Das Mädchen, der Killer und die Finsternis

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ArneSjoeberg

Mitglied
Wie ein Raubvogel von seinem Horst blickte Borg in den Saal unter ihm. Jeder da unten hatte Leichen im Keller liegen und er kannte sie alle mit Vornamen. Es war sein Job. Er massierte die Muskelstränge in seinem Nacken, dann legte er die Hand wieder auf das Geländer.
Sein Smartphone meldete sich. Sylvie hatte ein Foto geschickt, mit nichts weiter an als einem durchsichtigen Hauch von Schwarz und einer Nachricht: „Glückwunsch zur Beförderung. Wenn du nach Hause kommst, darfst du mit mir machen, was Du willst.“
„Es ist nach zwölf, da können sogar Sie die Jacke öffnen, auch wenn Sie nicht hierhergehören, Ragnar.“ Mikkelsen hatte noch nicht einen einzigen Knopf seines Abendanzuges geöffnet und die Fliege saß so perfekt, als wollte sie gleich zu ihrem Jungfernflug abheben.
Borg blickte dem zwei Köpfe Kleineren auf die Glatze. „Was ist mit Ihnen?“
„Ist Ihnen entgangen, dass ich hier Johannes Hakonsen vertrete?“
„Das habe ich wohl verpasst.“
„War Ihre Beförderung ein Fehler?“
„Dann war es einer von Ihnen.“
Mikkelsen blickte wie Borg auf das Treiben im Saal hinab. „Sie sind so sauber, kompetent und effizient. Aber Sie sind mir auch zu schnell, und schnelle Leute haben immer einen Plan. Kommen Sie nicht auf die falschen Ideen. Unter den Gästen, die da unten tanzen, werden Sie niemals sein. Setzen Sie Ihren Fuß nur eine Treppenstufe tiefer und ich nehme Sie aus dem Spiel.“
Er machte einen Schritt zur Seite. „Einen netten Abend noch und feiern Sie Ihre Beförderung. Mit Sylvie, vermute ich.“
Borg hatte genug gesehen. Er piepte seinen Fahrer an, holte den Mantel und ging zum Seitenausgang. Die acht Stufen bis zur Straße nahm er mit vier großen Schritten, riss die Tür des schwarzen Geländewagens davor auf, ließ sich auf den Rücksitz fallen und wischte sich die Schneeflocken von den Ärmeln.
„Nach Hause, Sir?“ Sergeant Meyers ließ den Wagen anrollen.
„Wohin sonst? Geben Sie Gas!“
Mit Daumen und Zeigefinger rieb sich Borg die schmerzende Nasenwurzel. Wieder summte sein Telefon. Er nahm an und knurrte: „Simmons, was zum Teufel fällt Ihnen ein, mich um diese Zeit anzurufen?“
„Tut mir leid, Sir, aber ich bin gerade durch einen Alarm geweckt worden. Im Polizeicomputer ist eine Vermisstenanzeige aufgetaucht mit einem der Suchbegriffe, die Ryland Mikkelsen vorgegeben hat. Und nicht irgendeiner. Ein Alphaselektor.“
Weder die Nachricht noch meine Laune werden besser, wenn sie mir den Mist scheibchenweise servieren. Also?“
„Ein Tom Breedlove aus Südafrika sucht hier in Oslo nach seiner verschwundenen Schwester. Der letzte bekannte Arbeitgeber von ihr war der Security Service, der für die Sicherheit des Hauptsitzes von South African Oil and Diamonds in Durban zuständig war. Wir haben sie vor einigen Jahren übernehmen wollen und dann wurde alles ziemlich hässlich. Sie erinnern sich vielleicht.“
„Mein Gedächtnis funktioniert noch ganz gut. Schmeißen Sie Deckland aus dem Bett und tackern Sie ihn vor seinen Computern fest. Ich will alles über diesen Breedlove wissen. Und wenn er die Informationen hat, soll er sie anschließend aus dem Polizeinetzwerk löschen. Finden Sie das Hotel von dem Breedlove heraus, wir werden ihn besuchen. Ist Mikkelsen informiert?“
„Ich wollte Ihre Anweisung abwarten.“
„Also nein. Belassen Sie es dabei. Ich kümmere mich selbst darum. Borg Ende.“
Er ließ das Telefon wieder in seinem Sakko verschwinden und blickte durch das Seitenfenster, ohne die dicken Tropfen, die der Wind an die Scheibe des Wagens klatschte, auch nur wahrzunehmen. „Bringen Sie mich ins Hauptquartier“, sagte er zu Meyers.
„Ärger Sir?“
„Wie lange sind sie jetzt in meinem Team gewesen, Ihre Antwort schon nicht mehr mitgerechnet?“

