schwestersternchen
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Wie alles begann      
Einst gab es eine Zeit,in der die Pflanzen noch miteinander sprachen.
Sie lebten beisammen in Wäldern, Feldern und Wiesen.Sie liebten und hassten einander, lachten und weinten wie es heute die Menschen tun. Auch waren ihnen Kriege, Intrigen, Tragödien und Romanzen nicht fremd. Sie trockneten herabgefallene Blätter und schrieben ihr großes Wissen darauf nieder.
Die klügsten unter den Pflanzen jedoch beschlossen eines Tages, einen Ort zu schaffen, an dem sie in Frieden leben konnten. Einen prachtvollen Ort voller Harmonie und Weisheit. Dort wollten sie einen der ihren zu ihrem Oberhaupt wählen und unter seiner Führung alles Wissen der Welt ansammeln. Und alle anderen Pflanzen sollten an diesen Ort kommen können, um zu lernen.
Sie zogen los und fragten die Bäume, ob sie sich ihnen anschließen wollten. Die Bäume jedoch verneinten. "Wir wollen lieber an allen Plätzen der Erde die Hüter und Bewacher allen Lebens sein. Wer immer ein schattiges Plätzchen sucht, soll sich unter unseren Häuptern einfinden und wird erquickt werden. Nein, wir ziehen unsere Wurzeln nicht aus dem Erdreich".
So zogen die klugen Pflanzen also weiter und kamen an eine Wiese. Sie baten die Grashalme, ihnen zu folgen, doch auch die lehnten ab: "Nein, wir kommen nicht mit. Unser Samen soll sich überall auf der Welt niederlassen und wer müde Glieder hat, soll in uns ein Kissen finden, sich auszuruhen."
So sprachen sie und blieben an ihrem Platz. Auch die Feldblumen wollten nicht mitkommen, denn ein jedes Lebewesen, das Ermunterung brauchte, sollte sich an ihrem Anblick laben können.
Die klugen Pflanzen zogen also weiter, bis sie einen Ort fanden, der ihnen ideal für ihr Vorhaben erschien. In der Ferne sahen sie einen Wald dunkel sich erheben und Wiesen in der Sonne leuchten. Ein kühler Bach plätscherte munter daher und die Pflanzen fanden den Platz so anheimelnd, dass sie beschlossen hier ihren Ort des Friedens zu errichten.
Da die Nacht schnell hereinbrach, setzten sie sich zusammen, aßen, tranken und sangen und beratschlagten über einen Namen für die neue Heimat. Schnell einigten sie sich auf "Garten", in ihrer Sprache ein Begriff für einen Ort der Stille, Einkehr und Besinnung. Jede Pflanzenfamilie sollte einen eigenen Bereich - ein Beet - erhalten, in dem sie ihre Weisheiten und Künste vervollkommnen und weitergeben sollte. Aber keine Pflanze sollte höher stehen als die anderen mit Ausnahme des gewählten Oberhauptes, welches über das Wohl der Gemeinschaft wachen sollte. Dieser Anführer aber sollte sich mit den Pflanzen besprechen und jedes Jahr von allen neu gewählt werden.
Am nächsten Morgen zogen die Pflanzen wohlgemut ihre Wurzeln aus dem noch taufeuchten Erdreich und gingen daran, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Schnell waren Kiesel gesammelt, um Beete zu bauen und trockene Zweiglein aus dem Wald geholt, den Garten zu um grenzen. Die Gemüse, wie sie sich nunmehr nannten - ein altes Wort, welches "die Erhabenen" bedeutet - lebten glücklich und harmonisch.
Bald jedoch schlich sich erste Unzufriedenheit in den Garten ein. Jede Familie wollte bei der alljährlich stattfindenden Wahl des Oberhauptes den neuen Anführer stellen und so suchten sie sich gegenseitig zu überbieten. Sie flüsterten Versprechen in geneigte Knospen und bestachen die Zaudernden mit ganzen Blütenkelchen frischen Morgentaus.
So kam der Tag, an dem der gesamte Garten in zwei erbitterte Lager gespalten war.
Da waren auf der einen Seite die Anhänger der Aubergine, die weit gereist war mit ihrer Sippe und sich entschlossen hatte, in den Garten zu ziehen, nachdem sie die Welt gesehen hatte.
Ihnen gegenüber standen die Freunde des Brokkoli, der durch das Studium vieler Blätter Weisheit erworben hatte. Die beiden Parteien waren etwa gleich stark und keine wollte nachgeben. Ihre Anhänger standen sich unerbittlich gegenüber.
Niemand weiß, wie es letztendlich dazu kam und welche Seite den Anfang gemacht hat, aber es endete im Krieg. Pflanze gegen Pflanze. Der Hass raste durch die Beete und zerstörte, was sich ihm in den Weg stellte. Erbarmungslos schlugen Pflanzen einander nieder und verschwendeten keinen Gedanken daran, wer noch da wäre, sich anführen zu lassen, wenn erst alle vernichtet waren.
Aber auch dieser Krieg endete, wie alle Kriege vor und nach ihm. Die überlebenden Gemüse waren schwach und krank, jedoch immer noch voller Zorn. Sie schworen, mit der jeweils anderen Seite nie wieder etwas zu tun haben zu wollen und zogen einen breiten Trennstreifen durch den Garten. Auf der einen Seite des Gartens lebten fortan die roten Gemüse, auf der anderen Seite die grünen.
Im Laufe der Zeit kam eine neue Pflanzenfamilie in den Garten und bevölkerte den Trennstreifen zwischen den verfeindeten Gebieten. Diese Pflanze wurde von beiden Seiten akzeptiert, war sie doch weder rot noch grün, sondern gelb. Sie breitete sich aus und wurde zu einem geheimnisvollen Dickicht, dem Gelbwald. Niemand betrat diesen Wald, hieß es doch, dass geheimnisvolle Gestalten dort hausten und jeden, der ihnen zu nahe kam, aufs schrecklichste verfluchten. Außerdem wurde gemunkelt von seltsamen Vorgängen; Wanderern die niemals zurückkehrten oder wenn doch, völlig verändert waren.
So wurde der Gelbwald gemieden und nach und nach vergaßen die Gemüse, dass es noch eine andere Seite gab.
Nur die Oberhäupter beider Seiten, die Könige, vergaßen es auch nach vielen Jahren nicht. Und obschon sie keinen Krieg mehr anzettelten, behielten sie doch in Erinnerung, dass auf der anderen Seite des Gelbwaldes Gemüse hausten, die ihnen übel wollten, wie sie meinten.
Sie gaben das Geheimnis ihren Kindern weiter, die nach ihnen herrschten, mit der Ermahnung, es niemals zu vergessen.
Die beiden Reiche blühten und gediehen. Die Gemüse lebten zufrieden, beherrscht und behütet von Königen und Königinnen, die bestrebt waren, ihre Untertanen vor Üblem zu bewahren und ohne zu wissen, dass es außerhalb des eigenen Beetes eine Welt gab, die darauf wartete, dass man sie betrat. Die Hoffnung, mit der der Garten gegründet worden war, war im Verlauf der Generationen einer zufriedenen Trägheit und gediegenen Langeweile gewichen, ohne dass die Pflanzen sich dessen bewusst waren. Aber dann, nach so vielen Jahren, dass nur die Weisesten imstande sind sie zu zählen, begab sich etwas, das die Hoffnung in den einst gesegneten Ort zurückbrachte.
Es trug sich eine Geschichte von Liebe und Mut zu:
Die Geschichte vom Möhrchenprinzen und der Prinzess Bohna
Viele Jahre nach dem Großen Gartenkrieg, aber noch lange vor der Zeit, in der ich euch dies erzähle, herrschte im Beet der roten Gemüse König Tomate mit Königin Rote Bete an seiner Seite. Dieses Königspaar lebte in der Rübenburg, dem größten Bauwerk im gesamten Reich. Die Königin hatte ihrem Gemahl dereinst einen schönen Sohn geschenkt, den Möhrchenprinzen, eine stattliche Erscheinung mit glänzendem Schopf, bei dessen Anblick die Mägde verträumt seufzten. Die Bürgertöchter dagegen ließen ihre Taschenblätter fallen, damit er sie ihnen aufhob und blickten ihn dabei verliebt an. Seine Eltern suchten ihm unter den Mädchen eine passende Braut aus: Radies sollte er freien, wenn er erst großjährig wäre, war sie doch das schönste rote Gemüse weit und breit und ihr Liebreiz wurde von den Dichtern gerühmt. Der Prinz willigte ein, denn er konnte sich nicht vorstellen, eine noch schönere Frau zu finden als das anmutige Radieschen. Auch Radies‘ Eltern waren einverstanden, denn durch die Heirat mit dem Möhrchenprinzen würde ihre Tochter einst Königin sein. Die Hochzeit wurde beschlossen und sollte einen Monat später stattfinden. König Tomate besprach sich mit seiner Frau und sie kamen überein, dem Prinzen am Tag nach der Hochzeit die Wahrheit über die Geschichte des Gartens und das Volk jenseits des Gelbwaldes zu sagen. Bis dahin aber sollte sein Leben unbeschwert von der Bürde der Verantwortung sein. Sie beschlossen das in dem Glauben, dass es das Beste für ihren Sohn und das Königreich wäre.
Auf der anderen Seite des Gelbwaldes herrschte zur gleichen Zeit der Kohlrabikönig über die grünen Gemüse. Seine Frau war die liebliche Rosenkohl. Dieses Königspaar hatte eine Tochter, Die Prinzess Bohna, die nach ihren Eltern über das Beet herrschen sollte. Die Bohnfolgerin war von schlanker, hellgrüner Gestalt und Nacht für Nacht stahlen sich die jungen Peperonis unter den Augen der Wache durch und sangen verliebte Lieder unter dem Fenster der Prinzessin. Der Kohlrabikönig ließ die treue Gurkengarde des Nachts verstärkt um das Salatschloss patrouillieren, in welchem die königliche Familie lebte. Aber es nützte nichts. Schon bald fanden die feurigen Galane Möglichkeiten, den Wächtern zu entgehen und wieder erklangen Liebesgesänge aus dem Schlosshof.
