Der lichtschnelle Radler

Ein früher Sonntagmorgen Ende Januar, sechs Uhr. Das ist seine Zeit. Kaum ein Mensch unterwegs. Die Fahrbahn gehört ihm.
Die Ruhe verleitet ihn dazu, schneller zu fahren, immer schneller. Er erreicht das Ende der Straße, plötzlich zwei Scheinwerfer von rechts aus dem Feldweg biegen ab, werden größer, kommen auf ihn zu wie ein rasendes Doppelsternsystem. Das Heulen eines Motors dröhnt in seinen Ohren, eine spiegelnde Scheibe, dahinter der Schatten einer Gestalt. Ein Knall, unendlich laut. Der Urknall? Ein Schmerz, als ob jemand ein Messer durch seinen Körper treiben würde! Eine Reise durch leeren Raum, in dem nichts mehr existiert!
Schreiend, mit aufgerissenen Augen schießt er aus den Kissen nach oben in eine sitzende Stellung.
Schweiß durchnässt, seine Unterwäsche, Atmung rast!
Er schließt die Augen. Ruhig, du musst dich beruhigen. Es war ein Traum. Ein Albtraum! Du musst dagegen angehen!
Schnell wirft er die Bettdecke zur Seite, springt aus dem Bett, über den Flur in die Dusche. Das heiße Wasser spült die Gedanken frei. Zurück in das Schlafzimmer. Er reißt den Spiegelschrank auf, nimmt die Fahrradkleidung heraus, schlüpft hinein, leuchtend gelbes T-Shirt mit weißen Blendstreifen an den Seitennähten, schwarze Radlerhose.
Hastig schlüpft er hinein, zieht die Thermojacke über, rennt in den schmalen Flur und steigt in die Sportschuhe. Auf dem Weg zur Tür erhascht er einen Blick auf sein Spiegelbild.
Ein Meter achtzig groß, schlank, asketisches Gesicht, kurz geschorene schwarze Haare, dunkle Augen, noch immer von Panik geweitet. Zitternd trotz der warmen Jacke, steht er vor dem Garagentor, den Schlüssel in der Hand verfehlt er mehrmals das Schlüsselloch.
»Verdammt«, murmelt er, »du bist Professor Lars Feldmann, seit zwanzig Jahren Professor der Physik und lehrst an der renommiertesten Universität der Stadt. Reiß dich zusammen.«
Endlich schafft er es, dreht den Schlüssel, schiebt das Tor mit einem kräftigen Ruck scheppernd nach oben. Flackernd beginnt künstliches Licht die kleine, quadratische Garage zu beleuchten.
Links steht ein kleiner, silbergrauer Mittelklasse Wagen, rechts das gelbgrüne Rennrad mit dem schwarzen Lenker, dem schmalen Sattel.
Kurz stocken seine Schritte, verharrt er bewegungslos.
Nach endlosen Sekunden kommt wieder Leben in ihn.
Er macht einen Schritt auf das Rad zu, packt es, schiebt es hinaus.
Auf dem betonierten Garagenvorplatz bleibt er stehen, atmet tief ein.
Kühl ist die Luft, die ihm entgegenschlägt.
Atem verlässt die Nase wie weiße Rauchwölkchen. Als wenn er die erste Zigarette des Tages genießen würde.
Er lacht leise in sich hinein. Ausgerechnet er, der in den Augen seiner rauchenden Kollegen ein militanter Nichtraucher ist. Seine Studenten stöhnen genervt, wenn er sie auch im Winter rigoros vor die Türe schickt, weil sie sich in der Pause ein Zigarettchen unten im Flur der Universität gönnen.
Er wirft einen Blick nach rechts und nimmt die glitzernden, gefrorenen Tautropfen auf dem kurz geschorenen Rasen des Vorgartens wahr.
Dann prüfen seine Augen das graue Band der Straße am Ende der Garagenauffahrt.
Die Straße ist verlassen. Es ist ein Sonntagmorgen Ende Januar. Dem Winter entflohen, dem Frühling noch fern. Nichts regt sich.
Ein seltsam eintöniges Piepsen, das Zwitschern der Vögel.
Er sieht den zaghaften hellen Schimmer entlang der Horizontlinie, aufsteigend am Rande der Siedlung.
Lars Feldmann ist froh über die brennende Kälte in seinem Gesicht. Denn es zeigt ihm, dass alles nur ein Traum war. Vorsichtshalber kneift er sich noch einmal in den linken Arm und spürt erleichtert den brennenden Schmerz. Dies hier ist also die Wirklichkeit. Ist sie das?
Verwundert bemerkt er plötzlich, dass er mitten auf der Straße steht. Links und rechts von ihm, die schmucken, alten Bauernhäusern nachempfundenen Fachwerkhäuser, eine schier endlos lange Reihe.
Ein neu aufgestelltes, künstliches Bauerndorf. Wohngegend für solche, die es sich leisten können. Aber nicht das ist es, was ihn verwirrt.
Lars starrt auf das graue Straßenband, das sich irgendwann in einem weißlich-grauen Nebel zu verlieren scheint, der die Sonne verschluckt.
