Kapitel 3
„Aber die Mama ...“, Julchen holte erst einmal tief Atem, denn sie war ganz erschöpft vom vielen Laufen, „... diiie finden wir doch bald, stümms?“
„Ganz ohne Scheiß, Jule!“ Tobias zog den Schnodder in der Nase hoch, wie immer, wenn er nervös war und dann blieb er einfach stehen, scheinbar um sich zu verschnaufen, in Wahrheit jedoch, weil er meinte sich verlaufen zu haben. Er stellte sich auf die Zehen, um etwas größer zu sein, schaute, dabei die hellen, blauen Augen zu zwei kleinen Spalten zusammen gekniffen, verzweifelt nach allen Seiten in die Ferne. Konnte es doch keine so gute Idee gewesen, einfach ohne irgendeinen Plan abzuhauen?
Aber die Gelegenheit war doch so günstig gewesen. Herbert war nämlich, nachdem diesem etwas golden Schimmerndes im Gestein des Schachtes, in welchem sie zuletzt gearbeitet hatten, aufgefallen war und er wie wild danach gehackt hatte, ein schwerer Brocken auf den Fuß gekracht.
„Hole Hilfe!“ hatte der Aufseher noch Tobias zugerufen. Tobias war natürlich gleich losgerannt, jedoch nicht nach draußen, sondern in einen der niedrigen Schächte nebenan, hatte seine erstaunte Schwester beim Arm genommen und war mit ihr auf und davon.
Die paar Scheiben trockenen Brotes vom Vortag, welche sie wegen fleißigen Arbeitens diesmal zusätzlich zur täglichen Mehlklumpensuppe erhalten hatten, waren schon lange aufgezehrt. Gewissensbisse, den armen Herbert gestern Mittag hilflos zurückgelassen zu haben, überkamen die beiden Kinder nicht. Die dicken Blutergüsse und Striemen auf dem Rücken, an Armen und Beinen waren den Kindern Erinnerung an Herbert genug.
Gut funktionierende Handys waren derzeit eine Seltenheit, denn die Sendemasten waren ja fast alle von den Hajeps zerstört worden und in diesem Falle konnte man sagen: zum Glück!
Herbert lag also womöglich immer noch dort, aber das konnte ja eigentlich kaum sein, denn zum Abendbrot dürfte man ihn spätestens vermisst haben. Und dieser Gedanke sorgte nun die beiden Kinder. Waren einige Leute aus der Untergrundorganisation der Spinnen inzwischen schon nach ihnen auf der Suche?
„Öh, da hinten is´ glaub ich endlich Würzburg“, krächzte Tobias und gab dabei seiner Stimme eine zuversichtliche Tonlage, obwohl es in seinen Augen bereits ein bisschen feucht schimmerte. „Wir müssen nur immer weiter gerade aus.“
„Und ... daaah is die Mama, stümms?“ Julchen forschte skeptisch in seinem blassen Gesicht.
Tobias schluckte und wischte sich mit dem Handrücken verstohlen über die Nase. „Ja! Hat sie uns doch gesagt!“ knurrte er. „Die sammelt dort noch ein paar Sachen ein, welche die Menschen zurück gelassen haben und bringt sie zu ... äh ... na, wie heißt der doch?“ Tobias kratzte sich nachdenklich in seinem struwweligen Haar.
„Ich weiß es, ich weiß es!“ trällerte Julchen stolz,
„Na, sag`s!”
„Tomatenmaxe!“
„Stümmt!“ keuchte er verblüfft und dann fügte er anerkennend hinzu. „Jule, da hast du mal aufgepasst!“
„Danke!“ kicherte Julchen stolz. „Und die Mama, diiie bringt uns dann zu den Maden, stümms?“
„Stümmt!“ Er versuchte dabei den misstrauischen Ausdruck aus seinem Gesicht zu verbannen, denn es war ihnen beiden eigentlich klar, dass die Untergrundorganisation der Maden keine Kinder beherbergen wollte. Deswegen war ja die Mama auch unterwegs, um nicht nur die Spinnen, sondern später auch die Maden mit wertvol¬len Sachen zu bestechen.
Scheiße nur, dass die Oma nicht da is!“ schnaufte er, gab sich einen Ruck und lief vorne weg, denn er meinte nun tatsächlich auf der linken Seite am Horizont – Scherenschnitten gleich – die Silhouetten einiger höherer Häuser zu erkennen.
„Und der Munk!“ setzte Julchen jetzt hinzu. „ Dass der nich da is ... daaas is auch traurig!“ Sie schüttelte dabei den kleinen, blonden Lockenkopf und stolperte ihm hinterdrein.
„Eh, warum?“ fragte er jetzt verwirrt.
„Na, der is doch so klug! Weißt du, weißt du ... wiie der – das war ganz lange her - die Oma gefunden hat?“ Sie lief noch ein kleines bisschen schneller.
„Stümmt!“ Tobias lief ebenfalls schneller, denn vielleicht kamen sie ja noch vor dem Dunkelwerden in Würzburg an. „Ja, die Oma“, keuchte er. „Aber die is doll krank, ganz ohne Scheiß! Die hätt` den Weg nich mehr geschafft, nee!“ Er schüttelte nun auch den Kopf.
„Und der Munk, Tobi ... Tobi du-huuu? »
Er seufzte genervt, hörte aber trotzdem nicht auf schneller zu laufen, denn hier zwischen den Wiesen waren sie leider für ihre Verfolger gut sichtbar.
„Der Munk auch nich“, plapperte sie trotzdem weiter und keuchte, „weil ... der is jetzt auch schon seeehr alt, stümms?“
Tobias krauste die Stirn, während er rannte „ Stümmt.“
„Wo is nun der Munk hin?“
„Weiß ich nich, Plapperliese! Er is eben ein Kater, der Munk!“ Er schaffte es sogar noch beim Laufen sich so ein bisschen in die Brust zu werfen. “Kein Määädchen!“ Er kam nicht umhin Julchen dabei einen flüchtigen, aber geringschätzigen Blick zuzuwerfen, denn es ärgerte ihn, dass sie ihn jetzt eingeholt hatte. „Und Katers gehen immer mal wo hin, ganz ohne Scheiß!“
„Aber Tobi ... du-huuu? »
Er seufzte, als er wieder neben ihr war.
„Is da vorne Würzburg?“
Er nickte und nuckelte dabei an seiner Unterlippe.
Beide Kinder wussten nämlich, dass es dort bis Mittag sehr laut gewesen war. Den Kleinen waren die ungewöhnlichen Geräusche außerirdischer Flugzeuge noch sehr gut in Erinnerung geblieben.
„Aber Jule, aber ... wir müssen durch Würzburg durch, wenn wir zu ...“
„Tomatenmaxe!“ half ihm Julchen.
„Ja, wenn wir zu dem wollen!“ vollendete Tobias stirnrunzelnd seinen Satz. „Durch Würzburg is nämlich der kürzeste Weg zu der ... dieser Tankstelle, ganz ohne Scheiß!“
„G...ganz schön weiter Weg!“ keuchte Julchen und rieb sich die müden Augen, denn sie hatten im feuchten Wald ohne Decken sehr schlecht geschlafen.
„Moment!“ Tobias blieb jetzt erschrocken stehen. “Hörst du das auch Jule?“
„D...das is ein Jambo und ...“
„Mikes Stimme!“ ächzte Tobias entsetzt.
„Iiiiih! Die Spinnen!“ wisperte Julchen. „ W...wwas machen wir jetzt?“
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„Bei Ubeka!“ knurrte Gulmur. „Nun sind uns die gelbhaarige und der schwarzhaarige Lumanti doch wieder entwischt!“ Und er stampfte dabei mit seinem nackten, haarigen Fuß auf den Asphalt der Straße, die sie gerade entlang liefen. “Wir hätten eben doch die gefährlicheren Waffen einsetzen sollen, Boktafton!“
„Mein bester Gulmur, dann wäre aber das Fahrzeug auch futsch gewesen! Ein sterbender Fahrer fährt so ein primitives, menschliches Fortbewegungsmittel meist zu Bruch! Du vergisst immer wieder, wie rückschrittlich diese Spezies ist. Die Fahrzeuge der Lumantis sehen nicht nur sonderbar aus, sie sind auch hochempfindlich und ....“
„Xorr, und was haben wir nun davon? Gar nichts. Diese beiden Menschen leben immer noch, kommen mit diesem Fahrzeug gut voran und wir müssen uns weiterhin zu Fuß abplagen!“
„Gulmur hat Recht!“ meldete sich nun auch Oktikilta. „Ich verstehe das auch nicht, wie die Lumantis es schon wieder schaffen konnten uns zu entkommen!“
„Die sind eben erstaunlich tapfer“, knurrte Boktafton, „geistesgegenwärtig und außerdem hatten wir Pech, weil sie genügend Decken in ihrem Wagen hatten, um damit das Feuer sofort wieder zu löschen. Aber der eine Reifen eierte ziemlich. Wir werden ihnen bestimmt wieder begegnen und ...“
„Ach, mein bester Boktafton und woher willst du das wissen?“ meinte nun auch Xuraduton ziemlich genervt.
„Bist du taub? Dieses eine Auto kann man bei der Stille noch aus weitester Ferne hören und irgendwann einmal halten sie an ... müssen sie anhalten und dann sind wir da und locken sie weg.“
„Pwi, erst mal bis dorthin kommen und xorr, wie willst du das komische Gefährt denn reparieren?“ fauchte jetzt auch noch Nobajapal. “Wir haben keine Ahnung von Menschenautos!“
„Stimmt, bei Ubeka! Hich, Nobajapal, daran habe ich gar nicht gedacht! Aber wir könnten die Lumantis zwingen uns das Auto zu reparieren und später könnte auch einer von ihnen dieses Lieferauto für uns fahren! “
„Ach, bis wir bei denen sind, das dauert alles zu lange. Ich habe eine bessere Idee“, sagte jetzt Xuraduton. “Wie wäre es, wenn wir über unsere Kontaktgräte einfach die Kameraden zur Hilfe holen würden?“
“Bei Anthsorr, sehr gute Idee, Xuraduton, doch dann würden die sich natürlich auch zuerst die Schädel der beiden Lumantis holen und nicht nur das, auch noch die Kostbarste aller Trophäen würden sie uns wegschnappen, den Kopf des Oten.“
„Furchtbarer, schrecklicher Gedanke!“ Die vier Jisken schüttelten verzweifelt ihre Köpfe.
„Außerdem will ich den Agol als Geisel für mich haben!“ rief Gulmur aufgeregt dazwischen. “Ich hoffe, dass das euch wirklich klar ist!“
„Ist es doch Kamerad, werde doch nicht gleich darüber unruhig“, meinte Boktafton sanft. “Aber was haben wir davon, wenn wir zu spät kommen. Das Brummen eines kleinen Raumschiffes kann man bei dieser Stille, die über der Stadt lastet, recht gut bis hierher vernehmen, und mir ist so, als hörten wir es schon seit einem ganzen Weilchen nicht mehr.
„Stimmt!“ meldete sich Nobajapal. “Gerumpelt hat es nirgendwo, also ist der Oten nicht abgestürzt. Was bedeuten könnte, dass er hier in der Nähe gelandet ist und sich wohl noch immer in diesem sonderbaren Gebäude mit Treibstoffen für Fahrzeuge aufhält.“
„Du hast Recht, Boktafton!“ stimmten ihm jetzt auch die übrigen Jisken zu. “Es ist jetzt völlig egal, wer von uns den Kopf des Oten kriegt. Viel wichtiger ist es doch, das unser Volk diesen grässlichen Herrscher endlich in die Hände bekommt.“
„Nein, das ist es eben nicht!“ knurrte Gulmur noch aufgebrachter. „Ich persönlich habe ein Anrecht auf diesen Gottkönig und zwar lebendig, denn er hat mir und meiner Familie sehr viel Leid zugefügt und niemand sonst hat ihn zu bekommen!“
„He, Kamerad, du verspielst aber hier wertvolle Zeit“, fauchte Oktikilta. “Was hast du davon, wenn ihn niemand bekommt. Den Oten ohne seine Leibgarde zu treffen, das ist wirklich eine einmalige Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte.“
„Aber ich denke“, knurrte Gulmur, “eure Geräte sind so defekt, dass ihr nur über kurze Strecken Kontakte knüpfen könnt?“
„Jedes unserer Geräte hat eine andere Macke, Gulmur. Hajeps pflegen immer, die Kontaktgeräte zu zerstören und auch unsere Ladegeräte. Bei Ubeka, man könnte aber aus unseren vier Geräten ein einziges bauen, dass funktioniert und uns schon genügen würde.“
„Seid ihr denn geschickt genug dazu?“ brummte Gulmur missmutig.
„Nun, wir haben da an jemanden gedacht, der dieses Geschick und auch die genügende Kraft dazu besitzt?“
Boktafton und auch die übrigen Jisken warfen nun Gulmur einen unmissverständlichen Blick zu.
