Fastrada
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Zögernd schob er Gandars Bericht wieder in den Stapel zurück, nahm sich stattdessen den Brief des Kaisers vor und studierte ihn schweigend.
Mein Gott, dachte Gandar, wieder nichts…
„ O Jesus“, sagte Brenneberg plötzlich. Und nach einer Weile noch einmal:„ Jesus!“
Endlich ließ er das Blatt sinken und starrte Gandar an. Völlig verblüfft.
"Ich habe von dieser Sache in Florenz gehört",sagte er staunend.
„IHR wart das also? Teufel noch mal! Ein Bravourstück! Ohne Euch wäre der Kaiser jetzt wohl tot.“
„Ich hatte Glück“, sagte Gandar.
Brenneberg sah in groß an.
„Dieser überaus bescheidene Mensch, mein lieber Brenneberg“, erläuterte Gareth und lachte stillvergnügt in sich hinein, „hat vier Berittene,neun Bogenschützen und sämtliche dazugehörigen Knechte im Alleingang erledigt. Womit er den restlichen Meuchelmördern einen solchen Schrecken versetzt hat, dass sie davonliefen wie die Hasen.“
„Tochter, lass Stühle bringen für unsere Gäste!“, sagte Brenneberg und wandte sich wieder den Pergamenten zu. Aber während er las, hob er immer wieder den Kopf und ließ seinen Blick bedächtig über Gandars Körper wandern, vom Kopf bis zu den Füßen. Er war sich nicht darüber im Klaren, ob er glauben sollte, dass dies der Mann war, dem die Sänger und Geschichtenerzähler den Beinamen „der Löwe von Rodéna“ gegeben hatten. Diesem Grünschnabel! Oder? Irritiert betrachtete er das junge Gesicht mit diesen zu alten, zu wissenden Augen und dem grauen Haar. Irgend etwas, dachte er, passt da einfach nicht zusammen! Und erst die Geschichten! Selbst wenn nur die Hälfte davon stimmte... Brenneberg schüttelte sich. Sein Nachbar, Graf Kuno hatte ihm erzählt, was dieser Rodéna in Hagenau aufgeführt hatte. Unglaublich war das! Einen bewaffneten normannischen Ritter nur mit Tritten und Schlägen absolut kampfunfähig zu machen! Wegen eines kleinen Mädchens, dass der Mann zu vergewaltigen versucht hatte! Und das, fand Brenneberg, war beinahe das Erstaunlichste daran…
Nachdem Gandar und Gareth saßen, ging Gwenfrewi mit dem Weinkrug herum, um die Becher der Männer nachzufüllen. Während sie einschenkte, drehte sie die linke Hand so, dass der auffällige Schlangenring an ihrem Finger nicht zu übersehen war.
Aber Gandar achtete gar nicht auf ihre Hände, sondern heftete den Blick auf ihre runden anmutig schwingenden Hüften. Die Heftigkeit seiner körperlichen Reaktion überraschte ihn. Verliere jetzt nicht den Verstand, ermahnte er sich selbst. Suche keine Entschädigung für Helena, indem du auf das erste weibliche Wesen reagierst, das dir über den Weg läuft…
Gwenfrewi seufzte kaum hörbar. Nichts deutete darauf hin, dass er den Ring erkannt hatte. Darüber sollte ich doch eigentlich erleichtert sein, oder? Aber das bin ich nicht … Viel mehr denke ich, dass ich ihn gerne wieder gesehen hätte…Jesus, was für Gedanken…
Beinahe fluchtartig zog sie sich hinter den Spieltisch zurück, wo sie begann, sich mit dem unterbrochenen Schachspiel zu beschäftigen.
Eine Weile fand Gandar sein stilles Vergnügen darin, zu beobachten, wie sie mit gerunzelter Stirn über den Figuren brütete. Bedächtig nippte er an seinem Wein und verbarg sein Lächeln hinter dem Becher. Wie kam es nur, dass er es mit einem Mal kaum erwarten konnte, diese Partie gegen sie zu spielen?
Inzwischen hatte Brenneberg seine Lektüre beendet und reichte die Pergamente zögernd an Gandar zurück.
„ Es ist schon eine irre Welt, in der wir leben“, bemerkte er. „ Also, dieses Konzil in Lyon. Da maßen sich ein Papst und seine Bischöfe an, die Macht zu haben über alles was lebt. Was meint Ihr? Wird der Kaiser sich behaupten?“
„ Mit den Bischöfen wird Friedrich schon fertig.“
„Hoffentlich auch mit dem Heiligen Vater.“
„ Welch feierlicher Titel! Für uns Kaiserliche ist es der Bischof von Rom. Hätten wir Zeit, könnten wir abwarten, bis jener Teufel auf dem Stuhle Petri das Zeitliche segnet.“
Gwenfrewi war schockiert. Sie kannte niemand, der es gewagt hätte, vom Stellvertreter Gottes so zu sprechen. Es grenzte an Blasphemie. Ihr Gesicht musste diesen Gedanken deutlich ausgedrückt haben, denn Gandar sah sie an.
„ Seine Heiligkeit“, sagte er ruhig, „bezeichnete es öffentlich als gottgefälliges Werk, den Kaiser vom Antlitz der Erde zu tilgen…“
„ Aber, mein Herr“, begann Gwenfrewi.
Gandar hob seine Hand. Und obwohl er ein wenig schmutzig und abgerissen aussah – diese Geste war die eines Mannes, dem man gehorchte.
„Ihr wisst es vielleicht noch nicht besser, mein Fräulein, aber Ihr werdet noch daraufkommen, dass Chorhemd und Mitra die Schurkerei bekleiden können wie jedes andere Kleid.“
„ Erklärt mir das näher“, verlangte Brenneberg
„ Das ist leicht“, sagte Gandar. „Vor nicht einmal vier Monaten hat man versucht Friedrich zu ermorden.“
„ Ein Versuch unter vielen“, warf Brenneberg ein. „ Daran ist nichts neu.“
„ Aber dieser Anschlag war – anders. Ein Komplott von erschreckendem Ausmaß. Sorgfältig geplant und in Gang gesetzt von Personen, die zu den engsten Vertrauten des Kaisers gehörten. Friedrich war außer sich und befahl, die Verschwörer grausam zu bestrafen …“
„ Ich habe nichts von diesen Dingen gewusst, mein Herr“, flüsterte Gwenfrewi.
„ Das macht nichts“, sagte Gandar.
Brenneberg nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher. „ Erzählt weiter, Herr Ritter.“
„Nur wenig später wurden Briefe gefunden“, sagte Gandar, „die bewiesen , dass die Verschwörung mit Wissen und ausdrücklicher Billigung dieses so Heiligen Vaters geschah…“
Gwenfrewi wartete. Irgendwie wusste sie, es würde noch mehr kommen.
„Friedrich lässt die Verschwörer unerbittlich verfolgen. Gnadengesuche sind weder erwünscht, noch gestattet. Dieses Mal ist der Kaiser zu schwer herausgefordert worden. Gefangene Frauen werden verbrannt oder eingekerkert. Den Männern droht Folter und Verstümmelung – bevor man sie in Ledersäcke genäht, im Meer ertränkt...“
Und auch dies, dachte Gwenfrewi bitter, geschieht im Namen des sanften Jesus, der doch befohlen hat, seine Feinde zu lieben…
Sie sah zu Gandar hinüber und studierte aufmerksam sein Gesicht. Ob ihn etwas von dem, was er da gerade erzählt hatte, berührte? Oder war er so kalt, dass Leiden und Schmerzen ihm nicht nahe gingen? Sie wusste er nicht zu sagen.
„ Mein Herr“, setzte sie an, „wünscht Ihr – wünscht Ihr, dass die Dokumente wieder in Euren Gürtel eingenäht werden?“
„ Ja“, sagte Gandar. „ Aber es genügt, wenn Ihr Nadel und Faden in meine Schlafkammer bringen lasst – ich komme dann schon zurecht.“
„ Du liebe Güte, Herr Ritter“, sagte Brenneberg. „ Was für Gedanken! Gebt die Sachen meiner Tochter. Sie wird sich darum kümmern. Nicht wahr, Kind?“
„ Natürlich, Herr Vater“.
Gandar sah sie lange und sehr genau an. Mit einem Blick, der eine Woge der Wärme durch ihren Körper laufen ließ. Schließlich reichte er ihr seinen Gürtel und die Dokumente.
„ Danke“, sagte sie lustlos. Sie fühlte sich mit einem Mal schwindelig und krank und wusste nicht, welche Krankheit das war. Sie fühlte nur dunkel, dass die Heilung dieser Krankheit dort lächelnd neben ihrem Vater saß.
„ Kann sie auch lesen?“ fragte Gandar gespannt, nachdem Gwenfrewi hinausgegangen war.
„Oh, ja“, seufzte Brenneberg. „ Sie liest und schreibt – mehrere Sprachen. Das hat sie von ihrer Mutter, die eine sehr kluge Dame war…“
„ War?“
„Sie starb im letzten Winter. Ein hartnäckiger Husten, der sich einfach nicht bessern wollte…“
„ Das tut mit leid“.
„Mir auch“, gestand Brenneberg. „Meine Dame hatte sich so sehr darauf gefreut, die Hochzeit ihrer Ältesten auszurichten…“
„ Eure Tochter Gwenfrewi ist verlobt?“
„In der Tat. König Konrad persönlich hat um ihre Hand gebeten – für den Markgrafen der Wetterauer Mark Friwarde, den er für besondere Dienste zu belohnen wünscht. Dass ist besser, als jedes Bett, das ich hätte beschicken können…“
„ Aber--“, sagte Gandar, „ Markgraf Carl ist - verheiratet.“
„ Das ist er nicht länger. Vielmehr ist er tot. Leider.“
„ Freut mich, dass Ihr leider sagt. Und?“
„Sein Testament war gesiegelt, ein Nachfolger bestimmt. Die Wahl wurde vom König bestätigt, die Hochzeit des neuen Markgrafen mit meiner Tochter ausgeschrieben für Juli.“
„ Meinen Glückwunsch“, sagte Gandar steif. Und dachte: Wenn ich jetzt Richarts Hals unter meinen Fingern hätte, würde ich ihn glatt erwürgen! Wie kann er es wagen, mich vom Tod seines unmittelbaren Lehnsherrn nicht zu benachrichtigen? Er blickte zur Seite und sah, wie Gareth ihn mit kaum verhüllter Besorgnis beobachtete.
