Der König und die Vögel

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Kayl

Mitglied
Der König und die Vögel

Es war einmal ein junger König, der hatte alles, was sich ein König wünschen kann. Er wohnte in einem Schloss mit vielen Zimmern, hatte Diener, die ihm, sobald er erwachte, beim Anziehen halfen, hatte Köche, die ihm zu Essen und zu Trinken brachten, wann immer er an der Glocke läutete, und er hatte Berater, die ihm die königlichen Geschäfte erledigten.
Er hatte eine Braut, eine Prinzessin, die schön war wie die schönste Rose in seinem Park. Ein Hochzeitsgeschenk hatte er auch schon, einen goldenen Ring mit einem glitzernden Diamanten. Die Prinzessin freute sich auf das Geschenk. Der König verbot ihr aber, den Ring vor der Hochzeit zu tragen. Der Prinzessin gefiel der Ring aber so gut, dass sie ihn immer in der Nähe haben wollte, im Bad neben ihren Kämmen, beim Frühstück neben ihrer Tasse, zu Mittag und Abend neben ihrem Weinglas, bei Nacht auf ihrem Nachtschränkchen.
So kam es, wie es kommen musste. Ob sie den Ring auf der Bank der Schlosskapelle, auf dem Tisch ihrer Bibliothek, oder auf der Brüstung ihrer Terrasse hatte liegen lassen, sie wusste es nicht mehr. Der Ring war verschwunden.
Alle waren bestürzt, besonders traurig aber war die Prinzessin, hatte sie doch nur einen Moment nicht auf den Ring geachtet. Sie weinte. Was sollte aus ihrer Hochzeit werden?
Der König stürmte von Zimmer zu Zimmer, ließ überall suchen, aber der Ring blieb verschwunden. Schon für den nächsten Morgen rief er seine Berater zu einer Konferenz zusammen.
„Wie ihr alle wisst, ist das Hochzeitsgeschenk an meine liebe Braut verschwunden, der goldene Ring mit dem Diamanten“, begann er, „und um alles in der Welt möchte ich ihn wiederfinden.“
Er machte eine Pause und sah in die Runde. Aber alle Berater schüttelten den Kopf und wussten nichts zu sagen.
An der Tür des Konferenzsaals klopfte es. Herein kam ein Diener, der meldete, dass draußen ein Küchenjunge stünde, der Wichtiges zu sagen hätte.
Der König ließ ihn herein bitten. Als der Junge den König inmitten seiner Berater sah, nahm er seine Kappe ab und verbeugte sich.
„Nun sprich!“, sagte der König, „was hast du uns Wichtiges zu sagen?“
Der Junge drehte seine Kappe in den Händen und holte tief Luft.
„Eure Majestät“, der Junge verbeugte sich noch einmal, „euer Ehren, die Küche liegt der Terrasse der Prinzessin gegenüber.“
„Na und?“
„Ich habe gesehen, wie ein Vogel zur Terrasse geflogen ist und etwas mitgenommen hat.“
Gemurmel im Saal. Der König erhob sich.
„Was sagst du da? Wie sah der Vogel aus?“
„Er war schwarzweiß, mit einem langen Schwanz. Und er hat nicht schön gesungen, er hat nur gekrächzt.“
Das Gemurmel wurde lauter. Ein Berater stand auf.
„Nach allem, was gesagt wurde, ist der Vogel eine Elster. Es heißt nicht umsonst Diebische Elster.“
Der König breitete die Arme aus. „Was ist jetzt zu tun?“
Die Berater wussten nun wieder nicht weiter, und die Konferenz blieb ohne Ergebnis.
Tagelang kam der König nicht zur Ruhe. Er lief durch seine Zimmer, wollte nichts essen und trinken, konnte abends nicht einschlafen, weil er immer nachdachte, wie er den Ring zurück bekommen könnte. Und er sah, wie betrübt seine Braut war.
Endlich hatte er eine Idee. Er lud wieder zu einer Konferenz ein.
Als alle Berater beisammen waren und durcheinander redeten, wie man den Ring wiederfinden könnte, hob der König die Hand und bat um Ruhe.
„Ich habe lange nachgedacht“, sagte er, „wie der Ring zu finden wäre. Man müsste jemanden fragen, der stets das ganze Schloss im Blick hat, und der hat dann auch gesehen, wohin die Elster den Ring getragen hat.“
Er sah in die Runde, aber keiner der Berater, die doch für jedes Problem eine Lösung wussten, meldete sich.
„Ich weiß, wer die Elster beobachtet haben könnte!“
Stillschweigen.
„Es sind die anderen Vögel. Sie können fliegen und jeden Ort im Schloss überblicken!“
„Richtig!“, einer der klugen Männer stimmte zu. „Aber selbst wenn ein Vogel die Elster beobachtet hat, er kann nicht reden und uns nicht helfen.“
Ein anderer sagte: „Woher wissen wir, dass Vögel nicht reden können? Sie können es vielleicht, aber wollen nicht.“
Wieder ein anderer sagte: „Dann müssen wir sie zum Reden bringen.“
Und noch ein anderer: „Wir sollten sie einsperren, dann reden sie vielleicht.“
Das war dem König aber zunächst gar nicht recht. Ihm taten schon die Vögel leid, die bisher in Käfigen leben mussten, Kanarienvögel, Wellensittiche und andere Papageien. Aber wie wollte er sonst erfahren, wo sein Hochzeitsgeschenk geblieben war? Wie konnte er seine Hochzeit retten? Wie konnte er seine Braut trösten?
Der König gab nach. Er setzte sogar eine Belohnung aus. Wer als Erster einen Vogel zum Sprechen bringt, dürfte bei der Hochzeit die Schleppe der Braut tragen und am Hochzeitsmahl teilnehmen.
Im ganzen Land wurden Netze aufgespannt, um Vögel zu fangen, und im ganzen Land wurden Käfige zusammen getragen. Bei einer königlichen Hochzeit dabeisein, das war doch was! Bald saßen viele Sperlinge, Meisen, Finken, Stare, Schwalben und Spechte in engen Käfigen.
Das ganze Volk saß vor den Käfigen und wartete, ob die Vögel zu sprechen anfingen. Viele glaubten auch, dass sie sprechen würden, wenn man selbst mit ihnen redet:

