Der Auszug aus dem Olymp

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Matula

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Halb und halb hatten die Götter beschlossen, in den Himalaya zu übersiedeln, aus steuerlichen Gründen und wegen der besseren Luftqualität. Vor der Übersiedlung entbrannte ein Streit darüber, ob der Dhaulagiri oder der etwas höhere Makalu als neues Domizil dienen sollte. Man entschied sich schließlich - halb und halb - für den noch höheren Lhotse.

Moros, der Schwermütige, Hüter der Währung und der historischen Wahrheiten, hatte sich halb und halb durchgesetzt. Er und sein Bruder Algebraios, der göttliche Stammler und erhabene Mathematiker, konnten den göttlichen Vater beinahe überzeugen, dass es hoch an der Zeit war, Griechenland zu verlassen. "Sie werden uns Steuerbescheide schicken," prophezeite er in düsterer Vorahnung. "Wir schu-schu-schulden in Dra-Dra-Drachmen ...". Zeus gebot Algebraios zu schweigen. "Dann werden sie ihre Schergen schicken," setzte Moros fort, "mit einem Exekutionsbefehl ...". - "Was fürchtest du ein Stück Papier!" empörte sich der Vater, "Habe ich Söhne gezeugt, dass sie vor der Raffgier der Sterblichen die Flucht ergreifen ?! Ich werde sie mit Blitz und Donner empfangen, dass ihnen Hören und Sehen vergeht ! Heimleuchten werde ich ihnen, auf dass sie es nie wieder wagen !" - "Aber göttlicher Vater, ihr wisst doch wie teuer das Heimleuchten geworden ist. Bedenkt die Kosten, die sich zu unseren Schulden ...". -"Das kostet min-min-mindestens ..." ergänzte Algebraios. "Schweig !" donnerte Zeus, "Du sollst nicht immer reden, sondern rechnen ! Was nun schulden wir diesem gottlosen Volk ?" - "920.488.137 Dra-Dra-Drachmen." - "Genug !" schrie der Vater und man konnte hören, dass ihn die Summe doch ein wenig nervös gemacht hatte. "Die Zeiten haben sich geändert," gab Moros zu bedenken. "Die letzten Opfergaben müssen zweitausend Jahre zurückliegen - in Menschenzeit gerechnet." - "2.269 !" assistierte Algebraios. "Ja, in etwa und seither haben wir uns selbst versorgen und verschiedene Handelsgeschäfte abschließen müssen." - "Das weiß ich ! Bin ich denn nicht selbst einem alten Bankdirektor als junger Hotelier erschienen und einem alten Reeder in Gestalt einer schönen Immobilienmaklerin, auf dass sie ihre vollen Truhen öffnen und sich ein warmer Geldregen über unsere Familie ergieße ! Aber: haben wir je etwas zurückgezahlt ?!" entrüstete sich Zeus. "Nein, nein, gewiss nicht, göttlicher Vater, aber gerade deshalb sitzen wir nun auf einem Berg von Schulden, wenn das Wortspiel gestattet ist." Zeus winkte ab.

Unter den Blicken der übrigen Familienmitglieder, unter denen nur seine Brüder Aquarios und Uranos, seine Schwester Phöbe und sein jüngster Sohn Atomos fehlten, begann er gesenkten Hauptes und mit weitausholenden Schritten auf und ab zu wandern, um die Lage zu überdenken. Er dachte an seinen Vorgänger, den Titanen, dessen Namen und Thron er sich angeeignet hatte und den er, aus demselben Geschlecht stammend, an Körpergröße bei weitem übertraf. Er dachte immer an ihn, wenn es galt, ein heikles Problem zu lösen, eine geistige Herausforderung zu meistern, eine Antwort auf eine drängende Frage zu finden. Und immer quälte ihn der Verdacht, dass der Andere ihn an Geistesgröße überragt und längst das Richtige getan hätte. Er glaubte zu wissen, dass auch die Verwandtschaft, ja die eigene Frau und seine Abkömmlinge das dachten.

