Herbsthund
Mitglied
Das Teufelsauge
Der Montagmorgen fing bescheiden an.
Ich fühlte mich schläfrig und erschöpft, obwohl ich sechs Stunden geschlafen hatte. Ich hatte irgendeinen Blödsinn geträumt – von Spionen und einem alten Modem, das sich partout nicht einschalten wollte.
Zur Abwechslung funktionierte im Büro das Internet nicht – irgendjemand hatte den Splitter geklaut, der mehrere Computer ans Netz anschloss. Der Techniker, der für sowas zuständig war, war wie vom Erdboden verschluckt. Also blieb uns nichts anderes übrig, als draußen zu rauchen und auf die Rückkehr dieses Rentnertechnikers zu warten wie auf die Wiederkunft Jesu.
Das mobile Internet funktionierte immerhin – ich konnte eine wichtige Arbeitsmail abschicken. Ob’s was gebracht hat? Natürlich nicht – niemand antwortete.
Alle schlichen nach den Ostertagen wie Zombies durch die Gänge und berichteten in kurzen Worten von ihren Urlauben.
Meine Arbeitsmotivation lag irgendwo bei 2 von 10 Punkten.
Seltsam, dass ich hier schon fast vier Jahre arbeitete. Der Job war weder besonders stressig noch besonders fordernd, aber es wirkte so, als kämen alle hier nur noch aus Gewohnheit – in der Gewissheit, dass es heute garantiert nicht besser wird als gestern.
Mein Handy summte mit einer fröhlichen Disco-Melodie. Endlich war jemand in der Zentralbibliothek aufgewacht!
Ich freute mich zu früh...
DAS AUGE DES TEUFELS KEHRT ZURÜCK! DU HAST NOCH 17 STUNDEN VORBEREITUNGSZEIT! FÜR NUR 450 € BEKOMMST DU 13 BAAL-MÜNZEN!!!
DAS ANGEBOT GILT NUR BIS ZUR ANKUNFT DES TEUFELSAUGES!!! DEINE WELT IST EIN SCHLAMMBALL DER RANGSTUFE F!
80 % DIESER WELTLOOSER WÜRDEN NICHT MAL 3 STUNDEN ÜBERLEBEN, WENN DIE INFERNALE INTEGRATION BEGINNT!!! ZÖGERE NICHT!!!
Von allen seltsamen Spam-Mails, die mir jemals versucht hatten, unnötigen Kram zu verkaufen, war das die bizarrste.
Wahrscheinlich eine besonders kreative Variante von „Kauf doch einfach nen Ziegelstein“.
Die Stunden zogen sich ewig. Ich lief herum, rauchte, aß Salat...
Der Techniker fand schließlich den Splitter. Das Internet funktionierte für eine ganze Stunde wunderbar – und verschwand dann im ganzen Gebäude.
Die Flüche meiner Kollegen übertönten fast den Streit betrunkener Bauarbeiter.
Alle drehten durch.
Der Techniker brüllte, das seien Probleme mit dem Netzwerk der ganzen Stadt, die anderen schrien, er sei ein Idiot und dass man stattdessen lieber eine Katze für seinen Job einstellen sollte – das würde die Effizienz sicher noch steigern.
Ich hatte keine Kraft mehr für diesen Zirkus, schnappte mir meinen Rucksack und machte mich langsam auf den Heimweg.
Irgendwas lief hier verdammt schief...
Die Sonne wärmte angenehm, die Blätter der Bäume raschelten im Wind.
Vielleicht hätte ich wirklich etwas ändern sollen.
Raus aus der Stadt, an einem See im Wald sitzen, vielleicht sogar einen Hund oder eine Katze adoptieren?
Auf dem Heimweg starrte ich immer wieder aufs Handy.
Die Flut an Nachrichten riss nicht ab.
Alle paar Minuten kamen neue Angebote zu „Systemen“, „Karmasammlung“, „Dimensionstore öffnen“, „Waffen der Schicksalsmeister“.
Die Leute auf der Straße wirkten... seltsam.
Manche standen einfach da und starrten wie hypnotisiert auf ihre Handys.
Eine Frau, noch relativ jung, stand auf dem Gehweg und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum – als würde sie versuchen, etwas Unsichtbares zu greifen.
Ein älterer Mann am Kiosk redete wirr mit sich selbst:
— Ich nehme die Klasse Krieger an! Ich nehme Feuermagie an!
Als ich an ihm vorbeiging, spürte ich eine seltsame Hitzewelle – als wäre die Luft um ihn herum erhitzt.
Aus der Ferne drang ein Heulen zu mir, aber es war keine Polizeisirene, auch kein Krankenwagen – es klang... wie das dumpfe Dröhnen eines antiken Holz-Horns, bedrohlich und leer.
Plötzlich wurde mir klar, dass all das, was ich bisher für Unsinn gehalten hatte, langsam in die Realität drang.
Mein erster Gedanke war:
„Ich hätte diese Teufelsmünzen kaufen sollen...“
Der zweite:
„Ich muss hier raus, aus der Stadt, solange es noch geht.“
Mein Handy vibrierte wieder – 13 neue Angebote:
Münzen, Zauberstäbe, Äxte, Schwerter, Rapiere, Rüstungen, Bögen... Sogar Skills: Psionik, Magie, Wunder, Schamanismus.
Dazu körperliche Fähigkeiten: Kneipenschläger, Türsteher, Akrobat.
Ich setzte mich besorgt auf eine Parkbank.
Ganz ruhig, Alter, das ist irgendeine bekloppte RPG-Werbung.
Ingame-Gegenstände kaufen. That’s it.
Da ist nix Mystisches.
Würde dir das jemand am Hauptbahnhof erzählen, würdest du nur den Kopf schütteln und weitergehen...
Beruhigt ging ich nach Hause.
Die Welt dreht durch: Brexit, Corona, Kriege – Dinge, die es eigentlich nie hätte geben sollen. Seltsam: Als ich etwa zwölf war, erzählte ein schrulliger, redseliger Alter meiner Mutter und mir von einer Frau, die prophezeit hätte, dass Russland untergeht und Millionen sterben würden. Wahrscheinlich fuhren wir gerade nach Palanga...
Leckeres Eis, Sonne, Wind, Fotos mit einem rosafarbenen Plüschflusspferd. Das war so lange her.
Wir haben diese kleinen, schönen Momente nie wertgeschätzt.
Wir hatten es gut – und wussten es nicht.
In der Nacht schlief ich unruhig.
Ich träumte, der Himmel über der Stadt sei wie eine Eierschale aufgebrochen, und daraus fielen lange, schwarze Seile herab, die bis zum Boden hingen.
Ich wachte mehrmals schweißgebadet auf, aber mein Verstand flüsterte:
— Unsinn, Alter. Du hast einfach zu viel Salat gegessen.
Am Morgen stand ich auf, kochte mir Kaffee.
Im Flur stolperte ich über die Post – irgendeine Zeitung, obwohl ich seit einem halben Jahr keine mehr abonniert hatte.
Auf der Titelseite stand in knallroten Buchstaben:
„INFERNALE INTEGRATION: STUFE 1 AKTIVIERT. BEREITMACHEN.“
Ich starrte die Zeitung an, und spürte, wie sich wieder dieses seltsame, saure Unbehagen in mir ausbreitete.
Wo eigentlich die Wettervorhersage sein sollte, waren keine Sonnen- oder Regensymbole – stattdessen Flammen, Totenschädel, Blitze.
Ich blickte aus dem Fenster.
Die Straße sah fast normal aus – nur... gingen die Leute seltsam.
Einige trugen Rüstungen, andere seltsame Hüte oder Umhänge.
Ein Mädchen trug einen glitzernden Stab, von dem blaues Licht ausging.
Die Passanten sahen einander an, manche begrüßten sich mit seltsamen Handgesten – wie Mitglieder einer alten Bruderschaft.
