Dein Wille geschehe

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Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden

Bei diesem Satz wäre es naheliegend zu diskutieren, ob der Mensch determiniert ist, oder ob er einen freien Willen hat. So wie es einerseits unerträglich ist, anzunehmen, dass unser gesamtes Leben in allen Einzelheiten vorherbestimmt ist, so ist es andrerseits lächerlich, den absolut freien Willen zu fordern, denn niemand kann seine Zustimmung zu den wesentlichen Ereignissen unseres Lebens, nämlich Geburt und Tod geben. Selbst die Meinung, wenigstens den Tod könne man nach Art und Zeitpunkt selbst bestimmen, steht nur auf schwachen Füßen, da dieser freie Wille eine Unterwerfung unter die größere Gesetzmäßigkeit des notwendigen Todes ist.
Liegt die Erkenntnis der Relativität des menschlichen Wollens und des irdischen Willens hinter der Bitte "Dein Wille geschehe"? Wir bitten, dass der Wille Gottes geschehe, nicht unser Wille. Warum ? Vielleicht weil es so ist, wie Yoka Daislu, ein japanischer Meister, sagt:
"Des Menschen Verstand kann die wahre Unterweisung nicht erfassen. Doch wenn ihr zweifelt und nicht versteht, könnt ihr gern darüber mit mir diskutieren."
In den Bereichen, wo wir unseren Willen verwirklichen wollen, kommen wir schnell auf Irrwege, weil wir mit den kosmischen Gesetzen, die Gottes Wille erwirkt, in Konflikt kommen. Wir sollten oft Nicht-tun, damit Es geschehen kann.
Laotse drückt dies im TaoTeKing so aus:
"Wer dem Wissen nachgeht, strebt danach Tag um Tag zu lernen.
Wer dem Tao nachgeht, strebt danach Tag um Tag zu verlieren.
Durch ständiges Verlieren gelangt man zum Nicht-tun,
durch Nicht-tun wird alles getan.
Wer die Welt erobert, tut das oft durch Nicht-tun.
Wenn man gezwungen ist, etwas zu tun,
Ist die Welt bereits jenseits des Erobertwerdens."​

In einer anderen Übersetzung hört sich derselbe Spruch so an:

"Wissen führt zu Mehrung
Wesen führt zu Minderung
Es mindert Minderung, bis erreicht ist Nicht-Tun.
So wird alles Wesentliche getan
Nicht-Tun erreichen,
Heißt Himmel und Erde zu eigen bekommen.
Erschlossen allem, durchdringt ihn Alles,
Alles durchdrängend, beschließt er alles.
Wer da Tun hat,
Dem verschließen sich Himmel und Erde."
Damit uns Himmel und Erde nicht verschlossen bleiben, soll Gottes Wille geschehen wie im Himmel so auf Erden, wie oben so unten, wie im Makrokosmos so im Mikrokosmos, wie in der Welt, so im Menschen, denn alles ist in allem. In jedem Ding ist immer die ganze Schöpfung enthalten.

Dies drückt Khalil Gibran in folgenden Zeilen wunderschön aus:
"Die gesamte Schöpfung existiert in dir, und alles, was in dir ist, existiert auch in der Schöpfung. Es gibt keine Grenze zwischen dir und einem Gegenstand, der dir ganz nahe ist, genauso wie es keine Entfernung zwischen dir und sehr weit entfernten Gegenständen gibt. Alle Dinge, die kleinsten und größten, die niedrigsten und höchsten, sind in dir vorhanden als ebenbürtig. Ein einziges Atom enthält alle Elemente der Erde. Eine einzige Bewegung des Geistes beinhaltet alle Gesetze des Lebens. In einem einzigen Tropfen Wasser findet man das Geheimnis des endlosen Ozeans. Eine einzige Erscheinungsform deiner selbst enthält alle Erscheinungsformen des Lebens überhaupt."

Wir spüren aber auch, dass wir durch Hingabe an die kosmische Harmonie einen inneren Frieden erreichen können, der die Grenzen zwischen Leben und Tod, zwischen Ich und Selbst auflöst. Der Tod ist plötzlich nicht mehr das Ende, sondern gleichzeitig ein neuer Anfang. Im Tod wird verstofflichte Energie frei, um auf einer anderen Ebene, die von unserer verschieden ist, in anderer Form weiterzufließen. Ebenso bedeutet die Geburt das Sterben auf einer anderen Ebene und wieder wird Energie umgewandelt. Es ist völlig analog zum physikalischen Energieerhaltungsgesetz in geschlossenen Systemen zu sehen.
Im Vertrauen auf dieses kosmische Gesetz, auf diese Urenergie, auf den göttlichen Willen gründen sich alle Religionen (Religio = Rückbindung) und künden vom großen hermetischen Gesetz, das lautet:
Alles was im Makrokosmos geschieht, geschieht auch im Mikrokosmos und alles was im Mikrokosmos geschieht, geschieht auch im Makrokosmos.
Es ist der freie Wille des Menschen, diese Gesetze zu erkennen und in sich zu integrieren. Freiheit ist nicht durch Wollen und Machen zu erreichen, sondern durch eine Haltung der Gleich-Gültigkeit.