„ Schon gut, mein Freund“, murmelte er auf sizilianisch. „Mach dir keine Gedanken…“
Brenneberg rief nach der Abendtafel. Knechte strömten herein und begannen mit ihrer Arbeit. Wie in den meisten Hallen waren die Tische lose Bretter auf Stützen, die zu einer hufeisenförmigen Tafel zusammen geschoben wurden. Als Sitzgelegenheiten dienten lange Bänke aus Holz. Nur am Tisch des Hausherren gab es Stühle. Weiße Tischtücher wurden gebracht und über die Bretter gebreitet.
Gareth grinste. „ Ein Haushalt, in dem man das Wort Tischsitten zu kennen scheint…“, murmelte er zu Gandar gewandt, aber Brenneberg hatte es trotzdem gehört. „Diese Tafeltücher waren der Wunsch meiner Gemahlin, “, sagte er indigniert. „ Ihr, mein Herr, scheint noch nicht gelernt zu haben, dass man die Wünsche seiner Dame besser nicht ignoriert…"
Gareth lachte und erwiderte etwas, aber Gandar hörte schon gar nicht mehr hin. Vielmehr war er damit beschäftigt, Gwenfrewi anzusehen, die mit seinem Gürtel in der Hand auf ihn zukam. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Das ist verrückt, dachte er. Völlig verrückt… ich sehe sie nur an und…
So hatte er sich noch nie gefühlt. So, als müsse sein Mund dauernd lächeln und gleichzeitig voll tiefer Trauer. Was geschieht da mit mir, dachte er. Er wusste es nicht.
Was er wusste, war, dass Gwenfrewi schön war. Es war nicht die zarte, zerbrechliche Schönheit, die in den Romanzen der Spielleute gepriesen wurde. Sie besaß eher die blühende Gesundheit und die lebhaften Farben eines Mädchens, dass sich viel im Freien und in der Sonne aufhielt.
Er hoffte für sie, dass ihr zukünftiger Gemahl lebhafte Farben mochte.
Eine Glocke rief die Burgleute zu Tisch und der Saal füllte sich mit Menschen, die ihm neugierige Blicke zuwarfen. Gandar lächelte wehmütig. Sicher hatte sich inzwischen herumgesprochen, wer oder was er war. Einen Bediensteten gab es immer, der etwas aufschnappte, es weitererzählte und – aus der Mücke einen Ochsen machte. Im Augenblick konnte er dass nicht gebrauchen – nicht, solange sich Kardinal Valo innerhalb der gleichen Grenzen aufhielt wie Richart und er.
Brenneberg sprach das Tischgebet. Jedermann hatte zu warten, bis der Burgherr saß. Wasserschüsseln und Tücher wurden gereicht, um die Hände zu waschen, danach folgten die Speisen. Die Pagen kamen in Reihen vor den Herrentisch , was dort nicht gewünscht wurde, winkte Brenneberg weiter. Man bediente sich mit den Fingern, der Becher war mit einem Nachbarn zu teilen. Es gab sauer zubereitete Fische und gefüllte Tauben, Eier auf hölzernen Spießen, dazu scharfe Brühe und einen Salat. Brenneberg führte das Tischgespräch. „Meine Herren, wohin wollt Ihr von hier aus? Wünscht Ihr einen Führer?"
Bedächtig wischte Gandar mit einem Brotstückchen Soße aus einer Schüssel, während er über Brennebergs Angebot nachdachte. War es ehrlich gemeint, konnte ihnen ein Führer nützen, wenn nicht, bedeutete ein Späher unerwünschte Nachteile.
„Danke, nein", sagte er endlich . Als er den fragenden Blick des Burgherrn sah, erläuterte er knapp: „ Wir gehen zur königlichen Pfalz nach Hagenau. Das ist von hier aus nicht zu verfehlen."
Vom niederen Tisch ertönte Lachen, die Burgfrauen kicherten und tuschelten wie Mägde über die derben Späße der Gaukler. Die Sänger wurden bedrängt, ihre Instrumente zu rühren. Der Burgherr erlaubte mit einem Kopfnicken.
Es war die besondere Kunst der Sänger, dass sie aus dem, was die Sekunde verlangte, Text und Melodie eines Liedes zauberten - und so ahnte Gandar, beinahe noch bevor der erste Ton gesungen war, was kommen würde.
„Schau nicht so grimmig“ ,sagte Gareth grinsend, „es ist nur ein Lied…“
„Ein Lied. Ja. Eins von – wie vielen bis jetzt? Sieben? Acht?“
„ Gandar, bitte!“, japste Gareth , der sich inzwischen kaum noch halten konnte vor Lachen. „ Du müsstest dein Gesicht sehen… das kommt davon, wenn man nie müde wird , den Helden zu spielen…“
„ Glaubst du, ich tue das, um eine Zeile Text in einem Lied zu bekommen?“, sagte Gandar und starrte Gareth an. „ Glaubst du das von mir?“
Etwas hatte Gandar verärgert, soviel erkannte Gwenfrewi - auch wenn sie von dem auf sizilianisch geführten Wortwechsel nichts begriffen hatte, ja, sie wusste nicht einmal welche Sprache es war, die den Männer wie Musik und Poesie von den Lippen kam.
Er sieht ein bisschen so aus, als wolle er die Sänger erwürgen, dachte Gwenfrewi . Aber – warum ? Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber jeder Laut ging unter im tosenden Jubel der Zuhörer, bei den ersten Läufen eines neuen, bisher noch nie vernommenen Liedes.
Gandar winkte einen Diener mit einer Wasserschüssel heran. Mit einem Mal hatte er keinen Appetit mehr.
Er konnte nur hoffen, das Lied würde diesmal weniger als zwanzig Verse haben…
Die Sänger erzählten von einem Turnier König Konrads, bei dem ein fremder, ein wenig abgerissen wirkender Ritter, mit nur zehn sarazenischen Kriegern ein ganzes Kontingent deutscher Ritter verdroschen hatte…
Die Zuhörer krümmten sich vor Lachen. Auch Gwenfrewi lachte - ein glucksender, fröhlicher, glockenheller Laut, der die seltsamsten Dinge mit seinem Körper anstellte. Ein nie gekanntes Verlangen überkam ihn – es verbrannte seinen Widerstand zu Asche, ließ in seinem Kopf nur Raum für einen einzigen Gedanken. Er wollte sie berühren - ihre Wangen, den Hals, ihre Schultern , den Ansatz ihrer Brüste… Langsam neigte er sich ihr entgegen, hob die Hand, um eine ihrer Kupferlocken…
Es war Brenneberg, der ihn rettete, indem er ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte und zu seinem Erfolg beglückwünschte.
Himmel, dachte Gandar benommen, wollte ich sie tatsächlich gerade– küssen? Hier mitten in der Halle, mit den Burgleuten als Zuschauer? Jetzt bin ich wirklich verrückt…
„ Wie macht man dass, mein Herr“, fragte Brenneberg verwundert. „Ich meine - zehn gegen - wie viele deutsche Ritter? Dreißig?“
„ Dreißig“, bestätigte Gareth.
„ Die Deutschen gelten als die stärksten und am besten gedrillten Ritter des königlichen Heeres. Also? Wie macht man dass?“
„ Ich sage Euch“, begann Gandar, „ wenn es eine richtige Schlacht gewesen wäre, nicht Einer wäre mehr am Leben, so richtig reiten sie, so richtig fechten sie, so dämlich stünden sie da, wenn ihnen die Sarazenen einmal zeigen wollten, mit wie wenig Unrichtigkeit man einer Vielzahl von richtig gedrillten Leuten die Gurgel durchschneidet. Und jetzt, bitte, möchte ich mich gerne zurückziehen. Es war ein langer Tag.“
„ Wie schade“, sagte Gwen. „ Womit die Kleinigkeit einer unentschiedenen Schachpartie dann wohl auf morgen zu vertagen wäre? Nach dem Frühmahl, mein Herr? Passt Euch dass?“
„ So lange bleibe ich nicht“, sagte Gandar.
„Dann – jetzt? Wenn Euch das genehm ist?“
„ Gut“, sagte Gandar.
Sie gingen zum Spieltisch hinüber und setzten sich - sie, wieder auf ihren alten Platz und er, auf den Stuhl ihres Vaters. Eine Weile beschäftigten sie sich schweigend mit der Stellung ihrer Spielfiguren.
„ Bleibt Ihr dabei, dass sich dieses Spiel noch gewinnen lässt? ",fragte Gwenfrewi in das Schweigen hinein.
Gandar antwortete nicht. In diesem Augenblick hätte er das auch gar nicht gekonnt. Sein Herz klopfte irgendwo ganz oben in seinem Hals. Seine Lippen formten ihren Namen. Aber er konnte ihn nicht aussprechen. Darüber war er froh. Denn wie hätte er ihr erklären sollen, was er selbst nicht verstand?
„ Bitte, mein Herr, macht Euren Spielzug“, sagte Gwenfrewi.
Aus seiner Versunkenheit erwachend beugte Gandar sich über den Schachtisch und griff beinahe wahllos nach einer Figur.
Als Gwen sah, was er getan hatte, entrang sich ein kleiner frustrierter Seufzer ihrer Kehle. Sein Spielzug war ein katastrophaler Fehler. Sie nahm seine geschlagene Figur vom Brett.
Gandar lächelte verlegen. „ Ich bin wohl doch nicht so ganz bei der Sache…“
„ Wie schade“, sagte Gwenfrewi. „ Einen Moment lang hoffte ich, Ihr würdet es mir nicht so einfach machen…“
Er hob den Kopf und sah sie an. Seine Lippen bewahrten noch einen Schimmer seines Lächelns, aber aus seinen Augen war es wie fortgewischt.„ Ich betrachte mich als gewarnt“.
„ Akzeptiert“, sagte Gwenfrewi.
„ Was?“
„ Euer Fehdehandschuh. Ich glaube, Ihr habt soeben einen Handschuh geworfen - oder?“
„ Hadha ahdhar“, murmelte Gandar.
Im Hintergrund stampften und johlten die Burgleute tosenden Applaus für die Sänger.
