Der Elefant

Nika

Mitglied
Mimi war immer und überall das schwächste Glied in der Kette. In ihren beiden Herkunftsfamilien und auch in der Familie, die sie selbst gründete. Ich weiß nicht, ob sie sich irgendwann selbst dafür entschieden hatte, weil es auch leicht war oder ob sie wirklich der Überzeugung war, so wenig Macht und Einfluss zu haben. Praktisch daran ist, dass jegliche Verantwortung und Schuld von sich gewiesen werden kann. Leider wurde ihr damit auch ihre Beweglichkeit genommen, nicht nur gedanklich, sondern auch körperlich. Es begann schleichend und irgendwann konnte sie sich nicht mehr allein fortbewegen. Nun war die Auslieferung nicht mehr nur psychisch, sondern auch physisch greifbar.
Meine Mutter war wie der kleine Elefant, der angekettet wird und immer wieder freizukommen versucht, dem dies aber nicht gelingt. Nach vielen Versuchen geben der Elefant und auch sie auf. Sie werden groß und größer und haben immer noch dieselbe Kette um den Hals. Nun wären beide stark genug, sich zu befreien, haben aber gelernt, dass sie dazu nicht in der Lage sind und unternehmen deshalb auch keine weiteren Versuche.
Meine Mutter plante in regelmäßigen Abständen ihren Auszug. Die Spanne reichte von Gedankenspielen bis zu handfesten Umzugsplänen mit Sprinter und Helfern, die ich in der Nacht davor wieder känzeln muss. Bei jedem dieser Pläne nahm ich mir vor, mich nicht mehr zu freuen, sondern abzuwarten, aber leider war auch ich Wiederholungstäterin. So war ich zwar von Mal zu Mal weniger, aber dennoch enttäuscht und wütend. Schätzungsweise plante meine Mutter zwanzigmal ihren Auszug. Damit übertrifft sie vielleicht sogar die Selbstmordversuche meiner Schwester.
 



 
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