Fortsetzung
Der Garten Eden
Teil 2
„Hey, Fremder!“, rief mich jemand, der mir aus einer kleinen Gasse entgegenkam, „Wir brauchen Eure Hilfe. Würdet Ihr uns die Ehre erweisen?“
Es war ein großer starker Mann mit einem Strohhut auf, einem weißen Trägershirt und einer dunklen Hose, die mit einem Gürtel, weit über der Hüfte, mir viel zu hoch geschnürt erschien und deren Hosenbeine entsprechend kaum tiefer als bis zu den Knien reichte. Er lachte mich an und kam mir mit offenen Armen entgegen. Nun war es so weit, dachte ich mir und war erstaunlich freudig überrascht. Man gab mir erstmalig die Chance, die erste Ehre zu erlangen, doch ich fühlte mich nicht recht qualifiziert, was immer auch meine Aufgabe sein würde.
„Was kann ich für Euch tun?“, fragte ich zurück, „glaubt Ihr, ich kann Euch eine Hilfe sein?“
„Ich werde Euch lehren, was Ihr wissen wollt. Wir brauchen Eure Hilfe auf unseren Kartoffelfeldern.“
Uns so folgte ich ihm durch eine Gasse auf einen Feldweg und sah schließlich das erste Mal ein Kartoffelfeld. Ein großes braunes Quadrat mit kleinen grünen Pflanzen, sorgfältig in Linien aufgereiht, lag, wie hineingeschnitten, in mitten des grünen Waldes. Nur am Rand des Feldes, in südlicher Richtung, standen kaum Bäume. In dieser Richtung schien eine schwarze Sandwüste anzuschließen. Ein warmer, leicht feuchter Wind, quoll aus dem Wald heraus, kroch über den heißen Acker, strömte dann bis tief hinein in die Wüste und verlor sich schließlich in bizarrem Flimmern in weiter Ferne. Auf dem Feld waren bereits viele Menschen, die mit nacktem Oberkörper, zwischen der heißen Sonne und grünen Pflanzen, auf dem warmen Ackerboden wühlten. Dennoch schien meine Ankunft aufzufallen, so dass sie sich zwischen ihren Arbeitsschritten aufrichteten und mich fast übertrieben aufmerksam begrüßten. Schon nach kurzer Zeit stiefelte einer nach dem anderen zu mir herüber und bald erklärten mir alle, wie ich ihnen helfen könnte und sie wussten auch meine Neugier zu befriedigen. Sie ließen mich unter ihrem Gelächter erst einmal eine rohe Kartoffel essen.
Bald stand ich zwischen ihnen im Feld und packte so gut an, wie ich konnte. Alle waren sehr nett zu mir. Bis auf einige kleine Auseinandersetzungen, schien es zwischen allen sehr kameradschaftlich zuzugehen. Wie ich bald erfuhr, war der Mann mit dem Strohhut, der mich zur Kartoffelernte geholt hatte, derselbe Mann, der mich im Wald auffand und ins Dorf trug und so hatte ich die Gelegenheit, mich bei ihm zu bedanken. Alle um uns herumstehenden Menschen ehrten seine Tat mit voller Anerkennung und lobten darüber hinaus meine Offenheit, mit der ich meinem Retter öffentlich zu Ehre und Anerkennung verhalf.
Diese Ernte war für alle ein großes Ereignis. Alle freuten sich schon auf das für danach geplante große Fest, wenn das riesige Essgelage aufgefahren und reichlich Wein floss, wenn Musiker und Geschichtenerzähler, Akrobaten und Gaukler, ihr Bestes gaben und durch die Nacht, bis in die frühen Morgenstunden, getanzt und gesungen wurde. Und wer noch ohne Braut war, dem war dies vielleicht eine neue Chance, seiner Angebeteten ein bisschen oder gar entscheidend, näher zu kommen. So arbeiteten alle schwitzend und fast nackt, doch sahen sich in ihren Gedanken bereits duftend in ihren schönsten Festkleidern.
Tage und Wochen vergingen. Allmählich wurde ich mehr und mehr in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Sie teilten ihre Erkenntnisse mit mir und schließlich entwickelten sich für mich erste Freundschaften. Nein, nicht alles war schön, doch letztendlich führte ich mit ihnen ein glückliches und erfülltes Leben, voller Mysterien und Wunder, Erkenntnisse und Selbsterkenntnissen.
Ich lernte viel über ihre Lebensart, ihre Leitlinien und nicht zu Letzt, auch ein bisschen über mich selbst. Die Menschen schienen mit ihrem Leben recht glücklich zu sein. Ich weiß nicht, ob sie die beste Form des Zusammenlebens gefunden hatten. Sicherlich gab es auch andere gute Alternativen. Vielleicht konnte ihre Lebensweise auch nur funktionieren, weil hierzu die richtigen Menschen zusammenkamen, die ihren speziellen Weg gefunden hatten, in Frieden miteinander auszukommen, füreinander da zu sein und jedem eine Chance zu geben, sich so zu entfalten, wie es seiner persönlichen Art entsprach. Ich wünschte nur, dass sie sich ihre weise Lebensart erhalten könnten und hoffte, dass niemand kommen würde, ihren Frieden zu stören. Doch wer weiß, vielleicht steckte in ihnen mehr, als man vermuten würde. Ich wusste nur, dass ich von ihnen noch viel lernen konnte und dass es da noch ein Geheimnis gab, welches sie mir vielleicht eines Tages offenbaren würden.
Eines Morgens stand ich wieder neben dem Haus und blickte über die Wiese auf den Marktplatz, um mich am dortigen regen Geschehen zu erfreuen, als ich in mir eine Stimme hörte:
„Vier Wochen! Nicht ewig, aber vier Wochen werde ich durchhalten und dich deiner altklugen Worte Lüge strafen.“
Meine Erinnerung hatte mich eingeholt und ich wusste, warum.
„Es ist so weit. Deine Zeit ist nun gekommen. Deine vier Wochen sind um. Komme zurück nach Hause. Kehre Heim, in den Garten Eden. Die Frist, die du dir selbst gestellt hast, ist abgelaufen. Wir erwarten dich nun voller Freude und Sehnsucht, warten gespannt auf deine Heimkehr und sind neugierig auf deine Geschichten und Erfahrungen, die du im Leben gesammelt hast. Auf das wir alle, an deinem Leben, aus deinem Munde und deiner Art, teilhaben dürfen, um durch dich und aus uns heraus, mehr zu werden, als wir sind, im Streben nach dem Paradies.“
Nun war es also so weit. Ich wusste von Anfang an, dass meine Zeit begrenzt war, doch nun, da der Moment gekommen war, viel es mir schwer loszulassen und meinen Weg wieder alleine fortzusetzen.
Und so ging ich zu denen, die mir nahe standen und die ich inzwischen so lieb gewonnen hatte. Und ich sagte ihnen, dass für mich die Zeit gekommen wäre, da ich sie verlassen müsse. Ich wollte ihnen eine Erklärung geben, doch ich wusste nicht wie, aber sie fragten auch nicht nach, denn sie spürten, dass es nicht ihretwegen war, sondern dass ich ging, weil es so sein sollte. Und sie wischten sich ihre Tränen aus dem Gesicht und gaben mir meinen kleinen Rucksack zurück. Sie füllten ihn bis oben hin mit ihrem besten Speisen, Getränken und ihren liebsten Gaben.
Eine immer größer werdende Menschenmenge versammelte sich um mich herum, um mich zu verabschieden. Dann trat für einen Augenblick Stille ein. Die Menge strebte auseinander und bildete eine Gasse. Die drei Weisen kamen höchst persönlich zu mir, um mich mit letzten Worten auf meine Reise zu schicken:
„Ihr ward ein guter Mensch“, sprach einer von den dreien, der sich nun an die Spitze der Weisen gesetzt hatte. „Ihr habt viel gelernt und in Euch das Gute bewahr. Eines Tages werdet Ihr verstehen, wieso Gott das Universum erschuf, was Leben ist, weshalb Ihr lebtet und wer Ihr in Wirklichkeit seid.“
Er richtete sich auf und verkündete laut mit ehrfurchtsvoller Stimme, so dass ihn jeder hören konnte:
„Wohl dem, der Ehre hat, denn er ist wichtig für alle. Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.“
Schließlich umarmten mich alle zum Abschied und wünschten mir alles Glück für meine Reise.
So ging ich meines Weges und schaute noch einige Male zurück, um den winkenden Händen und traurigen Gesichtern ein zuversichtliches Lächeln zu zuschicken. Ich beschloss nicht den selben Weg zurück zu gehen, den ich gekommen war, sondern bog nach rechts in Richtung Osten ab, so dass ich auf der anderen Seite des großen Sees meinen Heimatweg antreten würde. So trieb mich wenigstens meine Neugierde vor neuen Überraschung voran und erleichterte mir ein wenig den Abschied, während meine Gedanken doch nur schwer von ihnen zu lösen war:
„Kurzfristiger Erfolg ist wertlos, wenn Ihr Euch dadurch eurer zukünftigen Chancen beraubt“, erinnerte ich mich.
Ich schaute auf den Boden und sah wieder, wie sich meine Füße abwechselnd in meinem Sichtfeld begrüßten und wieder verabschiedeten.
„So wie dieses wohl wahr ist, so gilt es aber auch im umgekehrten Sinne“, dachte ich mir. „Alle Misserfolge sind bedeutungslos, wenn du letztendlich Erfolg hast.“
„Ja“, sagte ich mir, „diese Letzte Erfahrung in meinem Leben, war eine schöne Erfahrung:
Ich habe es verdient, mit ruhigem und stolzem Gewissen, den süßen Geschmack der erfolgreichen Vollendung des Ganzen zu genießen und mich feiern zu lassen. Was können mich alle schlechten Erfahrungen und kurzfristigen Misserfolge der Vergangenheit noch kümmern, wenn mir doch letztendlich die gute Erfahrung, eines über alles übertrumpfenden Schlusserfolges, zuteil wurde. Ich hatte ein erfülltes Leben, fand und gab Liebe, Anerkennung und Freude. Letztendlich hatte ich Erfolg und alle meine Ängste vor der Ungewissheit waren unbegründet. Die Party soll man verlassen, wenn sie am besten ist und ich habe vieles dazu beigetragen, dass diese Party so gut gelungen war. Sie werden sich an mich erinnern und sie werden immer meine Freunde sein.
Nun habe ich sogar wieder ein neues Ziel vor Augen.
Außer meiner Angst, gibt es auch dieses Mal keinen Grund, dass jenes Ziel mein Letztes sein sollte. So will ich auch jetzt zuversichtlich meiner Hoffnung sein, so schwer es mir vielleicht auch fallen mag, denn ich habe allen Grund auf das zu vertrauen, was da kommen mag, mutiger, den je. Ich habe das Spiel des Lebens gewonnen! Und wo mancher von euch vielleicht noch unsicher und schwach ist, bin ich schon sicher und stark, wie nie zuvor, so dass ich euch eine Hilfe sein kann. Dies ist nicht das Ende! Dies ist mein Weg zur Siegerehrung, ein Zwischenstop nach einer erfolgreich abgeschlossenen Etappe, vor einem nächsten Anfang! Und ich gehe jetzt, um meine bestandene Prüfung zu feiern. Nun seid ihr dran, es mir gleich zu tun und meine Hilfe an euch, wird meine Ehre wachsen lassen.
Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen. Wohl dem, der Ehre hat, denn er ist wichtig für alle.“
„Die Sonne begrüßt dich und Deine Hoffnung macht für dich den Weg nach draußen frei. So folge der Einladung in die Freiheit, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Und so genoss ich meine Heim- und Siegesreise durch den Wald des Lebens, auf dem Weg zu dem goldenen Tor des Garten Edens, um mich wie ein Held, feierlich empfangen zu lassen.
Veränderung in Eden
Die Heimkehr
Ich sah auf meinem Heimatweg durch den Wald noch viele weitere Dörfer. Die Menschen in ihnen hatten jeweils andere Lebensarten und Überzeugungen. Manche Menschen waren von ihrer überzeugt und glücklich, andere wussten jedoch noch nicht einmal, was Glück überhaupt ist. Vielleicht konnten sie es nicht wissen, vielleicht wollten sie es aber auch nicht wissen.
Ich erreichte bald die nördliche Waldgrenze und betrat die Tundra. Die Sonne schien hoch und leichter warmer Wind strich über die Wiesen. Vor mir lag nun wieder die weite Ebene. Nichts würde mich jetzt noch von meinem Ziel ablenken können und so marschierte ich alleine durch diese weite Stille dem goldenen Tor des Garten Edens entgegen. Ich durchquerte die Wüste. Als ich schließlich in die Nähe des Tores kam, öffnete sich dieses und vier Frauen traten heraus, um mir zu Hilfe zu eilen. Aber ich brauchte ihre Hilfe nicht, denn ich war stark geworden.
Die „Lumpen“, die wie immer vor dem goldenen Zaun kauerten, weiteten ihre Sehschlitze um mich besser zu erkennen. Die „Jungvögel“ hinter dem Zaun schauten zu mir herüber, schnatterten immer lauter und wurden bald so hektisch, als hätten sie einen Geist gesehen. Ich durchschritt das goldene Tor und war plötzlich von unglaublich vielen weißen Frauen umringt und es wurden immer mehr. Eine machte den Anfang und dann waren sie nicht mehr zu bremsen. Sie stellten schneller ihre Fragen, als ich sie beantworten konnte: Wie das Leben sei, was ich erlebt habe, warum ich so aussah, wo ich überall war. Bald wurde es so laut, dass ich mein eigenes Wort nicht verstehen konnte und musste nach einigen vergeblichen Versuchen, allen eine Antwort geben zu wollen, einfach nur noch laut lachen. Es fiel mir nun das erste mal auf, wie schön diese schlanken Damen waren. Sie hatten alle weiche, freundlich, offene, ja geradezu kindlich niedliche Gesichtszüge. Einige waren hochgewachsen und andere possierlich klein. Ihre weißen Gewänder waren so fein und dünn, dass man die Silhouette und ihre weiche weiße Haut ihres Körpers leicht durchschimmern sehen konnte. Sie wirkten auf mich zugleich niedlich, wie auch sexy. Diesen Eindruck bestärkten auch noch ihr Verhalten: Jede von ihnen versuchte, möglichst als erstes, ihre vielen Fragen von mir beantwortet zu bekommen. Dabei drängelten sie sich abwechseln nach vorne und schoben dabei die anderen nach hinten. Was für ein Kampf. Für einen unbeteiligten hatte das natürlich eine gewisse Komik, aber ich fühlte mich sehr geehrt und war glücklich, wieder zu Hause zu sein.
Und dieses sah jemand anderes scheinbar genauso:
Zwischen dem Gewimmel sah ich etwas, dass unerwartet meine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Beim Anblick meines verwunderten Gesichtes verschlug es den Kronen der Schöpfung wenigstens für einen kurzen Augenblick die Sprache. Auf dem Boden sitzend, mit dem Rücken an das geöffnete goldene Tor gelehnt, saß ein junger, gebräunter Mann in Cowboykleidung. Er schaute mich mit seinen stahl blauen Augen, aus seinem zerfurchten Gesicht, an und grinste frech aus dem Dreitagebart. Dann hob er seine Hand und tippte mit zwei Fingern lässig an die Krempe seines Hutes, wie sich nur Cowboys untereinander begrüßten. Ich grüßte ihn symbolisch auf gleiche art und weise zurück. Als ich mir flüchtig die schweigenden und fragenden Gesichter um mich herum ansah, wurde mir schnell klar, dass außer uns niemand verstand, was dieses Zeichen bedeutete. Nur wir wussten die Bedeutung, denn er war wie ich, einer aus dem Leben.
Die Meute hatte sich beruhigt.
Ich ergriff sogleich meine Chance und begann meine Geschichten und Erfahrungen aus dem Leben zu erzählen. Ich bemühte mich alles zu erklären, so gut ich konnte. Doch alles was ich erklärte, entpuppte sich augenblicklich für sie als ein neues Rätsel. Schon häuften sich die Fragen binnen kurzer Zeit schneller, als ich mit Antworten aufklären konnte. Es fiel mir zunehmend schwerer Gleichnisse zu finden, an derer sie mich noch verstehen konnten. Manchmal verstand ich ebenso wenig ihre Fragen, wie sie meine Antworten. Es war, als ob man einem von Geburt aus Blinden, Farben erklären wollte. Es war wie ein Gespräch zwischen einem Tauben und einem Blinden.
Wir debattierten bald nur noch über Begrifflichkeiten. Das Thema, worüber wir eigentlich sprechen wollten, verlief sich im Sande. Worüber wir sprachen, hatte nichts mehr mit dem Leben zu tun. Allmählich wurde mir klar, dass wir inzwischen zu verschieden waren und sich zwischen unser Andersartigkeit ein großer Graben zog. Wir drehten uns „im Kreis“.
Es war nicht mehr nötig, etwas zu sagen, - ja vielleicht, war es auch nicht mehr möglich, denn worüber soll man sprechen, wenn neue Gedanken selten werden.
Entmutigt löste sich die Gruppe um mich herum auf. Mit gesenkten Köpfen streuten die weißen Gestalten in alle Richtungen auseinander. Es gab für sie nun mehr Fragen, als Antworten und mehr Verständnislosigkeit als Verständnis. Sie waren in ihrer Hoffnung wieder einmal enttäuscht, weil sie die Hoffnung nicht erkannten.
Der Cowboy war schon vor langer Zeit gegangen. Wahrscheinlich wurde er vor meiner Ankunft, bei seiner Rückkehr in den Garten Eden, genauso umringt und mit Fragen konfrontiert, wie ich. Und wahrscheinlich gelang es ihm ebenfalls nicht, den Menschen im Garten Eden, dass Leben verständlich zu beschreiben. So erhofften sich die Edenbewohner von mir die Antworten, die der Cowboy ihnen nicht begreiflich machen konnte – doch vergebens. Manche Dinge muss man wohl einfach erleben, um sie zu verstehen, damit Worte Bedeutung erhalten.
So stand ich nun wieder alleine auf dem weißen Marmorweg, zwischen dem grünen kurz geschorenen Gras und der hügeligen weiten Landschaft. Hinter mir fielen die goldenen Pforten ins Schloss. Die „Jungvögel“ saßen noch immer aufgereiht am Zaun und starrten mit herabgefallenen Kinnläden zu mir herüber. Die „Lumpen“ hatten sich von außen an das Gatter gepresst und gafften durch die Gitter, wie Affen aus einem Käfig.
Es war so still, dass man ihre im Wüstenwind flatternden Umhänge und Tücher hören konnte. Erst jetzt merkte ich, wie meine kleinen körperlichen Gebrechen verschwanden und sich meine leichten Dauerschmerzen, an die ich mich mittlerweile gewöhnt hatte, allmählich auflösten. Ich spürte wieder meine körperliche Leichtigkeit und begann über den weißen Marmorweg in Richtung Villa, gen Norden, zu schweben. Wie im Traum zog die grüne Landschaft an mir vorbei und ich folgte dem Schatten zu meinen Füßen, hin zu jenem mir vertrauten Ort, wo ich einen alten Mann zwischen einem Zierbrunnen und einem Apfelbaum wiedersehen würde.
Still schwebte ich zwischen den grünen Hügeln auf dem Weg des Lichts.
Und da erblickte ich ihn wieder, - den alten Mann. Er stand, wie immer, zwischen dem Apfelbaum und dem kunstvoll verzierten Brunnen. Im Halbschatten der Baumkrone, schaute er über die weiten grünen Hügel, mit seinen vielen farbenfrohen Blumen und denen dort vereinzelt stehenden kleinen Bäumen. So weit ich mich erinnern kann, stand er schon immer da. Meistens alleine.
Nichts auf der Welt, hätte ihn jemals von diesem Platz vertreiben können. Dies war sein Platz.
Und so würde jeder, der zu diesem Ort kam, gleichzeitig auch kommen, ihn zu besuchen. Er freute sich jedes Mal, wenn er Besuch bekam, denn er war einsam.
Ich beschloss zu ihm zu gehen, verließ den weißen Marmorweg und streifte barfuss durch das kurze Gras, bis ich neben ihm stand. Er drehte sich zu mir um und lächelte.
Eine Zeitlang verweilte ich still neben ihm. Dann unterbrach er die erdrückende Stille und sprach leise:
„Du hast also den Weg in den Wald gefunden?“
„Ja, das habe ich“, gab ich spartanisch zurück.
Der alte Mann schaute mich mit einem stechenden Blick tief in die Augen:
„Ist es etwa anders, als ich sagte: Dort erwartet dich Schmerz und Kummer und Durst und Hunger. Tränen begleiten deinen Weg. Und wenn du Hilfe suchst, wirst du Pein finden.“
„Ja, das ist die eine wahre Seite des Lebens“, bestätigte ich.
„Am Ende deiner Kraft, gebrochen dein Herz, müde der Hoffnung? Bleibst du nun hier und hältst fest, was du hast?“, setzte er fort.
Ich schaute ihn fragend an:
„Habe ich es denn nur drei Tage ausgehalten, kam auf allen Vieren zurückgekrochen, am Ende meiner Kraft, gebrochen mein Herz und müde der Hoffnung?
Du und ich, wir sind uns jeweils selbst begegnet. Dir hat es nicht gefallen.“
Der Apfel
Wir pflückten wieder beide einen Apfel vom Baum.
Er war perfekt. Er war süß, saftig und außergewöhnlich lecker.
Oh, wie ich den Apfel genoss.
„Verdammt, schon wieder!“, hörte ich ihn fluchen.
Das Wasser
Alsbald trank wir beide vom Wasser aus dem Brunnen.
Es war perfekt. Es war kristallklar, kalt und frisch.
Oh, wie ich das Wasser genoss.
„Schau dir das an!“, klang es dumpf in scheinbar weiter Ferne.
Der Grashalm
Ich legte mich auf das weiche kurze Gras, genoss diesen wundervollen Blick über die Landschaft, und versank im angenehmen Halbschatten der Blätter in meine Gedanken.
„Ein abgebrochener Grashalm!“, tönte es zu mir herüber.
„Ja“, dachte ich mir, „es gab Dinge, die wir unterschiedlich sahen. Ich hatte mich verändert.“
Schöpfung in Eden
Ich stand auf und verließ wortlos den alten Mann. Nach etwa 200 Metern kam ich wieder auf den Marmorweg. Dieses Mal überquerte ich ihn jedoch und betrat den dahinterliegenden Rasen, auf der Ostseite des Weges, dort, wo die Sonne jeden Morgen den Tag einleitet.
Vielleicht tat ich es nur, weil ich der Vergangenheit nachtrauerte. Vielleicht wollte ich aber auch etwas verändern, etwas erschaffen. Ich erinnerte mich an mein Leben, wünschte mir eine Harke und begann mit dieser kleinen Harke, mitten auf der weiten Rasenfläche, einige hundert Meter vom Weg entfernt, einen kleinen Acker zu pflügen.
Natürlich hätte ich mir, statt einer Harke, auch gleich einen Acker wünschen können, darum ging es mir aber gerade eben nicht. Es ging mir um das eigene Erschaffen und nicht um das Haben, denn das wahre Sein steckt im Werden, so wie das wahre Werden im Tun steckt.
Ich spürte die Lust am Tun und die Vorfreude auf etwas Neues. Ich wusste, was es bedeutet, den Geschmack des eigenen Erfolges genießen zu können. Ich mühte mich redlich, ohne effektiv zu sein, aber dieses war mir in diesem Moment nicht wichtig. Ich war nahe bei mir selbst und versank, im Versuch der Einsamkeit zu entfliehen, in meiner Arbeit. Mit nacktem Oberkörper, wie damals im Dorf, wühlte ich kontinuierlich, Zentimeter um Zentimeter, im Boden. Ich genoss das mir vertraute warme Gefühl, wenn die Sonne den Rücken erwärmt und man über seinem eigenen Schatten gebückt, einer schier endlosen Tätigkeit nachgeht, bei der es nicht auf Schnelligkeit, sondern auf Durchhaltevermögen ankam und man seine Kräfte für eine lange Zeit einteilen musste. Mir lief der Schweiß von Rücken, Achseln und Stirn. Leichte Windbriesen ließen manchmal die Schweißtropfen auf meinem Körper verdunsten und spendeten mir somit etwas Kühle. In der Monotonie meiner Bewegungen, in Gedanken vertieft, verfolgten mich die alten Lieder des Dorfes und ich begann zu singen, erst zaghaft leise und dann immer lauter. Es interessierte mich nicht, was irgend welche Passanten über mich denken könnten, die mich vom weit entfernten Weg, mitten auf einer grünen Wiese, einsam arbeiten sahen und vielleicht über mein absurd erscheinendes Verhalten den Kopf schüttelten. Sie waren weit entfernt. Niemand war in meiner Nähe. Ich war ganz für mich alleine.
„Brauchst du Hilfe?“, sprach mich jemand an, der unmittelbar hinter mir stand und schreckte mich damit unerwartet aus meinen Gedanken auf.
Ich drehte mich um. Es war der Cowboy, den ich am Tor gesehen hatte. Ich musste in meinen Gedanken so vertieft gewesen sein, dass ich seine Ankunft nicht bemerkt hatte. Wir blickten einander in unsere Augen und begannen beide zu grinsen.
„Du machst das ganz falsch!“, mischte er sich ein, „Lass mich mal ran.“
Er nahm einen Spaten und wendete erst einmal den Rasen: „Wie groß soll’s denn werden?“
„Meinst du, Fußballfeldgröße würde für den Anfang ausreichen?“, witzelte ich und fuchtelte energisch mit meine kleine Harke in der Hand.
„Na dann mal los. Jeder an einer Seite!“, lachte er zurück und zeigte in eine virtuelle Ecke des geplanten Ackers.“
Und so gruben, pflügten und säten wir unseren ersten Acker. Einige Passanten gingen kopfschüttelnd an uns vorbei und belächelten unser Tun. Nach einigen Tagen war unser Werk jedoch vollbracht. Wir erfreuten uns an unserem Schaffen und warteten nun gespannt auf die ersten Triebe. Und was soll ich sagen, es war natürlich ein Kartoffelfeld!
Ich saß mit dem Cowboy am Rand unseres Feldes und tranken ein Bier, als ein Teenager auf uns zukam.
„Kann ich mitmachen?“, sagte er etwas scheu und äußerst neugierig.
Der Cowboy und ich schauten uns an.
„Klar, warum nicht?“, schmunzelte ich den Jungen an und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.
„Können meine Freunde auch mitmachen? Wir wissen, wie man Tomaten anpflanzt.“
Ich war so verblüfft, dass ich mich fast am Bier verschluckte. Unsere kleine Aktion, die von den Edenbewohnern nicht verstanden wurden, fand plötzlich Anhänger, die unsere Ziele sogar übertrafen. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Bald kamen dann auch ihre Eltern. Die brachten dann wiederum ihre Freunde mit und weiter ging es dann mit Bekannten bis schließlich auch Fremde neugierig unserem Treiben beiwohnten und letztendlich mit anpackten. Es wurden immer mehr. Sie alle hatten das Leben erlebt, so wie der Cowboy und ich. Jeder hatte etwas aus dem Leben mitgebracht und wusste etwas, was ein anderer nicht wusste. Und obwohl jeder so unterschiedliche Erfahrungen gemacht hatte, sprachen wir dennoch die selbe Sprache. Wir verstanden uns und wussten, warum wir dies alles taten. Wir ergänzten uns. Seltsam, dass mir die Menschen aus dem Leben früher nie aufgefallen waren. Ohne es zu ahnen, hatte ich scheinbar einen Stein ins rollen gebracht.
Bald hatten wir ein Tomatenfeld, Kartoffeln, Auberginen, Erdbeeren, Bohnen, aber auch Sonnenblumen, Rosen und viele andere wunderschöne Zierpflanzen, welche die Ostseite des Garten Edens schmückten und unsere Heimat erblühen ließ.
"Suchet und ihr werdet finden,
sähet und es wird wachsen,
habet Geduld und es wird vollendet,
bittet und es wird Euch gegeben,
bedenket der letztendlichen Schöpfungskraft in der Symbiose."
Wir arbeiteten und feierten, redeten und erschufen, immer voller Ideen und unbändigem Tatendrang. Und wenn einmal nicht ein großes Fest geplant war, um irgend einen kleinen Erfolg des Tages oder des Monates zu würdigen, saßen wir Abends am Feuer und erzählten uns die vielen Geschichten aus unserem Leben.
Zwiespalt in Eden
Eines Tages, ich arbeitete gerade einmal wieder auf meinem Kartoffelfeld und grub, am Rande des Feldes, dicht am Marmorweg, Kartoffeln aus, stand ein hagerer, weißer, Mann neben mir und beäugte kritisch mein Tun. Erst schenkte ich ihm nur einen flüchtigen Blick, doch dann bemerkte ich überrascht, wer da neben mir stand und konnte es kaum glauben.
Es war der alte Mann!
Er hatte sich tatsächlich das erste Mal von seinem Platz zwischen dem Zierbrunnen und dem Apfelbaum entfernt und stand nun neben mir.
„Das sind also Kartoffeln?“, fragte er mich, nahm sich eine von den ausgebuddelten Großen und hielt sie vorsichtig jonglierend zwischen seinen Fingerspitzen.
„Ja, die kann man essen und schmecken köstlich“, sagte ich, als mir plötzlich bewusst wurde, was ich damit angerichtet hatte.
Und schon packte er die Kartoffel und biss in diese ebenso kräftig hinein, wie er es ansonsten mit Äpfeln zu tun pflegte. Das Gesicht hättest du sehen müssen. Ich wusste gar nicht, dass er zu solchen Grimassen fähig sein würde. Eigentlich wollte ich ja nicht lachen, aber um so mehr ich versuchte, mein Lachen zu verkeifen, des so weniger gelang es mir.
„Ich verstehe einfach nicht, was das alles soll!“, sprach er erbost. „Was ihr hier macht ist doch lächerlich!“
Der alte Mann bluffte mal wieder mit einer arroganten Maskerade und ging zeternd zurück in den Westen, zurück zu seinem Platz, zu seinem Baum und seinem Brunnen.