Und dort, am Ende der Straße, stand etwas Unfassbares:
Ein Wesen, so groß wie vier Menschen, mit einem Hirschschädel als Kopf.
In seinen Händen hing eine riesige Axt, von der dunkle Flüssigkeit auf den Boden tropfte.
Ich erstarrte.
Meine Finger umklammerten die Kaffeetasse so fest, dass sie mir aus der Hand glitt und auf dem Boden zerbrach.
Ich schrie innerlich:
„Ich brauche einen Hund. Ich brauche heute einen Hund.“
Die Welt war endgültig verrückt geworden.
Und ich, Dominik – ein Mensch, über den einst in der Schulakte stand, dass er „hervorragendes philosophisches Denken“ besäße – stand da wie ein Idiot und dachte, ich bräuchte einen Hund.
Als könnte so ein pelziges Vierbein irgendetwas ändern, wenn auf den Straßen hirschköpfige Riesen herumlaufen und Zeitungen Höllen-Level statt Wetter anzeigen.
So gut ich konnte, sammelte ich mich, lief in den Flur, zog meine Schuhe an. Mein genialer Plan: Gehen, bis ich irgendwo einen normalen Menschen finde.
Den Hund würde ich mir später zulegen – falls es dann noch ein Gesicht gäbe, das sich zu lecken lohnt.
Draußen roch die Luft nach heißem Metall.
Die Blätter der Bäume raschelten, obwohl kein Wind ging.
Manchmal blitzten auf dem Bürgersteig seltsame Zeichen auf – wie Schatten oder Hologramme, die ich nicht vollständig erfassen konnte: Türen ins Nichts, rote Kreise, die irgendetwas markierten...
Einige Passanten waren bereits vollständig verwandelt:
Ein Typ in Lederrüstung, barfuß und mit zwei Hauerzähnen, schrie etwas über ein „Donner- Amulett“ und wollte es gegen ein Sandwich eintauschen.
Eine Frau hatte Katzenaugen und trug einen grünen, zusammengefalteten Bogen.
Ich versuchte, auf den Boden zu schauen.
Wenn man den Wahnsinn nicht sieht, dann... Wenn du den Wahnsinn nicht siehst, wird er dich vielleicht auch nicht sehen.
Doch irgendwo um die Ecke holte mich eine vertraute Stimme ein: — Dominykas, lauf!
Ich drehte mich um.
Es war Monika – einst Kollegin in der Buchhaltung, immer eingezwängt in graue Blazer.
Jetzt trug sie eine Rüstung wie eine Ritterin, ein riesiges Schwert auf dem Rücken und leuchtende Zeichen auf der Stirn.
— Was zum Teufel ist hier los?! — rief ich.
— Das Spiel hat begonnen, Dominykas! Die Höllenintegration ist gestartet! Wer ein Level hat, überlebt. Wer keins hat, wird zur Beute.
— Ich hab ja nicht mal ein Level! — wimmerte ich, als hörte ich zum hundertsten Mal von Korruption und steigenden Strompreisen.
— Darum musst du es dir schnell holen.
Sie trat vor, zog einen kleinen schwarzen Kugel hervor, die innen geheimnisvoll glühte. — Halt den. Wähle jetzt eine Profession.
Verwirrt nahm ich die Kugel. Sie war so warm, als käme sie direkt aus dem Leib eines lebendigen Wesens. Langsam formten sich in ihrem Inneren die Worte:
WÄHLE EIN Beruf: Hexenmeister Zauberer Klassenschläger Wanderer Straßenmagier
Wir eilten mit schnellen Schritten aus der Stadt. Der Gedanke an den Wald war nicht schlecht, aber der nächste lag siebzig Kilometer entfernt. Das Häuschen meines Großvaters war viel näher – nur sechs Kilometer von der Stadt entfernt. Die Welt hatte sich nicht verbessert, es regnete Blut und Kröten. Ich wollte glauben, ich träume, ich kniff mir sogar in die Wange, um aufzuwachen, doch nichts änderte sich: Die Menschen kämpften gegen grotesk mutierte Versionen ihrer Freunde und Kollegen. Ich rannte los, zum Glück hääten manche Mutanten Angs vor Monikas Schwert.In Rekordzeit erreichten wir die Hütte. Dort sollten ein paar Birken wachsen, und die Wiese war angelegt, aber es sah aus, als kämen wir in einen jahrhundertealten Wald. Das Gras reichte bis zu den Knien. Alles wuchs...
Meine Kleidung klebte am Körper vor Blut. Fluchend riss ich Hemd und Jeans ab. Monikas Rüstung blieb sauber, aber Haare und Gesicht sahen grauenvoll aus. Murrend ging ich unter die Dusche, wusch zwanzig Minuten lang das eingetrocknete Blut ab. Das kalte Wasser verbesserte meine Stimmung nicht. Der Boiler war seit einem halben Jahr kaputt, es schien sinnlos, einen neuen zu kaufen. Ich verbrachte in der Hütte ohnehin nur drei Wochenenden im Jahr. Meine Kollegen verstanden nicht, warum ich dafür Strom zahle in dieser moosbewachsenen Bude. Ich weiß nicht – schwer, eine Ruine am Stadtrand zu verkaufen – und doch war dieses Häuschen wie ein Faden in die Vergangenheit. Sentimentalitäten hatten in der neuen Welt ihren Wert verloren.
Auf dem Sofa sitzend schaltete ich den Fernseher ein. Natürlich rief eine Journalistin, bewaffnet mit Pfeil und Dolch, das aus, was ohnehin klar war: Die Welt hat sich auf den Kopf gestellt. Manche Menschen waren vergessen und zu dämonischen Kreaturen geworden, andere hatten Münzen und Levels erhalten. Diese „Glücklichen“ kämpften auf den Straßen oder flohen aus der Stadt... Monika wusch ihre Haare, und ich wusste nicht, was ich sagen oder denken sollte. Im Wald konnten wilde Bestien lauern; in einem Bericht waren Haustiere zu muskulösen, stacheligen Monstern mutiert. Die Flucht aus der Stadt war nur eine vorübergehende Lösung. Euronews und CNN bestätigten, was ich ohnehin schon ahnte: Diese „Integration“ fand weltweit statt.
In diesem Gemetzel brauchte man schnelle, entschlossene Entscheidungen, Menschen, die handelten und nicht in Panik verfielen. Zugegeben, wenn das Internet funktionierte nicht mehr, das war mir schon zu viel. Weltuntergang – nicht mein Ding. Ich wollte einfach in Ruhe Bücher lesen, Serien und Filme schauen, ab und zu die Xbox anschmeißen und ein harmloses Spiel zocken. Vor dem ganzen Wahnsinn hatte ich keine Illusionen, eine einzige globale Krise zu lösen. Die Leute redeten viel über Klimawandel und Zukunft. Aber waren sie dabei erfolgreicher als ich?
„Dominik, warum bist du vor einem halben Jahr nicht zu meiner Party gekommen? Erinnerst du dich an die Einweihungsfeier in meiner neuen Wohnung?“
„Keine Ahnung, ich wollte einfach die Serienpremiere auf Paramount anschauen. Was macht das jetzt für einen Unterschied?“
„Alle anderen waren da, und du warst nur in zwei Anlässen auf fast vier Jahre verteilt...“
Monika überraschte mich: Sie interessierte sich dafür, warum ich nicht zur Einweihung einer Dreizimmerwohnung gekommen war, während die Welt von den Schienen gesprungen war und Blut in Strömen floss.