Und wie zur Bestätigung erhob sich Hero, die hochbrüstige Gemahlin des Allmächtigen, Schutzherrin der ehelichen und eheähnlichen Verbindungen, von ihrem Sitz und sprach:" Der Alte musste sich nicht mit solchen Fragen herumschlagen. Ihm hat man ganze Herden von Schafen und Ziegen geopfert, tausende Krüge mit feinstem Öl der ersten Pressung, Honig, Nüsse, Krustentiere ...". - "Wolle aus Thessalien," ergänzte Moros. - " ... und Seide aus Makedonien," erinnerte sich Aphrodite. Sie gehörte zu den Wenigen aus der Dynastie des Vorgängers, die Zeus nicht in die Unterwelt verbannt hatte. Zum einen, weil er überzeugt war, dass sie, wie namhafte Dichter behaupteten, nicht des Vorgängers, sondern des Uranos Tochter war, und weil sie ihm ausnehmend gut gefiel. "Seide aus Makedonien !" höhnte Polysophia, die Vielbelesene, Göttin des Widerspruchs und der Quantenphysik. "Du meinst wohl die Mandschurei - oder nicht Seide sondern Flachs !" - "Schweigt !" donnerte der Allmächtige und rammte seinen Plasmastab in den Boden. "Ich habe euch nicht zum Sprechen aufgefordert. Ihr sollt aber wissen, dass wir heute vor weit größeren Herausforderungen stehen als die Titanen, die an unserer Stelle nur hilfeheischend nach Chronos gerufen und ihn angewiesen hätten, das Rad der Zeit zurückzudrehen !" - "Keine schlechte Idee !" warf Apollo ein, der soeben eingetroffen war uns sich neben Aphrodite, seine Schwester, Tante und Großmutter, setzte. Ich hätte beide in den Hades jagen sollen, dachte Zeus und betrachtete angewidert den verweichlichten jungen Mann mit den langen dunklen Locken und dem tätowierten Olivenzweig auf der Schulter. "Auch dich hat man nicht gefragt !" herrschte er ihn an und begann wieder auf und ab zu schreiten.

Schließlich erhob sich Hero, die hochbrüstige Gemahlin abermals und sprach: "Ich, deine Gemahlin und der Göttinnen Vornehmste, werden diesen Ort nie und nimmer verlassen. Mein Platz ist an deiner Seite und dort, wo einst Gaia sich dem Sohne Uranos vermählte, unser aller Heimat." - "Nur dieses eine Mal, lob' ich der Mutter Wort," war Polysophia, die Vielbelesene, zu vernehmen. Sie erhob sich nicht von ihrem Sitz, sondern redete gleichsam aus dem Schoße ihres Bruders, in den sie ihr Haupt gebettet hatte. Da blieb der Allmächtige stehen, blickte finster um sich und sprach: "Es ist beschlossen, wir gehen in den Himalaya !"

Ein paar Herzschläge lang herrschte absolute Stille, dann brach Aphrodite in Tränen und Apollo in Lachen aus. "Sollen wir uns die Köpfe scheren lassen und sie mit Kamelschmalz salben ? Ich brauche griechische Ziegenmilch für meine Haut," schluchzte Aphrodite. "Man sollte dir mit Ziegenmist dein dummes Maul stopfen," pfauchte Polysophia. "Die Sterblichen dort sind ganz besonders hässlich. Sie haben flache augenlose Gesichter." Apollo zog mit den Fingerspitzen die Lider zu den Ohren, um zu demonstrieren, was er meinte. "Aber vielleicht sind es gute Menschen," gab Hero zu bedenken. "Sie sind nicht anders als die Griechen," murmelte Moros, "nur viel genügsamer." - "Das Pro-Pro-Prokopf-Prokopfein-Prokopfeinkommen ...". - "Sei still Algebraios, das interessiert uns nicht!" Onkel Aquarios, Herr der Meere und der verborgenen Bodenschätze, war plötzlich aufgetaucht, rammte seinen Dreizack in den Fels und begann mit gurgelnder Stimme eine Rede zu halten.

"Niemals werde ich vergessen, dass ich Herr und Sohn des Meeres in einem bin. Aber nicht der kalten Wasser im Westen, deren weiße Gischt an die steilen Küsten Lusitaniens schlägt; nicht der eisigen See, die die Inseln der Barbaren im Norden umspült; nicht der sumpfigen Kanäle und verdorbenen Gewässer vor den Toren des Sassanidenlandes im Osten. Mein Reich sind die sonnenglitzernden Wellen vor den Gestanden unserer Heimat, die liebliche Ägäis und das sanfte ionische Meer, die den Körper wärmen und wiegen wie eine Mutter das Kind. - Dich Bruder, haben die Gier nach Gold und feiner Lebensart um den Frieden gebracht. Nun suche ihn auf den Gipfeln eines fremden Berges, wo bunte Wimpel fremden Göttern winken und fromme Pilger Steine küssen. Ich werde dir nicht folgen, da sei gewiss !"