Ich wollte ihn noch zurückhalten, ihm alles erklären und zu einem anderen Male einladen, aber er lehnte ab und ließ mich stehen.
„Vielleicht kam er gar nicht zu uns, um sich ein Bild zu verschaffen, sondern nur, um eine Bestätigung seines eigenen Bildes zu erhalten“, dachte ich mir.
Ich schaute ihm hinterher und konnte in der Entfernung erkennen, wie er seinen Platz erreichte. An seinem Brunnen wurde er bereits von anderen Edenbewohnern so interessiert empfangen, dass er augenblicklich in der Mitte eines ihn umrandenden Pulks verschwand.
Sie standen im Halbschatten der Baumkrone, im Schutze des Blätterdaches vor der hochstehenden Mittagssonne, und ich vernahm dumpf ihr angeregtes palavern. Ich wusste, worüber sie redeten, aber es interessierte mich nicht.
So hatte der alte Mann nun also einen weiteren Grund gefunden, worüber er sich ärgern würde. Waren bis dato nur die für ihn schlechten Äpfel, der kaputte Brunnen und die zerbrochenen Grashalme ein Grund des Ärgernisses, kamen nun die Menschen, die mit „idiotischen“ Einstellungen aus dem Leben zurückgekommen waren, hinzu.
Und so, wie sich die Lebensmenschen gefunden hatten, um etwas gemeinsam aufzubauen, fanden sich nun auch die Edenmenschen, um gemeinsam Gutes zu ignorieren und sich über alles zu ärgern.
Aber wenn man den vermeintlich besten Platz nicht verlässt, ja, wenn man Eden nicht verlässt, weil man davon überzeugt ist, es gäbe keinen besseren, wird dann nicht der vollkommende Platz zum vollkommenden Gefängnis? Niemand sah eine Mauer, die sie daran hinderte zu gehen, aber ich glaube, es gab eine Mauer, - in ihnen. Eine Mauer der Angst.
„Angst führt zu Wut, Wut führt zu Hass und Hass zu unsäglichem Leid.“
Der Marmorweg entwickelte sich zunehmend zu einer Grenze zwischen denen im Osten, die das Leben kennen gelernt hatten und sich mit großer Hoffnung der Schöpfung widmen wollten und denen im Westen, die sich gegen das Leben sträubten und eine Existenz zwischen Angst und Erbitterung führten. Der Marmorweg wurde somit zur Grenze zwischen Lebemenschen und Edenmenschen, zwischen Lebewesen und Edenwesen.
Immer seltener kam einer von ihnen zu uns und immer seltener ging einer von uns zu ihnen.
Dennoch, einen Rest von Neugierde und Zweifel, konnte sich beiden Seiten erhalten. Und solange sich der dunkle Mantel der Ignoranz nicht vollständig über die Wahrheit gelegt hatte und Existenz zur Stagnation verdammen würde, gab es Hoffnung für alle.
Die vier Burschen
Eines Tages standen vier Edenwesen vor mir. Es waren junge Burschen mit bleichen Gesichtern, wie es für die Edenwesen typisch war. Sie trugen kleine Rucksäcke auf dem Rücken und grinsten mich fragend an.
„Würdest Du uns in Leben begleiten?“, sprach mich einer der Vier an.
Ich schaute auf das Feld und sah die reifen Früchte, die darauf wartete, von mir geerntet zu werden. Es drängte mich meine Arbeit zu Ende zu führen. Nein, ich wollte nicht gehen. Doch ich erinnerte mich plötzlich an meine eigenen Worte, die wie eine Stimme eines anderen Diskussionspartners in meinem Kopf zu mir sprach:
„Wenn man den vermeintlich besten Platz nicht verlässt, ja, wenn man Eden nicht verlässt, weil man davon überzeugt ist, es gäbe keinen besseren, wird dann nicht der vollkommende Platz zum vollkommenden Gefängnis?“
Und ich fragte mich, ob es in mir vielleicht tatsächlich eine Mauer der Angst geben würde.
„Bin ich letztendlich selbst träge geworden, gefangen wie der alte Mann, der an dem festhielt, was er hatte? Aber warum sollte ich gehen? Schon bald könnte ich die Ernte einfahren und könnte in kürzester Zeit wieder meinen Erfolg genießen,“ argumentierte ich dagegen.
„Kurzfristiger Erfolg ist wertlos, wenn Ihr Euch dadurch eurer zukünftigen Chancen beraubt“, schoss es mir dann durch den Kopf und mein innerer Diskussionspartner konterte weiter: „Wichtiges hat Vorrang vor Unwichtigem. Dringenderes aber hat Vorrang vor Wichtigem, solange das Wichtige nicht gefährdet wird. Wichtig ist das Wohl. Das Wohl der Gemeinschaft ist das Wohl des Einzelnen, sowie das Wohl des Einzelnen auch das Wohl der Gemeinschaft ist.“
„Natürlich konnten andere meine Arbeit fortführen“, gestand ich mir ein, „aber hier standen Edenwesen, die mein Tun und meine Art immer arrogant verspottet hatten und offensichtlich sind sie immer noch zu feige, es uns gleich zu tun, mutig den Weg zur Selbsterkenntnis alleine zu beschreiten.
Sie halten sich wohl für sehr pfiffig“, dachte ich mir. „Statt sich der Gefahr auszusetzen, unwissend die unvorhersehbaren Konsequenzen ihrer Entscheidungen glücklich akzeptieren zu können oder tapfer tolerieren zu müssen, halten sie es für bequemer und sicherer, sich meines Lebens zu bedienen.
Es kommt doch nicht alleine darauf an, alles richtig zu machen, um Erfolg zu haben. Verstehen sie nicht, dass es wesentlich ist, über sich selbst hinauszuwachsen?
Ist hierfür nicht die Auseinandersetzung mit unsere eigenen Angst, unserem Mut, Tapferkeit, Ideen und Entscheidungen das Wesentliche? Es geht um die Auseinandersetzung mit sich selbst, noch bevor man durch sein Handeln das Tor in die Welt der Ungewissheit durchschreitet, um letzten Endes, mit der Konsequenz seiner Selbstrefflektion, konfrontiert zu werden.
Wenn ich für sie mutig wäre, blieben sie feige, ohne es jemals für sich zu erkennen.
Wenn ich es ihnen leicht machte, würden sie nie lernen, was schwierig ist.
Solange ihnen ausnahmslos nur Gnade widerführe, könnten sie den Wert der Gnade nicht begreifen. Für sie wäre Leichtigkeit normal und selbstverständlich und somit ohne jeden Wert. Sie würden selbst in meiner Hilfe, die ich ihnen gebe, keinen Wert erkennen können, denn wenn ihnen alles leicht erschiene, verständen sie nicht, dass sie es leicht hatten, weil es ihnen leicht gemacht wurde. Anstatt zu verstehen, welchen Vorzug sie genossen, würden sie weiterhin auf mich, und alle die es schwer hatten, herabsehen. So könnten sie weder den Geschmack des eigenen Erfolges erfahren, noch Gnade zu schätzen wissen.
Wie sollen sie erfolgreich sein, wenn sie ihren Erfolg, von den der anderen, nicht unterscheiden können?
Wie sollen sie jemals Gnadenvoll sein, wenn sie den Wert von Gnade nicht zu schätzen wissen?
Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.“
Doch mein zweites Ich ließ nicht locker: „Ehre sei dem, der anderen hilft seine einzigartigen Begabungen zu finden, welche sie auch sei, für wen sie auch sei, zum Wohle aller. Denn die Vielfalt ist das Vollkommene Ganze der unvollkommenden Einzigartigkeiten. So suchet nach der einzigartigen Begabungen jedes Einzelnen, derer jeder gebraucht wird.“
„Sie haben es den anderen schwer gemacht. Sie sind feige, wie die Lumpen, die im nachhinein Dinge behaupten, die sie nicht verstanden haben. Und wieder gäbe ich ihnen nur einen Grund mehr, genau die zu verachten, von deren Mut sie profitieren. Soll ich das vielleicht auch noch unterstützen?“, wiedersprach ich mir selbst.
„Konzentriert Euer Handeln nicht auf den Kampf gegen das Böse, sondern konzentriert Euer Handeln auf den Kampf für etwas Gutes. Ehre sei dem, der Gnade hat, denn Gnade ist wichtiger als Recht.“
Die vier Burschen schauten mich sehr hoffnungsvoll an und warteten immer noch geduldig auf eine Antwort von mir. Einer der Jungen lächelte mich auffordernd mit so großen treuen Augen an, dass es mir fast unmöglich war, ihnen ihre Bitte abschlagen zu können. Scheinbar war es wirklich ihre Absicht, das Leben unbedingt kennenlernen zu wollen. Sie wirkten neugierig und entschlossen, nur etwas ängstlich. Vielleicht fehlte ihnen nur ein kleiner Schubs für einen gelungenen Start ins Leben.
Und verweilte ich nicht schon lange genug in Garten Eden? Hatte ich den Sinn des Lebens vielleicht vergessen? Glaubte ich etwa schon genug zu wissen? Ich rang mit mir selbst. Schweren Herzens fühlte ich jedoch tief in meinem Inneren, dass es kein Zufall war, dass ausgerechnet ich aufgefordert wurde, erneut ins Leben zu gehen. Seltsam auch, dass es ausgerechnet Edenwesen und keine Lebewesen waren, die mich ins Leben drängten. Damit hatte ich am allerwenigsten gerechnet.
Ja, es geht um die Auseinandersetzung mit sich selbst, noch bevor man durch sein Handeln das Tor in die Welt der Ungewissheit durchschreitet. Es ist unwichtig, alles richtig zu machen. Es ist wesentlich, über sich selbst hinauszuwachsen. Und dieses gilt besonders für mich. Es ist also mal wieder Zeit für mich, zu gehen. Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.“
Und so wandte ich mich zu den jungen Burschen und willigte ein:
„Ihr habt recht“, sprach ich zu ihnen. „Es ist wieder Zeit für mich, den sicheren Garten Edens zu verlassen und euch ein Stück des Weges ins Leben zu begleiten. Aber ich sage euch, es wird der Zeitpunkt kommen, an dem wir uns trennen werden und jeder von uns, auf sich alleingestellt, seinen eigenen Weg gehen muss. Vier Wochen, nicht ewig, aber vier Wochen wollen wir durchhalten. Wenn ihr den Mut habt, treffen wir uns morgen Früh auf der Terrasse und beschreiten dann gemeinsam den Weg ins Leben.“
Die Jungs strahlten mich an, bedankten sich, drehten sich um und gingen gemeinsam über die grünen Hügel hinweg, bis sie schließlich hinter einer Bergkuppe verschwanden. Mir war klar, dass ich dieses Mal im Leben weiter gehen müsste, als je zuvor und mir niemand folgen könnte. Nur so ergab es Sinn. So sollte es sein.
Und so, wie ich mit meiner Entscheidung das Eine beendete, um etwas Neues zu beginnen, endete auch dieser Tag für einen neuen Morgen. Und die rote Abendsonne versank im Westen der Edenwesen und löschte, am Ende ihrer Reise, ihr warmes Licht.
Das dritte Leben
Der Morgen
Es war hell, weiß, frühlingshaft warm und fast ganz still.
Wie immer, wachte ich, geblendet vom gleißend hellen Licht, der durch die großen Fenster kommenden Sonnenstrahlen, in der Villa auf. Ruhig und entspannt stand ich barfuss auf dem angenehm kühlen weißen Marmorboden in meinem weißen, leichten Gewandt. Ich senkte meinen Blick aus dem Helligkeit und meine Augen gewöhnten sich an die Lichtverhältnisse. Die morgendliche Sonne floss sanft durch die langen Fenster und erfüllte den Raum mit Licht und Wärme. Einer der hohen gläsernen Flügeltüren war leicht geöffnet. Die Vögel zwitscherten. Eine Flügeltür war leicht geöffnet und eine lauwarme Windbriese ließ die langen weißen Vorhänge der Fenster leise und sanft nach außen schwingen.
„Die Sonne begrüßt dich und die Vorhänge machen für dich den Weg nach draußen frei. So folge der Einladung in die Freiheit, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Wie immer, ging ich an dem Raum der palavernden Menschen vorbei, betrat durch die geöffnete Tür die weiße Marmorterrasse und atmete tief die frische Morgenluft ein. An einigen Tischen auf der Terrasse saßen wieder vereinzelt Menschen und frühstückten oder genossen einfach nur den weiten Blick über den grünen Garten.
Aufbruch der Gemeinschaft
Die Jungs waren tatsächlich alle gekommen. Sie saßen gemeinsam an einem der Tische und schauten über die Landschaft von Eden. Ich ging auf sie zu und begrüßte sie:
„Nun ist es so weit. Lasst uns ins Leben gehen, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Fast heimlich, zogen sie ihre kleinen Rucksäcke unter ihrem Tisch hervor und schnallten sie sich auf ihren Rücken, während sie hastig ihren Platz verließen und mir die Treppen in den Garten folgten. Der alte Mann stand, wie immer, zwischen dem Apfelbaum und dem Zierbrunnen. Er schaute zu uns herüber und schüttelte wieder mit dem Kopf. Die Jungs schlichen mir in geduckter Haltung hinterher und hofften somit wohl unbewusst, sich den strengen Blicken der Edenwesen entziehen zu können, die uns grimmig von ihren Wiesen im Westen fixierten. Die Lebewesen der Ostseite winkten uns jedoch aufmunternd zu und wünschten uns alles Glück für unsere Reise. Die Burschen und ich schwebten weiter über die weißen Marmorfliesen in Richtung des goldenen Tores. Wir waren dieses Mal nicht ganz alleine auf unserem Weg. Vereinzelnd begegneten wir anderen Wanderern, die uns braun gebrannt, wahrscheinlich aus dem Leben, entgegenkamen. Einige einzelne Gestalten bewegten sich in kontinuierlicher Distanz vor uns, verschwanden und erschienen immer wieder hinter Hügeln und Bäumen und marschierten, vermutlich wie wir, zu den Pforten von Eden. Je weiter wir kamen, desto aufrechter gingen nun die vier Burschen, bis sich einer von ihnen sogar traute, ein kleines Lied zu pfeifen.
Wir überquerten den Pass und näherten uns den goldenen Pforten von Eden. Die Jungen waren sichtlich beeindruckt, als sich die prunkvollen Tore öffneten, die weißen Frauen Spalier standen und sie die schnatternden „Jungvögel“ vor dem Gitter, wie auch die flatternden „Lumpen“ dahinter erspähten.
„Die Sonne begrüßt euch und die Tore machen für euch den Weg nach draußen frei. So folgt der Einladung in die Freiheit, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Meine Begleiter zögerten einen Moment, als sie die wüste Welt hinter den goldenen Gattern des Garten Edens erblickten und schauten mich verunsichert an.
Ich blickte in ihre fragenden Gesichter und gab mein Bestes, sie auf das Leben vorzubereiten:
„Wenn wir das Leben betreten, werdet ihr das erste Mal euer wahres Gewicht spüren. Erschreckt euch nicht. Die Luft ist heiß und staubig. Atmet durch die Nase ein. Der Wind droht euch umzukippen. Geht vorsichtig, Schritt für Schritt und achtet, worauf ihr eure verletzlichen Füße setzt. Aber das wichtigste: Was auch passiert, dreht euch nicht um. Niemals! Oder ihr erstarrt gleich wohl einer Salzsäule. Schaut immer nach vorne! Wenn ihr durch dieses Tor geht, vergesst den Garten Eden oder ihr verlasst ihn nie! Seid ihr bereit?“
Die Burschen nickten und holten noch einmal tief Luft, als wollten sie tauchen gehen. Dann schritten wir über die Schwelle des Tores und betraten die schwere Wirklichkeit, unter sandigem Wind und brennender Sonne, in der Wüste.
Wir kamen nur langsam vorwärts. Ich wartete auf sie und hoffte nur, sie würden den ersten Tag tapfer überstehen. Aber sie kämpften gut und taten alles, um zu leben. Ich wusste, es würde ihnen eines Tages leichter fallen, sich mit den Naturgesetzen des Lebens zu arrangieren und die Neugierde in ihren Augen versprach Hoffnung auf ein erfülltes Leben.
Unsere erste Nacht verbrachten wir in der Tundra und ich sammelte etwas Gras und kleine Stöckchen für unser erstes kleines Lagerfeuer. Am Nächsten Morgen fanden wir Wasser und gelangten schließlich in den Wald. Sie kletterten auf Bäume, um Äpfel zu pflücken und ich sammelte für uns Pilze. Ich führte sie zum See und brachte ihnen das Fischen bei. Sie lernten nicht nur von mir, sondern auch ich lernte von ihnen, denn ihre Sicht, die Dinge zu betrachten, veränderte auch meine Wahrnehmung und so erschien mir Vertrautes, in neuem Licht. Mir wurde bewusst, als ich noch der Schüler war, bestimmten vor allem Ideen mein Leben. Als ich dann gelerntes und Ideen anwendete, begann ich erstmalig zu begreifen. Doch erst jetzt, als Lehrender, wo mir andere den Spiegel meiner Lehre zeigten, wurde ich mir meiner Unklarheiten, Irrtümer und meiner selbst bewusst. Wir zogen durch den Wald, begegneten der Freude und der Trauer, dem Angenehmen und Unangenehmen und wurden immer mehr zu einer Gemeinschaft, in einer Welt der Gegensätze und dem Anderen, der Dualität und Vielfalt. Meine anfänglichen Befürchtungen, die ich gegenüber den Jungen hatte, waren völlig unbegründet. Sie machten durchaus ihre eigenen Erfahrungen und sie würden auf ihre Art verstehen, was wichtig ist. Ich glaube, es war weniger wichtig für sie, was ich wusste und sagte, wohl aber, dass ich einfach nur da war. Ich hatte sie in mein Herz geschlossen und genoss ihre Gegenwart, obgleich ich wusste, dass der Zeitpunkt unserer Trennung nahte. Wir durchquerten schließlich das Dorf meines letzten Lebens. Obwohl mir klar war, dass in Eden und dem Leben, die Zeit anders verlief, hoffte ich, in diesem Dorf, dennoch alte Freunde wieder zu treffen, aber niemand, den ich kannte, war noch da. Wir erfrischten uns auf dem Marktplatz am klaren Wasser des Brunnens. Dann war es so weit: Ich führte die Jungen ans Ende des Dorfes, durchquerte mit ihnen das dahinterliegende kleine Gehölz und wir erreichten schließlich die südlichste Grenze des Waldes.
Die Vulkanlandschaft
Die Trennung
Vor uns lag nun eine schwarze Sandwüste aus Vulkanasche. Kein Grün, so weit das Auge reichte. Vereinzelnd ragten schwarz verbrannte Baumskelette aus dem Erdreich. Ein riesiges schwarzes Gebirge durchzog im Hintergrund die öde Vulkanlandschaft. Einige Berge spieen Lava, Asche und Gesteinsbrocken aus den Höllenschlünden ihrer Gipfel. Tiefes Grollen ließ den Boden erzittern. Rot leuchtende Lavaflüsse bahnten sich aus den Kratern die Abhänge hinunter, schoben sich an verbrannten Felsbrocken über den dunklen Sand, walzten ins Tal herab und versammelten sich dort in dampfenden Seen, rot kochender Glut oder erstarrten wie verendete Riesenamöben, inmitten einer rauch- und dampferfüllten Feuerlandschaft. An manchen Stellen traten vereinzelnd Risse und Löcher im Boden auf, an dessen Grund ein glühender Lavastrom blubberte, der aus Höhlen unter der Erde hineinfloss und durch eben solche wieder geheimnisvoll verschwand. Gelbe Steine türmten sich in diesem Ödland, eingehüllt vom weißen Dampf übelriechenden Schwefels, der einen an den Geruch verfaulter Eier erinnerte.
Ich überspielte meine aufkommende Unsicherheit und die bevorstehende Abschiedmelancholie mit einem versuchten Lächeln. Nacheinander blickte ich in die Gesichter der Jungen, die mit mir in einer Reihe am Waldesrand standen und ehrfurchtsvoll das heiß flimmernde Geschehen der Vulkanlandschaft beobachteten:
„Nun ist der Zeitpunkt gekommen, da wir uns trennen müssen“, sprach ich zu ihnen und zeigte auf ein tiefes Tal zwischen zwei Gebirgen. „Dort ist mein Weg. Ab hier muss ich alleine gehen. Euer Weg ist ein anderer. Lasst euch hier vom Leben überraschen. Trennt euch und ergreift die Chance, dem Leben und den Wesen, jeweils alleine zu begegnen, damit ihr euch nicht gegenseitig abgelenkt und blind seid, wenn das Leben, zu jedem von euch, kommt. Seid aufmerksam und verliert nicht eure Hoffnung, denn das Leben ist vielfältiger, als unsere Vorstellungskraft. Wir werden uns wiedersehen.“
Der Schritt in die Hölle
Dann drehte ich ihnen den Rücken zu und wagte mutig einen ersten Schritt in diese vor mir liegende, lebensfeindliche Welt. Ob es jedoch wirklich Mut war oder einfach nur idiotischer Leichtsinn, darüber war ich mir inzwischen nicht mehr so sicher. Vor mir klaffte plötzlich ein großes Erdloch, und an den steil abfallenden Wände darin, schimmerten der rote Schein der kochenden Lava.
„Was habe ich mir bei diesem Vorhaben eigentlich gedacht?“, sprach ich zu mir und begann mich über mich Selbst zu ärgern. „Wollte ich vielleicht irgend jemandem etwas beweisen? Forderte ich das Unglück nicht geradezu heraus? Ich muss bescheuert sein!“
Am liebsten hätte ich mich umgedreht, doch ich wusste um die Stärke der Verführung und konnte mich noch im letzten Moment zurückhalten. Dennoch zweifelte ich an der Richtigkeit meiner Entscheidung.
„Was bist du doch für ein Großmaul“, baute ich mich liebenswürdig auf, „Vor mir liegt eine Landschaft, in der ich gewiss nichts zu essen und nichts zu trinken finden kann – falls ich für solche Sorgen überhaupt lange genug überleben werde. Wahrscheinlich darf ich mich sogar glücklich schätzen, wenn ich nicht schon vorher ein Opfer dieser feindlichen Naturgewalten werde. Doch wenn ich mich jetzt feige zurückziehe, würde ich meiner eigenen laut geäußerten Überzeugung untreu werden und mich vor den Burschen als Hochstapler blamieren. Welch ein Dilemma.“
Ich spürte, wie mir die Burschen hinterher sahen.
Vielleicht war es verrückt, aber ich konnte nicht mehr umdrehen. Ich musste die Jungen und den Wald hinter mir lassen und weitergehen. Ich musste nach vorne schauen. Nun war die Zeit gekommen, da ich beweisen musste, wie ich meiner eigenen Überzeugung vertraute und zu ihr stand. Von meinem Mut hing es ab, wie glaubwürdig ich, in den Augen der Jungen, ein Lehrer bin und gleichzeitig begegnete ich nun der unabwendbaren Konfrontation mit einer wesentlichen Erkenntnis über mich selbst. Diese Welt war meine Prüfung und der Spiegel meiner Ehrlichkeit, in Bezug auf meinen Glauben und meines Selbstvertrauens.
Es gab allen Grund zur Befürchtung, dass der Boden unter meinen Füßen wegbrechen könnte und ich augenblicklich in einen dieser Höllenschlünde fallen würde, käme ich ihnen zu nahe. So beschloss ich, einen respektvollen Abstand zu allen Löchern und Spalten zu halten, tastete mich vorsichtig zwischen ihnen hindurch und machte mich auf den Weg, in das großes Tal, zwischen zwei riesigen, schwarzen Gebirgszügen. Ich drehte mich nicht um.
Immer tiefer verschwand ich im Rauch und Dampf, der aus dem Boden kommenden Erdgase. Ich kletterte über schwarze Basaltbrocken und stapfte knöcheltief durch warme Asche.
Nach einiger Zeit kam ich an den Rand eines ausgedehnten, zäh fließenden, Lavastroms. Dunkle Flecken schwammen auf diesem glühenden Fluss und glitten auf seiner Oberfläche mit ihm abwärts. Ich folgte dem Flusslauf an seinem östlichen Ufer nach oben und näherte mich auf diese Weise langsam dem ersehnten Tal. Immer wieder erbebte die Erde und tiefes Grollen erzitterte die Luft. Ab und zu wagten sich vereinzelte Sonnenstrahlen in einem beeindruckenden Lichterspiel durch die rußige Wolkendecke und ließ kleine Gebiete der Landschaft erhellen. Nach einigen Stunden erreichte ich, zwischen zwei gewaltigen Bergmassiven, den Eingang des Tals. Vor mir lag eine ausgedehnte, flache Sandebene. Der Lavafluss veränderte hier plötzlich seinen Verlauf nach rechts und schien einer Quelle, irgendwo aus dem rechten Gebirge, zu entspringen. Zu meiner Linken blubberte ein kochend heißer Schlammsee. Graue Wellen spülten träge an den Strand. Beim Anblick dieses blubbernden Sees, musste ich an eine schmackhafte Suppe denken. Es kam eben, wie es kommen musste. Ich bemerkte meinen Hunger. Konzentriert spähte ich in das weite Tal und suchte nach Anzeichen von Nahrung, doch weit und breit ließ nichts darauf schließen, dass ich irgendwo etwas essbares hätte finden können. Also marschierte ich zwischen den Rauchschwaden weiter durch die Ebene und hoffte, so absurd es mir auch erschien, auf ein bisschen Glück.
Der tote Baum
Die Wolkendecke riss an einer kleinen Stelle auf. Ein einziger Sonnenstrahl drang hindurch und erreichte ungefähr einen Kilometer vor mir den Boden. Langsam erkannte ich dort ein in der Hitze flimmerndes, schwarz verbranntes Baumskelett. Wie ein bedrohliches Mahnmal, ragte die obskure Gestalt, in mitten dieser Einöde, verlassen aus der Asche und versteckte sein Antlitz immer wieder hinter vorbeiziehenden Rauchwolken. So strebte ich zum einzigen Ziel in diesem Tal, was mir auf so auffällige weise präsentiert wurde. Die Wolkendecke schloss sich wieder und ich erreichte das tote Gebilde schließlich im grauen Nebel. Einige Meter vor dem Stamm, kniete ich mich erschöpft in die warme Asche und blickte auf die verbrannten Überreste dieses Baumes. Der Stamm war nach einigen Metern oben abgebrochen und ließ nur noch die Überreste seiner verbrannten Baumrinde scharfkantig in den Himmel gerichtet.
Rechts und links ragten, wie Arme, zwei dicke Zweige aus dem Stamm und wippten ächzend im Wind.
„Und was nun?“, fragte ich mich selbst und meine Sorgen wuchsen. „Ich habe Hunger und Durst und sehe noch immer keine Hoffnung, hier etwas zu essen oder zu trinken zu finden. Wovon soll ich leben?“
Ich ließ meine Hände vor mir auf den warmen Boden fallen und beobachtete, wie sie scheinbar ohne mein Zutun in den schwarzen Sand griffen. Dann hob ich eine geschlossene Hand hoch und ließ die feinen Sandkörner langsam durch meine Finger herausrieseln. Noch bevor sie den Boden berührten, erfasste sie der Wind und trug sie weit mit sich. Ich sank nach vorne und stützte mich mit meinen Händen auf. Erneut stach ich, mit flachen Händen, tief in den Sand. Die tieferliegenden Schichten waren erheblich wärmer als die oberen und ich berührte beim Hinabgleiten mit meinen Fingerkuppen, etwas weiches. Im ersten Moment erschrak ich. Dann trug ich mit beiden Händen vorsichtig die obere Sandschicht ab und sah in der schwarzen Asche etwas rotes schimmern, was jedoch keinesfalls wie Lava aussah. Hastig legte ich das gesamte Objekt frei und blickte zu meiner Überraschung auf einen roten heißen Bratapfel.
Ich konnte erst gar nicht glauben, was mir da wiederfuhr. Ich saß mitten in einer Vulkanlandschaft und fand unter den Überresten eines verbrannten Baumes einen reifen, wohlriechenden Bratapfel. Er schmeckte besser, als alle Äpfel, die je gegessen hatte, und es gab im Umkreis dieses Baumes, unter der Erde, noch viele weitere Bratäpfel. Es waren so viele, dass ich mich an ihnen satt essen konnte. Meinen kleinen Rucksack konnte ich ebenfalls bis oben hin auffüllen. Ein bisschen stillten die Äpfel sogar meinen Durst, aber es reichte natürlich nicht. Nun war es also wichtig, Wasser zu finden.
„Ohne Essen kann ich vielleicht einige Zeit überleben, aber ohne Trinkwasser werde ich nicht lange durchhalten können“, dachte ich mir und begann mich wieder zu sorgen.
Aber ich hatte auch wieder etwas Hoffnung geschöpft, denn wenn mir Gott, in dieser unwirklichen Welt, Bratäpfel schenken konnte, dann sollte es für ihn doch erst recht kein Problem sein, mich zu Trinkwasser zu führen.
Der Geysir
Und so nahm ich meinen Rucksack und marschierte energiegeladen und voller Hoffnung, weiter durchs dunkle Tal in eine unbekannte Zukunft.
Das Tal zog sich zwischen den Bergkämmen in südöstlicher Richtung. Ich kam während meiner Wanderung bald in ein Gebiet, in dem der Rauch aus den Kratern über mir abnahm. Hier zogen nur noch einige wenige Kumuluswolken ruhig ihre Bahnen unter dem blauen Himmel. Die Nachmittagssonne warf ihr gleißendes Licht über weite Gebiete des Tals und verlieh den Felsen und Berghängen helle Farben. Wolkenschatten wanderten langsam über die Landschaft und verliehen ihr fast übertriebene Klarheit und Plastizität. Zwischen weißen Steinen stieg vereinzelnd weißer Wasserdampf auf. Einige Kilometer von mir entfernt schoss plötzlich eine hohe Wasserfonthaine aus dem Boden. Es war ein Geysir.
