Der Aufenthalt
Der Wasserhahn tropfte und ich erschrak bei jedem Tropfen, der nach unten sauste, und ich wurde älter und älter. Da betrachtete ich mich im Spiegel, wie an jedem Morgen – die Vögel zwitscherten. Ich kämmte sorgfältig meine Haare, die nicht halten wollten, wie immer. Meine Brille hatte sich verändert, und die Welt war kleiner geworden, als vorher, und ich war nun fast die gesamte Welt in diesem vergessenen Raumschiff und blickte lange auf die Erde, den fernen kleinen, Planeten. Fern war die Erde, ich aber war hier, nun schon ohne jeden Sinn, der Flug war sinnlos geworden am Morgen des letzten Tages.
[ 6]Am Anfang hatte ich noch die Trümmer von Fernsehsatelliten und die anderer Überreste der menschlichen Zivilisation eingesammelt, um sie zurückzubringen zur Erde, am 23. Tag des Fluges gab es diese nicht mehr. Natürlich – als Planet war sie noch vorhanden, denn im Weltall verschwinden Planeten nicht so einfach, aber sie war leer, das Leben auf der Erde war erloschen.
[ 6]Ich bin nun die Welt geworden und blicke erstaunt auf den tropfenden Wasserhahn. Irgend etwas ist falsch in diesem Spiel, in dieser Situation, das saubere, sorgsam gepflegte Raumschiff, in welchem ich sitze, der Planet, meine Heimat, verschmiert, verkleistert, verseucht, verstrahlt, Wiege eines neuen Lebens in ferner Zeit. Komisch, daran zu denken, zu denken überhaupt, lächerliche Sachen, Sachen, die mir früher gleichgültig waren, an denen ich mitgewirkt habe.
[ 6]Ich lausche dem Zwitschern der Vögel in dieser Welt, der sonderbaren, dem Raumschiff, die Vögel sprechen mit mir. Das ist nicht logisch. Daß ich hier sitze, hier in den Spiegel schaue, bin. Und ich bin die Welt – das ist nicht logisch. Ich sehne mich nach Margit, meiner Frau, sie ist unten geblieben, wollte nicht mit, und nach Theo, meinem Mann, auch er ist unten geblieben.
[ 6]Der tropfende Wasserhahn in der rotierenden Raumstation nervt und ich bin müde geworden, habe heute noch nichts erreicht. Ich bin nicht erregt. Ich bin fast nicht erregbar. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Die Wolken auf der Erde ballen sich zusammen zu Drachenköpfen und verschlingen einander. Ich beobachte sie nur noch zeitweise auf dem Monitor. Und müßte jetzt etwas ins Tagebuch schreiben, ins Computerlogbuch, jeder weiß es, aber die, die das befohlen haben, gibt es nicht mehr. Ich achte sehr auf Ordnung auf meinem Schreibtisch und werfe allen Abfall in den danebenstehenden Müllschlucker.
[ 6]Schwerelos schwebt der neue Abfall inmitten des anderen Mülls im All und vermischt sich mit ihm. Ich hänge meine Füße in die Nährlösung, ich habe Hunger. Das schmeckt heute nicht so besonders, ein Nährsalz fehlt. Oder die Leitung ist verstopft oder ein Thermostat ist ausgefallen – es gibt viele mögliche Ursachen. Sie kennen nun meine Umgebung, mich. Aber das ist nicht logisch, Sie gibt es ja nicht mehr, für wen also schreibe ich? Ich liege auf dem Müllhaufen der Geschichte, fliege inmitten der Trümmer hier im All, versuche, mich zu erinnern, die Erinnerungen sind bruchstückhaft und werden vom schrecklichen Tropfen des Wasserhahns in Teile zerschnitten.
An dieser Stelle des Tagebuches brach die Stromversorgung von A502 infolge des Umkippens einer Kaffeetasse auf die Tastatur des Hauptcomputers zusammen, weshalb die Aufzeichnungen wegen der Folgefehler unbrauchbar wurden, nur einige Reste sind noch zu entziffern. Die Tastatur war hinterher unbrauchbar. Der Goethevirus, der sich ins Programm geschlichen hatte, breitete sich in alle Computernetze aus und diese schrieben Gedichte in ihre Speicherzellen.
Wenns im weiten Weltall schneit/ist das Frühjahr nicht mehr weit ... /
... Mir fehlt die Anleitung zum weiteren Handeln und mir fehlt ein Dialogpartner. Draußen, rings um das Raumschiff verbreiten sich Sterne und Bruchstücke von Meteoriten. Draußen, rings um das Weltraumschiff ...
[ 6]Die rote Alarmkappe leuchtet. Ihr Licht spiegelt sich nur schwach auf den Pulten und gibt dem Raum eine gespenstische Helligkeit – eine Helligkeit, die kaum wahrnehmbar ist, holt mich denn hier keiner.