„ Mein Herr, ich verstehe nicht…“
„Das macht nichts. Es war ohnehin nicht wichtig…“
„ So? Dann sagt mir doch wenigstens – was für eine Sprache ist das, die Ihr da benutzt habt? Dergleichen kennt man hier nicht.“
„ Arabisch“, sagte Gandar.
„ Es klang wie – ein Lied“, murmelte Gwen. „ Nach Sonne und Wärme. Spricht man es dort, wo Ihr herkommt?“
„ In Palermo? Ja. Unter anderem.“
„ Ist es schön da?“
„ Fräulein, Ihr verliert einen Läufer. Versucht Ihr abzulenken?“
„ Nein“, sagte Gwen. „ Ich wüsste gerne wo Ihr herkommt.“
Er hob den Kopf, sah sie an. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich. Fasziniert beobachtete Gwen, wie seine schlanken Finger langsam und sinnlich über das Holz seiner Königin strichen und sie fragte sich, wie sich seine Hände wohl auf ihrer Haut anfühlen mochten. Er lächelte, so als wisse er, an was sie gerade gedacht hatte – aber seine Augen blieben wachsam. Und mit seinem nächsten Spielzug schlug er ihren Ritter aus dem Feld.
„ Ach! Ihr!”, jammerte sie. „ Ihr habt eine unfeine Art abzulenken.”
„ Ihr solltet einfach mehr auf - Eure Figuren achten", sagte er grinsend.
Sie griff sich einen Läufer. „ Ab jetzt, mein Herr“, sagte sie „ herrscht auf diesem Spielfeld Krieg “ Und sie machte sich auch gleich daran, ihm das zu beweisen. Scharf und gezielt griff sie seine Figuren an. Er wich aus, zog sich zurück.
„Ha, seht Ihr! Finte!”
Er verlor eine weitere Spielfigur. „ Besser Ihr gebt Euch geschlagen, Herr Ritter.”
„ Warum sollte ich?"
„Vielleicht – weil es klüger wäre, mein Herr - und weniger beschämend als eine vollständige Niederlage - ich möchte Euch nur ungern einen solchen Kummer bereiten…“
„ Macht Ihr Euch lustig über mich?“, fragte er. „ Das lasst bleiben.“
Sie seufzte leise. War er wirklich so überheblich, dass er nicht merkte, wie miserabel er spielte? Nun, es würde interessant sein zu sehen, wie er sich verhielt, wenn er verlor. Energisch griff sie nach ihrem Turm und bewegte ihn vorwärts.
„ Mein Fräulein, Ihr seid wirklich eine unerbittliche Gegnerin“, sagte er, als sie ihm die nächste Figur wegnahm. Aber er lächelte dabei. In einer Art und Weise, die sie nicht zu deuten vermochte. Seine Augen hatten ihren Ausdruck verändert, ein seltsames Licht schimmerte in ihnen. Gwen erinnerte sich nicht, jemals so grüne Augen gesehen zu haben. Warum war ihr das bisher nicht aufgefallen?
Ungeduldig wartete sie, bis er seinen Spielzug abgeschlossen hatte. Hob die Hand, um nach ihrem Läufer zu greifen. Und verharrte mitten in der Bewegung über dem Spielfeld.
„ Schach“, sagte er. Ganz sachlich.
Sie starrte verwirrt auf das Spielfeld. „Aber das - das ist gar nicht möglich!“
„ Doch“, sagte er. „ Ihr , mein Fräulein sitzt in der Falle. Wo immer Ihr auch hinzuziehen versucht - ich kann Euch schlagen.“
„ Ich sehe, was Ihr meint“, sagte sie düster. „ Ihr habt mich zum Narren gehalten…“
Er griff nach ihrer Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Die Berührung ließ seine Finger prickeln und er hatte das Gefühl, dass sie verbrannt wurden.
„Es war nicht leicht, Euch zu schlagen… ich bedaure, wenn ich Euch damit Kummer bereitet habe…“
Brenneberg näherte sich, um den Ausgang der Schachpartie zu erfahren. „ Habt Ihr tatsächlich verloren, Tochter! Na, dass ist aber einmal ein seltenes Ereignis. Denkt nicht, dass ich darüber allzu traurig bin!“
„ Nein, Herr Vater“.
„ Nun schmollt nicht, Kind. Begebt Euch lieber zu Bett. Es ist spät.“
„Ja“, sagte Gandar und wechselte einen schnellen Blick mit Gareth „Wir würden uns jetzt gerne zurückziehen.“
Brenneberg nahm einen Kerzenhalter vom Tisch. „Ich zeige Euch Euren Schlafplatz, meine Herren.“
„Empfangt meine Wünsche für eine gute Nacht, mein Fräulein“, sagte Gandar.
Gwenfrewi antwortete nicht. Aber ihr Blick blieb auf ihm haften, bis die Tür hinter ihm zugefallen war.
Wie auf Befehl erschien ihre ehemalige Kinderfrau Bertha mit einem Licht, um sie in ihre Schlafkammer zu begleiten.
„ Ihr seid blass, Kind“, sagte Bertha, während sie die langen Zierärmel von Gwenfrewis Gewand abknöpfte.
„ Was fehlt Euch denn?“
„ Nichts, Bertha. Ich bin nur – müde. Hast du die Bauernkleidung besorgt, um dich ich dich gebeten habe?“
„ Ja, Herrin. Wenn auch nicht gern. Es ist heute - gefährlicher als sonst, da draußen…“
„ Bertha bitte! Du sprichst in Rätseln! Wie kann es heute gefährlicher sein als beim letzten Mal oder dem Mal davor?“
„ Da waren keine Sonnwendfeiern“, sagte Bertha. „ Heute Nacht besäuft man sich ungestraft und schlägt über den Strang– da könnt Ihr von Glück sagen, wenn Ihr nicht augenblicklich mit nacktem Hintern auf dem Boden zappelt - aber was rede ich, Ihr verbitte Euch ja jede Begleitung…“
„ Ich nehme meine Waffe mit…“
„Ein Messer gegen – Bauernfäuste? Kind, wo habt Ihr nur Euren Kopf!“
„ Sicher wird Herr Wolfram nicht zulassen, dass ich…“
„ Der will Euch doch selbst ans Mieder! Herrin, bitte geht nicht.“
„Ich muss aber“, murmelte Gwenfrewi. „ Ich muss einfach. Es war der letzte Wunsch meiner Frau Mutter. Da kann ich nicht einfach – aufhören.“
„ Geht ein andermal. Bitte.“
„ Schluss jetzt, Bertha. Weck mich rechtzeitig genug vor Sonnenaufgang. Und dass du es mir ja nicht – ganz aus Versehen natürlich – vergisst.“
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Im Frühgrau trat Gandar auf den noch dunklen Hof hinaus. Brenneberg zog eine brennende Fackel aus dem eisernen Halter und leuchtete Amurat entgegen, der die gesattelten Pferde heranführte.
„ Wollt Ihr nicht doch warten, bis es heller wird?“, fragte er.
„Nein, mein Herr“, sagte Gandar. „ Wir reisen lieber, solange es noch kühl ist. Außerdem brennen überall noch die Sonnwendfeuer. Das ist mehr Beleuchtung als nötig. Die Männer stiegen in die Sättel. Gandar nahm die Zügel auf und gab seinem Hengst die Fersen. „Noch einmal Dank für Eure Gastfreundschaft", rief er über die Schulter zurück. „Lebt wohl”
Brenneberg hob grüßend die Fackel, doch die Männer passierten schon in leichtem Trab die geöffneten Tore der Wehranlagen. Gandar schien durch irgendetwas verärgert; er sah nur einmal kurz auf und äußerte dann bald zehn Minuten lang nichts.
„ Woran denkt mein Bruder Löwe?” fragte Amurat, dem das Schweigen zu lange währte.
„An nichts von Bedeutung“, sagte Gandar, obwohl das nicht stimmte. Er hatte an Gwenfrewi gedacht und wie schön ihr Haar ausgesehen hatte im Kerzenlicht.
Gemächlich trotteten die vier Pferde dahin. Mit der Morgenbrise wehte Rauchgeruch von den Feuern heran. Gelächter wurde zu schrillem Jubelgeschrei; es entfernte sich; es verstummte.
Plötzlich zügelte Gandar seinen Rappen. Das Gesicht seinen Begleitern zugewandt, legte er den gestreckten Zeigefinger auf die Lippen und stieg aus dem Sattel. Amurat die Zügel zuwerfend, glitt er im tiefen Schatten der Eichen davon.
“ Hast Du etwas gehört? Oder gesehen?” fragte Gareth.
Amurat schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er. „ Natürlich nicht. Wer außer Gandar könnte etwas sehen in diesem Licht, das weder Tag noch Nacht ist? Warten wir ab.”
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Rund um die Sonnwendfeuer entlud sich ungezügelte heidnische Lebensfreude. Man grölte; polterte, schepperte, dröhnte mit Küchengeschirr, Trinkbechern, Ackergerät und Kupferkesseln um die Geister zu vertreiben. Überall torkelten Betrunkene. Aus ihrem Versteck starrte Gwenfrewi mit weit aufgerissenen Augen auf die ausgelassenen Menschenknäuel. Süßer Jesus, dachte sie, dass übertrifft ja bei weitem Berthas Beschreibung…
Johlen und schrilles Kreischen betäubte ihre Ohren. Die jungen Männer setzten den Weibern nach. Die Frauen hatten sich hinter einem Pferdefuhrwerk verschanzt und verteidigten sich heldenhaft mit einem Vorrat an seltsamen Wurfgeschossen: Bechern, Würsten, durchweichten Brotscheiben, Schinken, Hühnerknochen, am Schluss gar mit ihren eigenen Schuhen, und selbst als sie gestürmt wurden, balgten , traten und kratzten sie noch.