Das Königspaar entschied sich, die Tochter zu verheiraten und suchte unter den Bewerbern den vielversprechendsten aus. Es war dies der reiche Kohlkopf, der sich ob dieser Ehre erfreut zeigte und gelobte, an der Seite der Prinzess Bohna dereinst ein gütiger Herrscher zu sein. Auch Kohlrabi und Rosenkohl kamen überein, ihrer Tochter erst nach der Heirat zu eröffnen, welch schweres Erbe und große Verantwortung auf den Schultern des zukünftigen Königspaares lasten würde. Ebenfalls sollte sie dann von der wirklichen Aufgabe des Paprikaministers erfahren, der ein Spion in des Königs Diensten war. Weil er nämlich die Farbe wechseln konnte und die geheimen Wege durch den Gelbwald kannte, schlich er regelmäßig heimlich und im Schutze der Nacht in das Rote Reich und erstattete Bericht. So war der Kohlrabikönig immer rechtzeitig im Bilde über die Vorgänge im anderen Land.
Aber als der Prinzessin eröffnet wurde, wer ihr Gemahl sein sollte,antwortete sie: "Nein,ich werde ihn nicht heiraten. Niemals. Weil er hässlich ist und seine Blätter schon zu welken beginnen, werde ich nicht seine Frau werden".
Der Kohlrabi-König geriet außer sich und schimpfte und schrie. Königin Rosenkohl war ratlos und versuchte die Tochter umzustimmen. Aber weder das eine noch das andere zeitigte Erfolg. Die Prinzessin weinte und flehte, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen, aber sie blieb unerbittlich und weigerte sich, den runden Kohlkopf als Gatten zu akzeptieren.
Da schlug der Kohlrabikönig auf den Tisch und rief: "Wenn du nicht den Wegen folgst, die deine Eltern dir vorgeben, wirst du nicht länger unsere Tochter sein! Als einfache Erbse unter vielen wirst du dein Los fristen und als Magd hier im Palast bleiben. Heiratest du aber das Gemüse, dass wir für dich vorgesehen haben, so sollst du unser geliebtes Kind und Bohnfolgerin sein." Die Prinzess Bohna erschrak über diese Drohung und bekam große Angst, war sie doch von dem Tag, an dem sie spross verwöhnt worden und wusste nichts vom Leben einer Magd, außer dass es hart war. Sie willigte schließlich doch ein und erbat von ihren Eltern einen letzten Monat, in dem sie ihre Jugend genießen und sich von ihrer Kindheit verabschieden wollte. Das erleichterte Königspaar willigte ein und ließ dem Kohlkopf berichten, dass er in einem Monat die Bohnfolgerin ehelichen konnte. Dem war es recht , war er doch im Grunde seines Herzens ein gutmütiger und geduldiger Gesell.
Insgeheim aber dachte die Prinzessin an nichts anderes, als wie sie der Falle entrinnen könnte, die die Eltern ihr gestellt hatten, ohne ihre Stellung und die Liebe des Königspaares zu verlieren. So kam es, dass sie eines Tages tief in Gedanken versunken durch das Königreich spazierte und nicht bemerkte, dass sie die Grenze des Beetes überschritten hatte und sich am Rande des Gelbwaldes befand. So sehr war sie in Überlegungen über ihre missliche Lage vertieft, dass sie erst bemerkte, wo sie sich befand, als ihre Wurzeln sich in den Blättern der Gelbpflanze verfingen. Da kam sie wieder zu sich und blickte sich furchtsam um. Aus welcher Richtung sie gekommen war, wusste sie nicht mehr und ihr Beet konnte sie nirgends mehr erkennen. Die Sonne ging bereits unter und sie war hier ganz alleine am Rande des Gelbwaldes, in dem, wie jeder wusste, finstere Gestalten hausten, die ein jedes Gemüse, dessen sie habhaft werden konnten, bei lebendigem Leibe fraßen.
Erschöpft und verängstigt ließ sie sich am Rande des Dickichts nieder und weinte bitterlich, da sie sich verloren wähnte.
Am selben Tag stahl sich der Möhrchenprinz aus dem Rübenpalast davon, um den Hochzeitsvorbereitungen zu entgehen. Er hatte den ganzen Vormittag damit verbracht, sein Hochzeitsgewand auszusäen und wollte nun zur Entspannung einen Ausritt auf seinem weißen Prachtrettich - einem Geschenk seiner Patenbeere-machen. Er ritt heißblütig durch das Beet, brachte die alten Schwarzwurze dazu, ihre Blätter wütend zu schütteln und rang den Mädchen wehmütige Seufzer ab, wussten sie doch, dass er eine andere heiratete.
Radies aber schaute gleichmütig drein als sie ihn in der Ferne vorbei sprengen sah.
Als der Möhrchenprinz am Rande des Beetes angekommen war, zügelte er seinen Rettich und blickte nachdenklich zum Gelbwald hinüber. Schon immer hatte er wissen wollen, was sich dahinter befand, aber seine Eltern hatten ihm mit nervösen Blicken geboten, von anderen Dingen zu reden und nicht vorzeitig nach Wissen zu streben, das ihm noch nicht zustand.
Nun aber dachte er sich: "Ich bin ein ausgereiftes Gemüse und soll bald das schönste Mädchen im Beet heiraten. Bald werde ich über alle Gemüse in meinem Reich herrschen. Wer will mir verbieten, den Gelbwald zu betreten?" gab dem Rettich die Sporen und ritt in den Wald hinein.
Doch schon bald bereute er sein Tun, denn waren anfangs noch schmale Pfade im Dickicht zu erkennen, so sah er nach kurzer Zeit keinen Weg mehr. Er blickte über die Schulter zurück und sah... - nichts. Nur das gelbe Geflecht und Gewirr, das ihn umgab. Keine Wege zeichneten sich auf dem Boden ab, kein Sonnenstrahl drang durch das Dach aus gelben Blüten und fast vermeinte er, im Rauschen der Blätter zischelnde Drohungen zu erkennen. Da sank ihm das Mark bis in die Wurzeln.
Vorsichtig und verzagt ritt er weiter in der Hoffnung, irgendwann auf einen Pfad zu stoßen, der ihn herausbrachte. Wie lange er so dahin ritt, wusste er später nicht mehr zu sagen, aber plötzlich bemerkte er weit vor sich einen hellen Schein."Das ist doch Sonnenschein!"dachte er erleichtert und ritt frohgemut darauf zu. Doch ach, es war nur eine Lichtung, von allen Seiten von Dickicht umschlossen. Trotzdem entschied er sich, hier eine Rast einzulegen und den Stand der Sonne zu erkunden. Vielleicht fand er auf diese Weise den Weg zurück.
Als er sich aber der Lichtung näherte, da vernahm er leisen Gesang. Fremd klang es, wie er nie zuvor etwas gehört hatte. Zaghaft ritt er auf die Lichtung und blickte wie gebannt auf den Anblick, der sich ihm bot: Kleine Gestalten, die sich versammelt hatten und miteinander sangen, während sie um ein Häufchen Kapseln tanzten, von welchem ein süßer Duft aufstieg. Die kleinen Wesen waren wirklich winzig und gekrümmt. Sie waren eindeutig nicht rot, auch nicht grün, sondern hatten die Farbe der Erde und sahen auch nicht bedrohlich aus. Beim um den Haufen springen wiederholten sie immer ein Lied:
"Wir sind die Kümmel-Kobolde,
und leben verborgen im Walde
sind frohgemut und ohne Sorgen
den neuen Trank, den gibt es balde"
Dann aber erblickte einer den Möhrchenprinzen und erschrak so heftig, dass er umfiel. Da die kleinen Wesen sich beieinander eingerankt hatten, riss er seine Kumpane mit und so purzelten alle durcheinander auf den Waldboden. Als sie sich schließlich gefangen hatten, blickten sie den Prinzen furchtsam an und baten, ihr Leben und ihr Versteck zu verschonen und niemandem zu verraten. Der Möhrchenprinz wollte ihnen versichern, dass er ihnen nicht übel wollte, aber kaum begann er zu reden (für die Winzlinge klang das wie Donnerhall), schrien wieder alle durcheinander und flehten um Gnade. Der Prinz beschloss von seinem Rettich zu steigen und sich ihnen zu nähern. Da schubsten die Kümmel-Kobolde einen der ihren aus ihrer Mitte, auf den furchterregenden Fremden zu, ein Geschenk zu kredenzen, um den riesigen Eindringling milde zu stimmen.
Der kleine Kerl näherte sich zitternd und bot dem Möhrchenprinzen furchtsam einen Blütenkelch an, der mit einer wasserklaren, aber ebenso süß wie die am Boden liegenden Kapseln duftenden Flüssigkeit gefüllt war. Mit piepsiger Stimme sprach er "Mein Herr, wir sind die Kümmel-Kobolde und leben hier für uns im Wald. Wir wissen nicht wer du bist, aber wenn du uns versprichst, unser Versteck niemandem preiszugeben, dann wollen wir dir unseren erfrischend heilenden Anistrank schenken."
Der Prinz, der vor Verwunderung ganz vergessen hatte, dass er auf Irrwegen war, willigte ein und nahm aus den Händen des Kobolds einen Kelch entgegen. Als er kostete, war ihm als hätte er noch nie etwas so Merkwürdiges und gleichzeitig wohltuendes getrunken. Ja ihm wurde ganz schwindelig und plötzlich schien ihm als hätte sich die Anzahl der Kümmel-Kobolde verdoppelt. Dann wurde es um ihn dunkel.
Die Kümmel-Kobolde waren ganz ratlos: Der Möhrchenprinz legte sich vor ihren Augen auf den Waldboden und schlief ein. Hatte er denn noch nie Anistrank getrunken? Mit vereinten Kräften hoben sie ihn auf seinen Rettich und überlegten dann aus welcher Richtung er gekommen sein mochte. Da sie sich nicht einigen konnten, gaben sie dem Rettich einfach einen Klaps auf die Wurzeln und er trabte an. Froh waren sie da den Eindringling los zu sein, konnten sie sich doch nun ihren alltäglichen Angelegenheiten zuwenden.
Der Rettich lief immer weiter in die Richtung, in die die Zwerge ihn gesandt hatten und auf seinem Rücken saß der betäubte Prinz. Nach einiger Zeit lichtete sich der Wald und der Möhrchenprinz erwachte wieder. Sein Rübenschädel fühlte sich merkwürdig schwer an und er konnte sich nicht erinnern, wo er gewesen war, doch dass er sich im Gelbwald verirrt hatte, wusste er noch. So ritt er also auf das Licht zu, welches ihm den Waldrand verhieß. Dort angekommen aber verharrte er verblüfft, denn es sah ähnlich aber doch so ganz anders aus als im heimatlichen Beet. Das musste wohl die andere Seite des Gelbwaldes sein. Erst einmal schaute er sich gründlich um. Und plötzlich sah er eine Erscheinung die ihm nahezu die Sinne raubte, so unwirklich schaute sie aus.
