Der Anfang vom Ende

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„Freiheit ist das höchste Gut des Menschen!“ Aegars kraftvolle Stimme hallte über die unzähligen Dächer der Metropole. Von den lauten, klaren Worten angelockt, strömten immer mehr Menschen auf den großen Marktplatz und versammelten sich um das schlichte Holzpodium des Redners.

Schon seit Wochen brodelte die Gerüchteküche der zahllosen Schenken und Gasthäuser der Hauptstadt. Sogar auf den Straßen steckten die Menschen die Köpfe zusammen und tuschelten über den Propheten aus dem Osten. Die Reisenden, die ihn getroffen hatten, erzählten nur gutes über ihn. Nicht wenige sagten, dass er sie erleuchtet hätte und zählten sich zu seinen glühendsten Anhängern. Schließlich verkündete einer der Ataner, wie sie sich nannten, dass Aegar in ihre Stadt kommen würde, um zu ihren Einwohnern zu sprechen.

Nicht lange nach dieser Ankündigung, war er von den Tempelwachen ergriffen worden und in den Katakomben des Götterpantheons verschwunden. Man munkelte das die Tempelherren ihn befragten, um mehr über diesen Propheten zu erfahren.

Die Bürger sahen den Ataner erst wieder, als die Kirchenglocken seine Hinrichtung ankündigten. Die Tempelherren führten den geschundenen, in ein kratziges Büßerhemd gehüllten, Mann an einem Strick durch die Straßen auf den Marktplatz. Mehrere Wachen flankierten den Verurteilten und schirmten ihn vor der Menschenmenge ab. Ruhig wie ein Schaf, dass zur Schlachtbank geführt wird, betrat der Ataner den Scheiterhaufen und lies sich Widerstandslos festbinden. Ein kräftiger Geistlicher baute sich vor den Zuschauern auf und verkündete reißerisch, dass der Delinquent sich der Gotteslästerung schuldig gemacht habe und deshalb durch die Flammen gereinigt werden müsse.

Der Ataner gab indessen kein Wort der Verteidigung von sich und blickte nur verständnislos über die große Menschenmenge. Erst als das Feuer seine Kleidung in Brand steckte und die heißen Lohen nach seinem Fleisch griffen, öffnete er seinen Mund zu einem Schrei, der aber nie kam. Die, die es nahe genug an dem Scheiterhaufen aushielten und durch den Rauch etwas erkennen konnten, erkannten das man dem Ataner die Zunge herausgeschnitten hatte.

Diese Hinrichtung war der Beginn einer Hetzjagd gegen alle Anhänger Aegars. Beinahe täglich loderten die läuternden Feuer in der Stadt, da immer neue Ataner und verbrannt wurden. In allen Straßen und an allen Toren patrouillierten die Tempelwachen auf ihrer Suche nach den Ketzern. Durch Denunziation, Neid und Missgunst wurden auch viele Unschuldige verhaftet und getötet, während die Geistlichen in ihren Predigten Zeter und Mordio gegen Aegar von ihren Kanzeln schrien. Und dann erschien er endlich.

„Freiheit ist das höchste Gut des Menschen!“, wiederholte Aegar seine letzten Worte und lies seinen Blick wohlwollend über sein anwachsendes Publikum schweifen, „Doch die Götter nehmen euch diese Freiheit! Sie machen euch zu Sklaven ihres Willens und ihr seid ihrer Willkür ausgeliefert!“

Zustimmendes Raunen erfüllte den Marktplatz, der sich immer mehr füllte. Zu nah waren die Verfolgungen der letzten Tage und die Menschen erinnerten sich noch gut an die vielen Opfer der Flammen. An ihre flehenden Unschuldsbeteuerungen, an ihre qualvollen Schreie und an das gierige knistern des Feuers. Viele der Zuhörer hatten Verwandte, Freunde oder Bekannte brennen gesehen.

