DER GLÜCKWUNSCH

Francois

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Hans hatte Glückwünsche zu versenden. Das gehörte zum Dezemberpensum das er rot und deutlich vom 1-29. Dezember in seinem Kalender angestrichen, nein angemalt hatte. Denn Hans legte auf Ordentlichkeit grossen Wert. Seit seiner Geburt die am 24. Dezember in einer schwarzen Nacht, auf dass er Inkognito, von der Sonne nicht beachtet, den Globus aufrecht, wenn auch halb liegend, betreten konnte, stattgefunden hatte. Jede Abweichung dieser Ordentlichkeit hatte Hans in seiner Jugend schwer büssen müssen, war doch sein Vater ein gestrenger Herr, der bei den Mahlzeiten zuoberst am Tische thronte. ‚Oben ist wo ich sitze‘, beliebte er eine seiner Regeln Gebetsmühlenartig auszusprechen, dabei sein Monokel ins rechte Auge drückend. Denn schliesslich muss alles seine Ordnung haben, das linke Auge wäre ein fataler Fehlgriff gegen ebendiese Regeln, verstand Hans rasch, als er sein Kleinkindalter trotz Quängelverbot recht gut überstanden hatte. In seinen Entwicklungsjahren lehnte sich Hans gegen die häusliche Ordnung auf, musste dabei aber Haare lassen. Haare im bildlichen und im effektiven Sinne, denn ihm wurden alle, das weibliche Geschlecht anlockenden Locken abgeschnitten, was ihn mit seiner anerzogenen Schüchternheit in ein männliches Mauerblümchen verwandelte. Bald war die häusliche Auflehnung beendet und Hans sass wieder folgsam am Mahlzeitentisch, sprach brav, die gewaschenen Hände gefaltet auf dem weissen Linnen haltend, das Tischgebet. Als der häusliche Herrscher, alle seine strengen Regeln brechend, mit seiner Geliebten das Weite suchte, oblag es Hans das Zepter, die häusliche Herrschaft zu übernehmen. Er sass nun oben am Tisch. Oben war nun dort wo er sass. So einfach war die Welt, das hatte Hans begriffen. Der satte Erbbetrag, der Vater verstarb kurz nach seiner häuslichen Flucht an der intensiven Jugendsuche die er seiner Geliebten zu schulden glaubte, erlaubte Hans ein gemächlich Leben ohne Anstrengung, dabei die strengen Regeln der vier Wände, es waren in der herrschaftlichen Wohnung selbstredend deren viele mehr, nicht nur einzuhalten, sondern diese noch auszubauen. Dazu gehörten die Glückwunschkartenorgien, die bereits der Gestrenge im Ansatz begonnen hatte und die Hans nun mit Akribie ausbaute. Denn er war davon überzeugt, dass die Beliebtheit eines Menschen von der Anzahl Wünsche abhing die dieser einzuheimsen wusste. Und um solche zu erhalten, hatte man solche zu versenden.
An den Oberbürgermeister, die Herrenrunden an denen Hans regelmässig teilnahm, an den Friedhofsgärtner der das Grab des verblichenen Vaters so ordentlich pflegte, der Feuerwehr, dem Ortspolizisten und all den anderen Bekannten und Unbekannten, Freunden und Feinden. Auch dieses Jahr im Dezember hatte Hans diese Tortur, zu Deutsch eine Folter im Futurum zu durchleben und so albträumte er bereits im November von diesem so schweren Gang, der die dunkle Jahreszeit nicht nur nicht erhellte, sondern seine Schatten weit in den November warf.
Da! Weit im November, aber noch nicht an dessen Ende, klopfte ein Fremder an die Wohnungstüre den Hans durch den Spion als gut gekleidet wahrnahm. Vorsicht walten lassen hatte er auch verinnerlicht, so dass der Hausherr diesem Fremden erst nach Prüfung der Stimme durch den Stimm-Detektor der verbrecherische und betrügerische Klänge der menschlichen Stimme, ein Produkt modernster Forschung, erkannte, öffnete. Er bat diesen ungebetenen Gast selbstverständlich nicht in die Wohnung, befragte ihn zwischen Tür und Angel wie es sich gehört nach seinem Begehr. Als dieser ihm seine neue Ware anbot die überall reissend Absatz finde, horchte Hans auf. Es handle sich, so der Vertreter, als einen solchen hatte Hans ihn mittels seines scharfen Blickes gleich zu Beginn richtig eingeordnet, um einen besonderen Samen. Einen Glückwunschkartesamen der einmal in einem Wasserglas ausgestreut ohne menschlichen Zutuns die guten Wünsche mit den entsprechenden Worten und Wünschen die nur anzudenken seien, voll automatisch versenden würde, schlug Hans gleich zu, kaufte den ganzen Vorrat auf und freute sich zu Beginn des neuen Jahres über seine Beliebtheit, konnte er sich doch durch die Unmenge der Anzahl Glückwunschkarten in der herrschaftlichen Wohnung kaum mehr bewegen. Sein angestammter Platz oben am Tisch war von nun an durch die Quadraturpotenz einer Primzahl an automatisch erstellten erhaltenen Wünschen besetzt, sodass Hans sich bei den Mahlzeiten mit dem kleinen Hocker begnügen musste, auf dem er einst als Kleinkind sass.

Ich wünsche meinen Leserinnen und Lesern einen angenehmen und insbesondere stressarmen Jahresabschluss!
Herzlichst François
 



 
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