Der Ballon der Träume

Der rote Ballon flog davon und ich jagte ihm nach.
Der heftige Wind und die vorbeilaufenden Menschen, die mir im Weg standen, hinderten mich daran, die Schnur zu ergreifen.
Etliche Male versuchte ich verzweifelt, das dünne Seil zu erreichen. Da stand plötzlich dieser Mann vor mir, der in sich hinein lächelte und den Ballon mit Leichtigkeit zu fassen bekam. Sein Grinsen wirkte dabei fast schon höhnisch.

Ich konnte nicht ertragen, dass er mir den Ballon wegnahm.
Ich rannte dem Mann hinterher, kam jedoch kaum voran. Die engen Gassen und die hohen Stufen, machten mir zu schaffen. Im Gegensatz zu ihm war ich einfach zu kräftig und nicht sportlich genug. Ich schrie ihm hinterher und forderte ihn auf, stehen zu bleiben.
Jedoch lief der Kerl seine Wege ungerührt weiter und die Menschen um uns herum interessierten sich auch nicht für meine Rufe.
Ich stolperte und fiel zu Boden, blutete und stand alleine auf.
Selbst als es zu regnen begann und ich durch die Nässe mehrfach ausrutschte, rappelte ich mich stets wieder auf.
Wir liefen Tag und Nacht, an steinigen Wegen, Tälern, fruchtbaren Feldern und dichten Wäldern vorbei.
Doch kein einziges Hindernis bereitete ihm Probleme. Er überwand alles, was mir schwer fiel. Während er lediglich einen Fuß vor den anderen setzen musste, um hohe Felsen zu überwinden, musste ich mühselig klettern.
Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr weiter laufen. Ich war völlig außer Atem. Mein Hals war staubtrocken, ich hustete und keuchte. Seit Tagen hatte ich weder gegessen noch getrunken. Meine Beine brannten vor Schmerz und ich merkte, wie sie langsam taub wurden. Dennoch kam es mir nicht in den Sinn aufzugeben.

Ich jagte dem älteren Herrn so lange nach, bis er endlich stehen blieb, sich zu mir umdrehte und fragte: „Ist dir dieser alte Ballon so wertvoll, dass du für ihn viel Leid in Kauf nimmst?“

Ich brauchte nicht lange zu überlegen.
Ja, dieser Kampf war es wert, alles auf mich zu nehmen, was nötig war.
Ich wollte diesen Ballon. Ich hatte schon zu viel gekämpft, um jetzt noch aufzugeben.

Er sah die Ernsthaftigkeit in meinen Augen und verstand, dass das Feuer in mir, das Begehren, diesen Ballon haben zu wollen, nie erlöschen würde.
"Es sind alle meine Träume, meine Sehnsüchte darin", antwortete ich ihm.

Daraufhin gab er mir den Ballon und dieses Mal war sein Lächeln freundlich, gar sanft, aber es hatte auch ein kleines Fünkchen Traurigkeit in sich.
Sie löste in mir etwas aus. Mir lief eine Träne voller Erleichterung, Glück, aber auch Wehmut für diesen Mann herunter.
Ich verstand seine Gefühle. Wir hatten den gleichen Traum, aber es war anders als bei mir. Er konnte sich mit Leichtigkeit alles nehmen, was er wollte. Der Mann erkannte, dass er an meiner Stelle schon lange aufgegeben hätte.

Das ist wohl der Unterschied zwischen jenen, die sich alles hart erarbeiten müssen und jenen, denen alles zufliegt. Er hatte nicht meine Stärke und mein Durchhaltevermögen.

Für ihn bedurfte es nur es nur eines Schrittes, um die Schnur zu erreichen, für mich waren es Tausende.
 
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