„Monika, wolltest du wirklich, dass ich komme? Entschuldige, falls das beleidigend klang, aber verdammt – wir treffen uns doch am Kaffeautomat in der Küche, du erzählst mir von deinen Setzlingen. Ich schaue halt Filme und Serien am Wochenende. Ich hätte nie gedacht, dass du merkst, dass ich nicht da war.“
„Reagiere nicht so empfindlich“, sagte sie. „Es wäre einfach schön gewesen, wenn du mit allen zusammen über Martins betrunkenen Geschichten gelacht hättest.“
Wenn ich darüber nachdenke, kannte ich doch keinen einzigen Kollegen wirklich, mit dem ich acht Stunden am Tag verbrachte. Ja, ich wusste, wer Setzlinge züchtet, wer Gras raucht, ich wusste, dass Martins sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit bis zum Umfallen besäuft... Ich scrollte Herzen unter ihre Urlaubsfotos. Ich wusste von Dariush’ Scheidung und davon, dass Meg sich ein neues Haus am Stadtrand gekauft hatte. Ich wusste nur Oberflächlichkeiten, sie über mich noch weniger. Meine Urlaube verbrachte ich zu Hause: mal in der Bude, mal auf Wanderungen. Die Zahl meiner Bilder in den sozialen Medien war gering... Ich war ein seltsamer 34-Jähriger, der nicht mehr in Bars und Clubs ging. Mit 20 habe ich meistens allein gesoffen. Ich dachte immer: Ab morgen wird alles anders.
Die Jahre vergingen, Freunde zerstreuten sich nach England, Skandinavien. Kollegen und flüchtige Bekannte schienen zumindest zu glauben, sie lebten interessant.
„Monika, ich habe ein sehr langweiliges Leben geführt. Selbst wenn ich zu der Einweihung gekommen wäre, hätte sich nichts verändert...“
„Vielleicht... vielleicht hast du recht. Aber weißt du, wir alle versuchen uns anzupassen an etwas, das uns normal erscheint, auch wenn es nicht unser wahres Leben ist. Alle um uns herum leben aktiv, erreichen etwas, mischen mit in der Welt, aber vielleicht merken sie selbst nicht, dass sie auch etwas Größeres suchen. Und du musst dich nicht schlecht fühlen, weil du nicht ‚interessant‘ gelebt hast. Wir alle haben unseren eigenen Weg und unseren eigenen Rhythmus. Manche haben keine Zeit, die einfachen Augenblicke zu schätzen, weil sie zu sehr vom Trubel der Welt vereinnahmt sind.“
„Klingt banal, aber man kann nicht erwarten, dass wahre Tiefsinnigkeit aus labberigen Phrasen entsteht... Positive Wahrheiten sind abgedroschen. Du profitierst nur so viel davon, wie du selbst daran glaubst.“
„Ich weiß... Was uns über das Leben erzählt wird, sind oft nur Worte ohne wirkliche Bedeutung, weil das Leben nicht aufzuhalten und nicht in Schablonen zu pressen ist. Vielleicht ist es das Einzige, nichts von dem zu erwarten, was ‚gut‘ sein sollte, wie es ist, um nicht unter all dem zu zerbrechen.“
„Aber vielleicht reicht es, einfach anzunehmen, was ist, und sich hinzugeben. Denn es scheint keinen anderen Weg zu geben. Wenn alle Versuche, etwas zu ändern, aufhören, entsteht Platz für das Wahre. Niemand von uns sollte gezwungen werden, etwas zu glauben, das ihm banal erscheint. Oder sich selbst zu belügen“, – ihre Stimme war ruhig, ohne Klagelaut oder erfundene Antworten.
„Ich glaube, du willst nichts glauben, vielleicht nicht mal an dich selbst... Aber das ist gut. Denn wenn ein Mensch aufhört, an alles zu glauben, an was er immer glaubte, fängt er vielleicht an, nach dem zu suchen, was wirklich zählt.“
Das war eine Wahrheit, für die Monika bereit war. Vielleicht nicht immer gut ausgedrückt, aber klar war: Sie schätzte nur das, was bleibt, wenn alle Masken und Lügen abfallen. Ich öffnete den Kühlschrank, nahm zwei Dosen Bier heraus, öffnete eine, goss das Gerstengetränk in einen Tontopf. Monika folgte meinem Beispiel. Nicht der schlechteste Weg, auf das Ende der Welt zu warten – ich
schaltete den Fernseher aus und Youtube Synthwave-Musik ein. Ich fragte mich, wie lange wir noch Internet und Strom haben würden.
Monika trug immer graue Kostüme und erdfarbene Blusen, ihr Haar war zu einem stählernen Dutt hochgesteckt – sie sah jeden Tag aus wie eine Geographie-Lehrerin in einer schlechten Komödie. Jetzt, mit offenen Haaren, in grüner Bluse und Jeans, sah sie ganz hübsch aus. Plötzlich wurde mir klar, dass sie wahrscheinlich ein bisschen jünger war als ich. Dieses Outfit ließ sie um ein Jahrzehnt altern.
„Monika, wie alt bist du?“
„33, und?“
„Nichts, wusste nur nicht, wie alt du bist.“
Wir tranken Bier, und ich weiß nicht, wann wir eingeschlafen sind. Eine Stimme des Systems durchbrach die Stille. Sobald wir die Ankündigung hörten, sprangen wir erschrocken vom Sofa auf, ohne nachzudenken. Die Becher mit dem letzten Schluck Bier klirrten auf den Boden, unser Herzschlag hämmerte in der Brust wie ein Vorschlaghammer.
„ZWEIKAMPF“... „Waldkönig“...
Der Name klang absurd – wie aus einem Kindermärchen – doch sofort wussten wir: Das hier wird weder niedlich noch lustig. Monika griff instinktiv nach ihrem Schwert, das an der Tür lehnte. Ich ergriff die alte Jagtaxt in der Ecke, die ich eher aus Sentimentalität als aus praktischer Überlegung aufbewahrt hatte.
Draußen im Garten – inzwischen ein dschungelartiges Dickicht aus dichtem Grün – zeichnete sich langsam eine Silhouette ab: ein riesiges, mit Ästen und Rinde behangenes Geschöpf, dessen Körper aus alten Wurzeln, Moos, Baumstämmen und einer lebendigen Masse zu bestehen schien. Seine Augen waren so dunkel wie die Mitternachtsnacht und starrten direkt auf unsere Hütte.
Der Systemtext leuchtete vor unseren Augen:
✦ Zweikampf aktiviert.
✦ Regeln: Flucht verboten.
✦ Sieg belohnt mit Levelaufstieg + seltene Fähigkeit. ✦ Niederlage: Eliminierung.
Monika sah mich einen Moment lang an. Die Augen, die ich sonst nur hinter Brillengläsern und ordentlicher Frisur sah, brannten jetzt mit einer wilden Entschlossenheit.
„Wir müssen kämpfen“, sagte sie, und ihre Stimme war erstaunlich ruhig.
Ich nickte.
Es gab keinen Ausweg.
Keine Zeit für Klagen.
Nur wir zwei... gegen den „Waldkönig“.
Der Waldkönig machte den ersten Schritt – die Erde bebte, als sein massiver Fuß (wie ein Baumstamm) aufschlug. Sein Körper knackte, splitterte, und aus seiner Brust drang heißer Dampf, als wäre eine alte Sauna in Betrieb. Monika stellte sich leicht links von mir auf und hielt ihr Schwert mit beiden Händen. Ich umklammerte die Axt, mein Atem ging schwer, Schweiß rann kalt meinen Rücken hinab.
Ohne wirklich zu wissen, was ich tat, stürmte ich wie ein wütender Eber vor, hieb ihm in das Knie. Monika stieß mit dem Schwert zu. Der grüne Koloss war groß und stark wie drei Ochsen, aber er war zu langsam. Monika zögerte nicht, stieß ihr Schwert immer wieder – grünes Blut spritzte überall. Ich hackte an seinen Beinen mit der Axt; seine Schläge prallten an Monikas Rüstung ab. Ich war zu schnell, er berührte mich nicht. Das Ungeheuer taumelte und verstummte für immer, seine Beine lagen abgetrennt daneben, Fäulnis trat aus den Wunden – so muss sich ein verwesender Elch nach einem harten Arbeitstag fühlen. Wir hatten auf wundersame Weise gewonnen. Ohne Monika wäre ich gestern wohl schon tot oder, schlimmer noch, selbst zu solchen Monstern geworden – wie der arme Clemens, unser immer mürrischer IT-Techniker...
