Hagen
Mitglied
Helles Licht ruhte sich auf meiner Bettdecke aus.
Ich hatte soeben mit Kitty Jitterbug getanzt, so richtig schön im 4/4tel Takt.
Wo tanzt man heute eigentlich noch Jitterbug?
Egal, die Zeiger meiner Uhr standen beide in der Gegend von zehn. Zeit zum Aufstehen.
Ich vermisste den Kaffeeduft, duschte mich ganz wach, setzte die Kaffeemaschine in Gang, zog meinen Ganovenanzug an, richtig fies mit Sonnenbrille und Hut und ging erst mal Brötchen holen.
Die brave Bäckereifachverkäuferin wollte wissen, ob draußen ganz strahlender Sonnenschein sei, oder ob das dreizehnte von den dreißig Bieren gestern wohl schlecht gewesen war.
Die Wahrheit wollte ich ihr nicht sagen, nahm die Sonnenbrille ab und begann zu blödeln. Es war zwar noch etwas früh am Morgen, und ich war noch nicht so recht in Form, aber es klappte schon recht gut: "Hab' die ganze Nacht gearbeitet", sagte ich, "das gesamte Pensum von zwei Wochen nachgeholt."
"So? Was arbeiten sie denn überhaupt, Herr von Wegen?"
"Ich arbeite bei einem Fernlehrinstitut. 'muss die Lehrbriefe korrigieren. - Sechs Vollkornbrötchen bitte und ein Pfund Kaffee."
"Den Kaffee gemahlen?"
"Ja, bitte."
Während die Kaffeemühle röhrte, flog wieder eine Frage auf mich zu: "Welche Lehrbriefe korrigieren sie denn?"
"Elektronik und Literatur."
"Eine merkwürdige Zusammenstellung. - Verstehen sie denn was von Literatur?"
"Nein, aber ich hab's mal ein paar Semester lang studiert. Eigentlich wollte ich ja Ägyptologie studieren, aber naja, wie das Leben so spielt. 'bin dann zur NASA und hab' an der Columbia mitgearbeitet. Leider ist die dann ja explodiert, und die haben alibimäßig alle Deutschen Konstrukteure entlassen, obwohl die Explosion nachweislich an einer Boosterrakete gelegen hat."
"Sowas darf man doch nicht, oder? Das können die doch nicht machen!"
"Die können noch was ganz anderes! Ich sollte gerade eine Professur am High-Tech-College von Sausolino übernehmen, aber damit war's natürlich dann auch Essig. - Naja, wir wollen zufrieden sein, dass wir noch leben, auf dem Rückflug aus den Staaten ist die Maschine abgestürzt. 'bin drei Tage im Rettungsfloß rumgepaddelt."
"Wie schrecklich! Wie haben sie das bloß überlebt?"
In mir tauchte die Frage auf, ob sich die Bäckereifachverkäuferin abends oder
sonst wann, überlegt, welche Fragen sie mir stellen könnte, um mich schon am frühen Morgen abzunerven.
"Tja, zwei Tage lang trieb eine Mine neben mir her. Muss wohl noch aus dem Krieg stammen. Hat sich wohl irgendwie losgerissen, das Ding. War jedenfalls eine deutsche Mine, sehr zuverlässig. Kennen sie die Minen mit den Zündern dran, die wie Stacheln aussehen?”
Die Bäckereifachverkäuferin nickte: "Hab' ich mal im Fernsehen gesehen."
"Richtig! Son Ding explodiert bei der leisesten Berührung, und das noch nach Jahrzehnten."
"Mein Gott, das muss ja furchtbar gewesen sein! Wer hat sie denn gerettet?"
"Von wegen gerettet! Ein Mann wird nicht gerettet, ein Mann rettet entweder sich selbst oder andere! Ich bin in Irland an Land getrieben und der IRA in die Hände gefallen. Die hielten mich für einen Engländer und wollten mich hinrichten.“
"Das muss ja schrecklich gewesen sein! Wie sind sie denn da wieder rausgekommen?"
"Tjaaa", dehnte ich die Antwort während ich angestrengt grübelte, "ich habe in dem Flugzeugmuseum von St. Athan eine Sopwith Camel repariert, aufgetankt und bin damit direkt nach London geflogen. Dort hatte mich im Nebel auf der Rollbahn ein Jumbo-Jet fast platt gemacht. Wissen sie, die Sopwith Camel wurde im ersten Weltkrieg gebaut. Sie besteht fast ganz aus Holz und ist deshalb vom Radar nicht zu erfassen."
Der Kaffee war durch gemahlen. Die brave Bäckereifachverkäuferin murkste mit der Tüte rum.
"Da haben sie ja allerhand durchgemacht. - Sagen sie, ich schreibe auch manchmal Gedichte, natürlich nicht so gut wie Goethe, würden sie die mal lesen, und mir sagen, ob ich da bei einem Verlag eventuell Chancen hätte?"
"Erstens können sie nur besser als dieser Goethe sein, denn was dieser Stümper zusammengeschrieben hat, ist der Komparativ von Schwachsinn. Was die zweite Sache betrifft, muss ich bedauern. Wir kennen uns ja, und ich kann nur Lehrbriefe korrigieren, weil die Leute dann für mich anonym sind. Ich bin sonst emotionell zu sehr beeinflusst, weil sie so ein netter Mensch sind, sie verstehen?"
"Natürlich."
"Aber wir können mal essen gehen. Wollen wir das nächste Woche mal tun?"
"Ich überlege mir das.“
Glücklicherweise kam eine alte Dame herein und wollte Mohnbrötchen haben, denn lange hätte ich diese Nummer vor dem Frühstück nicht durchgehalten.
Ich schnappte mir die Brötchen und den Kaffee, zahlte, setzte die Sonnenbrille wieder auf, wünschte noch einen fröhlichen Tag und schritt von dannen.
