackeln gewesen war. Und dann hatte er sich zu ihrer Überraschung plötzlich schmerzerfüllt zusammen gekrümmt und war schließlich unter heftigem Stöhnen einfach zu Boden gegangen.
Zunächst hatte sie völlig verschüchtert gewartet, nicht gewagt sich zu rühren, dies nur für einen mehr oder weniger schlechten Trick gehalten, um sie zu überrumpeln, doch dann hatte sie begriffen: Dieser Außerirdische war wohl zuvor von irgend jemandem derart verletzt worden, dass er deshalb ohnmächtig geworden war. Und jetzt meinte sie auch trotz des Dämmerlichtes mehrere dunkele Rinnsale durch den dünnen Stoff seines Hemdes ins Gras sickern zu sehen. Er konnte auf der Flucht vor irgendwelchen Verfolgern sein, sonst hätte er womöglich ihr Rad gar nicht haben wollen.
Da er also wirklich völlig kampfunfähig war, ergriff sie sich das frisch reparierte Rad, um sich damit an dem Jisken vorbei zu schieben. Aber da packte seine große Hand plötzlich von unten zu. Er hielt das Rad unter stöhnen einfach an den Speichen fest, aber sie brauchte nicht sehr lange daran zu ziehen ... schon verließ ihn die Kraft, die Finger öffneten sich zitternd und erneut überfiel ihn tiefe Ohnmacht.
Und dann geschah etwas in Elfriede, was sie sich eigentlich bis heute nicht erklären konnte, denn als sie sich ein gutes Stück von ihm entfernt hatte, hörte sie ihn wieder entsetzlich aufstöhnen, und plötzlich wendete sie das Rad und fuhr zu ihm zurück. Wenn auch am ganzen Körper zitternd, entwaffnete sie ihn unter beruhigenden Worten erst einmal, legte alles neben sich ins Gras, um beide Hände für ihn frei zu haben, und dann nahm sie ihm einfach diesen lästigen Helm ab. Das war gut gewesen, denn er holte tief Atem. Zwar erschrak sie über sein fremdartiges Äußeres sehr, denn er hatte überhaupt keine Ohren und auch die Augen schienen recht sonderbar geschnitten zu sein. Aber er war ein zwar kräftiger, jedoch wohl auch recht alter jiskischer Soldat, denn sein dunkles Gesicht, dessen Farbe sie im Dämmerlicht kaum richtig deuten konnte, schien tiefe Falten zu haben und das lange, zu einem Knoten hochgebundene Haar war wohl an einigen Stellen schon schneeweiß! Seine Augen blickten so flehend zu ihr empor, dass sie keine Hemmungen hatte, sich die Wunde an seiner Schulter genauer zu besehen. Immer wieder redete sie dabei beruhigend auf ihn ein und obwohl er nur wenig verstanden hatte, ließ er es schließlich nicht nur zu, dass sie ihren Schal um seine Schulter wickelte, sie durfte ihm auch hoch helfen.
Einige Tage lang versorgte Elfriede dann Sungapelke in jenem Haus, wo sie ihn gefunden hatte, am Rande Würzburgs. Gott sei Dank hatte er eine robuste Natur und es war nur eine Fleischwunde gewesen. So erholte er sich rasch. Dennoch verließ Elfriede ihn nur, wenn wichtige Besorgungen zu machen waren, oder wenn es darum ging, bei Pommi wieder mal Auskünfte über Margrit und die Kinder einzuholen.
Eines Tages, als sie nach Hause kam, fand sie sein Bett leer. War er einfach ohne einen Abschiedgruß fort gegangen? Oder hatten ihn seine Verfolger - er fürchtete Jisken und Hajeps gleichermaßen - gefunden und einfach weggeschleppt? Nichts ließ darauf schließen, dass innerhalb des Hauses ein Kampf stattgefunden hätte, denn dass Sungapelke sich kampflos ergab, hatte sie sich trotz seiner Verletzung nicht vorstellen können. Außerdem lagen seine wenigen Waffen wie immer ungenutzt unter dem Bett. Mehrere Decken hatte er auch noch darüber gepackt. Wo also konnte er sein?
Sie ging in die Küche und fand ihn zu ihrer Freude munter am Tisch sitzend vor. Er zerschnitt gerade einige Kartoffeln für die Suppe - leider ohne sie zu vorher schälen – wohl, um ihr bei der Küchenarbeit zu helfen. Neben sich auf dem Tisch hatte er wie immer den etwa handgroßen Computer, über welchen er schon die ganze Zeit Elfriedes Sprache zu erlernen versucht hatte. Er winkte sie zu sich heran, damit sie auf den Bildschirm sehen sollte und seine gelben Augen blitzten sie dabei glücklich an. Dort hatte er nämlich folgende Worte für sie zusammengesucht: Tief angelegte Dankbarkeit, praktiziert im Vorhandensein menschlichem Gewühls dein dir gehöriger Sungapelke!
Damals hatte sie sich viel Mühe geben müssen, um nicht laut loszulachen. Er hatte sich trotzdem sehr erschreckt, weil sie ihm anschließend dafür einen Kuss auf die Wange gegeben hatte. Letztendlich hatte sich dieser kleine Apparat, den er Chasbulak nannte, dann doch als sehr nützlich für sie beide erwiesen. Tja, und Sungapelke benutzte ihn eigentlich auch heute noch, immer, wenn es mal mit der Verständigung allzu schwierig zu werden drohte.
Leise ein Liedchen vor sich hinsummend betrat Elfriede nun das kleine, gemütliche Wohnzimmer.
Ach, war das schön, die großen Fenster und dahinter die verschneiten Tannen. Ein guter Gedanke, dass sie nach etwa vierzehn Tagen in diesen Wald gezogen waren, denn Sungapelke fühlte sich hier sicherer als in Würzburg. Sein scharfes Auge hatte diese Hütte schon damals von oben entdeckt, als er mit seiner Einheit im Militärflieger unterwegs gewesen war und er hatte bereits zu jener Zeit gehofft, dieses kleine Häuschen eines Tages unbewohnt vorzufinden.
Zumindest dieser Wunsch war ihm erfüllt worden. Ganz klar geworden war Elfriede in all den Tagen des gemeinsamen Wohnens zwar noch immer nicht, weshalb eigentlich Sungapelke schon früher auf seinem Heimatplaneten ein politischer Querulant gewesen sein sollte. Sehr nachdenklich stellte sie darum die Teller auf den Tisch, legte das Brettchen für die Pfanne zurecht. Sungapelke war jedenfalls, so hatte sie ihn inzwischen verstanden, auch auf der Erde der jiskischen Staatsmacht zu regimekritisch gewesen, so dass man ihn zur Strafe dazu verdammt hatte, alt zu werden um schließlich daran zu sterben, was Elfriede kaum glauben konnte! Aber er neigte wohl auch ein wenig dazu Märchen zu erzählen. Für den Rest seines Lebens hatte man ihn dann nur noch leicht bewaffnet für halsbrecherische Kommandos eingesetzt, die er sonderbarerweise, oder vielleicht auch wegen seines scharfen Verstandes, alle überlebt hatte. Darum war ihm sein letzter, nicht ganz so gefährlicher Auftrag recht willkommen gewesen, hatte er doch gehofft, dabei seinem eigenen Volk in einem günstigen Augenblick entrinnen zu können, um endlich auf dieser Erde als Eremit ungestört leben zu können. Als Fallschirmspringer war er dann, statt gemeinsam mit den Kameraden den Oten, der sich zusammen mit einer Lumanti hinter einem Molkat – Elfriede wusste nicht was das war – verschanzt hatte, einzukreisen, einfach davon gelaufen.
Leider hatte später einer der Hajeps auch ihn verfolgt und in den Rücken geschossen. Für einen Sekundenbruchteil hatte er noch mit dem Gedanken gespielt sich dafür zu rächen, aber er hatte noch weitere schwer bewaffnete Hajeps herannahen sehen und so war er mit einem lauten Aufschrei zusammengebrochen und hatte sich tot gestellt. Allerdings hatte er befürchtet, bei lebendigem Leib in Humus verwandelt zu werden, als die Soldaten zu seiner Erleichterung aus unerklärlichem Grund plötzlich wieder zurück gerufen wurden.
Später hatte er dann ein Fahrrad gefunden, das aber schnell zu Bruch gegangen war. Er hatte sich jedoch damit trotz seiner Wunde bis zum Rand der Stadt gequält, um endlich in Sicherheit zu sein.
So nun musste Elfriede nur noch die zwei Scheiben Brot auf den Tisch legen und die Pfanne auf das Brett stellen. Doch gerade als sie sich umwenden wollte, um wieder in die Küche zu laufen, hörte sie, wie Sungapelke die Haustüre öffnete um den Flur zu betreten. Gut, so brauchte sie ihn nicht mehr herbei zu rufen. Sicher würde er dabei gleich Holz für den Ofen mitbringen.
Sie hörte jetzt, wie er den Schnee von den Füßen trampelte und dann seine Schritte durch den Flur.
Ein wenig klopfte ihr Herz nun doch, als sie mit der Pfanne aus der Küche kam, denn sie wusste inzwischen, dass er Eier sehr gerne aß, obwohl er sich an die neuartige Lumantikost erst hatte gewöhnen müssen.
Nachdem er die warme Jacke – sie hatte ihm diese aus einer dicken Decke genäht – auf den Haken gehängt hatte, öffnete er die nur leicht angelehnte Wohnzimmertür und schaute blinzelnd zu ihr hinein.
In seinen dichten rosa Wimpern – so man ihm glauben konnte, sollten die nur deswegen rosa geworden sein, weil er alt geworden war - schimmerte noch immer Schnee, den er sich nun verstohlen von der Wange wischte.
„Minus es sich fühlt!“ brummte er und schüttelte dabei fröstelnd die Schultern.
Sie hörte ihn genüsslich durch seine drei Nasenlöcher in Richtung gebratener Eier schnüffeln und ihr Herz lachte dabei.
„Nun, Sunga?“ fragte sie. „Was hast du wieder alles im Wald erlebt?“
Sonderbarerweise erwiderte er nichts darauf, doch meinte sie in seinem sonst so ausdrucklosen Gesicht einen Anflug von Sorge - womöglich gar Angst? – gesehen zu haben.
Sie lächelte ihm daher unsicher zu und er schaute schnell weg, stapfe weiterhin stumm in die Küche, fegte sich dabei noch schnell mit der freien Hand über die frisch geschorene Glatze, um auch von dort die letzten Schneeflocken herunter zu wischen. Er hatte sein üppiges, rosafarbenes Haar ganz nach der Sitte der Jisken zu einem eleganten Knoten hochgebunden. Dabei war es so lang, dass es ihm noch von dort aus, bis tief den Nacken hin¬ein fiel.
Er hob, tief in Gedanken versunken, nun einige der Metallringe vom Herdloch, stocherte für ein Weilchen traurig in der Glut herum, legte schließlich Holz nach und hielt, immer noch tief in Gedanken, die verkrüppelten Hände zum Wärmen darüber. Dann verschloss er das brodelnde Feuerloch wieder, tappte zurück ins Wohnzimmer.