Selbst aus dieser Entfernung bot sich mir ein beeindruckendes Schauspiel. Es mussten gewaltige Wassermengen sein, die dort gen Himmel geschleudert wurden. Der Druck im Erdinneren reichte wohl aus, um die Fonthaine auf mehr als hundert Meter Höhe zu katapultieren, bevor sich ihr Strahl an der Spitze zur Seite bog und das Wasser, vom Wind zerstäubt, in feinen Tropfen nach unten fiel. Wie eine lebendige Statur stand der Geysir silbrig glänzend in der Nachmittagssonne, umsäumt von den prächtigen Farben eines Regenbogens und hob sich, als Star der Landschaft, von den Bergen ab.
„Dieses sollte meine Wasserquelle sein, an der ich meinen Durst stillen würde“, dachte ich mir und freute mich.
Das Tal und der Boden unter meinen Füßen waren nun gut zu übersehen, auch begegneten mir hier keine tiefen Erdspalten und Löcher mehr. Ich konnte es nun riskieren schneller zu marschieren und rannte bald voller Ungeduld, leicht abwärts, durchs Tal, zum Geysir. Noch während meines Laufs stellte der Geysir seine Aktivität ein und fiel wieder in sich zusammen. Glücklicherweise konnte ich mir seine Ursprungsposition aus der Entfernung merkte und erreichte bald, außer Atem, dass Loch seiner Geburtsstätte. Um die Quelle herum lagen etliche weiße Felsbrocken. In ihnen, wie auch auf der glatten Ebenen zwischen den Felsen, gab es tiefe Mulden, in denen sich türkis blaues, milchiges Wasser angesammelt hatte. Ich näherte mich den Mulden und löschte meinen Durst. Das Wasser war noch warm. Dann entfernte ich mich schnell einige hundert Meter von diesen Stellen, denn ich wollte nicht zu lange in der Nähe der Austrittsöffnung des Geysirs verbleiben, setzte mich auf einen Stein und ruhte mich aus.
Die Lava
Die Wolken am Himmel schienen sich zusammen zu brauen und schoben sich, wie graue Bowlingkugeln, langsam vor die absinkende Abendsonne. Die Schatten der Gebirge wurden länger und bedeckten plötzlich schnell das Tal. Es begann zu dämmern. Mir wurde mein Glück des heutigen Tages bewusst und wollte mich hierfür bei Gott bedanken, als sich der Boden unter mir bewegte und lautes Knirschen und Kreischen aus dem Erdreich drang. Die Erde begann zu beben. Hinter mir donnerte etwas mit lautem Getöse, und ein grelles Pfeifen schallte durchs Tal. Schlagartig schleuderte mich eine Druckwelle vom Stein und warf mich zu Boden. Für einen kurzen Moment schien ein Sturm über mich hinweg zu fegen, bis er nach einigen Sekunden genau so schnell wieder verschwand, wie er kam. Ein Grollen hallte durchs Tal. Ich richtete mich auf und sah in die Richtung, aus der ich hergekommen war. Unterhalb eines Kraters, am Nordhang des südlichen Bergmassives, hatte sich eine große Felsplatte vom Berghang gelöst und war ins Tal gestürzt. Wie aus einer klaffenden Wunde, quoll rote Lava aus dem Berg heraus und bahnte sich seinen Weg ins Tal.
„Mein Gott“, rief ich geschockt in das ohrenbetäubende Krachen einiger herabstürzender Gesteinsbrocken. Wie gelähmt betrachtete ich die immer größer werdende schwarze Aschewolke, die sich zwischen den Bergen langsam auf mich zu wälzte.
„Ich bin den ganzen Nachmittag bergab gegangen!“, stellte ich erschreckend fest. „Die Lava wird in meine Richtung fließen! Ich muss hier weg! Ich muss nach Oben!“
Ich schaute zum nördlichen Bergmassiv und suchte eine Stelle, an der ich möglichst gut den Hang hinaufklettern könnte. Dann packte ich meinen Rucksack und schnallte ihn mir, während ich loslief, auf den Rücken.
„Ich muss schnellsten aus dem Tal heraus und nach oben flüchten!“, spornte ich mich an.
Immer wieder blickte ich flüchtig nach links und hoffte dadurch einschätzen zu können, wann mich die Wolke und die Lava erreichen würden.
Die Wolke kroch die Hänge hinauf und floss über die Bergkämme, während sie gleichzeitig unaufhörlich auf mich zu wuchs.
„Stopp!“
Unverhofft stand ich vor einer tiefen Erdspalte, die ich gerade noch im letztem Moment gesehen hatte. Fast wäre ich hineingefallen. Geschockt schaute ich in den vor mir liegenden Abgrund. Das Beben hatte möglicherweise neue Risse aufgetan und diese versperrten mir nun meinen Fluchtweg.
Der Himmel verdunkelte sich. Die Wolke schob sich einige hundert Meter über mich hinweg und schien von dort aus auf mich herabzusinken. Am Grund, der vor mir liegenden Erdspalte, begann die darin kochende Lava, mit zunehmender Dunkelheit, immer heller zu leuchten. Schnell erhaschte ich noch ein paar kurze Blicke auf wesentliche Landschaftsmerkmale, um mir einen neuen Fluchweg um die Spalte herum einzuprägen, bevor es zu dunkel sein würde, etwas erkennen zu können. Vorsichtig schlich ich mich an einer Seite des Spaltes vorbei und bewegte mich dann wieder auf kürzestem Weg in Richtung Hang. Dann erreichte mich die Wolke. Ich stand in einem heißen Sturm aus umherfliegenden Ascheteilchen. Sie hüllten mich ein und nahmen mir schließlich jegliche Sicht und beinahe die Luft zum Atmen. So tastete ich mich nahezu blind, im heißen Wind, durch eine stockdunkle Nacht. Der Weg vor meinen Füßen, war kaum zu erkennen. Einerseits war mir bewusst, dass ich mich beeilen musste, wenn ich der Lava entkommen wollte, andererseits musste ich bei diesen schlechten Sichtbedingungen befürchten, in eine der nächsten Erdspalte fallen zu können. Ich hoffte nur, ich würde wenigstens noch in die richtige Richtung laufen, denn es gab nichts mehr, woran ich mich hätte orientieren können. Ich tappte weiter durch den dunklen Sturm, als links von mir, ein diffuser Schein im Nebel, langsam rot zu leuchten anfing und immer heller wurde. Die Lava kam! Sie konnte nicht mehr weit von mir entfernt sein und ich hatte keine Ahnung, wie weit der rettende Hang noch von mir entfernt sein würde. Ich hastete immer schneller durch die Dunkelheit und stolperte ständig über irgend welche Steine. Das glühende Rot wurde rapide heller.
„Du musste jetzt losrennen“, drängten mich meine Gedanken zur Flucht.
Mir wurde bewusst, dass ich in eine Erdspalte fallen könnte, wenn ich in dieser Dunkelheit einfach blind losrennen würde, aber würde ich vorsichtig bleiben, könnte mich vielleicht die heranfließende Lava erfassen. Wenn ich wenigstens hätte erkennen können, wie weit der Hang und die Lava von mir entfernt waren. Panik überkam mich. Was sollte ich tun? Ich entschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Ich schrie wie ein Wahnsinniger und rannte los, ohne auch nur irgend etwas sehen zu können, mitten in die Dunkelheit. Vielleicht lief ich geradezu auf eine Erdspalte zu. Vielleicht war die Lava aber auch schon so nahe, dass sie mich jedem Moment verschlingen würde. Ich gab alles und stolperte in voller Panik blind in die Schwärze, in irgendeine Richtung, in der ich glaubte den Hang erreichen zu können. Immer wieder stießen meine Füßen gegen Steine, die ich nicht sah und jedes mal, wenn meine Füße unverhofft in einer Bodensenke ins Leere traten, fürchtete ich in einen Erdspalt zu fallen. Ich lief um mein Leben. Ich rannte aus Angst vor dem Schmerz des Verbrennens.
Das rote glühen in der Wolke wurde bald so hell, dass sich das Licht in den vor mir liegenden Steinen reflektierte. Ich konnte besser sehen und rannte noch schneller. Dann spürte ich, dass es aufwärts ging.
„Das muss jetzt einfach der errettende Hang sein“, rief ich mir zu.
Es ging immer steiler bergauf. Endlich wusste ich, dass ich in die richtige Richtung gelaufen war. Nun kam es nur noch darauf an, so schnell wie möglich, über das lose Geröll an dieser Steigung, an Höhe zu gewinnen.
Plötzlich knallte ich bei vollem Lauf gegen einen Felsen und taumelte leicht zurück.
Ich stand vor einer fast senkrechten Felswand. Es war nicht nur ein großer Felsbrocken, wie ich anfangs hoffte, es war tatsächlich eine Felswand, die mir nun den Fluchtweg versperrte. Im roten Schein der Lava konnte ich inzwischen einige Meter weit nach rechts und links sehen. Überall ging diese Steilwand fast senkrecht hoch. Ich wollte erst nach einer flachen Stelle suchen, aber mir fehlte die Zeit. Ich musste klettern. Schnell suchte ich mir einen möglichst einfachen Einstieg in die Wand, aber sie war überall zu glatt. Ich suchte weiter. Endlich fand ich einen ersten Halt und zog mich hoch. Dann fand ich auch meinen ersten Tritt, wieder einen Halt und wieder ein Tritt. So schob ich mich Zentimeter für Zentimeter nach oben. Wie hoch ich klettern müsste, wusste ich nicht. Auch konnte ich nicht abschätzten, ob ich dieses Hindernis bald überwunden hätte und es nach oben hin einfacher werden würde oder ob die Wand schließlich zu steil, zu glatt und mit zu wenig Haltemöglichkeiten, meinem Fortkommen ein jähes Ende bereiten würde. Es gab jedoch kein zurück mehr. Ich konnte nicht mehr absteigen und notfalls in einem zweiten Versuch, einen neuen Einstieg auswählen. Die Lava hatte bereits den Fuß meiner Wand erreicht und zog brodelnd unter mir hindurch. Die aufsteigende Hitze der zähen Masse war unerträglich. Es war so heiß, dass ich im ersten Moment vor Schmerzen schrie. Ich versuchte die Ruhe zu bewaren und die Gefahr zu vergessen. Ich redete mir ein, eine Kletterübung zu machen und betete zu Gott, er möge mich beschützen.
Langsam gewann ich an Höhe und die Hitze wurde endlich erträglicher.
Glücklicher weise fand ich immer irgendwo einen sicheren Halt und es gab mir Hoffnung, bisher noch in keine „Sackgasse“ geklettert zu sein. Ich hatte den Eindruck, mit der Auswahl meiner Kletterroute, wirklich Glück gehabt zu haben, aber ich wollte lieber nicht den „Tag“ vor dem „Abend“ loben und mich statt dessen lieber auf das Hochsteigen konzentrieren. Ich durfte keinen Fehler machen.
Der heiße Wind hatte die Felsen erwärmt. Anfänglich rissen kurze Böen an meinem Körper, doch um so höher ich kam, desto gleichmäßiger und ruhiger wurde die Strömung. Außer der Wand, sah ich nichts. Um mich herum herrschte ein endlos schwarzer Raum. Meine Wand wurde, durch die unter mir fließende Lava, in ein tiefes Rot getaucht und die von unten beleuchteten Felsüberhänge streckten ihre langen Schatten über sich an die Felswand.
Ich wusste nicht, wie hoch ich noch klettern müsste, aber ich kam gut vorwärts.
Leise sang ich nebenbei ein Lied aus meinem alten Dorf. Es gab keinen Hall. Der Schall strahlte von der Wand ab und verschwand hinter mir im schwarzen Nichts.
So entwickelte sich der Aufstieg zu einer Reise und es gab in dieser Dunkelheit nur noch mich und diese rote Wand mit den langen Schatten.
Irgendwann wurde der Aufstieg einfacher. In zirka zwanzig Metern Höhe nahm die Steigung rapide ab. Kurz darauf wurde das Klettern kaum schwieriger, als Treppensteigen. Mit letzter Kraft erreichte ich schließlich das obere Ende der Klippe. Ich setzte meinen Rucksack am Hang ab, ließ mich erschöpft auf einen Stein nieder und schaute, noch völlig außer Atem, ins Tal hinunter.
Die Aschewolke schien nicht mehr so undurchdringlich alle Sicht zu versperren, wie anfänglich, sondern erlaubte nun einen weitläufigen Blick ins rot leuchtende Tal. Langsam zog sich der glühende Fluss, wie eine Tiefseeschlange, zwischen den Bergmassiven hindurch und tauchte die von unten beleuchteten Hänge in ein seltsam magisches Licht. Grollen hallte durch das nächtliche Tal und verbreitete sich in endlosen Echos.
Um mich herum war stockdunkle Nacht. Nur einige lose Felsen um mich herum schimmerten in einem schwach roten Schein. Der hinter mir ansteigende Berghang, verlor sich in tiefer Finsternis. Meine zerrissenen Kleider flatterten im lauwarmen Wind.
Ich streckte meine Arme vor mich gen Tal und betrachtete gegen das Licht, die rötliche Silhouette meiner ansonsten dunklen Hände. Ein Wassertropfen traf meine Fingerkuppe und lief, wie ein kleiner Diamant, an meinem rechten Zeigefinger hinab. Es begann zu regnen.
Ich hielt meine Hände zur Schale, sammelte das Herabfallende Regenwasser und trank dieses Elixier des Lebens. Der kühle Regen ergoss sich über das Tal und fiel auf die heiße Lava. Noch bevor die Tropfen den Schmelzfluss erreichten, begannen sie zu verdampften. Kriechend breitete sich eine von unten beleuchtete Nebelbank aus und verdeckte, in einem diffusen Schein, die Sicht auf jene Feuerschlange, die nun unbehelligt fressend, ihren Weg in ihre neu errungene Freiheit fortsetzte. Bald war das ganze Tal von einem rosa Wolkenband erfüllt, das sich angetrieben von Wind und Thermik, langsam durch die Tiefebene schob. Hinter dem Tal zuckten unter den Niederschlägen, die ersten Blitze und erhellten für kurze Momente meine Umgebung.
Ich war inzwischen bis auf die Knochen nass. Mir wurde eiskalt und ich war müde. Aber ich ertrug es, wie betäubt. Die Blitze kamen näher und es wurde deutlich, dass ich hier am Berg vor ihnen nicht sicher sein würde, aber ich konnte auch nicht im Tal Zuflucht finden, denn dort wartete die Lava. Hatten eben noch unerwartete Hindernisse meine Flucht erschwert und mir beinahe das Leben gekostet, wurde ich jetzt durch den Regen ungesund unterkühlt und das Gewitter entpuppte sich mit seinen Blitzen zu einer neuen Bedrohung für mich.
„Seltsam“, dachte ich mir, „manchmal hat man den Eindruck, die ganze Welt würde sich plötzlich gegen einen verschwören. Aber was soll man machen? Wenn es nicht anders geht, muss man für sein Ziel, vielleicht auch mal gegen die ganze Welt, kämpfen. Welche Wahl bleibt einem denn schon? Ich hatte bei meiner Flucht vor der Lava, trotz Hindernisse, weitergekämpft. Das war gut so. Wer kämpft, kann verlieren. Wer aufgibt, hat schon verloren. Das Ziel sollte es nur wert sein. Und selbst, falls ein Kampf das Risiko in sich birgen sollte, durch ihn umzukommen zu können, so ist es prinzipiell doch trotzdem besser mit seinem Schwert in der Hand zu sterben, als als Sklave zu überleben. Nein, es war richtig hierher zu gehen und nun sollte ich auch weiter gehen. Komme, was da wolle. Und wenn schon; falls tatsächlich alles gegen mich sein sollte, dann kämpfe ich eben gegen alles. Ich gebe nicht auf. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Niemals.“
Es wurde Zeit für mich, einen trockenen, geschützten Unterschlupf zum Schlafen zu finden. Also beschloss ich aufzustehen und einen Platz zu suchen, an dem ich vor Regen und Gewitter Schutz finden würde. Mich zu bewegen, war schließlich besser, als im Sitzen zu frieren. Ins Tal konnte ich natürlich nicht gehen. Auf halber Berghöhe zu marschieren, erschien mir jedoch besser, als auf dem Gipfel den Blitzableiter zu spielen. So nahm ich also meinen Rucksack und stolperte, auf gleichbleibender Höhe, über das Geröll, am Hang entlang. Nach etwa hundert Metern hatte ich einen freien Blick direkt zum Fuße meines Berges. Es war verrückt. Der Abhang verlief hier in einem sanften Gefälle bis ins Tal hinab. Währe ich, bei meiner Flucht vor der Lava, nur wenige Grad weiter nach rechts gelaufen, hätte ich mir die gefahrvolle Klettertour ersparen können. Aber wer weiß, vielleicht wäre ich auf dem rutschigen Geröll langsamer hoch gekommen, als an der Felswand. Möglicherweise rettete mir dieser Fehler das Leben. Und so kraxelte ich fröstelnd durch Wind und Regen über das Geröll in die Dunkelheit, ohne zu wissen, wohin.
Die Höhle
Etwas oberhalb meines Weges, entdeckte ich plötzlich ein rötlich schimmerndes Loch im Berg. Ich kletterte den Hang hinauf und sah den Eingang zu einer Höhle. Der rote Schein kam tief aus dem Berg. Ich trat ein und folgte dem Tunnel ins Innere. Nach vielleicht hundert Metern versperrte mir eine unterirdische Schlucht den Weg. Ich konnte das Ende des tiefen Abgrundes nicht erkennen, doch ich vermutete, dass auch hier Magma für das rötliche Licht verantwortlich sein müsste. Ich ging zurück zur Eingangshalle, legte meinen Rucksack auf den Boden und setzte mich hin. Draußen war es dunkel. Nur in der Höhle schien ein schwaches Licht. Mein Blick schweifte über meine zerschlissene Tragetasche und ich entdeckte ein großes Loch darin. Alle meine Äpfel waren herausgefallen. Nur einer hatte sich in einer Ecke der Tasche verklemmt und alle Strapazen mitgemacht. Ich lehnte mich an die Höhlenwand und schaute nach oben an die Decke. Das Gewölbe und die Wände um mich herum waren nicht grau oder schwarz, sie glitzerten in Tausend schwachen Farben. Es war wunderschön. Neugierig stand ich auf, näherte mich den funkelnden Objekten und entdeckte wundervolle Kristalle und Edelsteine. Einige glitzerten gold, andere rot, gelb, grün oder sogar blau. Zwischen Bergkristallen und Amytisten, lugten faustgroße Rubine und Smaragde aus dem Felsgestein. Noch nie hatte ich etwas so phantastisches gesehen. Die Kristalle ragten zum Teil einige Zentimeter aus den Wänden hinaus. Ich konnte durch sie hindurch ins schwache Licht schauen und mich an ihren Farben und ihrer Klarheit erfreuen. Ich staunte, wie ein kleines Kind. Doch immer mehr machte sich meine Müdigkeit bemerkbar. Ich suchte mir eine glatte Schlafstätte auf dem Boden und aß meinen letzten Apfel. Unaufhörlich ließ ich dabei meine Blicke über die glitzernden Wände gleiten.
„Hier schlafe ich trocken und warm, geschützt vor Wind und Gewitter“, vergewisserte ich mich. „Für diese Nacht bin ich sicher. Und wenn morgen früh, in dieser düsteren Landschaft, die Sonne aufgeht, werde ich hier zwischen leuchtenden Edelsteinen, am einzigen farbenfrohen Ort, aufwachen.“
Dann übermannte mich meine Müdigkeit und ich schlief ein, wie Tod.
Der Gipfel
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war gerade erst die Sonne aufgegangen. Schlaftrunken blickte ich aus dem Höhleneingang heraus und sah auf die hell erleuchteten Gipfel des gegenüberliegenden Bergkammes. Die untere Hälfte des Höhenzuges, wie auch das Tal darunter, ruhten noch verschlafen im morgendlichen Schatten der umgebenden hohen Berge. Mir war kalt. Ich streckte und bog meine steifen Glieder einige Male hin und her und rappelte mich schließlich auf. Ich erfreute mich am schönen Anblick der geheimnisvollen Edelsteine und beäugte kritisch, nun bei Tageslicht, die Stoff-Fetzen meines ehemaligen Rucksackes. Er hatte mir gute Dienste geleistet, doch nun war er wirklich nicht mehr zu gebrauchen. So ging ich ohne ihn aus der Höhle hinaus und stand auf einem weitläufigen, schattigen Geröllhang, unter klarem blauen Himmel. In nordöstlicher Richtung, über mir, ragte der Kamm dieses Berges, in majestätischer Größe, in die Höhe. Kalte, weiße Zirruswolken verharrten am stahlblauen Firmament in scheinbar grenzenloser Freiheit.
„Dieser Tag, ist der Tag!“, rief ich mit aller Kraft in die Berge.
Ich schaute nach oben und lief den Abhang hinauf. Ich rannt und kraxelte, über das Geröll der Ebene, dem Gipfel entgegen. Ich flüchtete aus dem morgendlichen Schatten heraus, hinein in die goldenen Strahlen der aufgehenden Sonne, lechzend nach einem freien Panoramablick über alle Gipfel dieser Welt. Nach etlichen Stunden und der Überquerung einiger Scheingipfel, erreichte ich schließlich doch noch den höchsten Punkt dieses Berges. Ich kletterte auf einen kleinen Felsen, stellte mich aufrecht hin und widersetzte mich dem Wind. Mit wehenden Haaren und zerrissenen Kleidern, die wie eine Fahne im Wind flatterten, stand ich auf dem Gipfel und genoss ein gewaltiges Panorama über schneebedeckte Berge, speiende Vulkane, kochende Lavaströme, silbrig glitzernde Seen und grüne Wälder. Die Welt lag mir zu Füßen. Der weite blaue Himmel über mir, umarmte mich wie eine Kuppel ohne Grenzen und gab mir das Gefühl von unendlicher Freiheit. Ich hob meine Arme, streckte sie seitlich von mir, drehte mich langsam um mich selbst, und die vor mir liegende Welt offenbarte mir ihre wahre und unübertreffliche Schönheit. Und so stand ich, mit ausgebreiteten Armen, flatternd im Wind und rief voller Freude und so laut ich konnte:
„Das ist das Leben!“
Der Lavaausbruch hatte glücklicherweise das alte Dorf und den grünen Wald verschont. Vermutlich hatte, außer mir, niemand etwas von dieser kleinen Katastrophe mitbekommen und das war auch gut so. Ich spähte nach Nordwesten. Dort lag mein Wald, irgendwo darin das alte Dorf und meine Heimat. Mein Rückweg war durch nichts versperrt, nur würde ich dieses Mal etwas länger für meinen Heimweg brauchen, wurde mir bewusst. Ich spürte, dass meine Zeit gekommen war und ich hörte wieder die vertraute Stimme in meinem Kopf:
„Es ist so weit. Deine Zeit ist nun gekommen. Du hast wahrlich das Leben gelebt. Deine vier Wochen sind fast um. Komme zurück nach Hause. Kehre Heim, in den Garten Eden. Wir erwarten dich nun voller Freude und Sehnsucht, warten gespannt auf deine Heimkehr und sind neugierig auf deine Geschichten und Erfahrungen, die du im Leben gesammelt hast. Auf das wir alle, an deinem Leben, aus deinem Munde und deiner Art, teilhaben dürfen, um durch dich und aus uns heraus, mehr zu werden, als wir sind, im Streben nach dem Paradies.
So ist es unser Streben zu wachsen. Entstanden aus dem Einen wahren Licht, welches ohne Grenzen Alles und daher wie nichts war, hin zu den vielfältigen Lichtern der neu erschaffenden Wahrheiten, die durch dunkle Abgrenzungen der Unwissenheit, voneinander getrennt und so durch ihre Trennung zu Teilen einer Vielfalt werden. Doch zusammen sind sie die vielen lichten Teile eines zusammenwirkenden, überwiegend lichten Paradieses, vielfältig und wachsend, stets darauf bedacht, die dunklen Silhouetten der Teile klein zu halten, jedoch nicht auszulöschen. Ein Paradies, wachsend, aus den vielfältigen Erkenntnissen aller Teile, die die Wesen sind. Erkenntnisse, die da basieren auf alle möglichen Betrachtungsweisen, über scheinbare Zusammenhänge im Chaos, woraus, beim Akt des Sortierens, letztendlich neue bedeutsame Ganzheiten entstehen, die mehr sind, als die Summe ihrer Teile, selbst wenn bekannt ist, das alles zusammen wahrlich doch nur das Eine ist.
Vor Beginn der Zeit, in einer erdrückenden Wahrheit des ewig Unveränderlichen, existierte das allwissende Eine, das ihr die Singularität nennt.
Und unnütz wär gewesen, wenn sie sich ewiglich, als das untrennbare eine Licht, vollkommen wahrgenommen und ohne neue Erkenntnis, ohne Werden und ohne Schöpfung, im Vollkommenden Sein verblieben wäre, wie sie war. Denn, hätte sie nur an der wahren Erkenntnis festgehalten, dass alles eins sei, so wie du in mir bist und ich in dir, wenn nichts hinzugekommen und nichts geteilt, und wenn kein Auge verschlossen, so dass keine Wahrnehmung von der Wahrheit ignoriert, dann wären auch keine Teile aus dem fließenden Einen entstanden, die für eine Schöpfung, der Selbsterkenntnis, und somit für das Wachsen, benötig werden. Raum und Zeit wären eins geblieben und unveränderliches Fließen, kreiste überraschungslos vorbestimmt, gleichermaßen unbelebt, wie Stillstand.
Und so war das Eine, einst wie ein Puzzle, bestehend nur aus einem Teil. Und wenn ein Puzzle, nur aus einem Teil besteht, so kannst du diesem nichts hinzufügen. Doch ohne etwas Zweites erschiene Schöpfung, nicht möglich. Aber lässt du das eine Teil, in ein Chaos aus Tausend Teilen zerspringen, die nun ein neues Puzzle sind, kann so die Schöpfung aus dem Einen beginnen, gleich dem, was ihr den Urknall nennt.
So ist es für das Werden der einen Einheit nützlich, in sich selbst ein gesplittertes Ganzes aus unvollkommenden Teilen zu bilden, die jeweils in ihrer Unvollkommenheit, zwar einen Teil der Wahrheit sehen, aber eben für manches blind sind.
Drum schaute das Eine, in sich selbst, und trübte ihren Blick vor der einen Wahrheit. Und was wahrlich nur eins ist, schien durch Weglassen mancher Wahrheit, nun vor ihren Augen getrennt. Und wildes Chaos, bunter Farben, animierte sie, zu finden neuer Gleichheiten und es begann die Erschaffung von neuen Ordnungen, auf höchst kreative Art. Was eigentlich eins ist, wurde gedanklich getrennt und was getrennt war, wurde gedanklich neu verbunden. Was verbunden war, hatte Bedeutung, was getrennt war, wurde zur Grenze und zwischen den Grenzen, entstanden die Teile. Aus einem Auge wurden viele. Und die Augen sahen sich selbst und alles andere, als getrennte Teile des Ganzen und manche gar als Wesen. Und da sie sich nun einander begegnen konnten, entdeckten sie manchmal ihre Symbiose. Und das Eine, blickte durch die Augen dieser vielen Wesen, um durch sie, sich selbst zu erblicken, - um durch ihre jeweiligen Wahrheiten, während ihres schöpferischen Sortierens des Chaos, einer vielfältigen ganzen Wahrheit nahe zu kommen - und um dabei ewig auf neue Erkenntnisse zu stoßen, die der Schöpfung und des Werdens, ewig dienen sollten.
Darum trennte das Eine auch Raum von Zeit. Denn das Eine begann ein Leben, mit Verzicht auf das Wissen, über seine eigene Zukunft, um Raum für Schöpfung und Zeit für die Entscheidungsfreiheit der Seelenwesen, zu schaffen. Denn dies diente dem Spiel, mit den Überraschungen des Lebens und wachsender Erkenntnis, im ewigem Werden. So weiß das Eine, das Gott ihr nennt, nun nicht mehr um die Zukunft. Doch ihre Zukunftsprognose übertrifft menschliche Vorstellungskraft, denn ihre, ist das Resultat aus kollektivem Allwissen, vom Anfang der Zeit, bis jetzt. Und ist die Wahrscheinlichkeit auch noch so gering, wo nur ein Fünkchen Hoffnung ist, da waltet sie mit Gnade vor Recht, zu geben jedem und allem, eine Chance.
So lange kindliche Freude, mit liebe, spielerisch erschafft, wird der Kreis von Entdeckung, Erkenntnis, Schöpfung und Beachtung, geschlossen bleiben. Und Schöpfung und Erkenntnis werden durch das jeweils andere, ewiglich wachsen. Die Teile in der Vielfalt sind dann hell des Wissens, verbunden durch die Symbiose, getrennt nur durch dünne, dunkle Ränder der nicht wahrgenommenen Wahrheiten, zur Erhaltung der Vielfalt, und erneuter Geburt, für Entdeckung, Erkenntnis, Schöpfung und Beachtung.
Und aus Sicht des Einen werden die Teile immer mehr und scheinbar immer kleiner, so wie Erkenntnisse immer mehr ins Detail gehen müssen, wenn bereits alle oberflächlichen Zusammenhänge erkannt sind. Und die Komplexität zwischen allem wird immer größer, denn die Symbiose des Lebens verbindet alles und schließt nie etwas aus, denn nichts existiert für sich alleine. Und alle Teile sind und bleiben durch die Symbiose miteinander verbunden.
Und da die Einheit nicht größer oder mehr wird, werden die Teile darin, mit steigender Anzahl, scheinbar immer kleiner. Aus Sicht der immer kleiner werdenden Teile, wird jedoch die Einheit scheinbar immer größer. Und so erlebt ihr ein sich ausbreitendes Universum, welches immer schneller an Größe zunimmt, wie eine sich vielfach teilende Eizelle.
So erwächst eine lebendige helle Welt des Wissens und der Freude, von ewig wachsender Schöpfung, in einer Symbiose, zwischen immer wieder neu geborenen Einmaligkeiten, in einer wachsenden Vielfalt für Entscheidungsfreiheit und Erkenntnis.