Vor der Tür des Hochhauses saßen, wie sollte es auch anders sein, Männe und Robert. Die wollten beide flippern, wahrscheinlich in Ermangelung von Bier. Ich lud die beiden zum Frühstück ein, weil alleine frühstücken mich immer depressiv macht.
Das nahmen sie gerne wahr, reduzierten meine Mettwurst, die Orangenmarmelade mit Whisky, den Kaffee sowieso, Männe wollte noch zu Werner, weil der noch irgendwo braune Farbe hatte, für die Bank, aber das hatte ja noch Zeit, und wollte dann Flippern.
Das taten wir auch, und als mein Bier alle war, wollten die beiden zum Fischen, das mit der Bank hatte ja noch Zeit, und schon waren sie wieder draußen.
Ich machte den Abwasch und fühlte mich, obwohl ich nicht alleine gefrühstückt hatte, depressiv.
Noch ein paar Anrufe, beim Partyservice und bei Herrn Hellinger, alles ging glatt durch und man freute sich auf die Party, ich zog mich wieder aus und ging nochmal ins Bett.
Alles gut.
Da lag ich dann und dachte an Kitty.
Ob es ihr wirklich noch gut ging?
Aber ich konnte nichts machen.
Kaum war ich wieder eingeschlafen und dabei, mit Kitty weiter Jitterbug zu tanzen, nein, es war diesmal Tango und Kitty hatte plötzlich einen Dolch in der Hand, mit dem sie mich führte, und dann war sie irgendein Reptil; - aber ein Reptil, welches mit Gold gefüttert werden musste, scheuchte mich das Telefon wieder hoch.
Kitty war am anderen Ende.
Es ging ihr gut, vorläufig noch und ich sollte mich mit dem Auftrag beeilen.
„Welchem Auftrag?“
„Das weiß ich auch nicht …“ und dann war plötzlich Jemand anderes dran: „Haben sie gehört?“
War ich noch im Traum oder was?
„Haben sie gehört, ihrer Kitty geht es noch gut. - Noch. Wann erledigen sie unseren Auftrag?“
Die Nummer war natürlich unterdrückt. Es konnte kein Traum sein.
„Sonnabend“, sagte ich, „eher geht es leider wirklich nicht!“
„Gut. Dann können wir Montag das Ding steigen lassen.“
„Was denn für ein Ding?“
„Das erfahren sie noch früh genug!“
Dann wurde aufgelegt.
Ich blieb noch eine Weile sitzen, bis ich das Telefon in die Halterung zurücklegte.
Nochmal duschen und mich anziehen, diesmal meine normalen Klamotten. Ein wenig fernsehen und dann wurde es Zeit, Mona abzuholen.
Mona schien mir wirklich in Ordnung, von schneller Entschlusskraft und sie stellte keine Fragen, bis wir bei des Hellingers Anwesen angekommen waren.
Dort parkte ich den Wagen draußen und kasperte das Zeremoniell mit der Sprechanlage durch.
Nachdem man uns eingelassen hatte, gingen Mona und ich den von Engeln gesäumten Weg entlang.
Vögel zwitscherten, und irgendwo summte ein Rasenmäher.
Ich dachte daran, dass der Besitzer dieser Idylle sein Geld mit Giftgas und illegalen Waffengeschäften verdiente.
Mona fragte, ob sie gut aussähe.
Ich nickte angesichts ihrer beiden Vorteile unter der semitransparenten Bluse und erwähnte mal kurz die Metallsensoren in der Tür.
Aber Mona schien das alles nicht zu interessieren, sie freute sich über den Park, lief irgendwann mal über den Rasen zu der Figur eines debil lächelnden Marmorengels mit einem Füllhorn auf dem Ast, stieg auf des Engels Sockel und guckte in das Füllhorn.
Ich blieb stehen.
In der Tür des Hauses war Frau Haigel, die Lächlerin, erschienen.
Ich machte eine hilflose Geste mit Händen und Schultern.
Mona kam wieder zurück und sagte: "Ich wollte nur mal eben schnell nachgucken, ob da ein Nest drin ist."
"Und? Ist eins drin?"
"Nein."
„Was ist denn dann da drin?"
"Nichts."
"Wieso nicht?"
"Was soll denn drin sein?"
"Das weiß ich doch nicht. Ich hab' da doch nicht reingeguckt, ich gucke nie in Füllhörner. Füllhörner sind dazu da, dass da was rauskommt, und nicht, dass man da reinguckt. Außerdem bringt es Unglück, wenn man in ein Füllhorn guckt. Deshalb steht der Engel ja auch auf einem Sockel, dass da nicht jeder reinguckt, weil das ja nun mal Unglück bringt."
"Wieso bringt das denn Unglück?"
"Das weiß ich nicht, aber meine Großeltern haben sich auch mal mit solch einem Engel fotografieren lassen, und mein Opa hat anschließend auch ins Füllhorn geguckt."
„… und dann?"
“Fünfzig Jahre später ist er gestorben."
"Meinst du echt, dass das was mit dem Füllhorn zu tun hatte?"
"Man kann nie wissen", sagte ich, und weil wir bei der Lächlerin angekommen waren auch noch:
"Guten Tag Frau Haigel. Wir sind mit Herrn Hellinger verabredet, dürfen wir eintreten?"
Frau Haigel trug diesmal ein Parfum, das so roch, als hätte sie in einem Raubtierkäfig übernachtet.
"Ja, sicher. - Führen sie Metall bei sich?"
Die beiden Damen schätzten sich kurz ab, die Blicke glitten von oben nach unten und ihre Mienen sprachen Bände:
'Eine Spießerin', dachte Mona sicherlich, 'wie die mich anguckt! Sicher geht die mit diesem Hellinger ins Bett'
'Ein Flittchen', dachte Frau Haigel, 'warum macht die sowas? Hat die das nötig?‘
Die Lächlerin hielt uns jedem eine Holzschale vor, ich legte Geldbörse und Wagenschlüssel hinein und trat durch die Tür.
