Das Orakel der Drachen - Erstes Kapitel

Phylthia

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Erstes Kapitel: Die Gauklerin

Die Gauklerin wirbelte um ihre eigene Achse, sprang in die Luft, schlug einen Salto und landete sicher wieder auf der Erde. Ohne den Fluss ihrer Bewegungen zu unterbrechen, beugte sie sich hintenueber und sprang einen zweifachen Flik-Flak rueckwaerts. Dieses Mal blieb sie regungslos stehen, hob die Arme in die Luft, und liess den donnernden Applaus des Publikums ueber sich ergehen. Sie keuchte, und dann hob sie den Blick, um in die koenigliche Loge hinauf zu sehen.
Beinahe schreckte sie zurueck, als Koenig Firn ihren Blick erwiderte, ein Laecheln umspielte seine Lippen. Er erhob sich von seinem Thron, den man fuer das Turnier hierher gebracht hatte, und trat an den Rand der Tribuene. Sofort wurde das Volk still, sie erwarteten etwas von ihm. Doch er blickte nur die Gauklerin unverwandt an, dann winkte er einem seiner Hoeflinge, noch immer ohne seinen Blick von ihr abzuwenden. Er sagte etwas zu dem praechtig gewandeten Mann, der sich sofort herumdrehte und die Tribuene verliess. Dann hob Koenig Firn die Hand und gab das Zeichen, das Turnier fortzusetzen.
Die Gaukler raeumten den Platz und machten sich auf den Weg zu ihren Wagen. Sie wussten, dass sie spaeter Geld fuer ihre Vorstellung erhalten wuerden.
“Gauklerin!”
Die junge Frau fuhr herum, denn sie war die einzige Frau in der Truppe. Nur sie konnte gemeint sein. Sie war mehr besorgt als ueberrascht, als Firns Hoefling sie zu sich winkte. Die anderen Gaukler blieben stehen, warteten jedoch ab. Niemand sah die Bewegung, mit der sie ihre Wurfmesser lockerten. Sollte irgendetwas passieren, wuerde der Hoefling sterben, noch bevor er seinen Namen aussprechen konnte.
Zoegernd trat die Gauklerin heran.
“Wie heisst du?”, fragte der Mann.
“Zelina.”
“Herr!”, knurrte der Hoefling.
“Bitte?”, fragte sie verwundert.
“Du hast mich Herr zu nennen!”
Eine scharfe Erwiderung lag ihr auf der Zunge, doch sie hielt sich im Zaum. Sie wuerde ihren hart verdienten Lohn nicht durch eine unbedachte Aeusserung riskieren, und so senkte sie nur den Kopf. Der Hoefling nahm das als angemessene Antwort.
“Der Koenig will dich sehen. Folge mir!” Er drehte sich herum und wollte schon losgehen, doch Zelina packte ihn grob an seinem seidenen Hemd. Wuetend fuhr er herum und hatte die Hand schon zum Schlag erhoben, da erhaschte er einen Blick auf Stahl, der in der Sonne glaenzte, und erstarrte. Die anderen Gaukler hatten ihre Waffen zu Zelinas Schutz bereits erhoben.
“Warum will der Koenig mich sehen?”, verlangte die junge Frau zu wissen. Er wuerde sich niemals selbst dazu herablassen, ihnen das Geld zu geben – es musste etwas anderes sein. Und Firn war nicht gerade als ein besonders gerechter oder gar gnadenvoller Herrscher bekannt.
“Das weiss ich nicht!”, schnappte der Hoefling und schuettelte ihre Hand ab. “Ich soll dich in seine Gemaecher bringen.”
Zelina ueberlegte kurz. Wenn sie nicht mitging, wuerden sie unter Garantie keinen Lohn erhalten. Und das wuerde fuer die kleine Gauklertruppe bedeuten, noch mehr Tage zu hungern. Sie hatten in diesem Winter nicht viel Glueck gehabt, und so war ihnen das Turnier des Koenigs gerade recht gekommen. Sie brauchten das Geld, sie brauchten es wirklich. Zelinas Schwester Litinia war hochschwanger und konnte deshalb nicht arbeiten, bald wuerde also noch ein Maul zu stopfen sein.