Wo ist der Ring?, besinne dich,
mach den Schnabel auf und sprich!

Landauf, landab waren Reiter unterwegs, die erkunden wollten, ob ein Vogel sprach. Aber sie kehrten alle unverrichteter Dinge zum Schloss zurück.
Die Prinzessin war so unglücklich, dass sie sich in ihrem Zimmer einschloss, sich aufs Bett warf und weinte.
Aber nicht nur sie war traurig. Die Kundschafter meldeten, dass die Vögel in den Käfigen, die nicht mehr durch die Lüfte fliegen konnten, stumm waren wie die Fische im Wasser. Nicht mal einen Pieps gaben sie von sich und ließen die Köpfe hängen.
Der König sah ein, es brachte nichts, die Vögel einzusperren. Er würde nie erfahren, wo der Ring war. Außerdem hatte er Tiere gern, und nun saßen viele Vögel stumm und trübsinnig in den Käfigen.
Er befahl, alle Vögel freizulassen.
In allen Städten und Dörfern, in allen Häusern wurden die Käfige geöffnet. Das war ein Flattern, ein Trillern, ein Flöten, ein Piepen und Pfeifen, als die Vögel durch die Fenster ins Freie flogen. Am Himmel sah man wieder Vogelschwärme. Jeder fühlte, dass die Vögel sich freuten, wieder fliegen zu dürfen.
Die Prinzessin in ihrem Zimmer sah aus dem Fenster und entdeckte viele Vögel im Park, die alle auf dem Rasen beisammen saßen als wollten sie etwas beraten. Und nun sah sie auch eine Elster in ihrer Mitte, die etwas im Schnabel hatte. Die anderen Vögel zupften immer wieder an ihrem Schwanz, bis die Elster aufflog und zur Terrasse flatterte.
Was hat das zu bedeuten?, fragte sich die Prinzessin. Neugierig schloss sie ihr Zimmer auf, huschte die Treppen hinunter und auf die Terrasse.
Sie stand staunend vor der Brüstung, schlug die Hände zusammen und weinte vor Freude. Kaum zu glauben, auf der Mauer lag der goldene Ring mit dem glitzernden Diamanten. Sie nahm den Ring, eilte durch das ganze Schloss, tanzte in den Gängen und sang:

Stellt euch vor mein großes Glück,
ich habe meinen Ring zurück.

Es wurde eine große Hochzeitsfeier. Alle Kundschafter ritten voraus, die Dienerschaft stand Spalier, gratulierte und ließ das Paar hochleben.
Niemand hat einen Vogel zum Sprechen gebracht. Aber der König wusste, wer ihm und seiner Tochter geholfen hatte.
Der Küchenjunge durfte stolz die Schleppe der Prinzessin tragen, und beim Hochzeitsmahl im großen Saal hat er sich richtig sattgegessen.
 

