Der Bullerlux 3

Beim Frühstück am nächsten Morgen musste Gerda natürlich alles sofort Papa erzählen. Und nicht nur einmal! Bis der Tisch gedeckt war und auch Astrid und Bruno eintrudelten, hatte sie ihre Geschichte schon zwei Mal hervorgesprudelt und begann gerade ein drittes Mal als Mama herein kam. Sie hatte frische Brötchen geholt und die Zeitung, die Papa sogleich aufschlug und sich raschelnd dahinter versteckte.
„So?“, sagte Mama und schmunzelte zu Papa hinüber. „Haben wir also doch Heinzelmännchen?“
„Ich habe damit nichts zu tun, mein Schatz, wenn du das meinst. Ich habe friedlich geschlafen, wie ein Murmeltier.“ Dann ließ er die Zeitung sinken, sodass nur seine Augen über die Seiten lugten. „Ich hab euch ja gesagt, dass der Bullerlux zu den Kindern kommt, die nicht schlafen wollen.“
„Erzähl den Kindern nicht so einen Unsinn“, widersprach ihm Mama.
„Den gibt’s doch gar nicht“, mischte sich Astrid genervt ein.
„Ja, genau wie den … “, setzte Bruno an, doch fing sich schnell wieder als er Mamas großäugigen Blick sah, „ … den Mann im Mond.“
„Der Junge von nebenan hat aber auch gesagt, dass es hier spukt“, sagte Gerda sofort. „Obwohl er nicht besonders nett war.“
„Mann, der wollte sich nur wichtig machen“, stöhnte Astrid. „Wir sind eben die Neuen. Die werden immer veräppelt. Sei froh, dass es nur solche Spinnereien sind.“
„Astrid - .“
„Ist doch wahr!“
„Es dauert eben einige Zeit bis man sich einlebt. Wenn die ersten turbulenten Tage vorüber sind und wir es uns hier richtig gemütlich gemacht haben, werdet ihr euch schnell wohler fühlen“, versuchte Papa zu beruhigen. „Auch unser Gewitterkopf. Habt ihr denn etwas Schönes geträumt in eurer ersten Nacht im neuen Bett?“
„Naja“, kam es von Astrid.
„Weiß Nicht so genau“, murmelte Bruno. Nur Gerda hatte wieder eine Menge zu erzählen, das ihr heiß auf der Seele brannte und begann mit einem Jauchzer.
„Oh ja! Also als Frieda endlich ruhig war und ich endlich wieder eingeschlafen war, da dachte ich noch, ob wir denn überhaupt genug rosa Feen-Zucker-Streusel eingepackt haben, weil wir doch heute backen wollen und dann habe ich im Traum-„
„Schschscht“ unterbrach Papa sie mit dem Zeigefinger vor dem Mund. „Wenn du alles ausplauderst, kann es doch nicht mehr in Erfüllung gehen.“ Ertappt schlug sich Gerda die Hand vor den Mund und war für den Rest des Frühstücks ungewöhnlich ruhig.
Um sich in einer neuen, fremden Umgebung wohlfühlen zu können, braucht es Vertrautes. Möbel, Gegenstände, Gerüche und Menschen, kurzum: ein zu Hause. So machten sie sich bald wieder daran, ihr neues Heim weiter einzurichten. Gerda und Mama räumten die letzten Kleinigkeiten in die Küchenschränke und begannen dann, Kekse für die neuen Nachbarn zu backen. Bruno half Papa, die letzten Regale anzubringen und Lampen, Stereoanlage und Videorecorder zu verkabeln. Also war Astrid allein mit dem Auspacken beschäftigt. Sie fand noch die Wanduhr und den Familienkalender für die Küche, sowie sämtliche Koch- und Backbücher. Auf einem Stuhl stehend sortierte sie die Bücher in ein kleines Regal ein.
„Aaastriiid?“, sang Gerda.
„Jaha. Was denn, Gerda?“
„Weißt du wahas, Astrid?“
„Nein, Gerda. Was weiß ich denn nicht?“
„Der Papa hat gesagt, wenn ich dem Bullerlux Kekse und warme Milch hinstelle, holt er mich nicht gleich, wenn ich mal nicht schlafe und erschreckt mich nicht.“
„Es gibt keinen Bullerlux. Wieso bestärkt Papa sie auch noch darin?“, fragte Astrid ihre Mama mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Lass sie doch daran glauben, wenn es ihr gefällt. Als du so alt warst, mussten wie immer eine Lampe in den Kleiderschrank stellen, damit sich dort kein Monster einnistet.“
Das Mädchen verdrehte genervt die Augen: „Ich mach dann mal oben weiter …“
Fünf Kisten schleppte Astrid die Treppe hinauf. Sie war ganz schön aus der Puste und brauchte eine kleine Pause. Also ließ sie die Kartons in der Mitte des Zimmers zurück und holte sich eine Flasche Sprudelwasser aus dem Flur. Gierig trank sie sie halb aus. Astrid war schon die halbe Treppe wieder nach oben gegangen, als Papa aus dem Wohnzimmer rief:
„Astrid? Bist du das?“
„Neihein, hier ist der Nikolaus“, rief sie halb singend zurück.
„Auch gut. Wir brauchen mal kurz eine fünfte Hand.“
Im Wohnzimmer hatten sich Papa und Bruno noch einmal an der Schrankwand zu schaffen gemacht.
"Die Handwerker haben die Regalbretter nicht in die Vitrine gelegt. Dashalb mussten wir die Tür mit dem Fenster noch einmal ausbauen", erklärte Papa. "Doch nun bekommen wir sie allein zu zweit nicht mehr angeschraubt. Wenn wir sie festhalten und du fix die Schrauben einsetzt..."
"Klar, kein Problem, Papa", sagte Astrid und schraubte fix die vier Schrauben ein.
„Danke dir. Jetzt kommen wir wieder allein klar.“
„Gut. Ruft mich, wenn ihr mich braucht.“ Und sie ging die Treppe hinauf, um die Kisten auszupacken.
Gerade als Astrid durch die Kinderzimmertür trat, hörte sie hastiges Trappeln. Nanu? Machten Mäuse so laute Schritte? Zu sehen war nichts. Doch der eine Karton dort, stand der nicht anders als vorhin? Wieder ein Geräusch, dieses Mal ein ungeduldiges Ächzen. Astrid ging auf die Knie hinunter und krabbelte zum Stockbett hinüber. Irgendwo hier war es hergekommen. Sie musste an Gerda und Bruno gestern Nacht denken. Und dann sah sie etwas. Ein kleiner Po drängelte sich unter die Fußleiste! Er war pelzig und dunkel und ein Schwänzchen hing daran, mit einem gelben Pinsel am Ende! Erschrocken stolperte sie rückwärts, rieb sich die Augen und sah noch einmal hin. Nichts, nur eine gewöhnliche Fußleiste. Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, räumte sie die Kartons aus, wenngleich sie immer wieder verunsichert zur Fußleiste schmulte.
 



 
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