Das Mädchen und die Finsternis

Ava L. Ries

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Es war einmal ein kleines Mädchen, welches große Angst vor der Dunkelheit hatte. Es fürchtete sich vor den Geheimnissen und den Wesen, die nur bei Nacht existierten. Niemand konnte sich erklären, wieso dieses Mädchen so große Furcht empfang, nicht einmal ihre Eltern. Das Leben war sehr schwierig für die Kleine, denn sie lebte mit ihrer Familie in einem dichten Wald, wo es ständig dunkel war. Durch ihre große Angst geschwächt, blieb sie nur im Haus, wo das Kerzenlicht sie in Sicherheit wiegte. Und sobald auch nur eine Flamme erlosch, erschrak sie fürchterlich. Unter diesen grauenvollen Bedingungen lebte sie sechs Jahre lang. Egal, was sie oder ihre Eltern versuchten, sie kam einfach nicht aus dem Haus heraus. Manchmal konnte das Mädchen die Nachbarskinder im Wald spielen hören und sie wünschte sich sehr, bei ihnen zu sein. Doch sobald sie auch nur ein paar Schritte vom Schutz ihres Zuhauses und den Lichtern entfernt war, hatte sie so große Angst, dass sie die nächsten Tage nur im Bett blieb und schlief.
Aber dann kam in der Nacht ihres 7. Geburtstags eine schneeweiße Eule an ihr Fenster geflogen. Das Tier pickte lästig gegen die Scheibe bis das Mädchen endlich erwachte. Es dauerte eine Weile, bis es begriff, woher dieses Klopfen kam. Aber als die Kleine vollkommen wach war, trat sie ans Fenster, um es vorsichtig zu öffnen. Sie sah in die grünen großen Augen der leuchtend weißen Eule und fühlte sich auf eine eigenartige Weise geborgen. Das Mädchen betrachtete das wunderschöne Tier mit sanftem Blick, bis die Eule plötzlich zu sprechen begann: "Sieh mein Kind, jung und schön bist du. Aber wer soll dich finden, in deinem Verstecke nur? Ständig eingeschlossen hinter Türen, im Schein des Lichts. Du musst es wagen, sonst wirst du es finden nicht." Das Mädchen verstand nicht, was der Vogel mit diesen Worten gemeint hatte. Und gerade, als es nachfragen wollte, spannte die Eule ihre mächtigen Flügel auf und flog in die Dunkelheit davon. "So warte doch!", rief sie ihr nach, doch das Tier konnte sie nicht mehr hören. Etwas verwirrt legte sich die Kleine wieder ins Bett und als sie am nächsten Tag aufwachte, dachte sie, es sei alles nur ein Traum gewesen.
Ihre Mutter kam am nächsten Morgen zur Tür herein, um sie zum Essen zu holen. Doch sie fand nur ein leeres Bett vor. Voller Sorge begann die Frau, den Namen ihrer Tochter zu rufen: "Amalie! Amalie!" Hastig und mit sorgenvollem Blick schaute sich die Mutter im Zimmer um. Wo konnte ihr kleines Mädchen nur sein? Doch bei genauerer Beobachtung stellte sie fest, dass ihre Tochter aus dem offenen Fenster geklettert war und draußen stand; im Wald, umhüllt von tiefster Dunkelheit. Die Frau rannte so schnell sie konnte hinaus zu ihrer Tochter und umarmte sie fest. "Da bist du ja", schluchzte sie. Ihre Mutter hatte in weiser Voraussicht eine Kerze mitgebracht, aber das Mädchen drehte sich zu ihr um und erlosch sanft das Licht. Mit einem strahlenden Lächeln entgegnete sie der Frau: "Mutter, sieh doch! Ich habe es geschafft! Ich habe meine Ängste überwunden! Ich bin frei von allen Sorgen und möchte es wagen!" Mit diesen Worten hatte Amalie all ihren Mut zusammengefasst und konnte dank der wunderschönen Eule, die sie von all ihrer Furcht befreit hat, durch den düsteren Wald in die Stadt reisen, um endlich Freunde und Frieden zu finden.
 



 
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