Ich setzte mich auf eine Bank. Erst jetzt wurde mir klar, dass es in der ganzen Stadt, vielleicht sogar im ganzen Land, keinen einzigen Clemens, Alfons oder Jeronimo mehr gab... Ich könnte der letzte Dominik auf dem Planeten sein. Mit zitternden Händen zündete ich mir eine Zigarette an. Was sollte ich tun? Die Hütte war nicht sicherer als die Stadt. Das System verlangte nach Zweikämpfen – , neue Waldkönige würden kommen oder etwas Schlimmeres.
Plötzlich sprang vor mir ein holografisches Display auf:
Dominykas Žvirblis
KlassenSchläger
Level 2
Fähigkeiten: Akrobat, Barfriedenskämpfer Baal-Münzen: 2
Auszeichnungen: Betrunkener Meister oder 100 Exp
„Betrunkener Meister“ klang großartig und passte zum Akrobaten und Schläger. Nach einem weiteren Signal erschien ein zweites Fenster:
Wähle einen zusätzlichen Bonus, Dominykas Žvirblis:
Betrunkener Meister
Alkohol ist nicht deine Schwäche, sondern dein Vorteil. Wenn du getrunken hast, erhältst du +2 auf Angriff und Verteidigung im Nahkampf, aber –1 auf geistige Aktionen.
(Voraussetzung: Mindestens eine Bierportion pro Kampf)
Schneller Schlag
Einmal pro Kampf kannst du als freie Aktion einen zweiten Angriff ausführen, beide Angriffe jedoch mit –2.
Überlebenswille
Einmal am Tag, wenn deine Lebenspunkte auf 0 fallen, kannst du noch eine Runde lang handeln, als wäre nichts geschehen.
In deiner Tasche – 2 Baal-Münzen
Einlösbar für: Seltenen Gegenstand aus dem Schwarzmarkt Einmalige Hilfsanforderung (Drohne, Heilung oder sogar Bombe) Klassentausch
Monika beobachtete still meine Reaktion, das lange Schwert immer noch in der Hand, die Arme noch leicht zitternd. Es schien, als hätte auch sie ein Angebot erhalten, doch noch nicht gewählt.
Fähigkeit: Betrunkener Meister
+2 im Nahkampf (Angriff und Verteidigung), wenn du getrunken hast. –1 auf geistige Aktionen.
Voraussetzung: Mindestens ein alkoholisches Getränk pro Kampf.
Schwarzmarkt – seltener Gegenstand (1 Baal-Münze):
Gürtel des Säufers
Mit integriertem Flaschenhalter und 3 „Bierflüssigkeits“-Kapseln.
Jede Kapsel kann als kostenlose Aktion getrunken werden (eine pro Runde).
Trinken: Aktiviert automatisch den Effekt „Betrunkener Meister“ für eine Runde.
Täglich nur über spezielle „Bierhähne“ nachfüllbar (meist in Bars oder verlassenen Schenken).
Monika blickte mich an:
„Na, Schläger, jetzt bist du der wahre Barfriedenskämpfer der Apokalypse...“, lächelte sie unerwartet warm. „Mir scheint, das System spricht mit dir auf eigene Weise.“
Diese seltsame Frau – Monika konzentrierte sich auf Kleinigkeiten, die nichts veränderten, ein positiver Denkansatz, um sich selbst einzureden, dass nicht alles so schlimm sei. Wir mussten vorerst in der Hütte bleiben, während draußen in den Straßen des Stadtrands das Grauen mit Hirschgeweihen umherschlich. Mit diesem Sieg erkauften wir uns etwas Zeit. Was ist das Ziel des Systems? Uns alle auslöschen? Warum dann diese Spielelemente, Fertigkeiten? Einfach Mutanten auf die Zivilisten loslassen, und alles wäre in Stunden beendet. Irgendetwas hatte ich nicht begriffen: Wozu all das? Ein Spielziel ist es, zu gewinnen – aber damit jemand gewinnt, müssen andere verlieren. Und damit es spannend bleibt und nicht nur einseitige Massaker sind, erhielt man Fähigkeiten? All das wirkte dumm. Um ein System zu schaffen und die halbe Menschheit in Mutanten zu verwandeln, braucht es technologische oder magische Ressourcen?
– „System, was ist das Ziel dieses Spiels?“
– „Gewinnen: Menschen gegen meine erschaffenen Mutanten. Ja, dieses Spiel kostet immense finanzielle, technologische und magische Ressourcen.“
– „Ein Spiel benötigt Ressourcen. Aber das Reich der Hölle hat im Überfluss. Ausgaben? Unsinn. Unterhaltung lohnt sich mehr – Millionen Baal-Münzen wechseln innerhalb einer Woche den Besitzer. Durchschnittsmenschen können mit einer guten Wette reich werden. Das Imperium liebte dieses Spiel, als deine Vorfahren Biber für ihr Frühstück jagten!“
Mir war zum Weinen zumute: Wir waren Reality-Show-Teilnehmer, nur dass wir statt dummer Aufgaben und Anrufen am Ende um unser Leben kämpften. Offensichtlich eine mächtige Zivilisation, der Menschenleben ein paar Münzen wert sind.
– „Wenn die Menschen gewinnen? Was passiert dann?“
– „Diese Spielphase endet. Die zweite Phase beginnt in 27 Tagen. Bisher diskutieren Spielmeister und Aristokraten über den Ablauf der nächsten Phase.“
Es blieben keine Fragen mehr. Wenn ich bis zur zweiten Phase überlebe, geht das Grauen weiter. Die Spielmacher können eine dritte Phase ansetzen. Wir sind Spielzeuge, und unsere einzige Hoffnung ist, dass die Neuen bald langweilig werden. Oder der Nervenkitzel steigt, die Einsätze wachsen, bis nur noch Ruinen und Leichen die Erdoberfläche bedecken. Wenn es Überlebende gibt, erhalten sie vielleicht einen Preis. Doch mit diesem miesen Preis müssen sie auf einem Planeten ohne Infrastruktur leben. Mit einem miesen Preis auf einem Planeten ohne Infrastruktur und Zukunft zwischen Trümmern. Werden wir ins Steinzeitalter zurückkatapultiert? Gewinner? Vielleicht? Aber diese Gewinner werden Ratten essen und in Ruinen schlafen. Wir werden nicht ins Steinzeitalter zurückkehren – wir werden die Gespenster des Steinzeitalters sein.
Plötzlich begann Monika zu weinen. Nicht einmal sie konnte leugnen, dass wir in der Falle saßen .Niemand würde uns retten oder verschonen. Es blieb nur zu spielen?
Ich riss ein altes Brett aus der Wand – den Unterschlupf, in dem ich fünf Jahre lang Johnny Walker Black aufgehoben hatte. Ich hatte immer gedacht: Vielleicht, wenn es eine Beförderung gibt, einen neuen Job, die Liebe... Vielleicht, wenn sich die Freunde endlich in der Hütte versammeln, nicht nur leere Versprechen. Aber diese fünf Jahre waren dahin. Das Glück hat nie in meinem Hof gehalten. Jetzt bin ich nur noch ein weiteres Objekt in der Wettbüro-Liste. Ein Hund auf Hasenjagd.
Warum habe ich nie einen Hund angeschafft? Ich hatte Zeit. Stattdessen – Bier, Serien, Forza Horizon auf der Xbox. Nie habe ich Monika eingeladen. Auch Martins nicht. Ich goss alles in alte Gläser mit komischen Blattmustern – vielleicht für Saft, vielleicht für billigen Schaumwein. Aber was ändert das?
Das hier ist keine Feier. Das hier sind Beerdigungsriten.