[ 6]Ich sehe auf dem Bildschirm die Erde, den alten Planeten, die Umrisse von Europa und Afrika, mit Wolken, wie immer, aber da ist ja niemand, keiner hat das überlebt. Das. Was eigentlich? Die Funkgeräte schweigen. Seit der Stunde X. Das Rauschen des Kosmos. Das Urknallrauschen. Die Funkgeräte schweigen – ich kontrolliere sie – sie sind natürlich in Ordnung.
[ 6]Die Ablösung blieb aus. Ich wußte nun: ES war passiert. Vorräte für längere Zeit hatte ich an Bord. Auf der Erde zu landen, kam nicht in Frage, das wußte ich schon aus vielen Geschichten. »Ihr«, schrie ich. »Ihr«, ... auch rief ich laut und sang und tanzte im schwerelosen Raum. Etwas störte mich, war unlogisch. Etwas stimmte nicht mit meinem Aufenthalt – dem seltsamen Flug um die kaputte Erde im Raumschiff der irdischen Müllberäumungsflotte. Der tropfende Wasserhahn störte mich. Er störte beim Denken, beim Nachdenken über die Stille und über den Raum und über meine Reserven. Der Wasserhahn stört mich in meinen Gedanken und ich fluche laut. Die Vögel zwitschern – es sind Töne aus dem Lautsprecher – der Wasserhahn tropft – ist das realer als das Zwitschern der Vögel? Ich bin festgegurtet, komme nicht hin. Alles, was hier geschrieben steht, was ich bisher geschrieben habe, ist fraglich. Ich glaube es nicht, nicht den tropfenden Wasserhahn, nicht die Beine in der Nährlösung, nicht die kaputte Erde draußen. Nicht einmal die Trümmer, die ich beseitigt habe, die ich beseitigen sollte. Ich wünsche, alles sei ein Traum. Ich sei ein Traum. Aber ich träume nicht, der Hunger, der Schmerz, die Stille sind real, ich träume nicht – die Füße hängen drin, drin in der Nährlösung, und ich bin angegurtet, und die Vögel zwitschern und der Wasserhahn tropft –.
[ 6]Ein Meteorit ist eingeschlagen oder ein Stück Abfall, die Luft rauscht aus dem Schiff, es wirbelt herum, wie ein losgelassener Luftballon. Herum in einer neuen, ungeplanten Bahn.
[ 6]Und ich höre den Wasserhahn nicht mehr, die Nährlösung beginnt zu kochen und kühlt sich ab. Ich bin nun ganz Raumschiff geworden und resorbiere den nutzlosen Körper aus seinen Gurten, löse ihn auf und hänge weiteren Gedanken nach.
Der Wasserhahn tropfte und ich erschrak bei jedem Tropfen, der nach unten sauste, und ich wurde älter und älter. Da betrachtete ich mich im Spiegel, wie an jedem Morgen – die Vögel zwitscherten. Ich kämmte sorgfältig meine Haare, die nicht halten wollten, wie immer. Meine Brille hatte sich verändert, und die Welt war kleiner geworden, als vorher, und ich war nun fast die gesamte Welt in diesem vergessenen Raumschiff und blickte lange auf die Erde, den fernen kleinen, Planeten. Fern war die Erde, ich aber war hier, nun schon ohne jeden Sinn, der Flug war sinnlos geworden am Morgen des letzten Tages.
[ 6]Am Anfang hatte ich noch die Trümmer von Fernsehsatelliten und die anderer Überreste der menschlichen Zivilisation eingesammelt, um sie zurückzubringen zur Erde, am 23. Tag des Fluges gab es diese nicht mehr. Natürlich – als Planet war sie noch vorhanden, denn im Weltall verschwinden Planeten nicht so einfach, aber sie war leer, das Leben auf der Erde war erloschen.
[ 6]Ich bin nun die Welt geworden und blicke erstaunt auf den tropfenden Wasserhahn. Irgend etwas ist falsch in diesem Spiel, in dieser Situation, das saubere, sorgsam gepflegte Raumschiff, in welchem ich sitze, der Planet, meine Heimat, verschmiert, verkleistert, verseucht, verstrahlt, Wiege eines neuen Lebens in ferner Zeit. Komisch, daran zu denken, zu denken überhaupt, lächerliche Sachen, Sachen, die mir früher gleichgültig waren, an denen ich mitgewirkt habe.
[ 6]Ich lausche dem Zwitschern der Vögel in dieser Welt, der sonderbaren, dem Raumschiff, die Vögel sprechen mit mir. Das ist nicht logisch. Daß ich hier sitze, hier in den Spiegel schaue, bin. Und ich bin die Welt – das ist nicht logisch. Ich sehne mich nach Margit, meiner Frau, sie ist unten geblieben, wollte nicht mit, und nach Theo, meinem Mann, auch er ist unten geblieben.
