Der Doppelgänger X.. Vera mischt mit

Hagen

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Ich war in eine venezianische Palastigkeit gestürzt. Zwei vollkommen identische, nackte marmorne Jünglinge hielten so etwas wie einen Betthimmel, in dem eine Lichterkette ebenso brutal wie permanent vor sich hin blinkte. Ein antiker Kleiderschrank in der Ecke war insofern vergewaltigt worden, als dass jemand ihn mit Dispersionsfarbe rosa marmoriert hatte. Ein goldstrotzendes Werk in Anlehnung an Gustav Klimt hing leicht schief auf der Tapete, die alles um sie herum in einen mittsommerlichen Mückentanz zu verwandeln schien.
Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf das Innere meines Kopfes. Ich hatte schon schlimmere Räusche gehabt, auch den hier würde ich mit einer kalten Dusche und ein paar Tassen Kaffee in den Griff kriegen.
Künstliches Vogelgezwitscher hing in der mit dumpfen Patschoulischwaden geschwängerten Luft.
Irgendwo musste es einen Schalter geben, um das auszuknipsen.
Stattdessen berührten meine tastend auf dem Nachttisch umherirrenden Finger irgendein Spannung führendes Teil.
Der Stromschlag schleuderte mich vollends in die Wirklichkeit. Ich riss die Augen auf und starrte auf die durchgescheuerte Leitung einer Nachtischlampe.
Blitzartig schoss mir eine Story meines Großvaters in den Kopf.
Damals vor Verdun.
Sie waren gerade dabei, eins der ersten Feldtelefone anzuschließen, im Graben und unter leichtem Beschuss. Die Franzosen pflegten hin und wieder mal den einen oder anderen Gewehrschuss in Richtung der deutschen Gräben abzugeben, um die Soldaten unten zu halten. In dem Moment, in dem der Fernmelder der Kompanie meines Opas die beiden Leitungen anschloss, muss der Kamerad am anderen Ende den Kurbelinduktor gedreht haben. Der Fernmelder bekam einen Schlag und sprang vor Schreck auf, war ja noch neu, die Technik und ungewohnt. Für einen winzigen Moment ragte sein Kopf über den Grabenrand. Beim Runterkommen drehte er sich halb um; - er hatte einen Einschuss mitten in der Stirn, direkt unter dem Stahlhelmrand und starrte meinen Opa aus glasigen, toten Augen an.
Wieso fiel mir ausgerechnet jetzt diese Geschichte ein?
Egal. Was half’s?
Dem Druck in meiner Blase folgend, suchte ich das Klo und fand es am Ende des Flurs. Ein lebensgroßer, sehr naturalistisch wirkender, grinsender Engel hatte mir den Weg gewiesen.
Mein Blick fiel auf ein seltsames Individuum, welches in der Ecke gegenüber des Klosetts saß und mir milde zulächelte; - aber von der oberen Ecke, und dergestalt, als sei die linke Wand der Boden und die Decke die rechte Wand. Selbst mit besoffenem Kopf und auf den dritten Blick sah die Gestalt täuschend echt und richtig menschlich aus.
Die Kreatur in der oberen linken Ecke war das exakte Ebenbild Mick Jaggers von den Rolling Stones. Es schien, als sei der Herr mitten in der Bewegung erstarrt und irgendein Abartiger hatte ihn an die Decke geschraubt. Eine Tucke von dem Typ, die immer so wirken, als seien sie ohnehin nur knapp der Mausefalle entkommen, hätte sicherlich hysterisch kreischend das Weite gesucht. Hier mit besoffenem Kopf zu sitzen, stellte ich mir infernalisch vor.
Ich dagegen zog mich schnell an, prüfte den Inhalt meiner Taschen und machte mich gnadenlos davon.
Mein Portemonnaie steckte zusammen mit den Schlüsseln in der linken Hosentasche, Ausweis, Handy und Führerschein lagen lose darin, obwohl ich sie immer ins hintere Fach steckte. Beraubt worden war ich jedenfalls nicht.
Vera erschien, als ich gerade im Begriff war, ein Taxi anzurufen.
”Guten Morgen! Ich habe mal eben schnell Brötchen vom Kiosk geholt, war auch keine Marmelade mehr da. Du magst doch Quittengelee? Hab auch noch Käse mitgebracht, ist Gouda recht?”, sprudelte sie, wobei sie mich ohne Unterbrechung mit den Augen abtastete.