Drei Stunden später sagte Borg zu Breedlove: „Ich bin Major Borg. Sie haben bei der Polizei eine Vermisstenanzeige aufgegeben und ich bearbeite den Fall. Sie sind Tom Breedlove aus Durban in Südafrika und Sie suchen nach ihrer Schwester Susan. Korrekt?“
„Das habe ich gestern der Polizei gesagt. Und wer sind Sie?“
„Ich leite eine aus internationalen Spezialisten bestehende Einheit, die gegen die immer mehr ausufernde weltweite Firmenkriminalität vorgeht. Der Vorstand von South African Oil and Diamonds wurde Opfer eines Verbrechens, dessen Hintermänner bis heute nicht gefunden wurden. Vielleicht liefern Sie uns ja den entscheidenden Hinweis, nach dem wir so lange gesucht haben.“
An der Wand gegenüber zuckte es um die Mundwinkel von Simmons. Borg schoss einen scharfen Blick auf ihn ab. Sofort zeigte das Gesicht des Captains wieder dessen Standardgrinsen.
Über Breedloves Stirnglatze rannen Schweißtropfen. Er holte aus seiner Jogginghose ein altmodisches Taschentuch hervor und wischte sich über die Stirn. „Major? Das hört sich nach Militär an und nicht nach Polizei. Ich ... ich suche doch nur meine Schwester!“
Borg ließ seine Gelenke knacken, zog seine Jacke aus und warf sie über die Rückenlehne seines Sessels. „Warum, Mister Breedlove?“
„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“
„Ihre Schwester ist noch während der Ermittlungen zu einem Terroranschlag, der einundzwanzig Menschen das Leben gekostet hat, verschwunden. Das macht sie zu einer Verdächtigen und ich kann ganz Oslo auf den Kopf stellen, um sie zu finden. Und ich kann ‚das Finden‘ tot oder lebendig befehlen. Was davon ich tue, hängt von Ihren Antworten hier und jetzt ab. Also?“
Borg trommelte mit den Fingern auf die Sessellehne. Breedlove schaute zu Simmons hinüber, doch das Lächeln des Captains klebte unverrückbar in dessen Gesicht. „Meine Schwester hatte damit nichts zu tun. Im Gegenteil, es war alles ganz anders!“, stöhnte Breedlove und knetete das Taschentuch in seinen Händen.
„Und wie?“
„Na ja, also an dem Tag damals hatte Susan frei und wollte einkaufen. Sie passt auf wichtige Leute auf und sie ist wirklich gut darin, wissen Sie? Sie hat sogar schon mal einen Kerl, der mit dem Messer auf ihren Boss losgegangen ist, erwischt. Hat ihm das Ding aus der Hand gewunden und es ihm dann in den Hals gesteckt. Einfach so. Bis zum Anschlag. Und der Kerl war groß, richtig groß. Sogar einen Orden hat sie dafür gekriegt. Sowas konnte sie, unsere Susan. Jedenfalls – sie fuhr mit Micky, das war ihr Sohn, der war erst sechs, und ihrem Mann, der die Videos gesteuert hat, morgens nach Durban. Micky fand das immer so toll, wenn er seinem Vater beim Arbeiten zusehen durfte. Er schlief dann nachts immer nicht, wenn er am nächsten Tag bei seinem Vater sein konnte, wissen Sie? Jedenfalls, als die Sitzung anfing, ließ Susan die beiden alleine und ging einkaufen. Sie hatte dafür immer so wenig Zeit sonst.“
Er stockte, sein Blick verlor sich irgendwo hinter Borg und der räusperte sich. Breedlove zuckte zusammen und sprach schneller. „Als sie nach ein paar Stunden wiederkam, waren alle tot. Zwei Tage später, gleich nach der Beerdigung, ist sie weg gewesen. Wir haben alles abgesucht, auch die Polizei, aber niemand wusste etwas und alle dachten, dass sie sich aus Gram das Leben genommen hat. Ja und dann kriegte ich vor einer Woche eine Internetnachricht, dass jemand sie gesehen hat. Hier. Mehr nicht. Ich habe einem Professionellen Geld gegeben, aber der konnte mir nur sagen, dass die Nachricht aus Oslo kam. Und nu bin ich hier. Ich will nicht, dass Susan was Falsches macht. Ich will nicht auch noch meine Schwester verlieren!“
„Was denken Sie, was sie vorhat?“
Breedlove rutschte wieder mit seinem Hintern auf der Sitzfläche des Plastikstuhls hin und her. Sein Blick huschte mal hier und mal dahin, wich aber immer dem von Borg aus.
Borg knallte die Hand auf die Armlehne. „Antworten Sie!“
„Ich weiß es doch nicht!“ Breedlove krümmte sich zusammen. „Sie ist nicht schlecht, wissen Sie? Aber sie ist anders als ich, so herrisch. Man kann nicht mit ihr reden, sie weiß immer alles besser. Und sie kann so böse werden. Wenn sie erfährt, dass ich nach ihr suche, und dass ich mit Ihnen geredet habe, macht sie mir bestimmt Ärger. Richtig Ärger!“