"Und was wirst du tun, wenn sie deine Fische, deine Muscheln und Perlen pfänden, deine Töchter als Sklavinnen nehmen und alle Schätze, die du in die Tiefe gerissen, von dir zurückfordern ?!" schrie Zeus. - "Untertauchen," antwortete Aquarios nach kurzem Zögern. "Sie werden uns nicht finden. Meine Töchter werden einen Algenteppich weben, und ich könnte Tanker auslaufen lassen ...". - "So würdest du also nicht zögern, dein 'liebliches' Reich in eine Kloake zu verwandeln, nur um deinen Gläubigern zu entkommen und deine Schulden nicht zu begleichen ?" fragte Moros mit tonloser Stimme. "Hört nicht auf den alten Narren, er weiß nicht, was er sagt !" Polysophia, die Vielbelesene, hatte beschlossen, für den Vater Partei zu ergreifen: "Wir gehen in den Himalaya, wo uns niemand kennt, wo die Sterblichen hässlich sind und manche von ihnen Berge für Götter halten. Wir werden von Moos und Ziegenmilch leben und das Universum neu erschaffen. Seine Teile werden wir so zusammenfügen, dass nichts von Bestand ist, dass alles untergeht, sobald es aufgetaucht ist, ein kurzes Zittern in der Zeit. Wir hätten uns niemals zurücklehnen und das Sein gewähren lassen dürfen !" Niemand antwortete auf den Vorwurf. Apollo zog eine Flöte aus seinem Köcher und begann ein Lied zu intonieren, das wie "Always be on the Bright Side of Life" klang, während Algebraios, der göttliche Stammler, zahlenvergessen an einem Glas Chateau Margaux 2009 nippte.

Zeus und seine hochbrüstige Gemahlin wussten nicht, was sie der vielbelesenen Tochter antworten sollten, zumal sie tatsächlich immer nur wenig für sich beansprucht und wohl den kleinsten Anteil an den aufgehäuften Schulden verursacht hatte. "Ja, wenn man ohne Gemüt und Sinnlichkeit ist," spottete Aphrodite und ließ wie zufällig einen Träger ihres Kleides über die Schulter gleiten, "dann mag ein 'Zittern in der Zeit' genügen. Ich aber will den Genuss, die Fülle, die Pracht und die Ewigkeit. Ich bin schön, wie ihr sehen könnt, und meine Schönheit ist mehr als eine Kategorie des Denkens. Sie verdient kostbare Salben, Geschmeide und die besten Stoffe, die Sterbliche weben können. Wer um meinetwillen die Welt verkauft, der handelt wahrhaft göttlich." - "Nun ja," murmelte Moros, der Schwermütige, Hüter der Währung und der historischen Wahrheiten, "es müsste nicht gleich die Welt sein, aber vielleicht eine der Inseln ... Rhodos zum Beispiel. Die Einnahmen aus dem Tourismus sind dort im letzten Jahr um ..." - "32 Pro-pro-zent zu-zu-rück-zurückge-gangen," erläuterte Algebraios.