Elfriede blickte fragend in sein kantiges Gesicht und sah, wie seine gelben Augen leuchteten, kaum dass er die Eier entdeckt hatte. Still bei sich musste sie zugeben, dass es doch ein Weilchen bei ihr gedauert hatte, sich an sein recht ungewöhnliches Äußeres zu gewöhnen, denn seine Haut war dunkelgrau oder hatte die eher eine tiefe lila Farbe? Auch heute war sie sich darüber uneins. Sie entschied sich für eine Mischung aus beiden Farbtönen in verschiedenen Schattierungen. Die schönen gebratenen Eier in der Pfanne schienen ihn von seinem Kummer abzulenken, den er ganz gewiss hatte. Elfriede war sich sicher, dass er bald von dem erzählen würde, was erlebt oder gesehen hatte, denn er verschwieg ihr eigentlich nichts. Stumm nahm er ihr gegenüber Platz am kleinen, hübsch gedeckten Tisch. Er hatte den Chasbulak neben sich liegen. Auch das sagte Elfriede schon genug. Schnell füllte sie ihm eines der Eier auf den Teller und reichte ihm eine der Scheiben Brot. Ach, am allerschwierigsten war es für sie gewesen, sich an seine verkrüppelten Hände zu gewöhnen, mit denen er sich oft auch recht ungeschickt anstellte. Ganz wie jetzt, denn er hatte schon wieder Schwierigkeiten mit der Fingerharke. Als sol¬che bezeichnete er die Gabel, von welcher ihm gerade das doch ein so ein bisschen glibberige Ei geglitscht war.
„Wie ist das mit deinen Händen passiert?“ fragte sie ihn wieder, auch um ihn damit ein wenig gesprächiger zu machen.
Zunächst schaute er verdutzt, dann holte er den Chasbulak aus der Tasche seines seltsamen Hemdes und suchte in dem kleinen Apparat nach Worten. „Jiskhand keiner Wissenwertes darum!“ erklärte er mit seiner rauen Stimme eifrig.
„Das heißt darüber!“ verbesserte Muttchen das letzte Wort.
Er suchte nach diesem, nickte, löschte das alte und gab das neue stattdessen ein.
„Wissenswertes darüber keiner Jiskhand!“ brummte er zufrieden.
„Nein, nein, ganz anders ... völlig anders!“ Sie kam zu ihm um den Tisch herum gelaufen. Kaum stand sie neben ihm, verharrte sie erschrocken, denn von hier aus hatte sie einen guten Blick zum Fenster und sie meinte, jemanden weit hinten durch den Wald schleichen zu sehen. Oder war das nur ein Reh gewesen?
Doch Sungapelke hatte wohl fast im selben Moment die gleiche Beobachtung machen können. Er grunzte bereits erschrocken durch seine seltsame Nase.
Schnell holte er den Jawubani aus einer kleinen Tasche an seinem Gürtel hervor.
Aufgeregt gab Sungapelke dann wenig später einen neuen Satz für Muttchen in den Chasbulak ein.
„Hajepwald Loteken matschieren wie Besitz!“ kommentierte er zornig.
„Oh Gott“, ächzte sie. „Du meinst, irgendwelche Loteken machen hier plötzlich Stunk?“
Er starrte sie ob dieser Ausdrucksweise mit offenem Mund entgeistert an, dann aber mühte er sich, auch diese Worte schnell in den Übersetzer zu geben.
Sie riss sich zusammen. „Äh, ich meinte natürlich, durchstöbern die Loteken etwa plötzlich diesen Wald, obwohl sie eigentlich wissen, dass der den Hajeps gehört?“
„Stunk .. Stinktier!“ beantwortete Sungapelke, stolz, das richtige Wort gefunden zu haben, ihre erste Frage und zu der zweiten sagte er jetzt nur noch schlicht: „Ja!“
„Oh Gott!“ Muttchen musste sich wegen dieser schrecklichen Nachricht erst einmal setzen und zog daher den kleinen Korbstuhl, der hinten in der Ecke gestanden hatte, etwas näher zu Sungapelke heran. „Und was bedeutet das für uns?“
Der Jisk hatte schon wieder seinen Jawubani vor Augen. „Schwarz nicht!“ erwiderte er und zuckte dabei hilflos mit den breiten Schultern.
„Sicherlich meinst du – Weiß nicht!“
Er nickte, immer noch den Jawubani vor Augen habend. “Loteke jitzt wich ... hm ... wick?“ Er legte den Jawubani beiseite schaute wieder im Chasbulak nach. “Wecker!“ rief er begeistert und stolz, schon wieder das rich¬tige Wort gefunden zu haben. „ER Wecker!“ und seine blaue Zunge beleckte dabei aufgeregt die lila und schwarz marmorierten Lippen.
„Sie sind weg?“ fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. „Nischt sie – nischt Frau – Mann!“
Ach, sie hatte es aufgegeben, ihn immer wieder zu verbessern, denn Sprachen schienen ihm wohl nicht allzu sehr zu liegen. Na, Hauptsache man kam einigermaßen miteinander klar.
„Es waren also nicht mehrere?“ fragte sie daher einfach weiter.
Wieder blickte er prüfend durch den Jawubani und nebenbei nickte er. „Jiddin Taig isch bereitzzz gesät habbe ville ... serr ville Loteken. Dir nischt saggin .. sonst traulich! Nischt nür in Wald ... überall!“ Er machte ärgerlich eine weitschweifende Handbewegung. „Haute isch zigarre hammellisch beobachtelt wie Chiunatra mit Trowe hier Treffer midden im Waldi.“
„Du ... du meinst dieser Chiu ... hm ... dings hatte hier eine Verabredung mit einem ... also so einem einfachen ....?“ Sie zog ihre Stirn in nachdenkliche Falten, denn ihr war plötzlich die genaue Bezeichnung dafür entfallen. „Tr ... Tr...“
Sein ansonsten ziemlich regungsloses Gesicht schien nun doch ein wenig Heiterkeit über Muttchens Suche nach dem richtigen Wort anzuzeigen. “Tr .. o ... we!“ sagte er und ließ dabei jeden Buchstaben förmlich auf seinen Lippen zergehen.
„Ach so!“ Ein bisschen rot vor Verlegenheit wurde sie deshalb nun doch.
Die kleinen Fältchen um Sungapelkes Augen zuckten deshalb amüsiert, aber nur für einen Sekundenbruchteil, dann wurde er wieder ernst. „Isch denkt, Loteken wollinn machern Paket mit Trowe, weil Trowe wissenswärter vermuttlisch weggin Zarakuma!“
„Warum?“ fragte sie.
„Trowes langer Zeitig habbin Zarakuma gebeutelt!“
„Etwa gebaut?“ hakte sie nach.
Misstrauisch schaute er erst einmal in seinem Chasbulak nach, schließlich nickte er verstohlen.
Nun konnte sie sich eigentlich ihm gegenüber amüsiert zeigen, doch die Sorge über das, was er ihr soeben berichtet hatte, ließ ihr Lächeln ersterben, denn was bedeuteten diese Gebietsansprüche der Loteken für sie beide? Fragend forschte sie in diesen rätselhaften Augen, mit denen er sie ebenso nachdenklich musterte.
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"Und wie endet nun das Märchen?“ fragte Julchen aufgeregt.
„Äh, das ist gar kein Märchen!“ erwiderte Margrit verdutzt. “Das alles habe ich wirklich erlebt! Ich wollte euch nur erklären, weshalb ich plötzlich so verändert aussehe!“
„Nein, du bist nicht unsere Mama!“ schimpfte Julchen und stampfte dabei mit ihrem Fuß auf. „Weil, die Mama hat nämlich ganz viel bessere Haare als du, so!“ Und noch einmal trat sie wütend auf den Fußboden des kleinen Zimmerchens. Ach, es war wohl eher eine enge Kammer, in welcher die Spinnen Margrits Kinder untergebracht hatten. Zudem schienen sich die beiden in einem schlimmeren Zustand zu befinden als je zuvor. Zwar waren sie wohl tatsächlich nicht mehr geschlagen worden, aber inzwischen bis auf die Knochen abgemagert. Gab man ihnen denn fast gar nichts mehr zu essen?
„Ohne Scheiß“, bekräftigte nun auch Tobias, „in Mamas Haar war ganz viel mehr Weiß drin! Und die ... diiie hatte auch viel mehr ... viiiel mehr Falten überall!“ Tobias nuckelte jetzt an seiner Unterlippe, wie immer, wenn er sehr aufgeregt war und musterte die junge Frau, welche einfach ihre Kammer betreten und gleichzeitig wirre Geschichten erzählt hatte, wieder sehr feindlich. Die war zwar hübsch trotz der zerschlissenen Kleidung, aber trotzdem ziemlich komisch, wie die sich die ganze Zeit benahm.
Vorhin hatte sie mit Mike über die Freilassung von ihm und Julchen verhandelt und dabei immer wieder betont, sie wolle die Kinder endlich mitnehmen.
Neben Margrit stand Chan-Jao, den sowohl Tobias als auch Julchen kannten, doch das tröstete die Kleinen nicht darüber hinweg, ihnen die falsche Frau gebracht zu haben.
Da Krieg war, kam Tobais dazu noch ein zwar furchtbarer, aber im Grunde doch recht alltäglicher Gedanke. „Ist ... ist die Mama etwa .. tot?“ schluckte er und schon standen ihm wieder Tränen in den Augen.
Für einen Moment zögerte Margrit mit der Antwort. Womöglich war es tatsächlich am Besten wenn sie sich selbst – äh, die alte Margrit – einfach beerdigte? Dann gewöhnten sich die Kinder vielleicht rascher an die Neue? Aber dann verwarf Margrit diesen Gedanken doch lieber und schüttelte nur den Kopf mit dem frisch gewachsenen Struwwelhaar. “Wie du siehst lebe ich und ich fühle mich sogar sehr gut!“
Tobias wischte sich zwar die Träne weg, die ihm gekommen war, hatte danach aber schon wieder den alten trotzigen Ausdruck im Gesicht.
„Und die Mama ... die trug eine Brille! “ behauptete Tobias jetzt und Julchen nickte dazu eifrig.
Gut, dass Margrit sich eine für diesen Fall von Elsbeth geborgt hatte. Sie holte nun das komische Drahtgestell hervor und setzte es sich auf die Nase. Puh, sie konnte durch diese Gläser wirklich kaum etwas erkennen.
„Na-ah?“ fragte sie trotzdem selbstbewusst und lächelte dabei wieder freundlich. „Was sagt ihr nun dazu?“
Tobias krauste verächtlich die Nase. „Nein, so hat die Mama nicht ausgesehen!“ zischelte er hervor.
Wieder machte Margrit ein trauriges Gesicht.
Sollte sie doch, diese falsche Schlange! Bei der tat Tobias gar nichts leid! Auch die Sache von vorhin nicht! He, wie gut, dass er und Julchen, seit sie geflohen waren, sich so richtig schön verändert hatten.
Da die Kinder zur Strafe nur noch sehr wenig zu essen bekamen, hatten sie sich wieder ihrer alten Fähigkeiten besonnen, die ihnen schon früher geholfen hatten, als sie noch diebische Straßenkinder gewesen waren. Sie hatten sich inzwischen so einiges zusammen geklaut und auch diesmal gleich ihre Chance erkannt, als diese komi¬sche Frau und Chan-Jao mit Mike verhandelt hatten. Da war Tobias erst einmal an deren Tasche heran geschli¬chen und hatte dann in einem günstigen Moment darin nach Nahrung gestöbert. Julchen und er waren sogar fündig geworden. Obwohl das komische Ding aussah wie eine Zahnpastatube, war aus dieser– nachdem Tobias so ein bisschen damit herum hantiert hatte - mit leisem Zischen doch eine recht leckere Masse herausgequollen wie aus einer Sahnespraydose, welche sie sich gegenseitig dann rasch in die Handflächen gesprayt und schnells¬tens aufgeleckt hatten.
Chan-Jao hatte dann von irgendwo her eine Meldung bekommen, hatte aus irgend einem Grund plötzlich weg gemusst und war im Begriff gewesen sofort zu gehen. Aber die komische Frau war ihm einfach hinterher gelaufen. Dann hatten sie hinten noch ein Weilchen miteinander einiges besprochen und deshalb waren Jule und er für einen Moment mit Mike alleine gewesen. Der hatte sofort gerochen, dass Julchen und Tobias gerade etwas gegessen hatten.