Simmons zuckte die Schultern, tippte sich mit einem Finger an die Stirn, aber Breedlove schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht verrückt. Die Welt ist es und daran ist Susan krank geworden. Aber sie hat sich nich umgebracht und untergegangen is sie auch nich. Nee, nich Susan. Nich bevor sie die Mörder ihrer Familie hat!“
Auf einmal war er ein Mann voller Zorn; ein Mann, der seine Familie und seine Schwester an eine Welt verloren hatte, die er nur noch hasste.
„Haben wir schon etwas von ihr?“ Borg blickte Simmons fragend an.
Der Captain wischte über das Tablet in seiner Hand und reichte es Borg. „Nur ein Foto von seinem Handy. Es ist zehn Jahre alt. Ich habe es durch den Computer geschickt und es auf ihr heutiges mögliches Aussehen prognostizieren lassen. Es tut mir leid, Sir.“
Borg blickte auf das Tablet, das Simmons ihm hinhielt. Die Frau auf dem Bild hatte ein herzförmiges Gesicht mit einer aristokratischen Nase; schwellenden roten Lippen, die wie für das Küssen geschaffen schienen und blassblauen Augen, so kalt wie arktisches Eis. Es waren die gleichen Augen, die ihn jedes Wochenende zu Hause anblickten, Sylvies Augen.
Deutlich sichtbar bewegte sich sein Adamsapfel. Mit Daumen und Zeigefinger vergrößerte er ihre Nachricht auf seinem Smartphone, bis nur noch ihr Bild ohne den Text zu sehen war, streckte den Arm aus und hielt es dem Südafrikaner vors Gesicht. „Ihre Schwester ist eine außergewöhnlich schöne Frau.“
Breedlove blickte mit runden Augen auf das Foto der halbnackten Sylvie, schluckte mehrmals und nickte schließlich. „Ja, das ist Susan. Sie hat sich selbst immer für ihr Aussehen gehasst. ‚Männer reduzieren mich nur auf meinen Arsch und meine Titten‘, hat sie immer gesagt. Darum ist sie zum Sicherheitsdienst gegangen. Sie wollte es den Kerlen beweisen. Und bei Gott, ich kann ihnen sagen, sie hat so manchen von den Typen aufs Kreuz gelegt. Und sie ist so klug.“ Mit feuchten Augen schaute er auf das Bild seiner Schwester.
Borg steckte sein Smartphone wieder ein und wendete sich zu Simmons: „Weiß der Teufel, wie sie es geschafft hat, alle zu täuschen. Ich muss wissen, was sie bis jetzt in Erfahrung gebracht hat und ich will die E-Mail sehen, mit der sie ihren Bruder hier informiert hat.“
„Ersteres wird wahrscheinlich schwierig.“
„Deswegen mache ich das auch selbst. Sie kümmern sich um ihre elektronische Kommunikation!“
Der Captain kniff sich ins Kinn. „Vielleicht können wir sie umdrehen? Sie ist eiskalt, intelligent, hat unsere Sicherheitsüberprüfungen überstanden und ist an Waffen ausgebildet. Natürlich nur, falls Sie sich nicht emotional kompromittiert fühlen, Sir.“
Borgs Augenbrauen schossen in die Höhe. „Wie war das?“
Simmons straffte sich. „Ich meinte, Sir, dass ...“
„Es interessiert mich einen Dreck, was Sie meinen, Captain. Sie haben keine Ahnung, wie gefährlich eine intelligente Frau ist, die hasst. Man kann sie höchstens in die richtige Richtung drehen, aber dann geht man besser in Deckung. Lassen Sie Breedlove in die Basisstation N22-B schaffen. Kein Kontakt, keine Kommunikation. Jede Aufzeichnung über den Vorgang wird gelöscht. Mikkelsen informiere ich persönlich.“
„Jawohl Sir!“
„Außerdem filzen Sie den Lebenslauf von ihr. Bis spätestens Nullachthundert will ich wissen, wer sie in was und wann ausgebildet hat. Wir haben das komplette Datacenter von denen übernommen und da müssen diese Informationen gespeichert sein. Und schmeißen Sie Dr. Tenner aus dem Bett. Ich brauche eine prognostische Persönlichkeitsstrukturanalyse von Sylvie. Auch bis um acht.“
Demonstrativ blickte Simmons auf seine Armbanduhr. Es war nach zwei Uhr in der Nacht und es war Neujahr. Borgs Augen unter den buschigen Brauen wurden dunkel und kalt. „Wollten Sie noch etwas bemerken?“
„Nein, Sir!“
Breedlove mischte sich ein: „Was ist mit Susan? Und wer ist Sylvie?“
Borg griff nach der P 228 in seinem linken Achselholster. „Sie sucht nach dem Mann, der ihre Familie ausgelöscht hat?“
„Das hatte ich doch schon gesagt!“
So langsam, als wöge die Waffe Tonnen, schwenkte Borg den Lauf der Pistole, bis er auf die Stirn des Südafrikaners zeigte. „Sie sitzen ihm gegenüber, Mr. Breedlove.“