"Aber wer wird denn gleich ans Verkaufen denken !" rief Hero mit einem giftigen Blick auf die halbentblößte Aphrodite. "Ich könnte mich in Rhodos hin und wieder an einer Quelle zeigen. Ich kenne da eine Jüdin, die mit solchen Auftritten sehr erfolgreich in den Pyrenäen war und viele Pilger und Devisen ins Land geholt hat !" - "Mutter, ich glaube nicht, dass dieses Konzept noch zeitgemäß ist. Man kann es auch nicht ohne weiteres übertragen. Eher könnte eine Reaktivierung des Orakels ...," Moros fasste den flötenden Apollo ins Auge, "unsere finanzielle Lage verbessern." Zeus horchte auf und trat näher an seinen Sohn heran, während Apollo die Tonart wechselte und "Strawberry Hills Forever" spielte. "Du meinst also, dass man wieder nach Delphi kommen und uns Ziegen, Rinder und Schafe bringen würde ? So wie in den alten Zeiten ?" - "Nein, das wohl nicht," Moros schlug die Augen nieder, "wir müssten Geld verlangen, Eintrittsgeld ...". - "Aber haben die Sterblichen zur Erforschung der Zukunft denn nun nicht Würfel, Karten und Kraken ?" wollte Hero wissen. "Als ob wir je gewusst hätten, was die Zukunft bereithält !" lachte Aphrodite. "Das ist jetzt nicht die Frage," herrschte Zeus sie an. "Wenn ich Moros recht verstehe, geht es nicht um das Angebot, sondern um die Nachfrage." - "Ganz richtig, allmächtiger Vater, und die Nachfrage ist ungebrochen. Wir müssten allerdings Vorkehrungen treffen, Investitionen tätigen, denn es braucht einen Dreifuß, eine Jungfrau und edles Räucherwerk." - "Und wo soll die Jungfrau herkommen ?" fragte Apollo, die Flöte beiseitelegend. "Aus dem Morgenland !" rief Aphrodite. "Wir nehmen so ein schwarzverhangenes Weib. Sie sollte nur nicht fett sein, damit sie nicht vom Dreifuß fällt." - "Unter keinen Umständen," erwiderte Apollo "es muss ein sehr junges Menschenkind sein, eine Zwölfjährige mit nackten Füßen und goldenem Haar, vielleicht auch ganz nackt ...".
"Aber es geht doch jetzt nicht um die Frage, welche Gestalt die Pythia haben soll, sondern um das Orakel und seine Antworten," gab Hero, die hochbrüstige Gemahlin, zu bedenken. "Was soll denn so ein Kind sagen, wenn es zum Beispiel gefragt wird, ob Europa mehr oder weniger Integration braucht ?" - "Die Sterblichen fragen ihre Kinder neuerdings alles mögliche," warf Apollo ein. "Sie glauben, dass ihre Kinder mehr wissen als sie selbst." - "Also ich habe gehört, dass sie die Kraft ihres Urteil verlassen hat und dass sie sie nun bei den Kindern suchen," erläuterte Moros. "Aber wer sollte denn solche Fragen überhaupt stellen?" lachte Aphrodite. "Man fragt doch nach Dingen, die das Herz bewegen !" - "Ja du, natürlich !" zischte Polysophia, die Vielbelesene, Göttin des Widerspruchs und der Quantenphysik. "Und für deine Fragen würden auch Gänseblümchen reichen, die man rupft. Aber ich warne euch: die Sterblichen mögen dumm sein, aber sie sind auch klug geworden. Sie wollen Dinge wissen, auf die wir keine Antworten haben, weil wir es schleifen haben lassen. Jetzt ist das Sein so mannigfaltig, so üppig-überwältigend, dass unsere Antworten nur Approximationen und Probabilitäten sein können. Ich habe es euch immer gesagt: wir hätten das Sein beizeiten zähmen müssen !" Bei diesen Worten torkelte Dionysos in die Runde. Sturzbetrunken wie Alkibiades wollte er die Schwester durch Küsse zum Schweigen bringen, wurde aber von Moros zur Seite gestoßen.

"Also wenn wir keine Antworten für die Sterblichen haben, erübrigt sich auch das Orakel und die Rückzahlung unserer Schulden," stellte Zeus fest. Er wollte das Kapitel abschließen, hoffte aber auf Widerstand seiner Sippe, um sich neuerlich alterieren zu können. Niemand wagte einen Einwand, nur Aquarios gurgelte in leiser Schwermut. Dionysos war neben Polysophia eingeschlafen.
"Ich verstehe nicht," begann der Göttervater von neuem, "wie es zu derart hohen Schulden kommen konnte ! Kann mir das einer von euch erklären ?" Algebraios begann ein Pergament zu entrollen, wurde aber sofort an dessen Verlesung gehindert. Moros, der Hüter der historischen Wahrheiten, nahm es ihm aus der Hand und warf einen flüchtigen Blick auf den Anfang der Aufzeichnungen. "Nun ja ...," er versuchte ein verschmitztes Lächeln, "wir haben viel gefeiert. Wir haben sehr viel gefeiert, in den letzten Jahrhunderten." - "Wir alle zusammen ?" fragte Hero, die hochbrüstige Gemahlin. "Ich kann mich gar nicht an so viele Feste erinnern. Wann sollen denn diese Feste stattgefunden haben ?" Moros schwieg, um nicht bekennen zu müssen, dass es sich in der Mehrzahl um Männerfeste gehandelt hatte. Feste, die Männer in großer Runde oder in intimer Zweisamkeit mit Männern oder Nichtmännern gefeiert hatten.