Der herrliche Geruch der Creme schwebte in diesem Moment verführerisch in der Kammer und da alle Menschen derzeit unter chronischen Hungergefühlen litten – oder auch weil Mike von diesem sonderbaren Geruch genau wie Julchen und Tobias plötzlich wie berauscht war - hatte er sich von Tobias einfach etwas davon eben¬falls in die Hand sprayen lassen, ohne darauf zu achten, dass es ein außerirdischer Behälter war, aus dem er die Nahrung bekam.
Schon war die komische Frau gemeinsam mit Chan-Jao zurück gewesen und Tobias hatte noch schnell den merkwürdigen Behälter wieder in der Tasche verschwinden lassen können.
“Hände weg von meiner Tasche!“ hatte sie ihnen noch zugerufen und alle drei hatten ruhig gehorcht.
Jetzt stand diese Frau so einfach vor ihnen, ohne zu wissen, was passiert war.
Sie schaute in die traurigen schmutzigen Gesichter ihrer Kinder. Sowohl Julchens als auch Tobias Augen waren dick geschwollen vom vielen Weinen, wohl, weil sie den Kater und natürlich erst recht ihre Oma vermissten, welche sie doch ab und an hatte trösten können. Aber das erste Problem konnte man wohl schon lösen und so bückte sich Margrit, holte aus der Pappkiste den fest eingeschlafenen Kater hervor.
„Na-ah?“ fragte sie. „Wer erkennt ihn wieder?“
Munk gähnte, riss die gelben Augen auf, schaute zunächst verdutzt, dann fauchte er ziemlich unschlüssig vor sich hin, auch weil ihn Margrit den Kindern so komisch entgegen hielt, dass seine Pfoten nirgendwo Halt hatten.
Tobias und Julchen griffen aber nicht zu, nahmen den Kater keineswegs in den Arm. Tobias betrachtete auch Munk stirnrunzelnd und Julchen wischte sich nur ihre Nase trocken und noch immer streichelte niemand den Kater.
Munk ließ deshalb die Schnurrhaare hinab hängen und machte ein ganz verdrießliches Gesicht. Undankbares Pack! Na ja! Schließlich kannte er ja diese beiden Zweibeiner. Es waren seine! Stets hatte er sich um sie gekümmert, sie mit allen vier Pfoten betrampelt, wenn sie mal traurig oder auch nicht traurig waren, war ja schließlich ganz egal. Und nun sollten sie ihn endlich wieder bekommen. Und was machten sie? NICHTS!
„Aber ...“, begann Tobias zögerlich und noch immer skeptisch, „... der hier hat ja ganz viel Fell!“
„Stümmt!“ bestätigte Julchen. „Der ... deeer hat Fell mit ohne Löchern drin!“
Tobias streckte prüfend die Hand nach Munk aus, um zumindest eine kahle Stelle, die der alte Kater früher hier und da gehabt hatte, im dichten Fell ausfindig zu machen. Das hätte er aber nicht tun sollen! Munk war furchtbar beleidigt. Diese Zweibeiner konnten ihm gestohlen bleiben, ihn so lange hängen zu lassen. Er holte in seiner Empörung jetzt sogar nach Tobias aus!
„Auuutsch!“ kreischte Tobias, als er die frisch gewachsenen Krallen zu spüren bekam.
„D ... das IST Munk!“ jauchzte Julchen begeistert. „Ganz ... gaanz bestümmt!“ Sie hüpfte und klatschte dabei in ihre Händchen.
„G ... ganz ohne Scheiß!“ entfuhr es Tobias verdutzt aber auch sehr erleichtert und er leckte sich über den zerkratzten Handrücken.
„Munk ... Muuunk ... Munkilein!“ jauchzten die Kinder fast gleichzeitig. Na ja, und Munk, kaum hatte er diese liebevolle Tonlage gehört, breitete er seine Arme – äh, Pfoten aus – und schon befand er sich in inmitten zweier weicher Kinderkörper. Ach, was wurde er nun gekrault, geküsst und geherzt und sein Schnurren war dabei fast so laut geworden wie die Stimmen der beiden Kinder.
Margrit freute sich natürlich sehr mit den Dreien. Sie lachte dermaßen, dass ihr dabei die Tränen nur so über das Gesicht liefen und selbst Chan-Jao war ein wenig gerührt. Doch als Margrit wieder versuchen wollte die Kinder zu umarmen, wichen sie ihr mitsamt Kater einfach aus.
Sie musste wirklich ziemlich befremdlich aussehen, denn vorhin, als sie am Eingang gestanden hatte, war selbst Mike ihr gegenüber skeptisch gewesen. Erst ein Anruf bei Adrian – eigentlich Adrian von Haiden - dem Befehlshaber der Maden, überzeugte ihn schließlich auch deswegen, weil schon die Geschichte über Margrits Verjüngung unter den Spinnen kursierte.
Sonderbar, kaum hatte Margrit an Mike gedacht, hörte sie ihn auch schon wieder, diesmal gemeinsam mit Christian, durch den Flur kommen. Chan-Jao und Margrit, die noch immer in der geöffneten Tür der kleinen Kammer standen, schauten sich nach den beiden um.
„Hallo, du da! Äh, Margrit, ich habe eine Idee!“ rief Mike den beiden schon von weitem zu.
Chan-Jaos Augen wurden noch schmaler als sie es ohnehin schon waren, denn Mike hatte plötzlich eine ganz andere Tonlage eingeschlagen als vorhin, wo ihn Margrit noch unter Tränen darum gebeten hatte, einfach das fehlende Brot, das Margrit Mike gleich überreicht hatte, anzurechnen und somit endlich ihre Kinder frei zu lassen, ohne die gleiche gewaltige Menge an Nahrungsmitteln und Medikamenten nochmals zu verlangen. Mike hatte das Brot zwar angenommen, doch einfach gesagt: „Das bekomme ich für die vielen Ungezogenheiten deiner Kinder.“ Ansonsten hatte er sich weiterhin kalt und unnachgiebig gezeigt. Nun aber strahlte er mit einem Male übers ganze Gesicht.
„Und was wäre das für eine neue Idee?“ fragte Margrit darum skeptisch.
„Tja“, Mike räusperte sich gespielt verlegen, ehe er damit heraus kam. „Als ich vorhin die Maden angerufen habe, war auch Günther Arendt anwesend.“
„Nanu?“ rief Margrit verdutzt. “Heut` ist doch gar nicht der Erste?“ Dann lachte sie unsicher.
„Also, der erzählte mir von einer besonderen Waffe, die Sie immer mit sich herumtragen würden. Nun ja, wenn sie mir die versuchshalber überlassen und wenn sich dabei herausstellt, dass wir die gebrauchen können, würde ich mir die Sache mit der Freilassung Ihrer Kinder vielleicht noch überlegen.“ Er rieb sich – ziemlich provozierend, wie Margrit fand - nun das markante Kinn und starrte sie dabei weiterhin freundlich grinsend an.
„Nööö“, fauchte Tobias, den fetten Kater dabei an seine Schwester weiter reichend, weil der ihm auf die Schulter klettern wollte, „mit dieser komischen Frau gehen wir von hier nicht weg!“
„Stümmt“, hörte man auch Julchen, zwar etwas undeutlich, weil sie mit ihren Zähnen schon wieder einen Faden aus ihrem Kittel zog. Dennoch behielt sie dabei den Kater unter dem Arm geklemmt. “Wir warten auf die richtige Mama, so!“
„Du sollst das Nagen sein lassen!“ zischelte Mike erbost, wollte ausholen, senkte dann aber unter Margrits Blick doch lieber seine Hand.
„Außerdem habt ihr frechen Gören dabei gar nicht mitzureden!“ mühte sich Christian trotzdem, das Image seines Chefs wieder etwas aufzupolieren.
„Nun, meine liebe Margrit“, begann Mike von Neuem, „wie schaut`s damit aus?“
Ach, Margrit konnte das Lauern in diesem Blick gar nicht ertragen.
„Ich weiß ja selbst kaum, was es ist“, gab sie, genau wie vor einigen Tagen bei Günther Arendt, auch Mike zu bedenken.
„Sehr richtig, darum wollen wir diese Waffe ja erst einmal testen!“ Mike verschränkte die Arme vor der Brust, wirkte ein wenig genervt und Christian zeigte genau das gleiche Mienenspiel.
„Ich möchte es aber noch nicht aus der Hand geben“, wandte Margrit leise ein. “Außerdem habe ich es bereits Günther Arendt versprochen!“
„Ach so!“ entfuhr es den beiden Spinnenleuten etwas enttäuscht. Dann aber leuchteten Mikes kalte Augen doch wieder ziemlich gierig auf, denn er betrachtete Margrits glatte, junge Haut. „Sie sagen immer ´es´? Hmm ... ist ´es´ womöglich gar keine Waffe, sondern ... he, es ist dieser komische Jungbrunnen, richtig?“ hakte er aufgeregt nach.
„Nein, das wohl eher nicht“, erwiderte Margrit nachdenklich.
„Ach, tatsächlich?“ Mike grinste schief und zog sich dabei die breite Krempe seines frisch gewaschenen Hutes ins Gesicht. „Nun gut!“ sagte er nach einen kurzen Moment des Nachdenkens und gab dabei Christian ein Zeichen, dass sie gehen wollten und schon liefen die beiden durch den Flur zurück. “Na dann“, rief er trotzdem noch Margrit dabei zu, „vielleicht überlegen Sie sich das ja noch! Ungefähr zehn Minuten Zeit haben Sie dazu, dann bin ich nämlich weg! Hab` wieder Schwierigkeiten mit einigen Bauern. Tja, so geht`s unsereins!“ fügte er mitleidheischend und daher auch ziemlich laut hinzu. “Unruhige Zeiten heutzutage!“ Er wandte sich nach ihr um. „Also ... entweder Günther Arendt oder ICH!“
Margrit ging wieder vor Julchen und Tobias in die Hocke. „Hört mal“, sagte sie, „selbst wenn ich nicht eure Margrit sein sollte, so müsst ihr doch zugeben, dass es nicht schön ist, hier immer gefangen zu sein. Ihr ... ihr könntet bei den Maden leben, denn ich habe gemeinsam mit Renate Günther Arendt überreden können. Er bekommt diese Waffe ...Quatsch ... dieses Mittel ...“, sie holte dabei die eigenartige Tube hervor und die Kinder starrten das komische Ding entgeistert an, “... im Austausch dafür, dass ihr künftig dort leben dürft. Nur will euch Mike ohne einen besonderen Lohn nicht freigeben.“ Sie schwieg einen Moment sehr nachdenklich, denn sie hatte plötzlich Angst. Obwohl ihr inzwischen eingefallen war, was Oworlotep damals zu dieser Tube gesagt hatte, war sie plötzlich nicht fähig zu tun, was er ihr geraten hatte. Denn was war, wenn sie damit ihre Kinder vergiftete? Nein, so weit durfte das Vertrauen zu einem Außerirdischen wohl nicht gehen oder? Ach, sie würde wieder Würzburg aufsuchen und sich so lange dort aufhalten, bis sie hier abermals mit vielen Beuteln bepackt ankam.
Ein wenig verschämt tauschten indes die beiden Kleinen miteinander Blicke aus. Immer noch streichelte Julchen dabei Munk. „Du ... huuu?“ krächzte Julchen plötzlich verlegen und hatte dabei ihr Köpfchen tief gesenkt. „Wir haben vorhin ...“
„Ja, als du mit Mike gesprochen hast“, gestand jetzt auch Tobias ein.