Gwenfrewi verharrte reglos in ihrem Versteck. Es war nicht so, dass sie wirklich Angst gehabt hätte. Nein, das nicht. Was ihr dagegen Sorge bereitete, war die Frage, wie sie ohne die sehr präzisen Anweisungen ihrer Mutter zurechtkommen sollte. Dieser Wolfram von Milanes war ein harter Brocken. Schlau, durchtrieben…und lüstern. Stellt Euch dumm, Kind, hatte die Mutter ihr aufgetragen, gebt vor unsterblich in ihn verliebt zu sein…
Vielleicht habe ich dabei etwas übertrieben, dachte Gwen, denn seitdem versucht er mir jedes Mal einen Kuss zu rauben. Wenn ich ihm damit wenigstens Informationen entlocken könnte… Aber darin bin ich längst nicht so gut, wie Ihr es wart, liebste Frau Mutter…So versunken war sie in ihre düstern Gedanken, dass sie die Hand, die sich auf ihren Mund presste viel zu spät bemerkte. Ein harter Arm umschlang ihren Körper, zog sie mit sich fort. Sie trat und kratzte, versuchte in die Hand zu beißen, die ihr die Luft abschnitt.
„Gwen !Gwen… Au! Ich bin es, Wolfram.… so haltet doch ein...”
Sie kam plötzlich frei, strauchelte, wirbelte herum, ein Messer in der Faust. „Wagt es nicht!”
Ein Seufzer entfuhr ihr, ihre Arme sanken schlaff herab. „Ihr seid es.”
Der Angesprochene grinste breit und deutete eine Verbeugung an. „Ich bitte um Vergebung, mein Fräulein, falls ich Euch erschreckt haben sollte. Ihr wart in Gefahr entdeckt zu werden.”
„Das weiß ich“,, sagte sie knapp. Wie gerne sie ihm mit einem gezielten Schlag das überhebliche Grinsen aus dem Gesicht gewischt hätte!
„ Ihr zittert ja am ganzen Körper“, sagte Wolfram, ergriff ihren Arm und führte sie zu einem gestürzten Baumstamm wo er sie nötigte sich niederzulassen. Ja, dachte Gwen, ich zittere – aber nicht vor Schreck, sondern vor Abscheu! Heilige Jungfrau Maria gib mir Geduld!
„ Vergebt mir mein Herr, falls Euch die Zeit lang geworden sein sollte“, hauchte sie schüchtern. „Ich konnte nicht eher ungesehen fort. Wir hatten Gäste und mein Vater ging sehr spät zu Bett.”
Wolfram lachte erleichtert.” Ich fürchtete schon meine Nachricht sei in falsche Hände geraten.”
Er setzte sich neben sie. „Ohne Euch wird mir jeder Tag zur Ewigkeit", sagte er leise. Sein Mund kam immer näher und sie begann unauffällig zurückzuweichen.. „Wer war den Euer Gast?”
Beinahe hätte sie laut gelacht. Wer versuchte denn jetzt wen auszuhorchen?
„Ach, irgend ein Gesandter aus Italien“, sagte sie vage. „Vom kaiserlichen Hof, glaube ich...“
„ Mehr wisst Ihr nicht? Liebe Gwen, was soll ich nur mit Euch tun? Habt Ihr wenigstens mitbekommen, worüber gesprochen wurde?”
„ Aber nein, mein Herr“, sagte sie fröhlich. „ Politik ist so schrecklich ermüdend… Wie könnt Ihr verlangen, dass ich meinen armen Kopf mit Dingen belaste, die ich ohnehin nicht begreifen kann?“
Es fiel ihr schwer, nicht laut loszulachen. Wolframs Gesichtsausdruck war einfach zu köstlich! Sollte er ruhig glauben, Frauen hätten nichts außer Stroh im Kopf.
„Warum interessiert Ihr Euch denn so sehr dafür?“, fuhr sie fort. „Haben wir nicht Wichtigeres zu bereden?”
Er kratzte sich die Augenbrauen und verzog die Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. „ Ihr wisst doch, dass mich alles interessiert, was mit Euch zu tun hat.”
„Das hat aber nichts mit mir zu tun, mein Herr. Ich glaube Ihr wollt ablenken. Bereut Ihr es vielleicht schon, mir ein Heiratsversprechen gemacht zu haben?“
Sein Lächeln sollte entwaffnend wirken. „Natürlich nicht! Aber, meine liebe Gwen, Ihr heißt mich nicht gerade freundlich willkommen. Einen Kuss solltet Ihr Eurem zukünftigen Gemahl schon erlauben!”
Sie hatte es kommen sehen. Er dachte wieder nur ans Küssen!
Scheinbar verlegen hielt sie den Kopf gesenkt und rang nervös die Hände in ihrem Schoß. „ Ihr – Ihr habt schon zwei Küsse bekommen, Herr Ritter. Das ist mehr als jede Schicklichkeit erlaubt.“
Er packte ihre Oberarme und drehte sie zu sich herum „ Nun kommt schon, liebste Gwen! Ein paar Küsse kosten Euch nicht gleich Eure unsterbliche Seele. Außerdem hatte ich den Eindruck, Ihr fändet durchaus Euer Vergnügen daran…“
Sie spürte, wie sie rot wurde. Ja, Vergnügen, dachten sie grimmig. Wer küsst schon gern eine Kröte?
„Ich – ich weiß so wenig von Euch…“, stammelte sie.
„Ich begehre Euch zur Gemahlin. Was wäre darüber hinaus wohl noch wissenswert?“
Oh, da gäbe es einiges, dachte Gwen. Zum einen wäre da die Frage für wen Ihr spioniert, lieber Wolfram, denn das Ihr es tut steht außer Zweifel…
„ Mein Fräulein, Euer Zögern beleidigt mich“, sagte Wolfram. „ Ihr zwingt mich dazu, Euch ein Ultimatum zu setzen…“
Sie saß da und starrte ihn an.
„ Ein Ultimatum, mein Herr?“, flüsterte sie. „ Aber – warum?“
„ Für Deutschland wurde ein neuer päpstlicher Legat ernannt. Er hat das Interdikt im Gepäck. Ist es erst einmal von allen Kanzeln verkündet, wird niemand mehr bereit sein uns zu vermählen. Ihr begreift doch gewiss, dass nun Eile geboten ist…“
Gwenfrewi sagte nichts.
„ Der Bischof von Mainz ist mein Oheim“, sagte Wolfram. „ Er ist bereit, uns das Sakrament zu spenden. Ohne Aufwand und in aller Stille, wohlgemerkt.“
Gwen wandte das Gesicht zur Seite und sah ihn an. „ Mein Vater“, sagte sie ernst, „ würde Euch diese Beleidigung des Hauses Brenneberg nie verzeihen…“
„ Ihr enttäuscht mich, Gwen“, sagte Wolfram. „Ich war sicher, Ihr würdet mich verstehen. Nur – Gott helfe mir! - worüber ich nicht mehr sicher bin, ist – ob ich Eure Zimperlichkeiten noch länger ertragen kann…“
„ Ihr wagt es, mein Herr, mir das ins Gesicht zu sagen?“
Wolfram wandte sich um. Seine Arme waren ausgestreckt und schlossen sich rasch um sie. Zu rasch. Er zog sie zu sich heran. Fand ihren Mund und drang mit seiner Zunge in ihn ein. Ein Schauer durchlief sie. Sie hatte das Gefühl in eisiges Quellwasser getaucht zu werden. Endlich ließ er sie los.
„ Ich lasse Euch jetzt gehen, mein Fräulein“, sagte er kalt. „Kehrt in Eure Kammer zurück und packt Eure Habe. In drei Tagen bin ich wieder hier und erwarte Eure Kammerfrau mit dem Gepäck.“
„ Ich werde nichts schicken“, sagte Gwen.
„ Euer Schaden“, sagte Wolfram. „ Denn – ich schwöre bei Gott! - Ihr werdet mit mir nach Mainz reisen. Notfalls nur mit dem, was Ihr gerade auf dem Leib habt…“
Damit wandte er sich um, schritt zu seinem Pferd, ergriff es am Zügel und entfernte sich.
Gwen seufzte vor Erleichterung. Sie war sich sicher, dass dies ihr endgültig letztes Treffen mit Wolfram gewesen war. Aber darin täuschte sie sich.
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Trotz des Zwielichtes bewegte sich Gandar lautlos vorwärts. Er brauchte nicht lange, um die Ursache des Geräusches zu finden, das ihn beunruhigt hatte. Es war tatsächlich das Klirren einer Schwertscheide gegen eiserne Kettenbeinlinge gewesen…
Ein Ritter und eine Bauerndirne vergnügten sich auf einer Waldlichtung miteinander. Nun, dachte Gandar, das ist harmlos… Er wollte sich schon leise wieder zurückziehen, als er aus den Augenwinkeln etwas Rotes bemerkte. Schmale Bahnen aus Sonnenlicht brachen durch das Laub und ließen das Haar der Frau wie flüssiges Feuer auflodern. Gwenfrewi von Brenneberg!
Gandar stand still da und versuchte zu ergründen, was er bei diesem Anblick empfand. Es war nicht so leicht einzuordnen. Diese Frau geht mich nichts an, dachte er. Die Sache dürfte mich daher gar nicht berühren… Aber so war es nicht. Vielmehr fühlte er sich plötzlich müde und elend bis ins Mark…
Jetzt wandte der Ritter ihm das Gesicht zu. Gandar runzelte die Stirn
Dieses Schurkengesicht kannte er! Es wollte ihm nur nicht gleich einfallen, woher. Eine angenehme Erinnerung war es sicher nicht…
Gwenfrewi wartete, bis Wolfram aus ihrem Gesichtskreis verschwunden war, bevor sie sich umwandte, um den Heimweg anzutreten. Sie überquerte schnell die Lichtung und schlüpfte dankbar in den Schatten der Bäume.
Etwas blitzte auf, nur sekundenlang. Gwen blieb stehen. Schloss ihre Hand um den Griff ihres Messers und spähte angestrengt ins Dunkel, um zu erkennen wer die große Gestalt zwischen den Bäumen war.
„Eine anständiges Mädchen sollte um diese Tageszeit nicht hier draußen sein“, sagte der Mann im glänzenden Kettenhemd.„ Aber vielleicht seid Ihr gar nicht so – anständig, Fräulein von Brenneberg?“
Seine Stimme war tief, mit einem leichten Akzent und sie erkannte daran den Gesandten des Kaisers.
„ Geht Euch das etwas an?“
„Nein“, gab er zu. „ Aber mir gefällt der Gedanke nicht, mich derart in Euch – getäuscht zu haben.“
Sie starrte ihn überrascht an „ Wie lange steht Ihr schon dort?”, fragte sie scharf.