Der Montagmorgen fing bescheiden an.
Ich fühlte mich schläfrig und erschöpft, obwohl ich sechs Stunden geschlafen hatte. Ich hatte irgendeinen Blödsinn geträumt – von Spionen und einem alten Modem, das sich partout nicht einschalten wollte.
Zur Abwechslung funktionierte im Büro das Internet nicht – irgendjemand hatte den Splitter geklaut, der mehrere Computer ans Netz anschloss. Der Techniker, der für sowas zuständig war, war wie vom Erdboden verschluckt. Also blieb uns nichts anderes übrig, als draußen zu rauchen und auf die Rückkehr dieses Rentnertechnikers zu warten wie auf die Wiederkunft Jesu.
Das mobile Internet funktionierte immerhin – ich konnte eine wichtige Arbeitsmail abschicken. Ob’s was gebracht hat? Natürlich nicht – niemand antwortete.
Alle schlichen nach den Ostertagen wie Zombies durch die Gänge und berichteten in kurzen Worten von ihren Urlauben.
Meine Arbeitsmotivation lag irgendwo bei 2 von 10 Punkten.
Seltsam, dass ich hier schon fast vier Jahre arbeitete. Der Job war weder besonders stressig noch besonders fordernd, aber es wirkte so, als kämen alle hier nur noch aus Gewohnheit – in der Gewissheit, dass es heute garantiert nicht besser wird als gestern.
Mein Handy summte mit einer fröhlichen Disco-Melodie. Endlich war jemand in der Zentralbibliothek aufgewacht!
Ich freute mich zu früh...
DAS AUGE DES TEUFELS KEHRT ZURÜCK! DU HAST NOCH 17 STUNDEN VORBEREITUNGSZEIT! FÜR NUR 450 € BEKOMMST DU 13 BAAL-MÜNZEN!!!
DAS ANGEBOT GILT NUR BIS ZUR ANKUNFT DES TEUFELSAUGES!!! DEINE WELT IST EIN SCHLAMMBALL DER RANGSTUFE F!
80 % DIESER WELTLOOSER WÜRDEN NICHT MAL 3 STUNDEN ÜBERLEBEN, WENN DIE INFERNALE INTEGRATION BEGINNT!!! ZÖGERE NICHT!!!
Von allen seltsamen Spam-Mails, die mir jemals versucht hatten, unnötigen Kram zu verkaufen, war das die bizarrste.
Wahrscheinlich eine besonders kreative Variante von „Kauf doch einfach nen Ziegelstein“.
Die Stunden zogen sich ewig. Ich lief herum, rauchte, aß Salat...
Der Techniker fand schließlich den Splitter. Das Internet funktionierte für eine ganze Stunde wunderbar – und verschwand dann im ganzen Gebäude.
Die Flüche meiner Kollegen übertönten fast den Streit betrunkener Bauarbeiter.
Alle drehten durch.
Der Techniker brüllte, das seien Probleme mit dem Netzwerk der ganzen Stadt, die anderen schrien, er sei ein Idiot und dass man stattdessen lieber eine Katze für seinen Job einstellen sollte – das würde die Effizienz sicher noch steigern.
Ich hatte keine Kraft mehr für diesen Zirkus, schnappte mir meinen Rucksack und machte mich langsam auf den Heimweg.
Irgendwas lief hier verdammt schief...
Die Sonne wärmte angenehm, die Blätter der Bäume raschelten im Wind.
Vielleicht hätte ich wirklich etwas ändern sollen.
Raus aus der Stadt, an einem See im Wald sitzen, vielleicht sogar einen Hund oder eine Katze adoptieren?
Auf dem Heimweg starrte ich immer wieder aufs Handy.
Die Flut an Nachrichten riss nicht ab.
Alle paar Minuten kamen neue Angebote zu „Systemen“, „Karmasammlung“, „Dimensionstore öffnen“, „Waffen der Schicksalsmeister“.
Die Leute auf der Straße wirkten... seltsam.
Manche standen einfach da und starrten wie hypnotisiert auf ihre Handys.
Eine Frau, noch relativ jung, stand auf dem Gehweg und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum – als würde sie versuchen, etwas Unsichtbares zu greifen.
Ein älterer Mann am Kiosk redete wirr mit sich selbst:
— Ich nehme die Klasse Krieger an! Ich nehme Feuermagie an!
Als ich an ihm vorbeiging, spürte ich eine seltsame Hitzewelle – als wäre die Luft um ihn herum erhitzt.
Aus der Ferne drang ein Heulen zu mir, aber es war keine Polizeisirene, auch kein Krankenwagen – es klang... wie das dumpfe Dröhnen eines antiken Holz-Horns, bedrohlich und leer.
Plötzlich wurde mir klar, dass all das, was ich bisher für Unsinn gehalten hatte, langsam in die Realität drang.
Mein erster Gedanke war:
„Ich hätte diese Teufelsmünzen kaufen sollen...“
Der zweite:
„Ich muss hier raus, aus der Stadt, solange es noch geht.“
Mein Handy vibrierte wieder – 13 neue Angebote:
Münzen, Zauberstäbe, Äxte, Schwerter, Rapiere, Rüstungen, Bögen... Sogar Skills: Psionik, Magie, Wunder, Schamanismus.
Dazu körperliche Fähigkeiten: Kneipenschläger, Türsteher, Akrobat.
Ich setzte mich besorgt auf eine Parkbank.
Ganz ruhig, Alter, das ist irgendeine bekloppte RPG-Werbung.
Ingame-Gegenstände kaufen. That’s it.
Da ist nix Mystisches.
Würde dir das jemand am Hauptbahnhof erzählen, würdest du nur den Kopf schütteln und weitergehen...
Beruhigt ging ich nach Hause.
Die Welt dreht durch: Brexit, Corona, Kriege – Dinge, die es eigentlich nie hätte geben sollen. Seltsam: Als ich etwa zwölf war, erzählte ein schrulliger, redseliger Alter meiner Mutter und mir von einer Frau, die prophezeit hätte, dass Russland untergeht und Millionen sterben würden. Wahrscheinlich fuhren wir gerade nach Palanga...
Leckeres Eis, Sonne, Wind, Fotos mit einem rosafarbenen Plüschflusspferd. Das war so lange her.
Wir haben diese kleinen, schönen Momente nie wertgeschätzt.
Wir hatten es gut – und wussten es nicht.
In der Nacht schlief ich unruhig.
Ich träumte, der Himmel über der Stadt sei wie eine Eierschale aufgebrochen, und daraus fielen lange, schwarze Seile herab, die bis zum Boden hingen.
Ich wachte mehrmals schweißgebadet auf, aber mein Verstand flüsterte:
— Unsinn, Alter. Du hast einfach zu viel Salat gegessen.
Am Morgen stand ich auf, kochte mir Kaffee.
Im Flur stolperte ich über die Post – irgendeine Zeitung, obwohl ich seit einem halben Jahr keine mehr abonniert hatte.
Auf der Titelseite stand in knallroten Buchstaben:
„INFERNALE INTEGRATION: STUFE 1 AKTIVIERT. BEREITMACHEN.“
Ich starrte die Zeitung an, und spürte, wie sich wieder dieses seltsame, saure Unbehagen in mir ausbreitete.
Wo eigentlich die Wettervorhersage sein sollte, waren keine Sonnen- oder Regensymbole – stattdessen Flammen, Totenschädel, Blitze.
Ich blickte aus dem Fenster.
Die Straße sah fast normal aus – nur... gingen die Leute seltsam.
Einige trugen Rüstungen, andere seltsame Hüte oder Umhänge.
Ein Mädchen trug einen glitzernden Stab, von dem blaues Licht ausging.
Die Passanten sahen einander an, manche begrüßten sich mit seltsamen Handgesten – wie Mitglieder einer alten Bruderschaft.
