Das Valat des alten Egger

GerRey

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If it keeps on rainin', levee's goin' to break
If it keeps on rainin', levee's goin' to break
When the levee breaks, I'll have no place to stay.

(When the levee breaks - Led Zeppelin)


Der Egger war am Stammtisch im Dorfgasthaus, wo man ihn nur den “Ingenieur” nannte, ein gern gesehener Gast. Aber das hatte nichts damit zu tun, dass er Ingenieur war. Er hatte in eine heimische Gärtnerei-Dynastie eingeheiratet - eine der Töchter, die nichts mit dem Geschäft, das an den Erben überging, zu tun hatte, aber dennoch Zugang zum "Futtertrog" erhielt, wie man hinter vorgehaltener Hand sagte. Und da war nicht nur das Haus direkt an der Hauptstraße, das man nach seinen Entwürfen neu baute, nachdem man das davor dort stehende abgerissen hatte - da war auch im Anschluss ein Acker dabei, den man in Bauland umwandelte und parzellierte, sodass dort weiterer Platz für 6 - 7 Grundstücke samt Häusern darauf entstand, die er ebenfalls im Lauf der Jahre aus eigenen Mitteln errichtete und sehr gewinnbringend, eines nach dem anderen, verkaufte.

Er rauchte gerne Großglockner-Zigarren, die er vermehrt paffte, je “verschwitzter” er vom Wein wurde. Auch hielt er sich für einen guten Tarockspieler - das man am Stammtisch als “Zwanzigerrufen” um beträchtliche Summen spielte. Aber darin riskierte er wenig und kalkulierte die Bilder streng nach ihrem Wert.

Einmal hatte er einen “Gefärbten” in der Hand, überlegte, studierte, wog hin und her ... zauderte und war unentschlossen, als Letzter in der Reihe eine Ansage zu machen, die den Mut über die Vernunft stellte.

"Valat", flüsterte ich ihm eindringlich ins Ohr, der ich von der Theke aus kiebitze und sicher war, dass er alle Stiche machen würde. "Eine solche Hand muss man als leidenschaftlicher Spieler spielen!”

Allerdings war ein Risiko damit verbunden - der Achtzehner, den er als einziges Tarock zu den neun Farben hatte! Würde einer der anderen Mitspieler “lang mit Tarock” sein, (womit theoretisch zu rechnen gewesen wäre, da Egger neun der zwanzig Farbkarten in der eigenen Hand hielt und 19 Tarock sich unter den Gegnern verteilten) und beim Zugeben auf die von Egger gespielten Farben, die man ihm im Wert nicht überstechen konnte, einen der vier höheren Tarock (Gstieß, Mond, XX, XIX) bis zum Ende behalten sollte, dann würde der letzte Stich den drei Gegnern gehören und das Valat ginge nicht durch. Egger wollte also den “Gefärbten” ansagen und den Valat “still” spielen, um auf einen angesagten Valat kein Kontra zu bekommen, was recht teuer geworden wäre. So hatte er die Möglichkeit, bei 45 erspielten Punkten, die sich zu 100 Prozent ausgingen, aufzuhören und den Achtzehner nicht mehr spielen zu müssen. Würden die vier höheren Tarock im Spiel fallen, dann hätte er auch den “stillen Valat”, der zwar weniger einbrachte als der angesagte, für sich verbuchen können - eine sichere Sache!

Ich jedoch rechnete damit, dass jemand, der viele Tarock (samt den hohen) in der Hand hielt, sowieso einen “Schwarzen” angesagt haben würde, welcher ja höher war als der “Gefärbte”. Von daher ergab sich die Chance, den “Gefärbten” Valat anzusagen und zu spielen.

“Lass ihn mich spielen!” sagte ich deshalb zu Egger. “Wenn ich gewinne, kannst du den Gewinn behalten, und wenn ich verliere, zahle ich den Verlust aus meiner eigenen Tasche.”

Egger war überrascht über meine Kühnheit. Er paffte ein paar nervöse Wolken aus der Großglockner, die er immer wieder zum Mund führte, lächelte großspurig über meine Dummheit, zu deren Schluß er eben gekommen war, und überließ mir, nach einer Frage an seine Mitspieler, ob sie mit dem Spielerwechsel für dieses eine Spiel einverstanden wären, das Feld mit den 10 Spielkarten, die den “Gefärbten” zeigten. Ich setzte mich auf seinen Platz, fächerte die Karten in meiner Hand auf und sagte zu den übrigen Mitspielern:

“Gefärbt Valat!”

Ein Kontra bekam ich nicht, also begann ich die fünf Pik zu “trommeln”, und erfreute mich daran, dass der Gstieß und der Neunzehner fielen. Bei der ersten von den vier Karo fiel dann der Mond. Noch hatte ich nicht gewonnen - aber ich konnte die Trommel noch rühren … Wo war der Zwanziger?

Er war bei einem Mitspieler, der neun Tarock und die Karo-Glatze hatte. Ich verlor, bezahlte meine Spielschulden und musste das Bier, das ich getrunken hatte, bei der Kellnerin schuldig bleiben, weil ich nicht genug Geld einstecken hatte. Heute spiele ich schon lange kein Tarock mehr. Aber nicht, weil ich damals verloren hatte. Ich klettere ja auch nicht mehr nächtens über fremde Tore, um auf Apfelbäume zu steigen, und vom Dach eines Schuppens auf die Terrasse im Obergeschoß des Nachbargrundstücks zu kommen, wo ein Mädchen im Nachthemd auf mich wartet.

Egger spielte, nachdem er mich höhnisch belächelt hatte, sein Spiel natürlich weiter und gewann, wie es seinem Verständnis entsprach, während ich mich von der Kellnerin auf ein weiteres Bier einladen ließ, die mich ob des verlorenen Spiels bedauerte, was ich mit einem Achselzucken abtat:

“Zu spielen war’s”.

Ob der Egger bei seinen Mitspielern und Bekannten beliebt war, weiß ich nicht richtig einzuschätzen. Jedenfalls sprach man manchmal geringschätzig von ihm, wenn er nicht da war. Vor allem über seine Alte - die, mit dem “Stockerlarsch”, wie mancher von den Weinbeißern sagte und sich als Genießer solcherart Verführung zu erkennen gab.

Auch mich reizte diese Titulierung zum Lachen. Ich sah dabei die Frau, die recht zänkisch war, vor mir. Sie hatte tatsächlich einen flachen, hochgebauten Hintern, der daran erinnerte, viel auf einem “Stockerl” gesessen zu haben. Im Alter erkrankte sie an Krebs. In diesem Schicksalsschlag zeigte Egger Charakter und pflegte seine Frau bis zum Ende. Nachdem er sie begraben hatte, verabschiedete er sich ein letztes Mal von seinen Bekannten und Angehörigen, lief abends die Allee in die Felder hinaus, wo er sich vor einen heran donnernden Güterzug auf die Bahngleise warf und sich von der Wucht des Zuges in Fetzen reißen ließ. Das war sein bitteres Ende, bei dem er den unfreiwillig zum Todesengel gemachten Lokführer traumatisierte - ganz zu schweigen von jenen, die seine körperlichen Überreste zusammensammeln mussten! Und so folgte ein Begräbnis dem anderen, wobei nicht nur gelebte Leben unter einem Grabstein in der Erde verschwanden, sondern auch die Zeit zur Erinnerung wurde.
 



 
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