Mein Gott, dachte Gandar, wieder nichts…
„ O Jesus“, sagte Brenneberg plötzlich. Und nach einer Weile noch einmal:„ Jesus!“
Endlich ließ er das Blatt sinken und starrte Gandar an. Völlig verblüfft.
"Ich habe von dieser Sache in Florenz gehört",sagte er staunend.
„IHR wart das also? Teufel noch mal! Ein Bravourstück! Ohne Euch wäre der Kaiser jetzt wohl tot.“
„Ich hatte Glück“, sagte Gandar.
Brenneberg sah in groß an.
„Dieser überaus bescheidene Mensch, mein lieber Brenneberg“, erläuterte Gareth und lachte stillvergnügt in sich hinein, „hat vier Berittene,neun Bogenschützen und sämtliche dazugehörigen Knechte im Alleingang erledigt. Womit er den restlichen Meuchelmördern einen solchen Schrecken versetzt hat, dass sie davonliefen wie die Hasen.“
„Tochter, lass Stühle bringen für unsere Gäste!“, sagte Brenneberg und wandte sich wieder den Pergamenten zu. Aber während er las, hob er immer wieder den Kopf und ließ seinen Blick bedächtig über Gandars Körper wandern, vom Kopf bis zu den Füßen. Er war sich nicht darüber im Klaren, ob er glauben sollte, dass dies der Mann war, dem die Sänger und Geschichtenerzähler den Beinamen „der Löwe von Rodéna“ gegeben hatten. Diesem Grünschnabel! Oder? Irritiert betrachtete er das junge Gesicht mit diesen zu alten, zu wissenden Augen und dem grauen Haar. Irgend etwas, dachte er, passt da einfach nicht zusammen! Und erst die Geschichten! Selbst wenn nur die Hälfte davon stimmte... Brenneberg schüttelte sich. Sein Nachbar, Graf Kuno hatte ihm erzählt, was dieser Rodéna in Hagenau aufgeführt hatte. Unglaublich war das! Einen bewaffneten normannischen Ritter nur mit Tritten und Schlägen absolut kampfunfähig zu machen! Wegen eines kleinen Mädchens, dass der Mann zu vergewaltigen versucht hatte! Und das, fand Brenneberg, war beinahe das Erstaunlichste daran…
Nachdem Gandar und Gareth saßen, ging Gwenfrewi mit dem Weinkrug herum, um die Becher der Männer nachzufüllen. Während sie einschenkte, drehte sie die linke Hand so, dass der auffällige Schlangenring an ihrem Finger nicht zu übersehen war.
Aber Gandar achtete gar nicht auf ihre Hände, sondern heftete den Blick auf ihre runden anmutig schwingenden Hüften. Die Heftigkeit seiner körperlichen Reaktion überraschte ihn. Verliere jetzt nicht den Verstand, ermahnte er sich selbst. Suche keine Entschädigung für Helena, indem du auf das erste weibliche Wesen reagierst, das dir über den Weg läuft…
Gwenfrewi seufzte kaum hörbar. Nichts deutete darauf hin, dass er den Ring erkannt hatte. Darüber sollte ich doch eigentlich erleichtert sein, oder? Aber das bin ich nicht … Viel mehr denke ich, dass ich ihn gerne wieder gesehen hätte…Jesus, was für Gedanken…
Beinahe fluchtartig zog sie sich hinter den Spieltisch zurück, wo sie begann, sich mit dem unterbrochenen Schachspiel zu beschäftigen.
Eine Weile fand Gandar sein stilles Vergnügen darin, zu beobachten, wie sie mit gerunzelter Stirn über den Figuren brütete. Bedächtig nippte er an seinem Wein und verbarg sein Lächeln hinter dem Becher. Wie kam es nur, dass er es mit einem Mal kaum erwarten konnte, diese Partie gegen sie zu spielen?
Inzwischen hatte Brenneberg seine Lektüre beendet und reichte die Pergamente zögernd an Gandar zurück.
„ Es ist schon eine irre Welt, in der wir leben“, bemerkte er. „ Also, dieses Konzil in Lyon. Da maßen sich ein Papst und seine Bischöfe an, die Macht zu haben über alles was lebt. Was meint Ihr? Wird der Kaiser sich behaupten?“
„ Mit den Bischöfen wird Friedrich schon fertig.“
„Hoffentlich auch mit dem Heiligen Vater.“
„ Welch feierlicher Titel! Für uns Kaiserliche ist es der Bischof von Rom. Hätten wir Zeit, könnten wir abwarten, bis jener Teufel auf dem Stuhle Petri das Zeitliche segnet.“
Gwenfrewi war schockiert. Sie kannte niemand, der es gewagt hätte, vom Stellvertreter Gottes so zu sprechen. Es grenzte an Blasphemie. Ihr Gesicht musste diesen Gedanken deutlich ausgedrückt haben, denn Gandar sah sie an.
„ Seine Heiligkeit“, sagte er ruhig, „bezeichnete es öffentlich als gottgefälliges Werk, den Kaiser vom Antlitz der Erde zu tilgen…“
„ Aber, mein Herr“, begann Gwenfrewi.
Gandar hob seine Hand. Und obwohl er ein wenig schmutzig und abgerissen aussah – diese Geste war die eines Mannes, dem man gehorchte.
„Ihr wisst es vielleicht noch nicht besser, mein Fräulein, aber Ihr werdet noch daraufkommen, dass Chorhemd und Mitra die Schurkerei bekleiden können wie jedes andere Kleid.“
„ Erklärt mir das näher“, verlangte Brenneberg
„ Das ist leicht“, sagte Gandar. „Vor nicht einmal vier Monaten hat man versucht Friedrich zu ermorden.“
„ Ein Versuch unter vielen“, warf Brenneberg ein. „ Daran ist nichts neu.“
„ Aber dieser Anschlag war – anders. Ein Komplott von erschreckendem Ausmaß. Sorgfältig geplant und in Gang gesetzt von Personen, die zu den engsten Vertrauten des Kaisers gehörten. Friedrich war außer sich und befahl, die Verschwörer grausam zu bestrafen …“
„ Ich habe nichts von diesen Dingen gewusst, mein Herr“, flüsterte Gwenfrewi.
„ Das macht nichts“, sagte Gandar.
Brenneberg nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher. „ Erzählt weiter, Herr Ritter.“
„Nur wenig später wurden Briefe gefunden“, sagte Gandar, „die bewiesen , dass die Verschwörung mit Wissen und ausdrücklicher Billigung dieses so Heiligen Vaters geschah…“
Gwenfrewi wartete. Irgendwie wusste sie, es würde noch mehr kommen.
„Friedrich lässt die Verschwörer unerbittlich verfolgen. Gnadengesuche sind weder erwünscht, noch gestattet. Dieses Mal ist der Kaiser zu schwer herausgefordert worden. Gefangene Frauen werden verbrannt oder eingekerkert. Den Männern droht Folter und Verstümmelung – bevor man sie in Ledersäcke genäht, im Meer ertränkt...“
Und auch dies, dachte Gwenfrewi bitter, geschieht im Namen des sanften Jesus, der doch befohlen hat, seine Feinde zu lieben…
Sie sah zu Gandar hinüber und studierte aufmerksam sein Gesicht. Ob ihn etwas von dem, was er da gerade erzählt hatte, berührte? Oder war er so kalt, dass Leiden und Schmerzen ihm nicht nahe gingen? Sie wusste er nicht zu sagen.
„ Mein Herr“, setzte sie an, „wünscht Ihr – wünscht Ihr, dass die Dokumente wieder in Euren Gürtel eingenäht werden?“
„ Ja“, sagte Gandar. „ Aber es genügt, wenn Ihr Nadel und Faden in meine Schlafkammer bringen lasst – ich komme dann schon zurecht.“
„ Du liebe Güte, Herr Ritter“, sagte Brenneberg. „ Was für Gedanken! Gebt die Sachen meiner Tochter. Sie wird sich darum kümmern. Nicht wahr, Kind?“
„ Natürlich, Herr Vater“.
Gandar sah sie lange und sehr genau an. Mit einem Blick, der eine Woge der Wärme durch ihren Körper laufen ließ. Schließlich reichte er ihr seinen Gürtel und die Dokumente.
„ Danke“, sagte sie lustlos. Sie fühlte sich mit einem Mal schwindelig und krank und wusste nicht, welche Krankheit das war. Sie fühlte nur dunkel, dass die Heilung dieser Krankheit dort lächelnd neben ihrem Vater saß.
„ Kann sie auch lesen?“ fragte Gandar gespannt, nachdem Gwenfrewi hinausgegangen war.
„Oh, ja“, seufzte Brenneberg. „ Sie liest und schreibt – mehrere Sprachen. Das hat sie von ihrer Mutter, die eine sehr kluge Dame war…“
„ War?“
„Sie starb im letzten Winter. Ein hartnäckiger Husten, der sich einfach nicht bessern wollte…“
„ Das tut mit leid“.
„Mir auch“, gestand Brenneberg. „Meine Dame hatte sich so sehr darauf gefreut, die Hochzeit ihrer Ältesten auszurichten…“
„ Eure Tochter Gwenfrewi ist verlobt?“
„In der Tat. König Konrad persönlich hat um ihre Hand gebeten – für den Markgrafen der Wetterauer Mark Friwarde, den er für besondere Dienste zu belohnen wünscht. Dass ist besser, als jedes Bett, das ich hätte beschicken können…“
„ Aber--“, sagte Gandar, „ Markgraf Carl ist - verheiratet.“
„ Das ist er nicht länger. Vielmehr ist er tot. Leider.“
„ Freut mich, dass Ihr leider sagt. Und?“
„Sein Testament war gesiegelt, ein Nachfolger bestimmt. Die Wahl wurde vom König bestätigt, die Hochzeit des neuen Markgrafen mit meiner Tochter ausgeschrieben für Juli.“
„ Meinen Glückwunsch“, sagte Gandar steif. Und dachte: Wenn ich jetzt Richarts Hals unter meinen Fingern hätte, würde ich ihn glatt erwürgen! Wie kann er es wagen, mich vom Tod seines unmittelbaren Lehnsherrn nicht zu benachrichtigen? Er blickte zur Seite und sah, wie Gareth ihn mit kaum verhüllter Besorgnis beobachtete.