Eine schlanke hellgrüne Gestalt saß da am Rande des Waldes und blickte ihn aus verweinten Augen ängstlich an. So etwas hatte der Möhrchenprinz in seinem Leben noch nie gesehen. Dieses Gemüse war ja ganz und gar ...grün!
So sehr er sich auch bemühte und die Augen anstrengte, er sah kein klitzekleines bisschen Rot an ihr. Doch die Erscheinung sah so lieblich und anmutig aus ,dass er sicher war, dass sie an keiner Erkrankung litt, sondern das Fehlen der roten Färbung ganz natürlich war.
Langsam ritt er auf sie zu und als sie Anstalten machte, vor ihm zu fliehen, rief er: "Bleib! Ich tu dir kein Leid an."
Da blieb sie stehen und fragte ihn, wer er denn sei, denn so ein Gemüse wie ihn habe sie noch nie erblickt.
"Ich bin der Möhrchenprinz" antwortete er auf ihre Frage. "Auf der anderen Seite des Gelbwaldes herrscht mein Vater,der König Tomate über das Beet mit den roten Gemüsen.Wer aber seid ihr, holde Maid?"Da sagte sie ihm, dass sie die Prinzess Bohna sei, Tochter von König Kohlrabi und Königin Rosenkohl und die Bohnfolgerin im Beet der grünen Gemüse.
So redeten sie und die Angst wich von ihnen und sie erkannten, dass sie sich gar nicht so unähnlich waren. Nur die Verwunderung blieb bestehen.
Der Möhrchenprinz bot der Prinzessin an, sie auf seinem Rettich zu ihrem Palast zu bringen, weil er nicht wollte, dass sie sich noch einmal verirrte.
So hob er sie also vor sich auf seine Reitpflanze und machte sich auf den Weg. Hoch oben auf dem Rücken des feurigen Rettichs konnte die Prinzessin auch die richtige Richtung ausmachen und dem Prinzen den Weg zum Palast weisen. Unterwegs genoss jeder die Nähe des anderen, denn trotz ihrer Fremdartigkeit fühlten sie sich auf unwiderstehliche Weise voneinander angezogen.
Es geschah das Undenkbare: noch ehe sie beim Salatschloss angelangt waren, hatten sie sich unsterblich ineinander verliebt und schworen sich ewige Treue und Beisammensein.
Diesen Schwur besiegelten sie mit einem zarten Kuss. Die grünen Gemüse, die das mit ansahen, waren schockiert. Jedoch nicht zu schockiert, um es schnell weiterzutratschen.
So kam es, dass die Kunde von diesem Ereignis schneller beim Kohlrabikönig war, als die beiden Liebenden auf ihrem Rettich.
Sorgenvoll beriet sich der König inzwischen mit seiner Königin, schließlich ging es ja um ihr Kind. Die Königin, immer ausgleichend und auf Frieden bedacht, versuchte ihren Mann dazu zu bewegen, um das Glück ihres Kindes willen, Frieden zu schließen um den Garten wieder zu einen, aber der König wollte davon nichts wissen.
Bald darauf traten der Prinz und die Prinzessin vor das Königspaar. Sofort wurde das Mädchen von ihrem Liebsten getrennt und in ihre Kemenate gebracht. Währenddessen erhielt die Gurkengarde Order, den Möhrchenprinzen bis vor das Torblatt zu eskortieren. Zuvor aber verlangte er zu wissen, warum er nicht einmal ein Wort des Dankes erhielt, wo er doch die Königstochter gerettet hatte. Der König blieb stumm.
Mutiger geworden sprach also der Prinz: "Nie erblickte ich ein lieblicheres Wesen als eure Tochter. Mein Herz hat sie im Sturm erobert und ich wage zu sagen, auch ich das ihre. So gestattet mir nach altem Brauch, um ihre Ranke anzuhalten."
Nun endlich schüttelte der König seine Erstarrung ab und wurde vor Zorn ganz dunkelgrün.
"Duuuu!!" brüllte er."Elender Nachfahre der Aubergine, die Krieg und Elend über den Garten gebracht hat, wagst es hier um die Ranke meiner Tochter anzuhalten?
Ja ich bin dir dankbar,das du sie mir heil wiederbrachtest und ich beweise dir meine Dankbarkeit dadurch, dass ich dich unversehrt gehen lasse und nicht Befehl gebe, deine Wurzeln abzuhacken und deine Blätter zu versengen. Nun verschwinde von meinem Beet und lass dich nie wieder diesseits des Gelbwaldes blicken."
Mit diesen Worten gab er den Gurken ein Zeichen und sie warfen den Möhrchenprinzen unter Gejohle aus dem Schloss und vom Beet.
Der weinenden Prinzess Bohna aber wurde eröffnet, dass die Hochzeit vorgezogen werde und nun schon in einer Woche stattfinden würde. Der traurige Möhrchenprinz ritt derweil in den Gelbwald hinein, wo er schnell verzagte, denn die Sonne ging schon unter und er wusste auch den Rückweg immer noch nicht.
Dass er beobachtet wurde, merkte er nicht. Auf einer Gelbpflanze saß nämlich die Petersilienfee Grünlinde und sah den Prinzen kommen. Er dauerte sie, wusste sie doch, was ihm eben widerfahren war. Also schwebte sie so leise wie eine Frühlingsbrise zu ihm herunter und hauchte ihm einen zarten Kuss in den Nacken, worauf er sofort in einen tiefen Schlaf fiel. Dann packte sie den Rettich am Zügel und brachte ihn aus dem Gelbwald hinaus bis in die Nähe der Rübenburg. Dort zwickte sie den Prinzen und verschwand lautlos. Der Möhrchenprinz aber wachte auf und sah sich wieder in seinem vertrauten Beet.
Zuerst dachte er, er hätte alles nur geträumt, aber er konnte noch den Kuss seiner Prinzess Bohna spüren. Schließlich fasste er Vertrauen in seine Erinnerungen und ritt heim in die Rübenburg zu seinen Eltern. Alle Burgbewohner erwarteten ihn schon besorgt und ängstlich, alles scharte sich um ihn, zu fragen wo er denn gesteckt habe, denn natürlich hatte keiner ihn gefunden. Der Möhrchenprinz aber entzog sich geschickt allen Fragen, weil er nur mit seinen Eltern über seine Herzensangelegenheit sprechen wollte. Er erwartete von seinen Angehörigen mehr Verständnis als es die Grüne Sippe aufbrachte, also erzählte er, wo er den Nachmittag verbrachte. Seine Abenteuer im Gelbwald mit den Kümmelkobolden, von seinem überraschenden Einschlafen, seinem noch überraschenderem Aufwachen am falschen Ende des Gelbwaldes.
Nach kurzem Zögern erzählte er auch von seinem zufälligen Zusammentreffen mit der entzückenden Prinzess Bohna, die sich auch verirrt hatte. All das erzählte er dem Königspaar, auch dass er das Reich, das ausschließlich von grünem Gemüse bevölkert war, kennengelernt hatte. Er endete mit den Worten :"Die Prinzessin dieses Reiches, ist die Frau, die ich liebe, ohne sie will ich nicht sein. Ihr Vater aber den ich förmlich um die Ranke seiner Tochter bat, warf mich unter Drohungen aus seinem Palast. So bitte ich euch, als meine Eltern und Herrscher für mich zu vermitteln, denn ich kann mir nicht denken, dass ihr nichts von dem Königreich jenseits des Gelbwaldes gewusst habt. Helft ihr mir aber nicht, so verzichte ich auf die Thronfolge und gehe zusammen mit der Frau meines Herzens, der Prinzess Bohna,weit weg von hier."
Rote Bete brach ob dieser Worte in Tränen aus und zwirbelte verzweifelt ihre Schopf blätter ineinander, König Tomate aber ward vor Zorn ganz purpurfarben. "Diese verfluchten Erben des Brokkoli haben dich umgarnt. Unsere Gelehrten haben immer prophezeit dass es mit dieser Bande von Farblosen noch einmal schweren Ärger geben würde. Aber Ach! Dass es ausgerechnet unter meiner Herrschaft geschehen muss!"
So tobte er im Thronsaal vor seiner weinenden Frau und dem verzweifelten Sohn. Schließlich war seine schlimmste Wut verraucht und er beruhigte sich wieder. Aber er war nicht gewillt seinem einzigen Sohn und Erben zu helfen."Höre mein Sohn" sprach er. "Diese Prinzessin schlägst du dir am besten schnellstens aus der Rübe. Niemals werden wir dir helfen, sie zu freien. Du wirst nach deiner Hochzeit mit Radies die ganze Geschichte über diese hinterlistigen Grünen erfahren und wie sie Not und Elend über den Garten brachten vor langer Zeit. Hätten wir dir nur vorher erzählt, was das für ein Volk ist, das da jenseits des Gelbwaldes lebt, so wärest du nicht so sorglos in ihr Beet geritten. Nun aber müssen wir dafür sorgen, dass daraus kein Schaden erwächst."
Der Prinz wollte seinen Vater unterbrechen, doch der hob sein Zeigeblatt und hieß seinen Sohn schweigen. Dann fuhr er fort: "Du wirst wie besprochen Radies heiraten. Um Schlimmeres zu verhindern, wird die Hochzeit vorgezogen und findet schon nächste Woche statt.
Das du gedroht hast, uns und das Beet zu verlassen, trifft mich tief und zeigt mir, dass du im Bann dieser grünen Hexe stehst und so wirst du zu deinem Schutz und dem Wohl des Reiches die Tage bis zur Hochzeit in deinem Gemach verbringen und bewacht werden. Nun entferne dich und lass jeden Gedanken an Flucht fahren."
So kam es, dass der Prinz in seine Kammer eingeschlossen um ihm jede Hoffnung zu nehmen, seine Prinzess Bohna jemals wiederzusehen.
