"Das Vaporetto" oder "Acqua Alta"

Es fährt kreuz und quer, hin und her. Ein großes Stück Stahl aus der nüchternen Sicht des Berechnenden, unentbehrliche Hilfe für die Bewohner und Arbeit für die Angestellten. Touristenkinderherzen lässt es höher schlagen, wenn es kraftvoll durch die Kanäle pflügt. Bei der Station läuft die Maschine rückwärts und die routinierten Matrosen bringen die Festmacher aus. Eine große Menschenmenge stopft sich an Bord, mehr Besucher als Anrainer unter ihnen. Schwungvoll wird die Leine losgeworfen und der mächtige Diesel schiebt das Fahrzeug durch die Fluten, vorbei an altehrwürdigen Palazzi, unter Pontes hindurch zur nächsten Station. Von San Zaccaria bis zum Fondamente Nove, von San Pietro bis Tronchetto. Für die einen Alltag und für die anderen Attraktion. Der Capitano steht auf der Brücke und blickt gelangweilt durch seine Pilotenbrille in die Sonne. Der hawaiihemdtragende Tourist quetscht sich zu seinesgleichen, wenn es heißt die neue Stadt zu erkunden. Nur an entlegeneren Orten der Laguna di Venezia findet man etwas Ruhe, vor allem zur abendlichen Stunde. Am Piazza San Marco, dem Aushängeschild der Serenissima, drängen sich Menschen aller Nationen, teilen sich den Platz mit dutzenden Tauben.

Man kann entschleunigt die Fondamente entlangflanieren, nachdem die meisten Leute von der fortgeschrittenen Tageszeit aus den Gassen gespült wurden. Gewärmt von der letzten Ahnung einer Abendsonne lässt man den Gedanken freien Lauf. Bis man zum Vaporetto zurückkehrt, sich vergewissert, dass die Nummer stimmt und sich dann auf den Weg nachhause macht. Man nimmt auf den Plätzen im Heck platz und beobachtet das weisschäumende Kielwasser. Vibrierend brummt die Maschine vor sich hin und bringt jeden sicher an sein Ziel, wie sie es immer tat und immer tut.

Der stählerne Rumpf stampft durch das immer höher werdende Wasser der Lagune. Die stinkende Abgasfahne verliert sich am ergrauenden Himmel. Ein mächtiger Nordwestwind treibt das Wasser kraftvoll zwischen dem Lido und Punta Sabbioni hindurch nach Venedig. Das von den vielen Schiffsschrauben sauerstoffreiche Wasser leckt an den altehrwürdigen, jahrhundertealten Bauten. Es frisst sich mit der Zeit unaufhaltsam voran. Der Hochwasseralarm echot unheilvoll über die Häuser, die Kanäle schwellen an, überspülen die Gassen. Niemand von den wenigen, die noch keinen Unterschlupf gefunden haben, hat mehr trockene Füße. Aus dem Sumpf gekommen und hoch hinausgeschossen. Ganzen Landstrichen, von Friaul bis Kreta, drückte die Serenìsima Repùblega de Venèsia ihren Stempel auf. Zurückgedrängt, erobert. Sie verschwand von der Bühne des Weltgeschehens, wurde Provinz. Langsam, aber unaufhaltsam, versinkt die Durchlauchtigste Stadt in den morastigen Wogen, aus welchen sie einst erwachsen. Bis, dass da wo Lastkähne fuhren, Gondoliere sangen und Motoscafis tuckerten, nur sumpfige Einöde bleibt.
 



 
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