„ Schon gut, mein Freund“, murmelte er auf sizilianisch. „Mach dir keine Gedanken…“
Brenneberg rief nach der Abendtafel. Knechte strömten herein und begannen mit ihrer Arbeit. Wie in den meisten Hallen waren die Tische lose Bretter auf Stützen, die zu einer hufeisenförmigen Tafel zusammen geschoben wurden. Als Sitzgelegenheiten dienten lange Bänke aus Holz. Nur am Tisch des Hausherren gab es Stühle. Weiße Tischtücher wurden gebracht und über die Bretter gebreitet.
Gareth grinste. „ Ein Haushalt, in dem man das Wort Tischsitten zu kennen scheint…“, murmelte er zu Gandar gewandt, aber Brenneberg hatte es trotzdem gehört. „Diese Tafeltücher waren der Wunsch meiner Gemahlin, “, sagte er indigniert. „ Ihr, mein Herr, scheint noch nicht gelernt zu haben, dass man die Wünsche seiner Dame besser nicht ignoriert…"
Gareth lachte und erwiderte etwas, aber Gandar hörte schon gar nicht mehr hin. Vielmehr war er damit beschäftigt, Gwenfrewi anzusehen, die mit seinem Gürtel in der Hand auf ihn zukam. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Das ist verrückt, dachte er. Völlig verrückt… ich sehe sie nur an und…
So hatte er sich noch nie gefühlt. So, als müsse sein Mund dauernd lächeln und gleichzeitig voll tiefer Trauer. Was geschieht da mit mir, dachte er. Er wusste es nicht.
Was er wusste, war, dass Gwenfrewi schön war. Es war nicht die zarte, zerbrechliche Schönheit, die in den Romanzen der Spielleute gepriesen wurde. Sie besaß eher die blühende Gesundheit und die lebhaften Farben eines Mädchens, dass sich viel im Freien und in der Sonne aufhielt.
Er hoffte für sie, dass ihr zukünftiger Gemahl lebhafte Farben mochte.
Eine Glocke rief die Burgleute zu Tisch und der Saal füllte sich mit Menschen, die ihm neugierige Blicke zuwarfen. Gandar lächelte wehmütig. Sicher hatte sich inzwischen herumgesprochen, wer oder was er war. Einen Bediensteten gab es immer, der etwas aufschnappte, es weitererzählte und – aus der Mücke einen Ochsen machte. Im Augenblick konnte er dass nicht gebrauchen – nicht, solange sich Kardinal Valo innerhalb der gleichen Grenzen aufhielt wie Richart und er.
Brenneberg sprach das Tischgebet. Jedermann hatte zu warten, bis der Burgherr saß. Wasserschüsseln und Tücher wurden gereicht, um die Hände zu waschen, danach folgten die Speisen. Die Pagen kamen in Reihen vor den Herrentisch , was dort nicht gewünscht wurde, winkte Brenneberg weiter. Man bediente sich mit den Fingern, der Becher war mit einem Nachbarn zu teilen. Es gab sauer zubereitete Fische und gefüllte Tauben, Eier auf hölzernen Spießen, dazu scharfe Brühe und einen Salat. Brenneberg führte das Tischgespräch. „Meine Herren, wohin wollt Ihr von hier aus? Wünscht Ihr einen Führer?"
Bedächtig wischte Gandar mit einem Brotstückchen Soße aus einer Schüssel, während er über Brennebergs Angebot nachdachte. War es ehrlich gemeint, konnte ihnen ein Führer nützen, wenn nicht, bedeutete ein Späher unerwünschte Nachteile.
„Danke, nein", sagte er endlich . Als er den fragenden Blick des Burgherrn sah, erläuterte er knapp: „ Wir gehen zur königlichen Pfalz nach Hagenau. Das ist von hier aus nicht zu verfehlen."
Vom niederen Tisch ertönte Lachen, die Burgfrauen kicherten und tuschelten wie Mägde über die derben Späße der Gaukler. Die Sänger wurden bedrängt, ihre Instrumente zu rühren. Der Burgherr erlaubte mit einem Kopfnicken.
Es war die besondere Kunst der Sänger, dass sie aus dem, was die Sekunde verlangte, Text und Melodie eines Liedes zauberten - und so ahnte Gandar, beinahe noch bevor der erste Ton gesungen war, was kommen würde.
„Schau nicht so grimmig“ ,sagte Gareth grinsend, „es ist nur ein Lied…“
„Ein Lied. Ja. Eins von – wie vielen bis jetzt? Sieben? Acht?“
„ Gandar, bitte!“, japste Gareth , der sich inzwischen kaum noch halten konnte vor Lachen. „ Du müsstest dein Gesicht sehen… das kommt davon, wenn man nie müde wird , den Helden zu spielen…“
„ Glaubst du, ich tue das, um eine Zeile Text in einem Lied zu bekommen?“, sagte Gandar und starrte Gareth an. „ Glaubst du das von mir?“
Etwas hatte Gandar verärgert, soviel erkannte Gwenfrewi - auch wenn sie von dem auf sizilianisch geführten Wortwechsel nichts begriffen hatte, ja, sie wusste nicht einmal welche Sprache es war, die den Männer wie Musik und Poesie von den Lippen kam.
Er sieht ein bisschen so aus, als wolle er die Sänger erwürgen, dachte Gwenfrewi . Aber – warum ? Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber jeder Laut ging unter im tosenden Jubel der Zuhörer, bei den ersten Läufen eines neuen, bisher noch nie vernommenen Liedes.
Gandar winkte einen Diener mit einer Wasserschüssel heran. Mit einem Mal hatte er keinen Appetit mehr.
Er konnte nur hoffen, das Lied würde diesmal weniger als zwanzig Verse haben…
Die Sänger erzählten von einem Turnier König Konrads, bei dem ein fremder, ein wenig abgerissen wirkender Ritter, mit nur zehn sarazenischen Kriegern ein ganzes Kontingent deutscher Ritter verdroschen hatte…
Die Zuhörer krümmten sich vor Lachen. Auch Gwenfrewi lachte - ein glucksender, fröhlicher, glockenheller Laut, der die seltsamsten Dinge mit seinem Körper anstellte. Ein nie gekanntes Verlangen überkam ihn – es verbrannte seinen Widerstand zu Asche, ließ in seinem Kopf nur Raum für einen einzigen Gedanken. Er wollte sie berühren - ihre Wangen, den Hals, ihre Schultern , den Ansatz ihrer Brüste… Langsam neigte er sich ihr entgegen, hob die Hand, um eine ihrer Kupferlocken…
Es war Brenneberg, der ihn rettete, indem er ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte und zu seinem Erfolg beglückwünschte.
Himmel, dachte Gandar benommen, wollte ich sie tatsächlich gerade– küssen? Hier mitten in der Halle, mit den Burgleuten als Zuschauer? Jetzt bin ich wirklich verrückt…
„ Wie macht man dass, mein Herr“, fragte Brenneberg verwundert. „Ich meine - zehn gegen - wie viele deutsche Ritter? Dreißig?“
„ Dreißig“, bestätigte Gareth.
„ Die Deutschen gelten als die stärksten und am besten gedrillten Ritter des königlichen Heeres. Also? Wie macht man dass?“
„ Ich sage Euch“, begann Gandar, „ wenn es eine richtige Schlacht gewesen wäre, nicht Einer wäre mehr am Leben, so richtig reiten sie, so richtig fechten sie, so dämlich stünden sie da, wenn ihnen die Sarazenen einmal zeigen wollten, mit wie wenig Unrichtigkeit man einer Vielzahl von richtig gedrillten Leuten die Gurgel durchschneidet. Und jetzt, bitte, möchte ich mich gerne zurückziehen. Es war ein langer Tag.“
„ Wie schade“, sagte Gwen. „ Womit die Kleinigkeit einer unentschiedenen Schachpartie dann wohl auf morgen zu vertagen wäre? Nach dem Frühmahl, mein Herr? Passt Euch dass?“
„ So lange bleibe ich nicht“, sagte Gandar.
„Dann – jetzt? Wenn Euch das genehm ist?“
„ Gut“, sagte Gandar.
Sie gingen zum Spieltisch hinüber und setzten sich - sie, wieder auf ihren alten Platz und er, auf den Stuhl ihres Vaters. Eine Weile beschäftigten sie sich schweigend mit der Stellung ihrer Spielfiguren.
„ Bleibt Ihr dabei, dass sich dieses Spiel noch gewinnen lässt? ",fragte Gwenfrewi in das Schweigen hinein.
Gandar antwortete nicht. In diesem Augenblick hätte er das auch gar nicht gekonnt. Sein Herz klopfte irgendwo ganz oben in seinem Hals. Seine Lippen formten ihren Namen. Aber er konnte ihn nicht aussprechen. Darüber war er froh. Denn wie hätte er ihr erklären sollen, was er selbst nicht verstand?
„ Bitte, mein Herr, macht Euren Spielzug“, sagte Gwenfrewi.
Aus seiner Versunkenheit erwachend beugte Gandar sich über den Schachtisch und griff beinahe wahllos nach einer Figur.
Als Gwen sah, was er getan hatte, entrang sich ein kleiner frustrierter Seufzer ihrer Kehle. Sein Spielzug war ein katastrophaler Fehler. Sie nahm seine geschlagene Figur vom Brett.
Gandar lächelte verlegen. „ Ich bin wohl doch nicht so ganz bei der Sache…“
„ Wie schade“, sagte Gwenfrewi. „ Einen Moment lang hoffte ich, Ihr würdet es mir nicht so einfach machen…“
Er hob den Kopf und sah sie an. Seine Lippen bewahrten noch einen Schimmer seines Lächelns, aber aus seinen Augen war es wie fortgewischt.„ Ich betrachte mich als gewarnt“.
„ Akzeptiert“, sagte Gwenfrewi.
„ Was?“
„ Euer Fehdehandschuh. Ich glaube, Ihr habt soeben einen Handschuh geworfen - oder?“
„ Hadha ahdhar“, murmelte Gandar.
Im Hintergrund stampften und johlten die Burgleute tosenden Applaus für die Sänger.