“... einfach davon genascht, denn was da herauskam ... oooh ... das hat ganz doll gut gerochen!“ schwärmte jetzt Julchen richtig.
„Und auch ganz doll gut geschmeckt! Ganz ohne Scheiß!“ setzte Tobias mit strahlenden Augen noch hinzu. “Dürfen ... dürfen wir davon noch ein wenig mehr?“ Er hielt ihr nun seine Handfläche entgegen und Julchen folgte sogleich seinem Beispiel, den fauchenden Munk dabei außer Acht lassend, denn sie hatte sich den schon wieder einfach nur unter den Arm geklemmt .
„Oh Gott, Kinder!“ ächzte Margrit, kaum dass sie die schreckliche Beichte der beiden vernommen hatte. Sie war zu Tode erschrocken. „Wie konntet ihr nur! Ihr .... ihr habt das Zeug tatsächlich ... runtergeschluckt?“
Selbst Chan-Jao, der dabei zuhörte, machte ein erschrockenes Gesicht.
„Och, das war gar nicht so schwer!“ erklärten die Kleinen nun direkt ein bisschen stolz.
Margrit dachte schon an Magen auspumpen und so weiter, aber die Kinder wirkten gar nicht erschöpft. Ihnen war auch nicht übel. Sie hatten keine Schmerzen und zeigten auch ansonsten keinerlei Anzeichen von Vergiftung.
„Und der Mike ... deeer hat auch!“ fügte Julchen mit verschmitztem Lächeln noch hinzu.
„Ja, der hat später echt richtig reingehauen!“ half Tobias seiner Schwester.
„Der auch?“ entfuhr es Margrit mit großer Verwunderung.
„Seltsamer Bursche!“ brummte Chan-Jao
Fieberhaft arbeitete es in Margrits Kopf weiter. Die Kinder wirkten aber auch nicht gerade übertrieben heiter. Dieses rauschige Freiheitsgefühl, von dem Oworlotep ihr berichtet hatte, war also auch nicht eingetreten. Alles war anscheinend wie nichts für die Kinder gewesen. Na ja, außer, dass sie vielleicht ein bisschen satter waren. Das Zeug hatte also nicht geholfen aber auch nicht geschadet. „Tobias, komm her!“ fauchte jetzt Margrit richtig energisch. „Und du auch Julchen!“
Da ließen die beiden den Kater - zu seinem Erstaunen - plötzlich fallen und kamen mit tief gesenkten Köpfen zu Margrit. „Was habe ich euch IMMER gesagt?“ brüllte Margrit zornesrot im Gesicht.
„Wir ... wir sollen nicht klauen!“ krächzten Julchen und Tobias schuldbewusst fast gleichzeitig Und diesmal war Tobias derjenige, welcher sofort die sonderbare Situation begriff. „He, Mann ... d ... das ist ja DOCH unsere Mama!“ krächzte er hingerissen und betrachtete dabei die tiefe Falte über Margrits Nasenwurzel, da sie ihre Brauen heftig zusammen gezogen hatte. “G ... ganz ohne Scheiß!“
„Ja, das IST sie!“ stammelte auch Julchen. “Unsere Mama!“ Und ihre kleine Kinnlade zitterte dabei.
Da fielen beide Kinder Margrit um den Hals. Alle drei – nein vier, denn Chan-Jao holte gerade ein Taschentuch hervor - schluchzten laut voller Glück, endlich wieder zueinander gefunden zu haben.
„Siehst gar nicht mal schlecht aus ... so!“ schniefte Tobias, als er sich einigermaßen beruhigt hatte, und er strich dabei mit der flachen Hand über Margits steil abstehende Struwelmähne.
„Nur die Brille fehlt ... aber nur so ... so ein ganz kleines winziges bisschen!“ Julchen hielt ihre Fingerchen zu einen winzigen Spalt zusammen und direkt vor Margrits rot gewischter Nase.
„Aber, das würd noch ... stümms ... das mit der Brille?“ versuchte Julchen jetzt sehr eifrig Margrit zu trösten.
„Na, ich weiß nicht!“ entgegnete Margrit etwas skeptisch.
„Margrit, es tut mir Leid, aber jetzt ist es Zeit!“ meldete sich Chan-Jao hinter ihr. „Du weißt, wegen dir habe ich eigentlich schon viel zu lange gewartet. Eberhardt hat mir über die Spinnen mitteilen lassen, dass man mich schnellstens braucht! Also, wenn du noch mit mir fahren willst ...“ Er zuckte hilflos mit den Schultern.
„Da muss ich dir Recht geben Chan!“ Christian kam gerade wieder durch den Flur, diesmal um Margrit zu vertreiben. Er nickte dabei Chan-Jao zu. „Margrits Besuchszeit ist nämlich längst um!“
Schon stand der ekelhafte Spinnenmensch breitbeinig neben Margrit. „Schönen Gruß von Mike übrigens, der ist gerade losgefahren. Die Kleinen sollen jetzt schlafen!“
„Was?“ riefen die Kinder enttäuscht. „Jetzt schon?“
„Na klar!“ Christian grinste hämisch übers ganze Gesicht. “Schließlich müsst ihr morgen wieder in aller Frühe raus! Denkt ihr denn, ihr seid nur zum Spielen hier?“
„Aber der Kater kann doch bei uns bleiben, stümms?“ Julchen versuchte Christian mit ihren großen Augen anzubetteln.
Christians Blick fiel auf Munk, der gerade dabei war, sich seine Krallen, an der Wand der kleinen Kammer zu schärfen. Gott, war das immer eine Arbeit, jede Kralle dabei auch richtig schön scharf zu machen, aber Munk machte das immer sehr gründlich.
„Furchtbares Viech, kratzt uns ja hier fast die halbe Kammer weg“, entrüstete sich der Spinnenwachmann. „Nein, das fette Tier kommt weg! Damit spielt ihr ja doch nur bis in die tiefe Nacht hinein.“
„Ach, stimmt ja gar nicht!“ protestierte Julchen.
„Ganz ohne Scheiß, wir schlafen!“ versprach auch Tobias.
„Nix da!“ Christian machte eine auffordernde Bewegung zu Margrit, dass sie den Kater wieder in die Pappkiste packen sollte, doch er kannte Munk nicht! Wenn der nicht wollte, ließ er sich nicht so leicht erhaschen. Nö, wirklich, so `ne blöde Kiste war echt eine Zumutung für einen Kater wie ihn!
„Beeilt euch!“ jammerte Chan-Jao ungeduldig, als er sah, welche Mühe Margrit und die Kinder hatten.
„Könnte ich euch vielleicht helfen?“ schlug er schließlich vor.
„Könntest du ... aber das lässt DER nicht zu!“ erklärte Margrit schnaufend.
„Boah hab` ich einen Durst!“ ächzte Julchen. “Pause bitte!“ Das war nach dieser Hetzjagd sehr verständlich.
„Uuups, ich auch!“ stellte Tobias ebenfalls fest. “Warum ist Munk immer so Scheiße drauf, wenn man ihn fangen will?“
„Hier ist Wasser!“ Julchen war schon zu der Kanne gelaufen, die auf dem Boden neben den beiden Strohsäcken stand, auf denen sie schlafen durfte. Es gluckerte richtig, so gierig trank Julchen das kühle Nass.
Als Julchen fertig war, riss ihr Tobias die Kanne förmlich aus der Hand. „Puh, schwitz` ich!“ ächzte er und schon kippte auch er das Wasser in sich hinein.
„Bäh!“ sagte Julchen und streckte die Zunge dabei weit hinaus. „Is ja plötzlich so ganz doll komisch im Mund!“
„Boaaah! Scheiße, bei mir auch!“ Tobias ließ ebenfalls die Zunge hinaus baumeln.
„Oh nein, Kinder!“ kreischten Margrit und Chan-Jao überrascht und auch Christian machte große, entsetzte Augen.
„Was is denn los?“ fragte Julchen, als sie die erschrockenen Gesichter sah, die sie plötzlich mit solch sonderbaren Blicken anstarrten.
„Streckt noch einmal die Zungen `raus und schaut euch die an! He, merkt ihr das denn nicht?“ keuchte Christian als erster voller Ekel und Entsetzen.
Ein wenig beklommen folgten sie seinem Ratschlag. „Iiih ... igitt!“ quiekte Julchen und wurde käseweiß im Gesicht, kaum dass sie die dicken, rotumrandeten, eiterigen Blasen auf Tobias Zunge entdeckt hatte.
„Ouuuh?“ Tobias ließ die hochentzündete Zunge sofort wieder in seinem Mund verschwinden. Er keuchte leise, außerdem war ihm plötzlich tierisch heiß. Sein ganzer Körper schien zu kochen und er fasste sich gegen die schweißnasse Stirn. “Aber du ... Jule ... du hast dort die ... die gleichen komischen Blasen!“ ächzte er.
„Echt jetzt?“ Auch Julchen quälte plötzlich ein entsetzlicher Schüttelfrost, kleine Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Zitternd fühlte sie ihre Zunge mit dem Finger ab - oh Gott, tatsächlich, da waren plötzlich überall pralle, dicke Blasen und die ganze Zunge tat entsetzlich weh.
„Ganz ruhig bleiben!“ ächzte Margrit verzweifelt. „Legt euch die Decken um die Schultern, damit ihr nicht so zittern müsst ... oh, ooh, meine armen Kleinen! “ Sie brach ab, denn aus dem Augenwinkel hatte sie Munks dickes Hinterteil mitten im Beutel gesehen. Sofort ergriff sie sich den Beutel, hob ihn einfach mitsamt Kater hoch. Munk fauchte da drinnen empört. “Chan, wir müssen sofort einen Arzt für die Kinder rufen!“ keuchte sie.
„Einen Arzt?“ echote der. „Das würde ich dir nicht raten! Weißt ja, wie die Gesetze der Untergrundorganisationen sind, wenn ...“ Er sprach lieber nicht weiter, denn sie Kinder waren ohnehin verzweifelt genug.
„He ... he ... eh?“ ächzte Tobias, dem vorhin beim Trinken auch etwas Wasser über die Finger gelaufen war.
“An den Händen habe ich die .. diese komischen ... komischen Eiterdinger plötzlich auch!“
Margrit schüttelte den nervigen Kater nun einfach aus dem Beutel. „An deiner Nasenspitze ... also ... hm ... da sprießen inzwischen ebenfalls welche ... aber nicht ganz so viele!“ fügte sie noch rasch zum Trost hinzu.
„Na, du musst ihn doch nicht auch noch darauf aufmerksam machen, wo sie überall wachsen Margrit!“ schimpfte Chan-Jao.
„Aber ... von wo kommen denn so urplötzlich diese fürchterlichen Eiterherde her?“ schnaufte Margrit jetzt mit hochrotem Kopf und schob dabei den Kater, der so tat, als habe er sich durch den Sturz aus dem Beutel schwer verletzt, einfach mit dem Fuß beiseite.
„Guck mich nicht so fragend an!“ knurrte Chan-Jao. „Woher soll ausgerechnet ich das wissen. Wahrscheinlich haben sie irgendeine Seuche!“
„Eine Seuch ...?“ wiederholte Christian, brach ab und erbleichte. Der Spinnenwachmann war nicht nur völlig mit den Nerven fertig, er wollte auch sofort davon flitzen, doch Margrit hielt ihn beim Ärmel fest.
„Nein, du bleibst!“ fauchte sie. „Ich will nämlich von dir wissen, was jetzt als nächstes passiert!“ Denn sie hatte sich an Chan-Jaos Bemerkung erinnert.
„Was soll schon passieren?“ mokierte sich Christian mit gefalteter Stirn. „Und vor allem als nächstes?“ Er versuchte dabei, seinen Ärmel aus Margrits festem Griff zu entwinden.