Mona folgte mir und der Gong ertönte.
Die Lächlerin fragte um Erlaubnis, in die Handtasche sehen zu dürfen, und legte, nachdem Mona genickt hatte, eine kleine Geldbörse, einen Hausschlüssel, einen Parfumstep, einen Lippenstift, eine Puderdose und zwei Kreolen in die Schale. Danach war alles in Ordnung und die Lächlerin bat uns, in der Halle Platz zu nehmen.
Na gut, wir machten den Warter bis der Hellinger entlang kam und die Mona abholte, seine Blicke sogen sich förmlich an ihren Brustwarzen fest.
Die Lächlerin kam auch und holte mich in ein steriles Besprechungszimmer.
Streng seriös, alles rund und weiß. Schallschluckende Gardinen und Wandbehänge, es war bedrohlich still in dem Raum. Weiße Wände, weiße Möbel, die Atmosphäre war die einer Intensivstation bei Stromausfall nicht unähnlich.
"Hätten sie sich nicht ordentlich rasieren können, junger Mann?"
"'hab nächste Woche 'ne Feier für Filmproduzenten, da brauch' ich 'n Bart."
Das Lächeln Frau Haigels war nicht mehr da, nur noch leicht nach unten gezogene Mundwinkel, und dann kam wieder das Ding mit der Feier: Details über kalte Buffets, Champagnersorten, Kaviar, Kellner, Eiswürfel, Drinks, Bestecke und die Combo.
Ich musste mir Mühe geben, das alles so durchzuziehen, als ob ich es so ernst nehmen wurde, wie diese Frau Haigel, die ihre Seligkeit darin fand, sich so zu benehmen, dass ihres Chefs Auge möglichst wohlgefällig auf ihr ruhte.
"Möchten sie einen Kaffee, Herr Verweegen?"
"Von Herzen gerne. Zu jeder Zeit und in jeder Menge."
Frau Haigel aktivierte eine Kaffeemaschine, stellte weiße Tassen, Sahne und Zucker auf den Tisch, setzte sich mir gegenüber und ließ mich in ihren Ausschnitt sehen, während wir sprachen, und sie tat so, als ob sie es nicht bemerkte, aber in ihr war die Gewissheit, dass die Ansatze ihrer Brüste welk waren, und sie dem Herbst ihres Lebens entgegen schritt.
Sie wusste auch, dass sie es in dieser Beziehung nicht mit Mona aufnehmen konnte, und sie brachte Mona mit mir in Verbindung, und weil ich Mona gebracht hatte, und sie nicht gegen die junge Frau ankam, verachtete sie mich.
Sie kam aus der Starre ihrer Anstellung nicht heraus, sie trug diesmal ein graues Kleid mit braunem Muster; - unregelmäßige Quadrate.
Als wir bei den Lachsschnittchen waren, fragte ich sie, ob sie denn wohl auch rauchen wollte und zündete mir eine Zigarette an.
"Ich rauche nicht", sagte Frau Haigel und holte mir einen Aschenbecher, "Herr Hellinger sieht es aber nicht gerne, wenn hier geraucht wird."
"Ja, solche Menschen gibt es", sagte ich und rauchte weiter.
Die Kaffeemaschine röchelte den letzten Dampf durch.
Frau Haigel stand auf und schenkte uns ein, dabei stieß sie bei jeder Bewegung Parfumwolken ab, scharf wie der Bläsereinsatz einer guten Big Band.
"Frau Haigel, müssen wir das hier alles durchkauen? Künstlerische Gestaltung von Feiern ist mein Job. Wenn zu mir einer kommt und sagt: 'Mach' mir doch mal 'ne Feier!' dann mache ich ihm doch mal eine Feier, die er nicht vergisst. Hin und wieder biete ich Kunden auch eine Feier an, von denen ich weiß, dass sie es sich leisten können. Und ich verspreche ihnen, dass sie diese Feier nicht vergessen werden!"
Ich mischte meinen Kaffee ausnahmsweise mit Milch und Zucker und trank einen Schluck.
Kittys Kaffee war besser.
"Sie und ihre Damen werde ich bereits am Montag vergessen haben, wenn die Reste der Feier entfernt worden sind."
"Üblicherweise tun wir das, einschließlich Rasen mähen. Für die Entsorgung eventuell rumliegender Schnapsleichen sind wir allerdings nicht zuständig."
"Bei unseren Festen liegen keine Schnapsleichen herum!“
"Naja, bisher nicht. Wir hatten allerdings mal eine Feier organisiert, die die schwere Regierungskrise 1985 zur Folge hatte, ich kann ihnen sagen! Haben sie unsere Bundeskanzlerin schon mal total betrunken gesehen? Und Thomas de Maizière erst mal! Der hätte glatt einen Krieg angefangen, wenn er sich hätte entscheiden können, gegen wen. - Vielleicht sollten wir auch mal einen zusammen trinken, Frau Haigel."
"Ich trinke nicht, Herr Verweegen."
Verdammter Eisblock aus Pflichtbewusstsein.
Die Stille schlug wieder über uns zusammen, ich trank Kaffee, Frau Haigel blätterte in meinem Katalog.
Ich nahm meine inzwischen sehr kurze Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger und rauchte sie herunter, wie einer, der Kippen sucht und sich daraus Zigaretten dreht.
Wie es Mona jetzt wohl erging?
Was Kitty wohl jetzt machte?
Ich musste diesen Krüger irgendwie dazu bringen, mich an den Hubschrauber zu lassen …
Ich drückte die Zigarette aus, faltete die Hände, stützte die Ellenbogen auf die weiße Tischplatte und mein Kinn auf die Daumen.
Frau Haigel blätterte.
"Herr Verweegen, ich lese hier etwas von Obstsalat. Sind sie sicher, dass da auch wirklich ungespritztes Obst verarbeitet wird?"