Und dort, am Ende der Straße, stand etwas Unfassbares:
Ein Wesen, so groß wie vier Menschen, mit einem Hirschschädel als Kopf.
In seinen Händen hing eine riesige Axt, von der dunkle Flüssigkeit auf den Boden tropfte.
Ich erstarrte.
Meine Finger umklammerten die Kaffeetasse so fest, dass sie mir aus der Hand glitt und auf dem Boden zerbrach.
Ich schrie innerlich:
„Ich brauche einen Hund. Ich brauche heute einen Hund.“
Die Welt war endgültig verrückt geworden.
Und ich, Dominik – ein Mensch, über den einst in der Schulakte stand, dass er „hervorragendes philosophisches Denken“ besäße – stand da wie ein Idiot und dachte, ich bräuchte einen Hund.
Als könnte so ein pelziges Vierbein irgendetwas ändern, wenn auf den Straßen hirschköpfige Riesen herumlaufen und Zeitungen Höllen-Level statt Wetter anzeigen.
So gut ich konnte, sammelte ich mich, lief in den Flur, zog meine Schuhe an. Mein genialer Plan: Gehen, bis ich irgendwo einen normalen Menschen finde.
Den Hund würde ich mir später zulegen – falls es dann noch ein Gesicht gäbe, das sich zu lecken lohnt.
Draußen roch die Luft nach heißem Metall.
Die Blätter der Bäume raschelten, obwohl kein Wind ging.
Manchmal blitzten auf dem Bürgersteig seltsame Zeichen auf – wie Schatten oder Hologramme, die ich nicht vollständig erfassen konnte: Türen ins Nichts, rote Kreise, die irgendetwas markierten...
Einige Passanten waren bereits vollständig verwandelt:
Ein Typ in Lederrüstung, barfuß und mit zwei Hauerzähnen, schrie etwas über ein „Donner- Amulett“ und wollte es gegen ein Sandwich eintauschen.
Eine Frau hatte Katzenaugen und trug einen grünen, zusammengefalteten Bogen.
Ich versuchte, auf den Boden zu schauen.
Wenn man den Wahnsinn nicht sieht, dann... Wenn du den Wahnsinn nicht siehst, wird er dich vielleicht auch nicht sehen.
Doch irgendwo um die Ecke holte mich eine vertraute Stimme ein: — Dominykas, lauf!
Ich drehte mich um.
Es war Monika – einst Kollegin in der Buchhaltung, immer eingezwängt in graue Blazer.
Jetzt trug sie eine Rüstung wie eine Ritterin, ein riesiges Schwert auf dem Rücken und leuchtende Zeichen auf der Stirn.
— Was zum Teufel ist hier los?! — rief ich.
— Das Spiel hat begonnen, Dominykas! Die Höllenintegration ist gestartet! Wer ein Level hat, überlebt. Wer keins hat, wird zur Beute.
— Ich hab ja nicht mal ein Level! — wimmerte ich, als hörte ich zum hundertsten Mal von Korruption und steigenden Strompreisen.
— Darum musst du es dir schnell holen.
Sie trat vor, zog einen kleinen schwarzen Kugel hervor, die innen geheimnisvoll glühte. — Halt den. Wähle jetzt eine Profession.
Verwirrt nahm ich die Kugel. Sie war so warm, als käme sie direkt aus dem Leib eines lebendigen Wesens. Langsam formten sich in ihrem Inneren die Worte:
WÄHLE EIN Beruf: Hexenmeister Zauberer Klassenschläger Wanderer Straßenmagier
Wir eilten mit schnellen Schritten aus der Stadt. Der Gedanke an den Wald war nicht schlecht, aber der nächste lag siebzig Kilometer entfernt. Das Häuschen meines Großvaters war viel näher – nur sechs Kilometer von der Stadt entfernt. Die Welt hatte sich nicht verbessert, es regnete Blut und Kröten. Ich wollte glauben, ich träume, ich kniff mir sogar in die Wange, um aufzuwachen, doch nichts änderte sich: Die Menschen kämpften gegen grotesk mutierte Versionen ihrer Freunde und Kollegen. Ich rannte los, zum Glück hääten manche Mutanten Angs vor Monikas Schwert.In Rekordzeit erreichten wir die Hütte. Dort sollten ein paar Birken wachsen, und die Wiese war angelegt, aber es sah aus, als kämen wir in einen jahrhundertealten Wald. Das Gras reichte bis zu den Knien. Alles wuchs...
Meine Kleidung klebte am Körper vor Blut. Fluchend riss ich Hemd und Jeans ab. Monikas Rüstung blieb sauber, aber Haare und Gesicht sahen grauenvoll aus. Murrend ging ich unter die Dusche, wusch zwanzig Minuten lang das eingetrocknete Blut ab. Das kalte Wasser verbesserte meine Stimmung nicht. Der Boiler war seit einem halben Jahr kaputt, es schien sinnlos, einen neuen zu kaufen. Ich verbrachte in der Hütte ohnehin nur drei Wochenenden im Jahr. Meine Kollegen verstanden nicht, warum ich dafür Strom zahle in dieser moosbewachsenen Bude. Ich weiß nicht – schwer, eine Ruine am Stadtrand zu verkaufen – und doch war dieses Häuschen wie ein Faden in die Vergangenheit. Sentimentalitäten hatten in der neuen Welt ihren Wert verloren.
Auf dem Sofa sitzend schaltete ich den Fernseher ein. Natürlich rief eine Journalistin, bewaffnet mit Pfeil und Dolch, das aus, was ohnehin klar war: Die Welt hat sich auf den Kopf gestellt. Manche Menschen waren vergessen und zu dämonischen Kreaturen geworden, andere hatten Münzen und Levels erhalten. Diese „Glücklichen“ kämpften auf den Straßen oder flohen aus der Stadt... Monika wusch ihre Haare, und ich wusste nicht, was ich sagen oder denken sollte. Im Wald konnten wilde Bestien lauern; in einem Bericht waren Haustiere zu muskulösen, stacheligen Monstern mutiert. Die Flucht aus der Stadt war nur eine vorübergehende Lösung. Euronews und CNN bestätigten, was ich ohnehin schon ahnte: Diese „Integration“ fand weltweit statt.
In diesem Gemetzel brauchte man schnelle, entschlossene Entscheidungen, Menschen, die handelten und nicht in Panik verfielen. Zugegeben, wenn das Internet funktionierte nicht mehr, das war mir schon zu viel. Weltuntergang – nicht mein Ding. Ich wollte einfach in Ruhe Bücher lesen, Serien und Filme schauen, ab und zu die Xbox anschmeißen und ein harmloses Spiel zocken. Vor dem ganzen Wahnsinn hatte ich keine Illusionen, eine einzige globale Krise zu lösen. Die Leute redeten viel über Klimawandel und Zukunft. Aber waren sie dabei erfolgreicher als ich?
„Dominik, warum bist du vor einem halben Jahr nicht zu meiner Party gekommen? Erinnerst du dich an die Einweihungsfeier in meiner neuen Wohnung?“
„Keine Ahnung, ich wollte einfach die Serienpremiere auf Paramount anschauen. Was macht das jetzt für einen Unterschied?“
„Alle anderen waren da, und du warst nur in zwei Anlässen auf fast vier Jahre verteilt...“
Monika überraschte mich: Sie interessierte sich dafür, warum ich nicht zur Einweihung einer Dreizimmerwohnung gekommen war, während die Welt von den Schienen gesprungen war und Blut in Strömen floss.