Kayl

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Der König und die Vögel

Es war einmal ein junger König, der hatte alles, was sich ein König wünschen kann. Er wohnte in einem Schloss mit vielen Zimmern, hatte Diener, die ihm, sobald er erwachte, beim Anziehen halfen, hatte Köche, die ihm zu Essen und zu Trinken brachten, wann immer er an der Glocke läutete, und er hatte Berater, die ihm die königlichen Geschäfte erledigten.
Er hatte eine Braut, eine Prinzessin, die schön war wie die schönste Rose in seinem Park. Ein Hochzeitsgeschenk hatte er auch schon, einen goldenen Ring mit einem glitzernden Diamanten. Die Prinzessin freute sich auf das Geschenk. Der König verbot ihr aber, den Ring vor der Hochzeit zu tragen. Der Prinzessin gefiel der Ring aber so gut, dass sie ihn immer in der Nähe haben wollte, im Bad neben ihren Kämmen, beim Frühstück neben ihrer Tasse, zu Mittag und Abend neben ihrem Weinglas, bei Nacht auf ihrem Nachtschränkchen.
So kam es, wie es kommen musste. Ob sie den Ring auf der Bank der Schlosskapelle, auf dem Tisch ihrer Bibliothek, oder auf der Brüstung ihrer Terrasse hatte liegen lassen, sie wusste es nicht mehr. Der Ring war verschwunden.
Alle waren bestürzt, besonders traurig aber war die Prinzessin, hatte sie doch nur einen Moment nicht auf den Ring geachtet. Sie weinte. Was sollte aus ihrer Hochzeit werden?
Der König stürmte von Zimmer zu Zimmer, ließ überall suchen, aber der Ring blieb verschwunden. Schon für den nächsten Morgen rief er seine Berater zu einer Konferenz zusammen.
„Wie ihr alle wisst, ist das Hochzeitsgeschenk an meine liebe Braut verschwunden, der goldene Ring mit dem Diamanten“, begann er, „und um alles in der Welt möchte ich ihn wiederfinden.“
Er machte eine Pause und sah in die Runde. Aber alle Berater schüttelten den Kopf und wussten nichts zu sagen.
An der Tür des Konferenzsaals klopfte es. Herein kam ein Diener, der meldete, dass draußen ein Küchenjunge stünde, der Wichtiges zu sagen hätte.
Der König ließ ihn herein bitten. Als der Junge den König inmitten seiner Berater sah, nahm er seine Kappe ab und verbeugte sich.
„Nun sprich!“, sagte der König, „was hast du uns Wichtiges zu sagen?“
Der Junge drehte seine Kappe in den Händen und holte tief Luft.
„Eure Majestät“, der Junge verbeugte sich noch einmal, „euer Ehren, die Küche liegt der Terrasse der Prinzessin gegenüber.“
„Na und?“
„Ich habe gesehen, wie ein Vogel zur Terrasse geflogen ist und etwas mitgenommen hat.“
Gemurmel im Saal. Der König erhob sich.
„Was sagst du da? Wie sah der Vogel aus?“
„Er war schwarzweiß, nur schwarz und weiß. Er ist geflattert und hat nicht schön gesungen, er hat nur gekrächzt.“
Das Gemurmel wurde lauter. Ein Berater stand auf.
„Nach allem, was gesagt wurde, ist der Vogel eine Elster. Es heißt nicht umsonst Diebische Elster.“
Der König breitete die Arme aus. „Was ist jetzt zu tun?“
Die Berater wussten nun wieder nicht weiter, und die Konferenz blieb ohne Ergebnis.
Tagelang kam der König nicht zur Ruhe. Er lief durch seine Zimmer, wollte nichts essen und trinken, konnte abends nicht einschlafen, weil er immer nachdachte, wie er den Ring zurück bekommen könnte. Und er sah, wie betrübt seine Braut war.
Endlich hatte er eine Idee. Er lud wieder zu einer Konferenz ein.
Als alle Berater beisammen waren und durcheinander redeten, wie man den Ring wiederfinden könnte, hob der König die Hand und bat um Ruhe.
„Ich habe lange nachgedacht“, sagte er, „wie der Ring zu finden wäre. Man müsste jemanden fragen, der stets das ganze Schloss im Blick hat, und der hat dann auch gesehen, wohin die Elster den Ring getragen hat.“
Er sah in die Runde, aber keiner der Berater, die doch für jedes Problem eine Lösung wussten, meldete sich.
„Ich weiß, wer die Elster beobachtet haben könnte!“
Stillschweigen.
„Es sind die anderen Vögel. Sie können fliegen und jeden Ort im Schloss überblicken!“
„Richtig!“, einer der klugen Männer stimmte zu. „Aber selbst wenn ein Vogel die Elster beobachtet hat, er kann nicht reden und uns nicht helfen.“
Ein anderer sagte: „Woher wissen wir, dass Vögel nicht reden können? Sie können es vielleicht, aber wollen nicht.“
Wieder ein anderer sagte: „Dann müssen wir sie zum Reden bringen.“
Und noch ein anderer: „Wir sollten sie einsperren, dann reden sie vielleicht.“
Das war dem König aber zunächst gar nicht recht. Ihm taten schon die Vögel leid, die bisher in Käfigen leben mussten, Kanarienvögel, Wellensittiche und andere Papageien. Aber wie wollte er sonst erfahren, wo sein Hochzeitsgeschenk geblieben war? Wie konnte er seine Hochzeit retten? Wie konnte er seine Braut trösten?
Der König gab nach. Er setzte sogar eine Belohnung aus. Wer als Erster einen Vogel zum Sprechen bringt, dürfte bei der Hochzeit die Schleppe der Braut tragen und am Hochzeitsmahl teilnehmen.
Im ganzen Land wurden Netze aufgespannt, um Vögel zu fangen, und im ganzen Land wurden Käfige zusammen getragen. Bei einer königlichen Hochzeit dabeisein, das war doch was! Bald saßen viele Sperlinge, Meisen, Finken, Stare, Schwalben und Spechte in engen Käfigen.
Das ganze Volk saß vor den Käfigen und wartete, ob die Vögel zu sprechen anfingen. Viele glaubten auch, dass sie sprechen würden, wenn man selbst mit ihnen redet:

Wo ist der Ring?, besinne dich,
mach den Schnabel auf und sprich!

Landauf, landab waren Reiter unterwegs, die erkunden wollten, ob ein Vogel sprach. Aber sie kehrten alle unverrichteter Dinge zum Schloss zurück.
Die Prinzessin war so unglücklich, dass sie sich in ihrem Zimmer einschloss, sich aufs Bett warf und weinte.
Aber nicht nur sie war traurig. Die Kundschafter meldeten, dass die Vögel in den Käfigen, die nicht mehr durch die Lüfte fliegen konnten, stumm waren wie die Fische im Wasser. Nicht mal einen Pieps gaben sie von sich und ließen die Köpfe hängen.
Der König sah ein, es brachte nichts, die Vögel einzusperren. Er würde nie erfahren, wo der Ring war. Außerdem hatte er Tiere gern, und nun saßen viele Vögel stumm und trübsinnig in den Käfigen.
Er befahl, alle Vögel freizulassen.
In allen Städten und Dörfern, in allen Häusern wurden die Käfige geöffnet. Das war ein Flattern, ein Trillern, ein Flöten, ein Piepen und Pfeifen, als die Vögel durch die Fenster ins Freie flogen. Am Himmel sah man wieder Vogelschwärme. Jeder fühlte, dass die Vögel sich freuten, wieder fliegen zu dürfen.
Die Prinzessin in ihrem Zimmer sah aus dem Fenster und entdeckte viele Vögel im Park, die alle auf dem Rasen beisammen saßen als wollten sie etwas beraten. Und nun sah sie auch eine Elster in ihrer Mitte, die etwas im Schnabel hatte. Die anderen Vögel zupften andauernd an ihrem Schwanz, der immer länger wurde, bis die Elster aufflog und zur Terrasse flatterte.
Was hat das zu bedeuten?, fragte sich die Prinzessin. Neugierig schloss sie ihr Zimmer auf, huschte die Treppen hinunter und auf die Terrasse.
Sie stand staunend vor der Brüstung, schlug die Hände zusammen und weinte vor Freude. Kaum zu glauben, auf der Mauer lag der goldene Ring mit dem glitzernden Diamanten. Sie nahm den Ring, eilte durch das ganze Schloss, tanzte in den Gängen und sang:

Stellt euch vor mein großes Glück,
ich habe meinen Ring zurück.

Es wurde eine große Hochzeitsfeier. Alle Kundschafter ritten voraus, die Dienerschaft stand Spalier, gratulierte und ließ das Paar hochleben.
Niemand hat einen Vogel zum Sprechen gebracht. Aber der König wusste, wer ihm und seiner Tochter geholfen hatte.
Der Elster war der lange Schwanz gar nicht recht. Aber der Küchenjunge durfte stolz die Schleppe der Prinzessin tragen, und beim Hochzeitsmahl im großen Saal hat er sich richtig sattgegessen.
 



 
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