Das Leben dient also der Einen Einheit, für eine ewige Schöpfung und Erkenntnis aus sich selbst heraus, denn das fließende Eine, kann durch die Augen alle Wesen, eine vielfältige unvollkommende Selbstbetrachtungen und dadurch eine scheinbare Vielfalt in sich selbst erleben, durch die, der Akt der Schöpfung und die Weiterentwicklung aus sich selbst heraus, ermöglicht wird.
Und die Illusion eines vielfältigen Lebens, ist der Weg zur Erkenntnis und des ewigen Werdens von allem, was wahrlich Eins ist. Denn das Eine bleibt das Eine. Das ist euer Gott. Er ist der, der er ist, alles in allem. Und alle Entdeckung, Erkenntnis, Schöpfung, Beachtung und Symbiose, wächst in ihm, wie in uns allen, denn wir sind wahrlich ungetrennt und eins.
Dies ist das wahre ewige Leben, ein Leben aus Liebe zum Leben. Ein Leben des Glücks, in Lust, Genus und der Befriedigung, im Wachsen, durch Entdeckung, Erkenntnis, Schöpfung und Beachtung. Es ist das Leben, dass ihr das Paradies nennt.
Nur grauslich wäre die hierzu negative Welt, der Haltlosigkeit und des Steckenbleibens, wo die Vielfalt aus dunklen Teilen der Ignoranz bestünde, umsäumt nur durch dünne weiße Ränder des Wissens. Eine düstere Welt der Einsamkeit, Haltlosigkeit und des Chaos. Eine Welt, in der das Haben wichtiger geworden ist als das Tun und Sein wichtiger geworden ist, als das Werden. Wo niemand erschafft, die Vielfalt abnimmt und Leben stirbt. Eine Welt des Stillstandes, die ihr die Hölle nennt.
Wenn alle Augen allzu sehr verschlossen, das Leben kaum noch wahrgenommen, zu viele Wahrheiten ignoriert und alles was Lebt, seine Liebe und Hoffnung zum Leben verlöre, dann drohte die Gefahr, dass der Kreis von Schöpfung und Erkenntnis unterbrochen, die Symbiose stürbe und haltloses Chaos ausbräche. Die dunklen Teile der Vielfalt verlören gänzlich ihre weißen Ränder des Wissens und die Vielfalt fiele zurück in die Dualität dunkler Dominanz und schließlich in die Singularität der totalen Unwissenheit und Ignoranz, in eine Nacht der absoluten Stagnation und des Nichts. Die einzige Rettung des Einen wäre nur eine Flucht aus der Dualität, zurück ins alte Licht, bevor es Schöpfung gab und das Licht im Kreise floss, um wieder neu zu beginnen.
Doch so die Einheit in einer überwiegend hellen Vielfalt, durch die hierin gewonnenen Erkenntnisse, über sich selbst hinauswächst, wird sie mehr werden, als sie ist, in aller Herrlichkeit und Ewigkeit. So ist die Liebe zur Einheit, in kindlich hoffnungsvoller Neugierde, mit der Freude im mutigen Spiel und des Schaffens, die Grundlage des Lebens und Entstehung des Paradieses, seit Anbeginn der Zeit.“
Die Heimkehr
Der Rückweg war für mich völlig unproblematisch. Ich war muskulös und stark geworden. Meine Sinne waren geschärft, mein Wissen und Überlebensdrang groß und ich hatte genügend Kraft, selbst längere Durststrecken überstehen zu können. Was sollte ich noch befürchten? Als ich den Wald erreichte, verhalfen mir meine Jagd- und Sammelfähigkeiten zu Speisen und Trank im Überfluss. Ich brauchte keinen Rucksack mehr, um mir gegebenenfalls Lebensmittel für schlechte Zeiten aufheben zu müssen. Ich hatte in den Bergen nur etwas zurückgelassen, was ich ohnehin nicht mehr benötigte. Der Verlust meines Rucksackes war für mich nicht bedeutsamer, als für eine Schlange der Verlust ihrer abgestreiften Haut. Ich hatte mich meiner Lasten entledigt. Ich war ohne jegliche Angst. Ich war stark, voller Hoffnung und frei.
Zügig erreichte ich das Tor von Eden. Die Pforten öffneten sich und wie immer kamen mir die jungen weißen Frauen zu Hilfe. Sie machten auf mich einen so zerbrechlichen Eindruck, dass ich schon anfing mich um sie zu sorgen. Notfalls hätte ich sie jedoch ohne weiteres wieder in den Garten hineintragen können.
Ich begrüßte sie kumpelhaft und freute mich über ihren Empfang, aber ich hielt mich nicht lange auf, sondern flog schnurstracks weiter gen Norden, Richtung Villa und meiner Heimat.
Als ich zu den Feldern kam, ließen die Lebewesen ihre Gerätschaften auf den Boden fallen und empfingen mich mit Herz und Wissbegier. Auch die vier Burschen waren schon da. Sie kamen mir juchzend entgegengelaufen und sprangen mir forsch in die Arme. Etwas gemächlicher, kam der Cowboy zu mir. Er versteckte seine Freude, wie immer souverän, unter einem bedächtigen Schmunzeln:
„Wir erwarteten dich schon voller Freude und Sehnsucht, warteten gespannt auf deine Heimkehr und sind nun neugierig auf deine Geschichten und Erfahrungen, die du im Leben gesammelt hast“, begrüßte er mich absichtlich übertrieben mit einem Spruch, den er schon selbst oft genug gehört hatte. „Auf das wir alle, an deinem Leben, aus deinem Munde und deiner Art, teilhaben dürfen, um durch dich und aus uns heraus, mehr zu werden, als wir sind, im Streben nach dem Paradies.“
„Nur, wenn ich auch aus deinem Leben, aus deinem Mund und deiner Art teilhaben darf, alter Sprücheklopper“, stichelte ich grinsend zurück.
Es tat gut, ihn wieder zu sehen. Wir umarmten uns, wie es gute Freunde tun. Dann musterte er meinen muskulösen, fast schwarzen Körper, auf dem die Narben und Brandmale noch nicht ganz verheilt waren und konnte es nicht lassen gleich den nächsten Spruch vom Stapel zu lassen: „Hast dich ja kaum verändert.“
„Ja, ja. Ist schon klar“, grinste ich, während ich die anderen begrüßte.
„Es ist schön, wieder bei euch zu sein.“, äußerte ich schließlich gegenüber allen. „Wir haben uns sicherlich viel zu erzählen und ich habe da eine Idee und große Pläne!“
Die Jungs nahmen mich jedoch erst einmal ungeduldig in Beschlag, führten mich durch den Garten, zeigten mir stolz, was sich in Eden alles verändert hatte und was sie selbst erschaffen hatten. Zwischen Wäldern und Seen wuchsen fruchtbare Felder. Überall gedeihten die verschiedensten Früchte- und Gemüsesorten, Bäume und Blumen. Sie alle hatten die wundervolle Vielfalt aus dem Leben mitgebracht und wussten wahrlich, was schön ist. Oh ja, ich staunte. Wir würden uns bestimmt viel zu berichten haben und eine Menge von einander lernen können, dachte ich mir. Und wir werden feiern.
Als die Sonne tiefer stand, entzündeten wir ein großes Lagerfeuer, und wir tranken und aßen die außergewöhnlichsten Dinge. Das meiste schmeckte mir sogar. Einige zeigten uns ihre neusten Musikstücke, und andere spielten uns komische Theaterstücke aus dem Leben vor. Ich musste heulen vor Lachen – wie man mir dann später nahe legte, handelte es sich bei der Aufführung eigentlich um ein Drama. Dann kam die Nacht, und es wurde dunkel. Wie saßen gemütlich am Lagerfeuer und jeder berichtete von seinen unglaublichsten Ereignissen aus dem Leben. Wir alle hatten unsere Erfahrungen gemacht, waren voller Wünsche und hatten hoffnungsvolle Pläne. Doch manchmal sah ich hinter mir, im flackernden Feuerschein, einen der bleichen Edenbewohner regungslos zu uns herüberschauen und hin und wieder, trieb der Wind, aus der Dunkelheit, ihr leises Fluchen zu uns herüber. Niemand von uns Lebewesen, schlief noch gerne, zusammen mit den Edenwesen, in der Villa. Zu schwer, lastete der Groll der Edenwesen auf uns. Wie viel Zeit würde uns wohl noch verbleiben, bis sie ihrem Urteil über uns, Taten folgen lassen würden. Wann triebe sie ihr Schmerz soweit, uns unter ihrer dunklen Decke der Unwissenheit zu ersticken, um schließlich, dumm triumphierend, Trophäen aus einem ausgeschlachteten Paradies in die Höhe halten zu können. Ich spähte durch das Feuer in die Seelen unserer Runde. Im Schein der züngelnden Flammen, verborgen hinter lachenden Gesichtern, brodelten auch hier schon Angst und Wut. Die Zeichen standen nicht gut. Alles war nur noch eine Frage der Zeit.
Aufbruch ins Paradies
Der nächste Morgen
Es war ein herrlicher Morgen. Unter blauem Himmel schien der helle Stern im reinen Glanz. Das zerreißende Kampfgezwitscher dumpfbackiger Vögel, harmonierte in konzertanten Geplänkel perfekter Virtuosität. Alle meine Gebrechen waren geheilt. Ich schlenderte trillernd zwischen langstieligen Sonnenblumen entlang und begegnete, froh gestimmt, meinen ersehnten Freunden, die mich schon gespannt auf einer grünen Wiese, mit Kaffee und Orangensaft, an einer reich gedeckten Tafel erwarteten. Wir frühstückten ungeduldig und wollten uns beeilen, denn wir hatten heute etwas ganz besonderes vor. Nach zwei idyllischen Stündchen rafften wir uns dann doch noch auf und begannen alle Lebewesen in Eden zu versammeln. Schließlich trat ich nach vorne und legte mir meinen kleinen Spickzettel bereit. Ruhe kehrte ein. Im Prinzip, wusste ja sowieso schon jeder, was jetzt kommen würde und worum es ging, aber sie liebten eben das Spiel mit der Förmlichkeit, denn dadurch erhielt unser Vorhaben eine so wunderbare kindliche Erwachsenheit und ehrfurchtsvolle Wichtigkeit. Jeder bemühte sich jetzt ernst und weltmännisch drein zu schauen:
„Liebe Menschen“, begann ich mit meiner Rede.
„Liebe Lebewesen - und alle die es werden möchten!“
Ich wendete mich, demonstrativ, den drei abseits stehenden Edenwesen am Marmorweg zu, die erwartungsgemäß überheblich zu grinsen anfingen und hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln begannen. Ich wusste natürlich, dass es nicht ganz korrekt von mir war, aber ich konnte es einfach nicht lassen, mich meiner kleinen Stichelei zu erfreuen. Ich war eben auch nur ein Mensch.
Dann spendete ich dieser Angelegenheit wieder ein bisschen mehr Ernst und setzte mit einem korrigierenden Eingeständnis fort. Ich schätze, ich hatte mit meinem zitternden Singsang, die Theatralik meines ersten Satzes, ein wenig zu übertrieben hervorgehoben:
„Ehre sei dem, der Gnade hat, denn Gnade ist wichtiger als Recht“,
Halten wir nicht am Verlorengegangenen fest.
Konzentriert wir unser Handeln nicht auf den Kampf gegen das Böse, sondern konzentrieren wir unser Handeln auf einen Kampf für etwas Gutes.
Wir benötigen die Villa nicht mehr!
Die scheinbare Vielfalt, ist das Vollkommene Ganze, der unvollkommenden Einzigartigkeiten.
Jeder von uns, ist wie je ein Finger derselben Hand, desselben Armes und des einen Körpers, der alles ist, was war, jetzt ist und immer sein wird. Er ist das einzig wahre Eine, in denen wir, in scheinbarer getrennten Teilen, gemeinsam das Eine bilden. Also liebt Euren Nächsten, wie Euch selbst, auf das wir uns einander begegnen, wie die Finger derselben Hand und gemeinsam be-greifen, im Sinne des allwissenden Einen.
Bedenket der letztendlichen Schöpfungskraft in der Symbiose.
Verwirklichen wir uns unseren eigenen Traum. Setzen wir unserem Paradies die Krone auf.
Last uns gemeinsam einen neuen Palast bauen, schöner und größer, als alles, was es bisher gab. Erfreuen wir uns an unserem gemeinsamen Schaffen, denn nun sind wir viele Lebewesen, die einander ergänzen können und wir wissen, worum es wahrlich geht – unser gemeinsames Tun.
Schöpfung ist Leben, wie Leben Schöpfung ist. Ehre sei dem, der zum Wohle erschafft, denn er erschafft Leben.
Und Ehre sei dem, der anderen hilft seine einzigartigen Begabungen zu finden, welche sie auch sei, für wen sie auch sei, zum Wohle aller. So suchet nach der einzigartigen Begabungen jedes Einzelnen, derer jeder gebraucht wird.
Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.“
Ich verneigte mich höflich und verließ, mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen, die „Front“.
Alle jubelten und klatschen. Sie übertrieben in Lautstärke und Ausdauer. Sie machten sich einen Spaß daraus. Dies war jedoch der Startschuss unseres neuen großen Projektes.
Am Abend zuvor hatten sich bereits viele von meiner Idee begeistern können. Einer war dabei, der im Leben viele Erfahrungen als Architekt gesammelt hatte. Er hatte sofort Ideen und freute sich darauf, einen Entwurf zu skizzieren. Nun stand er in der Menge und zeigte stolz seinen Bauplan.
Maurer hatten wir auch viele. Einer wollte unbedingt einen neuen Zement ausprobieren.
Und da gab es noch den verkannten Erfinder. Er zeigte mir sein Förderband, welches seine Funktion, für den Transport der Steine nach oben, erfüllen sollte. Er hatte das Förderband schon lange gebaut, aber im Leben bot man ihm leider keine Gelegenheit, es irgend jemandem zeigen zu können. Nun fand seiner Erfindung endlich eine Verwendung und alle würden seine Maschine sehen und nutzen.
Der Architekt übernahm die Führung, und die Arbeit begann.
Der Palast
Es war eine gute Zeit. Der Bau wuchs und wuchs. Immer wieder fügte irgend jemand seine neue Idee hinzu. Alle waren sehr stolz auf ihr Schaffen und nach einigen Monaten war es dann so weit. Der Palast war vollendet. Es war ein wunderschöner Palast, aus weißem Marmor. Vor drei hohen Bogenfenstern, lud eine große Terrasse zum Sitzen ein. Die Säulen des Marmorgeländers, am Rande der Terrasse, waren mit Smaragden besetzt. Zwei große Türme, mit goldenen Dächern, ragten in den blauen Himmel. Den Eingang schmückten zwei stattliche Marmorsäulen. Um das hohe romanische Eingangstor herum, funkelten große Rubine im weißen Marmor. Der Weg von der Terrasse, führte über ausladende Treppenstufen in den Garten hinab und gelangte schließlich, an ein mit Diamanten besetztes, goldenes Eingangstor. Wir alle genossen den wundervollen Anblick unserer Schöpfung und erfreuten uns über die Wirkung, wie dieser strahlend weiße Prachtbau, über den Garten von Eden, erhaben in den blauen Himmel ragte. Man konnte von oben, aus einem der märchenhaften Türmchen, über den gesamten Garten blicken. Was für ein Ausblick! Die ersten hatten sich schon mit Liegestühlen auf der Terrasse in die Sonne gelegt und schlürften genüsslich einen Cocktail. Natürlich steckten Strohhalme und kleine bunte Papierschirmchen in den Gläsern! Sie freuten sich ihres Werkes und fachsimpelten darüber, wie sie beim Bau so manches Problem bewältigt hatten. Sie bestätigten sich immer wieder gegenseitig ihre Heldentaten. Und es tat ihnen gut. Am Abend unserer Vollendung, gab es ein großes Fest im kleinen Garten. Dieses Mal gab es, zum Höhepunkt des Festes, sogar ein grandioses, buntes Feuerwerk.
Der letzte Morgen
Es war hell, weiß, frühlingshaft warm und fast ganz still.
Ich senkte meinen Blick aus der Helligkeit des mich blendenden Lichts und beobachtete, wie mich schattige Konturen in das Bild der Wirklichkeit, in Mitten eines hohen weißen Saales, eintauchen ließen. Ruhig und entspannt stand ich barfuss und so leicht bekleidet, dass ich mein weißes Gewand auf meiner Haut kaum fühlen konnte. Ich empfand den glatten Marmorboden unter meinen sauberen und weichen Füßen als angenehm kühl. Langsam erkannte ich drei hohe Flügelfenster vor mir, die, durch einen wunderschönen weißen Rundbogen, in ihrer erhabenden Größe begrenzt, vom Boden bis kurz vor die hohe, gewölbte, mit Edelsteinen besetzte Decke reichten. Die morgendliche Sonne floss sanft durch die langen Fenster und erfüllte den Raum mit Licht und Wärme. Einer der hohen gläsernen Flügeltüren war leicht geöffnet und mit dem Vögelgezwitscher von der dahinterliegenden Terrasse, wehte eine lauwarme Brise herein und ließ die langen weißen Vorhänge der Fenster leise und sanft nach außen schwingen.
„Die Sonne begrüßt dich und die Vorhänge machen für dich den Weg nach draußen frei. So folge der Einladung in die Freiheit, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Und so glitt ich leichtfüßig, hin zur geöffneten Tür und erblickte gegen das blendende Licht die dahinterliegende weiße Marmorterrasse, deren weißes geschwungenes Geländer, kontrastreich einen Saum zum azurblauen Himmel bildete.
Ich schob die gläsernen Flügeltüren weit auseinander, betrat die große, weiße Terrasse und atmete tief die frische Morgenluft ein. In der Nähe standen einige weiße Steintische und an einigen dieser Tische saßen gute Freunde von mir. Einige von ihnen blickten zufrieden von der Terrasse herab und genossen ihren weiten Blick über den grünen Garten, die Blumen und die fruchtbaren Felder. Andere genossen einfach ihr Frühstück in der Sonne und probierten allerlei Delikatessen. Auf einem Tisch standen so übertrieben viele Delikatessen, dass der Löffel keinen Platz mehr dazwischen fand und ständig auf den Boden fiel.
Erstmalig waren diese Menschen, genauso wie ich, nicht mehr in der Villa aufgewacht, sondern in unserem neuen Palast. Statt eines Ortes, hatte Eden nun also zwei Orte des Erwachens. Aus dem singulären hatte sich die Dualität entwickelt.
Ich stützte meine Hände auf das steinerne Geländer, beugte mich leicht nach vorne und ließ meinen Blick über die weite blühende Landschaft schweifen.
„Dies, ist der Garten Eden“, wusste ich.
Ich setzte mich zu meinen Freunden und schaute mit ihnen zufrieden über den Garten. Dann wanderten unsere Blicke gen Westen, zur Grenze der Edenwesen.
Hunderte der Edenwesen standen am Wegesrand und betrachteten staunend unseren Palast. Vereinzelnd wagten es manche sogar zu uns herüberzukommen und überprüften kritisch unsere Schöpfung aus nächster Nähe. Sie waren sprachlos. Sie verstanden zwar nicht, wie wir es gemacht hatten, aber erstmalig sah ich in ihren Mienen Zweifel, Staunen und sogar ein wenig Bewunderung für uns.
Sie hatten sich bislang über so viele Dinge geärgert, weil sie sich dem vermeintlich Unvermeintlichen, machtlos ausgesetzt gefühlt hatten und nun sahen sie in uns Menschen, die nicht nur die Fähigkeiten hatten, ihre Welt zu verändern, sondern schlicht weg, eine beliebige neue Welt erschaffen konnten. Aber das war selbst für sie nicht das Wesentliche. Tief in ihrem Inneren vergrabenen, brodelte eine viel größere Sehnsucht. Sie schauten uns erstmalig, ernst nehmend, in unsere Gesichter und glaubten uns erstaunlicher weise erst jetzt, dass wir wirklich glücklich waren.
Das vierte Leben
Es war wieder Zeit für mich ins Leben zu gehen. Ich verzichtete natürlich auf einen Rucksack. Als ich auf dem langen weißen Marmorweg stand, um meinen Weg zum goldenen Tor von Eden anzutreten, traute ich meinen Augen kaum. Tausende bleicher Edenwesen standen kilometerweit am Wegesrand und blickten mit offenen Mündern zum alles überragenden weißen Palast. Es waren so viele, dass sie mir bis zum goldenen Tor Spalier standen. Stundenlang ging ich an diesen blasswangigen, schweigenden Gestalten vorbei. Als ich das Tor erreichte, fehlten die „Jungvögel“ und auch die „Lumpen“ waren nicht an ihrem Platz. Ich durchquerte das Tor und erreichte schnell die nördliche Waldkante. Dann tat ich etwas, was ich mir bisher nie getraut hatte, denn ich fühlte mich stark genug. Es war mir gewiss, dass ich dieses Mal nicht die Befürchtung haben müsste, zur Salzsäule erstarren zu können, denn meine Hoffnung war nun endlich größer als mein Wissen. Und ich drehte mich um und blickte auf den wundervollen Garten Edens. Im Osten des Garten hatte sich viel verändert. Die Lebewesen waren glücklich. Sie hatten einen Weg gefunden in Frieden miteinander auszukommen. Unaufhörlich und mit festem Glauben an ihre Sache, erschufen sie sich ein immer prachtvoller werdendes Paradies.
Im Westen hatte sich nichts verändert. Ich konnte den Zierbrunnen und den Apfelbaum erkennen, doch so sehr ich meine Augen auch bemühte, den alten Mann konnte ich nicht finden. Eigentlich sah ich niemanden im Westen.
Der Ort des Paradieses
„Ist denn nun der Garten Eden das Paradies?“, fragte ich mich selbst.
„Für die Lebewesen im Osten, war Eden ein Ort der Freiheit. Es war ihr Ort der Schönheit und der Liebe, der Freude und des Erfolges, sowie des Stolzes und der Anerkennung. Sie genossen den Geschmack ihrer Erfolge und lebten in einer prächtigen Welt wachsender Schöpfung. Sie waren glücklich.
Aber für die Edenwesen im Westen, war Eden ein Gefängnis, denn sie waren Sklaven ihrer Angst und Verfluchte ihres Unmuts. Sie waren unglücklich.“
Und ich drehte mich zum Leben:
„Ist vielleicht das Leben der Ort des Paradieses?“, fragte ich mich selbst.
„Das Leben im Dorf war voller Nächstenliebe, Schöpfungsgeist und Freude, aber es gab im Leben auch Momente der Angst und der Trauer. Dort erwarten einen auch Schmerz und Kummer und Durst und Hunger. Manchmal begleiten Tränen deinen Weg. Und wenn du Hilfe suchst, findest du Pein.“
Dann sah ich, wie sich die Tore von Eden öffneten:
Eine schier endlose Menschenschlange kroch hindurch und wanderte, scheinbar unaufhaltsam, ins Leben. Es wahren wohl Tausende, die plötzlich den Garten Eden verließen. Sie folgten einander, aufgereiht wie Perlen an einer Kette und halfen sich vorwärts, wann immer es nötig war. Sie trugen lange dunkle Umhänge und schleppten kleine Rucksäcke auf gebeugten Rücken. Und bei Betrachtung ihres Kampfes, gegen Wind und Sonne, und ihrem stolpernden stemmen gegen die Schwerkraft, wurde deutlich, dass es die Edenwesen waren, die sich dort, gegenseitig stützten. Erstmalig wagten sie mutig den Schritt ins Leben und strebten, ohne sich umzudrehen, ihrem neuen Ziel entgegen.
„Nein“, sagte ich mir, „der Garten Eden ist weder das Paradies, noch die Hölle.“
Und ich schaute auf die mühsam voranschreitende Menschenschlange der neuen Lebewesen, die sich schleppend durch die Wüste quälten.
„Und nein“, setzte ich meine Gedanken fort, „auch das Leben ist weder das Paradies, noch die Hölle.“
Dann wurde mir voller Freude bewusst, wie sich die Menschen auf ihrem Marsch gegenseitig halfen und gut zuredeten:
„Es gibt wahrlich keinen Ort des Paradieses:
So sehr du auch suchst, du findest ihn nie.
So sehr du auch reist, du kommst nie an.
Kein Tor, das dich einlässt, kein Wesen das dich holt.
Kein Ort im Leben, kein Ort im Tod.
Es gibt wahrlich keinen Ort der Hölle:
So schnell du auch rennst, du entfernst dich ihm nicht.
So schnell du auch fliehst, du entkommst ihm nicht.
Kein Tor, das dich auslässt, kein Wesen das dich befreit.
Kein Ort im Leben, kein Ort im Tod.
Wir selbst sind die Schöpfer von Himmel und Hölle.
Und du bringst mit dir, was du erschaffen hast.
Egal wo du bist, ob im Leben oder Tod
Denn dein Himmel oder deine Hölle ist in dir.
Das Paradies kann nicht genommen,
sondern nur erschaffen werden.
Das Paradies gebührt nicht dem Einzelnen,
sondern dem Ganzen.
So kann das Paradies nicht für sich selbst genommen,
sondern nur durch uns gemeinsam erschaffen werden.
Wenn wir glauben, wir könnten kein Paradies auf Erden erschaffen,
werden wir auch vergeblich nach einem Paradies in Eden suchen.
Wenn wir glauben, wir könnten dem Leben die Schuld für unsere Hölle geben,
werden wir auch Eden die Schuld für unsere Hölle geben.
Nichts muss bleiben, wie es ist.
Uns ist nichts gegeben, was wir nicht haben wollten.
Nichts ist festgesetzt, außer das, was wir festsetzen.
Glauben zu wissen, wie das Leben ist,
ist im Glauben schon paradox in sich selbst.
Denn Leben ist werden und nicht sein.
Leben ist Veränderung und nicht Stagnation.
Leben ist Schöpfung, wie Schöpfung Leben ist.
Nichts muss bleiben, wie es ist.
Wir selbst sind die Schöpfer von Himmel und Hölle.
Und du bringst mit dir, was du erschaffen hast.
Egal wo du bist, ob im Leben oder Tod
Denn dein Himmel oder deine Hölle ist in dir.
Im Schaffen ist Geben seliger denn Nehmen, weil es für unsere gemeinsame Seele ist.
Denn das wahre Herz liegt zwischen uns, denn wir sind eins.
Wir sind noch zu sehr davon überzeugt, dass es uns dadurch gut ergehen kann,
wenn dies zum Leid eines anderen geschieht.
Wir sind noch zu sehr von diesem Tier in uns beherrscht,
das uns den Weg ins Paradies so erschwert
dem Tier, dem wir drei Sechsen geben,
wie die Zahlen der drei Würfel, am Kreuze Jesu,
beim Spiel um seine Habe.
Und so stecken wir zwischen zwei Welten:
Für das Leben auf Erden zu klug.
Für das Leben im Paradies zu dumm.
Doch Leben ist Schöpfung, wie Schöpfung Leben ist
Und wir selbst sind Schöpfung, denn wir sind erschaffen worden, wie wir selbst erschaffen.
Und unser Freund ist auch jenes Werden, das wir die Evolution nennen.
So wird der Tag kommen, an dem wir das Tier in uns beherrschen.
Das Paradies kann nicht für sich selbst genommen,
sondern nur durch uns gemeinsam erschaffen werden!
Wir können uns unser eigenes Paradies oder unsere eigene Hölle erschaffen.
Denn wir selbst sind die Schöpfer von Himmel und Hölle.
Und du bringst mit dir, was du erschaffen hast.
Egal wo du bist, ob im Leben oder Tod.
Denn dein Himmel oder deine Hölle ist in dir.
So liegt es also nur an uns, was wir mit unserer Zeit anfangen werden, die uns gegeben ist.“
Und über den Bäumen und Hügeln des Garten Edens, ragte in prunkvoller Schönheit, der neu erbaute Palast aller Menschen in den Himmel und läutete, für alle sichtbar, eine neue Zeit der Menschheit ein.
„Alle sollen am Paradies teilhaben und es mit uns gemeinsam wachsen lassen.
Ehre sei dem, wer von dem gibt, was er erschaffen hat, zum Wohle aller, die da Eins sind, um den Prozess der Schöpfung fortzusetzen, mehr aus uns heraus zu werden, als wir sind, im Sinne Genesis.
Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.“
Der Alte Mann (der neue Mann)
Und ich drehte mich nach rechts und blickte glücklich überrascht, in das rot gebrannte Gesicht des alten Mannes, den nichts von seinem Platz, zwischen seinem Brunnen und seinem Apfelbaum, vertreiben konnte. Und als erster von allen Edenwesen, stand er nun hier, neben mir im Leben und sah mich etwas unsicher an.
„Ist das hier der Weg?“, fragte er mich und zog wieder seine rechte Augenbraue hoch.
Und ich freute mich, dass wir zusammen waren und endlich wieder miteinander redeten.
Und sein Gesicht sprach nicht nur von Befürchtungen, sondern auch von liebenswürdiger kindlicher Neugierde und einer lebendigen Lust, das Abenteuer im ehrenvollen Spiel mit der Schöpfung zu erleben.
„Ihr werdet es erleben, alter Mann.“, dachte ich mir und nickte ich ihm hoffnungsvoll zu. „Ihr werdet es erleben!“
„Die Sonne begrüßt dich und die Träume machen für dich den Weg ins Leben frei. So folge der Einladung in die Freiheit, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Jeder von uns, ist wie je ein Finger derselben Hand, desselben Armes und des einen Körpers, der alles ist, was war, jetzt ist und immer sein wird. Er ist das einzig wahre Eine, in denen wir, in scheinbarer getrennten Teilen, gemeinsam das Eine bilden. Also liebt Euren Nächsten, wie Euch selbst, auf das wir uns einander begegnen, wie die Finger derselben Hand und gemeinsam (be)greifen, im Sinne des allwissenden Einen.
Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.