Sie sah eigentlich gar nicht schlecht aus, jedenfalls hatte sie keinen BH an und ihre Brüste standen trotzdem. Ansonsten hätte sie glatt als Bette Midler oder Barbra Streisand-Double durchgehen können.
Ich klappte mein Handy zusammen und wandte mich wieder meiner Gastgeberin zu: „Sag mal, hast du meine Sachen gefilzt?”
„Wie kommst du denn da drauf? Dein Portemonnaie war rausgefallen. Ich hab’s wieder rein gesteckt. Du warst ja ganz schön hinüber, gestern. Ich konnte dich doch nicht einfach da liegen lassen.”
„Haben wir’s gestern noch … äh, getrieben?“
„Nein. Aber was nicht ist … ich bin extra heute nicht zur Arbeit gegangen …“
Selbstbeweihräucherung vom Allerfeinsten und wieso ich schon angezogen wäre, „da können wir ja statt im Bett im Wohnzimmer oder hinten im Garten frühstücken!“
Ich muss wohl im Hinblick auf ein ordentliches Frühstück ebenso hörbar wie hingebungsvoll ausgeatmet haben und folgte Vera in die Küche, aber den Gefallen, sie auf die bizarre Figur in ihrem Örtchen anzusprechen, tat ich ihr nicht.
Abklären, wie ich hierhergekommen war, konnte ich auch bei ein paar Tassen Kaffee und dem einen oder anderen Mettwurstbrötchen.
In dieser Küche war alles etwas dunkel, denn eine riesige Kastanie verwehrte den Sonnenstrahlen jegliche Passage durch die sprungverzierten Fensterscheiben.
Ich suchte vergeblich nach einer geraden Linie in dem Raum. Alles war irgendwie rund, aber nicht kreisrund und auch nicht elliptisch, eher so, als hätte einer wahllos mit einem Kurvenlineal rumgemacht, und zwar einer mit mächtig Koks in der Blutbahn, oder zumindest mit Besoffenheit.
Dann schaltete Vera auch noch ein Radio mit einem Klang ein, das die Bezeichnung ‘Klirrfaktorverstärker’ verdiente.
„Geil, nicht? Ingolf hat die Form des Gehäuses ein wenig verändert, das sieht doch geil aus, nicht wahr?“
„Na, ich weiß nicht …“
Ich konnte mich der Frage nach dem Ursprung dieser Kuriositäten, die mich hier überall umdrängten und eine gewisse Beklemmung hervorriefen, nicht erwehren.
”Geil nicht? Hat alles Ingolf eingerichtet. Der war Designer, hat sogar Preise gewonnen. - Weißt du, das ist hier ein altes Bauernhaus, da haben die fünf Wohnungen draus gemacht. Diese hier ist nach hinten raus, deshalb kann ich den Garten auch mit nutzen. Du hättest diese Wohnung früher Mal sehen sollen. Alles ganz düster, er hat ein bisschen Pep rein gebracht …”
”Ah ja! Kann es sein, dass er ausgezogen ist, weil er in eine geschlossene Anstalt verwiesen wurde?”
”Wie?”
”Ist die Nachtischlampe auch von ihm, diesem ominösen Ingolf?”
”Ja, natürlich. Eine Designerlampe, er hat einen Preis dafür erhalten.”
”Und ich hab’ ‘n Schlag davon gekriegt, einen elektrischen! Wie kann man bloß eine Keramiklampe ohne Kabeldurchführung und Knickschutz bauen. Zweimal bewegen und die Leitungen liegen blank.”
”Aber er hat einen Designpreis dafür gekriegt.”
”Sicher von der Liga der freien, unabhängigen Selbstmörder. - Kann ich schon mal was helfen raus tragen?”
Vera zuckte bei meiner letzten Bemerkung sichtlich zusammen.
”Hier.”
Sie drückte mir ein mit undefinierbarem Designergeschirr vollgestelltes Tablett vor den Bauch, „hoffentlich hat der nicht wieder ein Huhn an meinem Tisch ausgenommen, der lässt nämlich immer die Federn liegen.”
Sie griff sich übertrieben dramatisch an die Stirn.
”Wer hat wen, wo und warum ausgenommen?”
