Der Geist

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Ronny stand, mit einem Spaten in der Hand, auf dem Friedhof. Er war sauer, so richtig stinksauer.
,,Immer bleibt alles an denen, die in der Hierarchie ganz unten stehen, hängen “ schimpfte Ronny.
Er war nicht immer ,, unterste Schublade“ gewesen, nein, Ronny hatte mal einen tollen Job gehabt, er war Nachtwächter in einem Schweinebetrieb gewesen. In einem Betrieb mit glücklichen Tieren; genug Platz zum Schlafen, Auslauf, gesundem Futter und natürlich mit menschlicher Fürsorge. Und dem Bereich der menschlichen Fürsorge hatte er, der Nachtwächter Ronny, vorgestanden. Seine Aufgabe sei gewesen darauf zu achten, dass die neugeborenen Ferkel nicht vom Mutterschwein zerdrückt wurden, dass jedes seine Milchquelle hatte und satt unter dem warmen Lampenlicht schlief. Ronny hatte die kleinen Schweinchen sehr gern gehabt und sie ihn, immer wenn Ronny in den Stall kam und leise pfiff spitzten die rosa Tierchen die Ohren und kamen ,mit gekringelten Schwänzchen, angelaufen. Er kraulte und streichelte die Ferkel bis sie zufrieden grunzten und sich auf den Arm nehmen ließen. Und darauf, dass er, ein einfacher Mensch und kein Dompteur, den Tieren dieses zutrauliche Verhalten beigebracht hatte, war er stolz.
Dieses sorglose Leben hatte einen Tages ein plötzliches Ende genommen. Und schuld daran war Erna, ein zänkisches, rechthaberisches Weib. Ronny hatte nämlich, aus reinem Versehen, zwei Ferkel aus Ernas Gehege entwendet. Er achtete sonst akribisch darauf keine Spuren, in dem so astrein laufenden Geschäft, zu hinterlassen. Er verscherbelte, akkurat, nur immer ein Schweinchen pro Wurf. Der Handel war denkbar einfach: ein Ferkel-eine Flasche Schnaps.
Erna hatte ein riesiges Theater daraus gemacht und er, der liebevoller Nachtwächter, hatte seinen Hut nehmen müssen. Und nun war er Hilfsarbeiter und sollte ein Grab ausheben in dem morgen Ohm Johann begraben werden sollte. Als Ronny den Mutterboden abgetragen hatte, erschien Joseph auf der Bildfläche. Joseph hatte eine sehr ehrbare Arbeit, er war mit seinem alten Traktor im Dienste der Landwirtschaft tätig. Und wenn die Schrottkiste schlapp machte und Joseph auf die Ersatzteile warten musste, nutzte er die Zeit anderweitig. Ronnys Laune verbesserte sich schlagartig, als er Josephs abstehende Jackentaschen erblickte. Und sein ausgeprägter Sinn für Schönes hatte ihn nicht im Stich gelassen. Joseph suchte sich, neben der losen Erde eine grüne Rasenfläche aus und beförderte einen Flachmann, ein Stück Brot und ein paar Radieschen, zu Tage. Den ersten Schluck tranken sie dafür, dass Ohm Johann , hier unter der Erde, seinen Ruhe fand, dann auf ihr eigenes Wohlergehen und bald darauf war die erste Flasche auch schon leer. Nach der ersten folgte die zweite und danach überkam den rechtschaffenden Männern ein unbändiges Verlangen nach Harmonie. Sie tauschten Komplimente aus und bekräftigten ihre tiefe Zuneigung mit dem Inhalt des dritten Flachmanns. Und während sie ,,O, du Fröhliche “ sangen, musste Ronny irgendwann weggenickt sein, den das Lied,, Wie schön ist die Jugend“ hatte er noch lauthals angestimmt. Jedenfalls, als er wach wurde war Joseph nicht mehr da und der runde Mond schaute vorwurfsvoll auf ihn herab.
