Das Schachspiel Teil 5

Fastrada

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Gandar ließ seinen Rappen langsam durch das Tor der kaiserlichen Pfalz zu Hagenau gehen.
Wie jedes Mal, wenn er hierher kam war er überrascht, wie laut es im Außenhof der Pfalz zuging. Schweine quiekten, Hunde bellten, Kinder schrieen vor lachen. In der langen Reihe der Ställe stampften die Pferde des Königs mit den Hufen. Kinder, ein bisschen weniger schmutzig als die in den Dörfern, die er unterwegs gesehen hatte, spielten in den Heuschobern bei den Ställen, daneben hämmerte der Waffenschmied die Glieder eines Kettenhemdes zurecht und der Hufschmied beschlug ein Turnier Ross des Königs.
Gandar trennte sich hier von Gareth und Amurat.
Im Innenhof war es ruhiger. Gandar glitt langsam aus dem Sattel, zog seine staubigen Handschuhe von den Fingern und ging auf den Brunnen in der Mitte des Hofes zu. Seine Schritte verrieten eine enorme Müdigkeit. Er hatte in den letzten Tagen alles von sich gefordert, in dem Versuch den Gedanken zu entkommen, die ihm Tag und Nacht keine Ruhe ließen. Gwenfrewi. Verdammt, er musste ihren Namen vergessen. Er musste sie vergessen.
„Den Herrn Lauris von Segeste zu mir ", befahl er einem Diener. Seinen Hengst übergab er einem Pferdeknecht.
„ Lass Er ihn noch nicht trinken, er ist noch zu erhitzt.”
Allein gelassen lehnte er sich an den Brunnenrand und zog den Schöpfeimer herauf, spritzte sich Wasser in Gesicht und Nacken, um die bleierne Müdigkeit zu vertreiben. Langsam trank er einen Schluck der kalten, klaren Flüssigkeit. Die schimmernde Wasserfläche gaukelte ihm nur neue Trugbilder vor. Was auf der Waldlichtung als ein Spiel begonnen hatte, war zu einem Hunger geworden, den er nicht mehr kontrollieren konnte.
Von den Wohngebäuden kam Manfred, sein Knappe, herüber gelaufen.
„Mein guter Herr! Soeben erfuhr ich von Eurer Ankunft. Willkommen zurück! Möchtet Ihr gleich essen? Oder erst ein Bad?“
Ein Lächeln huschte über Gandars Gesicht, während er dem Jungen zunickte.
„Erst das Bad, bitte. Sag mal Manfred, warum sind so wenig Bedienstete da? Hält sich der König nicht in der Pfalz auf?“
„Nein, mein Herr. Ein Jagdausflug glaube ich. Genaueres weiß ich nicht. Aber Herr Lauris hat eine Nachricht für Euch.“
„ Und wo mag er wohl stecken, der Herr Lauris?“
„ Hier bin ich, mein Herr“, sagte Gandars Gefolgsmann und trat lächelnd näher. Die Männer tauschten Umarmung und Wangenkuß. Gandar erkannte besorgt, wie mitgenommen und müde der junge Ritter aussah.
„Schwierigkeiten, nichts als Schwierigkeiten und Sorgen!,“ brummte Lauris. „Bin froh, dass Ihr zurück seid, weil hier Meuterei droht – von ein paar hergelaufenen Kreuzzugsveteranen, verdammt noch mal!“
„ Lasst mich raten, Lauris“, sagte Gandar düster. „ Es geht um unsere Sarazenenkrieger, nicht wahr? Wieder einmal!“
„ Was sonst“, knurrte Lauris. „Solange der König anwesend war, wagte niemand einen Mucks zu sagen. Aber seit die Majestät fort ist… obwohl -- es hätte friedlich bleiben können, wenn nicht diese Sänger…“
„ Lauris“, brummte Gandar. „ Würdet Ihr wohl bitte fortfahren?“
„ Nun“, begann Lauris, „ es gibt da diese neuen Verse über Euch, mein Herr… Ihr werdet sie noch nicht gehört haben..“
„ Ich kenne das verdammte Lied“, rief Gandar aufgebracht.„Jeden einzelnen seiner zwanzig Verse…“
„ Gandar bitte! Man hört Euch durch den ganzen Hof .“
„Soll man mich doch hören“ knurrte Gandar mit soviel Bitterkeit in der Stimme, dass Lauris überrascht zu ihm aufsah. „ Was macht es denn noch aus, da wir ohnehin schon die halbe Pfalz gegen uns haben? Oder ist es etwa neuerdings so, dass Konrads deutsche Ritter eine - wenn auch eingebildete - Kränkung ihrer Ehre stillschweigend hinnehmen?“
„Nein“, gab Lauris zu. „ Im Gegenteil. Allerdings beschränken sie sich auf Flüche und Drohungen aus der Ferne.“
„Nett von ihnen“, kommentierte Gandar trocken.
„ Nett? Sagt lieber bange. Weil sie nach Burgund wohl endlich begriffen haben, dass sarazenische Krieger kein Schlachtvieh sind…“