So lässt Khalil Gibran seinen Propheten sagen:
"Am Stadttor und an eurem Herd habe ich euch unterwürfig und in Anbetung eurer Freiheit gesehen, wie Sklaven sich vor einem Tyrannen erniedrigen und ihn preisen, obwohl er sie tötet.
Ja, im Hain des Tempels und im Schatten der Zitadelle habe ich die Freiesten unter euch ihre Freiheit als Joch und Handschellen tragen sehen.
Und das Herz blutete mir; denn ihr könnt nur frei sein, wenn selbst der Wunsch, die Freiheit zu suchen, euch zum Zügel wird und wenn ihr aufhört, von Freiheit als Ziel und Erfüllung zu reden.
Wirklich frei werdet ihr nicht sein, wenn eure Tage ohne Sorgen sind und eure Nächte ohne jeden Wunsch und Kummer, sondern erst dann, wenn sie euer Leben umfassen und ihr euch dennoch nackt und ungebunden über sie erhebt.
Und wie wollt ihr euch über euer Tage und Nächte erheben, wenn ihr nicht die Ketten brecht, die ihr im Morgengrauen eures Verstehens eurer Mittagsstunde angelegt habt?
In Wahrheit ist das, was ihr Freiheit nennt, die stärkste dieser Ketten, wenn auch ihre Glieder in der Sonne glitzern und eure Augen blenden.
Und was ist es anders als Teile eures eigenen Ichs, die ihr ablegen wollt, um frei zu werden? Wenn es ein ungerechtes Gesetz ist, das ihr abschaffen wollt, dann habt ihr es mit eigener Hand auf eure Stirn geschrieben.
Ihr könnt es nicht auslöschen, indem ihr eure Gesetzbücher verbrennt oder die Stirn eurer Richter wascht, und wenn ihr das Meer darauf gießt.
Und wenn es ein Despot ist, den ihr vom Thron stürzen wollt, seht zu, dass sein Thron zerstört wird, den ihr euch errichtet habt.
Denn wie kann ein Tyrann die Freien und Stolzen regieren, außer durch eine Tyrannei ihrer eigenen Freiheit und eine Scham über ihren eigenen Stolz?
Und wenn es eine Sorge ist, die ihr ablegen wollt, ist diese Sorge eher von euch gewählt als euch auferlegt. Und wenn es eine Angst ist, die ihr verjagen wollt, ist der Sitz der Furcht in eurem Herzen und nicht in der Hand des Gefürchteten.
Wahrhaftig, all das umarmt sich ständig in euch, das Ersehnte und das Gefürchtete, das Abstoßende und das Geschätzte, das Erstrebte und das, dem ihr ausweichen wollt. All das bewegt sich paarweise in euch wie Licht und Schatten, die einander verhaftet sind.
Und wenn der Schatten verblasst und nicht mehr da ist, wird das Licht, das verweilt, zum Schatten eines anderen Lichts. Und so wird eure Freiheit, wenn sie ihre Fesseln ablegt selber zur Fessel einer größeren Freiheit."

Wie unendlich schwer es ist, diesen Willen Gottes geschehen zu lassen, wird auch an Jesus deutlich, der Gott bittet, den Kelch an ihm vorübergehen zu lassen, der aber dann sofort einlenkt und sagt, "nicht mein sondern dein Wille geschehe".
Das Schicksal anzunehmen und damit Gottes Willen geschehen zu lassen, ist das Schwerste überhaupt.

Zum Schluss sei noch ein Hinweis auf die Numerologie gestattet. Zahlensymbolisch hat das Wort "Wille" den Wert 18 und ist somit mit den Werten der Worte Vater, Jesus, Gott identisch. Die Zahl 9 steckt damit auch im Willen, der doch so stark mit unserem Ich verknüpft ist. Wen wundert es da, dass auch "Ich" numerologisch den Wert 9 erhält.
So wird auch zahlensymbolisch gezeigt, dass "Ich" im "Vater" bin, in "Gott" bin und auch "Gott" ist in mir. Wiederum leuchtet die tiefe Wahrheit auf, ich bin in allen und alles ist in mir.
 



 
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