Gulmurs Mundwinkel zuckten. „Meine Schule bei Atimok was?“ knurrte er sarkastisch. „Ich weiß nicht, ob jiskische Geräte so ähnlich gebaut sind wie hajeptische ... außerdem ...“, er machte nun ganz bewusst eine Pause, ehe er weiter sprach und sah dabei der Reihe nach jeden Jisk scharf an, “... was springt für mich dabei heraus?“ Ehe sie noch etwas dazu sagen konnten, sprach er zu ihrer Überraschung einfach schnell weiter. „Xorr, ich meine zu wissen, dass sich euer Volk auch Sklaven hält, nicht viel anders als die Hajeps.“ Er schwieg wieder für einen Moment und seine kleinen, gelben Augen blickten dabei trüb. „Trowes genießen bei euch ebenso wenig Achtung. Ihr habt auch eine gottähnlichen Kaiser und ...“
„Kontriglusia, wir sollten schnell machen, damit es hier nur so von Jisken wimmelt“, rief Xuraduton ziemlich erregt, „wir ... wir müssen ihn umzingeln! Bei Ubeka, es wird die Hajeps schwächen, keinen Oten mehr zu haben.“
„So ein Unsinn!“ knurrte Gulmur und schüttelte wild seinen klobigen Kopf. „Eure Kameraden haben sich inzwischen bestimmt sehr weit zurück gezogen, denn hier ist nicht ihr Gebiet. Doch ganz in der Nähe befindet sich die Lotekenstadt Askonit“, setzte Gulmur nun mit großer Begeisterung hinzu. “Was haltet ihr davon, wenn wir ein¬fach diese Rebellen herbeiordern. Sie sind auf unserer Seite, sie hassen ebenfalls das Hajepsystem!“
„Diiiie?“ kreischte Boktafton aufgebracht. „Die sind doch auch nicht viel anders als die Hajeps. Weder die Loteken wollen uns Platz machen, noch gönnen uns die Hajeps irgend ein Plätzchen auf dieser Erde. Aber wir wer¬den uns hier schon genügend Raum erkämpfen. Xorr, warum sollte es nicht möglich sein, dass gleichberechtigt drei verschiedene Völker auf diesem herrlichen Planten nebeneinander leben könnten?“
„Dazu gibt es aber immer noch zu viele Menschen...“, ächzte Gulmur nachdenklich.
„Es sollte doch nicht zu schwierig sein, die Lumantis völlig auszurotten“, meinte Xuraduton. „Bei Ubeka, die sollen sich ja verstecken vor Angst wie die Ameisen in allen möglichen und unmöglichen Winkeln dieses Planeten. Habe neuerdings sogar von einem Gerücht gehört, dass sie sich bis in die Erde hinein verkriechen würden.“
„Ja, es ist nicht nur ein dummes, auch ein feiges Volk!“ schimpfte nun auch Nobajapal. “Ich verstehe nicht, weshalb die Hajeps so etwas nicht schon längst restlos vernichtet haben! Xorr, wenn wir den Oten erst einmal haben, werden die Hajeps völlig verwirrt sein. Sie werden nicht mehr so großspurig auftreten, als wären sie etwas besseres als alle übrigen Völker Raik-Somtes!“
„Ja, sie müssen diese Erde endlich mit uns teilen“, rief Oktikilta begeistert dazwischen. “Das wollen wir erreichen!“
„Und meine Familie?“ krächzte Gulmur. “Ich will, dass meine Familie frei kommt! Werdet ihr später auch wirklich dafür sorgen, wenn ich euch die Kontaktgeräte repariere? Ich bin nur ein Trowe, niemand sonst kann für mich bei eurem Kaskan ein gutes Wort einlegen als ihr. Werdet ihr das auch wirklich für mich tun?“
„Aber sicher doch, Kamerad.“ Boktafton legte den Arm um dessen breite Schulter. “Weißt doch, du kannst dich auf uns verlassen!“
„Xorr“, rief mit einem Male Nobajapal. „Seht ihr, was ich gerade sehe?“ Sein behandschuhter Finger wies nach rechts zum gegenüberliegenden Bürgersteig. Dort lehnte unter einem herbhängenden Ast an einem mächtigen Stamm ein altes, aber wohl noch funktionstüchtiges Rennrad.
„Da haben wir also endlich ein Fortbewegungsmittel“, knurrte Gulmur erleichtert, „mit dem wir schon mal ein Stückchen schneller sein könnten.“
„Ja, aber nur eins“, schnauften die Jisken. “Xorr, was nutzt uns das?“
Gulmur wollte gerade nach der Lenkstange greifen, um das Fahrrad zu überprüfen, als sein kräftiger Arm festgehalten wurde. “Du willst uns doch wohl nicht davon fahren“, schnaufte Boktafton bedrohlich, “um dir allein die leichte Beute zu holen?“
“Willst du mich einschüchtern?“ knurrte Gulmur und fletschte dabei seine überlangen Zähne. „Wir Trowes sind zwar ein Volk von Vegetariern, aber sowas kann sich durchaus ändern....“ und er blickte dabei mit seinen orange gesprenkelten Augen genau auf jene ungeschützte Stelle von Boktaftons Hals, die unter dem Helm recht gut zu sehen war. “Das ist mein Ernst“, setzte er hinzu. „Wir sind nämlich auf unserem langen Fluchtweg in Versuchung gekommen, zum Beispiel von frisch gekochtem Hühnerfleisch zu naschen.“ Seine Augen blitzten gefähr¬lich. „Es hat uns hervorragend geschmeckt und so haben wir es aufgegessen. Ebenso das Scheinefleisch, beinahe noch leckerer oder hieß es Weinefleisch? Egal, jedenfalls war es wirklich ... sehr nurrfi!“ Gulmur schnalzte dabei genießerisch mit seiner lilafarbenen Zunge.
„Im Ernst?“ rief die Meute erschrocken, schüttelte sich voller Ekel und Boktafton ließ Gulmur sofort los. „Blutiges, wabbeliges, sehniges Fleisch soll schmecken?“
„Es war doch gar nicht mehr nicht blutig!“ Gulmur schluckte, weil ihm plötzlich wirklich Spucke im Munde zusammen gelaufen war. „Es war wunderbar gekocht oder lecker gebraten ... hmmm!“ Und dann schob er das Rad ein wenig vor und zurück. Es schien wirklich in Ordnung zu sein.
„Xorr, weißt du denn, wie ein Hühner oder ein Wein lebendig aussieht?“ riefen nun die Jisken neugierig, denn sie stellten fest, dass sie ebenfalls ziemlich hungrig waren.
“Xorr, vielleicht laufen ja noch einige davon hier herum?“ Gulmur machte ein gewichtiges Gesicht. „Ein Hühner ist ein großer Vogel und bestimmt halten sich Lumantis einige davon zumindest außerhalb dieser Stadt. So auch Weine!“ erklärte Gulmur. “Weine sind glaub` ich leckerer, sie sind ohne Fell, habe ich mir sagen lassen, rosafarben, aber es gibt auch ganz schwarze, die sind etwas kleiner und schwarz weiß gescheckte Weine ...“
„Nackte Tiere also?“
„Richtig!“ Gulmur schwang sich nun auf das Rad. Das hätte er lieber nicht tun sollen, etwas braunes Schlangengleiches würgte ihn nicht nur plötzlich am Halse, es riss ihn auch zu Boden. Er keuchte, versuchte wenigstens noch ein kleines bisschen Luft zu bekommen und seine gewaltigen Pranken mühten sich gleichzeitig, das gum¬miartige Tau ein wenig zu lockern, aber vergeblich. Wild hämmerte der Puls in seinen Schläfen und in den Gehörgängen. Er wusste, in wenigen Sekunden würde er erstickt sein.
„Du unterschätzt unsere noch funktionstüchtigen Waffen Gulmur“, zischelte Boktafton erbost, vor dem Gulmur am Boden lag. „Was nützt dein scharfes Gebiss zum Beispiel gegen diese hochelastische Tabruka, Gulmur?“ Die Tabruka zog sich dabei noch fester zusammen und Gulmur zuckte, krümmte sich vor Schmerzen. „Du kannst stolz auf dich sein, Gulmur, denn du hältst lange aus. Ein anderer wäre längst erstickt. Du hast einen starken Körper! Aber stell dir vor, wir sind gnädig mit dir...“
Boktafton stellte nun die peitschenartige Waffe mit einer kurzen Fingerkrümmung so ein, dass sie sich etwas lockerte. Gulmur rang jetzt verzweifelt nach Atem, trotzdem bekam er nur sehr wenig Sauerstoff in die Lungen.
“Sei dankbar, dass wir dich nicht alleine wegfahren haben lassen, denn auch die Waffen des Oten scheinst du gewaltig zu unterschätzen.“ Er lockerte nun so weit die Schlinge, das Gulmur wieder normal Luft holen konnte. „Kraft ist nicht mehr angesagt Gulmur! Die Technik, die technische Perfektion allein ist das, was zählt! Du wirst uns jetzt unsere Ladegeräte reparieren, poko?“
„Poko!“ schnaufte Gulmur, als er endlich wieder einigermaßen denken konnte. “Aber ...“, er krächzte, da die Kehle erst einmal durchblutet werden musste, „... aber das ist euer Fehler, dass ihr zu sehr auf die Technik baut!“ Und er bewegte vorsichtig den schmerzenden Nacken. „Mag sein, dass wir noch für einige Zeit technische Unterstützung brauchen werden, aber dann sollten wir wieder zurück zur Natur.“ Und abermals drehte und wendete er den Hals.
„Du sprichst sehr lotekisch, Gulmur“, bemängelte Boktafton und ließ die Tabruka sich wieder einrollen. „Dabei haben euch doch anfänglich unter der Führung Chiunatras sogar Loteken verfolgt!“
„Ja, es ist leider so, dass alles auf die Hajeps hört und Trowes überall verachtet werden“, stöhnte Gulmur und versuchte sich wieder aufzurichten. „Da machen selbst Rebellen wohl keine Ausnahme.“ Endlich gelang es ihm sich mit trauriger Miene wieder aufzurappeln. „Ich weiß, mein Vater hält nicht viel von Rekomp Chiunatra.“ Er musste sich erst einmal am Baumstamm festhalten, so schwindelig war ihm, aber er hütete sich dabei das Rennrad zu berühren. “Ich meine die Hajeps verwirren bisweilen die Sinne der Loteken. Doch ihre Idee, wieder zum natürlichen Leben zurück zu finden, ist einfach gut! Ihr solltet ihnen daher vertrauen und ich glaube, Chiunatra würde inzwischen auch mir eher Gehör schenken als euer Jefnatin! Nun, gut“, fauchte er, „dann werde ich eben eure Ladegeräte reparieren, aber mir ist noch etwas eingefallen, falls euch das interessiert?“
Die Jisken nickten neugierig.
„Hier in der Nähe müssten noch zwei Motorräder mit Anhängern sein, die meine Familie und ich benutzten, als wir von den Hajeps überfallen wurden.“
„Mach` dir keine zu großen Hoffnungen Kamerad“, wandte Oktikilta mit wegwerfender Handbewegung ein. „Es ist sehr anzunehmen, dass die Hajeps eure motorisierten Dinger längst zerstört haben.“
„Dem kann auch ich leider nur zustimmen!“ meinte Nobajapal. „Das machen sie nämlich sehr häufig!“
„Ich weiß, war ja nur so eine Idee!“ brummte Gulmur.
„Es sei denn, die Hajeps sind diesmal vielleicht durch irgend etwas Überraschendes davon abgebracht worden!“ bemerkte nun Xuraduton ziemlich nachdenklich.
„Wo habt ihr sie denn liegen lassen?“ erkundigte sich Boktafton, ziemlich neugierig geworden.
„Ich kann euch hinführen, aber wird sich das denn lohnen?“ Gulmur machte ein missmutiges Gesicht.
„Nur nicht verdrießlich werden, Kamerad,“ Boktafton legte wieder den Arm um Gulmurs kräftige Schulter. „Du versuchst, während wir weiter laufen, unsere Geräte zu reparieren und weist uns den Weg zu diesen komischen Mo ... Mott ... xorr ... wie heißen die doch gleich?“
„Motorrädern!“ wiederholte Gulmur.
„Ach ja, richtig, Motorrädern den Weg, poko? Nobajapal, du darfst übrigens das Rad schieben! “
„Poko!“ knurrten Gulmur und Nobajapal.
„Und sollte irgend jemandem von uns ein Hühner oder dieses leckere haarloses Tier auffallen - es könnte übrigens dabei ruhig gescheckt und auch ein kleineres sein - dann gebt Bescheid, chesso?“
„Chesso!“ erwiderte die Meute und setzte noch laut und kräftig hinzu: “Lang lebe Kaskan Jefnatin, lang lebe das Volk der Jisken!“
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Munk schleppte sich nur noch mühsam vorwärts. Er war ja so traurig, Die ganze Zeit war er gelaufen, ohne ein Nickerchen – das doch längst dringend dran gewesen wäre - zu machen und hatte darüber nachgegrübelt, weshalb der nach ekeligem Parfüm stinkende aber sonst immer so nette Zweibeiner ihn nicht ins Auto gehoben und zu seinem alten Frauchen und den beiden kleinen Zweibeinern gebracht hatte. Was war nur plötzlich überall los? Nichts stimmte mehr!
Die Pfoten taten ihm weh. Ach, wie oft hatte er sich die schon geleckt. Außerdem war er schon wieder hungrig. Aber wie konnte man zum Beispiel leckere, trippelnde Quietschebällchen verspeisen, wenn man keine Zähne mehr im Maul hatte? Der letzte, es musste ein dicker, schon etwas verbrauchter Backenzahn gewesen sein, war ihm, als die Sonne noch höher am Himmel gestanden hatte, einfach aus seiner Schnauze gefallen wie ein lästiger Kieselstein. Und Fell hatte er jetzt wirklich gar keines mehr. Er musste sich bei dieser schrecklichen Feststellung erst einmal setzen und dabei kurz über die nackte, schwarz rosa gescheckte Haut lecken. Ach, er bekam dabei einen Schauer und zwar vom Kopf bis zum Schwanz. Mauuu! Entsetzlich kalt war`s so ohne Fell.