”Mein Nachbar, der Sombrowski, der ist Taxidermist. Der stopft Tiere aus, Ingolf hat der auch schon was beigebracht. Dem gehören die Hühner da hinten, der züchtet die. Manchmal schlachtet er auch eins und nimmt es dann auch gleich aus.”
„Ach so”, unterbrach ich sie, „sowas haben wir in der Schule mal durchgenommen, im Bio-Unterricht. - Wo geht’s in den Garten?”
Ihr Kopf ruckte in Richtung einer Tür, die ich bislang nicht wahrgenommen hatte.
Der Raum dahinter wirkte ein wenig wie die Intensivstation einer Gynäkologie. Das Wohnzimmer offenbar. Es gähnte mir in arktischer Weite und ebensolcher Weiße entgegen. Es stand zwar einiges rum, was aus irgendwelchen Elementen zusammengeschraubt entfernt an Sitzmöbel erinnerte, aber eine gnadenlos weiteren Schatten verbreitende Kastanie vor dem Fenster tauchte alles in diffuses Halbdunkel. Dann kam der Garten, der war wenigstens normal.
Draußen unter der Kastanie war es angenehm. Es lagen auch keine Federn oder Innereien ausgenommener Hühner herum.
Ich stellte das, was ich als Becher, Teller, Messer und so identifizierte auf den Gartentisch und zündete mir eine Zigarette an.
Vera kam mit Kaffee und Brötchen.
”Du warst ja ganz schön hinüber, gestern, da konnte ich dich doch nicht so einfach hängen lassen”, plauderte sie munter weiter.
”Nett von dir”, ich griff nach der Kaffeekanne, die dem Mechanischen Kopf des dadaistischen Künstlers Raoul Hausmann nachempfunden war, und wollte mir etwas aus ihr in meinen Becher, einer Warhol/Kandinsky-Symbiose, gießen.
”Das geht so nicht!“, stoppt mich Vera, „das ist eine Designerkanne, die muss man gerade hinstellen, die kippt ganz leicht um. Du musst hier drauf drücken, aber pass auf, das ist heiß!”
”Mach du mal.”
Ich schnipste meine angerauchte Zigarette ins nahe Unkraut.
Vera drückte auf einen Hebel, goss meinen Becher halb voll, stellte die Kanne ab, blies auf ihre Daumen, nahm die Kanne wieder hoch, drückte, goss, stellte ab, blies auf Daumen, drückte, goss und stellte ab. Der Becher war fast voll.
”Ist eine Designerkanne, da muss man vorsichtig mit umgehen.”
”Wieso sind die Teile, die man anfassen muss, heiß?”
”Weiß ich auch nicht. Aber sieht doch geil aus.”
”Zweifellos. - Erzähl mir doch mal, was gestern passiert ist.”
„Naja, du bist einfach umgekippt und da habe ich dich mitgenommen. Ich wusste ja nicht, wo du wohnst. - Bist du wirklich bei der AIR FORCE? Ich denke, du korrigierst Lehrbriefe!? Aber ist ja auch egal. - Die Eier sind geil nicht? Von den Hühnern meines Nachbarn, da weiß man wenigstens, dass die nicht aus einer Legebatterie kommen, und die werden noch mit richtigem Schrot gefüttert, und die laufen frei herum, kann man ja sehen …“
Zwei Eier und drei Brötchen lang ging das so weiter, zum Glück keine Designerbrötchen ...
Vera quasselte wie aufgezogen.
Der Kaffee war der miserabelste, den ich je getrunken hatte: dünn, magenfreundlich und entkoffeinisiert. Aber das macht man ja jetzt so, und Vera hätte auch Tee gekocht, wenn ich was gesagt hätte.
„Häh?” fragte ich und dampfte mir eine Verdauungszigarette an. Mein Brummschädel war wieder soweit normalisiert, dass ich klar denken konnte, trotz des Kaffees.
”Kommt schon mal vor, hin und wieder. - Wollen wir uns Filme aus meiner Bette Midler-Sammlung an. Stehst du auch auf Bette Midler?”
Ich schüttelte den Kopf.
”Ich finde Bette Midler toll!“
Irgendwie kam Vera auf ihren früheren Mitbewohner oder einen anderen Kerl, ich blickte da nicht durch, zu sprechen:
„Er ist positiv. Als er den Bescheid gekriegt hatte, ist er erst mal durchgedreht und hat versucht, sich umzubringen. Ich und seine Schwester haben ihn aber davon abhalten können. Dann ist auch noch seine Mutter gestorben, er hat ja das Haus geerbt. Er ist immer ehrlich zu den Leuten, hat immer gesagt, dass er Aids hat, und hat gedacht, die Leute verstehen das.”