"Ein paar Ochsen, einige Fässer Wein, die Lautenspieler ..." murmelte Aphrodite. "Und jedes Mal eine neue Garderobe und neues Geschmeide für die göttliche Schwester," ergänzte Apollo bissig. "Nicht zu vergessen, die Komparserie aus dem Orkus," bemerkte Moros. "Der Alte lässt sich ihre Auftritte teuer bezahlen, sehr teuer ...". - "Pro - pro - Stück - Stück etwa ...". - "Sei still Algebraios !" donnerte Zeus. "Shut up and calculate !"äffte Polysophia den Vater nach. "Wie sollen wir ein Verständnis für unsere Ausgaben entwickeln, wenn Algebraios nie sprechen darf ? Nun sag uns, Bruder, was die Komparsen aus den Orkus gekostet haben." Zeus überhörte die Frechheit seiner Tochter, nicht weil er sie liebte, sondern weil sie sich nun aus Moros Schoß gelöst hatte und das Licht des Morgens aus ihren Augen strahlte. Immer wenn er es aufleuchten sah, wusste er, dass sie die neue Zeit war, die ihn dereinst zermalmen würde.

"89.400," antwortete Alegbraios, "und 4.000 für den Fähr-Fähr-Fährmann." Apollo ließ ein zweigestrichenes C als Zeichen seiner Überraschung hören, das Dionysos aus dem Schlaf riss. "Aber das muss aufhören!" rief Hero. "Das ist ganz unverschämt für ein bisschen Gaukelei !" - "Aber wenn eine Gaukelei so schön ist wie der junge Achill, dann sehen wir sie doch alle gern, nicht wahr ?" entgegnete Aphrodite und blickte mit spöttischem Lächeln in die Runde. Moros errötete ein wenig, Hero nestelte in ihrem Haar und Aquarios räusperte sich gurgelnd. "Auch der schlaue Odysseus ist noch ein stattlicher Mann. Oder bevorzugst du den sensiblen Hector, Polysophia ?" - "Dein Schandmaul sollst du halten," schnaubte die Zeustochter. "Schimären sind sie alle zusammen. Der Alte gibt sich immer weniger Mühe, ihr aasiges Fleisch zusammenzuflicken, ehe er sie zu uns kommen lässt." - "Aber das bemerkt man nur, wenn man ihnen sehr nahe kommt, nicht wahr ?" erwiderte Aphrodite. "Ich glaube nicht, dass es hier einen gibt, den Achilles nicht gehabt hätte ... obwohl ihm neulich eine Hand abgefallen ist." In diesem Moment sprang eine bunte Schlange in den Ausschnitt ihres Kleides und wickelte sich um ihren Hals. Zeus hatte seinen Plasmastab verwandelt, um sie zum Schweigen zu bringen. Er hasste es, wenn Schlüpfriges im Kreise der Familie erörtert wurde. "Vergossene Milch," donnerte er, "wir haben Feste gefeiert, wir haben Gäste bewirtet, wir haben schöne Knaben und Mädchen beschenkt ..." - " und wir haben es Gold regnen lassen, oh göttlicher Vater !" ergänzte Moros. "Jetzt haben wir keine andere Wahl. Wir werden dieses Land verlassen müssen, des Nachts wie die Diebe." Ein vielstimmiges Schweigen setzte ein, alle suchten nach einem letzten Ausweg. Der trunkene Dionysos, wieder erwacht, glaubte ihn gefunden zu haben.

"Wenn sie kommen, also wenn sie hierherkommen, werden wir ihnen Wein geben, den besten, viel Wein ... ". - "Wenn wer kommt ?" fragte Moros, der Schwermütige. "Ja sie, sie, die Geld von uns wollen. Wir werden sie betrunken machen, bis sie alles vergessen haben und wieder gehen." - "Du meinst die Steuereintreiber ? Nun, ich will dir sagen, wohin das führt: sie werden trinken und trinken und liegenbleiben. Nach drei Tagen werden sie aufwachen, sich an die dumpfen Schädel greifen und sich fragen, was sie im Gebirge gewollt hatten. Dann wird ihnen einfallen, dass das Land viele Steuerschulden eintreiben muss und dass alle verlangen, dass man es bei 'denen da oben' holt. Verstehst du ?"
"Lass doch den alten Trunkenbold," warf Aphrodite ein, "wenn er sich mehr an meiner Schönheit berauscht hätte, wären unsere Schulden um ein gutes Stück kleiner." Wieder herrschte Schweigen und ratloses Grübeln. Algebraios wollte eine Überschlagsrechnung des vertrunkenen Vermögens präsentieren, wurde aber von Zeus mit einem funkensprühenden Blick daran gehindert.