“Du weißt sehr wohl, was ich damit meine“, knurrte Margrit einfach weiter, “ich meine damit, werden jetzt die Kinder ... äh ... werden sie ...?“ Sie ließ die Henkel vom Beutel bis zum Ellenbogen hoch rutschen und strich sich dann selber mit dem Finger quer über den Hals.
Chan-Jao nickte dazu beklommen.
„Ach DAS meint ihr damit!“ ächzte Christian verdutzt und schaute dabei von einem zum anderen.
„Tu nicht so! Es wäre nicht das erste Mal, dass ihr Menschen, die von einer Seuche befallen sind, einfach ... ab ... na, murkst!“
„Abmurkst?“ echote er. „Komischer Ausdruck dafür. Nein, die Kinder müssen nur von hier weg und zwar schnellstens. Verdammt, eine Seuche ... eine neue rätselhafte Seuche!“ stammelte er flatternd am ganzen Körper. „Scheiße, Scheiße, Scheiße ...“
„Scheiße sagt man nich. Auch wenn man Schiss hat!“ erklärte ihm Tobias und zog dabei den Schnodder in der Nase hoch.
„Tobias!“ gemahnte ihn Margrit und Chan-Jao reichte ihm ein Taschentuch.
„Ja, aber ... was soll ich denn jetzt machen?“ Christian schaute sich nach allen Seiten um. „Mike ist doch längst fort! Und nicht nur der .. einfach alle!“ stöhnte er hilflos weiter. „Ach, ihr verschwindet jetzt von hier! Habt ihr verstanden!“ brüllte der Spinnenwachmann die Kleinen einfach an.
Diese nickten ein wenig verwirrt mit großen Augen dazu.
„Ganz ruhig bleiben“, wisperte Margrit abermals, „gaanz ruhig! Wir packen erst mal unsere Sachen ...“
„Okay!“ ächzte der Wachmann. Ach, ihm war jetzt alles egal, Hauptsache er kam ohne Streit von hier weg, denn verärgern wollte er sich mit den Maden nicht, zumal er wusste, dass Margrit eine ziemliche Tratschtante sein konnte.
„Und erst dann ...“, Margrit machte jetzt sogar eine kleine, boshafte Pause und der Wachmann schwitzte deshalb noch mehr, „... gehen wir!“
„Ja, bitte geht!“ quietschte Christian. Komisch er hatte plötzlich einen völlig trockenen Hals!
Margrit war deswegen so gelassen, weil ihr inzwischen der Grund für die entsetzlichen Eiterblasen und das plötzliche Fieber der Kinder eingefallen war. Oh, wie listig von Oworlotep. Er war wirklich ein schlaues Kerlchen! Wie mochte es wohl inzwischen Mike ergehen, he, he? Oder hatte der womöglich weniger als die Kinder von diesem Extrakt zu sich genommen und daher noch keinen solchen Durst?
„Die Kinder müssen von hier weg!“ Christian hatte endlich seinen Ärmel aus Margrits Fingern entwunden und daher versuchte er, das ganze etwas sachlicher zu klären:. „Sie sind krank ... sterbenskraaaank!“ Überfiel ihn leider schon wieder heftige Panik.
„Ohne Sch ...? Äh, ich meine ... sind wir jetzt echt ... äh ... sterbenskrank?“ krächzte Tobias erschrocken und Julchen verzog dabei gleich den Mund um laut loszuweinen. Sie hatten inzwischen auch noch knallrote Gesichter und zitterten noch wilder vor sich hin.
„Tobias, frag nicht so viel dummes Zeug!“ rief Margrit übernervös, denn ein bisschen Angst um die Kleinen hatte sie schon und dann versicherte sie Christian: “Keine Sorge wir nehmen die Kinder sofort mit!“ Sie hatte große Mühe, nicht in lauten Jubel auszubrechen, als sie mit scharfer Stimme anordnete: „Los Tobias, Julchen, steht nicht so rum! Packt endlich eure Sachen!“
„B .. bist du verrückt?“ krächzte Chan-Jao deshalb erschrocken. „Siehst doch, wie die Kinder aussehen! Diese entsetzliche Krankheit ist für die Maden bestimmt genauso ansteckend wie für die Spinnen!“
„Da hat er Recht!“ Christian tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. „Soll ich nicht doch lieber jemand herschicken, der diese Kinder einfach ... ab ... also so ein bisschen ... murkst?“
„Nein!“ fauchte Margrit. “Du Mörder!“
„Huhuuuh, wir wollen nich gemurkst sein!“ schluchzten Julchen und Tobias plötzlich los.
Munk schaute verdrießlich von einem zum anderen, Was war nur plötzlich los?
„Margrit, du bist verrückt ... du bist ja so verrückt!“ jammerte Chan-Jao fast ebenso laut.
Da setzte sich Munk hin und fing ebenfalls an laut zu maunzen.
Der Wachposten nahm jetzt einfach Reißaus.
Daher konnte Margrit laut sagen. „Es ist nichts Schlimmes Julchen, Tobias ... und auch nicht ansteckend, Chan und du bist endlich ruhig Munk!“
Sofort herrschte völlige Stille.
„Ja, das sagst DU!“ bemängelte Chan trotzdem, wenngleich in einer etwas leiseren Tonlage. „Aber bist du denn Arzt?“
Auch Margrit fragte sich, ob sie nicht inzwischen zu großes Vertrauen zu Oworlotep bekommen hatte.
Die wenigen Habseligkeiten hatten sich die Kinder schnell unter den Arm geklemmt und dann waren sie auch schon aus den düsteren Tunnelgewölben hinaus. Munk folgte ihnen wie ein Hund.
Oben im Tageslicht atmeten alle vier erst einmal tief durch. Ach, war die Abendsonne herrlich!
Nur Chan-Jao konnte dem allen nichts Herrliches abgewinnen. Was war, wenn er sich schon längst angesteckt hatte? Immer wieder überprüfte er deshalb mit dem Finger, ob schon Blasen auf seiner Zunge sprossen.
Schließlich quälte die Angst, Oworlotep könne Margrit angelogen und in Wahrheit den Tod ihrer Kinder geplant haben, Margrit doch sehr, denn allzu tief saßen noch schrecklichste Erinnerungen in ihrer Seele, welche sie in den vielen Jahren seit der Besetzung der Erde hören und auch selber erleben hatte müssen.
Aber immer, sobald sie nur auf ihre Kinder blickte, wie die – inzwischen schon wieder eifrig miteinander schnatternd und herumalbernd – hinter ihr im Jambuto saßen, mit Munk auf dem Schoß, der laut und selig vor sich hin schnurrte, war Margrit doch froh, die Kleinen so schnell und leicht zurück bekommen zu haben. Alles andere, das hoffte sie inständig, würde sich doch noch irgendwie regeln lassen.
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„Nein, Margrit“, sagte Chan-Jao wenig später, „auch wenn wir beide bereits infiziert sein sollten, so krank kannst du die Kinder nicht bei uns Maden unterbringen. Ich muss zumindest Martin zuvor Bescheid geben.“
„Na, der wird sicherlich nicht zustimmen. Sollen die Kinder dann draußen erfrieren?“
„Das werden sie nicht. Kommen sie halt auch erst mal unter Quarantäne ... sofern sie bis dahin noch leben sollten!“ fügte er zähneknirschend hinzu.
„Die werden bis dahin leben, denn sieh mal, sie können schon wieder lachen! Aber ich denke, mein ehemaliges Quartier ist längst wieder als Lagerraum genutzt worden?“
„Ja, und? Uns wird schon etwas einfallen!“
„Nein, ich will nicht karantel sein!“ schluchzte Julchen plötzlich los, die gerade das mitbekommen hatte. “Denn das tut bestümmt ganz doll weh!“
„Schlappschwanz, bääh!“ konterte Tobias und streckte dabei zu Julchen gewand die Zunge hinaus. “Ich hab keine Angst, siehste!“
„Selber Schnappschwanz ... und auch bäääh!“ Julchen streckte ihre kleine Zunge noch weiter raus als Tobias und Munk tat es den Kindern nach, indem er nach allen Seiten fauchte.
„Nanu?“ riefen Chan-Jao und Margit fast wie aus einem Munde.
„Wie ... wie fühlt ihr euch?“ fragte Margrit etwas zögerlich.
„Sehr gut!“ piepste Julchen und Munk hörte auf zu fauchen, denn er hatte jetzt keine Lust mehr!
„Ich fühl mich auch gut, ganz ohne Sch ...!“ bestätigte ebenso Tobias. „He, warum fragt ihr?“
Erleichtert fielen Margrit und ganz besonders Chan-Jao in ihre Sitze zurück - Munk nicht, der blieb mit verdrießlicher Miene aufrecht sitzen.
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Nach einem Weilchen holte Margrit sehr zu Munks Enttäuschung einfach den Beutel vom Rücksitz,
zu dem er gerade hatte klettern wollen und schon hielt sie die Tube in ihrer Hand. Tobias war nun doch so ein bisschen stolz, Margrit zeigen zu können, wie man die komische Pasta daraus hervorpressen konnte.
“Gott, riecht die guuuut“, ächzte Margrit wenig später. Sie war davon wie berauscht und spritzte sich sogar etwas davon auf den Zeigefinger.
„Ein geradezu teuflisches Zeug!“ stöhnte auch Chan-Jao, weil der Duft bis zu ihm hin gedrungen war. „Was die Hajeps aber auch alles erfinden. Verschließt das Ding nur ja wieder schnell! Sonst mache ich hier noch einen Unfall!“
Margrit war, nachdem sie gehorcht hatte, trotzdem noch ganz schwummerig. „Wie unheimlich!“ ächzte sie und wischte das gelbliche Zeug - wenn auch irgendwie ungern - mit dem Taschentuch von ihrem Finger. „Das ist also der Rausch, den mir Oworlotep damals hatte andeuten wollen. Ich denke, dieses Mittel dient wieder mal der Kriegsführung. Der Feind wird durch diesen unwiderstehlichen Duft verlockt, sich dieser Paste zu bedienen, ob er nun Appetit darauf hat oder nicht und wenig später gerät er in Panik, weil er meint, auf das Schlimmste erkrankt zu sein.“
„Könnte sein“, meinte Chan-Jao und fuhr dabei den Jambo auf die große, breite Hauptstraße. “Und du meinst, deine Kinder haben vorhin davon genascht und nur deswegen diese komischen Eiterblasen bekommen?“
„Das meine ich nicht nur - Munk hör endlich mit dem Geschmuse auf, kriegst ja doch nichts davon ab! - das war es ganz bestimmt!“
„Und warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Ich hätte mich dann bestimmt viel weniger aufgeregt!“ Chan-Jaos Stimme klang richtig vorwurfsvoll.
„Hat eben einen Weilchen gedauert, bis es bei mir ´Klick´ gemacht hat“, entschuldigte sich Margrit. “Hab halt auch nur Nerv ... nein, Munk, die Tube bleibt zu! He, ich denke mir mal, dass die Hajeps sogar völlig verschiedene Mittelchen parat haben werden! Das hier hat wohl die geringsten Nebenwirkungen und ist daher auch für Kinder geeignet“
„Hmm, meinst du wirklich, dass Hajeps so ´ne Sachen bei sich haben, die jeweils andere Krankheitssymptome aufzeigen?“
„Ein paar schon, könnte ich mir so denken!“ sinnierte Margrit weiter. „Wenn Hajeps gefangen genommen worden sind, weil man sie vielleicht später verhören will, bekommt man Angst, sich bei ihnen anzustecken, wenn sie zuvor heimlich irgendeines dieser Mittel genommen haben.“
„Was ist verhören, Mamms?“
„Manchmal so etwas wie Folter!“ brummte Chan-Jao, fuhr den Jambuto in eine Kurve und alle mussten sich festhalten.