Er erhob sich wieder. Zudem wehte, weil es auf die Nacht zuging, bereits ein recht kühles Windchen. Blätter segelten leise rauschend dicht neben ihm zu Boden. Er blinzelte mit seinen gelben Katzenaugen traurig in die Bäume hinauf. Wo genau befand er sich eigentlich? Er hatte sich zu allem Pech wohl auch noch verlaufen, völlig die Orientierung verloren. Aber er musste doch einen Unterschlupf finden, eine gemütliche Stelle, wo es zumindest so ein bisschen warm war, ehe vollends die Nacht herein brach. Eine Nacht grässlich bibbernd im Freien zu verbringen, war eine ganz schlimme Vorstellung. Er schüttelte sich, wie er es immer machte, doch kein Fell knatterte freundlich dabei um ihn herum. Er machte einen Buckel und dehnte und streckte dabei jeden Muskel. Das ging erstaunlicherweise völlig ohne jene Schmerzen, die er eigentlich sonst immer kannte, und dann gähnte er langsam und sehr gründlich.
„Määäuuh?“ jammerte er nach einem Weilchen wieder, obschon er ganz heiser geworden war. Ach, wo sollte er nur hin? Selbst diese stinkenden Fellwesen wären ihm plötzlich Recht gewesen, denn die hatten doch zumindest eine kleine, tragbare Schlafstätte für ihn bereit gehabt. “Määä...uuuh?“ krächzte er deshalb noch lauter und daher ziemlich schrill durch diese beklemmende Stille. Also, eigentlich war das ja richtig empörend, he, vielleicht fand sich mal endlich jemand, der ihn hoch nahm, ihn streichelte und ein warmes Deckchen um ihn legte?
Da sah er plötzlich etwas in der Ferne, denn sehen konnte er seltsamerweise auch immer besser, das ausschaute wie ein ... na ja ... Tier mit langem Schwanz. Sah aber irgendwie seltsam aus! Munk versagte deshalb vor Überraschung vollends die Stimme.
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Pommi vermochte sich das hier wirklich nicht zu erklären, außerdem war`s im Flur schrecklich finster. Die verdammten alten Glühbirnen, ständig gingen sie kaputt! Er hatte aber den Lärm gehört und so tastete seine Hand sicherheitshalber nach den beiden Pistolen, die er im Gürtel trug, während er zögernd durch den Türspalt blin¬zelte.
Das plötzliche Quietschen der Tür und Pommis harte Stimme hatte die beiden dermaßen irritiert, dass sie doch zusammen gestoßen waren und sich nun aneinander fest hielten, damit sie nicht hinfielen. Und wieder empfand der Hajep zu seiner Verwunderung den weichen Menschenkörper als nicht gerade unangenehm. Er machte daher keinerlei Anstalten Margrit loszulassen, hatte dabei sogar die Möglichkeiten, dass diese Mülltonnenlumanti nicht nur stinken, ja, womöglich gesundheitsschädlich für ihn sein könnte, völlig vergessen, er bekam lediglich ganz kleine, behagliche Augen.
Margrit hingegen war immer noch am Grübeln, wie sie schleunigst die grässliche Zange los werden könnte, obwohl sie ihre Arme ebenfalls noch immer um ihn gelegt hatte.
„Zened dus!“ wisperte der Hajep, nachdem er gesehen hatte, wie Margrit hinter seinem Rücken mit ihrer Hand wedelte und schon fiel die Zange leblos zu Boden.
Verrückt, Margrit konnte es nicht fassen. Hatte die Zange etwa wirklich auf ihn gehört? Nein, so was konnte es doch gar nicht geben. „Danke!“ ächzte sie dennoch erleichtert und dann schaute sie zu ihm empor, direkt in diese seltsamen Augen, in denen sie einen sanften, warmen Glanz zu erkennen glaubte. Aber hier war es ja dunkel und sicher irrte sie sich, und so machte sie sich nur stumm von ihm frei.
Er schaute ihr dabei zu, denn es machte ihm Spaß, wie sie seine schweren Arme nahm und jeden einzeln von ihren Schultern hob.
„Aha, jetzt ist alles klar“, knurrte Pomadenmaxe verärgert und stemmte dabei die Fäuste in die fetten Hüften. „Ein Liebespäärchen!“
„Diebesplärrschin?“ wiederholte der Hajep verdutzt.
Anscheinend hatte der Händler ihn nicht gehört, denn der sprach einfach weiter: „Und ihr habt hier mal so ein bisschen herum gemacht, was?“
Die roten, schrägen Augen des Hajeps schauten den Händler immer noch nicht klüger an.
„Und dabei nicht nur meine Klingel auch noch die Beleuchtung lädiert. Na, das hab ich gerne!“
„Do you like that?“ fragte der Hajep ungläubig.
„Ehemaliger amerikanischer Footballspieler, richtig?“ Pomadenmaxes Blick wanderte nun doch ein bisschen anerkennend über die riesige, muskelbepackte Schattengestalt hinter Margrit.
Margrit nickte verwirrt. Na ja, was sollte sie schon dazu sagen.
„He, he...“, Pommi kratzte sich nun behaglich an seinem Stiernacken, „... und erst hatte ich direkt schon einen kleinen Schrecken bekommen.“ Er grinste breit und sein kleines Schnurbärtchen wölbte sich dabei über der Oberlippe. „Dachte schon, das wär`n ... hm ... na, sprechen wir das lieber nicht aus! Tja, so dumm wird man in diesen schrecklichen Zeiten!“
„Tja, richtig dumm!“ krächzte Margrit etwas heiser, denn sie war sehr aufgeregt.
„Aber auch wenn ihr zwei hier mal so ein bisschen herumtanzen wolltet“, plapperte der Händler einfach weiter, „... was ihr mir dabei kaputt gemacht habt, macht ihr mir auch wieder ganz.“
“Poko!“ brummte der Hajep.
„Netter Kerl!“ raunte Pomadenmaxe Margrit zu. „ Ja, ja, die lieben Amis! Na, kommt erst mal `rein ... dann gebe ich euch Hammer und Nägel.“
Der Hajep nickte eifrig und viel zu übertrieben, wie Margrit fand.
„Äh, wir wollten eigentlich...“, Margrit schluckte, weil sie der Hajep jetzt so richtig derb in den Raum hinein schob - ob sie dem bei dieser Gelegenheit gleich mal kräftig auf die hochempfindlichen Zehchen treten konnte? „... auch etwas eintauschen“, beendete sie trotzdem ihren Satz.
„Habe nichts dagegen.“ Pomadenmaxe kicherte und die dunkelblauen Wimpern des Hajeps unter der Schirmmütze flatterten deshalb etwas schneller, denn der Händler hatte eine recht merkwürdige Lache. „Na, was habt ihr denn so Schönes?“
„Och, so einiges Interessantes!“ machte Margrit Reklame und keuchte dabei leise, da sie kurz nach hinten, aber leider ins Leere getreten hatte.
„Und wo sind die Sachen nun?“ fragte der Händler und rieb sich schon in stiller Vorfreude die dicken Händchen. Er musterte skeptisch Margrits heruntergekommene Kleidung und dann suchte sein Blick erstaunt nach den Waren, denn Margrit hatte nichts in den Händen.
„Äh, tja ... wo?“ Sie wendete sich nach dem Hajep um, der gerade von der Tür zurück kam - was hatte der dort gemacht? - den Beutel dabei in großem Abstand von sich haltend.
Pommis kleines, rundes Gesicht leuchtete kurz, aber dafür umso erfreuter auf, als er den ziemlich großen Beutel sah, und als der Hajep direkt vor ihm stand wanderte sein Blick höher, bis zu dessen Gesicht und ... er taumelte käseweiß zurück, hatte den Mund geöffnet, brachte aber keinen Ton hervor. Er schnaufte so heftig, während er sich das Herz hielt, als würde er augenblicklich einen Infarkt bekommen Der Hajep hatte wohl vorhin die Tür abgeschlossen, denn nun warf er den Schlüssel spielerisch in die Luft, um den anschließend in seiner großen, breiten Pranke wieder aufzufangen.
"Hallo, Ponni!” erscholl die eigenartige Stimme des Hajeps von oben herab, während er ziemlich interessiert auf den kleinen, dicklichen Mann hinabschaute. “Are you ready?” Der Hajep warf den Beutel in irgendeine Ecke, mit der anderen Hand aber noch immer den Schlüssel hoch und nur dieses Geräusch war zu hören, das Klatschen des Schlüssels zurück in die Handfläche und dann sah der Händler, wie der Hajep nach irgend etwas zu suchen schien, denn der öffnete nun seine Jacke und ein waffenbespickter Gürtel offenbarte sich Pomadenmaxes weit aufgerissenen Augen.
Der Dicke lief jetzt noch zwei, drei Schritte vor dem Riesen zurück, stieß dabei einen Stuhl um und der Hajep stellte diesen wieder ordentlich auf, während er dem Händler geschmeidig wie ein Panther weiter hinterher schlich, dabei diese oder jene – oft recht merkwürdig ausschauenden - Dinge an seinem eigenen Waffengürtel wählerisch begutachtend.
„Oh ... äh ... yes, I am … hm … feel good!” entschloss sich Pommi schließlich dem Hajep doch zu antworten und seine Finger arbeiteten sich - wenn auch zuckend und bebend – endlich zu den beiden Pistolen in seinem Hosenbund vor. „ I`m gl … gl … glad to see you, wirklich!” ächzte Pommi und dann hatte er die beiden Pistolen gezogen.
Als er aufschaute blickte er direkt in die kleine, spitze Mündung eines zu einem Teil aus Metall zum anderen Teil aus Gelee bestehendem, sackförmigen Gebildes, an dem zwei grüne und rote Zellen im Rhythmus von Pommis Herzschlag blinkten. Der Hajep visierte damit die breite, knubbelige Nase des Händlers an, nickte aber freundlich und wies mit dem Kinn neben sich zur Ladentheke.
Pommis buschige Brauen hoben sich verblüfft. „Okay, okay“, keuchte er, „hab` schon verstanden!“ Und er stolperte mehr als dass er ging hinüber zur Ladentheke und legte die beiden Pistolen darauf.
Er guckte wieder in diese mandelförmigen, roten Augen und erkannte, dass der Hajep den Kopf schüttelte und auf die Leiter neben dem Händler blickte.
„D ... diese hier?“ keuchte der Dicke.
Der Hajep nickte machte mit den Fingern eine kletternde Bewegung und schaute dabei zum Wandbord hinter dem Händler.
„Ach so ... sch ... schon v .. verstanden!“ Es quietschte als der Händler die Leiter vor dem Bord aufstellte. Pomadenmaxe war so taumelig vor Schreck geworden, dass er es kaum die Sprossen hinauf schaffte, denn schon ent¬deckte er den Hajep neben der Leiter und hinter der Ladentheke. „Yeah! " rief dieser, Margrits Beutel dabei scheppernd auf die Ablage werfend. "That`s fine, hä?”
Pomadenmaxe stöhnte, als er die Pistolen endlich oben auf dem Bord hatte. "Oh, äh ... ja! Das ist es! Indeed ... indeed!" Der Händler wischte sich mit fahrigen Fingern den Schweiß von der Stirn
"Der ... der kann Deutsch!" half Margrit Pomadenmaxe, die dem Hajep hinterher gekommen war. "Lassen Sie sich da nichts vormachen!
"Oh ... äh ... der kann? " vergewisserte sich der Händler, noch immer durcheinander, denn der Hajep schien plötzlich mit dem Einkaufsbeutel von Margrit zu sprechen, jedenfalls wisperte er diesem irgend etwas Sonderbares zu und Sekunden später reichte er dem Händler – sehr zu Margrits Leidwesen - die Thermoskanne hoch, die Pomadenmaxe ebenfalls auf das Bord stellte.
Kaum hatte der Händler die Leiter wieder zusammen geklappt und in die Ecke gestellt, öffnete der Hajep an einer Seite seine sonderbare, beutelförmige Waffe, mit welcher er immer wieder Pomadenmaxe bedroht hatte, packte mit einem Seufzer endlich Pommis Schlüssel in diese, schob sich ziemlich dicht an ihm vorbei, ergriff nur mit einer Hand die Leiter, sagte: “Thanks!“ und klopfte Pomadenmaxe beim Zurücklaufen so schwungvoll auf die Schulter, dass der fasst in die Knie sackte.
Als Pomadenmaxe sah, dass der Hajep sich entfernt hatte, die Leiter irgendwo hinstellte und nun besonders ein Regal gründlicher in Augenschein nahm, winkte er auch schon Margrit zu sich heran.
"He, der hat mich angeschmiert!“ ächzte er fassungslos. „Das war nur eine Schlüsseltasche ... Himmel, ich Idiot hab` mich die ganze Zeit vor einer stinknormalen Schlüsseltasche gefürchtet.“
„Die sah aber auch zum Fürchten aus!“ versuchte ihn Margrit zu trösten. “Irgendwie außerirdisch!“
„Irgendwie?“ wiederholte der Händler verdutzt. „He, wissen Sie überhaupt, was das für einer ist, mit dem Sie hier hineingeschneit sind?" Offenbar hielt er Margrit für völlig ahnungslos.
„Der da?“ Margrit wies mit dem Kinn nach dem Hajep, der sich nun eine der Kisten aus der zweiten Etage hervorgezerrt hatte und darin sehr interessiert herumzukramen begann.
„Oh Gott! Brüllen Sie doch nicht so!“ wisperte der Mann und schaute sich ängstlich nach dem Hajep um.
“T`schuldigung!” krächzte Margrit schuldbewusst.
”Aber ... hm ... merkwürdig“, Pomadenmaxe fingerte nun eine reichlich zerknautschte Packung Zigaretten aus seiner Hosentasche, während er den Hajep weiter im Auge behielt, der gerade die nächste Kiste hervorgeholt hatte. „Der ... der trägt ja meine Jacke“, stutzte er, „die ich doch so günstig ... aber das ist ja auch meine Schirmmütze“, setzte er wispernd und sehr aufgeregt hinzu. „Das alles muss er wohl vorhin von Freddi gekriegt haben, als ich nicht da gewesen bin ... komisch und seit dem ist Freddi weg!“ Er bekam kaum die Zigarette zwischen seine zuckenden Lippen. „Na ja, war ja eigentlich schon immer kein besonders zuverlässiger Bursche, der Freddi!“ Die Zigarette wippte in seinem Mund auf und nieder. “Aber ... weshalb trägt der hier keinen Helm ... keine Uniform?“ Er suchte nun nach seiner Streichholzschachtel.