Doch eine große Liebe kann nicht durch Drohungen und Verbote abgetötet werden, darum geht die Geschichte auch noch weiter:
In der folgenden Nacht, als die Einwohner beider Reiche erschöpft von Hochzeitsvorbereitungen, in tiefen Schlafe lagen, merkte niemand, wie fremde Ranken in das Rote Beet schlichen. Nicht einmal die Chilisöldner, welche die Rübenburg bewachten, sahen diese Ranken an der Rinde der Rübenburg hochklettern, so dass niemand Alarm schlug, als sie heimlich und leise in das Gemach des Prinzen eindrangen, ihn betäubten und umschlangen und sich ebenso still mit ihrer Beute auf den Rückweg machten.
Erst am nächsten Tag wurde das fehlen des Thronfolgers bemerkt. Schnell war man mit der Vermutung bei der Hand, nur die Farblosen von „da drüben“ könnten zu so einer ruchlosen Tat fähig sein. Hatten sie den arglosen Prinzen nicht schon mit ihrer Prinzessin betört?
König Tomate raste vor Zorn, Rote Bete weinte vor Ungewissheit und Angst um ihren Sohn.
Um seinen Sohn zu retten tat König Tomate etwas, das kein König vor ihm getan hatte: Er weihte das Volk in das Wissen um die andere Seite des Gelbwaldes ein.
Nun wollte er einen Feldzug ins Leben rufen um seinen Sohn zu befreien und forderte jeden treuen Untertan auf, sich anzuschließen.
Und wirklich: In Scharen strömten die roten Gemüse an jenem Tag in den Schlosshof um sich anwerben zu lassen zur Rettung des Möhrchenprinzen. Scharfe Stöcke, spitze Zweige und feste Blattschilde wurden ausgegeben um sich gewaltsam einen Weg durch den Gelbwald zu bahnen. Das gesamte Beet hallte wieder vom Kriegsrauschen der zornigen Gemüse. All dies sah der Paprikaminister. Sofort berichtete er dem Kohlrabikönig von den Kriegsvorbereitungen in der Rübenburg und auch, was der Grund für diese Aktivitäten war, nämlich dass der Prinz verschwunden war und man nun annahm, er wäre im Salatschloss eingekerkert. Daraufhin rüstete man auch im Grünen Reich für den Krieg - schließlich musste man sich ja seiner Schale wehren. Die Grünen Gemüse waren betroffen und wütend und all die, die noch nicht zu welk waren und nur ein Tröpfchen Tau in ihren Rispen hatten, meldeten sich zum Schutz ihres Beetes und nahmen ihre Waffen in Empfang.
Niemand hatte in dem ganzen Trubel bemerkt, dass die Prinzess Bohna hinter einem Wandblatt versteckt alles mit angehört hatte. Sie hatte eigentlich ihre Eltern bitten wollen, ein Einsehen zu haben und musste nun hören, dass es Krieg geben sollte zwischen den Reichen. Aber das schlimmste für sie war, dass der Möhrchenprinz anscheinend verschwunden war und niemand wusste, wo er zu finden war.
Untröstlich ging sie in ihre Kammer zurück, wo sie ihren Tränen freien Lauf ließ. Plötzlich aber bewegten sich wie von Geisterhand die Grasvorhänge an ihren Fenstern. Die Prinzessin hob den Kopf und sah, wie eine Pflanze von berückender Anmut und Grünheit in ihr Zimmer schwebte. So zart und freundlich sah die Gestalt aus, dass die Prinzessin ganz vergaß zu erschrecken und nur offenen Mundes staunen konnte.
Als sie sich wieder gefasst hatte, setzte sie sich vorsichtig auf und fragte: "Wer bist du und wie bist du hereingekommen?"
Die Pflanze antwortete: "Ich bin Grünlinde, die Petersilienfee und ich kenne deinen Kummer. Wenn du entschlossen bist und deinen Prinzen wirklich liebst, dann kann ich dir vielleicht helfen."
"Du weißt um meine Liebe zum Möhrchenprinzen? Aber woher? Ich kenne dich nicht!" rief da die Bohnenprinzessin.
"Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich" antwortete die Petersilienfee. "Ebenso wie ich jeden Liebenden im Garten kenne. Meine Aufgabe ist es, der Liebe zu ihrem Recht zu verhelfen und mir scheint, du kannst ein bisschen Hilfe gebrauchen."
Da sprang die Prinzessin von ihrem Hängeblatt und rief aufgeregt:"Weisst du etwa, wo er steckt? Dann sag es mir doch. Vielleicht können wir den Krieg noch abwenden."
Aber die Petersilienfee erwiderte:"Der Krieg ist nicht meine Aufgabe, auch nicht seine Vereitelung. Ich kann dir auch nicht sagen, wo der Möhrchenprinz steckt, nur die Richtung, in welche die fremden Ranken ihn entführt haben, kann ich dir weisen und dir etwas geben, was dir vielleicht auf deinem Weg helfen könnte. Aber du selbst musst dich aufmachen, deinen Geliebten zu suchen. Wenn dir das gelingt, dann kann doch noch alles gut werden."
Die Prinzessin atmete tief durch und blickte die Fee entschlossen an.
"Ja" sprach sie. "Ich will aufbrechen und meine Liebe suchen. Weise mir den Weg und gib mir deine guten Wünsche mit. Den Rest will ich alleine schaffen wenn du mir nur hilfst, unbemerkt aus dem Schloss zu entkommen."
"Nichts leichter als das "meinte die Petersilienfee, hieß die Prinzessin sich an ihr festhalten und schwebte mit ihr aus dem Schloss bis zum Rande des Gelbwaldes, ohne dass jemand sie sah. Dort angekommen gab die Fee der Prinzess Bohna ein aus feinem getrocknetem Gras geflochtenes Beutelchen, welches eine winzige Ranke und ein Samenkorn enthielt. "Diese Gaben werden dir helfen, deinen Prinzen aufzuspüren. Die Ranke ist eine Findelranke, die hier und jetzt eingepflanzt sofort zu wachsen beginnt und dir den Weg zu deinem Geliebten zeigt. Du musst ihr nur noch folgen und du wirst ihn finden. Was nun das Samenkorn angeht, so weiß selbst ich nicht wie es verwendet wird und was sein Zweck ist. Es ist nur für eine Pflanze auf der Suche nach wahrer Liebe gedacht und nur dann wird sich der Zweck enthüllen. Also zögere nicht und frisch ans Werk. Nur eins noch: sobald du die Ranke gepflanzt hast, bist du auf dich allein gestellt. Auch ich kann dir dann nicht mehr helfen.“
Die Prinzessin schluckte einmal, zweimal, straffte dann die Schultern und wandte sich entschlossen dem Gelbwald zu. Sie steckte die Ranke in die Erde und sogleich begann die sich zu drehen und auszudehnen und wuchs in den Wald hinein, während die Prinzessin staunend zuschaute. Dann dankte sie der Fee für ihre Gaben und machte sich entschlossen auf den Weg.
Wo aber war der Möhrchenprinz? Nun um ihn zu finden, müssen wir uns in den Gelbwald begeben an der Lichtung der Kümmelkobolde vorbei und immer weiter, bis wir erst den Gelbwald und dann auch den Garten hinter uns gelassen haben. Hinter den Hecken, die ihn umgeben, lagen Felder und Wiesen und auf einem dieser Felder standen Pflanzen, hoch und finster anzuschauen. Ihre Ranken ragten hoch in den Himmel und ein unangenehmer betäubender Geruch ging von ihnen aus.
Dies war das Hopfenreich. Zur Zeit unserer Geschichte wurde es regiert von der schwarzäugigen Susanne, welche die Herrin des Hopfens war und eine schöne und mächtige, aber böse Zauberin.
Sie hatte einen stark berauschenden Zaubertrank gebraut, der bei den armen Seelen, die damit in Berührung kamen, dazu führte, dass sie im Kreis herumliefen und völlig orientierungslos waren. Noch schlechter erging es denen die dieses Zeug tranken: Sie verloren nach einiger Zeit völlig ihren Verstand.
Den Möhrchenprinzen hatte sie entführen lassen, um ihr Herrschaftsgebiet auszudehnen und den Garten ihrem Reich anzuschließen. Der Prinz sollte ihr Unterpfand für die Unterwerfung eines Teils der Gemüse werden und außerdem sollte er als ihr Gemahl freiwillig bei ihr bleiben.
Sie hängte sich also ihre prächtigsten und schönsten Blätter um und hieß ihre Kammerpflanzen ihr die Ranken kunstvoll zu flechten. Hauchfeine Spinnweben umschleierten ihre Gestalt.
So angetan ließ sie den Prinzen in ihre Kammer bringen um ihn zu verführen.
Doch der Prinz konnte seine Liebe zu Prinzess Bohna nicht vergessen, so dass ihn die Versuchungen der Herrin des Hopfens kalt ließen. Er wies sie in höflichen, aber klaren Worten ab.
Das machte die Zauberin zornig und voll Wut ließ sie ihn in ein finsteres Verlies werfen, wo nicht einmal der Hauch eines Sonnenstrahls die uralten Mauern durchbrechen konnte.
Bevor die Kerkertür hinter ihm zufiel und ihn in lichtloser Einsamkeit zurückließ, erhaschte er einen letzten Blick auf das Innere seines Verlieses. Da sank ihm der Mut: vertrocknete und verdorrte Gemüse lagen auf dem schmutzigen Fußboden. Er konnte es nicht wissen, ahnte aber, dass sie hier lagen, weil sie vor ihm das Pech hatten, auf die eine oder andere Weise die launische Zauberin erzürnt zu haben. Womöglich war sogar der eine oder andere ehemalige Bräutigam wider Willen in dieser Kammer, die dem Prinzen immer mehr wie eine Grabkammer erschien.
Alle Überlegungen wurden hinfällig als die Kerkertür endgültig ins Schloss fiel und dem Möhrchenprinzen nun doch für kurze Zeit der Mut sank.
Die Prinzess Bohna war derweil schon auf dem Weg, ihren Möhrchenprinzen zu finden. Als der Gelbwald sie einschloss, bekam sie Angst, aber ohne zu zögern ging sie weiter, ahnte sie doch dass ihr Prinz verloren war, wenn sie ihm nicht half.