"Was haben wir doch alles den Sterblichen geschenkt," klagte Aquarios, Herr der Meere und der verborgenen Bodenschätze, "und so danken sie es uns. So viele Geschichten, die wir ihnen zur Belehrung und Erbauung, zur Ermutigung, aber auch zum Schrecken und zur Ermahnung, nicht dem Stolze anheimzufallen, nicht gegen uns zu freveln, mitgegeben haben." Er ließ ein gurgelndes Schluchzen hören. "Vielleicht können wir uns Geld von den Römern leihen ?" meinte Hero, die hochbrüstige Gemahlin, "denn auch sie haben unsere Geschichten angehört und weitererzählt. Sollten sie dafür nicht bezahlen müssen ?" - "Sie haben nur wenig mehr als die Griechen, aus ähnlichen Gründen, Mutter. Wenn es irgendwo Geld zu leihen gäbe, dann müssten wir bei den Germanen nachfragen, aber die verstehen unsere Sprache nicht und sind auch ein sehr eigensinniges Volk," erläuterte Moros. "Und sie alle, alle," warf Polysophia ein, "haben sich dennoch dem pazifistischen Sohn eines rachsüchtigen Wüstengottes an den Hals geworfen. Man hätte diese Wendung kommen sehen können, wenn man ihnen mehr zugehört hätte und weniger mit den eigenen läppischen Eifersüchteleien beschäftigt gewesen wäre. Gewisse Töchter," sie warf einen verächtlichen Blick auf Aquarios, "fühlten sich ja schon in ihrer Eitelkeit gekränkt, wenn es hieß, eine gewisse Sterbliche sei schöner als sie. Die Menschen Europas wollen ihre Götter nicht mehr auf einem Berg sehen, nicht, seit sie selbst fast alle Berge bestiegen haben. Zur Zeit erzählen sie einander, dass ihr Gott ein Informatiker ist." Alle schwiegen betroffen, keiner wollte sich eine Blöße geben und fragen, was ein Informatiker sei. Apollo stimmte ein neues Lied an, das entfernt nach "Personal Jesus" klang. Aphrodite klatschte angeregt.

"Ich sehe nun," sagte Moros bekümmert, "dass meines und Algebraios Vorschlag nicht eure Zustimmung findet. Auch ihr, allmächtiger Vater, wollt lieber in der Schuldenschmach leben und kein neues Kapitel in einem neuen Land aufschlagen. Wohlan, es wird der misstönende Schlussakkord einer langen und ruhmreichen Geschichte sein. Wer fürderhin von den Titanen hört, wird immer an ihr ruchloses Ende denken: an Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung." - "Aus- Aus-Auster-Austeri-Austerität," stammelte Algebraios. Alle ließen die Köpfe hängen.

"Nun, wenn es nicht das Orakel sein soll, lässt sich vielleicht eine einfachere Einnahmenquelle finden," meinte Hero, die hochbrüstige Gemahlin. "Dionysos könnte zum Beispiel eine Gastwirtschaft aufmachen und Apollo dort jeden Abend auftreten ...". - "Ja ! Und im Obergeschoß könnte Aphrodite ihren Leib feilbieten !" ergänzte Polysophia. Kaum waren diese Worte dem göttlichen Mund entwichen, als sich die zur Hetäre Gemachte auf sie stürzte, sie an den Haaren riss und an der Gurgel fasste. Die Andere rammte ihr das Knie in den Bauch und trat sie gegen das Schienbein. Bald wurde jeder von jedem gebissen, gezwickt, angeschrien und angespuckt, bis Zeus dem ein Ende setzte und seinen Plasmastab elektrische Funken sprühen ließ. "Noch heute Nacht," donnerte er, "gehen wir auf den Himalaya !"
So packten die Götter ihren Hausrat und ihre wenigen Ersparnisse und angelten sich eine Wolke vom nächtlichen Himmel. Sie brachte sie direkt auf den Lhotse. - Im Schein des Lagerfeuers erzählen die Sherpas einander noch heute vom unheimlichen Heulen und Klagen, das in jener Nacht zu hören war.
 
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Matula

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Danke Isabeau de Navarra, ich freue mich, dass Du Dich ein bisschen amüsiert hast ! Du erinnerst Dich sicher richtig, denn ich habe die Zeus II-Familie ergänzt und die Verwandtschaftsbeziehungen abgeändert, um den Mitgliedern neue Attribute beilegen zu können.
Schöne Grüße aus Wien,
Matula
 



 
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