Margrit hatte mächtige Gewissensbisse. “Aber, ich trage doch auch keinen Helm?” mühte sie sich deshalb ihn irgendwie zu beruhigen. ”Und wie ich sehe, sie ebenfalls nicht? ” Sie versuchte ein zuversichtliches Gesicht zu machen.
Der Händler seufzte und wedelte ziemlich umständlich das Streichholz aus. “Man sieht`s Ihnen an ... sind viel zu arglos oder ist irgend etwas mit ihrer Brille nicht in Ordnung?” Er saugte an seiner Zigarette, krauste die
buschigen Brauen, während er ihre Brille etwas gründlicher in Augenschein nahm. “Ich habe da übrigens einige ...“
“Nein! Ich trage eine gute ... na ja, ziemlich gute Brille!“
„Und wie konnte Ihnen dann das passieren?“ sagte er ziemlich laut und ein Blick wanderte, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Hajep immer noch mit den Kisten beschäftigt war, dabei ziemlich aufgeregt zum Bord hinauf, wo die beiden Pistolen lagen.
„Was? Mir ist doch gar nichts passiert! “ sagte sie ebenso laut und schaute nun auch empor.
„Kommt noch!“ sagte der Händler, verstaute die Streichholzschachtel in seiner Hosentasche und nahm einen Besen, der hinten an der Theke gelehnt hatte. „So was ist natürlich typisch für Frauen“, murrte er, während er mit dem Besen zum Bord ging und Margrit mit ängstlichen Blicken signalisierte, dass sie dabei nach dem Hajep Ausschau halten sollte. „Kaum steht etwas großes und muskelbepacktes in so einem dunklen Flur neben ihnen ...“, sagte er jetzt so laut, dass der Hajep es hören konnte, „... greifen sie zu, ohne richtig hinzuschauen.“ Er hob dabei den Besen hoch, drehte ihn so, dass dessen Borsten nach oben wiesen. Der Stil zitterte mächtig in seiner Hand. Er warf Margrit einen fragenden Blick zu.
“Ich habe doch gar nicht zugegriffen ...“, verteidigte sie sich, und nickte blinzelnd Pomadenmaxe zu, „ ...der hat mich doch ...“
“Ist doch scheißegal! “zischelte der Händler hinter seiner Zigarette hervor. „Jedenfalls haben sie mir da was ordentliches einbrockt!“ Und dabei hatte er auch schon die beiden Handfeuerwaffen hinunter und nacheinander in seine Hand gefegt. Jedoch nicht die Thermoskanne, obwohl ihm Margrit dies durch Zeichensprache verständlich zu machen versuchte.
„Habe ich gar nicht, denn der wird uns nichts tun!“ sagte sie laut und blinzelte verzweifelt noch immer nach oben, doch der Händler verstand nicht.
„Ach, und woher wissen Sie das so genau? Himmel, diese vielen Spinnenweben ...“, keuchte der Händler und wollte ihr den Besen nicht geben. Doch als er sich auch noch die zweite Pistole in den Gürtel stecken wollte, sah er, wie Margrit erbleichte und mit dem Finger nach hinten wies.
Er wendete sich herum. Der Hajep hatte gerade eine Suppenkelle gefunden, von der er offensichtlich nicht wusste, dass sie eine Suppenkelle war, denn er kam damit zurück und schwenkte dabei die Kelle ziemlich unschlüssig zwischen zwei Fingern hin und her. „Hammer is okay?“ fragte er den Händler und die Kelle in der Hand des Hajeps blieb für einen Moment still, weil sein Blick schon wieder auf den Pistolen ruhte.
Pomadenmaxe sah außerdem, dass der Hajep ein gleichsam sonderbares Ding wie vorhin in der anderen Hand hielt, es erschien Pomadenmaxe diesmal wie eine Dose, blinkte und blitzte aber wiederum ähnlich wie eine Taschenlampe mit einer reichlich schwachen Batterie.
Und wieder wusste der Händler nicht, was er davon halten sollte. Seine Augenbrauen zuckten und schließlich begann hysterisch zu lachen. „Und diesmal haben wir wohl eine Salbendose?“ quiekste er und richtete die beiden Läufe mutig auf den Hajep. „He, he, diesmal lasse ich mich nicht foppen!“
Die sonderbaren Augen verengten sich zu zwei schmalen kleinen Schlitzen und in einem Sekundenbruchteil sauste ein feiner weißer Strahl aus der Mitte der funkelnden Scheibe hervor, noch ehe der Händler es geschafft hatte abzudrücken.
Pommadenmaxe zuckte zusammen, denn es wurde ihm plötzlich heiß über dem rechten Ohr, außerdem roch es komisch nach versengtem Haar und nun tat`s dort auch weh, brannte irgendwie wie ... „Feuer?“ brüllte Pomadenmaxe nun entsetzt. “Feuriooooh!“ Nur mit Mühe konnte er die kleinen Flämmchen mit beiden Händen ersti¬cken.
Der Hajep schlug indes mit der Kelle mehrmals schwungvoll auf einen Tisch, der in der Nähe stand. „Hammer is shit!“ stellte er fest, warf den Stil irgendwo hin und danach heftete sich sein Blick wieder auf Pommi, der mit verkohltem Haar hinter der Ladentheke stand.
„Äh, that wasn’t a hamm …” Der Dicke schüttelte den Kopf und brach dann ab. Er starrte nur in dieses eiskalte, blauhäutige Gesicht und legte wieder beide Pistolen auf die Ablage. “I thought it`s better to put them into this box, eh … ehrlich!“ Er hielt sich an der Theke fest, so schlecht war ihm geworden, denn der Hajep näherte sich ihm, ihn immer noch mit der komischen Scheibe avisierend.
„Poko!“ knurrte der nun und nickte zu Pomadenmaxes Erleichterung. Der Händler hielt sich das Herz und atmete erst einmal tief durch, dann zog er das Schubfach auf und packte die beiden Pistolen dort hinein.
Der Hajep begab sich wieder hinter die Ladentheke, schob dort den Händler ziemlich derb beiseite und begann zu Pomadenmaxes Verwunderung sich abermals mit dem Einkaufsbeutel zu unterhalten, der noch immer auf der Ladentheke lag. „Wun sanna!“ raunte der Hajep in die Tasche hinein und dann holte er ein kleines, Margrit nur zu gut bekanntes, zangenähnliches Gerät daraus hervor und packte es ordentlich zu den Waffen ins Schubfach.
Er schraubte die komische Scheibe wieder an seinen Gürtel und nun nahm er Margrits Tasche bei den Zipfeln und schüttelte deren Inhalt einfach auf die Ablage. Es schepperte mächtig, und der Hajep sah erstaunt sich selber zu, wie die Hälfte davon vom Bord fiel.
Der Händler eilte sofort um den Hajep und um die Ladentheke herum und bemühte sich, wohl um zumindest dieses Mal dem Hajep zu gefallen, die Töpfe aufzuheben. Er ging in die Knie, bückte sich ...
Wie der Blitz war der Hajep um die Ladentheke herum und knurrte nun dem Händler auf halbem Wege zu: "Do you want troubel?"
"Oh ... sorry!" der Händler war wie erstarrt, hielt die Hand noch immer ausgestreckt, wagte sich weder vor noch zurück.
"That`s mine!" fauchte der Hajep und fletschte die Zähne wie eine Raubkatze.
Der Händler erbleichte und seine ausgestreckte Hand zitterte.
"Nö, nö!" mischte sich Margrit aufgeregt ein. "Das ist immer noch meins! ICH habe das alles zuerst gefunden!“ Sie tippte sich dabei ziemlich energisch an die Brust und der Händler starrte nun – immer noch in der Hocke und mit ausgestreckter Hand – völlig entgeistert mal auf Margrit und mal auf den Hajep. "Außerdem wollte dir Pommi bloß helfen und nichts wegnehmen!"
Pomadenmaxe schüttelte nun vorsichtig zu Margrit hin den Kopf, biss fast auf die Zigarette und glotzte bang auf den Hajep .
"Pok … okay!" Der Hajep ging zwei, drei Schritte zur Ladentheke zurück und lehnte sich bequem gegen die Ablage. Er schlug ein Bein über das andere und wartete. "He can do it!"
Doch der Händler regte sich noch immer nicht. Er keuchte nur. Verdattert starrte er wieder von einem zum anderen und dann, als er endlich Anstalten machte, zumindest den Topf, der vor ihm lag, zu ergreifen, kauerte sich auch schon die Frau zu ihm hin um ihm zu helfen.
"Ich war immer der Meinung, dass jeder seine Suppe selbst auslöffeln muss“, fauchte sie Richtung Hajep, während sie ebenfalls einen der Töpfe ergriff, „und wenn ihm jemand dabei hilft, sollte der wenigstens Dankbarkeit kennen!"
"Hat keinen Zweck, dass Sie dem das so erklären!" wisperte der Händler ängstlich, nachdem er auch eine Pfanne auf die Theke zurück gestellt hatte. "Selbst wenn Sie es nicht glauben wollen, der versteht nur ihre Tonlage, aber kein Deutsch! "
"Und ob er Deutsch versteht, nicht wahr?"
Der Hajep lehnte noch immer mit dem Rücken an der Ablage und zuckte mit keiner Wimper. "I don` t know what you’re talking about", beeilte er sich schließlich doch, Margrits verärgerten Blick zu beantworten.
"He, du lügst ja richtig!" fauchte sie und stellte dabei noch ein kleines Töpfchen neben den Hajep auf die Ladentheke.
"Xorr! Hat schonn geloggen jemand falsch?" rief er ihr über seine Schulter hinweg zu.
Die Augen des Händlers quollen vor Erstaunen schier hervor. "He, d ... das war ja ein richtiger kleiner
Witz?" keuchte der und dann lachte er erleichtert, leider zu lange, denn er hörte gar nicht mehr damit auf!
Margrit konnte das ja verstehen, denn die Nervenanspannung war einfach zuviel für ihn gewesen, und entlud sich nun auf diese Weise.
Nicht so der Hajep. Der hatte zwar das quietschige Geächze zunächst ziemlich interessiert beobachtet, den Kopf skeptisch hin und her werfend, doch dann war er hinter die Ladentheke gewandert, hatte sich den nächstbesten Stift ergriffen und mit diesem bei jedem weiteren Lacher so heftig auf die Gummiauflage vor sich gehämmert, dass der Stift sich dort festgehakt hatte. „Hich!“ rief der Hajep verwundert und versuchte nun den Stift aus der Gummiauflage zu ziehen. Pomadenmaxe schaute auf, war darüber dermaßen verdutzt, dass ihm der letzte Gluckser buchstäblich im Halse stecken blieb.
"Zukunftisch du nür lacherst zoo langer und lauter wie ich dir befelle, chesso?" schnaufte der Hajep, während er nur mit großer Kraftanstrengung den Stift wieder aus der Auflage zog und dann einfach hinter sich warf. „Chesso!“ keuchte Pommi.
Der Hajep nickte beruhigt. "Und nunni wirr gerrn hätten etwas getäuscht - haute!" erklärte er schon etwas freundlicher und trommelte dabei mit je zwei Fingern auf einige der Töpfe
"Was sagt der?" wandte sich der Händler erschrocken an Margrit. "Ich muss ihn wohl zu sehr gereizt haben, denn er will mich täuschen und - wenn ich Recht gehört habe - auch anschließend ver ... hauen!" Bei den letzten Worten hatte er die muskelbepackten Arme des Hajeps ziemlich gründlich gemustert, der immer noch die Töpfe der Reihe nach betrommelte.
Margrit kicherte: "Tja, so kann man andere erschracken, wenn man nicht dautlicher sprächt? "
Der Hajep hielt inne, dann runzelte er die wohlgestaltete Stirn und begann, die Töpfe der Größe nach sehr ordentlich auf der Ablage zu sortieren. Schließlich rieb er sich sehr nachdenklich das tätowierte Kinn, während all diese Dinge betrachtete. "Kippt alltiss Sprischwörd bei eusch, heißert: Blindis Huhn hat seininn Prreis!"
"Nein! Alles hat seinen Preis!" korrigierte Margrit ihn, während sie den Zettel hervor holte, auf dem alles stand, was die Spinnen von ihr haben wollten. “Und das mit dem Huhn ist ein ganz anderes Sprichwort, das du damit vermischst hast.“
Der Hajep nickte und dann schaute er den Händler erwartungsfroh an.
„Nun?“ fragte Margrit und machte dabei eine aufmunternde Bewegung für den Händler hinter die Ladentheke.
„Wollen Sie uns jetzt nicht bedienen?“
Pomadenmaxes buschige Brauen zuckten nervös. “Be ... be ... bedienen?“ ächzte der ungläubig und seine kleinen Augen huschten wieder verwirrt von einem zum anderen. „Wirklich? Ich meine in echt jetzt? Aber wozu? Na, egal!“ Er holte tief Atem. „Verrückt zwar, aber warum nicht?“
Er lief hinter die Ladentheke und baute sich nun, wesentlich mutiger geworden, zur Linken des Hajeps auf, wäh¬rend sein Blick begehrlich über das viele Stahl glitt. "He, jetzt werden wir hier mal alle vernünftig Deutsch mit¬einander reden, gelle?" Er rieb sich die kleinen dicken Händchen.
"Geld!" knurrte der Hajep und machte ihm noch mehr Platz.