Ende
Der Garten Eden
Teil 2
„Hey, Fremder!“, rief mich jemand, der mir aus einer kleinen Gasse entgegenkam, „Wir brauchen Eure Hilfe. Würdet Ihr uns die Ehre erweisen?“
Es war ein großer starker Mann mit einem Strohhut auf, einem weißen Trägershirt und einer dunklen Hose, die mit einem Gürtel, weit über der Hüfte, mir viel zu hoch geschnürt erschien und deren Hosenbeine entsprechend kaum tiefer als bis zu den Knien reichte. Er lachte mich an und kam mir mit offenen Armen entgegen. Nun war es so weit, dachte ich mir und war erstaunlich freudig überrascht. Man gab mir erstmalig die Chance, die erste Ehre zu erlangen, doch ich fühlte mich nicht recht qualifiziert, was immer auch meine Aufgabe sein würde.
„Was kann ich für Euch tun?“, fragte ich zurück, „glaubt Ihr, ich kann Euch eine Hilfe sein?“
„Ich werde Euch lehren, was Ihr wissen wollt. Wir brauchen Eure Hilfe auf unseren Kartoffelfeldern.“
Uns so folgte ich ihm durch eine Gasse auf einen Feldweg und sah schließlich das erste Mal ein Kartoffelfeld. Ein großes braunes Quadrat mit kleinen grünen Pflanzen, sorgfältig in Linien aufgereiht, lag, wie hineingeschnitten, in mitten des grünen Waldes. Nur am Rand des Feldes, in südlicher Richtung, standen kaum Bäume. In dieser Richtung schien eine schwarze Sandwüste anzuschließen. Ein warmer, leicht feuchter Wind, quoll aus dem Wald heraus, kroch über den heißen Acker, strömte dann bis tief hinein in die Wüste und verlor sich schließlich in bizarrem Flimmern in weiter Ferne. Auf dem Feld waren bereits viele Menschen, die mit nacktem Oberkörper, zwischen der heißen Sonne und grünen Pflanzen, auf dem warmen Ackerboden wühlten. Dennoch schien meine Ankunft aufzufallen, so dass sie sich zwischen ihren Arbeitsschritten aufrichteten und mich fast übertrieben aufmerksam begrüßten. Schon nach kurzer Zeit stiefelte einer nach dem anderen zu mir herüber und bald erklärten mir alle, wie ich ihnen helfen könnte und sie wussten auch meine Neugier zu befriedigen. Sie ließen mich unter ihrem Gelächter erst einmal eine rohe Kartoffel essen.
Bald stand ich zwischen ihnen im Feld und packte so gut an, wie ich konnte. Alle waren sehr nett zu mir. Bis auf einige kleine Auseinandersetzungen, schien es zwischen allen sehr kameradschaftlich zuzugehen. Wie ich bald erfuhr, war der Mann mit dem Strohhut, der mich zur Kartoffelernte geholt hatte, derselbe Mann, der mich im Wald auffand und ins Dorf trug und so hatte ich die Gelegenheit, mich bei ihm zu bedanken. Alle um uns herumstehenden Menschen ehrten seine Tat mit voller Anerkennung und lobten darüber hinaus meine Offenheit, mit der ich meinem Retter öffentlich zu Ehre und Anerkennung verhalf.
Diese Ernte war für alle ein großes Ereignis. Alle freuten sich schon auf das für danach geplante große Fest, wenn das riesige Essgelage aufgefahren und reichlich Wein floss, wenn Musiker und Geschichtenerzähler, Akrobaten und Gaukler, ihr Bestes gaben und durch die Nacht, bis in die frühen Morgenstunden, getanzt und gesungen wurde. Und wer noch ohne Braut war, dem war dies vielleicht eine neue Chance, seiner Angebeteten ein bisschen oder gar entscheidend, näher zu kommen. So arbeiteten alle schwitzend und fast nackt, doch sahen sich in ihren Gedanken bereits duftend in ihren schönsten Festkleidern.
Tage und Wochen vergingen. Allmählich wurde ich mehr und mehr in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Sie teilten ihre Erkenntnisse mit mir und schließlich entwickelten sich für mich erste Freundschaften. Nein, nicht alles war schön, doch letztendlich führte ich mit ihnen ein glückliches und erfülltes Leben, voller Mysterien und Wunder, Erkenntnisse und Selbsterkenntnissen.
Ich lernte viel über ihre Lebensart, ihre Leitlinien und nicht zu Letzt, auch ein bisschen über mich selbst. Die Menschen schienen mit ihrem Leben recht glücklich zu sein. Ich weiß nicht, ob sie die beste Form des Zusammenlebens gefunden hatten. Sicherlich gab es auch andere gute Alternativen. Vielleicht konnte ihre Lebensweise auch nur funktionieren, weil hierzu die richtigen Menschen zusammenkamen, die ihren speziellen Weg gefunden hatten, in Frieden miteinander auszukommen, füreinander da zu sein und jedem eine Chance zu geben, sich so zu entfalten, wie es seiner persönlichen Art entsprach. Ich wünschte nur, dass sie sich ihre weise Lebensart erhalten könnten und hoffte, dass niemand kommen würde, ihren Frieden zu stören. Doch wer weiß, vielleicht steckte in ihnen mehr, als man vermuten würde. Ich wusste nur, dass ich von ihnen noch viel lernen konnte und dass es da noch ein Geheimnis gab, welches sie mir vielleicht eines Tages offenbaren würden.
Eines Morgens stand ich wieder neben dem Haus und blickte über die Wiese auf den Marktplatz, um mich am dortigen regen Geschehen zu erfreuen, als ich in mir eine Stimme hörte:
„Vier Wochen! Nicht ewig, aber vier Wochen werde ich durchhalten und dich deiner altklugen Worte Lüge strafen.“
Meine Erinnerung hatte mich eingeholt und ich wusste, warum.
„Es ist so weit. Deine Zeit ist nun gekommen. Deine vier Wochen sind um. Komme zurück nach Hause. Kehre Heim, in den Garten Eden. Die Frist, die du dir selbst gestellt hast, ist abgelaufen. Wir erwarten dich nun voller Freude und Sehnsucht, warten gespannt auf deine Heimkehr und sind neugierig auf deine Geschichten und Erfahrungen, die du im Leben gesammelt hast. Auf das wir alle, an deinem Leben, aus deinem Munde und deiner Art, teilhaben dürfen, um durch dich und aus uns heraus, mehr zu werden, als wir sind, im Streben nach dem Paradies.“
Nun war es also so weit. Ich wusste von Anfang an, dass meine Zeit begrenzt war, doch nun, da der Moment gekommen war, viel es mir schwer loszulassen und meinen Weg wieder alleine fortzusetzen.
Und so ging ich zu denen, die mir nahe standen und die ich inzwischen so lieb gewonnen hatte. Und ich sagte ihnen, dass für mich die Zeit gekommen wäre, da ich sie verlassen müsse. Ich wollte ihnen eine Erklärung geben, doch ich wusste nicht wie, aber sie fragten auch nicht nach, denn sie spürten, dass es nicht ihretwegen war, sondern dass ich ging, weil es so sein sollte. Und sie wischten sich ihre Tränen aus dem Gesicht und gaben mir meinen kleinen Rucksack zurück. Sie füllten ihn bis oben hin mit ihrem besten Speisen, Getränken und ihren liebsten Gaben.
Eine immer größer werdende Menschenmenge versammelte sich um mich herum, um mich zu verabschieden. Dann trat für einen Augenblick Stille ein. Die Menge strebte auseinander und bildete eine Gasse. Die drei Weisen kamen höchst persönlich zu mir, um mich mit letzten Worten auf meine Reise zu schicken:
„Ihr ward ein guter Mensch“, sprach einer von den dreien, der sich nun an die Spitze der Weisen gesetzt hatte. „Ihr habt viel gelernt und in Euch das Gute bewahr. Eines Tages werdet Ihr verstehen, wieso Gott das Universum erschuf, was Leben ist, weshalb Ihr lebtet und wer Ihr in Wirklichkeit seid.“
Er richtete sich auf und verkündete laut mit ehrfurchtsvoller Stimme, so dass ihn jeder hören konnte:
„Wohl dem, der Ehre hat, denn er ist wichtig für alle. Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.“
Schließlich umarmten mich alle zum Abschied und wünschten mir alles Glück für meine Reise.
So ging ich meines Weges und schaute noch einige Male zurück, um den winkenden Händen und traurigen Gesichtern ein zuversichtliches Lächeln zu zuschicken. Ich beschloss nicht den selben Weg zurück zu gehen, den ich gekommen war, sondern bog nach rechts in Richtung Osten ab, so dass ich auf der anderen Seite des großen Sees meinen Heimatweg antreten würde. So trieb mich wenigstens meine Neugierde vor neuen Überraschung voran und erleichterte mir ein wenig den Abschied, während meine Gedanken doch nur schwer von ihnen zu lösen war:
„Kurzfristiger Erfolg ist wertlos, wenn Ihr Euch dadurch eurer zukünftigen Chancen beraubt“, erinnerte ich mich.
Ich schaute auf den Boden und sah wieder, wie sich meine Füße abwechselnd in meinem Sichtfeld begrüßten und wieder verabschiedeten.
„So wie dieses wohl wahr ist, so gilt es aber auch im umgekehrten Sinne“, dachte ich mir. „Alle Misserfolge sind bedeutungslos, wenn du letztendlich Erfolg hast.“
„Ja“, sagte ich mir, „diese Letzte Erfahrung in meinem Leben, war eine schöne Erfahrung:
Ich habe es verdient, mit ruhigem und stolzem Gewissen, den süßen Geschmack der erfolgreichen Vollendung des Ganzen zu genießen und mich feiern zu lassen. Was können mich alle schlechten Erfahrungen und kurzfristigen Misserfolge der Vergangenheit noch kümmern, wenn mir doch letztendlich die gute Erfahrung, eines über alles übertrumpfenden Schlusserfolges, zuteil wurde. Ich hatte ein erfülltes Leben, fand und gab Liebe, Anerkennung und Freude. Letztendlich hatte ich Erfolg und alle meine Ängste vor der Ungewissheit waren unbegründet. Die Party soll man verlassen, wenn sie am besten ist und ich habe vieles dazu beigetragen, dass diese Party so gut gelungen war. Sie werden sich an mich erinnern und sie werden immer meine Freunde sein.
Nun habe ich sogar wieder ein neues Ziel vor Augen.
Außer meiner Angst, gibt es auch dieses Mal keinen Grund, dass jenes Ziel mein Letztes sein sollte. So will ich auch jetzt zuversichtlich meiner Hoffnung sein, so schwer es mir vielleicht auch fallen mag, denn ich habe allen Grund auf das zu vertrauen, was da kommen mag, mutiger, den je. Ich habe das Spiel des Lebens gewonnen! Und wo mancher von euch vielleicht noch unsicher und schwach ist, bin ich schon sicher und stark, wie nie zuvor, so dass ich euch eine Hilfe sein kann. Dies ist nicht das Ende! Dies ist mein Weg zur Siegerehrung, ein Zwischenstop nach einer erfolgreich abgeschlossenen Etappe, vor einem nächsten Anfang! Und ich gehe jetzt, um meine bestandene Prüfung zu feiern. Nun seid ihr dran, es mir gleich zu tun und meine Hilfe an euch, wird meine Ehre wachsen lassen.
Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen. Wohl dem, der Ehre hat, denn er ist wichtig für alle.“
„Die Sonne begrüßt dich und Deine Hoffnung macht für dich den Weg nach draußen frei. So folge der Einladung in die Freiheit, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Und so genoss ich meine Heim- und Siegesreise durch den Wald des Lebens, auf dem Weg zu dem goldenen Tor des Garten Edens, um mich wie ein Held, feierlich empfangen zu lassen.
Veränderung in Eden
Die Heimkehr
Ich sah auf meinem Heimatweg durch den Wald noch viele weitere Dörfer. Die Menschen in ihnen hatten jeweils andere Lebensarten und Überzeugungen. Manche Menschen waren von ihrer überzeugt und glücklich, andere wussten jedoch noch nicht einmal, was Glück überhaupt ist. Vielleicht konnten sie es nicht wissen, vielleicht wollten sie es aber auch nicht wissen.
Ich erreichte bald die nördliche Waldgrenze und betrat die Tundra. Die Sonne schien hoch und leichter warmer Wind strich über die Wiesen. Vor mir lag nun wieder die weite Ebene. Nichts würde mich jetzt noch von meinem Ziel ablenken können und so marschierte ich alleine durch diese weite Stille dem goldenen Tor des Garten Edens entgegen. Ich durchquerte die Wüste. Als ich schließlich in die Nähe des Tores kam, öffnete sich dieses und vier Frauen traten heraus, um mir zu Hilfe zu eilen. Aber ich brauchte ihre Hilfe nicht, denn ich war stark geworden.
Die „Lumpen“, die wie immer vor dem goldenen Zaun kauerten, weiteten ihre Sehschlitze um mich besser zu erkennen. Die „Jungvögel“ hinter dem Zaun schauten zu mir herüber, schnatterten immer lauter und wurden bald so hektisch, als hätten sie einen Geist gesehen. Ich durchschritt das goldene Tor und war plötzlich von unglaublich vielen weißen Frauen umringt und es wurden immer mehr. Eine machte den Anfang und dann waren sie nicht mehr zu bremsen. Sie stellten schneller ihre Fragen, als ich sie beantworten konnte: Wie das Leben sei, was ich erlebt habe, warum ich so aussah, wo ich überall war. Bald wurde es so laut, dass ich mein eigenes Wort nicht verstehen konnte und musste nach einigen vergeblichen Versuchen, allen eine Antwort geben zu wollen, einfach nur noch laut lachen. Es fiel mir nun das erste mal auf, wie schön diese schlanken Damen waren. Sie hatten alle weiche, freundlich, offene, ja geradezu kindlich niedliche Gesichtszüge. Einige waren hochgewachsen und andere possierlich klein. Ihre weißen Gewänder waren so fein und dünn, dass man die Silhouette und ihre weiche weiße Haut ihres Körpers leicht durchschimmern sehen konnte. Sie wirkten auf mich zugleich niedlich, wie auch sexy. Diesen Eindruck bestärkten auch noch ihr Verhalten: Jede von ihnen versuchte, möglichst als erstes, ihre vielen Fragen von mir beantwortet zu bekommen. Dabei drängelten sie sich abwechseln nach vorne und schoben dabei die anderen nach hinten. Was für ein Kampf. Für einen unbeteiligten hatte das natürlich eine gewisse Komik, aber ich fühlte mich sehr geehrt und war glücklich, wieder zu Hause zu sein.
Und dieses sah jemand anderes scheinbar genauso:
Zwischen dem Gewimmel sah ich etwas, dass unerwartet meine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Beim Anblick meines verwunderten Gesichtes verschlug es den Kronen der Schöpfung wenigstens für einen kurzen Augenblick die Sprache. Auf dem Boden sitzend, mit dem Rücken an das geöffnete goldene Tor gelehnt, saß ein junger, gebräunter Mann in Cowboykleidung. Er schaute mich mit seinen stahl blauen Augen, aus seinem zerfurchten Gesicht, an und grinste frech aus dem Dreitagebart. Dann hob er seine Hand und tippte mit zwei Fingern lässig an die Krempe seines Hutes, wie sich nur Cowboys untereinander begrüßten. Ich grüßte ihn symbolisch auf gleiche art und weise zurück. Als ich mir flüchtig die schweigenden und fragenden Gesichter um mich herum ansah, wurde mir schnell klar, dass außer uns niemand verstand, was dieses Zeichen bedeutete. Nur wir wussten die Bedeutung, denn er war wie ich, einer aus dem Leben.
Die Meute hatte sich beruhigt.
Ich ergriff sogleich meine Chance und begann meine Geschichten und Erfahrungen aus dem Leben zu erzählen. Ich bemühte mich alles zu erklären, so gut ich konnte. Doch alles was ich erklärte, entpuppte sich augenblicklich für sie als ein neues Rätsel. Schon häuften sich die Fragen binnen kurzer Zeit schneller, als ich mit Antworten aufklären konnte. Es fiel mir zunehmend schwerer Gleichnisse zu finden, an derer sie mich noch verstehen konnten. Manchmal verstand ich ebenso wenig ihre Fragen, wie sie meine Antworten. Es war, als ob man einem von Geburt aus Blinden, Farben erklären wollte. Es war wie ein Gespräch zwischen einem Tauben und einem Blinden.
Wir debattierten bald nur noch über Begrifflichkeiten. Das Thema, worüber wir eigentlich sprechen wollten, verlief sich im Sande. Worüber wir sprachen, hatte nichts mehr mit dem Leben zu tun. Allmählich wurde mir klar, dass wir inzwischen zu verschieden waren und sich zwischen unser Andersartigkeit ein großer Graben zog. Wir drehten uns „im Kreis“.
Es war nicht mehr nötig, etwas zu sagen, - ja vielleicht, war es auch nicht mehr möglich, denn worüber soll man sprechen, wenn neue Gedanken selten werden.
Entmutigt löste sich die Gruppe um mich herum auf. Mit gesenkten Köpfen streuten die weißen Gestalten in alle Richtungen auseinander. Es gab für sie nun mehr Fragen, als Antworten und mehr Verständnislosigkeit als Verständnis. Sie waren in ihrer Hoffnung wieder einmal enttäuscht, weil sie die Hoffnung nicht erkannten.
Der Cowboy war schon vor langer Zeit gegangen. Wahrscheinlich wurde er vor meiner Ankunft, bei seiner Rückkehr in den Garten Eden, genauso umringt und mit Fragen konfrontiert, wie ich. Und wahrscheinlich gelang es ihm ebenfalls nicht, den Menschen im Garten Eden, dass Leben verständlich zu beschreiben. So erhofften sich die Edenbewohner von mir die Antworten, die der Cowboy ihnen nicht begreiflich machen konnte – doch vergebens. Manche Dinge muss man wohl einfach erleben, um sie zu verstehen, damit Worte Bedeutung erhalten.
So stand ich nun wieder alleine auf dem weißen Marmorweg, zwischen dem grünen kurz geschorenen Gras und der hügeligen weiten Landschaft. Hinter mir fielen die goldenen Pforten ins Schloss. Die „Jungvögel“ saßen noch immer aufgereiht am Zaun und starrten mit herabgefallenen Kinnläden zu mir herüber. Die „Lumpen“ hatten sich von außen an das Gatter gepresst und gafften durch die Gitter, wie Affen aus einem Käfig.
Es war so still, dass man ihre im Wüstenwind flatternden Umhänge und Tücher hören konnte. Erst jetzt merkte ich, wie meine kleinen körperlichen Gebrechen verschwanden und sich meine leichten Dauerschmerzen, an die ich mich mittlerweile gewöhnt hatte, allmählich auflösten. Ich spürte wieder meine körperliche Leichtigkeit und begann über den weißen Marmorweg in Richtung Villa, gen Norden, zu schweben. Wie im Traum zog die grüne Landschaft an mir vorbei und ich folgte dem Schatten zu meinen Füßen, hin zu jenem mir vertrauten Ort, wo ich einen alten Mann zwischen einem Zierbrunnen und einem Apfelbaum wiedersehen würde.
Still schwebte ich zwischen den grünen Hügeln auf dem Weg des Lichts.
Und da erblickte ich ihn wieder, - den alten Mann. Er stand, wie immer, zwischen dem Apfelbaum und dem kunstvoll verzierten Brunnen. Im Halbschatten der Baumkrone, schaute er über die weiten grünen Hügel, mit seinen vielen farbenfrohen Blumen und denen dort vereinzelt stehenden kleinen Bäumen. So weit ich mich erinnern kann, stand er schon immer da. Meistens alleine.
Nichts auf der Welt, hätte ihn jemals von diesem Platz vertreiben können. Dies war sein Platz.
Und so würde jeder, der zu diesem Ort kam, gleichzeitig auch kommen, ihn zu besuchen. Er freute sich jedes Mal, wenn er Besuch bekam, denn er war einsam.
Ich beschloss zu ihm zu gehen, verließ den weißen Marmorweg und streifte barfuss durch das kurze Gras, bis ich neben ihm stand. Er drehte sich zu mir um und lächelte.
Eine Zeitlang verweilte ich still neben ihm. Dann unterbrach er die erdrückende Stille und sprach leise:
„Du hast also den Weg in den Wald gefunden?“
„Ja, das habe ich“, gab ich spartanisch zurück.
Der alte Mann schaute mich mit einem stechenden Blick tief in die Augen:
„Ist es etwa anders, als ich sagte: Dort erwartet dich Schmerz und Kummer und Durst und Hunger. Tränen begleiten deinen Weg. Und wenn du Hilfe suchst, wirst du Pein finden.“
„Ja, das ist die eine wahre Seite des Lebens“, bestätigte ich.
„Am Ende deiner Kraft, gebrochen dein Herz, müde der Hoffnung? Bleibst du nun hier und hältst fest, was du hast?“, setzte er fort.
Ich schaute ihn fragend an:
„Habe ich es denn nur drei Tage ausgehalten, kam auf allen Vieren zurückgekrochen, am Ende meiner Kraft, gebrochen mein Herz und müde der Hoffnung?
Du und ich, wir sind uns jeweils selbst begegnet. Dir hat es nicht gefallen.“
Der Apfel
Wir pflückten wieder beide einen Apfel vom Baum.
Er war perfekt. Er war süß, saftig und außergewöhnlich lecker.
Oh, wie ich den Apfel genoss.
„Verdammt, schon wieder!“, hörte ich ihn fluchen.
Das Wasser
Alsbald trank wir beide vom Wasser aus dem Brunnen.
Es war perfekt. Es war kristallklar, kalt und frisch.
Oh, wie ich das Wasser genoss.
„Schau dir das an!“, klang es dumpf in scheinbar weiter Ferne.
Der Grashalm
Ich legte mich auf das weiche kurze Gras, genoss diesen wundervollen Blick über die Landschaft, und versank im angenehmen Halbschatten der Blätter in meine Gedanken.
„Ein abgebrochener Grashalm!“, tönte es zu mir herüber.
„Ja“, dachte ich mir, „es gab Dinge, die wir unterschiedlich sahen. Ich hatte mich verändert.“
Schöpfung in Eden
Ich stand auf und verließ wortlos den alten Mann. Nach etwa 200 Metern kam ich wieder auf den Marmorweg. Dieses Mal überquerte ich ihn jedoch und betrat den dahinterliegenden Rasen, auf der Ostseite des Weges, dort, wo die Sonne jeden Morgen den Tag einleitet.
Vielleicht tat ich es nur, weil ich der Vergangenheit nachtrauerte. Vielleicht wollte ich aber auch etwas verändern, etwas erschaffen. Ich erinnerte mich an mein Leben, wünschte mir eine Harke und begann mit dieser kleinen Harke, mitten auf der weiten Rasenfläche, einige hundert Meter vom Weg entfernt, einen kleinen Acker zu pflügen.
Natürlich hätte ich mir, statt einer Harke, auch gleich einen Acker wünschen können, darum ging es mir aber gerade eben nicht. Es ging mir um das eigene Erschaffen und nicht um das Haben, denn das wahre Sein steckt im Werden, so wie das wahre Werden im Tun steckt.
Ich spürte die Lust am Tun und die Vorfreude auf etwas Neues. Ich wusste, was es bedeutet, den Geschmack des eigenen Erfolges genießen zu können. Ich mühte mich redlich, ohne effektiv zu sein, aber dieses war mir in diesem Moment nicht wichtig. Ich war nahe bei mir selbst und versank, im Versuch der Einsamkeit zu entfliehen, in meiner Arbeit. Mit nacktem Oberkörper, wie damals im Dorf, wühlte ich kontinuierlich, Zentimeter um Zentimeter, im Boden. Ich genoss das mir vertraute warme Gefühl, wenn die Sonne den Rücken erwärmt und man über seinem eigenen Schatten gebückt, einer schier endlosen Tätigkeit nachgeht, bei der es nicht auf Schnelligkeit, sondern auf Durchhaltevermögen ankam und man seine Kräfte für eine lange Zeit einteilen musste. Mir lief der Schweiß von Rücken, Achseln und Stirn. Leichte Windbriesen ließen manchmal die Schweißtropfen auf meinem Körper verdunsten und spendeten mir somit etwas Kühle. In der Monotonie meiner Bewegungen, in Gedanken vertieft, verfolgten mich die alten Lieder des Dorfes und ich begann zu singen, erst zaghaft leise und dann immer lauter. Es interessierte mich nicht, was irgend welche Passanten über mich denken könnten, die mich vom weit entfernten Weg, mitten auf einer grünen Wiese, einsam arbeiten sahen und vielleicht über mein absurd erscheinendes Verhalten den Kopf schüttelten. Sie waren weit entfernt. Niemand war in meiner Nähe. Ich war ganz für mich alleine.
„Brauchst du Hilfe?“, sprach mich jemand an, der unmittelbar hinter mir stand und schreckte mich damit unerwartet aus meinen Gedanken auf.
Ich drehte mich um. Es war der Cowboy, den ich am Tor gesehen hatte. Ich musste in meinen Gedanken so vertieft gewesen sein, dass ich seine Ankunft nicht bemerkt hatte. Wir blickten einander in unsere Augen und begannen beide zu grinsen.
„Du machst das ganz falsch!“, mischte er sich ein, „Lass mich mal ran.“
Er nahm einen Spaten und wendete erst einmal den Rasen: „Wie groß soll’s denn werden?“
„Meinst du, Fußballfeldgröße würde für den Anfang ausreichen?“, witzelte ich und fuchtelte energisch mit meine kleine Harke in der Hand.
„Na dann mal los. Jeder an einer Seite!“, lachte er zurück und zeigte in eine virtuelle Ecke des geplanten Ackers.“
Und so gruben, pflügten und säten wir unseren ersten Acker. Einige Passanten gingen kopfschüttelnd an uns vorbei und belächelten unser Tun. Nach einigen Tagen war unser Werk jedoch vollbracht. Wir erfreuten uns an unserem Schaffen und warteten nun gespannt auf die ersten Triebe. Und was soll ich sagen, es war natürlich ein Kartoffelfeld!
Ich saß mit dem Cowboy am Rand unseres Feldes und tranken ein Bier, als ein Teenager auf uns zukam.
„Kann ich mitmachen?“, sagte er etwas scheu und äußerst neugierig.
Der Cowboy und ich schauten uns an.
„Klar, warum nicht?“, schmunzelte ich den Jungen an und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.
„Können meine Freunde auch mitmachen? Wir wissen, wie man Tomaten anpflanzt.“
Ich war so verblüfft, dass ich mich fast am Bier verschluckte. Unsere kleine Aktion, die von den Edenbewohnern nicht verstanden wurden, fand plötzlich Anhänger, die unsere Ziele sogar übertrafen. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Bald kamen dann auch ihre Eltern. Die brachten dann wiederum ihre Freunde mit und weiter ging es dann mit Bekannten bis schließlich auch Fremde neugierig unserem Treiben beiwohnten und letztendlich mit anpackten. Es wurden immer mehr. Sie alle hatten das Leben erlebt, so wie der Cowboy und ich. Jeder hatte etwas aus dem Leben mitgebracht und wusste etwas, was ein anderer nicht wusste. Und obwohl jeder so unterschiedliche Erfahrungen gemacht hatte, sprachen wir dennoch die selbe Sprache. Wir verstanden uns und wussten, warum wir dies alles taten. Wir ergänzten uns. Seltsam, dass mir die Menschen aus dem Leben früher nie aufgefallen waren. Ohne es zu ahnen, hatte ich scheinbar einen Stein ins rollen gebracht.
Bald hatten wir ein Tomatenfeld, Kartoffeln, Auberginen, Erdbeeren, Bohnen, aber auch Sonnenblumen, Rosen und viele andere wunderschöne Zierpflanzen, welche die Ostseite des Garten Edens schmückten und unsere Heimat erblühen ließ.
"Suchet und ihr werdet finden,
sähet und es wird wachsen,
habet Geduld und es wird vollendet,
bittet und es wird Euch gegeben,
bedenket der letztendlichen Schöpfungskraft in der Symbiose."
Wir arbeiteten und feierten, redeten und erschufen, immer voller Ideen und unbändigem Tatendrang. Und wenn einmal nicht ein großes Fest geplant war, um irgend einen kleinen Erfolg des Tages oder des Monates zu würdigen, saßen wir Abends am Feuer und erzählten uns die vielen Geschichten aus unserem Leben.
Zwiespalt in Eden
Eines Tages, ich arbeitete gerade einmal wieder auf meinem Kartoffelfeld und grub, am Rande des Feldes, dicht am Marmorweg, Kartoffeln aus, stand ein hagerer, weißer, Mann neben mir und beäugte kritisch mein Tun. Erst schenkte ich ihm nur einen flüchtigen Blick, doch dann bemerkte ich überrascht, wer da neben mir stand und konnte es kaum glauben.
Es war der alte Mann!
Er hatte sich tatsächlich das erste Mal von seinem Platz zwischen dem Zierbrunnen und dem Apfelbaum entfernt und stand nun neben mir.
„Das sind also Kartoffeln?“, fragte er mich, nahm sich eine von den ausgebuddelten Großen und hielt sie vorsichtig jonglierend zwischen seinen Fingerspitzen.
„Ja, die kann man essen und schmecken köstlich“, sagte ich, als mir plötzlich bewusst wurde, was ich damit angerichtet hatte.
Und schon packte er die Kartoffel und biss in diese ebenso kräftig hinein, wie er es ansonsten mit Äpfeln zu tun pflegte. Das Gesicht hättest du sehen müssen. Ich wusste gar nicht, dass er zu solchen Grimassen fähig sein würde. Eigentlich wollte ich ja nicht lachen, aber um so mehr ich versuchte, mein Lachen zu verkeifen, des so weniger gelang es mir.
„Ich verstehe einfach nicht, was das alles soll!“, sprach er erbost. „Was ihr hier macht ist doch lächerlich!“
Der alte Mann bluffte mal wieder mit einer arroganten Maskerade und ging zeternd zurück in den Westen, zurück zu seinem Platz, zu seinem Baum und seinem Brunnen.