„Und was ist Folter?“
„Ach, Tobias, frag nicht so viel!“ erwiderte Margrit traurig. „In welcher Richtung liegt doch gleich Zarakuma, Chan?“
„Du fragst ja auch!“ empörte sich Tobias.
„Dort im Süden!“ Chan-Jao wies dabei nach hinten.
Margrit wendete sich um, schaute in diese Richtung, küsste sich schließlich in die Handfläche und dann pustete sie darüber nach dort wo Zarakuma lag. “Danke dir Owi! “ flüsterte sie dabei und lächelte.
„Wer ist denn Owi?“ fragte Julchen neugierig .
„Jule, man fragt nicht!“ gemahnte Tobias seine kleine Schwester..
Und so hörten die Kinder schweigend zu, wie Margrit weitersprach. „Sicher hast du dir das mit mir und den Kindern anders gedacht, nicht wahr?“ Margrit gluckste in sich hinein. “Aber ich danke dir trotzdem für all das Gute, was du uns geschenkt hast!“ Und schon wehte der nächste Kuss von Margrits Hand nach Zarakuma. „Ich wünsche dir, dass du so schnell wie möglich wieder gesund wirst und dass du ...“
„Du bist leichtsinnig, Margrit!“ schimpfte jetzt Chan-Jao.
„Leichtsinnig?“ ächzte sie erschrocken.
„Ja, denn wie kann man einem Hajep wünschen, dass er wieder gesund wird!“ Aber dann lachte er plötzlich los und alle anderen freuten sich mit ihm - bis auf Munk, denn Margrit hatte die Tasche mit der leckeren Tube nicht nur einfach auf ihrem Schoß behalten, sie hielt sie auch noch oben zu.
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„Hm, Margrit, das ist wirklich ganz großartig, dass sie Wort halten!“ Günther Arendt betrachtete kurz danach sehr glücklich die komische Tube in seiner Hand. Er hatte sich extra wegen Margrit zu den Spinnen begeben.
Margrit krauste die Stirn. Sollte sie ihn warnen? Günther Arendt einfach auf die komischen Folgen dieses Sprays aufmerksam machen? Aber dann würde er ihr ganz gewiss nicht mehr erlauben, die Kinder bei den Maden einzuquartieren. Wie also konnte sie ihm das mit den fürchterlichen Entzündungen am besten klar machen ohne dabei der Verlierer zu sein?
„Also das mit diesem Spray ... hm ... hm .... die Sache hat einen kleinen Haken“, begann sie daher etwas zögerlich.
„Wo?“ Er begutachtete die Tube nochmals gründlich. „Ich sehe daran gar keinen? Nur so ein reißverschlussähnliches Gebilde an der einen Seite!“
Margrit lachte. “Nein, dergleichen meinte ich damit nicht!“ Doch insgeheim plagten sie Gewissensbisse. Eigentlich war das reichlich verantwortungslos, was sie da vorhatte. Denn wer wusste schon, wie sich das Mittel bei anderen Personen auswirkte. „Ach“, sagte sie daher matt, „geben Sie mir die Tube doch lieber zurück“, Margrit streckte die Hand danach aus, „denn ich habe es mir inzwischen anders überlegt!“
Er blickte kurz in ihre geöffnete Handfläche und dann in dieses jugendfrische Gesicht und meinte zu erahnen, weshalb sie sich das noch mal überlegt hatte. Sicher wollte sie damit später immer wieder aufs Neue ihre Zellen auffrischen.
„Nein, nein, meine liebe Margrit.“ Schnell versteckte er die Tube hinter seinem Rücken. „Sie brauchen mir nicht viel zu erklären.“ Er schüttelte begütigend seinen Kopf. „Ich behalte das Zeugs, okay? Und sie dürfen die Kinder bei uns einquartieren! Habe das hiermit hoch und heilig versprochen!“
Offensichtlich hatte Martin Günther Arendt noch nicht informieren können oder Chan-Jao hatte Martin noch gar nicht erreicht oder aber Chan-Jao hatte einfach gar nichts mehr davon weiter verraten.
„Danke!“ sagte Margrit nun doch zutiefst erleichtert.
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Als Günther Arendt meinte, sich endlich alleine zu wissen, holte er das Spray hervor. Welches waren wohl die verfaltetsten Stellen in seinem Gesicht? Schon hatte er Stirn und Augen damit besprayt. Komisch, roch irgendwie lecker das Zeugs! Er konnte nicht umhin, sich auch noch seine wenigen Zähne damit einzusprayen.
Nachdem er wie immer vor dem Schlafengehen geduscht und ein schönes Glas Wein genossen hatte, starrte er jedoch erschrocken in den Spiegel. Oh nein, auf seiner Stirn sprossen lauter dicke, eitrige Blasen und aus den Augen konnte er kaum noch gucken, weil die ebenfalls von gelben, entzündeten Quaddeln umgeben waren. Selbst auf der Nase wuchsen dicke, kleine Bläschen. Er öffnete den Mund – oh, Gott! Die Zähne waren dicht von Eiterherden umgeben, der ganze Gaumen brannte schmerzhaft. Puh, war ihm plötzlich heiß! Zudem quälte ihn ein heftiger Schüttelfrost.
Sofort rief er seinen besten Freund an. Mike meldete sich und schien ebenfalls ziemlich aufgeregt zu sein. Auch er war nach seinem Disput mit den Bauern gerade nach Hause gekommen und hatte seinen brennenden Durst gelöscht. Beide konnten gar nicht abwarten, ihr Problem zu schildern, denn auch Mike hatte gerade einen Spiegel vor Augen und betrachtete die grässlichen Folgen seiner Naschsucht.
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„Nein“, brüllte wenig später Günther Arendt durchs Telefon Margrit an. „Die Kinder kommen mir nicht zu den Maden hinunter. Zu keiner Organisation mehr- sollen sie sonst wo bleiben!“
Er hatte Margrit gar nicht zu Wort kommen lassen und so hatte sie ihm gar nicht mehr erklären können, dass diese sonderbaren Erscheinungen sich schon sehr bald wieder legen würden
„Wortbrecher!“ empörte sich Renate, nachdem ihr Margrit alles geschildert hatte. „Aber weißt du was? Günther Arendt kommt hier so selten vorbei, da würde ich dann immer mit den Kindern verschwinden und erst wieder zurückkommen, wenn er fort ist. Weißt du, wir alle halten hier zusammen, und ich würde mir die Augen ausweinen, wenn ich meine kleine Tochter nicht mehr bei mir haben dürfte. Ich kann dich ja so verstehen! Es muss grässlich gewesen sein, was du schon so lange hast aushalten müssen! He, er wird kein Sterbenswörtchen von uns über deine Kinder erfahren. Martin und Chan-Jao werden Rita ich schon noch überreden können. Wäre ja noch gelachter, ha! Nur bei Eberhardt müssen wir ein bisschen aufpassen – nicht nur weil der die größten Stücke von Günther hält, auch weil der immer so geschwätzig ist.“
Renate und Rita waren wirklich treue Freundinnen, noch am selben Abend zogen die Kinder bei den Maden ein. Alles schaute belustigt zu, wie die halb verhungerten Kleinen das Brot in sich hineinstopften, das Paul noch schnell gemeinsam mit Karlchen aus den Speisekammern zusammen getragen hatte. Immer wieder drückten sie dabei ganz doll ihre Mama, und schließlich schliefen sie frisch gewaschen und in sauberer Kleidung – in der Mitte lag natürlich Munk - auf einer großen Matratze glücklich ein.
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Nur Margrit blieb noch lange wach. Immer wieder musste sie über all das nachdenken, was ihr seit dieser sonderbaren Begegnung mit Oworlotep widerfahren war. Was für eine Position mochte wohl Oworlotep bei seinem Volk haben? War er sehr mächtig? Wenn nicht, weshalb war dann Margrit mit solch einem riesigen Aufgebot für so lange Zeit verfolgt worden? Warum eigentlich hatte ihr Oworlotep soviel Gutes zukommen lassen, wo er doch die Menschen verachtete? Und dann diese schreckliche Entführung von Erkan und Gesine. Das passte so gar nicht zu all dem Guten, was Oworlotep getan hatte. Oh Gott, diese beiden armen Menschen! Was die wohl alles inzwischen in Zarakuma durchmachen mussten? Sie hatte schon oft mit Paul und noch häufiger mit George darüber geredet. Ach, je länger sie über die Hajeps nachdenken musste, um so unklarer wurde sie sich doch über die und das machte sie gar nicht glücklich.
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Da Rita, die noch einige Naturrezepte aus ihrer Familie kannte, immer wieder mit Georges verletzter Hand und auch mit dessen Bein ein Seifenbad machte, heilte beides immer besser ab. So konnte er zwar noch nicht richtig schießen, aber schon ohne Stock laufen. Deshalb war es nicht verwunderlich, das man ihn bald auch wieder für einige Arbeiten einsetzte. Dazu gehörte, gemeinsam mit Martin, Renate und Chan-Jao die Bauern zu beschwichtigen, wenn die sich wieder einmal von den Untergrundkämpfern übervorteilt fühlten. George war ein wahres Talent der eleganten Kommunikation, denn bei niemanden beruhigten sich die erhitzen Gemüter so schnell wie bei ihm.
Aus diesem Grunde hatte er heute auch wieder mitfahren müssen, denn die Lieferung, welche sie Bauer Segebrecht versprochen hatten, war diesmal leider viel zu spärlich ausgefallen. Da die Bauern es sich wegen dem knappen Diesel nicht mehr leisten konnten Fahrzeuge zu besitzen, selbst für Bestellung der Felder nutzten sie jetzt nur Pferde, machten sich die Untergrundkämpfer mit ihren Jambutos für sie nützlich. Sie belieferten die Bauern mit speziellen Gütern, die sie von überall her holten im Austausch für deren Ernten.
George hatte sich deshalb schon während der ganzen Fahrt, einige beruhigende Worte für den Bauern zurecht gelegt, doch wie staunte er, als der Bauer mit seinen Knechten, die ebenfalls bewaffnet waren, wenn auch einige nur mit Knüppeln und Mistgabeln, zornesrot bereits am Tor dem Jambuto entgegen eilte.
„Los, wir machen kehrt!“ rief Chan-Jao erschrocken. “Jemand muss ihm verraten haben, dass wir viel zu wenig von dem Zeugs im Wagen haben.“
Er hatte nicht Unrecht, manchmal war es wirklich das Beste, gleich wieder zu verschwinden. Hatte man nicht oft genug von schlimmsten Gräueltaten aufgebrachter Bauern an vereinzelten Untergrundkämpfern gehört? Guerillas waren derzeit nicht gerade sehr beliebt. Außerdem waren sie viel weniger Leute. Der Bauer hatte wohl einige Männer eigens für diesen Kampf aus den naheliegenden Dörfern herbeigeholt. George wusste nur zu gut: Unrecht hatte der Bauer nicht, denn fast die ganze Kohlrübenernte hatte er bereits an die Maden an die Maden abgetreten. Sie hatten viel zu wenige Güter von Pommi erhandeln können. Doch als Martin nach rückwärts ausweichen wollte, sah er, dass dort bereits noch weitere Leute standen. George kurbelte die Scheibe hinab und mühte sich, einen möglichst arglosen Gesichtsausdruck der aufgebrachten Meute zu zeigen.
„Was ist los?“ fragte er freundlich und schaute sich dabei nach allen Seiten um.