“Also gut. Bring mich zu ihm”, stimmte sie zu. Er drehte sich herum und wuerdigte sie keines Blickes mehr, wohlwissend, dass sie ihm folgen wuerde. Doch vorher signalisierte sie den Maennern noch schnell mit kaum sichtbaren Handzeichen, dass alles in Ordnung war und sie bald wieder zurueck sein wuerde. Sie bedeutete ihnen nicht, dass sie selbst nicht die geringste Ahnung hatte, worum es ging.
Und so folgte sie dem Hoefling. Er fuehrte sie an den Zelten der Ritter vorbei. Es war ruhig, waehrend vom Turnierplatz der Kampfeslaerm hinueberwehte. Doch sie beachtete die farbenpraechtigen Banner und Zelte nicht, sie war viel zu besorgt, was der Koenig von ihr wollte. Doch sie merkte sich den Weg, den sie nahmen, rein instinktiv – sie war auf der Strasse geboren, auf der Strasse aufgewachsen, und hatte gelernt, stets den Weg zu kennen. Zelina wurde durch die verwirrenden Gassen zwischen den Zelten gefuehrt, aber das war nicht wichtig. Es war auf jedem Turnier in der ganzen Welt das gleiche: Man musste nur irgendeinen Weg nehmen, und man wuerde auf dem Turnierplatz landen. Interessanter wurde es, als sie in die Burg des Koenigs kamen.
Zelina hatte schon viel von der Pracht hier gehoert, doch zu ihrem Bedauern fuehrte der Hoefling sie nur durch einen dunklen, engen Gang, vorbei an einigen Tueren, die nicht besonders praechtig waren. Die Luft roch schal und ein wenig nach Schimmel, aber die junge Frau nahm an, dass es diese Gaenge in jeder Burg gab, egal wie prachtvoll sie auch sein mochte. Und sie wuerde nie etwas anderes als diese Gaenge zu sehen bekommen, soviel war klar. Das war ihr in die Wiege gelegt worden, das erging jedem Gaukler so. Doch keiner bedauerte es, und nur wenige dachten ueberhaupt jemals darueber nach.
“Hier!”, knurrte der Hoefling und oeffnete eine der Tueren. Kein Licht drang herein, und Zelina wurde bewusst, dass wahrscheinlich noch ein Wandteppich oder ein Bild, ein Spiegel oder ein Schrank vor der Tuer war – sie war durch die Geheimgaenge in die Burg gebracht worden. Obwohl solche Geheimgaenge so geheim waren wie ein Volkslied. Niemand wuerde je versuchen, durch sie zu fliehen. Sie wurden einfach nur dazu genutzt, schneller von einem Ort zum anderen zu kommen. Oder nicht so gern gesehene Gaeste ins Schloss zu bringen, dachte Zelina und wunderte sich selbst ueber den bitteren Unterton ihrer Gedanken.
Dann endlich trat der Hoefling in den Raum, der hinter der Tuer lag, und Zelina wurde sich bewusst, dass sie gerade ihrer Bestimmung als Gauklerin widersprach – sie sah die Gemaecher eines Koenigs. Davon wuerde sie noch ihren Kindeskindern erzaehlen koennen!
“Iss, wenn du hungrig bist. Der Koenig wird sich mit dir beschaeftigen, sobald das Turnier zu Ende ist.” Das waren die letzten Worte, die sie von dem Hoefling hoerte, mit einer erstaunlich schnellen Bewegung verschwand er rueckwaerts durch die Tuer und sie krachte hinter ihm ins Schloss. Der seidene Wandbehang glitt wieder an seinen Platz und verhuellte den Eingang.