„Aber die Mama ...“, Julchen holte erst einmal tief Atem, denn sie war ganz erschöpft vom vielen Laufen, „... diiie finden wir doch bald, stümms?“
„Ganz ohne Scheiß, Jule!“ Tobias zog den Schnodder in der Nase hoch, wie immer, wenn er nervös war und dann blieb er einfach stehen, scheinbar um sich zu verschnaufen, in Wahrheit jedoch, weil er meinte sich verlaufen zu haben. Er stellte sich auf die Zehen, um etwas größer zu sein, schaute, dabei die hellen, blauen Augen zu zwei kleinen Spalten zusammen gekniffen, verzweifelt nach allen Seiten in die Ferne. Konnte es doch keine so gute Idee gewesen, einfach ohne irgendeinen Plan abzuhauen?
Aber die Gelegenheit war doch so günstig gewesen. Herbert war nämlich, nachdem diesem etwas golden Schimmerndes im Gestein des Schachtes, in welchem sie zuletzt gearbeitet hatten, aufgefallen war und er wie wild danach gehackt hatte, ein schwerer Brocken auf den Fuß gekracht.
„Hole Hilfe!“ hatte der Aufseher noch Tobias zugerufen. Tobias war natürlich gleich losgerannt, jedoch nicht nach draußen, sondern in einen der niedrigen Schächte nebenan, hatte seine erstaunte Schwester beim Arm genommen und war mit ihr auf und davon.
Die paar Scheiben trockenen Brotes vom Vortag, welche sie wegen fleißigen Arbeitens diesmal zusätzlich zur täglichen Mehlklumpensuppe erhalten hatten, waren schon lange aufgezehrt. Gewissensbisse, den armen Herbert gestern Mittag hilflos zurückgelassen zu haben, überkamen die beiden Kinder nicht. Die dicken Blutergüsse und Striemen auf dem Rücken, an Armen und Beinen waren den Kindern Erinnerung an Herbert genug.
Gut funktionierende Handys waren derzeit eine Seltenheit, denn die Sendemasten waren ja fast alle von den Hajeps zerstört worden und in diesem Falle konnte man sagen: zum Glück!
Herbert lag also womöglich immer noch dort, aber das konnte ja eigentlich kaum sein, denn zum Abendbrot dürfte man ihn spätestens vermisst haben. Und dieser Gedanke sorgte nun die beiden Kinder. Waren einige Leute aus der Untergrundorganisation der Spinnen inzwischen schon nach ihnen auf der Suche?
„Öh, da hinten is´ glaub ich endlich Würzburg“, krächzte Tobias und gab dabei seiner Stimme eine zuversichtliche Tonlage, obwohl es in seinen Augen bereits ein bisschen feucht schimmerte. „Wir müssen nur immer weiter gerade aus.“
„Und ... daaah is die Mama, stümms?“ Julchen forschte skeptisch in seinem blassen Gesicht.
Tobias schluckte und wischte sich mit dem Handrücken verstohlen über die Nase. „Ja! Hat sie uns doch gesagt!“ knurrte er. „Die sammelt dort noch ein paar Sachen ein, welche die Menschen zurück gelassen haben und bringt sie zu ... äh ... na, wie heißt der doch?“ Tobias kratzte sich nachdenklich in seinem struwweligen Haar.
„Ich weiß es, ich weiß es!“ trällerte Julchen stolz,
„Na, sag`s!”
„Tomatenmaxe!“
„Stümmt!“ keuchte er verblüfft und dann fügte er anerkennend hinzu. „Jule, da hast du mal aufgepasst!“
„Danke!“ kicherte Julchen stolz. „Und die Mama, diiie bringt uns dann zu den Maden, stümms?“
„Stümmt!“ Er versuchte dabei den misstrauischen Ausdruck aus seinem Gesicht zu verbannen, denn es war ihnen beiden eigentlich klar, dass die Untergrundorganisation der Maden keine Kinder beherbergen wollte. Deswegen war ja die Mama auch unterwegs, um nicht nur die Spinnen, sondern später auch die Maden mit wertvol¬len Sachen zu bestechen.
Scheiße nur, dass die Oma nicht da is!“ schnaufte er, gab sich einen Ruck und lief vorne weg, denn er meinte nun tatsächlich auf der linken Seite am Horizont – Scherenschnitten gleich – die Silhouetten einiger höherer Häuser zu erkennen.
„Und der Munk!“ setzte Julchen jetzt hinzu. „ Dass der nich da is ... daaas is auch traurig!“ Sie schüttelte dabei den kleinen, blonden Lockenkopf und stolperte ihm hinterdrein.
„Eh, warum?“ fragte er jetzt verwirrt.
„Na, der is doch so klug! Weißt du, weißt du ... wiie der – das war ganz lange her - die Oma gefunden hat?“ Sie lief noch ein kleines bisschen schneller.
„Stümmt!“ Tobias lief ebenfalls schneller, denn vielleicht kamen sie ja noch vor dem Dunkelwerden in Würzburg an. „Ja, die Oma“, keuchte er. „Aber die is doll krank, ganz ohne Scheiß! Die hätt` den Weg nich mehr geschafft, nee!“ Er schüttelte nun auch den Kopf.
„Und der Munk, Tobi ... Tobi du-huuu? »
Er seufzte genervt, hörte aber trotzdem nicht auf schneller zu laufen, denn hier zwischen den Wiesen waren sie leider für ihre Verfolger gut sichtbar.
„Der Munk auch nich“, plapperte sie trotzdem weiter und keuchte, „weil ... der is jetzt auch schon seeehr alt, stümms?“
Tobias krauste die Stirn, während er rannte „ Stümmt.“
„Wo is nun der Munk hin?“
„Weiß ich nich, Plapperliese! Er is eben ein Kater, der Munk!“ Er schaffte es sogar noch beim Laufen sich so ein bisschen in die Brust zu werfen. “Kein Määädchen!“ Er kam nicht umhin Julchen dabei einen flüchtigen, aber geringschätzigen Blick zuzuwerfen, denn es ärgerte ihn, dass sie ihn jetzt eingeholt hatte. „Und Katers gehen immer mal wo hin, ganz ohne Scheiß!“
„Aber Tobi ... du-huuu? »
Er seufzte, als er wieder neben ihr war.
„Is da vorne Würzburg?“
Er nickte und nuckelte dabei an seiner Unterlippe.
Beide Kinder wussten nämlich, dass es dort bis Mittag sehr laut gewesen war. Den Kleinen waren die ungewöhnlichen Geräusche außerirdischer Flugzeuge noch sehr gut in Erinnerung geblieben.
„Aber Jule, aber ... wir müssen durch Würzburg durch, wenn wir zu ...“
„Tomatenmaxe!“ half ihm Julchen.
„Ja, wenn wir zu dem wollen!“ vollendete Tobias stirnrunzelnd seinen Satz. „Durch Würzburg is nämlich der kürzeste Weg zu der ... dieser Tankstelle, ganz ohne Scheiß!“
„G...ganz schön weiter Weg!“ keuchte Julchen und rieb sich die müden Augen, denn sie hatten im feuchten Wald ohne Decken sehr schlecht geschlafen.
„Moment!“ Tobias blieb jetzt erschrocken stehen. “Hörst du das auch Jule?“
„D...das is ein Jambo und ...“
„Mikes Stimme!“ ächzte Tobias entsetzt.
„Iiiiih! Die Spinnen!“ wisperte Julchen. „ W...wwas machen wir jetzt?“
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„Bei Ubeka!“ knurrte Gulmur. „Nun sind uns die gelbhaarige und der schwarzhaarige Lumanti doch wieder entwischt!“ Und er stampfte dabei mit seinem nackten, haarigen Fuß auf den Asphalt der Straße, die sie gerade entlang liefen. “Wir hätten eben doch die gefährlicheren Waffen einsetzen sollen, Boktafton!“
„Mein bester Gulmur, dann wäre aber das Fahrzeug auch futsch gewesen! Ein sterbender Fahrer fährt so ein primitives, menschliches Fortbewegungsmittel meist zu Bruch! Du vergisst immer wieder, wie rückschrittlich diese Spezies ist. Die Fahrzeuge der Lumantis sehen nicht nur sonderbar aus, sie sind auch hochempfindlich und ....“
„Xorr, und was haben wir nun davon? Gar nichts. Diese beiden Menschen leben immer noch, kommen mit diesem Fahrzeug gut voran und wir müssen uns weiterhin zu Fuß abplagen!“
„Gulmur hat Recht!“ meldete sich nun auch Oktikilta. „Ich verstehe das auch nicht, wie die Lumantis es schon wieder schaffen konnten uns zu entkommen!“
„Die sind eben erstaunlich tapfer“, knurrte Boktafton, „geistesgegenwärtig und außerdem hatten wir Pech, weil sie genügend Decken in ihrem Wagen hatten, um damit das Feuer sofort wieder zu löschen. Aber der eine Reifen eierte ziemlich. Wir werden ihnen bestimmt wieder begegnen und ...“
„Ach, mein bester Boktafton und woher willst du das wissen?“ meinte nun auch Xuraduton ziemlich genervt.
„Bist du taub? Dieses eine Auto kann man bei der Stille noch aus weitester Ferne hören und irgendwann einmal halten sie an ... müssen sie anhalten und dann sind wir da und locken sie weg.“
„Pwi, erst mal bis dorthin kommen und xorr, wie willst du das komische Gefährt denn reparieren?“ fauchte jetzt auch noch Nobajapal. “Wir haben keine Ahnung von Menschenautos!“
„Stimmt, bei Ubeka! Hich, Nobajapal, daran habe ich gar nicht gedacht! Aber wir könnten die Lumantis zwingen uns das Auto zu reparieren und später könnte auch einer von ihnen dieses Lieferauto für uns fahren! “
„Ach, bis wir bei denen sind, das dauert alles zu lange. Ich habe eine bessere Idee“, sagte jetzt Xuraduton. “Wie wäre es, wenn wir über unsere Kontaktgräte einfach die Kameraden zur Hilfe holen würden?“
“Bei Anthsorr, sehr gute Idee, Xuraduton, doch dann würden die sich natürlich auch zuerst die Schädel der beiden Lumantis holen und nicht nur das, auch noch die Kostbarste aller Trophäen würden sie uns wegschnappen, den Kopf des Oten.“
„Furchtbarer, schrecklicher Gedanke!“ Die vier Jisken schüttelten verzweifelt ihre Köpfe.
„Außerdem will ich den Agol als Geisel für mich haben!“ rief Gulmur aufgeregt dazwischen. “Ich hoffe, dass das euch wirklich klar ist!“
„Ist es doch Kamerad, werde doch nicht gleich darüber unruhig“, meinte Boktafton sanft. “Aber was haben wir davon, wenn wir zu spät kommen. Das Brummen eines kleinen Raumschiffes kann man bei dieser Stille, die über der Stadt lastet, recht gut bis hierher vernehmen, und mir ist so, als hörten wir es schon seit einem ganzen Weilchen nicht mehr.
„Stimmt!“ meldete sich Nobajapal. “Gerumpelt hat es nirgendwo, also ist der Oten nicht abgestürzt. Was bedeuten könnte, dass er hier in der Nähe gelandet ist und sich wohl noch immer in diesem sonderbaren Gebäude mit Treibstoffen für Fahrzeuge aufhält.“
„Du hast Recht, Boktafton!“ stimmten ihm jetzt auch die übrigen Jisken zu. “Es ist jetzt völlig egal, wer von uns den Kopf des Oten kriegt. Viel wichtiger ist es doch, das unser Volk diesen grässlichen Herrscher endlich in die Hände bekommt.“
„Nein, das ist es eben nicht!“ knurrte Gulmur noch aufgebrachter. „Ich persönlich habe ein Anrecht auf diesen Gottkönig und zwar lebendig, denn er hat mir und meiner Familie sehr viel Leid zugefügt und niemand sonst hat ihn zu bekommen!“
„He, Kamerad, du verspielst aber hier wertvolle Zeit“, fauchte Oktikilta. “Was hast du davon, wenn ihn niemand bekommt. Den Oten ohne seine Leibgarde zu treffen, das ist wirklich eine einmalige Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte.“
„Aber ich denke“, knurrte Gulmur, “eure Geräte sind so defekt, dass ihr nur über kurze Strecken Kontakte knüpfen könnt?“
„Jedes unserer Geräte hat eine andere Macke, Gulmur. Hajeps pflegen immer, die Kontaktgeräte zu zerstören und auch unsere Ladegeräte. Bei Ubeka, man könnte aber aus unseren vier Geräten ein einziges bauen, dass funktioniert und uns schon genügen würde.“
„Seid ihr denn geschickt genug dazu?“ brummte Gulmur missmutig.
„Nun, wir haben da an jemanden gedacht, der dieses Geschick und auch die genügende Kraft dazu besitzt?“
Boktafton und auch die übrigen Jisken warfen nun Gulmur einen unmissverständlichen Blick zu.
