Das schiefe Bild

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Vera-Lena

Mitglied
Das schiefe Bild

Die beiden Zitate, die ich hier verwenden werde, stammen aus einem Buch, das ich in der LL schon einmal empfohlen habe, denn es stellt ein hochkarätiges Lernmaterial dar.

W.E. Süskind:“ Vom ABC zum Sprachkunstwerk.“ VMA Verlag 2001. Wiesbaden

„Der Wandertrieb, tief im jungen Blut verwurzelt, erhob machtvoll seine Schwingen.“

Dieser Satz kann nur geduldet werden, wenn er scherzhaft gemeint ist. Steht er in einem scherzhaften Kontext zB. eines Kabarettisten, ist er überaus gelungen.

Wurde er ernsthaft benutzt, kann er nicht toleriert werden.

Jedes Bild für sich genommen der Wandertrieb, das junge Blut, die machtvollen Schwingen ist so aussagestark, dass es um wirksam zu werden, ein eigenes Umfeld benötigt.

Ähnlich verhält es sich mit der Aneinanderreihung von Metaphern. Eine Metapher steht für eine Fülle von Aussagen, ähnlich wie die aramäische und die arabische Sprache mit ihren Wörtern viele Inhalte transportieren, so dass bei Übersetzungen ins Deutsche, der Leser fasziniert ist von der Fülle und Leuchtkraft dessen, was er da liest.

Im Deutschen sind die Wortbedeutungen fester umrissen und nur die Metapher erlaubt es, dem Leser, sich selbst mehrere Bedeutungen zu erschließen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Aneinanderreihungen von Metaphern vermieden werden, weil die Metapher sonst ihre Bildhaftigkeit nicht entfalten kann. Sie braucht, gleichsam wie ein guter Wein, einen Raum zum Atmen.

Die Metapher wird benutzt, um der Sprache Reichtum, Fülle und Tiefe zu geben. Sie ersetzt im besten Falle mehrere Sätze, die dasselbe aussagen würden.

Ich will hier mal ein Zitat von mir einfügen, damit ich nicht irgendwo lange suchen muss:
„Es ist spät, aber in der Frühe gürtet sich die Hoffnung mit einem Seidenschal“.

Die Hoffnung gürtet sich mit einem Seidenschal, will sagen: In diesem speziellen Falle,( der Text ist ein lyrischer), ist die Hoffnung des Lyrischen Ichs so machtvoll, dass das Lyrische Ich sich damit geradezu als geschmückt empfindet. Nun sollten mehrere Zeilen dazwischen liegen, bis der Leser wiederum auf ein Bild stößt, das er sich übersetzen und auf sich wirken lassen kann.

Wird in einem lyrischen Text Metapher an Metapher gesetzt, so löschen sie sich gegenseitig aus. Der Text wirkt überladen und ermüdet den Leser, so wie das schiefe Bild den Leser zum Lachen reizt. In beiden Fällen ist die vom Autor beabsichtigte Aussage zerstört.

Nun hier ein Zitat, das wohl dosiert mit Bildern und einer Metapher umgeht.

Adalbert Stifter:
„Oft entstieg mir ein und derselbe Gedanke, wenn ich an diesen Gestaden saß: als sei es ein unheimliches Naturauge, das mich hier ansehe - tief schwarz – überragt von der Stirne und Braue der Felsen, gesäumt von der Wimper dunkler Tannen – drin das Wasser regungslos, wie eine versteinerte Träne.“
Hier bleibt der Autor in einem Bild, in dem Bild eines Gesichtes, an dem er Auge, Braue Wimper und Stirn wahrnimmt übersetzt in die Naturerscheinungen, die ihn umgeben und er benutzt nur eine Metapher: die versteinerte Träne. Diese zwei letzten Worte muss sich der Leser deuten, während er die Vergleiche innerhalb der gegebenen Natur mühelos vor seinem inneren Auge erschauen kann.

Diese meine Gedanken zu schiefem Bild und zur Metapher wollte ich Euch gerne mitteilen.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 
Knapp, informativ und treffend!
Metaphern funktionieren ähnlich wie Akkorde in der Musik = jeder braucht eigenen Raum zur Entfaltung, stehen sie zu dicht (oder widersprechen sich sogar), ists nur noch kakophoner "Lärm".
 
H

Heidrun D.