"Wie der Tod", antwortete ich ohne mich zu bewegen, "aber ich hänge mich nochmal an unseren Zulieferer."
Vor meinem geistigen Auge tauchten betrunkene Partygäste auf, denen es der Komparativ von egal war, ob gespritzt oder nicht, die sich ihre Teller vollluden und halb leergefressen irgendwo stehen ließen, und das sorgsam von vielen Händen angerichtete Salatbuffet wie eine Müllhalde hinterließen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, welche Mühe es gekostet hatte, Obst und Salate anzubauen, zu pflegen und zu ernten, während irgendwo anders auf der Welt die Menschen hungerten.
Die Zeit tropfte dahin, Frau Haigel blätterte halbherzig in dem Katalog und sah hin und wieder zur Uhr. Sicher verbumfiedelte sie mit größter Selbstverständlichkeit ihren Feierabend mit diesem blöden Katalog, nur weil dieser Giftgashändler sie möglicherweise loben würde.
Ich trank Kaffee und versuchte verzweifelt Frau Haigel ein Gespräch über das Wetter, die bevorstehenden Giftgastransporte und Gartenfeste schlechthin aufzudrängen, nix kam in Gang und der Kaffee war auch bald alle. Kekse hatte sie auch keine.
Es gibt einen alten Dirnenspruch: aus dem Bette aus dem Sinn, sonst schafft man es nicht, erhobenen Hauptes aus der Tür zu gehen und am nächsten Morgen in den Spiegel zu sehen.
Mona beherzigte diesen Spruch, als sie von Herrn Hellinger entlassen wurde.
Ich war auch erleichtert, als Herr Hellinger mir die Hand drückte und augenzwinkernd: "dann also bis Sonnabend, junger Mann", sagte.
Mona schien das Gefühl zu haben, Arbeit gemacht zu haben, und ich, so schien sie zu denken, würde an der Feier Geld verdienen und Herr Hellinger würde sie von der Steuer absetzen, vielleicht auch den Hunderter, den er ihr anschließend in die Hand gedrückt hatte.
'Mit einem lächerlichen Hunderter kaufen sich diese Leute immer von allem frei', dachte Mona, 'irgendwie habe ich die Männer satt!'
So oder ähnlich schien Mona zu denken, als ich sie wieder in die ‘Schwarze Orchidee‘ brachte.
Dort herrschte eine gelöste Stimmung, weil Hoffstett, der Geschäftsführer, den Abend nicht gekommen war.
Ich hatte am Billard meinen starken Tag, nur gegen Elke, die ganz in Schwarz gekleidete Bardame, kam ich nicht an.
Und dann waren da noch die Zahnärzte.
Vier oder fünf Zahnärzte, die sich amüsieren wollten, kamen in die Bar und einer erzählte mir dauernd Zahnarztwitze:
"... 'Mann’, sagt der Zahnarzt als er sich über das Gebiss einer Patientin beugt, 'haben sie aber ein Loch - Loch - Loch! Fragt die Patientin: 'Warum sagen sie das denn dreimal, Herr Doktor?' Sagt der Arzt: 'Das habe ich nicht dreimal gesagt, das war das Echo."'
Etwas geschmacklos fand ich allerdings, dass er mir die gleiche Story später, als er etwas mehr getrunken hatte, als Gynäkologenwitz erzählte.
Jetzt hatte ich das Gefühl, eine Geschichte erzählen zu müssen: „Ich geriet doch zufällig mal in einen Zahnärztekongress", phantasierte ich, "und nachdem wir so richtig schön einen getrunken hatten, fingen die Zahnärzte an, sich gegenseitig die Zähne zu ziehen. Ich hab's auch gelernt, sehen sie hier", ich deutete irgendwo tief in meinen Mund, "ich kann auch Zähne ziehen! Darf ich ihnen denn mal eben einen Zahn ziehen, Herr Doktor?"
Der brave Zahnarzt machte ein verständnisloses Gesicht.
"Nur einen Zahn, Herr Doktor, ganz hinten …“
Der Zahnarzt ergriff wortlos die Flucht.
'Wie gut, dass ich nicht an Leute geraten bin, die sonst Bullen kastrieren', dachte ich und trank noch einen.
Dann wurde es aber Zeit für mich nach Hause zu fahren, schließlich war ich nicht zu meinem Vergnügen hier.
Ich verabschiedete mich noch von Mona, die inzwischen mit einem der Zahnärzte beschäftigt war, und rollte heimwärts.
Aber was sollte ich da?
Auf meinem Anrufbeantworter war absolut nichts und ich hatte Hunger. Dagegen soll essen gut sein und ich ging auf eine Currywurst in den Imbiss schräg gegenüber.
Dabei passierte seltsamerweise auch nichts, und da meine Biervorräte dank Männes Hilfe absolut erschöpft waren, ging ich noch auf zwei oder drei Bier in die Kneipe daneben.
Da war natürlich auch nichts los, nur die Bäckereifachverkäuferin saß an der Theke rum und verbreitete Trübsinn. Ich setzte mich dazu, bestellte zwei Bier und fragte:
„Wie heißt du überhaupt?“
„Vera“, sagte sie und fummelte an ihrer Handtasche herum. „Und wie heißt du mit Vornamen?“
„Hagen. Wollen wir den mal richtig schön einen zusammen trinken – Vera?“
„Das müssen wir sogar! – Lass‘ doch deine blöden Lehrbriefe mal in Ruhe, bringt sowieso nix.“
„Das kann man wohl sagen! – Prost Vera.“
„Prost Hagen.“
Wir tranken zusammen, manches Bier und selbst die dümmste Anmachsprüche, wie: ‘Hat es eigentlich weh getan, als du aus dem Himmel gefallen bist‘? schienen bei Vera auf fruchtbaren Boden zu fallen.