Sie alle erinnerten sich an den fleischigen Bäcker, der trotz seines wilden Aussehens ein Herz aus Gold gehabt hatte und den Kindern oft süßes zusteckte. Aufgeschreckte Nachbarn hatten beobachtet, wie er eines Nachts ergriffen und weggeschleppt worden war. Am nächsten Tag wurde er auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er einem bekennenden Ataner Brot verkauft hatte. Und er war nicht der letzte jener gewesen, die sich unvermittelt auf dem Scheiterhaufen wiedergefunden hatten.

Mehrere Dutzend Menschen drängten sich durch die wütend schmorende Menge und versammelten sich um das Podest. Sie nutzten die kurze Sprechpause, um die Zuhörer zu lauten Hochrufen anaufzustacheln, in die einige einfielen, so berauscht waren sie.

Der Prophet hob die Hände und der laute Chor seiner Anhänger verstummte. „Wir sind alle gleich!“, verkündete er und breitete die Arme aus, „Jeder Mensch. Ob Mann oder Frau, ob jung oder alt, ob krank oder gesund! Wir sind alle gleich!“ Er holte tief Luft. „Die Götter zwingen euch in ihre Strukturen, auf das ihr ewig vor ihnen kniet! Ihre Diener schlagen euch, bestehlen euch, oder töten euch sogar und nennen das Gerechtigkeit!“ Aegar spuckte verächtlich auf den Boden. „Unterwerft euch und ihr kommt ins Paradies! Wenn ihr euch aber gegen ihre falsche Gerechtigkeit auflehnt, so verdammen sie euch in die Hölle!“ Sein Blick schweifte über die Menge, ehe er die nächsten Worte mit ungeahnter Intensität hinaus brüllte. „Das ist sind Lügen! Lügen, so wie alles was sie euch versprachen!“

Zustimmung brandete aus der wogenden Masse des Publikums auf. „Nieder mit dem Tempel!“ „Verbrennt die Herren!“ „Werft die Mörder hinaus!“ Sie sollen vor uns kriechen!“ Einer der Ataner schrie sogar: „Nieder mit den Göttern!“ Überall wurden Fäuste in die Höhe gereckt und zornige Rufe laut.

Die Spannung auf dem Platz war körperlich spürbar. Unzählige Augen richteten sich auf das Häuflein Ataner, während die dazugehörenden Ohren gierig die Worte des Propheten aufsaugten. Eine seltsame Stimmung breitete sich unter den Menschen aus, so als hätten sie schon lange um diese Wahrheit gewusst und nur darauf gewartet das sie jemand aussprach.
Aegar spürte, dass die Bürger nur auf ein Zeichen von ihm warteten. Aber bevor er etwas sagen konnte, übertrafen Fanfarenstöße das Geschrei auf dem Marktplatz und kündigten die Ankunft eines Tempelherren an.

Wie auf Kommando teilte sich die plötzlich verstummte Menschenmenge und gab eine breite Gasse für die Tempelwächter frei, an deren Spitze ein stämmiger Mann in einem weißen Brokatmantel schritt. Schlohweißes Haar rahmte sein Faltenloses Gesicht ein und gab dem ganzen Auftreten etwas herrschaftliches. Eine Aura der Macht umgab den Priester und schien auf alle in seiner Umgebung überzugreifen.

„Kniet nieder vor Tempelherr Kerran!“, rief der Hauptmann der Wachen, der in seiner glänzenden Rüstung deutlich von seinen Untergebenen zu unterscheiden war.

Und tatsächlich knieten die Einwohner. Ein lautes Rumpeln erfüllte den Platz, als alle auf einmal in die Knie sanken und demütig ihr Haupt senkten. Einzig die Ataner blieben aufrecht stehen und wendeten sich mit unbewegten Mienen den Tempelwächtern zu.

„Ihr seid einem Irrglauben verfallen“, sagte der Tempelherr sanft, beinahe väterlich, „Doch noch ist es nicht zu spät. Noch ist das Paradies für euch nicht verloren.“ „Ihnen jedoch...!“, seine blauen Augen blitzten wütend in Richtung des Propheten und seine Finger zeigten anklagend auf die Ataner, „... ist die Hölle vorherbestimmt! Sie haben gegen die Götter gesündigt immer und immer wieder! Sie lästern ihre Namen und beten ihren Götzen an!“ Sein harter Blick streifte Aegar.