Gast
Liebe Vera-Lena,

ich bin ja nun auch schon seit einiger Zeit in der LL, ohne dass mir je die Abteilung Theoretisches untergekommen wäre ... :(

Dabei interessieren mich diese Dinge brennend und deinen Beitrag zu "gefährlichen " Metaphern (*lächel) finde ich besonders gelungen und informativ.

Vielleicht möchtest du eine Reihe daraus machen ... in unregelmäßigen Abständen? (Fluch und Segen der Adjektive ;) wäre beispielsweise ebenfalls ein erquickliches Thema)

Herzliche Grüße
Heidrun
(die sich sofort das süskindliche Buch bestellen geht)
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Heidrun,

das freut mich, dass Du jetzt die Sparte Theoretisches entdeckt hast. Mir blieb sie auch lange Zeit verborgen, sie ist aber ein fundamentaler Baustein, wenn man in der LL seine Art des Schreibens verbessern möchte. Ob ich noch weiter daran mitarbeiten werde, weiß ich noch nicht. Eigentlich (ja schon schlimm genug, dass ich eigentlich schreiben muss, ich sollte schon viel weiter sein) bin ich ja mit einem anderen Sachbuch beschäftigt.

Der Süskind wird Dir vielleicht schon alles geben, was Du suchst. Ansonsten kann ich noch sehr empfehlen: "Kreativ Schreiben. Handwerk und Techniken des Erzählens" von Fritz Gesing, erschienen im DUMONT Verlag.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
H

Heidrun D.

Gast
Gibt es denn auch eine spezielle Empfehlung für die (ausschließliche) Lyrelei? Da habe ich verständlicherweise schon einiges, aber bestimmt nicht (gut) genug!

Fragend & hoffend
Heidrun
 

Vera-Lena

Mitglied
Ja liebe Heidrun, vielleicht hast Du das schon, wenn nicht, ist auch noch sehr hilfreich: Erwin Arndt: "Deutsche Verslehre." Das Buch bekommst Du bei amazon.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
G

Gelöschtes Mitglied 11475

Gast
Hallo Vera-Lena!

Danke für die Anregungen!

Besonders in meiner, manchmal wild überwuchernden Bildsprache, der es einer wohlwachsenden Struktur oft entbehrt, mögen sie trimmend und stutzend, mir zur Hilfe gereichen. ;-)

Gruß, Christoph
 
K

Kasper Grimm

Gast
Hat mir gut gefallen. Ich Metaphern-Fetischist, fand diesen Text anzüglich dahingehend, daß er dem Metapherndrang meines Blutes Zügeln anlegte ;-)
LG Kasper
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich möchte noch einen Punkt anfügen: Sehr viele unserer heutigen "normalen" Redewendungen sind Metaphern, aber als solche nicht mehr erkennbar. Man nennt sie auch "tote Metaphern".
Tote Metaphern sind lexikalisierte Metaphern, die ihre neue Bedeutung mit sich tragen. Ein Beispiel hierfür ist "Nagelkopf", in der Wikipedia wird als Beispiel "Tischbein" angegeben.

Tote Metaphern durchziehen unsere Sprache überall.
Sie können selbst wieder zum Ausgangspunkt von Metaphern werden.
 
O

orlando

Gast
Das ist eine interessante Bemerkung Bernd, spricht sie doch ein Problem an, das die Qualität so mancher Texte unnötig schmälert.
Veraltete Formen, Wörter und Konstruktionen, übermäßige Adjektivation etc. können ebenso dazu beitragen, einen Text überladen oder auch schlicht "unmodern" wirken zu lassen .
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich denke, unsere Sprache ist extrem von Metaphern durchzogen, durchaus nützlichen Gebilden.
Manche beruhen auf Missverständnissen.

Maulwurf ist eine Metapher, die aus einem Missverständnis entstand.
Eigentlich heißt es "Erdwerfer", wir aber stellen uns ein Tier vor, dass mit dem Maul die Erde hochschiebt, zumindest als Kind tun wir das, durch die Macht der Metapher und Volksetymologie.

Falsch ist das aber nicht, es bereichert die Sprache.

Selbst "schreiben" (ritzen, malen) ist eine tote Metapher. Wir verwenden es auch für "tippen", das ebenfalls eine Metapher ist. Und in Englisch "to write" kann man noch "ritzen" erkennen, in den Buchstaben erkennen wir die Buchenstäbe und im Raunen sind die Runen gegenwärtig.

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Eine völlig andere Form von Metaphern sind die, die etwas verbergen sollen.
Der Bär=der Braune - den Namen des Bären darf man nicht nennen.

Das Heidenröslein ...
 



 
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