Dein Krieg

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Mirko Kussin

Foren-Redakteur
Dein Krieg

Manchmal fragst du dich, wann der Krieg in deinem Kopf begonnen hat, den du täglich gegen dich selbst führst. In den schwachen Momenten fragst du dich das, wenn die Müdigkeit wie Blei auf dir liegt und jede Bewegung scheinbar viel mehr Kraft kostet, als du jemals aufzubringen vermagst. Wenn alles anstrengend ist.

Immer musst du dir Wolf sein. Und Schaf. Immer bist du das Fleisch, in das du schneidest. Immer vertraust du dir nicht. Niemals zweifelst du an deinen Zweifeln. Bist doch selbst seit langem schon nichts als Zweifel. Bist Feind, Gegner, Antagonist, Widersacher.

Abends, wenn die Müdigkeit wie Blei auf dir liegt, handelst du einen Waffenstillstand aus. Kurz nur, damit du Schlaf findest. Der Schlaf ist die Abwesenheit von Schmerz. Der Schlaf ist Nichts. Und gut. Wenn du wach bist musst du kämpfen. Immer. Täglich. Gegen dich.

Damals, als es begann, war da niemand, der dir einen Befehl gab. Und bestimmt war da niemand, der dir in den Anfangstagen deines Krieges sagte, dass du es lassen sollst. Also machst du immer weiter. Weißt nicht, wie man einen Krieg beendet. Du kennst nur den Kampf. Bist Soldat, Richter, Henker, Diktator.

Manchmal fragst du dich, wie sich der Frieden in deinem Kopf wohl anfühlen würde. Nachts fragst du dich das, kurz bevor du endlich einschläfst. Doch der Frieden ist dir fremd. Und allem, was du nicht kennst, begegnest du mit Angst. Die kennst du. Sie fühlt sich kalt an, spitz und scharf. Ein Eismesser irgendwo in deiner Brust. Und wenn der Frieden dir ein Eismesser irgendwo in deiner Brust schenkt, dann willst du ihn nicht.

Manchmal fragst du dich, was eigentlich übrig bleibt von dir und der Welt und dem Leben, wenn alles, was du nicht willst, plötzlich verschwinden würde. Der Kampf, der Krieg, die Angst, der Zweifel, die gefühlten Niederlagen und Siege.

Manchmal wärst du gerne Mensch. Nicht Krieg.
 
Hallo Mirko,
saustarker Text. Genauso geht es mir auch. Das ewige Misstrauen, das vergällt einem das Leben. Wahrscheinlich kommt das daher, weil man als frühere Naive total auf die Schnauze gefallen ist. Dieses will man sich ersparen und versucht nichts und niemandem mehr zu glauben. Aber irgendwie stellt man fest, dass man so nicht leben kann. Höchstens überleben. Also wieder das Kind in einem entdecken? Schlauheit und Berechnung sind die Waffe der Mittelmäßigkeit. Das Genie ist naiv. Kennst Du den Film über Mozart und Salieri? Gerade, wenn man irgendwas künstlerisches macht, wie zu schriftstellern, muss man den kühlen Verstand manchmal über Bord werfen und einfach naiv sein und an das Gute im Menschen glauben.
Gruß Friedrichshainerin
 

Mirko Kussin

Foren-Redakteur
Das Genie ist naiv. Kennst Du den Film über Mozart und Salieri? Gerade, wenn man irgendwas künstlerisches macht, wie zu schriftstellern, muss man den kühlen Verstand manchmal über Bord werfen und einfach naiv sein und an das Gute im Menschen glauben.
Hey,
das ist die Miloš Forman-Verfilmung aus den 1980er-Jahren. Die habe ich sehr geliebt (und peinliches Funfact: Ich habe mich sehr mit dem ewig Zweitplatzierten Salieri identifizieren können). Ob man an das Gute im Menschen glauben muss, um Künstler zu sein? Keine Ahnung, da habe ich noch nie drüber nachgedacht. Aber ich habe auch noch nie daran gedacht, mich als Künstler zu bezeichnen. Selbst der Begriff "Schriftsteller" kommt mir so gut wie nie über die Lippen. Schon seltsam, wenn man bedenkt, dass ich mit dem Schreiben mein täglich Brot verdiene.
 



 
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