Der Kirschenbaum flüstert…

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Im Vorbeigehen schaue ich nach oben:
Der Kirschbaum vollbehangen mit praller, rotglänzender Köstlichkeit. Wie glattpolierte Edelsteine wippen die süßen Früchte zu hunderten in den Ästen, blitzen kokett hervor aus dem satten Grün.
Obendrüber ein Himmel so blau wie der Ozean.
Auf aufblühenden Wiesen brummen die Bienen einen wohligen Bass, Vögel singen und die Grillen geben die Streicher.
Ich sehe, im Park schlagen die Kinder übermütig Rad oder erbauen in den Sandkästen imposante Burgen, spielen Ball.
Die Welt ist überzogen mit einer Lebensbejahung, die vor wenigen Wochen noch undenkbar erschien.

Vor wenigen Wochen noch herrschte eine ganz andere Zeit.
Verschlossen hielt die Natur ihren reichen Farbenkasten.
Kahle Bäume streckten ihre armselig dürren Ästchen in einen Himmel, welcher meist nur graue Kälte versprach, wenn man nach oben schaute.
Die Wiese: ein toter Sumpf.
Vor mir auf der Straße sprang ein Gummistiefelkind lustlos in die matschigen Pfützen und ward sogleich weitergezogen von ungeduldigen Eltern, die froren.

Überraschend schnell ist alles anders geworden!
Das unvorstellbar Schöne ist nun Wirklichkeit - und wir mittendrin.

Wenn es sich nun mit dem Frieden ähnlich verhält?
Noch sind wir dem Kriegerischen gefährlich nah.
Kanonen drohen und schießen an vielen, vielen Orten, wo, wenn man nach oben schaut, die Bomben fallen. Die Welt ist überzogen mit Unruhe, Feindlichkeit.
Städte liegen in Trümmern, zerfetzte Körper stehen nicht mehr auf. Unversöhnlich wütend wird sich gegenseitig angefunkelt, eiskalt.
Noch erscheint es undenkbar, dass sich was ändert, aber man sieht ja allenthalben, wie schnell alles anders werden kann.
Es ist eine Hoffnung.

Wie schnell alles anders werden kann, das ist aber auch eine Warnung.
Der Frieden kommt nicht von selbst über Nacht, wenn man nichts für ihn tut. Er geht verloren, wo man zu wenig für ihn getan hat und entrückt immer weiter, wo das Kriegerische überhandnimmt.
Das Friedliche nicht, aber das Kriegerische kann wohl heftig entgleiten und gar zu groß werden.
Wenn dieses Kriegerische sich nun noch näher an uns ranwanzt, noch mehr in unser aller Leben hereindrängt (und das tut es!), ist wirklich alles in Gefahr.
Kann sein, dass dieser Farbkasten der Natur zumacht für immer. Ewiger Winter im schlimmsten Fall und kein Leben mehr da, das es zu bejahen gäbe.
Die Landschaften allesamt rot eingesprenkelt vom bitteren Blut, nicht vom Saft einer Kirsche.
Dumpfe Stille über verkohlten Städten, Leibern.
Kein fröhliches Lachen im Park, kein Park mehr oder:
Sandkästen, in denen nicht mehr gespielt werden darf, vergiftete Regenpfützen und reglose Kinder in grotesk kleinen Särgen.
Ich schaue nach oben und frage mich, was effektiv über unseren Köpfen geschieht und ob da jemand ist, der sich abmüht, auf dass Frieden endlich mehr wird als bloß eine saisonale Erscheinung.
 
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petrasmiles

Mitglied
Ich schaue nach oben und frage mich, was effektiv über unseren Köpfen geschieht und ob da jemand ist, der sich abmüht, auf dass Frieden endlich mehr wird als bloß eine saisonale Erscheinung.
Dem kann ich mich nur anschließen! Auch, wenn ich nicht viel Hoffnung habe.
Scheinbar unberührt leben wir weiter, muss ja. Und dann ist auch noch EM und Euphorie und Sommer und Urlaub. Ist es krank, dass wir einfach so weitermachen, oder das Gesündeste, was wir tun können? Ich weiß es nicht.
 



 
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