Gandar fuhr herum und sah Lauris finster an.„ Und Ihr glaubt das reicht? Wie lange wird es wohl dauern, bis sie aufhören übervorsichtig zu sein? Einen Tag? Zwei Tage? Und dann – „
„ Bricht hier die Hölle los, ich weiß“, brummte Lauris.
„ Ja“, sagte Gandar. „ Und in meiner augenblicklichen Stimmung würde es mir einen Heidenspaß machen, ein paar deutsche Holzköpfe einzuschlagen…“
„ Und genau das“, erwiderte Lauris, „ wäre das Schlimmste, was Ihr tun könntet. Das sieht Euch so gar nicht ähnlich Gandar. Sind Eure Nachforschungen so schlecht verlaufen?“
„Die ganze Reise war ein Fehlschlag“, sagte Gandar ruhig. “Nutzlos vertane Zeit. Was ich nicht verstehe. Irgend jemand HÄTTE den Code erkennen müssen – es sei denn…“
„Es sei denn - was, Gandar?“
„ Ach, verdammt, ich weiß es nicht. Ich kann einfach den Fehler nicht finden .Warum schaut Ihr mich so an?“
„ Gandar, während Ihr fort wart, haben sich hier noch andere – Dinge ereignet. Sie werden Euch nicht gefallen, fürchte ich…“
„ Dann ist es wohl besser, wenn Ihr gleich damit herausrückt, Lauris, nicht wahr?“
„ Das muss ich wohl. Obwohl es mir weiß Gott keinen Spaß macht, ständig der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein…“
Gandar lächelte trocken. „ Das Schicksal derer, die dem Haus Rodéna dienen…. Also, was ist geschehen?“
„Seit geraumer Zeit“, begann Lauris, „verschwinden Dokumente aus der königlichen Kanzlei - “
„ Weiß ich“, entgegnete Gandar. „ Der König selbst hat mir davon berichtet. Leider gab es bisher nicht einmal einen Verdächtigen…“
„Jetzt gibt es einen“, sagte Lauris grimmig. „ Gerüchten zufolge ist es ein Vertrauter Konrads. Ein Mann, der Zugang zu jeder Art von Informationen hat. Einer, der viel draußen herumkommt –und sich dabei unauffällig mit Verbündeten und Mittelsmännern treffen kann…“
Gandar starrte Lauris an. „ Süßer Jesus“, flüsterte er betroffen, „ versucht Ihr mir gerade zu sagen, dass man – mich verdächtigt?“
„Leider ja“, erwiderte der Ritter. „ Die Gerüchteküche kocht nahezu über, seit bekannt wurde, dass sich Wolfram von Milanes – dieses Stück Dreck- in der Nähe von Brenneberg aufhält. Sein Oheim ist der Bischof von Mainz, ein papsttreuer Herr…“
Lauris sprach noch weiter, aber Gandar nahm nichts mehr davon wahr. Beim Namen Wolfram von Milanes überkam ihn blitzartig die Erleuchtung, die Erkenntnis, das Wissen: Gwenfrewi von Brenneberg war eine Verräterin. Sie - hatte sich mit Wolfram von Milanes getroffen. Auf dieser Waldlichtung. O Gott!, dachte Gandar. Allmächtiger Gott!
Das süße, sanfte Mädchen- eine Frau, die gerissen genug war, alle zum Narren zu halten…
Und ich habe sie … o Jesus…
„ Meinguter Herr, Ihr seid auf einmal blass wie der Tod“, sagte Lauris besorgt. „ Ist Euch nicht wohl?“
Gandar blieb stumm. Er blieb stumm, weil er die Dinge, die ihm einfielen, vor Lauris nicht aussprechen konnte und sie sowieso nichts geändert hätten.
„ Ich bedaure“, sagte Lauris leise, „ keine besseren Nachrichten für Euch zu haben, mein Herr…“
Gandar legte ihm eine Hand auf den Arm. „ Es ist nicht Eure Schuld“, sagte er sachlich. „ Aber genug davon – kommt… ich möchte Konrads Botschaft lesen…“
Lauris ging, um die Nachricht zu holen und Gandar machte sich auf den Weg zu seiner Unterkunft. Wann immer es möglich war, mied er die Badestube der Pfalz. Der Sarazenenbrauch des täglichen Badens unter Verwendung von Parfüms galt in der christlichen Welt als Sünde und um den ohnehin zerbrechlichen Frieden nicht zu gefährden, zogen Gandar und seine Männer es vor in ihren eigenen Räumen zu baden.
Manfred hatte schon alles vorbereitet und erwartete seinen Herrn neben einem gefüllten Zuber, um ihm beim auskleiden zur Hand zu gehen. Wenig später saß Gandar zufrieden seufzend im heißen Wasser. Lauris kam und überreichte Konrads Botschaft.
Gandar war nicht besonders neugierig auf den Brief, weil er zu wissen glaubte, was er enthielt. Deshalb traf ihn das, was er zu lesen bekam völlig unvorbereitet . Auf dem Blatt stand nur ein einziger Satz.