”Aber das war nicht so.”
”Nein. Die wollten alle nichts mehr von ihm wissen, hatten alle Angst, sich anzustecken. Nur ich und Mandy haben immer zu ihm gehalten, ehrlich. Georg und ich wollten schon zusammen ziehen, aber Ingolf hat ja noch hier gewohnt.”
”Wer ist denn dieser dubiose Ingolf überhaupt?”
”Der Designer, der die Wohnung eingerichtet hat. Wir haben hier mal zusammen gewohnt, aber er ist jetzt nach Gummersbach gezogen. Sag’ mal, willst du nicht hier einziehen? Wir können uns dann die Miete teilen ...”
”Nein, ich hab meine eigene Wohnung. - Wann hat wer welchen Suizidversuch unternommen?” fragte ich.
Ich war doch noch etwas konfus, aber das musste an dem schauderhaften Kaffee liegen.
”Das war kurz nach dem Tod seiner Mutter. Mit Tabletten. Die mussten ihm den Magen auspumpen. Glücklicherweise hat eine befreundete Rechtsanwältin das mit dem Haus alles geregelt. Ich hab ihm immer gesagt, er soll die untere Wohnung leer machen und vermieten. Wollte er auch, aber er wusste nicht, ob da vielleicht noch wertvolle Sachen bei waren. Da standen ganz alte Möbel rum. Er wollte einen Experten kommen lassen. Aber du weißt ja, wie diese Leute sind: Wenn die merken, dass du da nichts von verstehst, hauen sie dich übers Ohr ...”
Dann kam ein Mann mit kariertem Hemd, Heinz Becker-Mütze und Cordhose entlang und wollte wissen, ob er sich denn mal die Rohrzange ausleihen könnte.
”Aber natürlich”, Vera sprang sofort auf und ging ins Haus.
Wieso hatte eine Frau eine Rohrzange?
Egal.
Ich musste mir derweil Unmengen von Tauben anschauen und loben, Hannoversche Tümmler. Ganz besonders stolz war er auf die Stahlaugen. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es sowas gab.
Und dann die Hühner: Deutsche Reichshühner, Wyandotten und sogar ein Andalusierpaar.
Ich war tief beeindruckt, zumal die Vorfahren dieser Deutschen Reichshühner zu Adolfs Zeiten mehrmals als Statisten in irgendwelchen Durchhaltefilmen mitgewirkt hatten. In einem Film war der Großvater des Heinz Beckerbemützten sogar im Vorspann namentlich als Züchter erwähnt worden.
Als ich ihn fragte, ob er hier auch Hahnenkämpfe abhalten würde, bei denen ich mal die eine oder andere Wette platzieren könnte, war er ein wenig indigniert. Ich schaute mir daraufhin seine Kaninchen an, um die Situation etwas zu entkrampfen.
”Eigentlich bin ich ja Taxidermist”, sagte er, „aber sie wissen ja, wie das momentan aussieht auf dem Arbeitsmarkt. Ingolf habe ich schon viel beigebracht, stellte sich gar nicht dumm an, der Junge. Aber er ist ja nun leider ausgezogen. Sind sie Veras neuer Freund? Sie können unter meiner Anleitung Life-size Figuren machen und ein paar ...”
Glücklicherweise kam Vera in diesem Moment mit der Rohrzange zurück, bevor ich die Ahnentafel eines debil dreinblickenden Karnickels vom Typ Sachsengold auswendig lernen musste.
Es war gar nicht so leicht, den guten Mann loszuwerden, erst als ein Hahn nach ihm krähte, wandte er sich diesem zu, „und beim nächsten Mal müssen sie sich unbedingt meine Life-size Figuren ansehen!”
”Leidenschaftlich gerne!”
Vera zerrte mich ins Haus.
”Du, ich muss dir unbedingt noch was zeigen.”
Vera nahm mich in den Arm.
Ich sehnte einen Taxifahrer mit Bluesmusik im Auto herbei, der mir sicher zur Flucht verhelfen würde.
”Im Moment nicht. Ich hab’ noch einen Brummschädel von gestern.”