„Halten Sie an. Den Rest gehe ich zu Fuß.“ Borg wartete, bis der Sergeant ihm die Tür öffnete, stieg aus und schlug den Mantelkragen hoch. „Sie haben mich direkt nach Hause gefahren. Deckland soll das im Bordcomputer faken. Ich brauche Sie heute nicht mehr. Ab.“
Für einen Moment war er versucht gewesen, Tom Breedlove tatsächlich zwischen die Augen zu schießen. Der Südafrikaner und seine Schwester waren zwischen die Fronten eines Konzernkrieges geraten, ihr Status als Opfer stand fest und es war nicht die Frage, ob sie sterben würden, sondern nur noch wann.
Mikkelsen hatte damals den Plan für den Angriff ausgearbeitet und Borg ihn ausgeführt. Doch die Leute von South African Oil and Diamonds hatten zurückgeschlagen, den Enkel des Firmengründers entführt und Christin Sundance auf ihn losgelassen. Sie hatte einen ganz speziellen Ruf. Wer in ihre Hände geriet, mochte davor ein schönes Leben gehabt haben. Das, was er nach der Begegnung mit ihr noch führen konnte, verdiente den Namen nicht mehr.
Am zweiten Tag hatte Borg mit seinem Team ohne Mikkelsens Genehmigung zugegriffen, der Enkel des Bosses hatte überlebt und der Rest der Geschichte war mit Blut geschrieben worden. Nur die Sundance hatte Borg nicht erwischt und das wurmte ihn noch immer.
Im Korridor zerrte er die Schuhe von seinen Füßen und schlich auf Socken die Treppe zum Schlafzimmer hinauf. Sylvie schlief auf dem Bauch, eine Hand unter die Wange gelegt, die andere hing über die Bettkante und ihre Atemzüge waren tief und gleichmäßig. Ein erster Sonnenstrahl stahl sich durch die Vorhänge. Sie bewegte sich im Schlaf, er hielt den Atem an, doch sie zog nur die Decke über ihr nacktes Bein und drehte sich auf die andere Seite. Er schloss die Tür und ging nach unten.

