Der Herr General

keksiii

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Der Herr General

„Anlegen!“ - „Feuer!“. Mehrere laute Schüsse sind zu hören und darauf folgen wie immer viele dumpfe Töne. Es sind die Ersten heute, welche dem Grauen unserer Situation zum Opfer fallen.

„Bald bin auch Ich dran“ denke ich mir. „Früher oder später muss es Jeden erwischen“. Dieser Gedanke ist zwar bedrückend, doch der einzige Trost bei diesen Umständen. Meine Zufriedenheit scheint einer der noch harmlosen Wachmänner zu erkennen und droht mir, mich auf der Stelle zu erschießen, wenn ich nicht weiterarbeite. Schnell nehme ich meine Schaufel und grabe eilig weiter, auch wenn der Tod mir lieber wäre als noch einen weiteren Tag hier leben zu müssen.

Es ist nicht die Arbeit, die all dies so schlimm macht, auch wenn es schönere Tätigkeiten gäbe, als mitten in einer kalten Eiswüste Gräben auszuheben – Nein es sind vor allem die Wachmänner und der Herr General. Möge man die Wachmänner schon als satanistisch und empathielos empfinden so hat man den Herrn General noch nie gesehen. Ein Mann von geringer Statur mit einem kugelrunden Bauch. Trotz seiner kleinen Beine marschiert er manchmal schneller als jeder seiner Gefolgsleute zur Baracke, wo die ganzen Leute verschwinden. Dabei weht sein langes, blondes Haar im Wind und manchmal rutscht ihm dabei auch seine Brille mit den kleinen Gläsern, durch die er stets, wie ein Maulwurf aussieht, von der Nase. Auf der linken Schläfe hat er eine lange Narbe, welche Er von seiner Frau nach einem Gefängnisaufstand, vor ein paar Monaten, erhielt.

Im Frühling dieses Jahres waren einige Gefangene auf die Wärter losgegangen und nahmen fünf Stück als Geisel. Nur leider war darunter auch der Sohn des Herrn General, was dazu führte, dass man nicht nach dem standartmäßigen Protokoll handelte, sondern die Geiselnehmer samt Geiseln in ein Holzhaus lockte und dieses dann abbrannte. Dabei kamen nicht nur die Geiselnehmer um, sondern jede der fünf Geiseln, worunter auch der Sohn des Herrn Generals zählte. Als man den Herrn General fragte, warum er nicht versucht habe seinen Sohn oder die anderen Wachmänner zu retten antworte er kurz mit „Ich wollte keine Schwäche zeigen.“. Daraufhin ließ sich seine Frau von ihm Scheiden und versuchte nach einem langen Abschlussstreit ihn zu erschießen. Dies scheiterte jedoch zum Bedauern aller Beteiligten, worunter seit dem Vorfall nicht nur die Gefangenen, sondern nun auch die Wachmänner zählten. Denn seit diesem Ereignis haben nun nicht nur die Gefangenen Todesangst vor dem Herrn General, sondern auch die Wachmänner, welche lange dachten das ihnen nichts Schlimmes hinter diesem Zaun passieren könnte.

Während mir dieses grauenvolle Erlebnis wieder einfällt, höre ich erneut die bekannten Schreie des Herrn Generals „Anlegen!“ – „Feuer!“ wieder mehrere laute Knalle und erneut mehrere dumpfe Töne sind zu vernehmen. Ich schaue mich um, ob es jemanden überhaupt noch zu interessieren scheint, doch ich sehe nur Blicke, die auf den Boden gerichtet sind. Plötzlich kommt ein Wachmann auf mich zu. Erst schaut er mich stumm an, danach kommt ein kurzes, aber kräftiges „Du“. Er nimmt mir meine Schaufel ab und schubst mich in eine Reihe. Vor mir stehen ca. ein Dutzend Männer, Frauen und Kinder. Der Wachmann geht mit seinem Klemmbrett durch die Reihe und schaut, ob alle anwesend sind. Als er bei mir ankam, rief er, so laut das man es nicht überhören konnte, auch wenn man es wollte, „Marsch!“.

Die träge Reihe kam langsam in Bewegung Richtung Barracken. Sobald wir um die Ecke gingen, sahen wir eine Reihe von Wachmännern mit Gewehren. Ein Paar davon räumten die Menschen weg, welche vor uns hier standen, manche davon nicht älter als sieben Jahre. Ein Schauer ging mir über den Rücken. Wir stehen nun mit dem Gesicht zum Tod. Das einzige Licht ist genau über uns. Gegenüber stehen uns ungefähr die doppelte Anzahl an Henkern, jeder mit einer Waffe in der Hand. Ich versuche mich auf die Erlösung zu freuen. Auf all das Leid, was ich nun nicht mehr ertragen muss. Auf all die Freunde und Familienmitglieder die ich im Himmel wieder sehen werden. Dann ertönt in der Stille die Stimme des Herrn General. „Anlegen!“ Es vergehen einige Sekunden. Ich schließe meine Augen und bete leise vor mich hin. Mein Herz pocht so stark, dass es anfängt zu schmerzen. Dann überkommt mich Euphorie und Glück, als ich das magische Wort höre.

„Feuer!“​
 



 
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