Ist das noch seine kleine Nebenstraße? Ist die Straße jemals so lang gewesen?
Doch während diese Gedanken durch sein Hirn ziehen, findet er sich schon auf dem Sattel des Rennrads sitzend vor, keuchend in die Pedalen tretend.
Mit zunehmender Geschwindigkeit scheint sich seine Umgebung zu ändern, auf eine seltsame Art und Weise.
Die quadratischen, spitzgiebeligen Häuser wachsen scheinbar in die Höhe, wirken leicht verbogen. So als hätte sie jemand, um Platz zu schaffen, zusammengeschoben! Was für ein Blödsinn. Ist er besoffen, wird er gerade verrückt? An irgendetwas erinnert ihn dieses Bild.
˝Längenkontrahiert?˝
Seine Oberschenkel beginnen zu brennen, seine Knie schmerzen wie Feuer. Schwer atmend, hechelnd zieht er die Luft ein. Er spürt, wie etwas – die Geschwindigkeit? – an seinen Kleidern, seinen Gliedmaßen, seinem Haar, seinen Sehnen, Muskeln, Molekülen zerrt. Angst steigt in ihm hoch, doch er kann nicht aufhören!
Lars wirft einen kurzen Blick auf die Straße und stößt einen lautlosen Schrei aus. Der Asphalt, der Bürgersteig, die Häuser – alles beginnt sich zu biegen. Ist das ein Traum? Ein seltsamer skurriler Traum?
Aber er war wach! Der Kneif-Test! Er erinnert sich an den Schmerz, aber…
Es muss ein Traum sein! Denn jetzt wird es geradezu verrückt – wahnsinnig! Das was er hinter sich lässt, Straße, Häuser, Himmel bilden ein einziges kreisrundes Gewölbe im infraroten Licht. Eine dunkelrot glühende, fast schwarze Röhre.
Frontal in seinem Gesichtsfeld, immer größer werdend, strahlt der weiße Nebel in intensivem, in den Augen schmerzendem Licht. Plötzlich versteht er. Dies hier ist die Radtour seines Lebens. Das ist seine Chance auf Erkenntnis!
Ich bin der Relativ- der Licht-schnelle Radler. Euphorie überschwemmt ihn. Wenn er weiter auf dieses grelle Licht zufährt, es durchstößt, wird er es überholen, schneller sein!
Dr. Prof. Lars Feldmann, berühmter als Einstein und Stephen Hawkings.
Das Licht füllt bald sein ganzes Gesichtsfeld aus, seine Flammen züngeln durch die dunkle Weltenröhre!
Durch den grell-weißen Nebel beginnt die Schwärze des Universums zu schimmern. Er sieht die Abdrücke von Sternen, Galaxien, heißen Nebeln!
Nur noch ein Tritt in die Pedale, nur noch einmal die Geschwindigkeit erhöhen und dann…
Ein kreischender, enervierender Ton dröhnt in seinen Ohren!
Ein alarmierendes Piepsen in höchster Frequenz. Stimmen, hoch konzentriert, aufrüttelnd, warnend, bestürzt.
Ein Satz, seltsam verstörend. »Die Herzfrequenz sinkt! Wir verlieren ihn!«
Verwirrt reißt er Mund und Augen auf, tritt vor Schreck voll auf die Bremse. Alles erstarrt für einen scheinbar endlosen Moment. Die Weltenröhre hinter ihm in ihren seltsamen düsteren Farben, das grelle Licht vor ihm. Das durchschimmernde Weltall scheint sich zurückzuziehen, ist kaum noch wahrzunehmen. Als ob jemand einen Film angehalten hätte, und sich nicht entscheiden kann, ob er weiterlaufen soll.
Springt er jetzt nicht vom Rad, wird er fallen, und niemandem wird die Erkenntnis nützen.
Springt er vom Rad, wird er die Erkenntnis verlieren und den mühsamen, steinigen Weg der Forschung weitergehen müssen.
Das Bild der seltsamen Röhre beginnt vor seinen Augen zu flimmern, zu verschwimmen,
auseinanderzufließen. In seinem Kopf dreht sich alles. Ihm wird schlecht. Sein Herz geht wie ein Dampfhammer. Stimmen dringen wieder an seine Ohren.
»Ich hab ihn! Ich hab ihn wieder! Er kommt zu sich.«
Das Bild vor seinen Augen zerplatzt. Grelles Licht überflutet seine Sinne. Um ihn herum huschen die Umrisse von mehreren Gestalten. Ein gleichmäßiges Piepsen foltert seine Ohren. Seine Unterarme brennen wie Feuer. Sein Körper ist ein einziger Schmerz.
Stöhnend reißt er die Augen auf.
»Herr Feldmann!«, eine Frauenstimme direkt neben seinem Ohr. Schlanke Frauengestalt in weißem Kittel, die dunklen Haare zurückgebunden, warme, braune Augen, konzentrierter Blick.
»Herr Feldmann, ich bin Dr. Lessing, können sie mich hören? Sind sie tatsächlich wach?«
»Ich bin der lichtschnelle Radler«, murmelt er.
»Sie wären es fast gewesen!«
Die Stimme der Ärztin schwankt zwischen Erschöpfung, Verwunderung und Hochstimmung. »Sie hatten einen Fahrradunfall Professor Feldmann. Sie sind nach zwölf Monaten aus dem Koma aufgewacht!«
 