Ich befreite mich aus der Umarmung.
„Lass mich erst mal nach Hause und ein bisschen duschen.“
„Na klar, wenn es dir lieber ist! Ich bringe dich nach Hause.“
Vera steckte noch ein paar Bette Midler-Filme ein, ließ alles stehen und liegen und ließ es sich nicht nehmen, mich nach Hause zu bringen.
”Du hast doch einen Video? Da machen wir es uns mal so richtig gemütlich.”
Sie brachte mich tatsächlich nach Hause, in ihrem Twingo. Auf dem Weg besorgte sie noch schnell Chips, Salzstangen und einen Marzipankuchen. In meiner Wohnung meinte sie: ”Ganz hübsch hast du’s hier. Müsste mal sauber gemacht werden, soll ich das mal eben machen, während du dir einen Film anschaust?”
„Nein!“, wehrte ich entschieden ab, „woher weißt du eigentlich, wo ich wohne?”
”Ich kenne mich in dieser Gegend gut aus. Ich arbeite ja hier.”
”Ich meine: Woher kennst du meine Adresse?”
”Ja ... äh ... du hast sie mir gesagt, in der Kneipe.”
”So besoffen kann ich nicht gewesen sein! Du hast dir doch meinen Ausweis angesehen.”
”Ich hab’ deine Sachen nicht angerührt.”
”Ach, halt die Klappe!”
”Soll ich dir denn mal eben deine Wohnung sauber machen?”
”Nein, verflucht!”
Ich mochte keine Frauen, die mich bemuttern wollen. Und auch keine, die sich mit aller Gewalt mit mir anzufreunden versuchten.
”Was hast du denn so für Filme?”
Sie hatte bereits eine meiner CDs in der Hand. Ich stellte mich neben sie vor den Recorder
”Die drei hab’ ich vom Flohmarkt, Chuck Norris-Filme. ‘bin in der letzten Zeit gar nicht dazu gekommen, mir irgendwelche Filme zu holen, geschweige denn sie anzusehen. - Aber wenn du willst, können wir ein bisschen Flippern. Aber dann musst du leider gehen, ich habe zu tun!“
„Auf Flippern stehe ich nicht so. Das macht aber nix. Ich kann ja inzwischen sauber machen, während du flipperst.“
Ich pumpte geräuschvoll Luft in meine Lungen und brauste heraus: „Hör zu. Ich möchte nicht, dass du mir bei irgendwas hilfst. Ich möchte auch nicht, dass du meine Wohnung putzt. Ich brauche auch niemanden, der meine Sachen durchsucht und auch niemand, der mir etwas in meine Getränke rührt.“
Vera sackte immer mehr in sich zusammen.
„Wie, was in Getränke rührt?“
„Spiel doch nicht die Ahnungslose. Normalerweise kippe ich nach ein paar Bieren nicht aus den Latschen, selbst wenn sie mit Korn geimpft sind. Was hast du mir ins Bier gemischt?“
Vera machte zunehmend den Eindruck eines geprügelten Hundes und begann mir leid zu tun.
„Ich bin doch so einsam seit Ingolf weg ist. Und als du immer in den Laden gekommen bist, Brötchen holen, da hab ich gedacht … ‚‘Woough!‘ hab ich gedacht, ein toller Mann. Und dann die Sache mit dem Banküberfall … finde ich ja cool! Wieso bist du eigentlich schon wieder aus dem Knast?“
„Weil ich es nicht gewesen bin! War eine Verwechselung! Aber davon stand natürlich nichts in der Zeitung!“
„Ja aber …“
Telefon.
Ich ging ran und meldete mich.
Vera machte große Augen, Gronau war am anderen Ende, ich sollte seine Frau suchen, sie war immer noch nicht da. Anrufe von Entführen waren auch noch nicht eingegangen.
„Im Moment habe ich keine Zeit. Rufen sie bitte Montag oder Dienstag wieder an. Wenn sie bis dahin noch nicht von selbst wiedergekommen ist, werde ich mich kümmern. Okay?“
„Aber wenn ihr was passiert ist?“
„Ihr wird schon nichts passiert sein! - Herr Gronau, bitte, ich habe jetzt zu tun.“
„Ja, aber …“
Ich legte einfach auf. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Anrufbeantworter hektisch blinkte. Es war Frau Schnacke, irgendwas war noch abzuklären, mit der Feier am Sonnabend und heute war schon Freitag.