Aber irgendwann ging bei mir der Vorhang zu und das Licht aus.
Ich hatte soeben mit Kitty Jitterbug getanzt, so richtig schön im 4/4tel Takt.
Wo tanzt man heute eigentlich noch Jitterbug?
Egal, die Zeiger meiner Uhr standen beide in der Gegend von zehn. Zeit zum Aufstehen.
Ich vermisste den Kaffeeduft, duschte mich ganz wach, setzte die Kaffeemaschine in Gang, zog meinen Ganovenanzug an, richtig fies mit Sonnenbrille und Hut und ging erst mal Brötchen holen.
Die brave Bäckereifachverkäuferin wollte wissen, ob draußen ganz strahlender Sonnenschein sei, oder ob das dreizehnte von den dreißig Bieren gestern wohl schlecht gewesen war.
Die Wahrheit wollte ich ihr nicht sagen, nahm die Sonnenbrille ab und begann zu blödeln. Es war zwar noch etwas früh am Morgen, und ich war noch nicht so recht in Form, aber es klappte schon recht gut: "Hab' die ganze Nacht gearbeitet", sagte ich, "das gesamte Pensum von zwei Wochen nachgeholt."
"So? Was arbeiten sie denn überhaupt, Herr von Wegen?"
"Ich arbeite bei einem Fernlehrinstitut. 'muss die Lehrbriefe korrigieren. - Sechs Vollkornbrötchen bitte und ein Pfund Kaffee."
"Den Kaffee gemahlen?"
"Ja, bitte."
Während die Kaffeemühle röhrte, flog wieder eine Frage auf mich zu: "Welche Lehrbriefe korrigieren sie denn?"
"Elektronik und Literatur."
"Eine merkwürdige Zusammenstellung. - Verstehen sie denn was von Literatur?"
"Nein, aber ich hab's mal ein paar Semester lang studiert. Eigentlich wollte ich ja Ägyptologie studieren, aber naja, wie das Leben so spielt. 'bin dann zur NASA und hab' an der Columbia mitgearbeitet. Leider ist die dann ja explodiert, und die haben alibimäßig alle Deutschen Konstrukteure entlassen, obwohl die Explosion nachweislich an einer Boosterrakete gelegen hat."
"Sowas darf man doch nicht, oder? Das können die doch nicht machen!"
"Die können noch was ganz anderes! Ich sollte gerade eine Professur am High-Tech-College von Sausolino übernehmen, aber damit war's natürlich dann auch Essig. - Naja, wir wollen zufrieden sein, dass wir noch leben, auf dem Rückflug aus den Staaten ist die Maschine abgestürzt. 'bin drei Tage im Rettungsfloß rumgepaddelt."
"Wie schrecklich! Wie haben sie das bloß überlebt?"
In mir tauchte die Frage auf, ob sich die Bäckereifachverkäuferin abends oder
sonst wann, überlegt, welche Fragen sie mir stellen könnte, um mich schon am frühen Morgen abzunerven.
"Tja, zwei Tage lang trieb eine Mine neben mir her. Muss wohl noch aus dem Krieg stammen. Hat sich wohl irgendwie losgerissen, das Ding. War jedenfalls eine deutsche Mine, sehr zuverlässig. Kennen sie die Minen mit den Zündern dran, die wie Stacheln aussehen?”
Die Bäckereifachverkäuferin nickte: "Hab' ich mal im Fernsehen gesehen."
"Richtig! Son Ding explodiert bei der leisesten Berührung, und das noch nach Jahrzehnten."
"Mein Gott, das muss ja furchtbar gewesen sein! Wer hat sie denn gerettet?"
"Von wegen gerettet! Ein Mann wird nicht gerettet, ein Mann rettet entweder sich selbst oder andere! Ich bin in Irland an Land getrieben und der IRA in die Hände gefallen. Die hielten mich für einen Engländer und wollten mich hinrichten.“
"Das muss ja schrecklich gewesen sein! Wie sind sie denn da wieder rausgekommen?"
"Tjaaa", dehnte ich die Antwort während ich angestrengt grübelte, "ich habe in dem Flugzeugmuseum von St. Athan eine Sopwith Camel repariert, aufgetankt und bin damit direkt nach London geflogen. Dort hatte mich im Nebel auf der Rollbahn ein Jumbo-Jet fast platt gemacht. Wissen sie, die Sopwith Camel wurde im ersten Weltkrieg gebaut. Sie besteht fast ganz aus Holz und ist deshalb vom Radar nicht zu erfassen."
Der Kaffee war durch gemahlen. Die brave Bäckereifachverkäuferin murkste mit der Tüte rum.
"Da haben sie ja allerhand durchgemacht. - Sagen sie, ich schreibe auch manchmal Gedichte, natürlich nicht so gut wie Goethe, würden sie die mal lesen, und mir sagen, ob ich da bei einem Verlag eventuell Chancen hätte?"
"Erstens können sie nur besser als dieser Goethe sein, denn was dieser Stümper zusammengeschrieben hat, ist der Komparativ von Schwachsinn. Was die zweite Sache betrifft, muss ich bedauern. Wir kennen uns ja, und ich kann nur Lehrbriefe korrigieren, weil die Leute dann für mich anonym sind. Ich bin sonst emotionell zu sehr beeinflusst, weil sie so ein netter Mensch sind, sie verstehen?"
"Natürlich."
"Aber wir können mal essen gehen. Wollen wir das nächste Woche mal tun?"
"Ich überlege mir das.“
Glücklicherweise kam eine alte Dame herein und wollte Mohnbrötchen haben, denn lange hätte ich diese Nummer vor dem Frühstück nicht durchgehalten.
Ich schnappte mir die Brötchen und den Kaffee, zahlte, setzte die Sonnenbrille wieder auf, wünschte noch einen fröhlichen Tag und schritt von dannen.