Gulmurs Mundwinkel zuckten. „Meine Schule bei Atimok was?“ knurrte er sarkastisch. „Ich weiß nicht, ob jiskische Geräte so ähnlich gebaut sind wie hajeptische ... außerdem ...“, er machte nun ganz bewusst eine Pause, ehe er weiter sprach und sah dabei der Reihe nach jeden Jisk scharf an, “... was springt für mich dabei heraus?“ Ehe sie noch etwas dazu sagen konnten, sprach er zu ihrer Überraschung einfach schnell weiter. „Xorr, ich meine zu wissen, dass sich euer Volk auch Sklaven hält, nicht viel anders als die Hajeps.“ Er schwieg wieder für einen Moment und seine kleinen, gelben Augen blickten dabei trüb. „Trowes genießen bei euch ebenso wenig Achtung. Ihr habt auch eine gottähnlichen Kaiser und ...“
„Kontriglusia, wir sollten schnell machen, damit es hier nur so von Jisken wimmelt“, rief Xuraduton ziemlich erregt, „wir ... wir müssen ihn umzingeln! Bei Ubeka, es wird die Hajeps schwächen, keinen Oten mehr zu haben.“
„So ein Unsinn!“ knurrte Gulmur und schüttelte wild seinen klobigen Kopf. „Eure Kameraden haben sich inzwischen bestimmt sehr weit zurück gezogen, denn hier ist nicht ihr Gebiet. Doch ganz in der Nähe befindet sich die Lotekenstadt Askonit“, setzte Gulmur nun mit großer Begeisterung hinzu. “Was haltet ihr davon, wenn wir ein¬fach diese Rebellen herbeiordern. Sie sind auf unserer Seite, sie hassen ebenfalls das Hajepsystem!“
„Diiiie?“ kreischte Boktafton aufgebracht. „Die sind doch auch nicht viel anders als die Hajeps. Weder die Loteken wollen uns Platz machen, noch gönnen uns die Hajeps irgend ein Plätzchen auf dieser Erde. Aber wir wer¬den uns hier schon genügend Raum erkämpfen. Xorr, warum sollte es nicht möglich sein, dass gleichberechtigt drei verschiedene Völker auf diesem herrlichen Planten nebeneinander leben könnten?“
„Dazu gibt es aber immer noch zu viele Menschen...“, ächzte Gulmur nachdenklich.
„Es sollte doch nicht zu schwierig sein, die Lumantis völlig auszurotten“, meinte Xuraduton. „Bei Ubeka, die sollen sich ja verstecken vor Angst wie die Ameisen in allen möglichen und unmöglichen Winkeln dieses Planeten. Habe neuerdings sogar von einem Gerücht gehört, dass sie sich bis in die Erde hinein verkriechen würden.“
„Ja, es ist nicht nur ein dummes, auch ein feiges Volk!“ schimpfte nun auch Nobajapal. “Ich verstehe nicht, weshalb die Hajeps so etwas nicht schon längst restlos vernichtet haben! Xorr, wenn wir den Oten erst einmal haben, werden die Hajeps völlig verwirrt sein. Sie werden nicht mehr so großspurig auftreten, als wären sie etwas besseres als alle übrigen Völker Raik-Somtes!“
„Ja, sie müssen diese Erde endlich mit uns teilen“, rief Oktikilta begeistert dazwischen. “Das wollen wir erreichen!“
„Und meine Familie?“ krächzte Gulmur. “Ich will, dass meine Familie frei kommt! Werdet ihr später auch wirklich dafür sorgen, wenn ich euch die Kontaktgeräte repariere? Ich bin nur ein Trowe, niemand sonst kann für mich bei eurem Kaskan ein gutes Wort einlegen als ihr. Werdet ihr das auch wirklich für mich tun?“
„Aber sicher doch, Kamerad.“ Boktafton legte den Arm um dessen breite Schulter. “Weißt doch, du kannst dich auf uns verlassen!“
„Xorr“, rief mit einem Male Nobajapal. „Seht ihr, was ich gerade sehe?“ Sein behandschuhter Finger wies nach rechts zum gegenüberliegenden Bürgersteig. Dort lehnte unter einem herbhängenden Ast an einem mächtigen Stamm ein altes, aber wohl noch funktionstüchtiges Rennrad.
„Da haben wir also endlich ein Fortbewegungsmittel“, knurrte Gulmur erleichtert, „mit dem wir schon mal ein Stückchen schneller sein könnten.“
„Ja, aber nur eins“, schnauften die Jisken. “Xorr, was nutzt uns das?“
Gulmur wollte gerade nach der Lenkstange greifen, um das Fahrrad zu überprüfen, als sein kräftiger Arm festgehalten wurde. “Du willst uns doch wohl nicht davon fahren“, schnaufte Boktafton bedrohlich, “um dir allein die leichte Beute zu holen?“
“Willst du mich einschüchtern?“ knurrte Gulmur und fletschte dabei seine überlangen Zähne. „Wir Trowes sind zwar ein Volk von Vegetariern, aber sowas kann sich durchaus ändern....“ und er blickte dabei mit seinen orange gesprenkelten Augen genau auf jene ungeschützte Stelle von Boktaftons Hals, die unter dem Helm recht gut zu sehen war. “Das ist mein Ernst“, setzte er hinzu. „Wir sind nämlich auf unserem langen Fluchtweg in Versuchung gekommen, zum Beispiel von frisch gekochtem Hühnerfleisch zu naschen.“ Seine Augen blitzten gefähr¬lich. „Es hat uns hervorragend geschmeckt und so haben wir es aufgegessen. Ebenso das Scheinefleisch, beinahe noch leckerer oder hieß es Weinefleisch? Egal, jedenfalls war es wirklich ... sehr nurrfi!“ Gulmur schnalzte dabei genießerisch mit seiner lilafarbenen Zunge.
„Im Ernst?“ rief die Meute erschrocken, schüttelte sich voller Ekel und Boktafton ließ Gulmur sofort los. „Blutiges, wabbeliges, sehniges Fleisch soll schmecken?“
„Es war doch gar nicht mehr nicht blutig!“ Gulmur schluckte, weil ihm plötzlich wirklich Spucke im Munde zusammen gelaufen war. „Es war wunderbar gekocht oder lecker gebraten ... hmmm!“ Und dann schob er das Rad ein wenig vor und zurück. Es schien wirklich in Ordnung zu sein.
„Xorr, weißt du denn, wie ein Hühner oder ein Wein lebendig aussieht?“ riefen nun die Jisken neugierig, denn sie stellten fest, dass sie ebenfalls ziemlich hungrig waren.
“Xorr, vielleicht laufen ja noch einige davon hier herum?“ Gulmur machte ein gewichtiges Gesicht. „Ein Hühner ist ein großer Vogel und bestimmt halten sich Lumantis einige davon zumindest außerhalb dieser Stadt. So auch Weine!“ erklärte Gulmur. “Weine sind glaub` ich leckerer, sie sind ohne Fell, habe ich mir sagen lassen, rosafarben, aber es gibt auch ganz schwarze, die sind etwas kleiner und schwarz weiß gescheckte Weine ...“
„Nackte Tiere also?“
„Richtig!“ Gulmur schwang sich nun auf das Rad. Das hätte er lieber nicht tun sollen, etwas braunes Schlangengleiches würgte ihn nicht nur plötzlich am Halse, es riss ihn auch zu Boden. Er keuchte, versuchte wenigstens noch ein kleines bisschen Luft zu bekommen und seine gewaltigen Pranken mühten sich gleichzeitig, das gum¬miartige Tau ein wenig zu lockern, aber vergeblich. Wild hämmerte der Puls in seinen Schläfen und in den Gehörgängen. Er wusste, in wenigen Sekunden würde er erstickt sein.
„Du unterschätzt unsere noch funktionstüchtigen Waffen Gulmur“, zischelte Boktafton erbost, vor dem Gulmur am Boden lag. „Was nützt dein scharfes Gebiss zum Beispiel gegen diese hochelastische Tabruka, Gulmur?“ Die Tabruka zog sich dabei noch fester zusammen und Gulmur zuckte, krümmte sich vor Schmerzen. „Du kannst stolz auf dich sein, Gulmur, denn du hältst lange aus. Ein anderer wäre längst erstickt. Du hast einen starken Körper! Aber stell dir vor, wir sind gnädig mit dir...“
Boktafton stellte nun die peitschenartige Waffe mit einer kurzen Fingerkrümmung so ein, dass sie sich etwas lockerte. Gulmur rang jetzt verzweifelt nach Atem, trotzdem bekam er nur sehr wenig Sauerstoff in die Lungen.
“Sei dankbar, dass wir dich nicht alleine wegfahren haben lassen, denn auch die Waffen des Oten scheinst du gewaltig zu unterschätzen.“ Er lockerte nun so weit die Schlinge, das Gulmur wieder normal Luft holen konnte. „Kraft ist nicht mehr angesagt Gulmur! Die Technik, die technische Perfektion allein ist das, was zählt! Du wirst uns jetzt unsere Ladegeräte reparieren, poko?“
„Poko!“ schnaufte Gulmur, als er endlich wieder einigermaßen denken konnte. “Aber ...“, er krächzte, da die Kehle erst einmal durchblutet werden musste, „... aber das ist euer Fehler, dass ihr zu sehr auf die Technik baut!“ Und er bewegte vorsichtig den schmerzenden Nacken. „Mag sein, dass wir noch für einige Zeit technische Unterstützung brauchen werden, aber dann sollten wir wieder zurück zur Natur.“ Und abermals drehte und wendete er den Hals.
„Du sprichst sehr lotekisch, Gulmur“, bemängelte Boktafton und ließ die Tabruka sich wieder einrollen. „Dabei haben euch doch anfänglich unter der Führung Chiunatras sogar Loteken verfolgt!“
„Ja, es ist leider so, dass alles auf die Hajeps hört und Trowes überall verachtet werden“, stöhnte Gulmur und versuchte sich wieder aufzurichten. „Da machen selbst Rebellen wohl keine Ausnahme.“ Endlich gelang es ihm sich mit trauriger Miene wieder aufzurappeln. „Ich weiß, mein Vater hält nicht viel von Rekomp Chiunatra.“ Er musste sich erst einmal am Baumstamm festhalten, so schwindelig war ihm, aber er hütete sich dabei das Rennrad zu berühren. “Ich meine die Hajeps verwirren bisweilen die Sinne der Loteken. Doch ihre Idee, wieder zum natürlichen Leben zurück zu finden, ist einfach gut! Ihr solltet ihnen daher vertrauen und ich glaube, Chiunatra würde inzwischen auch mir eher Gehör schenken als euer Jefnatin! Nun, gut“, fauchte er, „dann werde ich eben eure Ladegeräte reparieren, aber mir ist noch etwas eingefallen, falls euch das interessiert?“
Die Jisken nickten neugierig.
„Hier in der Nähe müssten noch zwei Motorräder mit Anhängern sein, die meine Familie und ich benutzten, als wir von den Hajeps überfallen wurden.“
„Mach` dir keine zu großen Hoffnungen Kamerad“, wandte Oktikilta mit wegwerfender Handbewegung ein. „Es ist sehr anzunehmen, dass die Hajeps eure motorisierten Dinger längst zerstört haben.“
„Dem kann auch ich leider nur zustimmen!“ meinte Nobajapal. „Das machen sie nämlich sehr häufig!“
„Ich weiß, war ja nur so eine Idee!“ brummte Gulmur.
„Es sei denn, die Hajeps sind diesmal vielleicht durch irgend etwas Überraschendes davon abgebracht worden!“ bemerkte nun Xuraduton ziemlich nachdenklich.
„Wo habt ihr sie denn liegen lassen?“ erkundigte sich Boktafton, ziemlich neugierig geworden.
„Ich kann euch hinführen, aber wird sich das denn lohnen?“ Gulmur machte ein missmutiges Gesicht.
„Nur nicht verdrießlich werden, Kamerad,“ Boktafton legte wieder den Arm um Gulmurs kräftige Schulter. „Du versuchst, während wir weiter laufen, unsere Geräte zu reparieren und weist uns den Weg zu diesen komischen Mo ... Mott ... xorr ... wie heißen die doch gleich?“
„Motorrädern!“ wiederholte Gulmur.
„Ach ja, richtig, Motorrädern den Weg, poko? Nobajapal, du darfst übrigens das Rad schieben! “
„Poko!“ knurrten Gulmur und Nobajapal.
„Und sollte irgend jemandem von uns ein Hühner oder dieses leckere haarloses Tier auffallen - es könnte übrigens dabei ruhig gescheckt und auch ein kleineres sein - dann gebt Bescheid, chesso?“
„Chesso!“ erwiderte die Meute und setzte noch laut und kräftig hinzu: “Lang lebe Kaskan Jefnatin, lang lebe das Volk der Jisken!“
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Munk schleppte sich nur noch mühsam vorwärts. Er war ja so traurig, Die ganze Zeit war er gelaufen, ohne ein Nickerchen – das doch längst dringend dran gewesen wäre - zu machen und hatte darüber nachgegrübelt, weshalb der nach ekeligem Parfüm stinkende aber sonst immer so nette Zweibeiner ihn nicht ins Auto gehoben und zu seinem alten Frauchen und den beiden kleinen Zweibeinern gebracht hatte. Was war nur plötzlich überall los? Nichts stimmte mehr!
Die Pfoten taten ihm weh. Ach, wie oft hatte er sich die schon geleckt. Außerdem war er schon wieder hungrig. Aber wie konnte man zum Beispiel leckere, trippelnde Quietschebällchen verspeisen, wenn man keine Zähne mehr im Maul hatte? Der letzte, es musste ein dicker, schon etwas verbrauchter Backenzahn gewesen sein, war ihm, als die Sonne noch höher am Himmel gestanden hatte, einfach aus seiner Schnauze gefallen wie ein lästiger Kieselstein. Und Fell hatte er jetzt wirklich gar keines mehr. Er musste sich bei dieser schrecklichen Feststellung erst einmal setzen und dabei kurz über die nackte, schwarz rosa gescheckte Haut lecken. Ach, er bekam dabei einen Schauer und zwar vom Kopf bis zum Schwanz. Mauuu! Entsetzlich kalt war`s so ohne Fell.