Die Sonne hatte sich schon längst über den Oslofjord erhoben, da saß er noch immer auf einem der Barhocker in der Wohnküche. Simmons hatte die Daten über Sylvie zusammen mit der Verhaltensprognose von Dr. Tenner gesendet und Borg überflog ihren diesmal echten Lebenslauf auf dem Display seines Smartphones. Mitten drin stoppte er und las den Absatz noch einmal. Sylvie alias Susan war in fortgeschrittenen Verhörtechniken unterrichtet worden und auf der Liste ihrer Ausbilder war auch Christine Sundance gewesen.
Über ihm klappte eine Tür. Er ging zum Waschbecken, warf sich zwei Hände voll kalten Wassers ins Gesicht und tauschte seine Pistole gegen eine Teasertron M-31. Zurück in der Küche, entsicherte er die Elektroschockwaffe, legte sie auf die schwarze Acrylplatte des Küchentisches und warf sein Dinnerjacket darüber.
Ohne Gruß tapste Sylvie auf nackten Füßen in seinem alten Bademantel an ihm vorbei. Sie drückte auf den Knopf der Kaffeemaschine, stützte ihre Hände auf die Marmorplatte unter dem Panoramafenster und reckte sich der Morgensonne entgegen. Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen genoss sie mit vorgereckten Brüsten die Wärme auf ihrem Körper. Einen Moment verharrte sie so, dann drehte sie sich um zu ihm. „Welchen Teil meiner Nachricht gestern hattest du nicht verstanden, Schatz?“
Er schlug die Beine übereinander: „Ich fühlte mich ein wenig indisponiert.“
„Ein ehemaliges Computergenie und das Wort ‚indisponiert‘? Aus welcher Schmonzette hast du das denn? Oder war es ein Comic?“
„Streich das Attribut ‚ehemalig‘.“
„Du weißt, was ein Attribut ist? Du machst mich glücklich, Schatz. Lieber wäre mir allerdings gewesen, du hättest das heute Nacht gemacht. Oder denkst du, dass ich nur deswegen jedes Wochenende von Schwerin nach Oslo fliege, weil mir mein Luxusbett zu Hause zu hart ist?“ In ihren Augenwinkeln bildeten sich Wutfalten. „Ich bin deinetwegen hier, mache mich auch noch hübsch für dich und dann ist der Herr indisponiert. Ich bin eine Frau mit Gefühlen!“
„Und welche wären das?“
„Liebe, was denn sonst!“
„Erstaunlich.“
„Was?“
„Wie glatt dir das Wort über die Lippen geht. Susan.“
Ihre Augen weiteten sich eine Winzigkeit, doch das blieb die einzige Reaktion, die er bekam. Sie stieß sich mit den Händen von der Arbeitsplatte ab, ging in die Knie und nahm die Milch aus dem Kühlschrank. Sie stellte sie neben die Ananas, griff mit einer langsamen, wie abgezirkelt wirkenden Bewegung nach einer Kiwi und nahm ein Obstmesser aus dem Ständer auf der Anrichte vor ihr. Erst jetzt fragte sie ruhig: „Ihr habt die E-Mail abgefangen?“
Er log, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ja.“
„Ich wusste, dass sie ein Fehler war. Schade.“
Als sei nichts geschehen, begann sie, die Kiwi zu schälen und trennte die Schale so geschickt von dem Fruchtfleisch, als sei das Obstmesser in ihrer Hand ein zusätzlicher Finger.
Er sagte: „Du hattest hundertmal die Gelegenheit, mich umzubringen.“
Mit zwei Schnitten teilte sie die geschälte Kiwi in vier Teile. „Vielleicht liebe ich dich tatsächlich? Vielleicht habe ich dir zugetraut, dass du mich nicht nur für dein Ego haben willst? Du bist ein starker Mann und außerdem einer, der mit Mikkelsen eine Rechnung offen hat.“
„Falsche Antwort. Versuchs noch einmal.“
Sie blickte auf das Obstmesser in ihrer Hand. „Haben wir nichts Vernünftiges? Auf dem hier kann ich bis nach Jerusalem reiten.“
„Ich warte.“
„Worauf?“ Sie griff nach einem anderen Messer und fuhr mit dem Daumen über die Schneide. „Das ist besser.“
„Auf eine Antwort. Sonst prügel ich sie auf dem Küchentisch aus dir heraus.“
Keine Anspannung ihrer Muskulatur oder auch nur ein winziges Zucken in ihrem Gesicht warnte ihn und gerade noch rechtzeitig riss er Oberkörper und Kopf zur Seite. Das dumpfe Schmettern, mit dem ihr Messer in den Türrahmen hinter ihm krachte, hallte noch durch die Küche, da schwang sie schon ihren Arm mit einem Zweiten in der Hand nach hinten. Er riss die M-31 unter seinem Dinnerjacket hervor, ließ sich zur Seite kippen, feuerte, traf, und fünfzigtausend Volt entluden sich in ihren Bauch. Sie krachte zu Boden, zuckte noch ein paar Mal, dann erlosch das Licht in ihren Augen.