So folgte sie also der magischen Findelranke bis zu einer Lichtung, wo sie kleine gekrümmte Wesen überraschte, die singend um einen Kessel mit süß duftendem Getränk tanzten. Dies waren die Kümmelkobolde, wie ihr euch vielleicht denken könnt und wieder erschraken sie furchtbar über das unerwartete Eindringen einer fremden Pflanze auf ihre Lichtung. Doch schnell fassten sie sich wieder, war doch die Prinzessin eine so schöne und zarte Erscheinung und wirkte überhaupt nicht bedrohlich. Eher war das Gegenteil der Fall. Sie luden die Prinzessin ein bei ihnen zu rasten. Bohna nahm das Angebot dankend an und erzählte den Kobolden vom Zweck ihrer Reise. Da waren die Kobolde doch sehr erstaunt und auch betroffen, kannten sie doch den Prinzen von dem die Prinzessin ihnen erzählte. Sie erkannten in ihm den wunderlichen, aber sehr freundlichen Besucher wieder, der sich zu ihnen verirrt hatte.
Schnell waren sie sich einig, da der schönen Bohne geholfen werden musste. Sie beratschlagten wie und kamen überein, ihr ein wenig ihres Anisgetränkes zu überlassen. Sie überreichten ihr also eine kunstvoll ausgehöhlte Frucht des Eichbaumes mit einem Verschluss aus getrockneter Waldbeere. Darin befand sich der Trank. Sie klärten die Prinzessin über die Wirkungsweise des Gebräus auf, wünschten ihr alles Gute und ließen sie ziehen, denn auch sie merkten dass die Zeit drängte.
Nachdem sie sich höflich für das Geschenk bedankt hatte, folgte die Prinzessin weiter ihrer Findelranke. Sie lief Tag und Nacht unermüdlich und merkte nicht wie ihre Wurzeln zu bluten begannen. Den Garten hatte sie schon längst hinter sich gelassen. Endlich kam sie aber doch an den Rand des Hopfenfeldes. Dort kam das Wachstum der Findelranke zum Stillstand und die Prinzessin begriff, dass das der Ort sein musste, den sie gesucht hatte. Hier musste sie ihren Prinzen finden.
Wo aber beginnen? Was sollte sie nur tun? Alles war so bedrohlich.
Die Hopfenranken, die nicht Baum, nicht Gemüse ja nicht einmal Blumen waren, sahen so furchterregend und finster aus, dass ihr bei dem Anblick ganz bange wurde. Als sie sich weiter umsah, entdeckte sie doch noch eine andere Pflanze am Feldrand und beschloss sie anzusprechen. Ein Gänseblümchen war es und stellte sich mit dem Namen Bellis vor.
Bereitwillig erklärte Bellis der Bohne, wo sie sich befanden.
"Dies ist das Reich Susannes, der Hopfenherrin. Sie ist mächtig und reich, aber nie hat sie genug. Sie will immer noch mehr. Mehr Macht, mehr Reichtum, mehr Untertanen. Nie wird sie zufrieden sein, bevor sie nicht Herrscherin über alle Pflanzen ist.
Meine gesamte Familie wurde hierher verschleppt, um an ihrem Hofe zu dienen, denn lange überlebt dort niemand und deshalb geht dort auch keiner freiwillig hin. Alle wurden geholt, meine Eltern Löwenzahn und Arnika ebenso wie meine Geschwister Kamille, Margerite und sogar der kleine Beifuß und alle anderen aus der Familie auch. Ich weiß nicht, wer du bist und woher du kommst, aber höre meinen Rat und kehre um, solange du noch kannst, denn hier ist grad Schlimmes im Gange."
Die Prinzessin aber horchte bei diesen Worten auf "Was geht denn grade vor?" wollte sie wissen. Bellis schien noch kleiner zu werden und wagte nur mehr zu flüstern.
"Krieg ist im Anzug. Ich höre das Kriegsrauschen aus dem Feld und höre Gerüchte dass die Herrin rast vor Wut über einen Bräutigam, der sich ihr verweigert: Eine Pflanze die rot, aber keine Blume ist, man stelle sich vor." So sprach das Blümchen.
Bohna war sich nach diesen Worten ziemlich sicher, an der richtigen Stelle zu sein und erkundigte sich ob immer noch Mangel an Dienstboten herrschte. Bellis bejahte und verwelkte beinahe vor Schreck, als die Prinzessin erklärte, sie wolle sich als Dienstmagd am Hopfenhof bewerben. Das Blümchen begriff nicht, wie sich jemand freiwillig in solche Gefahr begeben konnte, riet der vermeintlich Verrückten jedoch, sich ein Gewand aus losen Grashalmen zu weben und nie mit etwas anderem als reinem Brunnenwasser ihre Wurzeln zu netzen, niemals jedoch den Hopfentrank anzurühren. Auch solle sie ihre ranke Gestalt vor den groben Wachen verbergen, die jeder Pflanze die noch nicht allzu welk war, nachstellten.
Diese gutgemeinten Ratschläge wollte die Prinzessin getreulich befolgen, bedankte sich bei Bellis und begab sich dann zum Schloss der Hopfenherrin. Dort gelang es ihr, eine Anstellung zu finden und den Küchenmägden zugeteilt zu werden.
An diesem Tag arbeitete sie so hart wie noch niemals zuvor in ihrem Leben und trotzdem ging sie zur Zeit der Nachtruhe nicht schlafen, sondern durchstreifte den Palast auf der verzweifelten Suche nach ihrem Liebsten. Alle Höfe überprüfte sie und in die finstersten Ecken spähte sie, immer auf der Hut vor den Wachen. Aber ihren Prinzen fand sie nicht.
Aufgeben mochte sie aber nicht, obwohl jede Faser an ihr nach einem Ruheblatt sich sehnte.
Und so suchte sie müde weiter und weiter, während die Nacht voranschritt und allmählich schon der Morgen wieder nahte.
Endlich im letzten und dunkelsten der vielen Höfe stand sie plötzlich vor einem furchtbar finsteren Eingang, dessen bloßer Anblick ihr Angstschauer einjagte. Davor lümmelten sich brutale Spinatsöldner.
Einer hielt sie auf und grölte:"Na meine Zarte, ziehst wohl die Gesellschaft echter Kerls den verweichlichten Küchenpflänzchen vor??! Oder willst du dich vor der Arbeit drücken? Na – uns soll recht sein, so ein hübscher Schössling wie du kann uns die Zeit versüßen“ und lachte dabei laut und derb. Seine Kumpane fielen sogleich ein und umringten die unerwartete Besucherin.
Innerlich zitternd, äußerlich jedoch furchtlos entgegnete da die Prinzessin: "Ich will mich nicht vor der Arbeit drücken, aber ihr Armen dauert mich so sehr, dass ich euch besuchen wollte.“
„Was?“ entfuhr es verblüfft dem Söldnerhauptmann. „Wieso dauern wir dich? Weißt du nicht, wer wir sind? Ein jeder hier fürchtet uns.“
Nun war es an der Prinzessin, zu lachen: „Aber keiner mag euch! Einsam seid ihr und habt nur euch selbst zur Gesellschaft. Steht Tag und Nacht vor den Verliesen und wenn ihr hier nicht steht, machen alle anderen trotzdem einen Bogen um euch. Nein – mir macht ihr keine Angst, ihr dauert mich.“
Die Kerkerwächter wussten darob nicht mehr, ob sie verblüfft oder wütend sein sollten, so ungewohnt war die offene Antwort für sie.
Bevor sie sich noch fassen konnten, hatte die Prinzessin das Gefäß der Kümmelkobolde hervorgezogen und hielt es dem Hauptmann hin.
Der besah das unscheinbare Behältnis recht skeptisch.
„Was ist denn das?“ fragte er.
„Nun“ antwortete Bohna. „ Ein neues Getränk ist es; es soll den Mut erhöhen und den Körper stärken. Ein jeder hat schon heimlich probiert, nur ihr kennt es noch nicht. Aber wenn ihr nicht wollt…“ Dabei zwinkerte sie schalkhaft und machte Anstalten, das Gefäß wieder wegzupacken.
Nun zauderten die Söldner nicht mehr, sondern griffen zu, ließen den Behälter im Kreis herumgehen und bekamen nicht genug davon. Es dauerte denn auch nicht lange und alle fingen an zu wanken wie Schilfrohr im Sturm, auch fiel ihnen das Sprechen sehr schwer, deshalb legten sie sich einfach auf den harten Boden und schliefen wie Steine. Einer aber hatte weniger getrunken als die anderen, denn er war von Natur aus misstrauisch.
Als die Prinzessin sich nach einiger Zeit unbeobachtet wähnte, weil sie alle Söldner schlafend glaubte, durchschritt sie das Portal zu den Verliesen. Sie bemerkte nicht den Wächter, der leise hinter ihr erschlich.
Bohna ging die Kerkertüren entlang und Härchen auf ihren Blättern wollten sich sträuben wegen des Geruches nach Tod und Verwesung, der hier unten herrschte. Aber tapfer ging sie weiter und spähte durch die Gucklöcher in jedes Verlies. Viel sah sie nicht, da in den einzelnen Zellen Finsternis herrschte, aber sie verließ sich darauf, dass ihr Herz ihr sagen würde, wenn sie am Ziel wäre.
Als sie sich dem letzten Kerker näherte, packte der wache Söldner sie unversehens und hielt sie mit seinen groben Ranken fest, während er sie verhöhnte: "Na, suchst du ein neues Kämmerlein? Wollen doch mal sehen ob wir nicht ein neues Quartier für dich finden können."
Er entriegelte die Zelle und schubste sie hinein.
Im Davongehen drohte er ihr noch einmal: "Wir werden bald in den Krieg ziehen, aber sei gewiss das sich unsere Herrin nach dem Feldzug ausgiebig mit dir befassen wird. Wenn du dann noch lebst, denn es könnte sein, dass man dich und den Rest des Gesindels hier unten vergisst." Sprach so und schlug die Kerkertür hinter sich zu.
Niedergeschlagen lehnte sich die Prinzessin an die eiskalte Kerkerwand.
Konnte es wirklich sein, dass sie so weit gekommen war, nur um jetzt zu scheitern? Ihre Zuversicht, die sie bis hierher begleitet hatte, begann zu schwinden; sie glitt an der Wand entlang nach unten und begann leise zu weinen. Um sich, ihren Prinzen, ihre Eltern, ihr wohlgeordnetes Leben.
Doch plötzlich spürte sie ein Zupfen an ihren Wurzeln und hörte eine leise, vertraute Stimme, nach der sie so lange gesucht hatte und die sie schon verloren glaubte, ihren Namen nennen. Sie fuhr auf und tastete um sich, glücklich trotz der schier ausweglosen Lage, denn sie hatte ihren Prinzen erkannt; etwas angetrocknet zwar, ob der fehlenden Nahrung, aber er war es und nichts anderes zählte jetzt.