Fuer einen Moment war sie hin und her gerissen zwischen ihren Gaukler-Instinkten, die Fluchtwege zu ueberpruefen, und den weiblichen Instinkten, sich all den wunderschoenen Dingen in diesen Raeumen zu widmen. Unschluessig blieb sie stehen und sah sich unsicher um. Die Pracht ueberwaeltigte sie beinahe – immerhin war sie daran gewoehnt, in einem Wohnwagen zu schlafen und sich ihr Bett mit mindestens drei fremden Kindern zu teilen, waehrend neben ihr zwei andere Frauen mit ihren Kindern schnarchten, gelegentlich irgendeines ihrer merkwuerdigen Haustiere ueber ihre Beine kroch und im Freien irgendwelche anderen Tiere Laerm machten.
Allein das Himmelbett war groesser als ihr ganzer Wohnwagen, und die Vorhaenge und Laken waren aus roter Seide. Die Moebel waren aus schwarzem Holz und schienen uralt zu sein, was sie wahrscheinlich auch waren. Ueberall glaenzte und glitzerte, blitzte und blinkte etwas, ueberall waren Edelsteine, Halbedelsteine, Silber und Gold angebracht. Sechs Statuen aus Kristall standen im Raum, jede symbolisierte eine der sechs Gottheiten, die Firn und seine Maenner verehrten. Es gab noch so unendlich viel mehr zu entdecken, doch dann siegte ihr uraeltester Instinkt ueberjeden anderen.
Auf einem langen Tisch war ein Mahl angerichtet, von dem Zelina niemals zu traeumen gewagt haette. Sie trat vorsichtig naeher und vergass alles um sich herum. Von den meisten Sachen, die dort lagen, kannte sie nicht einmal die Namen. Winzige Voegel, gebraten und auf Salat angerichtet, scheinbar hunderte Scheiben Fleisch, alle in sechseckige Form geschnitten – Firns Herrschaftssymbol war sechseckig, denn er war der sechste Herrscher seines Geschlechts – ungezaehlte Fruechte und Gemuese, roh, gekocht, gebraten, vor Oel glaenzend, mit Sosse bedeckt, paniert. Sie kannte nicht einmal Namen fuer die Zubereitungsarten! Es schienen hunderte verschieden Schalen und Schuesseln zu sein, hunderte koestliche und wunderschoene Arten, ihren Hunger zu stillen. Sie war eine Gauklerin, sie war mit Hunger aufgewachsen und er gehoerte zu ihrem Leben wie das Tanzen und Schaustellen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdiente.
Und Zelina dachte nicht lange nach und stuerzte sich auf all die wunderbaren Koestlichkeiten, die vor ihr lagen. Einiges schmeckte wirklich gut, einiges spuckte sie schnell wieder aus, einiges schien ihr nicht viel besser als ihr gewoehnliches Brot. Sie hatte niemals in ihrem Leben die Moeglichkeit gehabt, ihren Hunger zu stillen, ohne dass irgendjemand auch etwas verlangte. Normalerweise teilte sie ihr ohnehin schon karges Mahl mit den anderen ihrer Truppe, egal ob Mensch oder Tier. Und jetzt hatte sie all das vor sich liegen! Es schien ihr wie ein Wunder.
Ueber diesem Wunder vergass sie alles andere, sie vergass die Gaukler, sie vergass ihr bisheriges Leben, sie vergass ihre Sorgen, sie vergass sogar den Koenig, der ihr das alles beschert hatte. Und sie vergass auch die Frage, warum ausgerechnet sie dieses Wunder erfuhr.
Als sie zu Ende gegessen hatte, war ihr schlecht, denn sie hatte nie in ihrem Leben so viel zu sich genommen, aber es war ihr egal. Sie hatte sich noch nie so wohl gefuehlt, jedenfalls glaubte sie das, und auf einmal erschien ihr das riesige Bett viel, viel verlockender, als sich um Fluchtwege zu kuemmern. Sie wusste, dass es sich wirklich nicht gehoerte, in das Bett des Koenigs zu kriechen – sie war eine Gauklerin von der Strasse! -, aber sie war so muede… so muede… Sie wuerde wieder aufwachen, bevor der Koenig kam, dessen war sie sich sicher. Sie wuerde noch genug Zeit haben, alles wieder in Ordnung zu bringen.