Mit dem Gürtel des Bademantels fesselte er ihre Hände vor dem Körper, riss sie vom Fußboden hoch und schubste sie auf einen Stuhl. Zweimal schlug er sie ins Gesicht, dann schnipste er mit den Fingern vor ihren Augen. „Wieder ansprechbar?“
„Drecksau!“ Blitzende Wut verdrängte die Trübheit in ihrem Blick.
„Also ja. Ich warte noch immer auf eine Antwort.“
„Mach mir die Hände los und gibt mir ein Glas Wasser!“
Er stand auf, füllte aus der Leitung ein Glas und hielt es ihr an den Mund. „Die Hände bleiben gefesselt. Ich bin nicht neugierig darauf, was du noch alles damit anstellen kannst.“
Sie spuckte ihm das Wasser ins Gesicht. Er schlug sie auf den Mund. Der Hieb riss ihr den Kopf zur Seite, Blut rann aus ihrer geplatzten Unterlippe, doch sie gab keinen Ton von sich. Er ballte die Faust und ließ sie präzise auf ihr linkes Auge krachen. Auch das ertrug sie stumm.
Mit einem Küchenhandtuch wischte er ihr das Blut ab und betrachtete die Spuren seiner Schläge in ihrem Gesicht. Sie hatte eine aufgeplatzte Lippe und spätestens heute Abend würde auf ihrem rechten Jochbein ein fettes Hämatom prangen. Jeder würde sehen können, dass ihre Beziehung auf die harte Tour geendet hatte.
Er ließ sich auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder und spielte mit der Taesertron. „Meine Nacht war anstrengend, auch ohne dich. Drei Möglichkeiten: Ich kann dich mit diesem Ding hier leuchten lassen wie eine Magnesiumfackel, bis du mir sagst, was ich wissen will; ich kann dich als Paket vor Mikkelsens Tür legen, der wird sich freuen, wieder jemanden für sein Spielzimmer zu haben; oder ich kann dich umbringen und kein Hahn würde nach dir krähen. Gib mir einen Grund, nichts davon zu tun.“
Sie fuhr sich mit der Zunge über die blutende Lippe. Doch sie schwieg. Er bückte sich, hob das Messer, das sie nach ihm geworfen hatte, vom Boden auf und wog es einen Moment in der Hand. Dann stand er auf und setzte die Spitze auf ihre linke Brustwarze. Ein Blutstropfen drang hervor, dann noch einer.
„Hör auf, bitte.“
„Dann rede!“.
„Ich habe mir die Leute angeschaut, die du in den letzten Jahren in dein Team geholt hast. Alle sind Profis, die du wahrscheinlich von früher kennst. Du willst Mikkelsen abservieren. Ich will das auch. Wir haben unterschiedlich Gründe, aber wir wollen das Gleiche. Wir könnten ein gutes Team sein, du und ich.“
Er ließ das Messer sinken. „Wollte ich das, könnte ich das allein tun.“
Mit dem Zeigefinger wischte sie das Blut von ihrer Brust, betrachtete es, dann leckte sie es mit der Zunge ab und erhob sich. Dass sie dabei an seinem Körper empor glitt, schien sie nicht zu stören. „„Du kannst wahrscheinlich alles alleine tun. Aber mit mir hättest du mehr Spaß.“ Wie zufällig klaffte der Bademantel über ihrem Körper auseinander. „Hat es dich eigentlich scharfgemacht, mich zu schlagen?“
„Dich?“
„Warum findest du es nicht heraus?“
Mit dem Unterarm fegte er das Geschirr beiseite, packte sie und warf sie auf den Tisch. Sie wehrte sich nicht. Er drückte ihr die Schenkel auseinander, verharrte einen Moment, dann drang er in sie ein. Sie kam ihm entgegen, legte die gefesselten Hände um seinen Nacken und zog ihn noch dichter auf ihren Körper herab. Wieder stieß er zu, schneller bewegter er sich, Schweiß rann seinen Rücken herab, er keuchte. Laut genug, jedes andere Geräusch zu übertönen, gellten ihre Schreie durch die Küche und als fühlte sie ihn immer noch nicht nah genug, kreuzte sie die Beine über seinem Steißbein und presste ihn an ihren Körper.
Eine schlanke Frau in einem grauen Businesskostüm lehnte in der Küchentür im Rücken Borgs und betrachtete die Szene. In ihrer rechten Hand glänzte eine Walther CCP im Licht der aufgehenden Sonne.
Borgs Explosion kam, er schrie sie heraus; ein letzter Stoß, dann sank er erschlafft auf Sylvie herab. Sie stöhnte, drückte mit den Fersen auf sein verlängertes Rückgrat und ihre auf seinem Rücken verschränkten Arme und Hände hielten ihn wie in einem Schraubstock gefesselt.
Mit zwei schnellen Schritten war die Frau hinter ihm, drückte ihm den Lauf der Pistole gegen den Anus und sagte: „Ich bin Christin. Ich habe gehört, Sie suchen nach mir.“
Borg wurde steif. Sylvie gab ihn frei und wand sich unter ihm hervor.
Christin fragte: „Möchtest du es tun, Liebes?“
Sylvies Antwort hörte Borg nicht mehr. Die Kugel, die von hinten durch seinen gebückten Körper raste und ihm den Schädel zertrümmerte, war zu schnell.