Er erhob sich wieder. Zudem wehte, weil es auf die Nacht zuging, bereits ein recht kühles Windchen. Blätter segelten leise rauschend dicht neben ihm zu Boden. Er blinzelte mit seinen gelben Katzenaugen traurig in die Bäume hinauf. Wo genau befand er sich eigentlich? Er hatte sich zu allem Pech wohl auch noch verlaufen, völlig die Orientierung verloren. Aber er musste doch einen Unterschlupf finden, eine gemütliche Stelle, wo es zumindest so ein bisschen warm war, ehe vollends die Nacht herein brach. Eine Nacht grässlich bibbernd im Freien zu verbringen, war eine ganz schlimme Vorstellung. Er schüttelte sich, wie er es immer machte, doch kein Fell knatterte freundlich dabei um ihn herum. Er machte einen Buckel und dehnte und streckte dabei jeden Muskel. Das ging erstaunlicherweise völlig ohne jene Schmerzen, die er eigentlich sonst immer kannte, und dann gähnte er langsam und sehr gründlich.
„Määäuuh?“ jammerte er nach einem Weilchen wieder, obschon er ganz heiser geworden war. Ach, wo sollte er nur hin? Selbst diese stinkenden Fellwesen wären ihm plötzlich Recht gewesen, denn die hatten doch zumindest eine kleine, tragbare Schlafstätte für ihn bereit gehabt. “Määä...uuuh?“ krächzte er deshalb noch lauter und daher ziemlich schrill durch diese beklemmende Stille. Also, eigentlich war das ja richtig empörend, he, vielleicht fand sich mal endlich jemand, der ihn hoch nahm, ihn streichelte und ein warmes Deckchen um ihn legte?
Da sah er plötzlich etwas in der Ferne, denn sehen konnte er seltsamerweise auch immer besser, das ausschaute wie ein ... na ja ... Tier mit langem Schwanz. Sah aber irgendwie seltsam aus! Munk versagte deshalb vor Überraschung vollends die Stimme.
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Pommi vermochte sich das hier wirklich nicht zu erklären, außerdem war`s im Flur schrecklich finster. Die verdammten alten Glühbirnen, ständig gingen sie kaputt! Er hatte aber den Lärm gehört und so tastete seine Hand sicherheitshalber nach den beiden Pistolen, die er im Gürtel trug, während er zögernd durch den Türspalt blin¬zelte.
Das plötzliche Quietschen der Tür und Pommis harte Stimme hatte die beiden dermaßen irritiert, dass sie doch zusammen gestoßen waren und sich nun aneinander fest hielten, damit sie nicht hinfielen. Und wieder empfand der Hajep zu seiner Verwunderung den weichen Menschenkörper als nicht gerade unangenehm. Er machte daher keinerlei Anstalten Margrit loszulassen, hatte dabei sogar die Möglichkeiten, dass diese Mülltonnenlumanti nicht nur stinken, ja, womöglich gesundheitsschädlich für ihn sein könnte, völlig vergessen, er bekam lediglich ganz kleine, behagliche Augen.
Margrit hingegen war immer noch am Grübeln, wie sie schleunigst die grässliche Zange los werden könnte, obwohl sie ihre Arme ebenfalls noch immer um ihn gelegt hatte.
„Zened dus!“ wisperte der Hajep, nachdem er gesehen hatte, wie Margrit hinter seinem Rücken mit ihrer Hand wedelte und schon fiel die Zange leblos zu Boden.
Verrückt, Margrit konnte es nicht fassen. Hatte die Zange etwa wirklich auf ihn gehört? Nein, so was konnte es doch gar nicht geben. „Danke!“ ächzte sie dennoch erleichtert und dann schaute sie zu ihm empor, direkt in diese seltsamen Augen, in denen sie einen sanften, warmen Glanz zu erkennen glaubte. Aber hier war es ja dunkel und sicher irrte sie sich, und so machte sie sich nur stumm von ihm frei.
Er schaute ihr dabei zu, denn es machte ihm Spaß, wie sie seine schweren Arme nahm und jeden einzeln von ihren Schultern hob.
„Aha, jetzt ist alles klar“, knurrte Pomadenmaxe verärgert und stemmte dabei die Fäuste in die fetten Hüften. „Ein Liebespäärchen!“
„Diebesplärrschin?“ wiederholte der Hajep verdutzt.
Anscheinend hatte der Händler ihn nicht gehört, denn der sprach einfach weiter: „Und ihr habt hier mal so ein bisschen herum gemacht, was?“
Die roten, schrägen Augen des Hajeps schauten den Händler immer noch nicht klüger an.
„Und dabei nicht nur meine Klingel auch noch die Beleuchtung lädiert. Na, das hab ich gerne!“
„Do you like that?“ fragte der Hajep ungläubig.
„Ehemaliger amerikanischer Footballspieler, richtig?“ Pomadenmaxes Blick wanderte nun doch ein bisschen anerkennend über die riesige, muskelbepackte Schattengestalt hinter Margrit.
Margrit nickte verwirrt. Na ja, was sollte sie schon dazu sagen.
„He, he...“, Pommi kratzte sich nun behaglich an seinem Stiernacken, „... und erst hatte ich direkt schon einen kleinen Schrecken bekommen.“ Er grinste breit und sein kleines Schnurbärtchen wölbte sich dabei über der Oberlippe. „Dachte schon, das wär`n ... hm ... na, sprechen wir das lieber nicht aus! Tja, so dumm wird man in diesen schrecklichen Zeiten!“
„Tja, richtig dumm!“ krächzte Margrit etwas heiser, denn sie war sehr aufgeregt.
„Aber auch wenn ihr zwei hier mal so ein bisschen herumtanzen wolltet“, plapperte der Händler einfach weiter, „... was ihr mir dabei kaputt gemacht habt, macht ihr mir auch wieder ganz.“
“Poko!“ brummte der Hajep.
„Netter Kerl!“ raunte Pomadenmaxe Margrit zu. „ Ja, ja, die lieben Amis! Na, kommt erst mal `rein ... dann gebe ich euch Hammer und Nägel.“
Der Hajep nickte eifrig und viel zu übertrieben, wie Margrit fand.
„Äh, wir wollten eigentlich...“, Margrit schluckte, weil sie der Hajep jetzt so richtig derb in den Raum hinein schob - ob sie dem bei dieser Gelegenheit gleich mal kräftig auf die hochempfindlichen Zehchen treten konnte? „... auch etwas eintauschen“, beendete sie trotzdem ihren Satz.
„Habe nichts dagegen.“ Pomadenmaxe kicherte und die dunkelblauen Wimpern des Hajeps unter der Schirmmütze flatterten deshalb etwas schneller, denn der Händler hatte eine recht merkwürdige Lache. „Na, was habt ihr denn so Schönes?“
„Och, so einiges Interessantes!“ machte Margrit Reklame und keuchte dabei leise, da sie kurz nach hinten, aber leider ins Leere getreten hatte.
„Und wo sind die Sachen nun?“ fragte der Händler und rieb sich schon in stiller Vorfreude die dicken Händchen. Er musterte skeptisch Margrits heruntergekommene Kleidung und dann suchte sein Blick erstaunt nach den Waren, denn Margrit hatte nichts in den Händen.
„Äh, tja ... wo?“ Sie wendete sich nach dem Hajep um, der gerade von der Tür zurück kam - was hatte der dort gemacht? - den Beutel dabei in großem Abstand von sich haltend.
Pommis kleines, rundes Gesicht leuchtete kurz, aber dafür umso erfreuter auf, als er den ziemlich großen Beutel sah, und als der Hajep direkt vor ihm stand wanderte sein Blick höher, bis zu dessen Gesicht und ... er taumelte käseweiß zurück, hatte den Mund geöffnet, brachte aber keinen Ton hervor. Er schnaufte so heftig, während er sich das Herz hielt, als würde er augenblicklich einen Infarkt bekommen Der Hajep hatte wohl vorhin die Tür abgeschlossen, denn nun warf er den Schlüssel spielerisch in die Luft, um den anschließend in seiner großen, breiten Pranke wieder aufzufangen.
"Hallo, Ponni!” erscholl die eigenartige Stimme des Hajeps von oben herab, während er ziemlich interessiert auf den kleinen, dicklichen Mann hinabschaute. “Are you ready?” Der Hajep warf den Beutel in irgendeine Ecke, mit der anderen Hand aber noch immer den Schlüssel hoch und nur dieses Geräusch war zu hören, das Klatschen des Schlüssels zurück in die Handfläche und dann sah der Händler, wie der Hajep nach irgend etwas zu suchen schien, denn der öffnete nun seine Jacke und ein waffenbespickter Gürtel offenbarte sich Pomadenmaxes weit aufgerissenen Augen.
Der Dicke lief jetzt noch zwei, drei Schritte vor dem Riesen zurück, stieß dabei einen Stuhl um und der Hajep stellte diesen wieder ordentlich auf, während er dem Händler geschmeidig wie ein Panther weiter hinterher schlich, dabei diese oder jene – oft recht merkwürdig ausschauenden - Dinge an seinem eigenen Waffengürtel wählerisch begutachtend.
„Oh ... äh ... yes, I am … hm … feel good!” entschloss sich Pommi schließlich dem Hajep doch zu antworten und seine Finger arbeiteten sich - wenn auch zuckend und bebend – endlich zu den beiden Pistolen in seinem Hosenbund vor. „ I`m gl … gl … glad to see you, wirklich!” ächzte Pommi und dann hatte er die beiden Pistolen gezogen.
Als er aufschaute blickte er direkt in die kleine, spitze Mündung eines zu einem Teil aus Metall zum anderen Teil aus Gelee bestehendem, sackförmigen Gebildes, an dem zwei grüne und rote Zellen im Rhythmus von Pommis Herzschlag blinkten. Der Hajep visierte damit die breite, knubbelige Nase des Händlers an, nickte aber freundlich und wies mit dem Kinn neben sich zur Ladentheke.
Pommis buschige Brauen hoben sich verblüfft. „Okay, okay“, keuchte er, „hab` schon verstanden!“ Und er stolperte mehr als dass er ging hinüber zur Ladentheke und legte die beiden Pistolen darauf.
Er guckte wieder in diese mandelförmigen, roten Augen und erkannte, dass der Hajep den Kopf schüttelte und auf die Leiter neben dem Händler blickte.
„D ... diese hier?“ keuchte der Dicke.
Der Hajep nickte machte mit den Fingern eine kletternde Bewegung und schaute dabei zum Wandbord hinter dem Händler.
„Ach so ... sch ... schon v .. verstanden!“ Es quietschte als der Händler die Leiter vor dem Bord aufstellte. Pomadenmaxe war so taumelig vor Schreck geworden, dass er es kaum die Sprossen hinauf schaffte, denn schon ent¬deckte er den Hajep neben der Leiter und hinter der Ladentheke. „Yeah! " rief dieser, Margrits Beutel dabei scheppernd auf die Ablage werfend. "That`s fine, hä?”
Pomadenmaxe stöhnte, als er die Pistolen endlich oben auf dem Bord hatte. "Oh, äh ... ja! Das ist es! Indeed ... indeed!" Der Händler wischte sich mit fahrigen Fingern den Schweiß von der Stirn
"Der ... der kann Deutsch!" half Margrit Pomadenmaxe, die dem Hajep hinterher gekommen war. "Lassen Sie sich da nichts vormachen!
"Oh ... äh ... der kann? " vergewisserte sich der Händler, noch immer durcheinander, denn der Hajep schien plötzlich mit dem Einkaufsbeutel von Margrit zu sprechen, jedenfalls wisperte er diesem irgend etwas Sonderbares zu und Sekunden später reichte er dem Händler – sehr zu Margrits Leidwesen - die Thermoskanne hoch, die Pomadenmaxe ebenfalls auf das Bord stellte.
Kaum hatte der Händler die Leiter wieder zusammen geklappt und in die Ecke gestellt, öffnete der Hajep an einer Seite seine sonderbare, beutelförmige Waffe, mit welcher er immer wieder Pomadenmaxe bedroht hatte, packte mit einem Seufzer endlich Pommis Schlüssel in diese, schob sich ziemlich dicht an ihm vorbei, ergriff nur mit einer Hand die Leiter, sagte: “Thanks!“ und klopfte Pomadenmaxe beim Zurücklaufen so schwungvoll auf die Schulter, dass der fasst in die Knie sackte.
Als Pomadenmaxe sah, dass der Hajep sich entfernt hatte, die Leiter irgendwo hinstellte und nun besonders ein Regal gründlicher in Augenschein nahm, winkte er auch schon Margrit zu sich heran.
"He, der hat mich angeschmiert!“ ächzte er fassungslos. „Das war nur eine Schlüsseltasche ... Himmel, ich Idiot hab` mich die ganze Zeit vor einer stinknormalen Schlüsseltasche gefürchtet.“
„Die sah aber auch zum Fürchten aus!“ versuchte ihn Margrit zu trösten. “Irgendwie außerirdisch!“
„Irgendwie?“ wiederholte der Händler verdutzt. „He, wissen Sie überhaupt, was das für einer ist, mit dem Sie hier hineingeschneit sind?" Offenbar hielt er Margrit für völlig ahnungslos.
„Der da?“ Margrit wies mit dem Kinn nach dem Hajep, der sich nun eine der Kisten aus der zweiten Etage hervorgezerrt hatte und darin sehr interessiert herumzukramen begann.
„Oh Gott! Brüllen Sie doch nicht so!“ wisperte der Mann und schaute sich ängstlich nach dem Hajep um.
“T`schuldigung!” krächzte Margrit schuldbewusst.
”Aber ... hm ... merkwürdig“, Pomadenmaxe fingerte nun eine reichlich zerknautschte Packung Zigaretten aus seiner Hosentasche, während er den Hajep weiter im Auge behielt, der gerade die nächste Kiste hervorgeholt hatte. „Der ... der trägt ja meine Jacke“, stutzte er, „die ich doch so günstig ... aber das ist ja auch meine Schirmmütze“, setzte er wispernd und sehr aufgeregt hinzu. „Das alles muss er wohl vorhin von Freddi gekriegt haben, als ich nicht da gewesen bin ... komisch und seit dem ist Freddi weg!“ Er bekam kaum die Zigarette zwischen seine zuckenden Lippen. „Na ja, war ja eigentlich schon immer kein besonders zuverlässiger Bursche, der Freddi!“ Die Zigarette wippte in seinem Mund auf und nieder. “Aber ... weshalb trägt der hier keinen Helm ... keine Uniform?“ Er suchte nun nach seiner Streichholzschachtel.