,, Mann o Mann -dachte Ronny -jetzt ist es sicher schon nach Mitternacht und das Quartier für Ohm Johann ist nicht fertig“
Hochmotiviert nahm er den Spaten und rückte dem Erdreich zur Leibe. Nach gut drei Stunden Arbeit, das Loch war nun tief genug, warf Ronny müde aber zufrieden den letzten Spaten Erde aus der Grube. Dabei erblickte er, am Grabesrand, zwei nackte Füße und als sein Blick ruckartig in die Höhe schnellte nahm er eine lange Gestalt im weißen Gewand wahr. Ein jäher Schreck führ ihm durch Mark und Bein, er schrie auf, zielte und schmiss den Spaten nach dem Geist. Mit einem Satz sprang er aus dem Grab, lief los und als die Totenstille durch den Schrei einer Eule durchbrochen wurde, zuckte Ronny zusammen, fiel auf die Knie, sprang im nächsten Moment wieder auf und sprintete nach Hause. Zu Hause angekommen, verriegelte er Türe und Fenster, wusch sich notdürftig, zog sich aus und kroch ins Ehebett. Seiner Frau, die noch so was wie:,, Wo warst du so lange?“ fragte, blieb er eine Antwort schuldig. Fieberhaft überlegte er was er da auf dem Friedhof gesehen haben mag, war es echt oder nur ein Traum gewesen? Hatte sich vielleicht jemand einen Scherz mit ihm erlaubt? Ronny fand keine Erklärung und keinen Schlaf. Erst als er sich und dem lieben Gott, hoch und heilig, versprach keinen Schluck Alkohol mehr zu trinken, schlief er ein.
Am nächsten Tag, als sich seine Frau für die Beerdigung fertig machte und er keine Anstalten machte ihrem Beispiel zu folgen, schaute sie ihn fragend an.
Es war im Dorf ein ungeschriebenes Gesetzt, dass alle Bewohner auf einer Beerdigung und auf einer Hochzeit anwesend sein mussten. Es sei denn man ist krank geworden. Und das war Ronny auch, er hatte Herzrasen.
,, Na gut- sagte seine Frau- dann musst du eben zu Hause bleiben“
Am späten Nachmittag kam sie wieder, denn alle Leute die der Trauerfeier beiwohnten, waren auch automatisch zum Leichenschmaus eingeladen. Die Ehegattin, sobald sie ihre schwarze Kleidung abgelegt hatte, berichtete ihm über die herzzerreisende Predigt, die schönen Lieder und führte das Gespräch dann nahtlos zum Speiseangebot über.
,, So sind sie, die Langröcke – dachte Ronny mit leichtem Sarkasmus, plappern darauf los ,ohne ,dass jemand sie was fragt“
Als seine Frau irgendwann eine Verschnaufpause einlegte, fragte Ronny, ob die Leute wohl nach ihn gefragt hatten? Diese Fragte beschäftigte ihn schon den ganzen Tag über.
,, Klar- sagte seine Gemahlin—nach dir und nach Erna. Erna war nämlich auch nicht da“
Ronny horchte auf. ,, Wieso? Ist sie auch krank?“ wollte er wissen.
,, Mensch- fuhr seine Frau empört weiter- sie ist verprügelt worden. Stell dir das mal vor! Du weißt doch, dass Erna bei Vollmond schlafwandelt und ihre Mutter in solchen Nächten auf sie aufpasst? Und ausgerechnet gestern hatte Erna sich unbemerkt aus dem Haus geschlichen und als sie wiederkam, hatte sie eine aufgeplatzte Lippe, ein blaues Auge und einen Spaten in der Hand. Ja, und an ihren Füßen klebte frische Erde“
Nun bekam Ronny wirklich Herzrasen, das mit dem Schlafwandeln hatte er nicht gewusst. Nach ein paar Gläschen Feuerwasser war das Herzrasen dem Herzklopfen gewichen und dieses war eher ein Zeichen der Freude, als einer Krankheit.
 
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