Das Dumme ist nur - jetzt gefällt sie mir selbst nicht mehr. Sie ist irgendwie ... tot? Mal eine Woche drüber schlafen ...
 
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Gelöschtes Mitglied 14616

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Stille folgte den Worten des alten Mannes mit den schlohweißen, bis auf die Schultern herabhängenden Haaren, einem von Runzeln gefurchten Gesicht und den stechend grünen Augen in dem überlebensgroßen Hologramm, nur hier und da durchbrochen von einem verhaltenen Hüsteln oder dem Rascheln eines seidenen Abendkleides. Selbst die kunstvollen Wasserspiele in den stillen Ecken zwischen den riesigen Gold- und Titansäulen schienen leiser zu plätschern.

Ich persönlich verabschiede mich meist nach solchen einleitenden Worten vom weiteren Geschehen. Adjektive bis zum Abwinken, viel zu aufdringlich. Aber es wird ja noch schlechter.

Ich habe sehr Gutes von dir gelesen. Das hier ist es ist für meinen Geschmack nicht. Es liest sich, bitte verzeih mir, wie ein billiger Groschenroman. Soll es vielleicht auch, aber dazu fehlt mir das große Ganze noch, was du vorhast. Das Ouvre und das Ende heben sich im Stil jedenfalls nicht wesentlich ab vom restlichen, in der Schriftart abgehobenen Text.
 
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Hallo Arne,

ich habe in der Mitte aufgehört zu lesen. Es ist sehr unübersichtlich; zuviel Personen für eine Kurzgeschichte; so richtig habe ich jedenfalls nicht verstanden, um was es eigentlich geht.

Cellist hat die vielen Adjektive schon angesprochen. Mich stören außerdem die vielen Beschreibungen der Personen:

alten Mannes mit den schlohweißen, bis auf die Schultern herabhängenden Haaren, einem von Runzeln gefurchten Gesicht und den stechend grünen Augen in dem überlebensgroßen Hologramm
Er hatte ein schmales Gesicht mit einer nach unten gekrümmten Nase und weit auseinanderliegende Augen im Grau regennasser Pflastersteine. Er war groß und schlank und eher sehnig als athletisch.
Eine große, dürre Frau mit zu viel Schminke im Gesicht und einem grässlichen orange-blauen Abendkleid
Das ist reines Beschreiben. Kein „Show, don't tell".