Margrit hatte mächtige Gewissensbisse. “Aber, ich trage doch auch keinen Helm?” mühte sie sich deshalb ihn irgendwie zu beruhigen. ”Und wie ich sehe, sie ebenfalls nicht? ” Sie versuchte ein zuversichtliches Gesicht zu machen.
Der Händler seufzte und wedelte ziemlich umständlich das Streichholz aus. “Man sieht`s Ihnen an ... sind viel zu arglos oder ist irgend etwas mit ihrer Brille nicht in Ordnung?” Er saugte an seiner Zigarette, krauste die
buschigen Brauen, während er ihre Brille etwas gründlicher in Augenschein nahm. “Ich habe da übrigens einige ...“
“Nein! Ich trage eine gute ... na ja, ziemlich gute Brille!“
„Und wie konnte Ihnen dann das passieren?“ sagte er ziemlich laut und ein Blick wanderte, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Hajep immer noch mit den Kisten beschäftigt war, dabei ziemlich aufgeregt zum Bord hinauf, wo die beiden Pistolen lagen.
„Was? Mir ist doch gar nichts passiert! “ sagte sie ebenso laut und schaute nun auch empor.
„Kommt noch!“ sagte der Händler, verstaute die Streichholzschachtel in seiner Hosentasche und nahm einen Besen, der hinten an der Theke gelehnt hatte. „So was ist natürlich typisch für Frauen“, murrte er, während er mit dem Besen zum Bord ging und Margrit mit ängstlichen Blicken signalisierte, dass sie dabei nach dem Hajep Ausschau halten sollte. „Kaum steht etwas großes und muskelbepacktes in so einem dunklen Flur neben ihnen ...“, sagte er jetzt so laut, dass der Hajep es hören konnte, „... greifen sie zu, ohne richtig hinzuschauen.“ Er hob dabei den Besen hoch, drehte ihn so, dass dessen Borsten nach oben wiesen. Der Stil zitterte mächtig in seiner Hand. Er warf Margrit einen fragenden Blick zu.
“Ich habe doch gar nicht zugegriffen ...“, verteidigte sie sich, und nickte blinzelnd Pomadenmaxe zu, „ ...der hat mich doch ...“
“Ist doch scheißegal! “zischelte der Händler hinter seiner Zigarette hervor. „Jedenfalls haben sie mir da was ordentliches einbrockt!“ Und dabei hatte er auch schon die beiden Handfeuerwaffen hinunter und nacheinander in seine Hand gefegt. Jedoch nicht die Thermoskanne, obwohl ihm Margrit dies durch Zeichensprache verständlich zu machen versuchte.
„Habe ich gar nicht, denn der wird uns nichts tun!“ sagte sie laut und blinzelte verzweifelt noch immer nach oben, doch der Händler verstand nicht.
„Ach, und woher wissen Sie das so genau? Himmel, diese vielen Spinnenweben ...“, keuchte der Händler und wollte ihr den Besen nicht geben. Doch als er sich auch noch die zweite Pistole in den Gürtel stecken wollte, sah er, wie Margrit erbleichte und mit dem Finger nach hinten wies.
Er wendete sich herum. Der Hajep hatte gerade eine Suppenkelle gefunden, von der er offensichtlich nicht wusste, dass sie eine Suppenkelle war, denn er kam damit zurück und schwenkte dabei die Kelle ziemlich unschlüssig zwischen zwei Fingern hin und her. „Hammer is okay?“ fragte er den Händler und die Kelle in der Hand des Hajeps blieb für einen Moment still, weil sein Blick schon wieder auf den Pistolen ruhte.
Pomadenmaxe sah außerdem, dass der Hajep ein gleichsam sonderbares Ding wie vorhin in der anderen Hand hielt, es erschien Pomadenmaxe diesmal wie eine Dose, blinkte und blitzte aber wiederum ähnlich wie eine Taschenlampe mit einer reichlich schwachen Batterie.
Und wieder wusste der Händler nicht, was er davon halten sollte. Seine Augenbrauen zuckten und schließlich begann hysterisch zu lachen. „Und diesmal haben wir wohl eine Salbendose?“ quiekste er und richtete die beiden Läufe mutig auf den Hajep. „He, he, diesmal lasse ich mich nicht foppen!“
Die sonderbaren Augen verengten sich zu zwei schmalen kleinen Schlitzen und in einem Sekundenbruchteil sauste ein feiner weißer Strahl aus der Mitte der funkelnden Scheibe hervor, noch ehe der Händler es geschafft hatte abzudrücken.
Pommadenmaxe zuckte zusammen, denn es wurde ihm plötzlich heiß über dem rechten Ohr, außerdem roch es komisch nach versengtem Haar und nun tat`s dort auch weh, brannte irgendwie wie ... „Feuer?“ brüllte Pomadenmaxe nun entsetzt. “Feuriooooh!“ Nur mit Mühe konnte er die kleinen Flämmchen mit beiden Händen ersti¬cken.
Der Hajep schlug indes mit der Kelle mehrmals schwungvoll auf einen Tisch, der in der Nähe stand. „Hammer is shit!“ stellte er fest, warf den Stil irgendwo hin und danach heftete sich sein Blick wieder auf Pommi, der mit verkohltem Haar hinter der Ladentheke stand.
„Äh, that wasn’t a hamm …” Der Dicke schüttelte den Kopf und brach dann ab. Er starrte nur in dieses eiskalte, blauhäutige Gesicht und legte wieder beide Pistolen auf die Ablage. “I thought it`s better to put them into this box, eh … ehrlich!“ Er hielt sich an der Theke fest, so schlecht war ihm geworden, denn der Hajep näherte sich ihm, ihn immer noch mit der komischen Scheibe avisierend.
„Poko!“ knurrte der nun und nickte zu Pomadenmaxes Erleichterung. Der Händler hielt sich das Herz und atmete erst einmal tief durch, dann zog er das Schubfach auf und packte die beiden Pistolen dort hinein.
Der Hajep begab sich wieder hinter die Ladentheke, schob dort den Händler ziemlich derb beiseite und begann zu Pomadenmaxes Verwunderung sich abermals mit dem Einkaufsbeutel zu unterhalten, der noch immer auf der Ladentheke lag. „Wun sanna!“ raunte der Hajep in die Tasche hinein und dann holte er ein kleines, Margrit nur zu gut bekanntes, zangenähnliches Gerät daraus hervor und packte es ordentlich zu den Waffen ins Schubfach.
Er schraubte die komische Scheibe wieder an seinen Gürtel und nun nahm er Margrits Tasche bei den Zipfeln und schüttelte deren Inhalt einfach auf die Ablage. Es schepperte mächtig, und der Hajep sah erstaunt sich selber zu, wie die Hälfte davon vom Bord fiel.
Der Händler eilte sofort um den Hajep und um die Ladentheke herum und bemühte sich, wohl um zumindest dieses Mal dem Hajep zu gefallen, die Töpfe aufzuheben. Er ging in die Knie, bückte sich ...
Wie der Blitz war der Hajep um die Ladentheke herum und knurrte nun dem Händler auf halbem Wege zu: "Do you want troubel?"
"Oh ... sorry!" der Händler war wie erstarrt, hielt die Hand noch immer ausgestreckt, wagte sich weder vor noch zurück.
"That`s mine!" fauchte der Hajep und fletschte die Zähne wie eine Raubkatze.
Der Händler erbleichte und seine ausgestreckte Hand zitterte.
"Nö, nö!" mischte sich Margrit aufgeregt ein. "Das ist immer noch meins! ICH habe das alles zuerst gefunden!“ Sie tippte sich dabei ziemlich energisch an die Brust und der Händler starrte nun – immer noch in der Hocke und mit ausgestreckter Hand – völlig entgeistert mal auf Margrit und mal auf den Hajep. "Außerdem wollte dir Pommi bloß helfen und nichts wegnehmen!"
Pomadenmaxe schüttelte nun vorsichtig zu Margrit hin den Kopf, biss fast auf die Zigarette und glotzte bang auf den Hajep .
"Pok … okay!" Der Hajep ging zwei, drei Schritte zur Ladentheke zurück und lehnte sich bequem gegen die Ablage. Er schlug ein Bein über das andere und wartete. "He can do it!"
Doch der Händler regte sich noch immer nicht. Er keuchte nur. Verdattert starrte er wieder von einem zum anderen und dann, als er endlich Anstalten machte, zumindest den Topf, der vor ihm lag, zu ergreifen, kauerte sich auch schon die Frau zu ihm hin um ihm zu helfen.
"Ich war immer der Meinung, dass jeder seine Suppe selbst auslöffeln muss“, fauchte sie Richtung Hajep, während sie ebenfalls einen der Töpfe ergriff, „und wenn ihm jemand dabei hilft, sollte der wenigstens Dankbarkeit kennen!"
"Hat keinen Zweck, dass Sie dem das so erklären!" wisperte der Händler ängstlich, nachdem er auch eine Pfanne auf die Theke zurück gestellt hatte. "Selbst wenn Sie es nicht glauben wollen, der versteht nur ihre Tonlage, aber kein Deutsch! "
"Und ob er Deutsch versteht, nicht wahr?"
Der Hajep lehnte noch immer mit dem Rücken an der Ablage und zuckte mit keiner Wimper. "I don` t know what you’re talking about", beeilte er sich schließlich doch, Margrits verärgerten Blick zu beantworten.
"He, du lügst ja richtig!" fauchte sie und stellte dabei noch ein kleines Töpfchen neben den Hajep auf die Ladentheke.
"Xorr! Hat schonn geloggen jemand falsch?" rief er ihr über seine Schulter hinweg zu.
Die Augen des Händlers quollen vor Erstaunen schier hervor. "He, d ... das war ja ein richtiger kleiner
Witz?" keuchte der und dann lachte er erleichtert, leider zu lange, denn er hörte gar nicht mehr damit auf!
Margrit konnte das ja verstehen, denn die Nervenanspannung war einfach zuviel für ihn gewesen, und entlud sich nun auf diese Weise.
Nicht so der Hajep. Der hatte zwar das quietschige Geächze zunächst ziemlich interessiert beobachtet, den Kopf skeptisch hin und her werfend, doch dann war er hinter die Ladentheke gewandert, hatte sich den nächstbesten Stift ergriffen und mit diesem bei jedem weiteren Lacher so heftig auf die Gummiauflage vor sich gehämmert, dass der Stift sich dort festgehakt hatte. „Hich!“ rief der Hajep verwundert und versuchte nun den Stift aus der Gummiauflage zu ziehen. Pomadenmaxe schaute auf, war darüber dermaßen verdutzt, dass ihm der letzte Gluckser buchstäblich im Halse stecken blieb.
"Zukunftisch du nür lacherst zoo langer und lauter wie ich dir befelle, chesso?" schnaufte der Hajep, während er nur mit großer Kraftanstrengung den Stift wieder aus der Auflage zog und dann einfach hinter sich warf. „Chesso!“ keuchte Pommi.
Der Hajep nickte beruhigt. "Und nunni wirr gerrn hätten etwas getäuscht - haute!" erklärte er schon etwas freundlicher und trommelte dabei mit je zwei Fingern auf einige der Töpfe
"Was sagt der?" wandte sich der Händler erschrocken an Margrit. "Ich muss ihn wohl zu sehr gereizt haben, denn er will mich täuschen und - wenn ich Recht gehört habe - auch anschließend ver ... hauen!" Bei den letzten Worten hatte er die muskelbepackten Arme des Hajeps ziemlich gründlich gemustert, der immer noch die Töpfe der Reihe nach betrommelte.
Margrit kicherte: "Tja, so kann man andere erschracken, wenn man nicht dautlicher sprächt? "
Der Hajep hielt inne, dann runzelte er die wohlgestaltete Stirn und begann, die Töpfe der Größe nach sehr ordentlich auf der Ablage zu sortieren. Schließlich rieb er sich sehr nachdenklich das tätowierte Kinn, während all diese Dinge betrachtete. "Kippt alltiss Sprischwörd bei eusch, heißert: Blindis Huhn hat seininn Prreis!"
"Nein! Alles hat seinen Preis!" korrigierte Margrit ihn, während sie den Zettel hervor holte, auf dem alles stand, was die Spinnen von ihr haben wollten. “Und das mit dem Huhn ist ein ganz anderes Sprichwort, das du damit vermischst hast.“
Der Hajep nickte und dann schaute er den Händler erwartungsfroh an.
„Nun?“ fragte Margrit und machte dabei eine aufmunternde Bewegung für den Händler hinter die Ladentheke.
„Wollen Sie uns jetzt nicht bedienen?“
Pomadenmaxes buschige Brauen zuckten nervös. “Be ... be ... bedienen?“ ächzte der ungläubig und seine kleinen Augen huschten wieder verwirrt von einem zum anderen. „Wirklich? Ich meine in echt jetzt? Aber wozu? Na, egal!“ Er holte tief Atem. „Verrückt zwar, aber warum nicht?“
Er lief hinter die Ladentheke und baute sich nun, wesentlich mutiger geworden, zur Linken des Hajeps auf, wäh¬rend sein Blick begehrlich über das viele Stahl glitt. "He, jetzt werden wir hier mal alle vernünftig Deutsch mit¬einander reden, gelle?" Er rieb sich die kleinen dicken Händchen.
"Geld!" knurrte der Hajep und machte ihm noch mehr Platz.