[ 6]Der tropfende Wasserhahn in der rotierenden Raumstation nervt und ich bin müde geworden, habe heute noch nichts erreicht. Ich bin nicht erregt. Ich bin fast nicht erregbar. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Die Wolken auf der Erde ballen sich zusammen zu Drachenköpfen und verschlingen einander. Ich beobachte sie nur noch zeitweise auf dem Monitor. Und müßte jetzt etwas ins Tagebuch schreiben, ins Computerlogbuch, jeder weiß es, aber die, die das befohlen haben, gibt es nicht mehr. Ich achte sehr auf Ordnung auf meinem Schreibtisch und werfe allen Abfall in den danebenstehenden Müllschlucker.
[ 6]Schwerelos schwebt der neue Abfall inmitten des anderen Mülls im All und vermischt sich mit ihm. Ich hänge meine Füße in die Nährlösung, ich habe Hunger. Das schmeckt heute nicht so besonders, ein Nährsalz fehlt. Oder die Leitung ist verstopft oder ein Thermostat ist ausgefallen – es gibt viele mögliche Ursachen. Sie kennen nun meine Umgebung, mich. Aber das ist nicht logisch, Sie gibt es ja nicht mehr, für wen also schreibe ich? Ich liege auf dem Müllhaufen der Geschichte, fliege inmitten der Trümmer hier im All, versuche, mich zu erinnern, die Erinnerungen sind bruchstückhaft und werden vom schrecklichen Tropfen des Wasserhahns in Teile zerschnitten.
An dieser Stelle des Tagebuches brach die Stromversorgung von A502 infolge des Umkippens einer Kaffeetasse auf die Tastatur des Hauptcomputers zusammen, weshalb die Aufzeichnungen wegen der Folgefehler unbrauchbar wurden, nur einige Reste sind noch zu entziffern. Die Tastatur war hinterher unbrauchbar. Der Goethevirus, der sich ins Programm geschlichen hatte, breitete sich in alle Computernetze aus und diese schrieben Gedichte in ihre Speicherzellen.
Wenns im weiten Weltall schneit/ist das Frühjahr nicht mehr weit ... /
... Mir fehlt die Anleitung zum weiteren Handeln und mir fehlt ein Dialogpartner. Draußen, rings um das Raumschiff verbreiten sich Sterne und Bruchstücke von Meteoriten. Draußen, rings um das Weltraumschiff ...
[ 6]Die rote Alarmkappe leuchtet. Ihr Licht spiegelt sich nur schwach auf den Pulten und gibt dem Raum eine gespenstische Helligkeit – eine Helligkeit, die kaum wahrnehmbar ist, holt mich denn hier keiner.
[ 6]Ich sehe auf dem Bildschirm die Erde, den alten Planeten, die Umrisse von Europa und Afrika, mit Wolken, wie immer, aber da ist ja niemand, keiner hat das überlebt. Das. Was eigentlich? Die Funkgeräte schweigen. Seit der Stunde X. Das Rauschen des Kosmos. Das Urknallrauschen. Die Funkgeräte schweigen – ich kontrolliere sie – sie sind natürlich in Ordnung.
[ 6]Die Ablösung blieb aus. Ich wußte nun: ES war passiert. Vorräte für längere Zeit hatte ich an Bord. Auf der Erde zu landen, kam nicht in Frage, das wußte ich schon aus vielen Geschichten. »Ihr«, schrie ich. »Ihr«, ... auch rief ich laut und sang und tanzte im schwerelosen Raum. Etwas störte mich, war unlogisch. Etwas stimmte nicht mit meinem Aufenthalt – dem seltsamen Flug um die kaputte Erde im Raumschiff der irdischen Müllberäumungsflotte. Der tropfende Wasserhahn störte mich. Er störte beim Denken, beim Nachdenken über die Stille und über den Raum und über meine Reserven. Der Wasserhahn stört mich in meinen Gedanken und ich fluche laut. Die Vögel zwitschern – es sind Töne aus dem Lautsprecher – der Wasserhahn tropft – ist das realer als das Zwitschern der Vögel? Ich bin festgegurtet, komme nicht hin. Alles, was hier geschrieben steht, was ich bisher geschrieben habe, ist fraglich. Ich glaube es nicht, nicht den tropfenden Wasserhahn, nicht die Beine in der Nährlösung, nicht die kaputte Erde draußen. Nicht einmal die Trümmer, die ich beseitigt habe, die ich beseitigen sollte. Ich wünsche, alles sei ein Traum. Ich sei ein Traum. Aber ich träume nicht, der Hunger, der Schmerz, die Stille sind real, ich träume nicht – die Füße hängen drin, drin in der Nährlösung, und ich bin angegurtet, und die Vögel zwitschern und der Wasserhahn tropft –.
[ 6]Ein Meteorit ist eingeschlagen oder ein Stück Abfall, die Luft rauscht aus dem Schiff, es wirbelt herum, wie ein losgelassener Luftballon. Herum in einer neuen, ungeplanten Bahn.
[ 6]Und ich höre den Wasserhahn nicht mehr, die Nährlösung beginnt zu kochen und kühlt sich ab. Ich bin nun ganz Raumschiff geworden und resorbiere den nutzlosen Körper aus seinen Gurten, löse ihn auf und hänge weiteren Gedanken nach.