„Monika, wolltest du wirklich, dass ich komme? Entschuldige, falls das beleidigend klang, aber verdammt – wir treffen uns doch am Kaffeautomat in der Küche, du erzählst mir von deinen Setzlingen. Ich schaue halt Filme und Serien am Wochenende. Ich hätte nie gedacht, dass du merkst, dass ich nicht da war.“
„Reagiere nicht so empfindlich“, sagte sie. „Es wäre einfach schön gewesen, wenn du mit allen zusammen über Martins betrunkenen Geschichten gelacht hättest.“
Wenn ich darüber nachdenke, kannte ich doch keinen einzigen Kollegen wirklich, mit dem ich acht Stunden am Tag verbrachte. Ja, ich wusste, wer Setzlinge züchtet, wer Gras raucht, ich wusste, dass Martins sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit bis zum Umfallen besäuft... Ich scrollte Herzen unter ihre Urlaubsfotos. Ich wusste von Dariush’ Scheidung und davon, dass Meg sich ein neues Haus am Stadtrand gekauft hatte. Ich wusste nur Oberflächlichkeiten, sie über mich noch weniger. Meine Urlaube verbrachte ich zu Hause: mal in der Bude, mal auf Wanderungen. Die Zahl meiner Bilder in den sozialen Medien war gering... Ich war ein seltsamer 34-Jähriger, der nicht mehr in Bars und Clubs ging. Mit 20 habe ich meistens allein gesoffen. Ich dachte immer: Ab morgen wird alles anders.
Die Jahre vergingen, Freunde zerstreuten sich nach England, Skandinavien. Kollegen und flüchtige Bekannte schienen zumindest zu glauben, sie lebten interessant.
„Monika, ich habe ein sehr langweiliges Leben geführt. Selbst wenn ich zu der Einweihung gekommen wäre, hätte sich nichts verändert...“
„Vielleicht... vielleicht hast du recht. Aber weißt du, wir alle versuchen uns anzupassen an etwas, das uns normal erscheint, auch wenn es nicht unser wahres Leben ist. Alle um uns herum leben aktiv, erreichen etwas, mischen mit in der Welt, aber vielleicht merken sie selbst nicht, dass sie auch etwas Größeres suchen. Und du musst dich nicht schlecht fühlen, weil du nicht ‚interessant‘ gelebt hast. Wir alle haben unseren eigenen Weg und unseren eigenen Rhythmus. Manche haben keine Zeit, die einfachen Augenblicke zu schätzen, weil sie zu sehr vom Trubel der Welt vereinnahmt sind.“
„Klingt banal, aber man kann nicht erwarten, dass wahre Tiefsinnigkeit aus labberigen Phrasen entsteht... Positive Wahrheiten sind abgedroschen. Du profitierst nur so viel davon, wie du selbst daran glaubst.“
„Ich weiß... Was uns über das Leben erzählt wird, sind oft nur Worte ohne wirkliche Bedeutung, weil das Leben nicht aufzuhalten und nicht in Schablonen zu pressen ist. Vielleicht ist es das Einzige, nichts von dem zu erwarten, was ‚gut‘ sein sollte, wie es ist, um nicht unter all dem zu zerbrechen.“
„Aber vielleicht reicht es, einfach anzunehmen, was ist, und sich hinzugeben. Denn es scheint keinen anderen Weg zu geben. Wenn alle Versuche, etwas zu ändern, aufhören, entsteht Platz für das Wahre. Niemand von uns sollte gezwungen werden, etwas zu glauben, das ihm banal erscheint. Oder sich selbst zu belügen“, – ihre Stimme war ruhig, ohne Klagelaut oder erfundene Antworten.
„Ich glaube, du willst nichts glauben, vielleicht nicht mal an dich selbst... Aber das ist gut. Denn wenn ein Mensch aufhört, an alles zu glauben, an was er immer glaubte, fängt er vielleicht an, nach dem zu suchen, was wirklich zählt.“
Das war eine Wahrheit, für die Monika bereit war. Vielleicht nicht immer gut ausgedrückt, aber klar war: Sie schätzte nur das, was bleibt, wenn alle Masken und Lügen abfallen. Ich öffnete den Kühlschrank, nahm zwei Dosen Bier heraus, öffnete eine, goss das Gerstengetränk in einen Tontopf. Monika folgte meinem Beispiel. Nicht der schlechteste Weg, auf das Ende der Welt zu warten – ich
schaltete den Fernseher aus und Youtube Synthwave-Musik ein. Ich fragte mich, wie lange wir noch Internet und Strom haben würden.
Monika trug immer graue Kostüme und erdfarbene Blusen, ihr Haar war zu einem stählernen Dutt hochgesteckt – sie sah jeden Tag aus wie eine Geographie-Lehrerin in einer schlechten Komödie. Jetzt, mit offenen Haaren, in grüner Bluse und Jeans, sah sie ganz hübsch aus. Plötzlich wurde mir klar, dass sie wahrscheinlich ein bisschen jünger war als ich. Dieses Outfit ließ sie um ein Jahrzehnt altern.
„Monika, wie alt bist du?“
„33, und?“
„Nichts, wusste nur nicht, wie alt du bist.“
Wir tranken Bier, und ich weiß nicht, wann wir eingeschlafen sind. Eine Stimme des Systems durchbrach die Stille. Sobald wir die Ankündigung hörten, sprangen wir erschrocken vom Sofa auf, ohne nachzudenken. Die Becher mit dem letzten Schluck Bier klirrten auf den Boden, unser Herzschlag hämmerte in der Brust wie ein Vorschlaghammer.
„ZWEIKAMPF“... „Waldkönig“...
Der Name klang absurd – wie aus einem Kindermärchen – doch sofort wussten wir: Das hier wird weder niedlich noch lustig. Monika griff instinktiv nach ihrem Schwert, das an der Tür lehnte. Ich ergriff die alte Jagtaxt in der Ecke, die ich eher aus Sentimentalität als aus praktischer Überlegung aufbewahrt hatte.
Draußen im Garten – inzwischen ein dschungelartiges Dickicht aus dichtem Grün – zeichnete sich langsam eine Silhouette ab: ein riesiges, mit Ästen und Rinde behangenes Geschöpf, dessen Körper aus alten Wurzeln, Moos, Baumstämmen und einer lebendigen Masse zu bestehen schien. Seine Augen waren so dunkel wie die Mitternachtsnacht und starrten direkt auf unsere Hütte.
Der Systemtext leuchtete vor unseren Augen:
✦ Zweikampf aktiviert.
✦ Regeln: Flucht verboten.
✦ Sieg belohnt mit Levelaufstieg + seltene Fähigkeit. ✦ Niederlage: Eliminierung.
Monika sah mich einen Moment lang an. Die Augen, die ich sonst nur hinter Brillengläsern und ordentlicher Frisur sah, brannten jetzt mit einer wilden Entschlossenheit.
„Wir müssen kämpfen“, sagte sie, und ihre Stimme war erstaunlich ruhig.
Ich nickte.
Es gab keinen Ausweg.
Keine Zeit für Klagen.
Nur wir zwei... gegen den „Waldkönig“.
Der Waldkönig machte den ersten Schritt – die Erde bebte, als sein massiver Fuß (wie ein Baumstamm) aufschlug. Sein Körper knackte, splitterte, und aus seiner Brust drang heißer Dampf, als wäre eine alte Sauna in Betrieb. Monika stellte sich leicht links von mir auf und hielt ihr Schwert mit beiden Händen. Ich umklammerte die Axt, mein Atem ging schwer, Schweiß rann kalt meinen Rücken hinab.
Ohne wirklich zu wissen, was ich tat, stürmte ich wie ein wütender Eber vor, hieb ihm in das Knie. Monika stieß mit dem Schwert zu. Der grüne Koloss war groß und stark wie drei Ochsen, aber er war zu langsam. Monika zögerte nicht, stieß ihr Schwert immer wieder – grünes Blut spritzte überall. Ich hackte an seinen Beinen mit der Axt; seine Schläge prallten an Monikas Rüstung ab. Ich war zu schnell, er berührte mich nicht. Das Ungeheuer taumelte und verstummte für immer, seine Beine lagen abgetrennt daneben, Fäulnis trat aus den Wunden – so muss sich ein verwesender Elch nach einem harten Arbeitstag fühlen. Wir hatten auf wundersame Weise gewonnen. Ohne Monika wäre ich gestern wohl schon tot oder, schlimmer noch, selbst zu solchen Monstern geworden – wie der arme Clemens, unser immer mürrischer IT-Techniker...