–Wir wünschen, dass Ihr Euch umgehend zur Burg Eures Bruders begebt –

Schmerz griff mit kalten Fangarmen nach seinem Herzen.
O Gott, o Jesus, dachte er. Richart muss etwas zugestoßen sein und Konrad wagt nicht, es mir zu sagen…
Das Blatt entglitt seinen Händen. In ihm war schwarze Galle und Übelkeit.. Wovor er sich fürchtete, seit er seinen Bruder wieder gefunden hatte, das war nun reduziert auf einen schlichten Brief - elf Worte, die ihm die Hälfte dessen nahmen, wofür er lebte. Benommen starrte er auf das Blatt, sah wie es langsam im Wasser versank, die Schrift sich verwischte.
Er musste irgend einen Laut von sich gegeben haben, denn Manfred und Lauris wandten ihm beinahe gleichzeitig den Blick zu. Bemerkten sein bleiches Gesicht, seine blassen Lippen und sprangen hinzu, weil sie dachten, er werde gleich ohnmächtig.
„ Lasst mich“, flüsterte Gandar.
„ Um Himmels Willen, Gandar“, sagte Lauris drängend, „sprecht mit mir! Sagt mir, was in diesem Brief steht…“
Wie verwundert lauschte Gandar dem Klang seiner Worte hinterher. Seine Lippen bewegten sich ein - oder zweimal, bevor er antworten konnte. „ Das weiß ich nicht.“
Lauris sah in fassungslos an.
Gandar lächelte wehmütig. Er hatte jetzt wieder Gewalt über sich, über seinen Schmerz, seine Übelkeit.„Ich weiß es wirklich nicht“, erklärte er sachlich. „Die Nachricht ist schrecklich vage – sie kann alles bedeuten – oder auch gar nichts. Ich soll umgehend zur Glouburg ...“
„Lasst mich nachdenken“, sagte Lauris. „ Nein – keine Gerüchte über irgendwelche Geschehnisse. Sonst wüsste ich davon.“
“Ich reise gleich bei Sonnenaufgang“, sagte Gandar, „ nur mit Gareth und Amurat. Der Tross kann später folgen.“
„ Darf ich Euch begleiten, Herr?“, bettelte Manfred.
„ Nein Junge“, sagte Gandar. „ Ich möchte, dass du dich um meinen Rappen Attair kümmerst. Er hat sich ein paar Tage Ruhe verdient. Ich nehme diesmal den Fuchs- Hengst Sirrah.“
Damit stieg er aus dem Zuber und begann sich abzutrocknen.
Natürlich hatte Lauris davon gehört und war entsprechend vorbereitet– aber beim Anblick von Gandars Rücken entrang sich doch ein unwillkürlicher Laut des Entsetzens seiner Kehle.
Denn Gandars Narben waren sehr schlimm. Ärger als alles, was er bisher gesehen hatte.
Langsam wandte Gandar ihm das Gesicht zu. Und Lauris blickte in Augen die schrecklich anzusehen waren - dunkel und von schwerem Gram gezeichnet.
„ Raus “, sagte Gandar tonlos. „ Verschwindet …“
Lauris gehorchte auf der Stelle.
 



 
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