Dann:
Jeden Samstagabend hatte Ansgar Borg entweder Borgs Mutter bestiegen oder Borg durchgeprügelt - je nachdem, ob der Hamburger Sportverein gewonnen oder verloren hatte. Wenn Ansgar ganz mies drauf gewesen war, hatte er sich zuerst mit Borg beschäftigt – aber nicht, um ihn zu verprügeln - und erst dann dessen Mutter ein paar reingehauen. Sonntags war Ansgar dann in die Kirche gegangen und hatte Gott um Vergebung für seine Samstagssünden angebettelt.
Das hier hat alles mit der eigentlichen Geschichte gar nichts zu tun. Früher habe ich auch so verschnörkelt geschrieben und mich lange über Unwichtiges ausgelassen, mittlerweile lasse ich solche überflüssigen Erklärungen weg. Vielleicht ist es auch Geschmackssache, aber mE treibt so etwas die Geschichte nicht voran, sondern stoppt sie.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 

ArneSjoeberg

Mitglied
Hallo Ihr Zwei :)

Zwar kann ich nicht sagen, dass mir die Kommentare geschmeckt haben, aber das hat mir der Steckrübenbrei meiner Großmutter auch nicht. Aber er hat mich satt gemacht ...
Ich schreibe einen Roman und das hier ist ein rausgeschmissenes Kapitel davon, weil es da einfach nicht hineinpasst. Ich konnte es aber nicht loslassen, "kill your darlings" tut manchmal verda... weh. Manchmal braucht es dann eine kleine Kopfnuss, schütteln, weiter ... . Ich schüttel mich und schau mal, ob ich daraus nicht etwas Vernünftiges, will sagen, Lesenswertes hinbekomme. Wegschmeißen geht nicht, echt nicht.

Dankeschön
 
Ich schreibe einen Roman und das hier ist ein rausgeschmissenes Kapitel davon, weil es da einfach nicht hineinpasst.
Hallo Arne,

ich wollte heute Morgen noch erwähnen, dass man so eigentlich Langprosa anlegt - dann dachte ich, ich muss jetzt auch nicht total besserwisserisch daher kommen. Aber mein Gefühl hat mich da nicht getrogen, dass das gar keine Kurzgeschichte sein sollte.
Wenn du eine draus machen willst, musst du es anders aufziehen. Wie gesagt: nicht so viele Personen etc.

Hier habe ich immer wertvolle Tipps gefunden:


LG SilberneDelfine
 
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Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Hallo Arne,

irgendwo habe ich mal gelesen, dass nichts umsonst geschrieben wird. So vermutlich auch dieser Text nicht. Du hast ihn wohl nicht ohne Grund aus deinem Projekt gestrichen. Und nicht ohne Grund hängst du doch an dem Teil und möchtest etwas daraus machen. Warum denn auch nicht? Mein Kommentar bezog sich nur auf die jetzige Version. Nein, Wegschmeißen geht nicht! Das kenne ich ... ;)

Und, das möchte ich noch hinzufügen: Hut ab vor deiner Reaktion. Man ist ja anderes gewohnt, wenn man Kritik übt. Und überlegt es sich (meistens) gut, bevor man sie abschickt. Muss ja auch mal gesagt werden.

Dass du einen Roman planst, habe ich gelesen. Und viel von dem, was du hier eingestellt hast, liest sich für mich auch sehr gut. Auf diesen Text trifft es für mich jedoch nicht zu. Einen Kommentarversuch war es immerhin wert.

Wir sind wohl in etwa im gleichen Alter (wohl auch noch beide IT'ler :eek:), deshalb verstehe ich dein Ziel um so mehr. Bleib dran!

LG
Cellist
 

ArneSjoeberg

Mitglied
Hausaufgabe gemacht.

(Anm. d. Red.: Die neue Version ist jetzt im Eingangsbeitrag zu lesen)

Das Dumme ist nur - jetzt gefällt sie mir selbst nicht mehr. Sie ist irgendwie ... tot? Mal eine Woche drüber schlafen ...
 
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