„ Mein Herr, ich verstehe nicht…“
„Das macht nichts. Es war ohnehin nicht wichtig…“
„ So? Dann sagt mir doch wenigstens – was für eine Sprache ist das, die Ihr da benutzt habt? Dergleichen kennt man hier nicht.“
„ Arabisch“, sagte Gandar.
„ Es klang wie – ein Lied“, murmelte Gwen. „ Nach Sonne und Wärme. Spricht man es dort, wo Ihr herkommt?“
„ In Palermo? Ja. Unter anderem.“
„ Ist es schön da?“
„ Fräulein, Ihr verliert einen Läufer. Versucht Ihr abzulenken?“
„ Nein“, sagte Gwen. „ Ich wüsste gerne wo Ihr herkommt.“
Er hob den Kopf, sah sie an. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich. Fasziniert beobachtete Gwen, wie seine schlanken Finger langsam und sinnlich über das Holz seiner Königin strichen und sie fragte sich, wie sich seine Hände wohl auf ihrer Haut anfühlen mochten. Er lächelte, so als wisse er, an was sie gerade gedacht hatte – aber seine Augen blieben wachsam. Und mit seinem nächsten Spielzug schlug er ihren Ritter aus dem Feld.
„ Ach! Ihr!”, jammerte sie. „ Ihr habt eine unfeine Art abzulenken.”
„ Ihr solltet einfach mehr auf - Eure Figuren achten", sagte er grinsend.
Sie griff sich einen Läufer. „ Ab jetzt, mein Herr“, sagte sie „ herrscht auf diesem Spielfeld Krieg “ Und sie machte sich auch gleich daran, ihm das zu beweisen. Scharf und gezielt griff sie seine Figuren an. Er wich aus, zog sich zurück.
„Ha, seht Ihr! Finte!”
Er verlor eine weitere Spielfigur. „ Besser Ihr gebt Euch geschlagen, Herr Ritter.”
„ Warum sollte ich?"
„Vielleicht – weil es klüger wäre, mein Herr - und weniger beschämend als eine vollständige Niederlage - ich möchte Euch nur ungern einen solchen Kummer bereiten…“
„ Macht Ihr Euch lustig über mich?“, fragte er. „ Das lasst bleiben.“
Sie seufzte leise. War er wirklich so überheblich, dass er nicht merkte, wie miserabel er spielte? Nun, es würde interessant sein zu sehen, wie er sich verhielt, wenn er verlor. Energisch griff sie nach ihrem Turm und bewegte ihn vorwärts.
„ Mein Fräulein, Ihr seid wirklich eine unerbittliche Gegnerin“, sagte er, als sie ihm die nächste Figur wegnahm. Aber er lächelte dabei. In einer Art und Weise, die sie nicht zu deuten vermochte. Seine Augen hatten ihren Ausdruck verändert, ein seltsames Licht schimmerte in ihnen. Gwen erinnerte sich nicht, jemals so grüne Augen gesehen zu haben. Warum war ihr das bisher nicht aufgefallen?
Ungeduldig wartete sie, bis er seinen Spielzug abgeschlossen hatte. Hob die Hand, um nach ihrem Läufer zu greifen. Und verharrte mitten in der Bewegung über dem Spielfeld.
„ Schach“, sagte er. Ganz sachlich.
Sie starrte verwirrt auf das Spielfeld. „Aber das - das ist gar nicht möglich!“
„ Doch“, sagte er. „ Ihr , mein Fräulein sitzt in der Falle. Wo immer Ihr auch hinzuziehen versucht - ich kann Euch schlagen.“
„ Ich sehe, was Ihr meint“, sagte sie düster. „ Ihr habt mich zum Narren gehalten…“
Er griff nach ihrer Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Die Berührung ließ seine Finger prickeln und er hatte das Gefühl, dass sie verbrannt wurden.
„Es war nicht leicht, Euch zu schlagen… ich bedaure, wenn ich Euch damit Kummer bereitet habe…“
Brenneberg näherte sich, um den Ausgang der Schachpartie zu erfahren. „ Habt Ihr tatsächlich verloren, Tochter! Na, dass ist aber einmal ein seltenes Ereignis. Denkt nicht, dass ich darüber allzu traurig bin!“
„ Nein, Herr Vater“.
„ Nun schmollt nicht, Kind. Begebt Euch lieber zu Bett. Es ist spät.“
„Ja“, sagte Gandar und wechselte einen schnellen Blick mit Gareth „Wir würden uns jetzt gerne zurückziehen.“
Brenneberg nahm einen Kerzenhalter vom Tisch. „Ich zeige Euch Euren Schlafplatz, meine Herren.“
„Empfangt meine Wünsche für eine gute Nacht, mein Fräulein“, sagte Gandar.
Gwenfrewi antwortete nicht. Aber ihr Blick blieb auf ihm haften, bis die Tür hinter ihm zugefallen war.
Wie auf Befehl erschien ihre ehemalige Kinderfrau Bertha mit einem Licht, um sie in ihre Schlafkammer zu begleiten.
„ Ihr seid blass, Kind“, sagte Bertha, während sie die langen Zierärmel von Gwenfrewis Gewand abknöpfte.
„ Was fehlt Euch denn?“
„ Nichts, Bertha. Ich bin nur – müde. Hast du die Bauernkleidung besorgt, um dich ich dich gebeten habe?“
„ Ja, Herrin. Wenn auch nicht gern. Es ist heute - gefährlicher als sonst, da draußen…“
„ Bertha bitte! Du sprichst in Rätseln! Wie kann es heute gefährlicher sein als beim letzten Mal oder dem Mal davor?“
„ Da waren keine Sonnwendfeiern“, sagte Bertha. „ Heute Nacht besäuft man sich ungestraft und schlägt über den Strang– da könnt Ihr von Glück sagen, wenn Ihr nicht augenblicklich mit nacktem Hintern auf dem Boden zappelt - aber was rede ich, Ihr verbitte Euch ja jede Begleitung…“
„ Ich nehme meine Waffe mit…“
„Ein Messer gegen – Bauernfäuste? Kind, wo habt Ihr nur Euren Kopf!“
„ Sicher wird Herr Wolfram nicht zulassen, dass ich…“
„ Der will Euch doch selbst ans Mieder! Herrin, bitte geht nicht.“
„Ich muss aber“, murmelte Gwenfrewi. „ Ich muss einfach. Es war der letzte Wunsch meiner Frau Mutter. Da kann ich nicht einfach – aufhören.“
„ Geht ein andermal. Bitte.“
„ Schluss jetzt, Bertha. Weck mich rechtzeitig genug vor Sonnenaufgang. Und dass du es mir ja nicht – ganz aus Versehen natürlich – vergisst.“
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Im Frühgrau trat Gandar auf den noch dunklen Hof hinaus. Brenneberg zog eine brennende Fackel aus dem eisernen Halter und leuchtete Amurat entgegen, der die gesattelten Pferde heranführte.
„ Wollt Ihr nicht doch warten, bis es heller wird?“, fragte er.
„Nein, mein Herr“, sagte Gandar. „ Wir reisen lieber, solange es noch kühl ist. Außerdem brennen überall noch die Sonnwendfeuer. Das ist mehr Beleuchtung als nötig. Die Männer stiegen in die Sättel. Gandar nahm die Zügel auf und gab seinem Hengst die Fersen. „Noch einmal Dank für Eure Gastfreundschaft", rief er über die Schulter zurück. „Lebt wohl”
Brenneberg hob grüßend die Fackel, doch die Männer passierten schon in leichtem Trab die geöffneten Tore der Wehranlagen. Gandar schien durch irgendetwas verärgert; er sah nur einmal kurz auf und äußerte dann bald zehn Minuten lang nichts.
„ Woran denkt mein Bruder Löwe?” fragte Amurat, dem das Schweigen zu lange währte.
„An nichts von Bedeutung“, sagte Gandar, obwohl das nicht stimmte. Er hatte an Gwenfrewi gedacht und wie schön ihr Haar ausgesehen hatte im Kerzenlicht.
Gemächlich trotteten die vier Pferde dahin. Mit der Morgenbrise wehte Rauchgeruch von den Feuern heran. Gelächter wurde zu schrillem Jubelgeschrei; es entfernte sich; es verstummte.
Plötzlich zügelte Gandar seinen Rappen. Das Gesicht seinen Begleitern zugewandt, legte er den gestreckten Zeigefinger auf die Lippen und stieg aus dem Sattel. Amurat die Zügel zuwerfend, glitt er im tiefen Schatten der Eichen davon.
“ Hast Du etwas gehört? Oder gesehen?” fragte Gareth.
Amurat schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er. „ Natürlich nicht. Wer außer Gandar könnte etwas sehen in diesem Licht, das weder Tag noch Nacht ist? Warten wir ab.”
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Rund um die Sonnwendfeuer entlud sich ungezügelte heidnische Lebensfreude. Man grölte; polterte, schepperte, dröhnte mit Küchengeschirr, Trinkbechern, Ackergerät und Kupferkesseln um die Geister zu vertreiben. Überall torkelten Betrunkene. Aus ihrem Versteck starrte Gwenfrewi mit weit aufgerissenen Augen auf die ausgelassenen Menschenknäuel. Süßer Jesus, dachte sie, dass übertrifft ja bei weitem Berthas Beschreibung…
Johlen und schrilles Kreischen betäubte ihre Ohren. Die jungen Männer setzten den Weibern nach. Die Frauen hatten sich hinter einem Pferdefuhrwerk verschanzt und verteidigten sich heldenhaft mit einem Vorrat an seltsamen Wurfgeschossen: Bechern, Würsten, durchweichten Brotscheiben, Schinken, Hühnerknochen, am Schluss gar mit ihren eigenen Schuhen, und selbst als sie gestürmt wurden, balgten , traten und kratzten sie noch.