Ich rief zurück und Frau Schnacke polterten haufenweise Steine vom Herzen, irgendwas war mit den Grillmeistern, sie hatte einen zu wenig, und ach und je. Ich fragte Vera ob sie grillen könnte, sie sagte, dass sie grillen könnte, und ich sagte Frau Schnacke dass ich schon Ersatz hatte und Frau Schnacke meinte, dass ich doch mal eben rumkommen sollte, zum Einkleiden der Ersatzperson, denn man wollte ja einen ordentlichen Gesamteindruck hinterlassen.
Half alles nix, ich klemmte mir Vera unter den Arm und wir fuhren zu Frau Schnacke. Dort bekam Vera eine weinrote Weste, eine helle Bluse und einen schwarzen Rock und ich bekam auch eine weinrote Weste. Vera wusste zwar nicht so recht worum es ging, aber sie war begeistert und guten Willens, morgigen Tages mitzukommen und auf einer Party zu grillen, was das Zeug hielt.
Na, also, war doch alles gar nicht so schwer, aber als wir dann mit zwei Autos zu Frau Blomes Scheune fuhren und ich mein Auto hinein stellte, in die Scheune, war sie doch etwas irritiert.
Ich lächelte nur geheimnisvoll und dann kam Frau Blome aus dem Haus, stellte Fragen zu dem Hubschrauber und wollte uns zum Pflaumenkuchen einladen, selbstgebacken. Vera wollte, aber ich wollte nicht. Keine Zeit, aber das nächste Mal gerne.
Überhaupt wussten schon viel zu viele Leute von der ‘Operation Hubschrauber‘ Bescheid, es bestand immer die Gefahr, dass einer nicht dicht hielt, Vera zum Beispiel, denn die quatschte ja immer herum wie ein Staubsaugervertreter in voller Action. Ich hatte mich selbst voll in die Eier gekniffen.
Das hatte ich nun davon, ich hätte Frau Schnacke sagen müssen, dass es ihre Aufgabe war, einen albernen Grillmeister zu beschaffen.
Ich sagte Vera, dass ich eine Überraschung geplant hatte und weiterhin die Schnauze halten würde.
Gleichzeitig wurde mir mit erschreckender Deutlichkeit klar, dass ich sie nicht von der Leine lassen durfte, zumindest nicht, bis ich den Hubschrauber entführt hatte.
Also musste ich sie doch mit nach Hause nehmen und mir mit ihr einen Bette Midler-Film angucken, ‘Noch einmal mit Gefühl‘, glaube ich oder war es ‘Ein ganz normaler Hochzeitstag‘? Ich weiß es nicht mehr, ich dachte jedenfalls permanent an Kitty und ob es ihr auch wirklich gut ging.
Anschließend gingen wir eine Pizza essen und dann wollte Vera unbedingt in die Kneipe, weil ihre Freundin da vermutlich saß und ihrer harrte.
Na, gut, viel konnte ja nicht schiefgehen, aber rechtzeitig zurück sein mussten wir, gut ausgeschlafen zur Party gehen und den Hubschrauber entführen.
Ich hatte zwar noch keine blasse Ahnung wie, aber das würde sich schon irgendwie ergeben, da der Hellinger mit seinen Militärfahrzeugen rum zu protzen pflegte.
In der Kneipe saßen unter anderem Robert und die Freundin Veras und amüsierten sich miteinander. Vera wollte uns miteinander bekannt machen, aber das erübrigte sich. Robert gab der Freundin Veras einen aus und dann kam ein bereits leicht bezechter Kerl, der seine Haare hinten zusammengebunden sowie eine dunkle Brille trug, und so einen auf Lagerfeld machte entlang, erwähnte, dass dahinten auf einem der Balkone eine nackte Frau stehen wurde, woraufhin sich einige Herren unauffällig absetzten, Robert auch, und der mit dem Zopf mischte sich insofern in das Geschehen ein, als dass er sich neben die Freundin Veras setzte.
Diese wollte sofort einen komplizierten Drink, Titanic-Stopper, glaube ich, das momentane Trendgesöff, den sie auch bekam. Der leicht bezechte Zopfträger genehmigte sich auch einen solchen, und wenig später durfte der inzwischen stärker Bezechte der Freundin Veras an den Busen fassen.