Mit langsamen Schritten näherte sich Hannes Segebrecht dem Jambuto. Unter dem Fenster blieb er mit blitzenden Augen stehen, das Gewehr in den Fäusten haltend. „Hier in der Nähe, dicht bei Reichenberg, sind räuberi¬sche Horden unterwegs. Seit uns die Hajeps in Frieden lassen, machen uns komischerweise Menschen das Leben schwer. Und ihr ...“, er holte tief Atem, ehe er weiter sprach, „... seid auch nicht viel anders als die ... ihr raubt uns aus ... ihr ...“
Er brach ab, denn aufgeregt Rufe wurden plötzlich von allen Seiten laut, übertönten ihn völlig. Viele blickten sich dabei nach hinten um. Martin zückte sein Fernrohr und schaute ebenfalls auf das, was sich in der Ferne zeigte. In einer großen Staubwolke preschten mehrere Jambutos über die Hügel.
„Allewetter“, stammelte Martin, „wenn man den Teufel nennt, kommt er gere ...!“ Er brach ab. „Schnell in die Häuser, wir müssen uns verbarrikadieren und Hilfe holen, denn die lassen bestimmt keinen am Leben.
„Oh Gott, sind das viele ... viel zu viele!“ kreischte eine Frau aus der Menge und schwenkte dabei hilflos ihre Mistgabel.
Wenig später kauerten ängstlich Untergrundkämpfer und Bauern Seite an Seite im großen Wohnhaus. „Ich will nichts gegen euch gesagt haben“, stammelte der Bauer immer wieder, als er etwa zehn Jambutos durch die Einfahrt donnern sah, und er schaute dabei dankbar auf die gute Bewaffnung von George, Martin und Chan-Jao. Ja, selbst Renate war besser bewaffnet als manch ein Knecht von ihm.
Schon ging die wilde Schießerei los. Einige der Knechte wurden dabei verletzt und Wolfgang, der leichtsinnig die Deckung verlassen hatte, starb im Kugelhagel. Die Situation wurde immer prekärer, als plötzlich neues Motorengeräusch ertönte. Zum Glück waren es keine weiteren Räuber sondern Mike mit seinen Spinnen, die sich gerade in allernächster Nähe befunden und den Notruf gehört hatten. Zwar kamen sie nur mit fünf Jambutos, aber sie verteilten sich so geschickt, dass sie die Räuber von zwei Seiten in die Zange nehmen konnten. Die erkannten, dass sie hier nichts mehr holen konnten.
„Ha“, brüllte Akim, der Anführer der ´roten Schlange´ beim Rückzug, „wir gehen zwar, aber die Loteken werden kommen!“
Noch als sie heimfuhren diskutierten George, Martin, Mike und alle anderen über diesen letzten Satz, denn dass Loteken in die Gebiete der Hajeps eindringen wollten, machte ihnen irgendwie Sorgen.
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„Jedenfalls war unser Rübenbauer plötzlich ganz zahm und dankbar dafür, dass wir ihm überhaupt etwas mitgebracht hatten“, beendete Chan-Jao den Bericht.
Auch Renate musste lachen. „Ja, so kann`s einem gehen!“
„Trotzdem muss das alles für euch ziemlich entsetzlich gewesen sein!“ entfuhr es Rita mit hochrotem Kopf. Sie war richtig heftig bei Georges, Chan-Jaos und Martins Berichterstattungen mitgegangen. Ja, die ganze Geschichte hatte sie dermaßen aufgeregt, dass sie sogar ins Schwitzen gekommen war. “He, manchmal scheint der wilde Mike aber doch zu etwas nütze zu sein!“ fügte sie noch schnell hinzu.
„Das will ich meinen!“ erklärte Martin breit grinsend und alle, die hier um die Tische herum saßen lachten lauthals auf. Und wieder war im großen unterirdischen Speisesaal ein mächtiger Lärm entstanden, denn fast jeder hatte nun über Mike irgendetwas zu berichten, kannte seine Marotten, aber auch dessen großen kämpferischen Qualitäten. Wegen diesen hatte Günther auch Mike als Oberhaupt der Spinnen vorgeschlagen.
Margrit behagte es nicht so sehr, dass hier plötzlich von allen Seiten Mikes großartiges Durchsetzungsvermögen, seine wilde Entschlossenheit und sogar seine Rigorosität lobend hervorgehoben wurden. Allzu sehr hatte sie noch jenes Erlebnis in Erinnerung, als sie ihm vor der unterirdischen Behausungen begegnet war – und zwar ganz alleine. Er hatte sie, als sie mit einem knappen Gruß an ihm vorbei wollte, mit einem Male an ihrem inzwischen schulterlangem Haar gepackt und ihr zugezischelt: „Endlich erwisch ich dich, du kleine Hexe! Hast ja ganz schönen Schabernack mit Günther und mir gemacht! He, he, ich möchte nicht Mäuslein sein, ob du inzwi¬schen trotzdem deine garstigen Rangen bei den Maden angesiedelt hast! Na, komm schon, verrat es dem lieben guten Mike.“ Und er hatte sie dabei an den Haaren nach hinten gezerrt. „Du Glucke, du hast sie da unten in den Tunneln versteckt, nicht wahr?“ Dabei hatte er ihren Kopf hin und her gerissen.
Vergeblich hatte sie ihm beteuert, dass die Kleinen bei ihrer Mutter wären und dass er endlich aufhören solle ihr weh zu tun.
„Ach, das ist ja alles gar nicht wahr!“ hatte er nur hämisch grinsend geantwortet „Margrit, tzizziss ... du lügst viel zu schlecht! He, du kannst ja jetzt um Hilfe rufen! “ Und dann hatte er sie wieder so kräftig an ihren Haaren gezogen, dass sie vor Schmerzen vor ihm in die Knie gegangen war. „Aber du hast ja Angst ... Angst“, hatte er ihr trotzdem weiter zugezischelt, „Angst, dass du dich dann verplappern würdest, dass dann jeder erfahren könnte von unserem etwas heiklen Gesprächsthema, nicht wahr?“
Leise stöhnend hatte sie sich wieder aufgerichtet und ihn gefragt, was er eigentlich von ihr wolle!
„Gar nichts!“ hatte er nur mit kleinen, schmalen Augen erwidert. „Wollte dir nur mitteilen, dass du mich meiner Arbeitskräfte beraubt hast, denn jeder braucht heutzutage Kohle und deine Rotznasen waren hübsch klein, gerade groß genug für unsere schmalen Stollen. Außerdem haben wir jetzt niemanden, der durch diesen neuen Tunnel bis nach Zarakuma vordringen könnte. Kurz, du hast es gewagt, mir mit einem fiesen Trick die Arbeit von Wochen zunichte zu machen! Sobald ich beweisen kann, dass die Kinder hier sind, dann hole ich mir persönlich deine Gören und nicht nur die ...“, er griff dabei mit spitzen Fingern nach Margrits Kinn, „... auch dich!“ knurrte er lustvoll und wollte ihr dreist einen Kuss auf den Mund drücken. Da gab ihm Margrit in ihrer Ver¬zweiflung eine solch kräftige Ohrfeige, dass er vor Schreck auch ihre Haare losließ. Schnell sprang sie ihm davon. “Das wirst du mir büßen, wenn ich dich geholt habe!“ hatte er ihr hinterher gebrüllt. Von diesem schrecklichen Erlebnis hatte Margrit niemandem erzählt, aber es war ihr tief in Erinnerung geblieben.
Immer noch brodelte es im ganzen Saal unruhig und die Anekdoten über Mike und seine eigenartige Schar wollten nicht abreißen. Vieles wurde dabei schöngeredet, wie Margrit fand, und sie war daher ziemlich enttäuscht über den plötzlichen Meinungswandel der Maden.
Selbst Julchen, die nur einige Wortfetzen mitgekriegt und wohl auch verstanden hatte, schob schließlich den kaum leer gelöffelten Teller von sich fort und Tobias hatte den seinigen mit der Hühnersuppe bereits nach unten auf den Fußboden gestellt, somit an Munk weiter gereicht, der dort schon auf Häppchen gewartet hatte und sich auch heißhungrig über die Suppe her machte.
„Ist dir nicht gut, Margrit?“ fragte George, der diesmal an Margrits Seite saß und bemerkt hatte, dass sie immer langsamer ihre Suppe auslöffelte je länger sie zuhörte.
„Ich finde dieses Gesprächsthema nur schrecklich“, entgegnete sie. „Können wir nicht mal über etwas anderes sprechen?“
George grinste nun doch etwas genervt. „Du meine Güte, lass` sie doch jubeln! Haben doch sonst nichts zu lachen! Guck, selbst Renate kann sich darüber amüsieren! He, und Paul zu meiner linken der schüttet sich sogar vor Lachen aus.“
„Weder Paul noch Renate haben solche Dinge mit Mike erlebt wie ich, George!“
„Ja, ich weiß du hast IMMER das Allerschlimmste erlebt, Margrit!“ George schraubte genervt die Augen nach oben und seufzte. „Aber glaube mir mal, Renate hat auch schon so einiges durchgemacht, vielleicht nicht gerade mit Mike, aber leicht hatte DIE es ganz gewiss nicht und die reißt sich hier zusammen!“
Margrit schaute weg, sah lieber dem Kater beim Fressen zu. Ach, sie wusste eigentlich auch nicht so recht, was mit ihr los war. Lag es vielleicht daran, dass man noch immer nichts von ihrer Mutter gehört hatte? Konnte Muttsch tot sein? Sie schluckte und kämpfte mit den Tränen.
„Verdammt, Margrit, wir sind eine Gemeinschaft!“ George legte seine Hand auf Margrits zitterige Finger. „Und in solch einer Gemeinschaft darf jeder Mal von uns dran sein, gelobt zu werden, wenn er das wirklich verdient hat. Und Mike hat das nun mal heute verdient! Er hat wirklich hervorragend gekämpft!“
„Aber doch nicht nur ER, seine Leute schließlich auch!“ Margrit betupfte sich zornig die Lippen mit ihrem Taschentuch, denn Servietten waren Luxus. “Und die werden dabei kaum erwähnt!“
„Aber er hat für sie alle gedacht! Ich verdanke ihm mein Leben! He, dass das gut war, musst auch du zugeben, Margrit, selbst wenn du ihn nicht leiden kannst!“
„Und deshalb soll alles andere, was Mike bisher getan hat, plötzlich vergeben und vergessen sein? Nee, George nicht bei mir!“ Margrit war zornig aufgesprungen und schob nun ihren Stuhl zurück an den Tisch. “Kommt Kinder, wir gehen!“ befahl sie mit eisiger Stimme.
Julchen bückte sich sofort, hob den rülpsenden Munk hoch, klemmte sich diesen unter den Arm und der lies dies geduldig zu und dann folgte sie Tobias und Margrit.
George schlug verärgert die Arme übereinander und warf sich dabei in den Stuhl zurück.
„He, he, welche Laus ist denn plötzlich Margrit über die Leber gelaufen?“ fragte ihn Paul und wischte sich dabei die Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Man, Eberhardt hat mir vielleicht gerade wieder ein Ding über Mike erzählt ... also ... das kann man fast nicht glauben! He, wenn du willst erzählt er`s dir bestimmt noch mal ...“
„Ja, willst du`s hören, George?“ Eberhardts Augen zwinkerten nun ebenso heiter zu George hinüber.