Überglücklich fielen sie sich in die Ranken, herzten und küssten einander. Für einen kurzen und wunderbaren Moment schien ihnen alles möglich. Aber die Realität holte sie nur allzu bald wieder ein: Sie saßen fest in Feindesland und um sie herum lag Krieg in der Luft, der ihre Länder zu verheeren drohte.
Nichtsdestotrotz wollten sie nicht aufgeben. Sie hatten beide füreinander Gefahren auf sich genommen, da konnte es doch nicht der Wille des Schicksals sein, dass sie sich nur gefunden hatten, um nun gemeinsam unterzugehen.
Sie mussten zu Kräften kommen und von hier fliehen.
Nur wie?
In diesem Moment höchster Not fiel der Prinzessin die zweite Gabe der Petersilienfee ein.
Sie erzählte ihm von dem geheimnisvollen Samenkorn und endete mit den Worten: „Ich weiß nicht, ob es uns wirklich helfen kann, aber einen besseren Zeitpunkt, es herauszufinden wird es wohl nimmer mehr geben.“
Sie pflanzten also das Körnchen in den Dreck des Zellenbodens.
Was dann geschah, konnte keiner der beiden so recht glauben:
Ein sanftes Glühen breitete sich um die Pflanzstelle herum aus und erhellte die Finsternis ein wenig. Endlich konnten die beiden Verliebten einander wieder ansehen. Aber das Wunder war damit noch nicht vorbei:
Vor ihren Augen wuchs ein schlankes, grünes Bäumchen mit silberfarbenen Blüten aus dem Boden, von dessen Blättern kristallklarer Tau in die Blütenkelche tropfte.
Das Samenkorn der Petersilienfee hatte sie gerettet, denn nun mussten sie nicht mehr verdursten. Sie tranken ausgiebig vom süßen Tau und benetzten auch ihre Wurzeln damit. Dann schliefen sie Arm in Arm ein.
Als sie erwachten, fingen sie an zu überlegen, wie sie sich befreien und ihre Königreiche warnen konnten. Aber es fiel ihnen nichts ein. Sie konnten nur abwarten. Abwarten, ob die Hopfenhexe in den Garten einfiel; abwarten, wie die Invasion ausging; abwarten, was dann geschah.
Abwarten und bereit sein.
Im Garten hatten sich derweil die beiden Heere auf den Weg gemacht und waren durch den Gelbwald marschiert. Auf der Lichtung der Kümmelkobolde kam es zum Zusammentreffen.
Die friedlichen Kobolde waren schon durch den Lärm der anrückenden Armeen gewarnt worden und hatten sich in eine Erdhöhle geflüchtet. Sie weinten vor Angst und Zorn über die rohe Invasion ihrer heimatlichen Lichtung.
Rote und Grüne Gemüse standen sich zum ersten Mal seit vielen Generationen gegenüber. Aufgeregt raschelten sie mit ihren Blättern um den Feind zu beeindrucken sich selbst Mut zu machen. Ihre Feldherren wollten soeben den Befehl zum Beginn der Schlacht geben, als aus den Baumkronen auf einmal ein helles Licht auf den Boden fiel.
Alle rissen die Köpfe hoch und vergaßen kurz, warum sie hier waren, als eine wunderschöne grüne Pflanze mit weißen Wurzeln zu ihnen herunter schwebte.
Obwohl sie nichts rotes an sich hatte, wurde sie von den roten Gemüsen nicht als feindlich wahrgenommen, noch hielten die Grünen sie für eine der ihren.
Wie ihr euch sicher denken könnt, war es Grünlinde, die Petersilienfee, die jetzt einschritt.
Ihre Aufgabe war zwar eigentlich nur, verliebten Paaren Hilfestellung zu leisten, doch sie hatte das Kriegsaufgebot beobachtet und bei sich gedacht, dass es für die Liebenden bestimmt eine enorme Hilfe wäre, wenn ihre Familien und Freunde einander nicht gegenseitig niedermetzelten.
Also gab sie ihren Beobachterposten auf und mischte sich ins Geschehen ein.
Sie ließ sich auf einem Ast nieder, der nur wenig über den Köpfen der versammelten Heere aus einem Baum spross und hielt dabei eine Daturablüte, die ihr als Sprachrohr dienen sollte.
Sobald sie sah dass sie alle aufmerksam ansahen, begann sie zu sprechen:
„Haltet inne!! Hass und Zwietracht sind mir fremd und helfen euch nicht weiter! Hört auf meine Worte: Weder haben die roten Leute eure Prinzessin, noch die grünen Leute euren Prinzen betört und entführt.
Eine Bedrohung wartet auf euch alle außerhalb des Gartens und hat die Königskinder schon erfasst. Ihr müsst nun Hass und Zwietracht zwischen euch beenden, denn nur gemeinsam könnt ihr die Gefahr besiegen und nur dann werdet ihr eine Chance haben, eure Thronerben zu retten.“
Alle lauschten gebannt den eindringlichen Worten. Sogar die Kümmelkobolde waren während der Ansprache aus ihrer Höhle gekommen und standen nun inmitten der vielen vielen Gemüse auf ihrer Lichtung.
Nachdem die Petersilienfee geendet hatte, war es still auf der Lichtung. Alle wussten, was getan werden musste, aber keine Seite wollte den Anfang machen.
Da trat aus den Reihen der Grünen eine stämmige Gestalt hervor. Es war der Paprikaminister. Er, der beide Seiten kannte, wollte nun die so lange Getrennten im gemeinsamen Ziel einen.
Erwartungsvoll schauten ihm die Grünen hinterher.
Erwartungsvoll schauten ihm die Roten entgegen.
Er holte tief Luft und tat etwas, was seit Urzeiten niemand mehr aus den Reihen der grünen Gemüse gemacht hatte: er verbeugte sich vor König Tomate.
Der König staunte und nickte ihm huldvoll zu.
Paprika hub an zu reden und sprach von seinem Volk, das er liebte; von seinem Königspaar, dem er diente und von der Prinzessin, die von allen so sehr geliebt wurde, dass sie bereit gewesen wären, zu sterben und zu töten, um sie zu retten.
Er sprach von seinen Aufgaben und wie diese es ihm möglich gemacht hatten, auch das Rote Reich kennenzulernen und zu sehen, dass es seinem eigenen ähnlich war. Von der Ehrerbietung des Volkes gegenüber dem Königshaus und der Bewunderung, die dem Prinzen zuteil wurde und die der Verehrung seiner Prinzessin so glich.
Er sprach indes so laut, dass alle ihn hören konnten und wenn auch generationenlanges Misstrauen sich nicht in wenigen Momenten auflösen ließ, so hörten doch alle die tiefe Wahrheit aus seinen Worten heraus und begriffen, dass der Feind zwar existierte, aber im Moment nicht auf dieser Lichtung war.
Als er geendet hatte, schwiegen alle.
Sie waren ergriffen, aber da war auch noch etwas anderes: sie waren ratlos. Sie hatten begriffen, dass sie einen gemeinsamen Feind hatten, nur wusste niemand, wer das war.
Da erklang noch einmal die Stimme der Petersilienfee: „Folgt der magischen Findelranke. An deren Ende werdet ihr die Prinzessin finden und mit ihr, wen sie gefunden hat.“
Nun wurde nicht mehr viel geredet, es wurde vielmehr marschiert. Die gewaltige Menge an kampfbereiten Pflanzen stapfte dahin und ließ schon bald den Gelbwald hinter sich.
Und obwohl Marschdisziplin herrschte, vermischten sich hie und da rote und grüne Truppen, so dass es von oben bald aussah, als würde ein rotgrüner Flickenteppich über das Land wogen.
Ein Flickenteppich mit braunen Sprengseln, denn selbst die Kümmelkobolde hatten ihre Ängste überwunden und sich dem Heer angeschlossen.
So zogen sie schon eine geraume Weile dahin, als sie plötzlich auf Wesen stießen, die sich keiner von ihnen selbst in den schlimmsten Alpträumen hätte ausmalen können.
Konnten das Pflanzen sein?
Die Kreaturen waren groß und rund und weiß und sie hatten nicht nur einen Stamm, sondern gleich vier. Der Geruch, der von ihnen ausging, trieb allen das Harz in die Augen. Die Wesen stapften auf ihren vier Stämmen auf der Wiese umher und fraßen das Gras auf und mitunter ertönten aus ihnen Geräusche, die die Gemüse vor Schreck fast verwelken ließen.
Aber bald merkten sie, dass die merkwürdigen Gesellen keine Anstalten machten, das Heer anzugreifen. Sie schienen es nicht einmal zu bemerken. Das würde allerdings bestimmt nicht so bleiben, wenn Tausende von Gemüsen direkt an ihnen vorbeimarschierten. Es musste also jemand mit ihnen reden und so wurde der bewährte Paprikaminister vorgeschickt zur Kontaktaufnahme. Er trat vor und rief hinauf: „Heda, ihr weißen Gesellen! Wir wollen euch nichts Übles, sondern nur euer Land durchqueren.“
Da erschollen ihre schrecklichen Stimmen im Chor, denn es war ihnen unmöglich einzeln zu antworten: "Wiiiir siind die knoooolligen woolliiiigen Schaaaafsnaaaasen. Wir sind aaaauf der Suuche nach Futttaa, und am liebsten fressen wiiir Pflaaaanzen. Nuuun scheiiint es als ooob uuunsere Suuuche eeeein Äääände hat."
Da erzitterten die Gemüse und sie begriffen, dass sie sich aufs Verhandeln verlegen mussten wollten sie einem schrecklichen Ende entgehen.
Wieder ergriff der Paprikaminister das Wort und mühte sich um Festigkeit in der Stimme:
"Seht, ihr könnt uns natürlich einfach auffressen…“
Schon stürzten die ersten Schafsnasen vor und ein Schreckensschrei entfuhr den Gemüsen, aber der Minister sprach schnell und mit lauter Stimme weiter: „Jedoch, was hättet ihr davon? Wir wären dann weg und ihr satt, aber morgen wären wir immer noch weg und ihr wieder hungrig.