Ich wollte ihn noch zurückhalten, ihm alles erklären und zu einem anderen Male einladen, aber er lehnte ab und ließ mich stehen.
„Vielleicht kam er gar nicht zu uns, um sich ein Bild zu verschaffen, sondern nur, um eine Bestätigung seines eigenen Bildes zu erhalten“, dachte ich mir.
Ich schaute ihm hinterher und konnte in der Entfernung erkennen, wie er seinen Platz erreichte. An seinem Brunnen wurde er bereits von anderen Edenbewohnern so interessiert empfangen, dass er augenblicklich in der Mitte eines ihn umrandenden Pulks verschwand.
Sie standen im Halbschatten der Baumkrone, im Schutze des Blätterdaches vor der hochstehenden Mittagssonne, und ich vernahm dumpf ihr angeregtes palavern. Ich wusste, worüber sie redeten, aber es interessierte mich nicht.
So hatte der alte Mann nun also einen weiteren Grund gefunden, worüber er sich ärgern würde. Waren bis dato nur die für ihn schlechten Äpfel, der kaputte Brunnen und die zerbrochenen Grashalme ein Grund des Ärgernisses, kamen nun die Menschen, die mit „idiotischen“ Einstellungen aus dem Leben zurückgekommen waren, hinzu.
Und so, wie sich die Lebensmenschen gefunden hatten, um etwas gemeinsam aufzubauen, fanden sich nun auch die Edenmenschen, um gemeinsam Gutes zu ignorieren und sich über alles zu ärgern.
Aber wenn man den vermeintlich besten Platz nicht verlässt, ja, wenn man Eden nicht verlässt, weil man davon überzeugt ist, es gäbe keinen besseren, wird dann nicht der vollkommende Platz zum vollkommenden Gefängnis? Niemand sah eine Mauer, die sie daran hinderte zu gehen, aber ich glaube, es gab eine Mauer, - in ihnen. Eine Mauer der Angst.
„Angst führt zu Wut, Wut führt zu Hass und Hass zu unsäglichem Leid.“
Der Marmorweg entwickelte sich zunehmend zu einer Grenze zwischen denen im Osten, die das Leben kennen gelernt hatten und sich mit großer Hoffnung der Schöpfung widmen wollten und denen im Westen, die sich gegen das Leben sträubten und eine Existenz zwischen Angst und Erbitterung führten. Der Marmorweg wurde somit zur Grenze zwischen Lebemenschen und Edenmenschen, zwischen Lebewesen und Edenwesen.
Immer seltener kam einer von ihnen zu uns und immer seltener ging einer von uns zu ihnen.
Dennoch, einen Rest von Neugierde und Zweifel, konnte sich beiden Seiten erhalten. Und solange sich der dunkle Mantel der Ignoranz nicht vollständig über die Wahrheit gelegt hatte und Existenz zur Stagnation verdammen würde, gab es Hoffnung für alle.
Die vier Burschen
Eines Tages standen vier Edenwesen vor mir. Es waren junge Burschen mit bleichen Gesichtern, wie es für die Edenwesen typisch war. Sie trugen kleine Rucksäcke auf dem Rücken und grinsten mich fragend an.
„Würdest Du uns in Leben begleiten?“, sprach mich einer der Vier an.
Ich schaute auf das Feld und sah die reifen Früchte, die darauf wartete, von mir geerntet zu werden. Es drängte mich meine Arbeit zu Ende zu führen. Nein, ich wollte nicht gehen. Doch ich erinnerte mich plötzlich an meine eigenen Worte, die wie eine Stimme eines anderen Diskussionspartners in meinem Kopf zu mir sprach:
„Wenn man den vermeintlich besten Platz nicht verlässt, ja, wenn man Eden nicht verlässt, weil man davon überzeugt ist, es gäbe keinen besseren, wird dann nicht der vollkommende Platz zum vollkommenden Gefängnis?“
Und ich fragte mich, ob es in mir vielleicht tatsächlich eine Mauer der Angst geben würde.
„Bin ich letztendlich selbst träge geworden, gefangen wie der alte Mann, der an dem festhielt, was er hatte? Aber warum sollte ich gehen? Schon bald könnte ich die Ernte einfahren und könnte in kürzester Zeit wieder meinen Erfolg genießen,“ argumentierte ich dagegen.
„Kurzfristiger Erfolg ist wertlos, wenn Ihr Euch dadurch eurer zukünftigen Chancen beraubt“, schoss es mir dann durch den Kopf und mein innerer Diskussionspartner konterte weiter: „Wichtiges hat Vorrang vor Unwichtigem. Dringenderes aber hat Vorrang vor Wichtigem, solange das Wichtige nicht gefährdet wird. Wichtig ist das Wohl. Das Wohl der Gemeinschaft ist das Wohl des Einzelnen, sowie das Wohl des Einzelnen auch das Wohl der Gemeinschaft ist.“
„Natürlich konnten andere meine Arbeit fortführen“, gestand ich mir ein, „aber hier standen Edenwesen, die mein Tun und meine Art immer arrogant verspottet hatten und offensichtlich sind sie immer noch zu feige, es uns gleich zu tun, mutig den Weg zur Selbsterkenntnis alleine zu beschreiten.
Sie halten sich wohl für sehr pfiffig“, dachte ich mir. „Statt sich der Gefahr auszusetzen, unwissend die unvorhersehbaren Konsequenzen ihrer Entscheidungen glücklich akzeptieren zu können oder tapfer tolerieren zu müssen, halten sie es für bequemer und sicherer, sich meines Lebens zu bedienen.
Es kommt doch nicht alleine darauf an, alles richtig zu machen, um Erfolg zu haben. Verstehen sie nicht, dass es wesentlich ist, über sich selbst hinauszuwachsen?
Ist hierfür nicht die Auseinandersetzung mit unsere eigenen Angst, unserem Mut, Tapferkeit, Ideen und Entscheidungen das Wesentliche? Es geht um die Auseinandersetzung mit sich selbst, noch bevor man durch sein Handeln das Tor in die Welt der Ungewissheit durchschreitet, um letzten Endes, mit der Konsequenz seiner Selbstrefflektion, konfrontiert zu werden.
Wenn ich für sie mutig wäre, blieben sie feige, ohne es jemals für sich zu erkennen.
Wenn ich es ihnen leicht machte, würden sie nie lernen, was schwierig ist.
Solange ihnen ausnahmslos nur Gnade widerführe, könnten sie den Wert der Gnade nicht begreifen. Für sie wäre Leichtigkeit normal und selbstverständlich und somit ohne jeden Wert. Sie würden selbst in meiner Hilfe, die ich ihnen gebe, keinen Wert erkennen können, denn wenn ihnen alles leicht erschiene, verständen sie nicht, dass sie es leicht hatten, weil es ihnen leicht gemacht wurde. Anstatt zu verstehen, welchen Vorzug sie genossen, würden sie weiterhin auf mich, und alle die es schwer hatten, herabsehen. So könnten sie weder den Geschmack des eigenen Erfolges erfahren, noch Gnade zu schätzen wissen.
Wie sollen sie erfolgreich sein, wenn sie ihren Erfolg, von den der anderen, nicht unterscheiden können?
Wie sollen sie jemals Gnadenvoll sein, wenn sie den Wert von Gnade nicht zu schätzen wissen?
Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.“
Doch mein zweites Ich ließ nicht locker: „Ehre sei dem, der anderen hilft seine einzigartigen Begabungen zu finden, welche sie auch sei, für wen sie auch sei, zum Wohle aller. Denn die Vielfalt ist das Vollkommene Ganze der unvollkommenden Einzigartigkeiten. So suchet nach der einzigartigen Begabungen jedes Einzelnen, derer jeder gebraucht wird.“
„Sie haben es den anderen schwer gemacht. Sie sind feige, wie die Lumpen, die im nachhinein Dinge behaupten, die sie nicht verstanden haben. Und wieder gäbe ich ihnen nur einen Grund mehr, genau die zu verachten, von deren Mut sie profitieren. Soll ich das vielleicht auch noch unterstützen?“, wiedersprach ich mir selbst.
„Konzentriert Euer Handeln nicht auf den Kampf gegen das Böse, sondern konzentriert Euer Handeln auf den Kampf für etwas Gutes. Ehre sei dem, der Gnade hat, denn Gnade ist wichtiger als Recht.“
Die vier Burschen schauten mich sehr hoffnungsvoll an und warteten immer noch geduldig auf eine Antwort von mir. Einer der Jungen lächelte mich auffordernd mit so großen treuen Augen an, dass es mir fast unmöglich war, ihnen ihre Bitte abschlagen zu können. Scheinbar war es wirklich ihre Absicht, das Leben unbedingt kennenlernen zu wollen. Sie wirkten neugierig und entschlossen, nur etwas ängstlich. Vielleicht fehlte ihnen nur ein kleiner Schubs für einen gelungenen Start ins Leben.
Und verweilte ich nicht schon lange genug in Garten Eden? Hatte ich den Sinn des Lebens vielleicht vergessen? Glaubte ich etwa schon genug zu wissen? Ich rang mit mir selbst. Schweren Herzens fühlte ich jedoch tief in meinem Inneren, dass es kein Zufall war, dass ausgerechnet ich aufgefordert wurde, erneut ins Leben zu gehen. Seltsam auch, dass es ausgerechnet Edenwesen und keine Lebewesen waren, die mich ins Leben drängten. Damit hatte ich am allerwenigsten gerechnet.
Ja, es geht um die Auseinandersetzung mit sich selbst, noch bevor man durch sein Handeln das Tor in die Welt der Ungewissheit durchschreitet. Es ist unwichtig, alles richtig zu machen. Es ist wesentlich, über sich selbst hinauszuwachsen. Und dieses gilt besonders für mich. Es ist also mal wieder Zeit für mich, zu gehen. Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.“
Und so wandte ich mich zu den jungen Burschen und willigte ein:
„Ihr habt recht“, sprach ich zu ihnen. „Es ist wieder Zeit für mich, den sicheren Garten Edens zu verlassen und euch ein Stück des Weges ins Leben zu begleiten. Aber ich sage euch, es wird der Zeitpunkt kommen, an dem wir uns trennen werden und jeder von uns, auf sich alleingestellt, seinen eigenen Weg gehen muss. Vier Wochen, nicht ewig, aber vier Wochen wollen wir durchhalten. Wenn ihr den Mut habt, treffen wir uns morgen Früh auf der Terrasse und beschreiten dann gemeinsam den Weg ins Leben.“
Die Jungs strahlten mich an, bedankten sich, drehten sich um und gingen gemeinsam über die grünen Hügel hinweg, bis sie schließlich hinter einer Bergkuppe verschwanden. Mir war klar, dass ich dieses Mal im Leben weiter gehen müsste, als je zuvor und mir niemand folgen könnte. Nur so ergab es Sinn. So sollte es sein.
Und so, wie ich mit meiner Entscheidung das Eine beendete, um etwas Neues zu beginnen, endete auch dieser Tag für einen neuen Morgen. Und die rote Abendsonne versank im Westen der Edenwesen und löschte, am Ende ihrer Reise, ihr warmes Licht.
Das dritte Leben
Der Morgen
Es war hell, weiß, frühlingshaft warm und fast ganz still.
Wie immer, wachte ich, geblendet vom gleißend hellen Licht, der durch die großen Fenster kommenden Sonnenstrahlen, in der Villa auf. Ruhig und entspannt stand ich barfuss auf dem angenehm kühlen weißen Marmorboden in meinem weißen, leichten Gewandt. Ich senkte meinen Blick aus dem Helligkeit und meine Augen gewöhnten sich an die Lichtverhältnisse. Die morgendliche Sonne floss sanft durch die langen Fenster und erfüllte den Raum mit Licht und Wärme. Einer der hohen gläsernen Flügeltüren war leicht geöffnet. Die Vögel zwitscherten. Eine Flügeltür war leicht geöffnet und eine lauwarme Windbriese ließ die langen weißen Vorhänge der Fenster leise und sanft nach außen schwingen.
„Die Sonne begrüßt dich und die Vorhänge machen für dich den Weg nach draußen frei. So folge der Einladung in die Freiheit, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Wie immer, ging ich an dem Raum der palavernden Menschen vorbei, betrat durch die geöffnete Tür die weiße Marmorterrasse und atmete tief die frische Morgenluft ein. An einigen Tischen auf der Terrasse saßen wieder vereinzelt Menschen und frühstückten oder genossen einfach nur den weiten Blick über den grünen Garten.
Aufbruch der Gemeinschaft
Die Jungs waren tatsächlich alle gekommen. Sie saßen gemeinsam an einem der Tische und schauten über die Landschaft von Eden. Ich ging auf sie zu und begrüßte sie:
„Nun ist es so weit. Lasst uns ins Leben gehen, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Fast heimlich, zogen sie ihre kleinen Rucksäcke unter ihrem Tisch hervor und schnallten sie sich auf ihren Rücken, während sie hastig ihren Platz verließen und mir die Treppen in den Garten folgten. Der alte Mann stand, wie immer, zwischen dem Apfelbaum und dem Zierbrunnen. Er schaute zu uns herüber und schüttelte wieder mit dem Kopf. Die Jungs schlichen mir in geduckter Haltung hinterher und hofften somit wohl unbewusst, sich den strengen Blicken der Edenwesen entziehen zu können, die uns grimmig von ihren Wiesen im Westen fixierten. Die Lebewesen der Ostseite winkten uns jedoch aufmunternd zu und wünschten uns alles Glück für unsere Reise. Die Burschen und ich schwebten weiter über die weißen Marmorfliesen in Richtung des goldenen Tores. Wir waren dieses Mal nicht ganz alleine auf unserem Weg. Vereinzelnd begegneten wir anderen Wanderern, die uns braun gebrannt, wahrscheinlich aus dem Leben, entgegenkamen. Einige einzelne Gestalten bewegten sich in kontinuierlicher Distanz vor uns, verschwanden und erschienen immer wieder hinter Hügeln und Bäumen und marschierten, vermutlich wie wir, zu den Pforten von Eden. Je weiter wir kamen, desto aufrechter gingen nun die vier Burschen, bis sich einer von ihnen sogar traute, ein kleines Lied zu pfeifen.
Wir überquerten den Pass und näherten uns den goldenen Pforten von Eden. Die Jungen waren sichtlich beeindruckt, als sich die prunkvollen Tore öffneten, die weißen Frauen Spalier standen und sie die schnatternden „Jungvögel“ vor dem Gitter, wie auch die flatternden „Lumpen“ dahinter erspähten.
„Die Sonne begrüßt euch und die Tore machen für euch den Weg nach draußen frei. So folgt der Einladung in die Freiheit, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Meine Begleiter zögerten einen Moment, als sie die wüste Welt hinter den goldenen Gattern des Garten Edens erblickten und schauten mich verunsichert an.
Ich blickte in ihre fragenden Gesichter und gab mein Bestes, sie auf das Leben vorzubereiten:
„Wenn wir das Leben betreten, werdet ihr das erste Mal euer wahres Gewicht spüren. Erschreckt euch nicht. Die Luft ist heiß und staubig. Atmet durch die Nase ein. Der Wind droht euch umzukippen. Geht vorsichtig, Schritt für Schritt und achtet, worauf ihr eure verletzlichen Füße setzt. Aber das wichtigste: Was auch passiert, dreht euch nicht um. Niemals! Oder ihr erstarrt gleich wohl einer Salzsäule. Schaut immer nach vorne! Wenn ihr durch dieses Tor geht, vergesst den Garten Eden oder ihr verlasst ihn nie! Seid ihr bereit?“
Die Burschen nickten und holten noch einmal tief Luft, als wollten sie tauchen gehen. Dann schritten wir über die Schwelle des Tores und betraten die schwere Wirklichkeit, unter sandigem Wind und brennender Sonne, in der Wüste.
Wir kamen nur langsam vorwärts. Ich wartete auf sie und hoffte nur, sie würden den ersten Tag tapfer überstehen. Aber sie kämpften gut und taten alles, um zu leben. Ich wusste, es würde ihnen eines Tages leichter fallen, sich mit den Naturgesetzen des Lebens zu arrangieren und die Neugierde in ihren Augen versprach Hoffnung auf ein erfülltes Leben.
Unsere erste Nacht verbrachten wir in der Tundra und ich sammelte etwas Gras und kleine Stöckchen für unser erstes kleines Lagerfeuer. Am Nächsten Morgen fanden wir Wasser und gelangten schließlich in den Wald. Sie kletterten auf Bäume, um Äpfel zu pflücken und ich sammelte für uns Pilze. Ich führte sie zum See und brachte ihnen das Fischen bei. Sie lernten nicht nur von mir, sondern auch ich lernte von ihnen, denn ihre Sicht, die Dinge zu betrachten, veränderte auch meine Wahrnehmung und so erschien mir Vertrautes, in neuem Licht. Mir wurde bewusst, als ich noch der Schüler war, bestimmten vor allem Ideen mein Leben. Als ich dann gelerntes und Ideen anwendete, begann ich erstmalig zu begreifen. Doch erst jetzt, als Lehrender, wo mir andere den Spiegel meiner Lehre zeigten, wurde ich mir meiner Unklarheiten, Irrtümer und meiner selbst bewusst. Wir zogen durch den Wald, begegneten der Freude und der Trauer, dem Angenehmen und Unangenehmen und wurden immer mehr zu einer Gemeinschaft, in einer Welt der Gegensätze und dem Anderen, der Dualität und Vielfalt. Meine anfänglichen Befürchtungen, die ich gegenüber den Jungen hatte, waren völlig unbegründet. Sie machten durchaus ihre eigenen Erfahrungen und sie würden auf ihre Art verstehen, was wichtig ist. Ich glaube, es war weniger wichtig für sie, was ich wusste und sagte, wohl aber, dass ich einfach nur da war. Ich hatte sie in mein Herz geschlossen und genoss ihre Gegenwart, obgleich ich wusste, dass der Zeitpunkt unserer Trennung nahte. Wir durchquerten schließlich das Dorf meines letzten Lebens. Obwohl mir klar war, dass in Eden und dem Leben, die Zeit anders verlief, hoffte ich, in diesem Dorf, dennoch alte Freunde wieder zu treffen, aber niemand, den ich kannte, war noch da. Wir erfrischten uns auf dem Marktplatz am klaren Wasser des Brunnens. Dann war es so weit: Ich führte die Jungen ans Ende des Dorfes, durchquerte mit ihnen das dahinterliegende kleine Gehölz und wir erreichten schließlich die südlichste Grenze des Waldes.
Die Vulkanlandschaft
Die Trennung
Vor uns lag nun eine schwarze Sandwüste aus Vulkanasche. Kein Grün, so weit das Auge reichte. Vereinzelnd ragten schwarz verbrannte Baumskelette aus dem Erdreich. Ein riesiges schwarzes Gebirge durchzog im Hintergrund die öde Vulkanlandschaft. Einige Berge spieen Lava, Asche und Gesteinsbrocken aus den Höllenschlünden ihrer Gipfel. Tiefes Grollen ließ den Boden erzittern. Rot leuchtende Lavaflüsse bahnten sich aus den Kratern die Abhänge hinunter, schoben sich an verbrannten Felsbrocken über den dunklen Sand, walzten ins Tal herab und versammelten sich dort in dampfenden Seen, rot kochender Glut oder erstarrten wie verendete Riesenamöben, inmitten einer rauch- und dampferfüllten Feuerlandschaft. An manchen Stellen traten vereinzelnd Risse und Löcher im Boden auf, an dessen Grund ein glühender Lavastrom blubberte, der aus Höhlen unter der Erde hineinfloss und durch eben solche wieder geheimnisvoll verschwand. Gelbe Steine türmten sich in diesem Ödland, eingehüllt vom weißen Dampf übelriechenden Schwefels, der einen an den Geruch verfaulter Eier erinnerte.
Ich überspielte meine aufkommende Unsicherheit und die bevorstehende Abschiedmelancholie mit einem versuchten Lächeln. Nacheinander blickte ich in die Gesichter der Jungen, die mit mir in einer Reihe am Waldesrand standen und ehrfurchtsvoll das heiß flimmernde Geschehen der Vulkanlandschaft beobachteten:
„Nun ist der Zeitpunkt gekommen, da wir uns trennen müssen“, sprach ich zu ihnen und zeigte auf ein tiefes Tal zwischen zwei Gebirgen. „Dort ist mein Weg. Ab hier muss ich alleine gehen. Euer Weg ist ein anderer. Lasst euch hier vom Leben überraschen. Trennt euch und ergreift die Chance, dem Leben und den Wesen, jeweils alleine zu begegnen, damit ihr euch nicht gegenseitig abgelenkt und blind seid, wenn das Leben, zu jedem von euch, kommt. Seid aufmerksam und verliert nicht eure Hoffnung, denn das Leben ist vielfältiger, als unsere Vorstellungskraft. Wir werden uns wiedersehen.“
Der Schritt in die Hölle
Dann drehte ich ihnen den Rücken zu und wagte mutig einen ersten Schritt in diese vor mir liegende, lebensfeindliche Welt. Ob es jedoch wirklich Mut war oder einfach nur idiotischer Leichtsinn, darüber war ich mir inzwischen nicht mehr so sicher. Vor mir klaffte plötzlich ein großes Erdloch, und an den steil abfallenden Wände darin, schimmerten der rote Schein der kochenden Lava.
„Was habe ich mir bei diesem Vorhaben eigentlich gedacht?“, sprach ich zu mir und begann mich über mich Selbst zu ärgern. „Wollte ich vielleicht irgend jemandem etwas beweisen? Forderte ich das Unglück nicht geradezu heraus? Ich muss bescheuert sein!“
Am liebsten hätte ich mich umgedreht, doch ich wusste um die Stärke der Verführung und konnte mich noch im letzten Moment zurückhalten. Dennoch zweifelte ich an der Richtigkeit meiner Entscheidung.
„Was bist du doch für ein Großmaul“, baute ich mich liebenswürdig auf, „Vor mir liegt eine Landschaft, in der ich gewiss nichts zu essen und nichts zu trinken finden kann – falls ich für solche Sorgen überhaupt lange genug überleben werde. Wahrscheinlich darf ich mich sogar glücklich schätzen, wenn ich nicht schon vorher ein Opfer dieser feindlichen Naturgewalten werde. Doch wenn ich mich jetzt feige zurückziehe, würde ich meiner eigenen laut geäußerten Überzeugung untreu werden und mich vor den Burschen als Hochstapler blamieren. Welch ein Dilemma.“
Ich spürte, wie mir die Burschen hinterher sahen.
Vielleicht war es verrückt, aber ich konnte nicht mehr umdrehen. Ich musste die Jungen und den Wald hinter mir lassen und weitergehen. Ich musste nach vorne schauen. Nun war die Zeit gekommen, da ich beweisen musste, wie ich meiner eigenen Überzeugung vertraute und zu ihr stand. Von meinem Mut hing es ab, wie glaubwürdig ich, in den Augen der Jungen, ein Lehrer bin und gleichzeitig begegnete ich nun der unabwendbaren Konfrontation mit einer wesentlichen Erkenntnis über mich selbst. Diese Welt war meine Prüfung und der Spiegel meiner Ehrlichkeit, in Bezug auf meinen Glauben und meines Selbstvertrauens.
Es gab allen Grund zur Befürchtung, dass der Boden unter meinen Füßen wegbrechen könnte und ich augenblicklich in einen dieser Höllenschlünde fallen würde, käme ich ihnen zu nahe. So beschloss ich, einen respektvollen Abstand zu allen Löchern und Spalten zu halten, tastete mich vorsichtig zwischen ihnen hindurch und machte mich auf den Weg, in das großes Tal, zwischen zwei riesigen, schwarzen Gebirgszügen. Ich drehte mich nicht um.
Immer tiefer verschwand ich im Rauch und Dampf, der aus dem Boden kommenden Erdgase. Ich kletterte über schwarze Basaltbrocken und stapfte knöcheltief durch warme Asche.
Nach einiger Zeit kam ich an den Rand eines ausgedehnten, zäh fließenden, Lavastroms. Dunkle Flecken schwammen auf diesem glühenden Fluss und glitten auf seiner Oberfläche mit ihm abwärts. Ich folgte dem Flusslauf an seinem östlichen Ufer nach oben und näherte mich auf diese Weise langsam dem ersehnten Tal. Immer wieder erbebte die Erde und tiefes Grollen erzitterte die Luft. Ab und zu wagten sich vereinzelte Sonnenstrahlen in einem beeindruckenden Lichterspiel durch die rußige Wolkendecke und ließ kleine Gebiete der Landschaft erhellen. Nach einigen Stunden erreichte ich, zwischen zwei gewaltigen Bergmassiven, den Eingang des Tals. Vor mir lag eine ausgedehnte, flache Sandebene. Der Lavafluss veränderte hier plötzlich seinen Verlauf nach rechts und schien einer Quelle, irgendwo aus dem rechten Gebirge, zu entspringen. Zu meiner Linken blubberte ein kochend heißer Schlammsee. Graue Wellen spülten träge an den Strand. Beim Anblick dieses blubbernden Sees, musste ich an eine schmackhafte Suppe denken. Es kam eben, wie es kommen musste. Ich bemerkte meinen Hunger. Konzentriert spähte ich in das weite Tal und suchte nach Anzeichen von Nahrung, doch weit und breit ließ nichts darauf schließen, dass ich irgendwo etwas essbares hätte finden können. Also marschierte ich zwischen den Rauchschwaden weiter durch die Ebene und hoffte, so absurd es mir auch erschien, auf ein bisschen Glück.
Der tote Baum
Die Wolkendecke riss an einer kleinen Stelle auf. Ein einziger Sonnenstrahl drang hindurch und erreichte ungefähr einen Kilometer vor mir den Boden. Langsam erkannte ich dort ein in der Hitze flimmerndes, schwarz verbranntes Baumskelett. Wie ein bedrohliches Mahnmal, ragte die obskure Gestalt, in mitten dieser Einöde, verlassen aus der Asche und versteckte sein Antlitz immer wieder hinter vorbeiziehenden Rauchwolken. So strebte ich zum einzigen Ziel in diesem Tal, was mir auf so auffällige weise präsentiert wurde. Die Wolkendecke schloss sich wieder und ich erreichte das tote Gebilde schließlich im grauen Nebel. Einige Meter vor dem Stamm, kniete ich mich erschöpft in die warme Asche und blickte auf die verbrannten Überreste dieses Baumes. Der Stamm war nach einigen Metern oben abgebrochen und ließ nur noch die Überreste seiner verbrannten Baumrinde scharfkantig in den Himmel gerichtet.
Rechts und links ragten, wie Arme, zwei dicke Zweige aus dem Stamm und wippten ächzend im Wind.
„Und was nun?“, fragte ich mich selbst und meine Sorgen wuchsen. „Ich habe Hunger und Durst und sehe noch immer keine Hoffnung, hier etwas zu essen oder zu trinken zu finden. Wovon soll ich leben?“
Ich ließ meine Hände vor mir auf den warmen Boden fallen und beobachtete, wie sie scheinbar ohne mein Zutun in den schwarzen Sand griffen. Dann hob ich eine geschlossene Hand hoch und ließ die feinen Sandkörner langsam durch meine Finger herausrieseln. Noch bevor sie den Boden berührten, erfasste sie der Wind und trug sie weit mit sich. Ich sank nach vorne und stützte mich mit meinen Händen auf. Erneut stach ich, mit flachen Händen, tief in den Sand. Die tieferliegenden Schichten waren erheblich wärmer als die oberen und ich berührte beim Hinabgleiten mit meinen Fingerkuppen, etwas weiches. Im ersten Moment erschrak ich. Dann trug ich mit beiden Händen vorsichtig die obere Sandschicht ab und sah in der schwarzen Asche etwas rotes schimmern, was jedoch keinesfalls wie Lava aussah. Hastig legte ich das gesamte Objekt frei und blickte zu meiner Überraschung auf einen roten heißen Bratapfel.
Ich konnte erst gar nicht glauben, was mir da wiederfuhr. Ich saß mitten in einer Vulkanlandschaft und fand unter den Überresten eines verbrannten Baumes einen reifen, wohlriechenden Bratapfel. Er schmeckte besser, als alle Äpfel, die je gegessen hatte, und es gab im Umkreis dieses Baumes, unter der Erde, noch viele weitere Bratäpfel. Es waren so viele, dass ich mich an ihnen satt essen konnte. Meinen kleinen Rucksack konnte ich ebenfalls bis oben hin auffüllen. Ein bisschen stillten die Äpfel sogar meinen Durst, aber es reichte natürlich nicht. Nun war es also wichtig, Wasser zu finden.
„Ohne Essen kann ich vielleicht einige Zeit überleben, aber ohne Trinkwasser werde ich nicht lange durchhalten können“, dachte ich mir und begann mich wieder zu sorgen.
Aber ich hatte auch wieder etwas Hoffnung geschöpft, denn wenn mir Gott, in dieser unwirklichen Welt, Bratäpfel schenken konnte, dann sollte es für ihn doch erst recht kein Problem sein, mich zu Trinkwasser zu führen.
Der Geysir
Und so nahm ich meinen Rucksack und marschierte energiegeladen und voller Hoffnung, weiter durchs dunkle Tal in eine unbekannte Zukunft.
Das Tal zog sich zwischen den Bergkämmen in südöstlicher Richtung. Ich kam während meiner Wanderung bald in ein Gebiet, in dem der Rauch aus den Kratern über mir abnahm. Hier zogen nur noch einige wenige Kumuluswolken ruhig ihre Bahnen unter dem blauen Himmel. Die Nachmittagssonne warf ihr gleißendes Licht über weite Gebiete des Tals und verlieh den Felsen und Berghängen helle Farben. Wolkenschatten wanderten langsam über die Landschaft und verliehen ihr fast übertriebene Klarheit und Plastizität. Zwischen weißen Steinen stieg vereinzelnd weißer Wasserdampf auf. Einige Kilometer von mir entfernt schoss plötzlich eine hohe Wasserfonthaine aus dem Boden. Es war ein Geysir.