Na gut, das Leben ist nicht anders, ich dachte an Kitty und was sie wohl die Tage gemacht hatte.
Ob sie vielleicht mit einem Mann unterwegs war und die ganze Sache mit dem Hubschrauber war nur inszeniert?
Mike Hammer hätte sich da auch keine Gedanken drum gemacht, und Dick Tracy schon lange nicht!
"Noch 'n Bier?"
Honey, die Kneipendunstgebadete, unterbrach mich in meinem Denkprozess.
"Au ja. Und für meine Freundin auch!"
Und sie stellte uns das Bierglas so hin, dass wir uns nur minimal bewegen brauchten, um den Henkel zu greifen.
'Eine der wenigen Frauen, die mitdenken', dachte ich.
Kitty hatte allerdings unter Beweis gestellt, dass Frauen grundsätzlich in der Lage sind, mitzudenken.
Warum, so fragte ich mich, taten sie es dann bloß so selten?
Ach, zum Teufel, ich wollte nicht schon wieder an Kitty denken, und ganz gedankenverloren hob ich mein Glas und prostete Vera zu und die reagierte und hob ihr Glas auch.
„Prost, mein Lieber! Ich finde das richtig spannend, was wir zusammen erleben.“
„Och, ist doch ganz normal.“
Wir tranken und Veras Freundin auch, aber alleine, wahrscheinlich weil der Mann an ihrer Seite infolge des Titanic-Stoppers inzwischen etwas abgeschlafft war. Und dann kam Robert wieder, schob den Zopfträger etwas zur Seite und setzte sich wieder neben die Freundin.
Seltsam war, dass sich die Frauen überhaupt nicht unterhielten.
Na, gut. War mir egal, solange Vera nicht rumquatschte.
Ich blieb cool wie Mike Hammer, und wenig später gingen Veras Freundin und Robert zum Billard und der mit den zusammengebundenen Haaren und getönter Brille zog sich insofern aus dem Geschehen heraus, als dass er sich, inzwischen offensichtlich schwer bezecht, lang legte.
Na gut, für ihn war der Tag hin, und möglicherweise auch der Nächste, ich lächelte Vera an, und die lächelte zurück, wie der Anfang eines Happyends in einem bedeutenden Film mit dem Prädikat ‘Wertvoll‘.
Das fand ich richtig nett, und dann plauderten wir ganz munter einen entlang, in etwa so, wie man es in den vorabendlichen Fernsehserien zu sehen bekommt, und wie es in guten Büchern als Literatur verkauft wird, weil es schrecklich langweilig aber hochpsychologisch ist, von wegen sie wäre die Vera, aber eigentlich hätte sie ja Psychologie studieren wollen. Offensichtlich liebte sie das Spiel: ‘Komm wir fangen nochmal ganz von vorne an‘.
Und sie fragte, was ich denn so machen würde.
"Naja", sagte ich, "schwer zu sagen, im Moment helfe ich einem Detektiv bei seiner Arbeit."
“Was hilfst du dem Detektiv denn da?"
"Ich mache die Arbeit, einer muss ja die Arbeit machen, oder? Aber eigentlich bin ich Vertreter."
"Für Staubsauger?"
"Woher weißt du?"
"Das sieht man doch."
Jetzt wusste ich wiederum nicht, ob Vera Ernst machte, oder nicht. Auf alle Fälle machte es Spaß und ich bestellte noch ein Bier.
"Woran denn?"
"Naja, schwer zu sagen, aber das sieht man eben, wenn man einen Blick dafür hat, ich wollte ja, wie gesagt, eigentlich Psychologie studieren.“
"Warum denn nicht was richtiges wie Stahlbau, Sexualmedizin oder Hochfrequenztechnik?"
"Warum denn ausgerechnet Hochfrequenztechnik?"
"Da kann man doch was mit anfangen, aber die Psychologie wird ja nur von den Psychiatern künstlich hochgehalten, damit die immer Patienten haben, dabei könnte man jedem Menschen mit einem psychischen Problem helfen, wenn man ihm einfach einen anderen Namen gibt."
"Was? Das verstehe ich ja überhaupt nicht", sagte Vera, und sie runzelte die Stirn dermaßen, dass man glatt hätte Schiffe versenken drauf spielen können.