Ihr könntet uns aber auch verschonen oder uns sogar helfen. Als Dank könntet ihr soviel Futter von uns haben, dass ihr nie wieder Hunger leiden müsst.“
Da horchten die knolligen wolligen Schafsnasen auf und baten den Minister mit seiner Geschichte fortzufahren und alles genau zu erklären. Der Minister erzählte also von den verschwundenen Königskindern und der gemeinsamen Mission, von der niemand genau wusste, wie sie eigentlich aussah. Aus diesem Grund wäre jede Hilfe willkommen.
Er redete auch vom Gelbwald, der die Eigenschaft hatte, schnell und unermüdlich nachzuwachsen und bot den Schafsnasen an, ihn jederzeit abfressen zu dürfen.
Das gefiel den wolligen Tieren und sie fragten, wie ihre Hilfe aussehen sollte.
"Ihr sollt für uns" sprach der Paprikaminister. "für uns den Weg freimachen mit eurer Gabe des Fressens. So kommen wir schneller voran. Nur diese Ranke hier fresst nicht, denn sie weist uns den Weg."
Das schien den Schafsnasen ein sehr annehmbarer Vertrag, denn er brachte ihnen nur Vorteile.
Sie machten sogar selbst den Vorschlag, sich die Gemüse auf den Rücken zu laden. So würden alle schneller vorankommen und es bestünde keine Gefahr, dass man aus Versehen einen neuen Verbündeten verschlingt.
Die Gemüse waren einverstanden und sahen dabei sogar über den Geruch ihrer seltsamen neuen Gefährten hinweg.
Die solcherart gewachsene Streitmacht marschierte, oder besser gesagt: stampfte also weiter über das Land. Stunde um Stunde liefen die Schafsnasen unermüdlich und viel schneller als unsere Prinzess Bohna sahen sie das Hopfenfeld vor sich aufragen.
Die kleine Bellis zog sich beim Anblick dieses absonderlichen Heeres vor Furcht bebend unter die nächstgelegenen Grashalme zurück und betete um ein Wunder.
Die Schafsnasen hingegen informierten den Paprikaminister, dass dort, wo die hohen düsteren Pflanzen aufragten, die Findelranke endete.
Der Minister gab diese Nachricht an alle Gemüse weiter und alle begriffen: Sie waren am Ziel der Reise angelangt.
Den Schafsnasen kamen diese Pflanzen bekannt vor und sie erzählten den Gemüsen, dass sie dieses Feld noch nicht abgefressen hatten, weil es dort so seltsam roch, aber für schlechte Zeiten hatten sie es sich gemerkt. Auch, dass allenthalben gemunkelt wurde, dass Pflanzen dorthin entführt wurden und nie wiederkamen, wussten sie zu berichten.
Nach kurzer Beratung kamen alle überein: Dort mussten die Königskinder sein. Das war der Ort, den zu finden sich alle aufgemacht hatten.
Der Paprikaminister ließ die Gemüse absitzen und gab das Kommando: „SCHAFSNASEN GREIFT AAAAAAAAAAAAN!! FRESST SIE NIEDER!“
Die Schafsnasen stürmten voran und ließen ihr schreckliches Geblöke zum Himmel erschallen.
Sie waren so schnell, dass im Hopfenreich keine Zeit blieb zu reagieren.
Sie stampften und stapften, kauten, rissen und malmten, was ihnen zwischen die Zähne kam.
Als die Spinatwachen endlich begriffen, was diese Stampede für eine gewaltige Bedrohung darstellte, war es schon zu spät. Sie versprühten Susannes Rauschtrank als letzten Versuch die Horden aufzuhalten. Damit aber erreichten sie nur, dass ihre eigenen Truppen berauscht umfielen, noch bevor die Schafsnasen sie erreichen konnten.
Die Hopfenhexe selbst konnte nichts ausrichten gegen die gewaltige und hungrige Übermacht. Statt zuzusehen, wie ihr Reich in den Bäuchen der wolligen Ungeheuer verschwand, suchte sie ihr Heil in der Flucht.
Doch sie kam nicht weit – ein vorwitziges Böckchen schnappte nach ihr und noch ehe sie um Gnade flehen konnte, war sie schon verschluckt.
Die Gemüse schwärmten hinter den Schafsnasen aus und suchten nach den Königskindern. Sie wendeten jedes Hopfenblatt, das den Tieren entgangen war und schauten unter jeden Stein, bis sie endlich den Eingang zu den Verliesen fanden. Sofort wurden die Verliestüren geöffnet und alle Gefangenen, die noch am Leben waren, waren wieder frei.
Einige waren schon so lange dort unten festgesetzt, dass sie an den Blatträndern begannen, braun zu werden, für andere kam jede Hilfe zu spät.
Türe um Türe wurde geöffnet, Verlies um Verlies leerte sich der Kerker. Schon sank allen die Hoffnung, als plötzlich „Hurraaaaaaaaaaaaaaaaa!“ ein Freudenschrei aus dem schauerlichen Gewölbe erklang. Der Paprikaminister höchstselbst nämlich hatte den Suchtrupp in die Gefangenenquartiere angeführt und so war er auch derjenige, der die letzte Tür geöffnet und dahinter etwas erblickt hatte, das für ihn einem Wunder gleichkam:
Der Möhrchenprinz und die Prinzess Bohna, gefangen, aber lebendig und hinter ihnen ein leuchtendes Bäumchen, das sogar Blüten trug, mitten im Verlies!
Bevor die beiden sich noch fassen konnte, packte er sie und zog sie nach draußen.
Als die Gemüse sahen, dass die beiden gesund und wohlbehalten waren, brach ein ungeheurer Jubel los. Die Angehörigen beider Armeen lachten und klatschten. Die Königspaare vergossen indes Tränen der Erleichterung und umarmten ihre zurückgekehrten Kinder voll Inbrunst.
Als die Aufregung sich gelegt hatte, standen die Angehörigen der beiden Gartenreiche allerdings inmitten des Chaos, das die Schlacht hinterlassen hatte und wussten nicht, wie sie fortan miteinander umgehen sollten.
Konnte man denn generationenalte Konflikte einfach so über Bord werfen? Hinter sich lassen? Sollte man das überhaupt? Sie waren ratlos. Das Grauen aus dem Gelbwald hatte sich als Ihresgleichen herausgestellt. Es war eine seltsame Situation.
Da lösten sich Prinzess Bohna und der Möhrchenprinz von ihren Eltern und wandten sich einander zu. Sie sahen sich tief in die Augen und traten dann Ranke in Ranke vor ihre Völker.
Die Prinzessin sprach als erste: „Ihr guten Gemüse“ rief sie. „Wir danken euch sehr. Wir verdanken euch unsere Freiheit und unser Leben. Nur weil ihr mutig und stark wart, können wir hier vor euch stehen und zu euch sprechen.“
„Aber“ rief da der Prinz. „Wir verdanken euch auch EURE Freiheit und EUER Leben. Wärt ihr nicht losgezogen, uns zu suchen, hätte die Herrin des Hopfens wohl beide Reiche erobert.
Wir bitten euch – lasst euch nicht einschüchtern von alten Geschichten. Seht uns an – wir lieben uns und wollen mit euch gemeinsam einen Garten ohne Grenzen bewohnen.“
Stille folgte diesen Worten.
Doch dann klatschte erst einer, dann noch einer, dann fielen gleich mehrere ein und plötzlich brandete Applaus und neuerlicher Jubel zum Himmel auf.
Sogar die Schafsnasen blökten und stampften begeistert.
Da drehten sich die Königskinder zu ihren Eltern um und blickten sie bange an. Denn letztlich lag die Entscheidung bei ihnen. Und für sie war es viel schwerer, sich zu überwinden. Das Volk hatte vor kurzem nicht gewusst, dass es noch andere ihrer Art gab. Die Herrscherfamilien aber lebten seit Generation nicht nur in dem Wissen um die anderen, sondern in Furcht vor ihnen.
Aber als sie die jungen Leute vor sich stehen sahen, aufrecht und stark und entschlossen, ihren Weg gemeinsam zu gehen… da entschieden sie einmütig und ohne Zögern, die beiden nicht länger zu hindern, ihr Glück zu finden.
Der Kohlrabikönig fasste sich als erster, räusperte sich und sagte: „Ihr braucht nicht länger getrennt voneinander sein, denn unseren Segen habt ihr. Eure Liebe konnte nicht durch Gefahren besiegt werden und soll nun nicht zerstört werden durch die Sturheit von uns Alten.“
Und auch des Möhrchenprinzen Eltern wollten nicht zurückstehen und gaben den Liebenden gerührt ihr Einverständnis.
Sie gingen sogar noch einen Schritt weiter und beschlossen, den Garten wieder zu einem Königreich zu machen, über das nach ihrer Hochzeit ihre Kinder herrschen sollten.
In dem ganzen Trubel hatten alle die Kümmelkobolde vergessen, die am Rande der fröhlichen Menge standen. Sie sahen und hörten, seufzten und berieten sich und fassten einen Entschluss. Der Mutigste unter ihnen – daran erkennbar, dass die anderen ihn einfach nach vorne schubsten – räusperte sich laut und vernehmlich und als das ungehört verhallte, trat er ganz von alleine todesmutig vor die königlichen Familien.
Das Reden und Lachen verklang, als alle Blicke sich gespannt auf den Kobold richteten, der das Wort ergriff:
„Verehrte Gemüse, wir freuen uns, dass für euch alles gut ausgegangen ist und ihr wieder zusammenfügt, was nie hätte getrennt werden dürfen. Aber wir Kümmelkobolde leben seit Wurzelgedenken im Gelbwald auf unserer Lichtung. Sie war unser Zuhause und unsere Zuflucht und sie wird bald nicht mehr existieren, wenn erst die Schafsnasen Einzug halten.“
Bekümmertes Schweigen folgte diesen Worten.
Bei all dem Jubel und der Freude über den gelungenen Feldzug hatte niemand mehr an die tapferen Winzlinge gedacht.
Bevor aber allgemeine Trübsal um sich greifen konnte, sprach der Kümmelkobold schon weiter.
„Trotzdem sind auch wir glücklich über den guten Ausgang des großen Abenteuers und wollen daher nicht klagen. Stattdessen geben wir unsere Zurückgezogenheit auf und wollen mit euch zusammenleben. Unseren Anistrank können wir weiter brauen, wenn wir ein Eckchen des Gartenreiches bewohnen dürfen. Von dort aus wollen wir einen Handel aufbauen, der den Wohlstand des Königreiches mehren soll.