Selbst aus dieser Entfernung bot sich mir ein beeindruckendes Schauspiel. Es mussten gewaltige Wassermengen sein, die dort gen Himmel geschleudert wurden. Der Druck im Erdinneren reichte wohl aus, um die Fonthaine auf mehr als hundert Meter Höhe zu katapultieren, bevor sich ihr Strahl an der Spitze zur Seite bog und das Wasser, vom Wind zerstäubt, in feinen Tropfen nach unten fiel. Wie eine lebendige Statur stand der Geysir silbrig glänzend in der Nachmittagssonne, umsäumt von den prächtigen Farben eines Regenbogens und hob sich, als Star der Landschaft, von den Bergen ab.
„Dieses sollte meine Wasserquelle sein, an der ich meinen Durst stillen würde“, dachte ich mir und freute mich.
Das Tal und der Boden unter meinen Füßen waren nun gut zu übersehen, auch begegneten mir hier keine tiefen Erdspalten und Löcher mehr. Ich konnte es nun riskieren schneller zu marschieren und rannte bald voller Ungeduld, leicht abwärts, durchs Tal, zum Geysir. Noch während meines Laufs stellte der Geysir seine Aktivität ein und fiel wieder in sich zusammen. Glücklicherweise konnte ich mir seine Ursprungsposition aus der Entfernung merkte und erreichte bald, außer Atem, dass Loch seiner Geburtsstätte. Um die Quelle herum lagen etliche weiße Felsbrocken. In ihnen, wie auch auf der glatten Ebenen zwischen den Felsen, gab es tiefe Mulden, in denen sich türkis blaues, milchiges Wasser angesammelt hatte. Ich näherte mich den Mulden und löschte meinen Durst. Das Wasser war noch warm. Dann entfernte ich mich schnell einige hundert Meter von diesen Stellen, denn ich wollte nicht zu lange in der Nähe der Austrittsöffnung des Geysirs verbleiben, setzte mich auf einen Stein und ruhte mich aus.
Die Lava
Die Wolken am Himmel schienen sich zusammen zu brauen und schoben sich, wie graue Bowlingkugeln, langsam vor die absinkende Abendsonne. Die Schatten der Gebirge wurden länger und bedeckten plötzlich schnell das Tal. Es begann zu dämmern. Mir wurde mein Glück des heutigen Tages bewusst und wollte mich hierfür bei Gott bedanken, als sich der Boden unter mir bewegte und lautes Knirschen und Kreischen aus dem Erdreich drang. Die Erde begann zu beben. Hinter mir donnerte etwas mit lautem Getöse, und ein grelles Pfeifen schallte durchs Tal. Schlagartig schleuderte mich eine Druckwelle vom Stein und warf mich zu Boden. Für einen kurzen Moment schien ein Sturm über mich hinweg zu fegen, bis er nach einigen Sekunden genau so schnell wieder verschwand, wie er kam. Ein Grollen hallte durchs Tal. Ich richtete mich auf und sah in die Richtung, aus der ich hergekommen war. Unterhalb eines Kraters, am Nordhang des südlichen Bergmassives, hatte sich eine große Felsplatte vom Berghang gelöst und war ins Tal gestürzt. Wie aus einer klaffenden Wunde, quoll rote Lava aus dem Berg heraus und bahnte sich seinen Weg ins Tal.
„Mein Gott“, rief ich geschockt in das ohrenbetäubende Krachen einiger herabstürzender Gesteinsbrocken. Wie gelähmt betrachtete ich die immer größer werdende schwarze Aschewolke, die sich zwischen den Bergen langsam auf mich zu wälzte.
„Ich bin den ganzen Nachmittag bergab gegangen!“, stellte ich erschreckend fest. „Die Lava wird in meine Richtung fließen! Ich muss hier weg! Ich muss nach Oben!“
Ich schaute zum nördlichen Bergmassiv und suchte eine Stelle, an der ich möglichst gut den Hang hinaufklettern könnte. Dann packte ich meinen Rucksack und schnallte ihn mir, während ich loslief, auf den Rücken.
„Ich muss schnellsten aus dem Tal heraus und nach oben flüchten!“, spornte ich mich an.
Immer wieder blickte ich flüchtig nach links und hoffte dadurch einschätzen zu können, wann mich die Wolke und die Lava erreichen würden.
Die Wolke kroch die Hänge hinauf und floss über die Bergkämme, während sie gleichzeitig unaufhörlich auf mich zu wuchs.
„Stopp!“
Unverhofft stand ich vor einer tiefen Erdspalte, die ich gerade noch im letztem Moment gesehen hatte. Fast wäre ich hineingefallen. Geschockt schaute ich in den vor mir liegenden Abgrund. Das Beben hatte möglicherweise neue Risse aufgetan und diese versperrten mir nun meinen Fluchtweg.
Der Himmel verdunkelte sich. Die Wolke schob sich einige hundert Meter über mich hinweg und schien von dort aus auf mich herabzusinken. Am Grund, der vor mir liegenden Erdspalte, begann die darin kochende Lava, mit zunehmender Dunkelheit, immer heller zu leuchten. Schnell erhaschte ich noch ein paar kurze Blicke auf wesentliche Landschaftsmerkmale, um mir einen neuen Fluchweg um die Spalte herum einzuprägen, bevor es zu dunkel sein würde, etwas erkennen zu können. Vorsichtig schlich ich mich an einer Seite des Spaltes vorbei und bewegte mich dann wieder auf kürzestem Weg in Richtung Hang. Dann erreichte mich die Wolke. Ich stand in einem heißen Sturm aus umherfliegenden Ascheteilchen. Sie hüllten mich ein und nahmen mir schließlich jegliche Sicht und beinahe die Luft zum Atmen. So tastete ich mich nahezu blind, im heißen Wind, durch eine stockdunkle Nacht. Der Weg vor meinen Füßen, war kaum zu erkennen. Einerseits war mir bewusst, dass ich mich beeilen musste, wenn ich der Lava entkommen wollte, andererseits musste ich bei diesen schlechten Sichtbedingungen befürchten, in eine der nächsten Erdspalte fallen zu können. Ich hoffte nur, ich würde wenigstens noch in die richtige Richtung laufen, denn es gab nichts mehr, woran ich mich hätte orientieren können. Ich tappte weiter durch den dunklen Sturm, als links von mir, ein diffuser Schein im Nebel, langsam rot zu leuchten anfing und immer heller wurde. Die Lava kam! Sie konnte nicht mehr weit von mir entfernt sein und ich hatte keine Ahnung, wie weit der rettende Hang noch von mir entfernt sein würde. Ich hastete immer schneller durch die Dunkelheit und stolperte ständig über irgend welche Steine. Das glühende Rot wurde rapide heller.
„Du musste jetzt losrennen“, drängten mich meine Gedanken zur Flucht.
Mir wurde bewusst, dass ich in eine Erdspalte fallen könnte, wenn ich in dieser Dunkelheit einfach blind losrennen würde, aber würde ich vorsichtig bleiben, könnte mich vielleicht die heranfließende Lava erfassen. Wenn ich wenigstens hätte erkennen können, wie weit der Hang und die Lava von mir entfernt waren. Panik überkam mich. Was sollte ich tun? Ich entschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Ich schrie wie ein Wahnsinniger und rannte los, ohne auch nur irgend etwas sehen zu können, mitten in die Dunkelheit. Vielleicht lief ich geradezu auf eine Erdspalte zu. Vielleicht war die Lava aber auch schon so nahe, dass sie mich jedem Moment verschlingen würde. Ich gab alles und stolperte in voller Panik blind in die Schwärze, in irgendeine Richtung, in der ich glaubte den Hang erreichen zu können. Immer wieder stießen meine Füßen gegen Steine, die ich nicht sah und jedes mal, wenn meine Füße unverhofft in einer Bodensenke ins Leere traten, fürchtete ich in einen Erdspalt zu fallen. Ich lief um mein Leben. Ich rannte aus Angst vor dem Schmerz des Verbrennens.
Das rote glühen in der Wolke wurde bald so hell, dass sich das Licht in den vor mir liegenden Steinen reflektierte. Ich konnte besser sehen und rannte noch schneller. Dann spürte ich, dass es aufwärts ging.
„Das muss jetzt einfach der errettende Hang sein“, rief ich mir zu.
Es ging immer steiler bergauf. Endlich wusste ich, dass ich in die richtige Richtung gelaufen war. Nun kam es nur noch darauf an, so schnell wie möglich, über das lose Geröll an dieser Steigung, an Höhe zu gewinnen.
Plötzlich knallte ich bei vollem Lauf gegen einen Felsen und taumelte leicht zurück.
Ich stand vor einer fast senkrechten Felswand. Es war nicht nur ein großer Felsbrocken, wie ich anfangs hoffte, es war tatsächlich eine Felswand, die mir nun den Fluchtweg versperrte. Im roten Schein der Lava konnte ich inzwischen einige Meter weit nach rechts und links sehen. Überall ging diese Steilwand fast senkrecht hoch. Ich wollte erst nach einer flachen Stelle suchen, aber mir fehlte die Zeit. Ich musste klettern. Schnell suchte ich mir einen möglichst einfachen Einstieg in die Wand, aber sie war überall zu glatt. Ich suchte weiter. Endlich fand ich einen ersten Halt und zog mich hoch. Dann fand ich auch meinen ersten Tritt, wieder einen Halt und wieder ein Tritt. So schob ich mich Zentimeter für Zentimeter nach oben. Wie hoch ich klettern müsste, wusste ich nicht. Auch konnte ich nicht abschätzten, ob ich dieses Hindernis bald überwunden hätte und es nach oben hin einfacher werden würde oder ob die Wand schließlich zu steil, zu glatt und mit zu wenig Haltemöglichkeiten, meinem Fortkommen ein jähes Ende bereiten würde. Es gab jedoch kein zurück mehr. Ich konnte nicht mehr absteigen und notfalls in einem zweiten Versuch, einen neuen Einstieg auswählen. Die Lava hatte bereits den Fuß meiner Wand erreicht und zog brodelnd unter mir hindurch. Die aufsteigende Hitze der zähen Masse war unerträglich. Es war so heiß, dass ich im ersten Moment vor Schmerzen schrie. Ich versuchte die Ruhe zu bewaren und die Gefahr zu vergessen. Ich redete mir ein, eine Kletterübung zu machen und betete zu Gott, er möge mich beschützen.
Langsam gewann ich an Höhe und die Hitze wurde endlich erträglicher.
Glücklicher weise fand ich immer irgendwo einen sicheren Halt und es gab mir Hoffnung, bisher noch in keine „Sackgasse“ geklettert zu sein. Ich hatte den Eindruck, mit der Auswahl meiner Kletterroute, wirklich Glück gehabt zu haben, aber ich wollte lieber nicht den „Tag“ vor dem „Abend“ loben und mich statt dessen lieber auf das Hochsteigen konzentrieren. Ich durfte keinen Fehler machen.
Der heiße Wind hatte die Felsen erwärmt. Anfänglich rissen kurze Böen an meinem Körper, doch um so höher ich kam, desto gleichmäßiger und ruhiger wurde die Strömung. Außer der Wand, sah ich nichts. Um mich herum herrschte ein endlos schwarzer Raum. Meine Wand wurde, durch die unter mir fließende Lava, in ein tiefes Rot getaucht und die von unten beleuchteten Felsüberhänge streckten ihre langen Schatten über sich an die Felswand.
Ich wusste nicht, wie hoch ich noch klettern müsste, aber ich kam gut vorwärts.
Leise sang ich nebenbei ein Lied aus meinem alten Dorf. Es gab keinen Hall. Der Schall strahlte von der Wand ab und verschwand hinter mir im schwarzen Nichts.
So entwickelte sich der Aufstieg zu einer Reise und es gab in dieser Dunkelheit nur noch mich und diese rote Wand mit den langen Schatten.
Irgendwann wurde der Aufstieg einfacher. In zirka zwanzig Metern Höhe nahm die Steigung rapide ab. Kurz darauf wurde das Klettern kaum schwieriger, als Treppensteigen. Mit letzter Kraft erreichte ich schließlich das obere Ende der Klippe. Ich setzte meinen Rucksack am Hang ab, ließ mich erschöpft auf einen Stein nieder und schaute, noch völlig außer Atem, ins Tal hinunter.
Die Aschewolke schien nicht mehr so undurchdringlich alle Sicht zu versperren, wie anfänglich, sondern erlaubte nun einen weitläufigen Blick ins rot leuchtende Tal. Langsam zog sich der glühende Fluss, wie eine Tiefseeschlange, zwischen den Bergmassiven hindurch und tauchte die von unten beleuchteten Hänge in ein seltsam magisches Licht. Grollen hallte durch das nächtliche Tal und verbreitete sich in endlosen Echos.
Um mich herum war stockdunkle Nacht. Nur einige lose Felsen um mich herum schimmerten in einem schwach roten Schein. Der hinter mir ansteigende Berghang, verlor sich in tiefer Finsternis. Meine zerrissenen Kleider flatterten im lauwarmen Wind.
Ich streckte meine Arme vor mich gen Tal und betrachtete gegen das Licht, die rötliche Silhouette meiner ansonsten dunklen Hände. Ein Wassertropfen traf meine Fingerkuppe und lief, wie ein kleiner Diamant, an meinem rechten Zeigefinger hinab. Es begann zu regnen.
Ich hielt meine Hände zur Schale, sammelte das Herabfallende Regenwasser und trank dieses Elixier des Lebens. Der kühle Regen ergoss sich über das Tal und fiel auf die heiße Lava. Noch bevor die Tropfen den Schmelzfluss erreichten, begannen sie zu verdampften. Kriechend breitete sich eine von unten beleuchtete Nebelbank aus und verdeckte, in einem diffusen Schein, die Sicht auf jene Feuerschlange, die nun unbehelligt fressend, ihren Weg in ihre neu errungene Freiheit fortsetzte. Bald war das ganze Tal von einem rosa Wolkenband erfüllt, das sich angetrieben von Wind und Thermik, langsam durch die Tiefebene schob. Hinter dem Tal zuckten unter den Niederschlägen, die ersten Blitze und erhellten für kurze Momente meine Umgebung.
Ich war inzwischen bis auf die Knochen nass. Mir wurde eiskalt und ich war müde. Aber ich ertrug es, wie betäubt. Die Blitze kamen näher und es wurde deutlich, dass ich hier am Berg vor ihnen nicht sicher sein würde, aber ich konnte auch nicht im Tal Zuflucht finden, denn dort wartete die Lava. Hatten eben noch unerwartete Hindernisse meine Flucht erschwert und mir beinahe das Leben gekostet, wurde ich jetzt durch den Regen ungesund unterkühlt und das Gewitter entpuppte sich mit seinen Blitzen zu einer neuen Bedrohung für mich.
„Seltsam“, dachte ich mir, „manchmal hat man den Eindruck, die ganze Welt würde sich plötzlich gegen einen verschwören. Aber was soll man machen? Wenn es nicht anders geht, muss man für sein Ziel, vielleicht auch mal gegen die ganze Welt, kämpfen. Welche Wahl bleibt einem denn schon? Ich hatte bei meiner Flucht vor der Lava, trotz Hindernisse, weitergekämpft. Das war gut so. Wer kämpft, kann verlieren. Wer aufgibt, hat schon verloren. Das Ziel sollte es nur wert sein. Und selbst, falls ein Kampf das Risiko in sich birgen sollte, durch ihn umzukommen zu können, so ist es prinzipiell doch trotzdem besser mit seinem Schwert in der Hand zu sterben, als als Sklave zu überleben. Nein, es war richtig hierher zu gehen und nun sollte ich auch weiter gehen. Komme, was da wolle. Und wenn schon; falls tatsächlich alles gegen mich sein sollte, dann kämpfe ich eben gegen alles. Ich gebe nicht auf. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Niemals.“
Es wurde Zeit für mich, einen trockenen, geschützten Unterschlupf zum Schlafen zu finden. Also beschloss ich aufzustehen und einen Platz zu suchen, an dem ich vor Regen und Gewitter Schutz finden würde. Mich zu bewegen, war schließlich besser, als im Sitzen zu frieren. Ins Tal konnte ich natürlich nicht gehen. Auf halber Berghöhe zu marschieren, erschien mir jedoch besser, als auf dem Gipfel den Blitzableiter zu spielen. So nahm ich also meinen Rucksack und stolperte, auf gleichbleibender Höhe, über das Geröll, am Hang entlang. Nach etwa hundert Metern hatte ich einen freien Blick direkt zum Fuße meines Berges. Es war verrückt. Der Abhang verlief hier in einem sanften Gefälle bis ins Tal hinab. Währe ich, bei meiner Flucht vor der Lava, nur wenige Grad weiter nach rechts gelaufen, hätte ich mir die gefahrvolle Klettertour ersparen können. Aber wer weiß, vielleicht wäre ich auf dem rutschigen Geröll langsamer hoch gekommen, als an der Felswand. Möglicherweise rettete mir dieser Fehler das Leben. Und so kraxelte ich fröstelnd durch Wind und Regen über das Geröll in die Dunkelheit, ohne zu wissen, wohin.
Die Höhle
Etwas oberhalb meines Weges, entdeckte ich plötzlich ein rötlich schimmerndes Loch im Berg. Ich kletterte den Hang hinauf und sah den Eingang zu einer Höhle. Der rote Schein kam tief aus dem Berg. Ich trat ein und folgte dem Tunnel ins Innere. Nach vielleicht hundert Metern versperrte mir eine unterirdische Schlucht den Weg. Ich konnte das Ende des tiefen Abgrundes nicht erkennen, doch ich vermutete, dass auch hier Magma für das rötliche Licht verantwortlich sein müsste. Ich ging zurück zur Eingangshalle, legte meinen Rucksack auf den Boden und setzte mich hin. Draußen war es dunkel. Nur in der Höhle schien ein schwaches Licht. Mein Blick schweifte über meine zerschlissene Tragetasche und ich entdeckte ein großes Loch darin. Alle meine Äpfel waren herausgefallen. Nur einer hatte sich in einer Ecke der Tasche verklemmt und alle Strapazen mitgemacht. Ich lehnte mich an die Höhlenwand und schaute nach oben an die Decke. Das Gewölbe und die Wände um mich herum waren nicht grau oder schwarz, sie glitzerten in Tausend schwachen Farben. Es war wunderschön. Neugierig stand ich auf, näherte mich den funkelnden Objekten und entdeckte wundervolle Kristalle und Edelsteine. Einige glitzerten gold, andere rot, gelb, grün oder sogar blau. Zwischen Bergkristallen und Amytisten, lugten faustgroße Rubine und Smaragde aus dem Felsgestein. Noch nie hatte ich etwas so phantastisches gesehen. Die Kristalle ragten zum Teil einige Zentimeter aus den Wänden hinaus. Ich konnte durch sie hindurch ins schwache Licht schauen und mich an ihren Farben und ihrer Klarheit erfreuen. Ich staunte, wie ein kleines Kind. Doch immer mehr machte sich meine Müdigkeit bemerkbar. Ich suchte mir eine glatte Schlafstätte auf dem Boden und aß meinen letzten Apfel. Unaufhörlich ließ ich dabei meine Blicke über die glitzernden Wände gleiten.
„Hier schlafe ich trocken und warm, geschützt vor Wind und Gewitter“, vergewisserte ich mich. „Für diese Nacht bin ich sicher. Und wenn morgen früh, in dieser düsteren Landschaft, die Sonne aufgeht, werde ich hier zwischen leuchtenden Edelsteinen, am einzigen farbenfrohen Ort, aufwachen.“
Dann übermannte mich meine Müdigkeit und ich schlief ein, wie Tod.
Der Gipfel
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war gerade erst die Sonne aufgegangen. Schlaftrunken blickte ich aus dem Höhleneingang heraus und sah auf die hell erleuchteten Gipfel des gegenüberliegenden Bergkammes. Die untere Hälfte des Höhenzuges, wie auch das Tal darunter, ruhten noch verschlafen im morgendlichen Schatten der umgebenden hohen Berge. Mir war kalt. Ich streckte und bog meine steifen Glieder einige Male hin und her und rappelte mich schließlich auf. Ich erfreute mich am schönen Anblick der geheimnisvollen Edelsteine und beäugte kritisch, nun bei Tageslicht, die Stoff-Fetzen meines ehemaligen Rucksackes. Er hatte mir gute Dienste geleistet, doch nun war er wirklich nicht mehr zu gebrauchen. So ging ich ohne ihn aus der Höhle hinaus und stand auf einem weitläufigen, schattigen Geröllhang, unter klarem blauen Himmel. In nordöstlicher Richtung, über mir, ragte der Kamm dieses Berges, in majestätischer Größe, in die Höhe. Kalte, weiße Zirruswolken verharrten am stahlblauen Firmament in scheinbar grenzenloser Freiheit.
„Dieser Tag, ist der Tag!“, rief ich mit aller Kraft in die Berge.
Ich schaute nach oben und lief den Abhang hinauf. Ich rannt und kraxelte, über das Geröll der Ebene, dem Gipfel entgegen. Ich flüchtete aus dem morgendlichen Schatten heraus, hinein in die goldenen Strahlen der aufgehenden Sonne, lechzend nach einem freien Panoramablick über alle Gipfel dieser Welt. Nach etlichen Stunden und der Überquerung einiger Scheingipfel, erreichte ich schließlich doch noch den höchsten Punkt dieses Berges. Ich kletterte auf einen kleinen Felsen, stellte mich aufrecht hin und widersetzte mich dem Wind. Mit wehenden Haaren und zerrissenen Kleidern, die wie eine Fahne im Wind flatterten, stand ich auf dem Gipfel und genoss ein gewaltiges Panorama über schneebedeckte Berge, speiende Vulkane, kochende Lavaströme, silbrig glitzernde Seen und grüne Wälder. Die Welt lag mir zu Füßen. Der weite blaue Himmel über mir, umarmte mich wie eine Kuppel ohne Grenzen und gab mir das Gefühl von unendlicher Freiheit. Ich hob meine Arme, streckte sie seitlich von mir, drehte mich langsam um mich selbst, und die vor mir liegende Welt offenbarte mir ihre wahre und unübertreffliche Schönheit. Und so stand ich, mit ausgebreiteten Armen, flatternd im Wind und rief voller Freude und so laut ich konnte:
„Das ist das Leben!“
Der Lavaausbruch hatte glücklicherweise das alte Dorf und den grünen Wald verschont. Vermutlich hatte, außer mir, niemand etwas von dieser kleinen Katastrophe mitbekommen und das war auch gut so. Ich spähte nach Nordwesten. Dort lag mein Wald, irgendwo darin das alte Dorf und meine Heimat. Mein Rückweg war durch nichts versperrt, nur würde ich dieses Mal etwas länger für meinen Heimweg brauchen, wurde mir bewusst. Ich spürte, dass meine Zeit gekommen war und ich hörte wieder die vertraute Stimme in meinem Kopf:
„Es ist so weit. Deine Zeit ist nun gekommen. Du hast wahrlich das Leben gelebt. Deine vier Wochen sind fast um. Komme zurück nach Hause. Kehre Heim, in den Garten Eden. Wir erwarten dich nun voller Freude und Sehnsucht, warten gespannt auf deine Heimkehr und sind neugierig auf deine Geschichten und Erfahrungen, die du im Leben gesammelt hast. Auf das wir alle, an deinem Leben, aus deinem Munde und deiner Art, teilhaben dürfen, um durch dich und aus uns heraus, mehr zu werden, als wir sind, im Streben nach dem Paradies.
So ist es unser Streben zu wachsen. Entstanden aus dem Einen wahren Licht, welches ohne Grenzen Alles und daher wie nichts war, hin zu den vielfältigen Lichtern der neu erschaffenden Wahrheiten, die durch dunkle Abgrenzungen der Unwissenheit, voneinander getrennt und so durch ihre Trennung zu Teilen einer Vielfalt werden. Doch zusammen sind sie die vielen lichten Teile eines zusammenwirkenden, überwiegend lichten Paradieses, vielfältig und wachsend, stets darauf bedacht, die dunklen Silhouetten der Teile klein zu halten, jedoch nicht auszulöschen. Ein Paradies, wachsend, aus den vielfältigen Erkenntnissen aller Teile, die die Wesen sind. Erkenntnisse, die da basieren auf alle möglichen Betrachtungsweisen, über scheinbare Zusammenhänge im Chaos, woraus, beim Akt des Sortierens, letztendlich neue bedeutsame Ganzheiten entstehen, die mehr sind, als die Summe ihrer Teile, selbst wenn bekannt ist, das alles zusammen wahrlich doch nur das Eine ist.
Vor Beginn der Zeit, in einer erdrückenden Wahrheit des ewig Unveränderlichen, existierte das allwissende Eine, das ihr die Singularität nennt.
Und unnütz wär gewesen, wenn sie sich ewiglich, als das untrennbare eine Licht, vollkommen wahrgenommen und ohne neue Erkenntnis, ohne Werden und ohne Schöpfung, im Vollkommenden Sein verblieben wäre, wie sie war. Denn, hätte sie nur an der wahren Erkenntnis festgehalten, dass alles eins sei, so wie du in mir bist und ich in dir, wenn nichts hinzugekommen und nichts geteilt, und wenn kein Auge verschlossen, so dass keine Wahrnehmung von der Wahrheit ignoriert, dann wären auch keine Teile aus dem fließenden Einen entstanden, die für eine Schöpfung, der Selbsterkenntnis, und somit für das Wachsen, benötig werden. Raum und Zeit wären eins geblieben und unveränderliches Fließen, kreiste überraschungslos vorbestimmt, gleichermaßen unbelebt, wie Stillstand.
Und so war das Eine, einst wie ein Puzzle, bestehend nur aus einem Teil. Und wenn ein Puzzle, nur aus einem Teil besteht, so kannst du diesem nichts hinzufügen. Doch ohne etwas Zweites erschiene Schöpfung, nicht möglich. Aber lässt du das eine Teil, in ein Chaos aus Tausend Teilen zerspringen, die nun ein neues Puzzle sind, kann so die Schöpfung aus dem Einen beginnen, gleich dem, was ihr den Urknall nennt.
So ist es für das Werden der einen Einheit nützlich, in sich selbst ein gesplittertes Ganzes aus unvollkommenden Teilen zu bilden, die jeweils in ihrer Unvollkommenheit, zwar einen Teil der Wahrheit sehen, aber eben für manches blind sind.
Drum schaute das Eine, in sich selbst, und trübte ihren Blick vor der einen Wahrheit. Und was wahrlich nur eins ist, schien durch Weglassen mancher Wahrheit, nun vor ihren Augen getrennt. Und wildes Chaos, bunter Farben, animierte sie, zu finden neuer Gleichheiten und es begann die Erschaffung von neuen Ordnungen, auf höchst kreative Art. Was eigentlich eins ist, wurde gedanklich getrennt und was getrennt war, wurde gedanklich neu verbunden. Was verbunden war, hatte Bedeutung, was getrennt war, wurde zur Grenze und zwischen den Grenzen, entstanden die Teile. Aus einem Auge wurden viele. Und die Augen sahen sich selbst und alles andere, als getrennte Teile des Ganzen und manche gar als Wesen. Und da sie sich nun einander begegnen konnten, entdeckten sie manchmal ihre Symbiose. Und das Eine, blickte durch die Augen dieser vielen Wesen, um durch sie, sich selbst zu erblicken, - um durch ihre jeweiligen Wahrheiten, während ihres schöpferischen Sortierens des Chaos, einer vielfältigen ganzen Wahrheit nahe zu kommen - und um dabei ewig auf neue Erkenntnisse zu stoßen, die der Schöpfung und des Werdens, ewig dienen sollten.
Darum trennte das Eine auch Raum von Zeit. Denn das Eine begann ein Leben, mit Verzicht auf das Wissen, über seine eigene Zukunft, um Raum für Schöpfung und Zeit für die Entscheidungsfreiheit der Seelenwesen, zu schaffen. Denn dies diente dem Spiel, mit den Überraschungen des Lebens und wachsender Erkenntnis, im ewigem Werden. So weiß das Eine, das Gott ihr nennt, nun nicht mehr um die Zukunft. Doch ihre Zukunftsprognose übertrifft menschliche Vorstellungskraft, denn ihre, ist das Resultat aus kollektivem Allwissen, vom Anfang der Zeit, bis jetzt. Und ist die Wahrscheinlichkeit auch noch so gering, wo nur ein Fünkchen Hoffnung ist, da waltet sie mit Gnade vor Recht, zu geben jedem und allem, eine Chance.
So lange kindliche Freude, mit liebe, spielerisch erschafft, wird der Kreis von Entdeckung, Erkenntnis, Schöpfung und Beachtung, geschlossen bleiben. Und Schöpfung und Erkenntnis werden durch das jeweils andere, ewiglich wachsen. Die Teile in der Vielfalt sind dann hell des Wissens, verbunden durch die Symbiose, getrennt nur durch dünne, dunkle Ränder der nicht wahrgenommenen Wahrheiten, zur Erhaltung der Vielfalt, und erneuter Geburt, für Entdeckung, Erkenntnis, Schöpfung und Beachtung.
Und aus Sicht des Einen werden die Teile immer mehr und scheinbar immer kleiner, so wie Erkenntnisse immer mehr ins Detail gehen müssen, wenn bereits alle oberflächlichen Zusammenhänge erkannt sind. Und die Komplexität zwischen allem wird immer größer, denn die Symbiose des Lebens verbindet alles und schließt nie etwas aus, denn nichts existiert für sich alleine. Und alle Teile sind und bleiben durch die Symbiose miteinander verbunden.
Und da die Einheit nicht größer oder mehr wird, werden die Teile darin, mit steigender Anzahl, scheinbar immer kleiner. Aus Sicht der immer kleiner werdenden Teile, wird jedoch die Einheit scheinbar immer größer. Und so erlebt ihr ein sich ausbreitendes Universum, welches immer schneller an Größe zunimmt, wie eine sich vielfach teilende Eizelle.
So erwächst eine lebendige helle Welt des Wissens und der Freude, von ewig wachsender Schöpfung, in einer Symbiose, zwischen immer wieder neu geborenen Einmaligkeiten, in einer wachsenden Vielfalt für Entscheidungsfreiheit und Erkenntnis.