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Basti50

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hi @Geschichtenerzähler,

deine Korrekturen haben der Geschichte definitiv gut getan. Ich schiebe sie mal wieder ins Fantasy Forum zurück, auch wenn mir die übernatürlichen Elemente leider weiterhin schleierhaft bleiben. Man könnte es vielleicht noch auf der surrealistischen Schiene sehen, was wohl im Zweifellfall erst einmal reicht.

Mich stört außerdem weiterhin die teilweise willkürlich erscheinende Punkt und Kommasetzung, was vielleicht die fragmentierte Wahrnehmung des Protagonisten darstellen soll, auf mich allerdings eher abgehackt und stockend wirkt. Zuletzt finde ich den großzügigen Gebrauch von Ausrufezeichen doch manchmal arg übertrieben und nicht wirklich von der Situation unterstützt. Weiter unten gehe ich auf paar Beispiele ein, ohne hoffentlich dabei den Bogen zu überspannen.

Zum Text selbst:

Er erreicht das Ende der Straße, plötzlich zwei Scheinwerfer von rechts aus dem Feldweg[Komma] biegen ab, werden größer, kommen auf ihn zu wie ein rasendes Doppelsternsystem.
Würde hier immer noch vor dem Plötzlich einen Punkt setzen.

Das Heulen eines Motors dröhnt in seinen Ohren, eine spiegelnde Scheibe, dahinter der Schatten einer Gestalt.
Wieder einen Punkt vor Eine spiegelnde Scheibe. Normalerweise würde man, meines Wissens nach, hier von Konturen/Schemen anstatt Schatten sprechen, wenn man überhaupt etwas hinter reflektierenden Glas sehen kann.

Eine Reise durch leeren Raum, in dem nichts mehr existiert!
Verstehe hier das Ausrufezeichen nicht. Soll mich das beeindrucken?

Schweiß durchnässt, seine Unterwäsche, Atmung rast!
Kein Komma vor Unterwäsche, es sei den, hier hast du tatsächlich mal ein Ausrufezeichen zu wenig gesetzt im Sinne von Meine Unterwäsche! Ich gehe aber mal davon aus, dass dein Protagonist noch ein Mindestmaß an Blasenkontrolle aufweist :p

Es war ein Traum. Ein Albtraum! Du musst dagegen angehen!
Verstehe hier wieder das erste Ausrufezeichen bzw. die Aufregung nicht.