Vor der Tür des Hochhauses saßen, wie sollte es auch anders sein, Männe und Robert. Die wollten beide flippern, wahrscheinlich in Ermangelung von Bier. Ich lud die beiden zum Frühstück ein, weil alleine frühstücken mich immer depressiv macht.
Das nahmen sie gerne wahr, reduzierten meine Mettwurst, die Orangenmarmelade mit Whisky, den Kaffee sowieso, Männe wollte noch zu Werner, weil der noch irgendwo braune Farbe hatte, für die Bank, aber das hatte ja noch Zeit, und wollte dann Flippern.
Das taten wir auch, und als mein Bier alle war, wollten die beiden zum Fischen, das mit der Bank hatte ja noch Zeit, und schon waren sie wieder draußen.
Ich machte den Abwasch und fühlte mich, obwohl ich nicht alleine gefrühstückt hatte, depressiv.
Noch ein paar Anrufe, beim Partyservice und bei Herrn Hellinger, alles ging glatt durch und man freute sich auf die Party, ich zog mich wieder aus und ging nochmal ins Bett.
Alles gut.
Da lag ich dann und dachte an Kitty.
Ob es ihr wirklich noch gut ging?
Aber ich konnte nichts machen.
Kaum war ich wieder eingeschlafen und dabei, mit Kitty weiter Jitterbug zu tanzen, nein, es war diesmal Tango und Kitty hatte plötzlich einen Dolch in der Hand, mit dem sie mich führte, und dann war sie irgendein Reptil; - aber ein Reptil, welches mit Gold gefüttert werden musste, scheuchte mich das Telefon wieder hoch.
Kitty war am anderen Ende.
Es ging ihr gut, vorläufig noch und ich sollte mich mit dem Auftrag beeilen.
„Welchem Auftrag?“
„Das weiß ich auch nicht …“ und dann war plötzlich Jemand anderes dran: „Haben sie gehört?“
War ich noch im Traum oder was?
„Haben sie gehört, ihrer Kitty geht es noch gut. - Noch. Wann erledigen sie unseren Auftrag?“
Die Nummer war natürlich unterdrückt. Es konnte kein Traum sein.
„Sonnabend“, sagte ich, „eher geht es leider wirklich nicht!“
„Gut. Dann können wir Montag das Ding steigen lassen.“
„Was denn für ein Ding?“
„Das erfahren sie noch früh genug!“
Dann wurde aufgelegt.
Ich blieb noch eine Weile sitzen, bis ich das Telefon in die Halterung zurücklegte.
Nochmal duschen und mich anziehen, diesmal meine normalen Klamotten. Ein wenig fernsehen und dann wurde es Zeit, Mona abzuholen.
Mona schien mir wirklich in Ordnung, von schneller Entschlusskraft und sie stellte keine Fragen, bis wir bei des Hellingers Anwesen angekommen waren.
Dort parkte ich den Wagen draußen und kasperte das Zeremoniell mit der Sprechanlage durch.
Nachdem man uns eingelassen hatte, gingen Mona und ich den von Engeln gesäumten Weg entlang.
Vögel zwitscherten, und irgendwo summte ein Rasenmäher.
Ich dachte daran, dass der Besitzer dieser Idylle sein Geld mit Giftgas und illegalen Waffengeschäften verdiente.
Mona fragte, ob sie gut aussähe.
Ich nickte angesichts ihrer beiden Vorteile unter der semitransparenten Bluse und erwähnte mal kurz die Metallsensoren in der Tür.
Aber Mona schien das alles nicht zu interessieren, sie freute sich über den Park, lief irgendwann mal über den Rasen zu der Figur eines debil lächelnden Marmorengels mit einem Füllhorn auf dem Ast, stieg auf des Engels Sockel und guckte in das Füllhorn.
Ich blieb stehen.
In der Tür des Hauses war Frau Haigel, die Lächlerin, erschienen.
Ich machte eine hilflose Geste mit Händen und Schultern.
Mona kam wieder zurück und sagte: "Ich wollte nur mal eben schnell nachgucken, ob da ein Nest drin ist."
"Und? Ist eins drin?"
"Nein."
„Was ist denn dann da drin?"
"Nichts."
"Wieso nicht?"
"Was soll denn drin sein?"
"Das weiß ich doch nicht. Ich hab' da doch nicht reingeguckt, ich gucke nie in Füllhörner. Füllhörner sind dazu da, dass da was rauskommt, und nicht, dass man da reinguckt. Außerdem bringt es Unglück, wenn man in ein Füllhorn guckt. Deshalb steht der Engel ja auch auf einem Sockel, dass da nicht jeder reinguckt, weil das ja nun mal Unglück bringt."
"Wieso bringt das denn Unglück?"
"Das weiß ich nicht, aber meine Großeltern haben sich auch mal mit solch einem Engel fotografieren lassen, und mein Opa hat anschließend auch ins Füllhorn geguckt."
„… und dann?"
“Fünfzig Jahre später ist er gestorben."
"Meinst du echt, dass das was mit dem Füllhorn zu tun hatte?"
"Man kann nie wissen", sagte ich, und weil wir bei der Lächlerin angekommen waren auch noch:
"Guten Tag Frau Haigel. Wir sind mit Herrn Hellinger verabredet, dürfen wir eintreten?"
Frau Haigel trug diesmal ein Parfum, das so roch, als hätte sie in einem Raubtierkäfig übernachtet.
"Ja, sicher. - Führen sie Metall bei sich?"
Die beiden Damen schätzten sich kurz ab, die Blicke glitten von oben nach unten und ihre Mienen sprachen Bände:
'Eine Spießerin', dachte Mona sicherlich, 'wie die mich anguckt! Sicher geht die mit diesem Hellinger ins Bett'
'Ein Flittchen', dachte Frau Haigel, 'warum macht die sowas? Hat die das nötig?‘
Die Lächlerin hielt uns jedem eine Holzschale vor, ich legte Geldbörse und Wagenschlüssel hinein und trat durch die Tür.