"Ist doch ganz einfach: Der eigene Name ist das, was jeder Mensch am häufigsten in seinem Leben hört. Und wenn man nun mal so emotionell und sensibel veranlagt ist wie ich, und auch noch so einen harten Namen trägt, muss das ja zwangsläufig zu Konflikten führen."
Ich persönlich hielt das für einen ganz guten Einfall, aber Vera schien da doch anderer Ansicht zu sein.
"Ah, ja. Das ist ja ein interessanter Aspekt. Hast du auch psychische Probleme?"
"Nicht direkt. - Ich frage mich nur, warum sich meine Kunden immer treffen und gemeinsam überlegen, wie sie mich ärgern können."
"Wieso?"
"Ja, das frag' ich mich ja auch. Weißt du, es gibt ganz viele Menschen, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als zu überlegen, wie sie mich ärgern konnten."
"Du hast keine Probleme, du hast eine Phobie."
"Meinst du?"
„Ja.“
"Oder kann es sein, dass ich meinen Animus noch nicht genügend entwickelt habe?"
"Deinen was?"
"Ach so, das ist ja keine Psychologie, das ist Esoterik. Davon brauchst du nichts zu wissen."
"Ich weiß aber trotzdem, was ein Animus ist."
"Tatsächlich? Oder willst du mich auch nur ärgern?"
"Warum sollte ich dich denn ärgern?"
"Eine gute Frage. Darf ich dir denn vielleicht auch mal eine Frage stellen?"
"Was denn für eine?"
"Naja, ob du denn vielleicht auch mal so geneigt wärst, etwas mit zu mir zu kommen?"
"Was soll ich denn da?"
"Zum Beispiel Kaffee trinken - 'ne Dose Gulaschsuppe habe ich, so vermute ich zu glauben, auch noch irgendwo."
"Ich mag aber keine Fertiggerichte."
"Kann ich verstehen. - Wie wär‘s denn mit Rehrücken?"
"Prima Hast du einen?"
"Nein."
"Wieso fragst du denn dann?"
"Ich hab' das mal in einem Buch gelesen, das durch seine Realitätsnähe bestach, und da hatte der Mann auch keinen Rehrücken."
"Ach so. Was haben die beiden dann gemacht?"
"Sie sind zu dem Mann nach Hause gegangen. Wollen wir das auch tun?"
"Da müsste ich mal eben meiner Freundin Bescheid sagen.“
Ich übernahm natürlich Veras Zeche, Ehrensache - während diese zu ihrer Freundin und Robert an den Billard ging und ihnen sicherlich erzählte, dass sie mit zu mir zu kommen beabsichtigte, jedenfalls grinsten die beiden wie die Kanalratten - und die Biere hauten auch gewaltig rein, aber als ich dann mit
Vera im Arm, selbstverständlich nachdem wir ausgetrunken hatten, über die Straße ging, unter einem den gesamten Himmel ausfüllenden Morgenrot hindurch, fühlte ich mich mindestens zwölfmal so gut, als hatte ich mit zwei Paaren einen mit vier Assen ausgeblufft.
"Ich möchte doch lieber gehen", sagte Vera, als wir in meiner Wohnung standen, "es ist vielleicht noch ein wenig früh für - naja, du weißt schon - oder?"
"Wollen wir einen Groschen werfen?", fragte ich mit einem Gesicht, wie es einer machen würde, der einem Untersuchungsrichter zu erklären hatte, wie seine Fingerabdrücke auf die Mordwaffe gekommen sind, während er in Afrika war, um hungernden Kindern Brot zu bringen.
Vera schaute etwas skeptisch drein.
"Du wirfst, ich bestimme", sagte ich mit treuherzigem Nicken, "bei Baum oder Zahl bleibst du hier, steht der Groschen aber hochkant, bringe ich dich nach Hause."
Wie in Zeitlupe glitten Veras Mundwinkel in die Höhe.
"Okay", sagte sie, "du bist ja ein ganz lustiger Typ. Hast du mal einen Bademantel? Ich möchte nochmal eben schnell duschen."
Ich gab ihr meinen Morgenmantel und Vera verschwand im Badezimmer. Ich zog mich aus und legte mich ins Bett.
Nebenan rauschte die Dusche, ich stellte mir Vera vor, wie sie darunter stand, und sich einseifte.
War schön, die Vorstellung.
Dabei kam der Schlaf über mich wie Ahornsirup.
 



 
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