„Ach, lasst nur gut sein!“ erwiderte George mit nachdenklich gefurchter Stirn. War er wirklich Margrit gegenüber zu streng gewesen? „Irgendwie hab` ich jetzt keine Lust mehr dazu!“
„Sag bloß, du lässt dir von dieser Zimtzicke diesen schönen Abend vermiesen. Nimm`s dir nicht so zu Herzen George!“ versuchte ihn Paul zu trösten. „Was Margrit auch immer zu dir gesagt haben sollte, zu mir ist sie manchmal auch so borstig.“
„Tja, man kriegt manchmal den Eindruck“, erklärte nun auch Eberhardt nachdenklich, „dass ihr die plötzliche Verjüngung zu Kopfe gestiegen ist!“
„Da hat er Recht!“ mischte sich nun auch Rita ein. „Margrit scheint sich wohl inzwischen als etwas Besseres zu fühlen!“
„Ach, das ist doch Unsinn!“ rief nun Renate aufgeregt dazwischen. „Sie ist nur etwas ernster geworden. Es scheint ihr inzwischen so einiges durch den Kopf zu gehen und ...“
„Also, du verteidigst sie aber auch immer“, rief Rita völlig fassungslos, „Bei dir kann sie einfach machen, was sie will!“ Rita schlug jetzt ärgerlich mit der Faust auf den Tisch. “Dabei ist Margrit ständig ein Außenseiter. Ich frage euch, kann sie sich nicht endlich mal anpassen?“
„Du lieber Himmel, was hat sie denn eben großartig Schlimmes gemacht, he?“ konterte Renate ebenso wütend. „Sie ist nur aufgestanden und gegangen ... ja, und? Darf sie das plötzlich nicht?“
„Ja und ... ja und!“ äffte sie Rita nach. „DU sitzt hier freundlich lächelnd mit deinem kleinen Kind auf dem Schoß mitten in diesem Lärm und die schnauzt ihre Kinder plötzlich an und geht!“
Renate öffnete gerade den Mund um wieder etwas zu entgegen, als Paul beschwichtigend mit beiden Händen herumwedelte. „Ich geh mal nach ihr Ausschau halten, bringe Margrit ganz einfach wieder hierher, okay?“ mühte er sich, die erhitzten Gemüter weiter zu beruhigen.
Und dann lief er auch schon durch den Saal, in dem es keineswegs leiser geworden war, Richtung Tür.
"Aber, wenn die Loteken hier plötzlich die Macht ergreifen, wird es dann eigentlich leichter für uns werden?“ hörte er noch Renate Eberhardt fragen.
„Renate, was hast du plötzlich gegen die Loteken? " fragte Eberhardt einfach zurück. „Wenn du dich über die Jisken aufregen würdest, das könnte ich ja noch verstehen, aber bei denen ...“
„Aber, wir wissen doch im Grunde fast gar nichts, weder über die eine noch über die andere Gruppe“, erklärte jetzt auch Rita besorgt.
„Och, ich glaube Chiunatra ist ganz in Ordnung!“ erklärte Bernd.
„Ich glaube auch, dass Loteken im Gegensatz zu den Hajeps ziemlich idealistisch denken“, knurrte Chan-Jao. „Sie wollen zurück zur Natur, habe ich mir sagen lassen. Ist das denn ein Verbrechen?“
„He, wenn Zarakuma eines Tages von Chiunatra erobert werden würde“, Eberhardt strahlte dabei über das ganze Gesicht, „hätten wir vielleicht sogar endlich Frieden!“
"Und woher kommt diese plötzliche Begeisterung für die Loteken?" murmelte George und nahm dabei noch eine Kelle Hühnerbrühe aus jenem Topf, der direkt vor ihm auf einem Brett stand. “Ich für meinen Teil habe immer wieder gehört, dass gerade Loteken die brutalsten und rücksichtslosesten Außerirdischen sind, die wir kennen.“
„Tja, mir sind allerdings auch einige Fälle bekannt, wo gerade Loteken sehr schlimm gewütet haben“, räumte Martin nachdenklich ein.
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„Ach, da bist du ja!“ brummte Paul erleichtert, als er Margrit endlich in der Küche entdeckt hatte.
„Ja, Paul, ich will mich hier ein bisschen nützlich machen!“ Sie schäumte gründlich den großen Suppentopf ein. “Quasi aus einem Schuldkomplex heraus mache ich das jetzt, denn ich habe vorhin zwei Brotscheiben für meine Kinder aus der Speisekammer geräubert, da Julchen und Tobias plötzlich doch wieder Hunger bekommen hatten.“ Sie lachte zynisch. „He, ausgerechnet ich war hier am Klauen! Hast du gehört? Wo ich doch immer dieje¬nige war, die den Kindern tagtäglich eingehämmert hatte, dass sie nur ja nicht ...“ Sie brach ab und wrang dabei den Lappen aus. „Na ja, so ändert man sich wohl!“
„Du hast Recht, schön ist das nicht gerade von dir, vor allem, weil Brot knapp ist! Aber ich habe das hiermit nicht gehört, okay?“
„Sie nickte und nahm sich die Bratpfanne vor.
„Und die Kinder lässt du nun deshalb hinten in den Gängen einfach alleine?“ fragte er mit einem vorwurfsvollen Unterton. „Ich denke, es war dir immer so wichtig, sie in deiner Nähe zu haben?“
„Ach, sie spielen nur gerade mit Munk ´Fang den Ball´ ... na ja, er macht manchmal ´beiß in den Ball´ daraus, aber da kann man nichts machen!“
„Das meinte ich nicht! Ich finde nur, dass du letzter Zeit ziemlich wenig auf sie aufpasst!“
„Ich kann ihnen nicht immer die Hand halten, Paul!“
„Sehr schön zynisch! Warum kannst du nicht auch mal nett sein, Margrit?“
„Bin ich das denn nicht?“ fragte Margrit nun ehrlich erstaunt.
Da kamen auch schon die anderen, jeder mit seinem Geschirr in die Küche. „Hallo, Margrit, bist du denn heute an der Reihe mit abwaschen?“ fragte Renate erstaunt und legte ihren Löffel und den Teller ins geräumige Waschbecken, wo beides zwischen kleinen Schaumkrönchen im Wasser versank. Babette, eine kraushaarige Mulattin, schaute besonders gelangweilt und nasepopelnd zu. Sie war heute eigentlich mit dem Abwasch dran, aber bitte, wenn Margrit wollte, ließ sie ihr gerne den Vortritt.
„Och, da ist nichts weiter, als dass sich unsere Margrit nur wieder in den Vordergrund spielen möchte!“ erklärte Rita und ließ gleichsam ihren Teller ins Abwaschwasser rutschen und stellte noch eine Tasse dazu.
„Och, das kann sie doch ruhig“, meinte Babette schief grinsend.
„Kommt überhaupt nicht in Frage!“ erklärte Martin, der gleich das gesamte Geschirr seiner Freunde in den Händen hielt. „Bitte Margrit, du bringst unseren Plan hier nicht durcheinander, weil ...“
„He, he, Leute … los!“ wurde er plötzlich von weit hinten unterbrochen.
Alles schaute sich verdutzt um.
„Kommt! Schnell!“ Chan-Jao steckte den hochroten Kopf zur Tür hinein. “Oh, ooooouh!“ ächzte er. „Gott ... Mann! Nun guckt doch alle nicht so deppert, kommt lieber!“ Chan-Jao schien ganz außer sich zu sein, oder was war hier plötzlich los? „Also, das müsst ihr mit eigenen Augen sehen!“ schnaufte er weiter völlig hirnrissig.
„Moment!“ knurrte Martin. „Atme erste einmal tief durch und dann sagst du uns in aller Ruhe, was eigentlich passiert ist, okay?“
„In aller Ruhe?“ ächzte Chan-Jao.
„Sehr, richtig!“ brummte auch Paul.
Chan-Jao riss sich also zusammen und sagte dann ganz langsam und superdeutlich: “Stellt euch vor, Erkan und Gesine sind gerade wiedergekommen!“
„Neiiiiin!“ kreischte alles laut auf.
„Doch, doch! Die beiden haben gestern beim Seppel – na, ihr wisst doch, das ist der Grott, unser neuer Kohlbauer- gepennt ... äh übernachtet, nachdem sie Diguindi dort abgesetzt hatte und Sepp Grott hat dann Adrian Bescheid gegeben, als der gerade Richtung Randersacker unterwegs gewesen ist und .....“
„Moment, Moment! Ein Diguindi hat also unsere Gesine und den Erkan ...?“ Martin beleckte sich vor Aufregung die Lippen. “Nein, das kann ich nicht richtig verstanden haben!“
Der letzte Satz Martins war allerdings bereits nicht mehr gehört worden. Unter lautem Jubel hatten sich die Guerillas an ihm vorbeigedrängt, allen voran George, und liefen nun Chan-Jao hinterher, der in einem fort lachte und dabei fassungslos den Kopf den schüttelte.
„He ... he-eh? Wo geht`s denn jetzt hin, Chan?“ rief ihm Martin darum hinterher. Doch er musste seine Frage bei diesem Lärm immerzu wiederholen. Schließlich gab er es auf, setzte sich ebenfalls in Bewegung.
Paul wollte auch los, doch Margrit hielt ihn beim Ärmel. „Oh Gott, Paul, kann man denn so etwas Verrücktes glauben?“
„Werden wir ja sehen! Los komm!“ meinte er nur.
So folgte ihm Margrit mit skeptischer Miene. Aha, die Maden hatten sich also im Salon versammelt, denn man hörte schon von weitem den beträchtlichen Lärm, da wohl die Türe offen geblieben war.
Mann, war da vielleicht ein Jubel! Margrit staunte, je näher sie kam. Aber zwischendurch wurde es auch wieder ganz still. Also erzählten die Heimkehrer schon so einiges. Dabei mussten ihre Berichte wohl ziemlich seltsam für die Umstehenden klingen, denn Margrit meinte, ab und an verdutzte Ausrufe zu hören. Manch einer lachte jetzt sogar völlig hirnrissig los, und nun tönten sogar Pfiffe immer wieder dazwischen, während ziemlich aufgeregt weiter berichtet wurde.
Seltsamerweise erschien es Margrit, als wäre es nur die Stimme von Erkan, die sie dabei heraushören würde. Das hätte sie nicht weiter gewundert, wenn sie der Meinung gewesen wäre, dass Gesine eine Schweigsame Natur besäße. Aber gerade deren Mundwerk pflegte in letzter Zeit selten still zu stehen, besonders dann nicht, wenn sie etwas Aufregendes erlebt hatte.
Also schob sich Margrit dicht an die Menge heran, um an den Schultern vorbei und nach vorne zu blicken. Es war hier so voll, dass man auch noch im Türrahmen dicht gedrängt stehen musste und so hatte Margrit keine Übersicht.
Paul war geschickter als Margrit gewesen und schob sich gerade tiefer in den Saal hinein.
„Wo steht hier Gesine?“ fragte Margrit darum Eberhardt, der sich genau vor ihr befand und einen langen Hals machte wie sie, wohl um die beiden Heinkehrer in der Menge zu entdecken.
Er zuckte genervt die Schultern. „Na ja, Gesine kam in einem nicht gerade sehr guten Zustand zu uns zurück, hat getaumelt, sich in ihre Kammer zurückgezogen und bis jetzt niemanden zu sich gelassen."
„UND?" Margrits Augen bekamen einen entsetzten Ausdruck.
„Na ja, sie weint pausenlos, will mit niemandem sprechen, hat irgendwie einen Nervenzusammenbruch oder so ... hm ... war ja schon immer ein wenig hysterisch!"
„Sie hat einen ... einen Nervenzusammenbruch?" schnaufte Margrit entgeistert.
Er nickte.
„Na, IHR seid mir vielleicht gut!" brüllte sie aufgebracht. "Ja, sagt mal, spinnt ihr denn alle inzwischen? Habt ihr so wenig Interesse aneinander? Seht ihr jetzt nur noch euch selber? Da lassen wir hier Erkan stundenlang quasseln, debattieren hier wüst herum und niemand kümmert sich um Gesine! Wer weiß, was mit ihr geschehen ist, was die Hajeps mit ihr angestellt haben?"