Mona folgte mir und der Gong ertönte.
Die Lächlerin fragte um Erlaubnis, in die Handtasche sehen zu dürfen, und legte, nachdem Mona genickt hatte, eine kleine Geldbörse, einen Hausschlüssel, einen Parfumstep, einen Lippenstift, eine Puderdose und zwei Kreolen in die Schale. Danach war alles in Ordnung und die Lächlerin bat uns, in der Halle Platz zu nehmen.
Na gut, wir machten den Warter bis der Hellinger entlang kam und die Mona abholte, seine Blicke sogen sich förmlich an ihren Brustwarzen fest.
Die Lächlerin kam auch und holte mich in ein steriles Besprechungszimmer.
Streng seriös, alles rund und weiß. Schallschluckende Gardinen und Wandbehänge, es war bedrohlich still in dem Raum. Weiße Wände, weiße Möbel, die Atmosphäre war die einer Intensivstation bei Stromausfall nicht unähnlich.
"Hätten sie sich nicht ordentlich rasieren können, junger Mann?"
"'hab nächste Woche 'ne Feier für Filmproduzenten, da brauch' ich 'n Bart."
Das Lächeln Frau Haigels war nicht mehr da, nur noch leicht nach unten gezogene Mundwinkel, und dann kam wieder das Ding mit der Feier: Details über kalte Buffets, Champagnersorten, Kaviar, Kellner, Eiswürfel, Drinks, Bestecke und die Combo.
Ich musste mir Mühe geben, das alles so durchzuziehen, als ob ich es so ernst nehmen wurde, wie diese Frau Haigel, die ihre Seligkeit darin fand, sich so zu benehmen, dass ihres Chefs Auge möglichst wohlgefällig auf ihr ruhte.
"Möchten sie einen Kaffee, Herr Verweegen?"
"Von Herzen gerne. Zu jeder Zeit und in jeder Menge."
Frau Haigel aktivierte eine Kaffeemaschine, stellte weiße Tassen, Sahne und Zucker auf den Tisch, setzte sich mir gegenüber und ließ mich in ihren Ausschnitt sehen, während wir sprachen, und sie tat so, als ob sie es nicht bemerkte, aber in ihr war die Gewissheit, dass die Ansatze ihrer Brüste welk waren, und sie dem Herbst ihres Lebens entgegen schritt.
Sie wusste auch, dass sie es in dieser Beziehung nicht mit Mona aufnehmen konnte, und sie brachte Mona mit mir in Verbindung, und weil ich Mona gebracht hatte, und sie nicht gegen die junge Frau ankam, verachtete sie mich.
Sie kam aus der Starre ihrer Anstellung nicht heraus, sie trug diesmal ein graues Kleid mit braunem Muster; - unregelmäßige Quadrate.
Als wir bei den Lachsschnittchen waren, fragte ich sie, ob sie denn wohl auch rauchen wollte und zündete mir eine Zigarette an.
"Ich rauche nicht", sagte Frau Haigel und holte mir einen Aschenbecher, "Herr Hellinger sieht es aber nicht gerne, wenn hier geraucht wird."
"Ja, solche Menschen gibt es", sagte ich und rauchte weiter.
Die Kaffeemaschine röchelte den letzten Dampf durch.
Frau Haigel stand auf und schenkte uns ein, dabei stieß sie bei jeder Bewegung Parfumwolken ab, scharf wie der Bläsereinsatz einer guten Big Band.
"Frau Haigel, müssen wir das hier alles durchkauen? Künstlerische Gestaltung von Feiern ist mein Job. Wenn zu mir einer kommt und sagt: 'Mach' mir doch mal 'ne Feier!' dann mache ich ihm doch mal eine Feier, die er nicht vergisst. Hin und wieder biete ich Kunden auch eine Feier an, von denen ich weiß, dass sie es sich leisten können. Und ich verspreche ihnen, dass sie diese Feier nicht vergessen werden!"
Ich mischte meinen Kaffee ausnahmsweise mit Milch und Zucker und trank einen Schluck.
Kittys Kaffee war besser.
"Sie und ihre Damen werde ich bereits am Montag vergessen haben, wenn die Reste der Feier entfernt worden sind."
"Üblicherweise tun wir das, einschließlich Rasen mähen. Für die Entsorgung eventuell rumliegender Schnapsleichen sind wir allerdings nicht zuständig."
"Bei unseren Festen liegen keine Schnapsleichen herum!“
"Naja, bisher nicht. Wir hatten allerdings mal eine Feier organisiert, die die schwere Regierungskrise 1985 zur Folge hatte, ich kann ihnen sagen! Haben sie unsere Bundeskanzlerin schon mal total betrunken gesehen? Und Thomas de Maizière erst mal! Der hätte glatt einen Krieg angefangen, wenn er sich hätte entscheiden können, gegen wen. - Vielleicht sollten wir auch mal einen zusammen trinken, Frau Haigel."
"Ich trinke nicht, Herr Verweegen."
Verdammter Eisblock aus Pflichtbewusstsein.
Die Stille schlug wieder über uns zusammen, ich trank Kaffee, Frau Haigel blätterte in meinem Katalog.
Ich nahm meine inzwischen sehr kurze Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger und rauchte sie herunter, wie einer, der Kippen sucht und sich daraus Zigaretten dreht.
Wie es Mona jetzt wohl erging?
Was Kitty wohl jetzt machte?
Ich musste diesen Krüger irgendwie dazu bringen, mich an den Hubschrauber zu lassen …
Ich drückte die Zigarette aus, faltete die Hände, stützte die Ellenbogen auf die weiße Tischplatte und mein Kinn auf die Daumen.
Frau Haigel blätterte.
"Herr Verweegen, ich lese hier etwas von Obstsalat. Sind sie sicher, dass da auch wirklich ungespritztes Obst verarbeitet wird?"