Er reißt den Spiegelschrank auf, nimmt die Fahrradkleidung heraus, schlüpft hinein, leuchtend gelbes T-Shirt mit weißen Blendstreifen an den Seitennähten, schwarze Radlerhose.
Meinst du hier vielleicht eher Reflektorstreifen? Konnte unter Blendstreifen nur Dinge für Autos finden. Würde auch hier vor dem Leuchtend ein Punkt setzen.

»Verdammt«, murmelt er, »du bist Professor Lars Feldmann, seit zwanzig Jahren Professor der Physik und lehrst an der renommiertesten Universität der Stadt. Reiß dich zusammen.«
Deutlich zu sehr auf den Leser zugeschnittene Information. So etwas würde man nicht laut aussprechen, vielleicht eher zu sich denken.

Endlich schafft er es, dreht den Schlüssel, schiebt das Tor mit einem kräftigen Ruck scheppernd nach oben.
'Scheppernd schieben' macht für mich vom Satzbau her keinen Sinn. Eher z.B. 'mit einem lauten Scheppern nach oben schieben' etc.

Kurz stocken seine Schritte, verharrt er bewegungslos.
Evtl. doppelt gemoppelte Information?

Er sieht den zaghaften hellen Schimmer entlang der Horizontlinie, aufsteigend am Rande der Siedlung.
Finde ich, wie viele andere Stellen im Text eher, unhandlich formuliert. Würde das eher z.B. schreiben als Er sieht den zaghaften Schimmer am Rande der Siedlung aufsteigen. oder Ähnliches.

Verwundert bemerkt er plötzlich, dass er mitten auf der Straße steht. Links und rechts von ihm, die schmucken, alten Bauernhäusern[Komma?] nachempfundenen Fachwerkhäuser, eine schier endlos lange Reihe.
Bauernhäuser + nachempfundene
Es müssten hier zwei Reihen sein. Sind ja links und rechts von ihm.

So als hätte sie jemand, um Platz zu schaffen, zusammengeschoben! Was für ein Blödsinn.
Hier hätte ich eher zuerst mit einem Punkt und dann mit einem Ausrufezeichen gerechnet.

Seine Oberschenkel beginnen zu brennen, seine Knie schmerzen wie Feuer. Schwer atmend, hechelnd zieht er die Luft ein.
Zwei Sätze, die jeweils eine Information Doppelung enthalten. Erst Beinschmerzen, dann Atemlosigkeit. Wirkt auf mich eher unschön.

Das was er hinter sich lässt, Straße, Häuser, Himmel[Komma] bilden ein einziges kreisrundes Gewölbe im infraroten Licht. Eine dunkelrot glühende, fast schwarze Röhre.
Auch hier ist der zweite Satz eigentlich überflüssig, meiner Meinung nach.

Frontal in seinem Gesichtsfeld, immer größer werdend, strahlt der weiße Nebel in intensivem, in den Augen schmerzendem Licht.
Das mit dem Licht wirkt ebenfalls unhandlich. Nicht lieber z.B. etwas wie stechendes Licht verwenden und das mit den Augen weglassen?

Er sieht die Abdrücke von Sternen, Galaxien, heißen Nebeln!
Was kann man sich genau unter heißen Nebeln vorstellen?

Ein alarmierendes Piepsen in höchster Frequenz.
Wenn es wirklich die höchste Frequenz wäre, könnte dein Protagonist das nicht mehr hören :)

Sein Herz geht wie ein Dampfhammer.
Ist mir nicht so richtig greifbar beschrieben. Meinst du damit z.B. hämmernd, rasend, etc.?

»Ich bin der lichtschnelle Radler«, murmelt er.
»Sie wären es fast gewesen!«
Die Aussage der Ärztin macht für mich keinen Sinn. Der Typ hätte höchstens tot sein können.


Soviel von mir. Richtig eingenommen hat mich die Geschichte leider nicht, sorry. Weder Plot noch Protagonist sind bei mir hängen geblieben und die Beschreibung des Traumzustandes ist in dem Sinne auch nicht so besonders, wenn man z.B. Filme wie Inception gesehen hat, die ebenfalls mit solchen Konzepten spielen. Vielleicht lässt sich zumindest im letzten Punkt die Geschichte noch ausbauen, wenn schon Spannung nicht das Ziel sein sollte.
 
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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo, Geschichtenerzähler, auch ich meine, dass das eher eine Kurzgeschichte ist. würde sie gern nach dort verschieben.
lg
 



 
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