Das Leben dient also der Einen Einheit, für eine ewige Schöpfung und Erkenntnis aus sich selbst heraus, denn das fließende Eine, kann durch die Augen alle Wesen, eine vielfältige unvollkommende Selbstbetrachtungen und dadurch eine scheinbare Vielfalt in sich selbst erleben, durch die, der Akt der Schöpfung und die Weiterentwicklung aus sich selbst heraus, ermöglicht wird.
Und die Illusion eines vielfältigen Lebens, ist der Weg zur Erkenntnis und des ewigen Werdens von allem, was wahrlich Eins ist. Denn das Eine bleibt das Eine. Das ist euer Gott. Er ist der, der er ist, alles in allem. Und alle Entdeckung, Erkenntnis, Schöpfung, Beachtung und Symbiose, wächst in ihm, wie in uns allen, denn wir sind wahrlich ungetrennt und eins.
Dies ist das wahre ewige Leben, ein Leben aus Liebe zum Leben. Ein Leben des Glücks, in Lust, Genus und der Befriedigung, im Wachsen, durch Entdeckung, Erkenntnis, Schöpfung und Beachtung. Es ist das Leben, dass ihr das Paradies nennt.
Nur grauslich wäre die hierzu negative Welt, der Haltlosigkeit und des Steckenbleibens, wo die Vielfalt aus dunklen Teilen der Ignoranz bestünde, umsäumt nur durch dünne weiße Ränder des Wissens. Eine düstere Welt der Einsamkeit, Haltlosigkeit und des Chaos. Eine Welt, in der das Haben wichtiger geworden ist als das Tun und Sein wichtiger geworden ist, als das Werden. Wo niemand erschafft, die Vielfalt abnimmt und Leben stirbt. Eine Welt des Stillstandes, die ihr die Hölle nennt.
Wenn alle Augen allzu sehr verschlossen, das Leben kaum noch wahrgenommen, zu viele Wahrheiten ignoriert und alles was Lebt, seine Liebe und Hoffnung zum Leben verlöre, dann drohte die Gefahr, dass der Kreis von Schöpfung und Erkenntnis unterbrochen, die Symbiose stürbe und haltloses Chaos ausbräche. Die dunklen Teile der Vielfalt verlören gänzlich ihre weißen Ränder des Wissens und die Vielfalt fiele zurück in die Dualität dunkler Dominanz und schließlich in die Singularität der totalen Unwissenheit und Ignoranz, in eine Nacht der absoluten Stagnation und des Nichts. Die einzige Rettung des Einen wäre nur eine Flucht aus der Dualität, zurück ins alte Licht, bevor es Schöpfung gab und das Licht im Kreise floss, um wieder neu zu beginnen.
Doch so die Einheit in einer überwiegend hellen Vielfalt, durch die hierin gewonnenen Erkenntnisse, über sich selbst hinauswächst, wird sie mehr werden, als sie ist, in aller Herrlichkeit und Ewigkeit. So ist die Liebe zur Einheit, in kindlich hoffnungsvoller Neugierde, mit der Freude im mutigen Spiel und des Schaffens, die Grundlage des Lebens und Entstehung des Paradieses, seit Anbeginn der Zeit.“
Die Heimkehr
Der Rückweg war für mich völlig unproblematisch. Ich war muskulös und stark geworden. Meine Sinne waren geschärft, mein Wissen und Überlebensdrang groß und ich hatte genügend Kraft, selbst längere Durststrecken überstehen zu können. Was sollte ich noch befürchten? Als ich den Wald erreichte, verhalfen mir meine Jagd- und Sammelfähigkeiten zu Speisen und Trank im Überfluss. Ich brauchte keinen Rucksack mehr, um mir gegebenenfalls Lebensmittel für schlechte Zeiten aufheben zu müssen. Ich hatte in den Bergen nur etwas zurückgelassen, was ich ohnehin nicht mehr benötigte. Der Verlust meines Rucksackes war für mich nicht bedeutsamer, als für eine Schlange der Verlust ihrer abgestreiften Haut. Ich hatte mich meiner Lasten entledigt. Ich war ohne jegliche Angst. Ich war stark, voller Hoffnung und frei.
Zügig erreichte ich das Tor von Eden. Die Pforten öffneten sich und wie immer kamen mir die jungen weißen Frauen zu Hilfe. Sie machten auf mich einen so zerbrechlichen Eindruck, dass ich schon anfing mich um sie zu sorgen. Notfalls hätte ich sie jedoch ohne weiteres wieder in den Garten hineintragen können.
Ich begrüßte sie kumpelhaft und freute mich über ihren Empfang, aber ich hielt mich nicht lange auf, sondern flog schnurstracks weiter gen Norden, Richtung Villa und meiner Heimat.
Als ich zu den Feldern kam, ließen die Lebewesen ihre Gerätschaften auf den Boden fallen und empfingen mich mit Herz und Wissbegier. Auch die vier Burschen waren schon da. Sie kamen mir juchzend entgegengelaufen und sprangen mir forsch in die Arme. Etwas gemächlicher, kam der Cowboy zu mir. Er versteckte seine Freude, wie immer souverän, unter einem bedächtigen Schmunzeln:
„Wir erwarteten dich schon voller Freude und Sehnsucht, warteten gespannt auf deine Heimkehr und sind nun neugierig auf deine Geschichten und Erfahrungen, die du im Leben gesammelt hast“, begrüßte er mich absichtlich übertrieben mit einem Spruch, den er schon selbst oft genug gehört hatte. „Auf das wir alle, an deinem Leben, aus deinem Munde und deiner Art, teilhaben dürfen, um durch dich und aus uns heraus, mehr zu werden, als wir sind, im Streben nach dem Paradies.“
„Nur, wenn ich auch aus deinem Leben, aus deinem Mund und deiner Art teilhaben darf, alter Sprücheklopper“, stichelte ich grinsend zurück.
Es tat gut, ihn wieder zu sehen. Wir umarmten uns, wie es gute Freunde tun. Dann musterte er meinen muskulösen, fast schwarzen Körper, auf dem die Narben und Brandmale noch nicht ganz verheilt waren und konnte es nicht lassen gleich den nächsten Spruch vom Stapel zu lassen: „Hast dich ja kaum verändert.“
„Ja, ja. Ist schon klar“, grinste ich, während ich die anderen begrüßte.
„Es ist schön, wieder bei euch zu sein.“, äußerte ich schließlich gegenüber allen. „Wir haben uns sicherlich viel zu erzählen und ich habe da eine Idee und große Pläne!“
Die Jungs nahmen mich jedoch erst einmal ungeduldig in Beschlag, führten mich durch den Garten, zeigten mir stolz, was sich in Eden alles verändert hatte und was sie selbst erschaffen hatten. Zwischen Wäldern und Seen wuchsen fruchtbare Felder. Überall gedeihten die verschiedensten Früchte- und Gemüsesorten, Bäume und Blumen. Sie alle hatten die wundervolle Vielfalt aus dem Leben mitgebracht und wussten wahrlich, was schön ist. Oh ja, ich staunte. Wir würden uns bestimmt viel zu berichten haben und eine Menge von einander lernen können, dachte ich mir. Und wir werden feiern.
Als die Sonne tiefer stand, entzündeten wir ein großes Lagerfeuer, und wir tranken und aßen die außergewöhnlichsten Dinge. Das meiste schmeckte mir sogar. Einige zeigten uns ihre neusten Musikstücke, und andere spielten uns komische Theaterstücke aus dem Leben vor. Ich musste heulen vor Lachen – wie man mir dann später nahe legte, handelte es sich bei der Aufführung eigentlich um ein Drama. Dann kam die Nacht, und es wurde dunkel. Wie saßen gemütlich am Lagerfeuer und jeder berichtete von seinen unglaublichsten Ereignissen aus dem Leben. Wir alle hatten unsere Erfahrungen gemacht, waren voller Wünsche und hatten hoffnungsvolle Pläne. Doch manchmal sah ich hinter mir, im flackernden Feuerschein, einen der bleichen Edenbewohner regungslos zu uns herüberschauen und hin und wieder, trieb der Wind, aus der Dunkelheit, ihr leises Fluchen zu uns herüber. Niemand von uns Lebewesen, schlief noch gerne, zusammen mit den Edenwesen, in der Villa. Zu schwer, lastete der Groll der Edenwesen auf uns. Wie viel Zeit würde uns wohl noch verbleiben, bis sie ihrem Urteil über uns, Taten folgen lassen würden. Wann triebe sie ihr Schmerz soweit, uns unter ihrer dunklen Decke der Unwissenheit zu ersticken, um schließlich, dumm triumphierend, Trophäen aus einem ausgeschlachteten Paradies in die Höhe halten zu können. Ich spähte durch das Feuer in die Seelen unserer Runde. Im Schein der züngelnden Flammen, verborgen hinter lachenden Gesichtern, brodelten auch hier schon Angst und Wut. Die Zeichen standen nicht gut. Alles war nur noch eine Frage der Zeit.
Aufbruch ins Paradies
Der nächste Morgen
Es war ein herrlicher Morgen. Unter blauem Himmel schien der helle Stern im reinen Glanz. Das zerreißende Kampfgezwitscher dumpfbackiger Vögel, harmonierte in konzertanten Geplänkel perfekter Virtuosität. Alle meine Gebrechen waren geheilt. Ich schlenderte trillernd zwischen langstieligen Sonnenblumen entlang und begegnete, froh gestimmt, meinen ersehnten Freunden, die mich schon gespannt auf einer grünen Wiese, mit Kaffee und Orangensaft, an einer reich gedeckten Tafel erwarteten. Wir frühstückten ungeduldig und wollten uns beeilen, denn wir hatten heute etwas ganz besonderes vor. Nach zwei idyllischen Stündchen rafften wir uns dann doch noch auf und begannen alle Lebewesen in Eden zu versammeln. Schließlich trat ich nach vorne und legte mir meinen kleinen Spickzettel bereit. Ruhe kehrte ein. Im Prinzip, wusste ja sowieso schon jeder, was jetzt kommen würde und worum es ging, aber sie liebten eben das Spiel mit der Förmlichkeit, denn dadurch erhielt unser Vorhaben eine so wunderbare kindliche Erwachsenheit und ehrfurchtsvolle Wichtigkeit. Jeder bemühte sich jetzt ernst und weltmännisch drein zu schauen:
„Liebe Menschen“, begann ich mit meiner Rede.
„Liebe Lebewesen - und alle die es werden möchten!“
Ich wendete mich, demonstrativ, den drei abseits stehenden Edenwesen am Marmorweg zu, die erwartungsgemäß überheblich zu grinsen anfingen und hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln begannen. Ich wusste natürlich, dass es nicht ganz korrekt von mir war, aber ich konnte es einfach nicht lassen, mich meiner kleinen Stichelei zu erfreuen. Ich war eben auch nur ein Mensch.
Dann spendete ich dieser Angelegenheit wieder ein bisschen mehr Ernst und setzte mit einem korrigierenden Eingeständnis fort. Ich schätze, ich hatte mit meinem zitternden Singsang, die Theatralik meines ersten Satzes, ein wenig zu übertrieben hervorgehoben:
„Ehre sei dem, der Gnade hat, denn Gnade ist wichtiger als Recht“,
Halten wir nicht am Verlorengegangenen fest.
Konzentriert wir unser Handeln nicht auf den Kampf gegen das Böse, sondern konzentrieren wir unser Handeln auf einen Kampf für etwas Gutes.
Wir benötigen die Villa nicht mehr!
Die scheinbare Vielfalt, ist das Vollkommene Ganze, der unvollkommenden Einzigartigkeiten.
Jeder von uns, ist wie je ein Finger derselben Hand, desselben Armes und des einen Körpers, der alles ist, was war, jetzt ist und immer sein wird. Er ist das einzig wahre Eine, in denen wir, in scheinbarer getrennten Teilen, gemeinsam das Eine bilden. Also liebt Euren Nächsten, wie Euch selbst, auf das wir uns einander begegnen, wie die Finger derselben Hand und gemeinsam be-greifen, im Sinne des allwissenden Einen.
Bedenket der letztendlichen Schöpfungskraft in der Symbiose.
Verwirklichen wir uns unseren eigenen Traum. Setzen wir unserem Paradies die Krone auf.
Last uns gemeinsam einen neuen Palast bauen, schöner und größer, als alles, was es bisher gab. Erfreuen wir uns an unserem gemeinsamen Schaffen, denn nun sind wir viele Lebewesen, die einander ergänzen können und wir wissen, worum es wahrlich geht – unser gemeinsames Tun.
Schöpfung ist Leben, wie Leben Schöpfung ist. Ehre sei dem, der zum Wohle erschafft, denn er erschafft Leben.
Und Ehre sei dem, der anderen hilft seine einzigartigen Begabungen zu finden, welche sie auch sei, für wen sie auch sei, zum Wohle aller. So suchet nach der einzigartigen Begabungen jedes Einzelnen, derer jeder gebraucht wird.
Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.“
Ich verneigte mich höflich und verließ, mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen, die „Front“.
Alle jubelten und klatschen. Sie übertrieben in Lautstärke und Ausdauer. Sie machten sich einen Spaß daraus. Dies war jedoch der Startschuss unseres neuen großen Projektes.
Am Abend zuvor hatten sich bereits viele von meiner Idee begeistern können. Einer war dabei, der im Leben viele Erfahrungen als Architekt gesammelt hatte. Er hatte sofort Ideen und freute sich darauf, einen Entwurf zu skizzieren. Nun stand er in der Menge und zeigte stolz seinen Bauplan.
Maurer hatten wir auch viele. Einer wollte unbedingt einen neuen Zement ausprobieren.
Und da gab es noch den verkannten Erfinder. Er zeigte mir sein Förderband, welches seine Funktion, für den Transport der Steine nach oben, erfüllen sollte. Er hatte das Förderband schon lange gebaut, aber im Leben bot man ihm leider keine Gelegenheit, es irgend jemandem zeigen zu können. Nun fand seiner Erfindung endlich eine Verwendung und alle würden seine Maschine sehen und nutzen.
Der Architekt übernahm die Führung, und die Arbeit begann.
Der Palast
Es war eine gute Zeit. Der Bau wuchs und wuchs. Immer wieder fügte irgend jemand seine neue Idee hinzu. Alle waren sehr stolz auf ihr Schaffen und nach einigen Monaten war es dann so weit. Der Palast war vollendet. Es war ein wunderschöner Palast, aus weißem Marmor. Vor drei hohen Bogenfenstern, lud eine große Terrasse zum Sitzen ein. Die Säulen des Marmorgeländers, am Rande der Terrasse, waren mit Smaragden besetzt. Zwei große Türme, mit goldenen Dächern, ragten in den blauen Himmel. Den Eingang schmückten zwei stattliche Marmorsäulen. Um das hohe romanische Eingangstor herum, funkelten große Rubine im weißen Marmor. Der Weg von der Terrasse, führte über ausladende Treppenstufen in den Garten hinab und gelangte schließlich, an ein mit Diamanten besetztes, goldenes Eingangstor. Wir alle genossen den wundervollen Anblick unserer Schöpfung und erfreuten uns über die Wirkung, wie dieser strahlend weiße Prachtbau, über den Garten von Eden, erhaben in den blauen Himmel ragte. Man konnte von oben, aus einem der märchenhaften Türmchen, über den gesamten Garten blicken. Was für ein Ausblick! Die ersten hatten sich schon mit Liegestühlen auf der Terrasse in die Sonne gelegt und schlürften genüsslich einen Cocktail. Natürlich steckten Strohhalme und kleine bunte Papierschirmchen in den Gläsern! Sie freuten sich ihres Werkes und fachsimpelten darüber, wie sie beim Bau so manches Problem bewältigt hatten. Sie bestätigten sich immer wieder gegenseitig ihre Heldentaten. Und es tat ihnen gut. Am Abend unserer Vollendung, gab es ein großes Fest im kleinen Garten. Dieses Mal gab es, zum Höhepunkt des Festes, sogar ein grandioses, buntes Feuerwerk.
Der letzte Morgen
Es war hell, weiß, frühlingshaft warm und fast ganz still.
Ich senkte meinen Blick aus der Helligkeit des mich blendenden Lichts und beobachtete, wie mich schattige Konturen in das Bild der Wirklichkeit, in Mitten eines hohen weißen Saales, eintauchen ließen. Ruhig und entspannt stand ich barfuss und so leicht bekleidet, dass ich mein weißes Gewand auf meiner Haut kaum fühlen konnte. Ich empfand den glatten Marmorboden unter meinen sauberen und weichen Füßen als angenehm kühl. Langsam erkannte ich drei hohe Flügelfenster vor mir, die, durch einen wunderschönen weißen Rundbogen, in ihrer erhabenden Größe begrenzt, vom Boden bis kurz vor die hohe, gewölbte, mit Edelsteinen besetzte Decke reichten. Die morgendliche Sonne floss sanft durch die langen Fenster und erfüllte den Raum mit Licht und Wärme. Einer der hohen gläsernen Flügeltüren war leicht geöffnet und mit dem Vögelgezwitscher von der dahinterliegenden Terrasse, wehte eine lauwarme Brise herein und ließ die langen weißen Vorhänge der Fenster leise und sanft nach außen schwingen.
„Die Sonne begrüßt dich und die Vorhänge machen für dich den Weg nach draußen frei. So folge der Einladung in die Freiheit, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Und so glitt ich leichtfüßig, hin zur geöffneten Tür und erblickte gegen das blendende Licht die dahinterliegende weiße Marmorterrasse, deren weißes geschwungenes Geländer, kontrastreich einen Saum zum azurblauen Himmel bildete.
Ich schob die gläsernen Flügeltüren weit auseinander, betrat die große, weiße Terrasse und atmete tief die frische Morgenluft ein. In der Nähe standen einige weiße Steintische und an einigen dieser Tische saßen gute Freunde von mir. Einige von ihnen blickten zufrieden von der Terrasse herab und genossen ihren weiten Blick über den grünen Garten, die Blumen und die fruchtbaren Felder. Andere genossen einfach ihr Frühstück in der Sonne und probierten allerlei Delikatessen. Auf einem Tisch standen so übertrieben viele Delikatessen, dass der Löffel keinen Platz mehr dazwischen fand und ständig auf den Boden fiel.
Erstmalig waren diese Menschen, genauso wie ich, nicht mehr in der Villa aufgewacht, sondern in unserem neuen Palast. Statt eines Ortes, hatte Eden nun also zwei Orte des Erwachens. Aus dem singulären hatte sich die Dualität entwickelt.
Ich stützte meine Hände auf das steinerne Geländer, beugte mich leicht nach vorne und ließ meinen Blick über die weite blühende Landschaft schweifen.
„Dies, ist der Garten Eden“, wusste ich.
Ich setzte mich zu meinen Freunden und schaute mit ihnen zufrieden über den Garten. Dann wanderten unsere Blicke gen Westen, zur Grenze der Edenwesen.
Hunderte der Edenwesen standen am Wegesrand und betrachteten staunend unseren Palast. Vereinzelnd wagten es manche sogar zu uns herüberzukommen und überprüften kritisch unsere Schöpfung aus nächster Nähe. Sie waren sprachlos. Sie verstanden zwar nicht, wie wir es gemacht hatten, aber erstmalig sah ich in ihren Mienen Zweifel, Staunen und sogar ein wenig Bewunderung für uns.
Sie hatten sich bislang über so viele Dinge geärgert, weil sie sich dem vermeintlich Unvermeintlichen, machtlos ausgesetzt gefühlt hatten und nun sahen sie in uns Menschen, die nicht nur die Fähigkeiten hatten, ihre Welt zu verändern, sondern schlicht weg, eine beliebige neue Welt erschaffen konnten. Aber das war selbst für sie nicht das Wesentliche. Tief in ihrem Inneren vergrabenen, brodelte eine viel größere Sehnsucht. Sie schauten uns erstmalig, ernst nehmend, in unsere Gesichter und glaubten uns erstaunlicher weise erst jetzt, dass wir wirklich glücklich waren.
Das vierte Leben
Es war wieder Zeit für mich ins Leben zu gehen. Ich verzichtete natürlich auf einen Rucksack. Als ich auf dem langen weißen Marmorweg stand, um meinen Weg zum goldenen Tor von Eden anzutreten, traute ich meinen Augen kaum. Tausende bleicher Edenwesen standen kilometerweit am Wegesrand und blickten mit offenen Mündern zum alles überragenden weißen Palast. Es waren so viele, dass sie mir bis zum goldenen Tor Spalier standen. Stundenlang ging ich an diesen blasswangigen, schweigenden Gestalten vorbei. Als ich das Tor erreichte, fehlten die „Jungvögel“ und auch die „Lumpen“ waren nicht an ihrem Platz. Ich durchquerte das Tor und erreichte schnell die nördliche Waldkante. Dann tat ich etwas, was ich mir bisher nie getraut hatte, denn ich fühlte mich stark genug. Es war mir gewiss, dass ich dieses Mal nicht die Befürchtung haben müsste, zur Salzsäule erstarren zu können, denn meine Hoffnung war nun endlich größer als mein Wissen. Und ich drehte mich um und blickte auf den wundervollen Garten Edens. Im Osten des Garten hatte sich viel verändert. Die Lebewesen waren glücklich. Sie hatten einen Weg gefunden in Frieden miteinander auszukommen. Unaufhörlich und mit festem Glauben an ihre Sache, erschufen sie sich ein immer prachtvoller werdendes Paradies.
Im Westen hatte sich nichts verändert. Ich konnte den Zierbrunnen und den Apfelbaum erkennen, doch so sehr ich meine Augen auch bemühte, den alten Mann konnte ich nicht finden. Eigentlich sah ich niemanden im Westen.
Der Ort des Paradieses
„Ist denn nun der Garten Eden das Paradies?“, fragte ich mich selbst.
„Für die Lebewesen im Osten, war Eden ein Ort der Freiheit. Es war ihr Ort der Schönheit und der Liebe, der Freude und des Erfolges, sowie des Stolzes und der Anerkennung. Sie genossen den Geschmack ihrer Erfolge und lebten in einer prächtigen Welt wachsender Schöpfung. Sie waren glücklich.
Aber für die Edenwesen im Westen, war Eden ein Gefängnis, denn sie waren Sklaven ihrer Angst und Verfluchte ihres Unmuts. Sie waren unglücklich.“
Und ich drehte mich zum Leben:
„Ist vielleicht das Leben der Ort des Paradieses?“, fragte ich mich selbst.
„Das Leben im Dorf war voller Nächstenliebe, Schöpfungsgeist und Freude, aber es gab im Leben auch Momente der Angst und der Trauer. Dort erwarten einen auch Schmerz und Kummer und Durst und Hunger. Manchmal begleiten Tränen deinen Weg. Und wenn du Hilfe suchst, findest du Pein.“
Dann sah ich, wie sich die Tore von Eden öffneten:
Eine schier endlose Menschenschlange kroch hindurch und wanderte, scheinbar unaufhaltsam, ins Leben. Es wahren wohl Tausende, die plötzlich den Garten Eden verließen. Sie folgten einander, aufgereiht wie Perlen an einer Kette und halfen sich vorwärts, wann immer es nötig war. Sie trugen lange dunkle Umhänge und schleppten kleine Rucksäcke auf gebeugten Rücken. Und bei Betrachtung ihres Kampfes, gegen Wind und Sonne, und ihrem stolpernden stemmen gegen die Schwerkraft, wurde deutlich, dass es die Edenwesen waren, die sich dort, gegenseitig stützten. Erstmalig wagten sie mutig den Schritt ins Leben und strebten, ohne sich umzudrehen, ihrem neuen Ziel entgegen.
„Nein“, sagte ich mir, „der Garten Eden ist weder das Paradies, noch die Hölle.“
Und ich schaute auf die mühsam voranschreitende Menschenschlange der neuen Lebewesen, die sich schleppend durch die Wüste quälten.
„Und nein“, setzte ich meine Gedanken fort, „auch das Leben ist weder das Paradies, noch die Hölle.“
Dann wurde mir voller Freude bewusst, wie sich die Menschen auf ihrem Marsch gegenseitig halfen und gut zuredeten:
„Es gibt wahrlich keinen Ort des Paradieses:
So sehr du auch suchst, du findest ihn nie.
So sehr du auch reist, du kommst nie an.
Kein Tor, das dich einlässt, kein Wesen das dich holt.
Kein Ort im Leben, kein Ort im Tod.
Es gibt wahrlich keinen Ort der Hölle:
So schnell du auch rennst, du entfernst dich ihm nicht.
So schnell du auch fliehst, du entkommst ihm nicht.
Kein Tor, das dich auslässt, kein Wesen das dich befreit.
Kein Ort im Leben, kein Ort im Tod.
Wir selbst sind die Schöpfer von Himmel und Hölle.
Und du bringst mit dir, was du erschaffen hast.
Egal wo du bist, ob im Leben oder Tod
Denn dein Himmel oder deine Hölle ist in dir.
Das Paradies kann nicht genommen,
sondern nur erschaffen werden.
Das Paradies gebührt nicht dem Einzelnen,
sondern dem Ganzen.
So kann das Paradies nicht für sich selbst genommen,
sondern nur durch uns gemeinsam erschaffen werden.
Wenn wir glauben, wir könnten kein Paradies auf Erden erschaffen,
werden wir auch vergeblich nach einem Paradies in Eden suchen.
Wenn wir glauben, wir könnten dem Leben die Schuld für unsere Hölle geben,
werden wir auch Eden die Schuld für unsere Hölle geben.
Nichts muss bleiben, wie es ist.
Uns ist nichts gegeben, was wir nicht haben wollten.
Nichts ist festgesetzt, außer das, was wir festsetzen.
Glauben zu wissen, wie das Leben ist,
ist im Glauben schon paradox in sich selbst.
Denn Leben ist werden und nicht sein.
Leben ist Veränderung und nicht Stagnation.
Leben ist Schöpfung, wie Schöpfung Leben ist.
Nichts muss bleiben, wie es ist.
Wir selbst sind die Schöpfer von Himmel und Hölle.
Und du bringst mit dir, was du erschaffen hast.
Egal wo du bist, ob im Leben oder Tod
Denn dein Himmel oder deine Hölle ist in dir.
Im Schaffen ist Geben seliger denn Nehmen, weil es für unsere gemeinsame Seele ist.
Denn das wahre Herz liegt zwischen uns, denn wir sind eins.
Wir sind noch zu sehr davon überzeugt, dass es uns dadurch gut ergehen kann,
wenn dies zum Leid eines anderen geschieht.
Wir sind noch zu sehr von diesem Tier in uns beherrscht,
das uns den Weg ins Paradies so erschwert
dem Tier, dem wir drei Sechsen geben,
wie die Zahlen der drei Würfel, am Kreuze Jesu,
beim Spiel um seine Habe.
Und so stecken wir zwischen zwei Welten:
Für das Leben auf Erden zu klug.
Für das Leben im Paradies zu dumm.
Doch Leben ist Schöpfung, wie Schöpfung Leben ist
Und wir selbst sind Schöpfung, denn wir sind erschaffen worden, wie wir selbst erschaffen.
Und unser Freund ist auch jenes Werden, das wir die Evolution nennen.
So wird der Tag kommen, an dem wir das Tier in uns beherrschen.
Das Paradies kann nicht für sich selbst genommen,
sondern nur durch uns gemeinsam erschaffen werden!
Wir können uns unser eigenes Paradies oder unsere eigene Hölle erschaffen.
Denn wir selbst sind die Schöpfer von Himmel und Hölle.
Und du bringst mit dir, was du erschaffen hast.
Egal wo du bist, ob im Leben oder Tod.
Denn dein Himmel oder deine Hölle ist in dir.
So liegt es also nur an uns, was wir mit unserer Zeit anfangen werden, die uns gegeben ist.“
Und über den Bäumen und Hügeln des Garten Edens, ragte in prunkvoller Schönheit, der neu erbaute Palast aller Menschen in den Himmel und läutete, für alle sichtbar, eine neue Zeit der Menschheit ein.
„Alle sollen am Paradies teilhaben und es mit uns gemeinsam wachsen lassen.
Ehre sei dem, wer von dem gibt, was er erschaffen hat, zum Wohle aller, die da Eins sind, um den Prozess der Schöpfung fortzusetzen, mehr aus uns heraus zu werden, als wir sind, im Sinne Genesis.
Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.“
Der Alte Mann (der neue Mann)
Und ich drehte mich nach rechts und blickte glücklich überrascht, in das rot gebrannte Gesicht des alten Mannes, den nichts von seinem Platz, zwischen seinem Brunnen und seinem Apfelbaum, vertreiben konnte. Und als erster von allen Edenwesen, stand er nun hier, neben mir im Leben und sah mich etwas unsicher an.
„Ist das hier der Weg?“, fragte er mich und zog wieder seine rechte Augenbraue hoch.
Und ich freute mich, dass wir zusammen waren und endlich wieder miteinander redeten.
Und sein Gesicht sprach nicht nur von Befürchtungen, sondern auch von liebenswürdiger kindlicher Neugierde und einer lebendigen Lust, das Abenteuer im ehrenvollen Spiel mit der Schöpfung zu erleben.
„Ihr werdet es erleben, alter Mann.“, dachte ich mir und nickte ich ihm hoffnungsvoll zu. „Ihr werdet es erleben!“
„Die Sonne begrüßt dich und die Träume machen für dich den Weg ins Leben frei. So folge der Einladung in die Freiheit, in den jungfräulichen Morgen der Hoffnung und des Glücks der Überraschung.“
Jeder von uns, ist wie je ein Finger derselben Hand, desselben Armes und des einen Körpers, der alles ist, was war, jetzt ist und immer sein wird. Er ist das einzig wahre Eine, in denen wir, in scheinbarer getrennten Teilen, gemeinsam das Eine bilden. Also liebt Euren Nächsten, wie Euch selbst, auf das wir uns einander begegnen, wie die Finger derselben Hand und gemeinsam (be)greifen, im Sinne des allwissenden Einen.
Für eine bessere Welt, in der sich Erfolge und Gnade letztendlich in einem selbst erschaffenen Paradies erfüllen.
Ende