lietzensee
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Das Paddel
Zeit verlief hier anders. Nachher und Vorhin hatten sich mit dem Jetzt verknotet. Er blickte auf das Wasser. Die grauen Wellen hoben und senkten sein Kanu und der Wind blies Tropfen in sein Gesicht. Hier war sein Boot. Da war sein Paddel. Sie trennten vielleicht fünf Meter. Er beobachtete, wie Wind und Wellen diesen Abstand langsam vergrößerten.
Beim Paddeln spürte er den Druck in der Schulter, wenn er das Holz gegen die Wellen stemmte. Der Horizont schien sich weiter und weiter zu spannen. Zu Marie hatte er mal gesagt: „Ich paddel immer zurück zu dir.“ Doch wer konnte hier draußen schon Kurs halten.
Das Paddel war fast am Horizont verschwunden, nur noch ein Schatten, der in den Wellentälern schaukelte.
Das Paddel war zum Greifen nahe. Er beugte sich über den Rand, vorsichtig, vorsichtig, jetzt nur nicht das Gleichgewicht verlieren. Tropfen perlten von seinem Gesicht. Die Zeit verlief anders hier.
Er paddelte und paddelte. Aber dabei schien er nirgendwo mehr hin zu paddeln. Die grauen Wellen hoben und senkten sein Kanu und hinter dem Horizont kam immer nur neuer Horizont zum Vorschein. In plötzlicher Wut schrie er auf. Dann schleuderte er das Paddel in die Wellen hinein.
Schließlich musste er etwas tun und er tat etwas. Sein Körpergewicht auf dem Kanurand reichte, um ihn ins Wasser zu befördern. Er schwamm und prustete, bis er das Paddel erreichte. Er umklammerte das Holz. Dann stemmte er seinen Kopf noch einmal aus dem Wasser. Der Wind blies tropfen in sein Gesicht. Er fror. Zwischen den Wellen war das Kanu verschwunden.
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