"Wie der Tod", antwortete ich ohne mich zu bewegen, "aber ich hänge mich nochmal an unseren Zulieferer."
Vor meinem geistigen Auge tauchten betrunkene Partygäste auf, denen es der Komparativ von egal war, ob gespritzt oder nicht, die sich ihre Teller vollluden und halb leergefressen irgendwo stehen ließen, und das sorgsam von vielen Händen angerichtete Salatbuffet wie eine Müllhalde hinterließen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, welche Mühe es gekostet hatte, Obst und Salate anzubauen, zu pflegen und zu ernten, während irgendwo anders auf der Welt die Menschen hungerten.
Die Zeit tropfte dahin, Frau Haigel blätterte halbherzig in dem Katalog und sah hin und wieder zur Uhr. Sicher verbumfiedelte sie mit größter Selbstverständlichkeit ihren Feierabend mit diesem blöden Katalog, nur weil dieser Giftgashändler sie möglicherweise loben würde.
Ich trank Kaffee und versuchte verzweifelt Frau Haigel ein Gespräch über das Wetter, die bevorstehenden Giftgastransporte und Gartenfeste schlechthin aufzudrängen, nix kam in Gang und der Kaffee war auch bald alle. Kekse hatte sie auch keine.
Es gibt einen alten Dirnenspruch: aus dem Bette aus dem Sinn, sonst schafft man es nicht, erhobenen Hauptes aus der Tür zu gehen und am nächsten Morgen in den Spiegel zu sehen.
Mona beherzigte diesen Spruch, als sie von Herrn Hellinger entlassen wurde.
Ich war auch erleichtert, als Herr Hellinger mir die Hand drückte und augenzwinkernd: "dann also bis Sonnabend, junger Mann", sagte.
Mona schien das Gefühl zu haben, Arbeit gemacht zu haben, und ich, so schien sie zu denken, würde an der Feier Geld verdienen und Herr Hellinger würde sie von der Steuer absetzen, vielleicht auch den Hunderter, den er ihr anschließend in die Hand gedrückt hatte.
'Mit einem lächerlichen Hunderter kaufen sich diese Leute immer von allem frei', dachte Mona, 'irgendwie habe ich die Männer satt!'
So oder ähnlich schien Mona zu denken, als ich sie wieder in die ‘Schwarze Orchidee‘ brachte.
Dort herrschte eine gelöste Stimmung, weil Hoffstett, der Geschäftsführer, den Abend nicht gekommen war.
Ich hatte am Billard meinen starken Tag, nur gegen Elke, die ganz in Schwarz gekleidete Bardame, kam ich nicht an.
Und dann waren da noch die Zahnärzte.
Vier oder fünf Zahnärzte, die sich amüsieren wollten, kamen in die Bar und einer erzählte mir dauernd Zahnarztwitze:
"... 'Mann’, sagt der Zahnarzt als er sich über das Gebiss einer Patientin beugt, 'haben sie aber ein Loch - Loch - Loch! Fragt die Patientin: 'Warum sagen sie das denn dreimal, Herr Doktor?' Sagt der Arzt: 'Das habe ich nicht dreimal gesagt, das war das Echo."'
Etwas geschmacklos fand ich allerdings, dass er mir die gleiche Story später, als er etwas mehr getrunken hatte, als Gynäkologenwitz erzählte.
Jetzt hatte ich das Gefühl, eine Geschichte erzählen zu müssen: „Ich geriet doch zufällig mal in einen Zahnärztekongress", phantasierte ich, "und nachdem wir so richtig schön einen getrunken hatten, fingen die Zahnärzte an, sich gegenseitig die Zähne zu ziehen. Ich hab's auch gelernt, sehen sie hier", ich deutete irgendwo tief in meinen Mund, "ich kann auch Zähne ziehen! Darf ich ihnen denn mal eben einen Zahn ziehen, Herr Doktor?"
Der brave Zahnarzt machte ein verständnisloses Gesicht.
"Nur einen Zahn, Herr Doktor, ganz hinten …“
Der Zahnarzt ergriff wortlos die Flucht.
'Wie gut, dass ich nicht an Leute geraten bin, die sonst Bullen kastrieren', dachte ich und trank noch einen.
Dann wurde es aber Zeit für mich nach Hause zu fahren, schließlich war ich nicht zu meinem Vergnügen hier.
Ich verabschiedete mich noch von Mona, die inzwischen mit einem der Zahnärzte beschäftigt war, und rollte heimwärts.
Aber was sollte ich da?
Auf meinem Anrufbeantworter war absolut nichts und ich hatte Hunger. Dagegen soll essen gut sein und ich ging auf eine Currywurst in den Imbiss schräg gegenüber.
Dabei passierte seltsamerweise auch nichts, und da meine Biervorräte dank Männes Hilfe absolut erschöpft waren, ging ich noch auf zwei oder drei Bier in die Kneipe daneben.
Da war natürlich auch nichts los, nur die Bäckereifachverkäuferin saß an der Theke rum und verbreitete Trübsinn. Ich setzte mich dazu, bestellte zwei Bier und fragte:
„Wie heißt du überhaupt?“
„Vera“, sagte sie und fummelte an ihrer Handtasche herum. „Und wie heißt du mit Vornamen?“
„Hagen. Wollen wir den mal richtig schön einen zusammen trinken – Vera?“
„Das müssen wir sogar! – Lass‘ doch deine blöden Lehrbriefe mal in Ruhe, bringt sowieso nix.“
„Das kann man wohl sagen! – Prost Vera.“
„Prost Hagen.“
Wir tranken zusammen, manches Bier und selbst die dümmste Anmachsprüche, wie: ‘Hat es eigentlich weh getan, als du aus dem Himmel gefallen bist‘? schienen bei Vera auf fruchtbaren Boden zu fallen.
Aber irgendwann ging bei mir der Vorhang zu und das Licht aus.