Hier folgt das erste Kapitel von meinem "Orakel". Auch hier gilt wieder - ich freue mich ueber konstruktive Kritik, ob positiv oder negativ. Obwohl mir positive natuerlich lieber ist ;-)!
Gruesse, Phyl
 

Arathas

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und weiter geht's

Mh, ich muß sagen, daß mir das erste Kapitel (das mit der Drachenmutter am Anfang) besser gefiel. Das liegt vielleicht daran, daß ich den zweiten Teil der Geschichte für sehr schön geschrieben und vor allem lebendig halte - was mir bei dieser Geschichte noch etwas fehlt.
Die Erlebnisse der Gauklerin (ich kann mich wohl auch mit diesem Charakter nicht so ganz identifizieren) in dem Schloß gibt es schon zu Hauf in anderen Fantasystories, es ist nichts neues mehr... was nicht bedeutet, daß ich nicht weiterlesen würde, da es sehr nett geschrieben ist!

Ich würde dir empfehlen, mehr darauf zu achten, lebendig zu schreiben. Laß die Dinge geschehen, wenn sie geschehen.

Anstatt von:
>>Sie keuchte, und dann hob sie den Blick, um in die >>koenigliche Loge hinauf zu sehen.

könntest du schreiben:

"Sie keuchte. Ihr Blick wanderte hinauf zur königlichen Loge."

Das soll nur eine Anregung sein und spiegelt nur wieder, was ich selbst gerne lesen würde, was mir selbst Spaß macht zu lesen. Du solltest dich davon nicht zu sehr beeinflussen lassen, denn jeder Autor muß seinen eigenen Stil entwickeln. Es ist einfach nur eine Anmerkung.

Ansonsten: Wie schaut's aus mit deinen anderen Romanen, möchtest du sie veröffentlichen?
 

Phylthia

Mitglied
geloescht

hi arathas!
du hast recht - das erste kapitel ist wirklich nicht so, wie man es nach dem prolog erwartet. mir persoenlich gefaellt der prolog weitaus besser als das erste kapitel und auch das zweite kapitel. und weisst du was? aus diesem grund habe ich es einfach geloescht. ich habe mir gedacht, na und, schreibst du halt noch mal acht seiten - aber besser!
ich habe versucht, moeglichst viele typische "fantasy"-themen hineinzupacken, und das ist eigentlich nicht das, was ich wollte. logische konsequenz war halt, dass ich es loeschen musste. ;-) jetzt musst du leider ein bisschen warten, bis die naechste muse mich knutscht und ich genug zeit zwischen high school und cheerleading finde. jetzt, nachdem ich das kapitel noch mal gelesen habe, erscheinen mir die charaktere ziemlich flach und mir kommt alles sehr "grau" vor, farblos, unspektakulaer. und es ist ziemlich vorhersehbar, was als naechstes passieren wuerde. das sollte nicht so sein, also versuche ich es einfach noch mal.
wegen dem roman: ich kann meinen freund mal fragen, ob der meine festplatte auf cd gebrannt noch irgendwo bei sich rumfliegen hat, dann koennte der mir das schicken, und ich ueberarbeite das noch mal. wenn du irgendwie hilfe bei deiner seite brauchst - und wenn's nur fehlerlesen ist -, helfe ich dir gerne! ich bin immer interessiert an literatur, besonders an fantasy.
gruesse, phyl
 

Arathas

Mitglied
neu schreiben

Wow! Es ist zwar etwas drastisch, ein ganzes Kapitel gleich zu löschen, aber manchmal einfach das Beste. Ging mir auch schon öfter so, daß ich ein gesamtes Kapitel geschrieben habe und hinterher irgendwie unzufrieden war - ohne zu wissen, was genau mir nicht paßt. Dann hab ich es komplett gelöscht und ganz neu geschrieben - das, was bei so etwas herauskommt, ist so gut wie immer besser!

Wäre schön, wenn dein Freund den Inhalt deiner alten Platte noch irgendwo hat!

Und zu der Hilfe bei meiner Seite: Wenn du möchtest, können wir uns gegenseitig lektorieren. Ich schreibe gerade an einem Roman und bin jetzt so auf Seite 50 (DinA4, Schriftgröße 12), und ich suche noch Leute, die die bisherigen Seiten auf Fehler (Rechtschreib- sowie logisch) untersuchen und mir ihre Meinung (die ehrliche!!) sagen... :)
 



 
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