Gwenfrewi verharrte reglos in ihrem Versteck. Es war nicht so, dass sie wirklich Angst gehabt hätte. Nein, das nicht. Was ihr dagegen Sorge bereitete, war die Frage, wie sie ohne die sehr präzisen Anweisungen ihrer Mutter zurechtkommen sollte. Dieser Wolfram von Milanes war ein harter Brocken. Schlau, durchtrieben…und lüstern. Stellt Euch dumm, Kind, hatte die Mutter ihr aufgetragen, gebt vor unsterblich in ihn verliebt zu sein…
Vielleicht habe ich dabei etwas übertrieben, dachte Gwen, denn seitdem versucht er mir jedes Mal einen Kuss zu rauben. Wenn ich ihm damit wenigstens Informationen entlocken könnte… Aber darin bin ich längst nicht so gut, wie Ihr es wart, liebste Frau Mutter…So versunken war sie in ihre düstern Gedanken, dass sie die Hand, die sich auf ihren Mund presste viel zu spät bemerkte. Ein harter Arm umschlang ihren Körper, zog sie mit sich fort. Sie trat und kratzte, versuchte in die Hand zu beißen, die ihr die Luft abschnitt.
„Gwen !Gwen… Au! Ich bin es, Wolfram.… so haltet doch ein...”
Sie kam plötzlich frei, strauchelte, wirbelte herum, ein Messer in der Faust. „Wagt es nicht!”
Ein Seufzer entfuhr ihr, ihre Arme sanken schlaff herab. „Ihr seid es.”
Der Angesprochene grinste breit und deutete eine Verbeugung an. „Ich bitte um Vergebung, mein Fräulein, falls ich Euch erschreckt haben sollte. Ihr wart in Gefahr entdeckt zu werden.”
„Das weiß ich“,, sagte sie knapp. Wie gerne sie ihm mit einem gezielten Schlag das überhebliche Grinsen aus dem Gesicht gewischt hätte!
„ Ihr zittert ja am ganzen Körper“, sagte Wolfram, ergriff ihren Arm und führte sie zu einem gestürzten Baumstamm wo er sie nötigte sich niederzulassen. Ja, dachte Gwen, ich zittere – aber nicht vor Schreck, sondern vor Abscheu! Heilige Jungfrau Maria gib mir Geduld!
„ Vergebt mir mein Herr, falls Euch die Zeit lang geworden sein sollte“, hauchte sie schüchtern. „Ich konnte nicht eher ungesehen fort. Wir hatten Gäste und mein Vater ging sehr spät zu Bett.”
Wolfram lachte erleichtert.” Ich fürchtete schon meine Nachricht sei in falsche Hände geraten.”
Er setzte sich neben sie. „Ohne Euch wird mir jeder Tag zur Ewigkeit", sagte er leise. Sein Mund kam immer näher und sie begann unauffällig zurückzuweichen.. „Wer war den Euer Gast?”
Beinahe hätte sie laut gelacht. Wer versuchte denn jetzt wen auszuhorchen?
„Ach, irgend ein Gesandter aus Italien“, sagte sie vage. „Vom kaiserlichen Hof, glaube ich...“
„ Mehr wisst Ihr nicht? Liebe Gwen, was soll ich nur mit Euch tun? Habt Ihr wenigstens mitbekommen, worüber gesprochen wurde?”
„ Aber nein, mein Herr“, sagte sie fröhlich. „ Politik ist so schrecklich ermüdend… Wie könnt Ihr verlangen, dass ich meinen armen Kopf mit Dingen belaste, die ich ohnehin nicht begreifen kann?“
Es fiel ihr schwer, nicht laut loszulachen. Wolframs Gesichtsausdruck war einfach zu köstlich! Sollte er ruhig glauben, Frauen hätten nichts außer Stroh im Kopf.
„Warum interessiert Ihr Euch denn so sehr dafür?“, fuhr sie fort. „Haben wir nicht Wichtigeres zu bereden?”
Er kratzte sich die Augenbrauen und verzog die Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. „ Ihr wisst doch, dass mich alles interessiert, was mit Euch zu tun hat.”
„Das hat aber nichts mit mir zu tun, mein Herr. Ich glaube Ihr wollt ablenken. Bereut Ihr es vielleicht schon, mir ein Heiratsversprechen gemacht zu haben?“
Sein Lächeln sollte entwaffnend wirken. „Natürlich nicht! Aber, meine liebe Gwen, Ihr heißt mich nicht gerade freundlich willkommen. Einen Kuss solltet Ihr Eurem zukünftigen Gemahl schon erlauben!”
Sie hatte es kommen sehen. Er dachte wieder nur ans Küssen!
Scheinbar verlegen hielt sie den Kopf gesenkt und rang nervös die Hände in ihrem Schoß. „ Ihr – Ihr habt schon zwei Küsse bekommen, Herr Ritter. Das ist mehr als jede Schicklichkeit erlaubt.“
Er packte ihre Oberarme und drehte sie zu sich herum „ Nun kommt schon, liebste Gwen! Ein paar Küsse kosten Euch nicht gleich Eure unsterbliche Seele. Außerdem hatte ich den Eindruck, Ihr fändet durchaus Euer Vergnügen daran…“
Sie spürte, wie sie rot wurde. Ja, Vergnügen, dachten sie grimmig. Wer küsst schon gern eine Kröte?
„Ich – ich weiß so wenig von Euch…“, stammelte sie.
„Ich begehre Euch zur Gemahlin. Was wäre darüber hinaus wohl noch wissenswert?“
Oh, da gäbe es einiges, dachte Gwen. Zum einen wäre da die Frage für wen Ihr spioniert, lieber Wolfram, denn das Ihr es tut steht außer Zweifel…
„ Mein Fräulein, Euer Zögern beleidigt mich“, sagte Wolfram. „ Ihr zwingt mich dazu, Euch ein Ultimatum zu setzen…“
Sie saß da und starrte ihn an.
„ Ein Ultimatum, mein Herr?“, flüsterte sie. „ Aber – warum?“
„ Für Deutschland wurde ein neuer päpstlicher Legat ernannt. Er hat das Interdikt im Gepäck. Ist es erst einmal von allen Kanzeln verkündet, wird niemand mehr bereit sein uns zu vermählen. Ihr begreift doch gewiss, dass nun Eile geboten ist…“
Gwenfrewi sagte nichts.
„ Der Bischof von Mainz ist mein Oheim“, sagte Wolfram. „ Er ist bereit, uns das Sakrament zu spenden. Ohne Aufwand und in aller Stille, wohlgemerkt.“
Gwen wandte das Gesicht zur Seite und sah ihn an. „ Mein Vater“, sagte sie ernst, „ würde Euch diese Beleidigung des Hauses Brenneberg nie verzeihen…“
„ Ihr enttäuscht mich, Gwen“, sagte Wolfram. „Ich war sicher, Ihr würdet mich verstehen. Nur – Gott helfe mir! - worüber ich nicht mehr sicher bin, ist – ob ich Eure Zimperlichkeiten noch länger ertragen kann…“
„ Ihr wagt es, mein Herr, mir das ins Gesicht zu sagen?“
Wolfram wandte sich um. Seine Arme waren ausgestreckt und schlossen sich rasch um sie. Zu rasch. Er zog sie zu sich heran. Fand ihren Mund und drang mit seiner Zunge in ihn ein. Ein Schauer durchlief sie. Sie hatte das Gefühl in eisiges Quellwasser getaucht zu werden. Endlich ließ er sie los.
„ Ich lasse Euch jetzt gehen, mein Fräulein“, sagte er kalt. „Kehrt in Eure Kammer zurück und packt Eure Habe. In drei Tagen bin ich wieder hier und erwarte Eure Kammerfrau mit dem Gepäck.“
„ Ich werde nichts schicken“, sagte Gwen.
„ Euer Schaden“, sagte Wolfram. „ Denn – ich schwöre bei Gott! - Ihr werdet mit mir nach Mainz reisen. Notfalls nur mit dem, was Ihr gerade auf dem Leib habt…“
Damit wandte er sich um, schritt zu seinem Pferd, ergriff es am Zügel und entfernte sich.
Gwen seufzte vor Erleichterung. Sie war sich sicher, dass dies ihr endgültig letztes Treffen mit Wolfram gewesen war. Aber darin täuschte sie sich.
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Trotz des Zwielichtes bewegte sich Gandar lautlos vorwärts. Er brauchte nicht lange, um die Ursache des Geräusches zu finden, das ihn beunruhigt hatte. Es war tatsächlich das Klirren einer Schwertscheide gegen eiserne Kettenbeinlinge gewesen…
Ein Ritter und eine Bauerndirne vergnügten sich auf einer Waldlichtung miteinander. Nun, dachte Gandar, das ist harmlos… Er wollte sich schon leise wieder zurückziehen, als er aus den Augenwinkeln etwas Rotes bemerkte. Schmale Bahnen aus Sonnenlicht brachen durch das Laub und ließen das Haar der Frau wie flüssiges Feuer auflodern. Gwenfrewi von Brenneberg!
Gandar stand still da und versuchte zu ergründen, was er bei diesem Anblick empfand. Es war nicht so leicht einzuordnen. Diese Frau geht mich nichts an, dachte er. Die Sache dürfte mich daher gar nicht berühren… Aber so war es nicht. Vielmehr fühlte er sich plötzlich müde und elend bis ins Mark…
Jetzt wandte der Ritter ihm das Gesicht zu. Gandar runzelte die Stirn
Dieses Schurkengesicht kannte er! Es wollte ihm nur nicht gleich einfallen, woher. Eine angenehme Erinnerung war es sicher nicht…
Gwenfrewi wartete, bis Wolfram aus ihrem Gesichtskreis verschwunden war, bevor sie sich umwandte, um den Heimweg anzutreten. Sie überquerte schnell die Lichtung und schlüpfte dankbar in den Schatten der Bäume.
Etwas blitzte auf, nur sekundenlang. Gwen blieb stehen. Schloss ihre Hand um den Griff ihres Messers und spähte angestrengt ins Dunkel, um zu erkennen wer die große Gestalt zwischen den Bäumen war.
„Eine anständiges Mädchen sollte um diese Tageszeit nicht hier draußen sein“, sagte der Mann im glänzenden Kettenhemd.„ Aber vielleicht seid Ihr gar nicht so – anständig, Fräulein von Brenneberg?“
Seine Stimme war tief, mit einem leichten Akzent und sie erkannte daran den Gesandten des Kaisers.
„ Geht Euch das etwas an?“
„Nein“, gab er zu. „ Aber mir gefällt der Gedanke nicht, mich derart in Euch – getäuscht zu haben.“
Sie starrte ihn überrascht an „ Wie lange steht Ihr schon dort?”, fragte sie scharf.