„Steht auf ihr Narren!“, rief Aegar wütend, „Merkt ihr nicht wie sie versuchen euch zu manipulieren! Spürt ihr nicht...“ Er machte eine abfällige Handbewegung „... ihre Angst. Sie wagen es nur mit einer Hundertschaft mir unter sie Augen zu treten, so fürchten sie sich!“ Er lächelte kalt. „Es gibt keine Götter, die sie schützen könnten!“

Die Ataner lüfteten ihre Mäntel und offenbarten die schweren Rüstungen,die sie darunter trugen. Einer der Krieger reichte Aegar einen langen Säbel, den er provozierend streichelte. Selbstbewusst gingen die Ataner den Tempelwachen entgegen, obwohl sie kaum dreißig zählten.

Überrascht wich Kerran einen Schritt zurück. Er spürte, dass das Machtgefüge sich veränderte. Eine unglaubliche Kraft drückte gegen seinen Kehlkopf und ein seltsamer Gesang schwoll in seinem Kopf an. Der Chor schien in einem hohen Singsang immer das gleiche Wort zu wiederholen. „Rache...“ „Rache..!“ „Rache.!!“ Seinen Schläfen schienen Platzen zu wollen. Der Sang wurde lauter. Blut floss aus seiner Nase und tropfte auf seinen weißen Mantel. „Rache!!!“ In einem gewaltigen Tremolo explodierte der Ton. Kreischend schlug Kerran die Hände über dem Kopf zusammen und schrie, „Tötet sie!“

Die Ataner gewannen an Tempo und stürmten auf die überrumpelten Wachen zu. „Ich werde euch zeigen, dass ihr sie besiegen könnt!“, brüllte Aegar selbstsicher. Mit schier unerschöpflicher Kraft sprang er mitten unter die Tempelwachen und hielt blutige Ernte unter ihnen. Immer wieder schlug sein Säbel zu und zerteilte Fleisch und Rüstung gleichermaßen leicht. Ohne widerstand schnitt die Klinge durch Gliedmaßen, schnitt Köpfe ab und zerbrach andere Waffen. Wie ein junger Gott sprang er zwischen seinen Feinden hin und her und hinterließ eine Schneise des Todes.

Als die Ataner auf die vor Grauen bereits wankenden Reihen trafen, brach nackte Panik unter den Tempelwachen aus. Unter den Schwertern der Krieger fielen sie zu Dutzenden, ehe sie kopflos den Rückzug antraten.

Schließlich erreichte Aegar den Tempelherr, der versteinert auf die unzähligen Leichen seiner Wachen blickte. Kerran kniete auf dem Blut durchtränkten Boden und stammelte irgendwelche unzusammenhängenden Silben hervor. Seine vor Wahnsinn weit aufgerissenen Augen passten zu dem Blut bespritzten weißen Mantel des Mannes. „Wer bist du“, fragte er mit brüchiger Stimme? Dann blitzte mit einem Mal erkennen in seinen Augen auf. „Diese Macht... Du bist wie sie“, lallte Kerran, „Du bist selbst ein...“ Versuchte er noch zu sagen, ehe Aegar ausholte und ihm den Kopf abschlug.

„Werft eure Fesseln ab!“, brüllte er der Menschenmenge zu, die sich ungläubig wieder aufrichtete. „Seht euch den Diener der Götter an!“, rief er und hielt den abgetrennten Kopf hoch in die Luft, „Er ist nichts weiter als ein Mensch! Es gibt keine Götter! Gemeinsam werden wir die Welt von ihrem Joch befreien!“ Mit diesen Worten warf er den Kopf des Tempelherren in den Dreck. „Folgt mir! Folgt mir in die Freiheit!“

Ein gewaltiger Jubel brach los und lies Aegar hochleben. Er wurde emporgehievt und auf Händen durch die tobende Menge getragen. Ein neues Zeitalter hatte begonnen...
 



 
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