Ich setzte mich auf eine Bank. Erst jetzt wurde mir klar, dass es in der ganzen Stadt, vielleicht sogar im ganzen Land, keinen einzigen Clemens, Alfons oder Jeronimo mehr gab... Ich könnte der letzte Dominik auf dem Planeten sein. Mit zitternden Händen zündete ich mir eine Zigarette an. Was sollte ich tun? Die Hütte war nicht sicherer als die Stadt. Das System verlangte nach Zweikämpfen – , neue Waldkönige würden kommen oder etwas Schlimmeres.
Plötzlich sprang vor mir ein holografisches Display auf:
Dominykas Žvirblis
KlassenSchläger
Level 2
Fähigkeiten: Akrobat, Barfriedenskämpfer Baal-Münzen: 2
Auszeichnungen: Betrunkener Meister oder 100 Exp
„Betrunkener Meister“ klang großartig und passte zum Akrobaten und Schläger. Nach einem weiteren Signal erschien ein zweites Fenster:
Wähle einen zusätzlichen Bonus, Dominykas Žvirblis:
Betrunkener Meister
Alkohol ist nicht deine Schwäche, sondern dein Vorteil. Wenn du getrunken hast, erhältst du +2 auf Angriff und Verteidigung im Nahkampf, aber –1 auf geistige Aktionen.
(Voraussetzung: Mindestens eine Bierportion pro Kampf)
Schneller Schlag
Einmal pro Kampf kannst du als freie Aktion einen zweiten Angriff ausführen, beide Angriffe jedoch mit –2.
Überlebenswille
Einmal am Tag, wenn deine Lebenspunkte auf 0 fallen, kannst du noch eine Runde lang handeln, als wäre nichts geschehen.
In deiner Tasche – 2 Baal-Münzen
Einlösbar für: Seltenen Gegenstand aus dem Schwarzmarkt Einmalige Hilfsanforderung (Drohne, Heilung oder sogar Bombe) Klassentausch
Monika beobachtete still meine Reaktion, das lange Schwert immer noch in der Hand, die Arme noch leicht zitternd. Es schien, als hätte auch sie ein Angebot erhalten, doch noch nicht gewählt.
Fähigkeit: Betrunkener Meister
+2 im Nahkampf (Angriff und Verteidigung), wenn du getrunken hast. –1 auf geistige Aktionen.
Voraussetzung: Mindestens ein alkoholisches Getränk pro Kampf.
Schwarzmarkt – seltener Gegenstand (1 Baal-Münze):
Gürtel des Säufers
Mit integriertem Flaschenhalter und 3 „Bierflüssigkeits“-Kapseln.
Jede Kapsel kann als kostenlose Aktion getrunken werden (eine pro Runde).
Trinken: Aktiviert automatisch den Effekt „Betrunkener Meister“ für eine Runde.
Täglich nur über spezielle „Bierhähne“ nachfüllbar (meist in Bars oder verlassenen Schenken).
Monika blickte mich an:
„Na, Schläger, jetzt bist du der wahre Barfriedenskämpfer der Apokalypse...“, lächelte sie unerwartet warm. „Mir scheint, das System spricht mit dir auf eigene Weise.“
Diese seltsame Frau – Monika konzentrierte sich auf Kleinigkeiten, die nichts veränderten, ein positiver Denkansatz, um sich selbst einzureden, dass nicht alles so schlimm sei. Wir mussten vorerst in der Hütte bleiben, während draußen in den Straßen des Stadtrands das Grauen mit Hirschgeweihen umherschlich. Mit diesem Sieg erkauften wir uns etwas Zeit. Was ist das Ziel des Systems? Uns alle auslöschen? Warum dann diese Spielelemente, Fertigkeiten? Einfach Mutanten auf die Zivilisten loslassen, und alles wäre in Stunden beendet. Irgendetwas hatte ich nicht begriffen: Wozu all das? Ein Spielziel ist es, zu gewinnen – aber damit jemand gewinnt, müssen andere verlieren. Und damit es spannend bleibt und nicht nur einseitige Massaker sind, erhielt man Fähigkeiten? All das wirkte dumm. Um ein System zu schaffen und die halbe Menschheit in Mutanten zu verwandeln, braucht es technologische oder magische Ressourcen?
– „System, was ist das Ziel dieses Spiels?“
– „Gewinnen: Menschen gegen meine erschaffenen Mutanten. Ja, dieses Spiel kostet immense finanzielle, technologische und magische Ressourcen.“
– „Ein Spiel benötigt Ressourcen. Aber das Reich der Hölle hat im Überfluss. Ausgaben? Unsinn. Unterhaltung lohnt sich mehr – Millionen Baal-Münzen wechseln innerhalb einer Woche den Besitzer. Durchschnittsmenschen können mit einer guten Wette reich werden. Das Imperium liebte dieses Spiel, als deine Vorfahren Biber für ihr Frühstück jagten!“
Mir war zum Weinen zumute: Wir waren Reality-Show-Teilnehmer, nur dass wir statt dummer Aufgaben und Anrufen am Ende um unser Leben kämpften. Offensichtlich eine mächtige Zivilisation, der Menschenleben ein paar Münzen wert sind.
– „Wenn die Menschen gewinnen? Was passiert dann?“
– „Diese Spielphase endet. Die zweite Phase beginnt in 27 Tagen. Bisher diskutieren Spielmeister und Aristokraten über den Ablauf der nächsten Phase.“
Es blieben keine Fragen mehr. Wenn ich bis zur zweiten Phase überlebe, geht das Grauen weiter. Die Spielmacher können eine dritte Phase ansetzen. Wir sind Spielzeuge, und unsere einzige Hoffnung ist, dass die Neuen bald langweilig werden. Oder der Nervenkitzel steigt, die Einsätze wachsen, bis nur noch Ruinen und Leichen die Erdoberfläche bedecken. Wenn es Überlebende gibt, erhalten sie vielleicht einen Preis. Doch mit diesem miesen Preis müssen sie auf einem Planeten ohne Infrastruktur leben. Mit einem miesen Preis auf einem Planeten ohne Infrastruktur und Zukunft zwischen Trümmern. Werden wir ins Steinzeitalter zurückkatapultiert? Gewinner? Vielleicht? Aber diese Gewinner werden Ratten essen und in Ruinen schlafen. Wir werden nicht ins Steinzeitalter zurückkehren – wir werden die Gespenster des Steinzeitalters sein.
Plötzlich begann Monika zu weinen. Nicht einmal sie konnte leugnen, dass wir in der Falle saßen .Niemand würde uns retten oder verschonen. Es blieb nur zu spielen?
Ich riss ein altes Brett aus der Wand – den Unterschlupf, in dem ich fünf Jahre lang Johnny Walker Black aufgehoben hatte. Ich hatte immer gedacht: Vielleicht, wenn es eine Beförderung gibt, einen neuen Job, die Liebe... Vielleicht, wenn sich die Freunde endlich in der Hütte versammeln, nicht nur leere Versprechen. Aber diese fünf Jahre waren dahin. Das Glück hat nie in meinem Hof gehalten. Jetzt bin ich nur noch ein weiteres Objekt in der Wettbüro-Liste. Ein Hund auf Hasenjagd.
Warum habe ich nie einen Hund angeschafft? Ich hatte Zeit. Stattdessen – Bier, Serien, Forza Horizon auf der Xbox. Nie habe ich Monika eingeladen. Auch Martins nicht. Ich goss alles in alte Gläser mit komischen Blattmustern – vielleicht für Saft, vielleicht für billigen Schaumwein. Aber was ändert das?
Das hier ist keine Feier. Das hier sind Beerdigungsriten.
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