Die Stelle jedoch, an der sich noch unsere Lichtung befindet, wollen wir Prinz und Prinzessin als Baugrund für ihre gemeinsame Residenz schenken, denn dieser Flecken befindet sich genau auf halbem Wege zwischen Rübenburg und Salatschloss.
Natürlich nur, wenn ihr einverstanden seid.“
Nach diesen Worten schwieg die Menge erneut. Diesmal allerdings nur kurz und niemand machte ein bekümmertes Gesicht.
Es dauerte auch nur wenige Augenblicke und erneut konnte man Jubel und Applaus hören, als alle ihr Einverständnis bekundeten.
So fröhlich klangen alle, dass sogar die kleine Bellis, die ihr Wunder bekommen und die Stampede überstanden hatte, sich unter den Grashalmen hervorwagte und ein glückliches Wiedersehen mit ihren Familienmitgliedern feiern konnte.
Nachdem der Jubel verklungen war, saßen alle Gemüse, Kümmelkobolde und auch Bellis und ihre Verwandten wieder auf die Schafsnasen auf und Heißa! ging es im Schafsgalopp zurück in den Garten.
Dort angekommen, zogen die Blumen vorübergehend zur Prinzess Bohna, während die Kümmelkobolde beim Möhrchenprinzen unterkamen. Die Schafsnasen hingegen machten sich umgehend daran, den Gelbwald abzufressen.
Und so hungrig sie auch waren und wie eifrig sie auch mampften, es gelang ihnen nie, das Dickicht zur Gänze abzukauen. So fraßen sie immer wieder neue Gänge und Alleen hinein, deren Verlauf sich von einem Tag auf den anderen ändern konnte.
Ein Phänomen, von dem die Gartenbewohner nie genug bekommen konnten, machte es doch die Durchquerung zu einem Abenteuer. Allerdings zu einem ungefährlichen und kurzweiligen Abenteuer.
Nur die frühere Lichtung der Kümmelkobolde und die Wege, die dahin führten, hielten die Schafsnasen peinlichst frei von der Gelbpflanze, denn dort entstand ein wunderschönes, aus roten Knollen und grünen Blättern bestehendes Schloss für das zukünftige Königspaar. Jeder, der etwas von Pflanzenarchitektur verstand, half mit und niemand scherte sich mehr um die Blattfarbe seines Nachbarn.
So kam es, dass schon nach wenigen Monaten eine große rauschende Hochzeit gefeiert wurde mit vielen Geschenken, darunter ein Krüglein Anistrank und ein Wandteppich aus streng riechenden Locken. Die Bellisfamilie webte ein wunderschönes Brautkleid aus Timotheusgras und schenkte es der Prinzessin für ihren großen Tag.
Zwei weitere Geschenke müssen hier noch besonders erwähnt werden.
Eines war eine Kinderwiege, die auf höchst wunderbare Art gefertigt war: Man konnte nicht sehen, ob sie geflochten, geklebt, gezimmert oder anders von Hand gemacht worden war. Sie sah aus, als wäre sie in einem Stück so aus dem Boden gewachsen, wie sie im Thronsaal stand.
Die Wiege war ein Geschenk der Petersilienfee.
Das zweite Geschenk war ein exquisites Büchlein aus verschiedenfarbigen gepressten Blättern, in welchem die Geschichte des Königreiches, welches lange zweigeteilt war und schließlich wieder zu einem zusammenwuchs aufgeschrieben war.
Diese Gabe kam von einem anderen Paar, das vor kurzem Hochzeit gehalten hatte – nämlich Kohlkopf und Radies. Die beiden, die eigentlich mit den Thronfolgern verlobt gewesen waren, hatten sich nicht nur in ihr Schicksal gefügt, sondern obendrein auch noch Gefallen aneinander gefunden.
Der Möhrchenprinz und die Prinzess Bohna aber lebten in Eintracht und Harmonie in ihrem Palast und herrschten vorausschauend über ihr Reich. Sie hatten Höhen und Tiefen, stritten und lachten, verzweifelten und fassten neuen Mut.
Ihren buntschaligen Kindern brachten sie bei, niemals Angst vor jemandem zu haben, nur weil er anders aussieht.
So lebten sie also alle ihr Leben und mussten auch durchaus noch das eine oder andere Abenteuer meistern.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Ende .
								Einst gab es eine Zeit,in der die Pflanzen noch miteinander sprachen.
Sie lebten beisammen in Wäldern, Feldern und Wiesen.Sie liebten und hassten einander, lachten und weinten wie es heute die Menschen tun. Auch waren ihnen Kriege, Intrigen, Tragödien und Romanzen nicht fremd. Sie trockneten herabgefallene Blätter und schrieben ihr großes Wissen darauf nieder.
Die klügsten unter den Pflanzen jedoch beschlossen eines Tages, einen Ort zu schaffen, an dem sie in Frieden leben konnten. Einen prachtvollen Ort voller Harmonie und Weisheit. Dort wollten sie einen der ihren zu ihrem Oberhaupt wählen und unter seiner Führung alles Wissen der Welt ansammeln. Und alle anderen Pflanzen sollten an diesen Ort kommen können, um zu lernen.
Sie zogen los und fragten die Bäume, ob sie sich ihnen anschließen wollten. Die Bäume jedoch verneinten. "Wir wollen lieber an allen Plätzen der Erde die Hüter und Bewacher allen Lebens sein. Wer immer ein schattiges Plätzchen sucht, soll sich unter unseren Häuptern einfinden und wird erquickt werden. Nein, wir ziehen unsere Wurzeln nicht aus dem Erdreich".
So zogen die klugen Pflanzen also weiter und kamen an eine Wiese. Sie baten die Grashalme, ihnen zu folgen, doch auch die lehnten ab: "Nein, wir kommen nicht mit. Unser Samen soll sich überall auf der Welt niederlassen und wer müde Glieder hat, soll in uns ein Kissen finden, sich auszuruhen."
So sprachen sie und blieben an ihrem Platz. Auch die Feldblumen wollten nicht mitkommen, denn ein jedes Lebewesen, das Ermunterung brauchte, sollte sich an ihrem Anblick laben können.
Die klugen Pflanzen zogen also weiter, bis sie einen Ort fanden, der ihnen ideal für ihr Vorhaben erschien. In der Ferne sahen sie einen Wald dunkel sich erheben und Wiesen in der Sonne leuchten. Ein kühler Bach plätscherte munter daher und die Pflanzen fanden den Platz so anheimelnd, dass sie beschlossen hier ihren Ort des Friedens zu errichten.
Da die Nacht schnell hereinbrach, setzten sie sich zusammen, aßen, tranken und sangen und beratschlagten über einen Namen für die neue Heimat. Schnell einigten sie sich auf "Garten", in ihrer Sprache ein Begriff für einen Ort der Stille, Einkehr und Besinnung. Jede Pflanzenfamilie sollte einen eigenen Bereich - ein Beet - erhalten, in dem sie ihre Weisheiten und Künste vervollkommnen und weitergeben sollte. Aber keine Pflanze sollte höher stehen als die anderen mit Ausnahme des gewählten Oberhauptes, welches über das Wohl der Gemeinschaft wachen sollte. Dieser Anführer aber sollte sich mit den Pflanzen besprechen und jedes Jahr von allen neu gewählt werden.
Am nächsten Morgen zogen die Pflanzen wohlgemut ihre Wurzeln aus dem noch taufeuchten Erdreich und gingen daran, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Schnell waren Kiesel gesammelt, um Beete zu bauen und trockene Zweiglein aus dem Wald geholt, den Garten zu um grenzen. Die Gemüse, wie sie sich nunmehr nannten - ein altes Wort, welches "die Erhabenen" bedeutet - lebten glücklich und harmonisch.
Bald jedoch schlich sich erste Unzufriedenheit in den Garten ein. Jede Familie wollte bei der alljährlich stattfindenden Wahl des Oberhauptes den neuen Anführer stellen und so suchten sie sich gegenseitig zu überbieten. Sie flüsterten Versprechen in geneigte Knospen und bestachen die Zaudernden mit ganzen Blütenkelchen frischen Morgentaus.
So kam der Tag, an dem der gesamte Garten in zwei erbitterte Lager gespalten war.
Da waren auf der einen Seite die Anhänger der Aubergine, die weit gereist war mit ihrer Sippe und sich entschlossen hatte, in den Garten zu ziehen, nachdem sie die Welt gesehen hatte.
Ihnen gegenüber standen die Freunde des Brokkoli, der durch das Studium vieler Blätter Weisheit erworben hatte. Die beiden Parteien waren etwa gleich stark und keine wollte nachgeben. Ihre Anhänger standen sich unerbittlich gegenüber.
Niemand weiß, wie es letztendlich dazu kam und welche Seite den Anfang gemacht hat, aber es endete im Krieg. Pflanze gegen Pflanze. Der Hass raste durch die Beete und zerstörte, was sich ihm in den Weg stellte. Erbarmungslos schlugen Pflanzen einander nieder und verschwendeten keinen Gedanken daran, wer noch da wäre, sich anführen zu lassen, wenn erst alle vernichtet waren.
Aber auch dieser Krieg endete, wie alle Kriege vor und nach ihm. Die überlebenden Gemüse waren schwach und krank, jedoch immer noch voller Zorn. Sie schworen, mit der jeweils anderen Seite nie wieder etwas zu tun haben zu wollen und zogen einen breiten Trennstreifen durch den Garten. Auf der einen Seite des Gartens lebten fortan die roten Gemüse, auf der anderen Seite die grünen.
Im Laufe der Zeit kam eine neue Pflanzenfamilie in den Garten und bevölkerte den Trennstreifen zwischen den verfeindeten Gebieten. Diese Pflanze wurde von beiden Seiten akzeptiert, war sie doch weder rot noch grün, sondern gelb. Sie breitete sich aus und wurde zu einem geheimnisvollen Dickicht, dem Gelbwald. Niemand betrat diesen Wald, hieß es doch, dass geheimnisvolle Gestalten dort hausten und jeden, der ihnen zu nahe kam, aufs schrecklichste verfluchten. Außerdem wurde gemunkelt von seltsamen Vorgängen; Wanderern die niemals zurückkehrten oder wenn doch, völlig verändert waren.
So wurde der Gelbwald gemieden und nach und nach vergaßen die Gemüse, dass es noch eine andere Seite gab.
Nur die Oberhäupter beider Seiten, die Könige, vergaßen es auch nach vielen Jahren nicht. Und obschon sie keinen Krieg mehr anzettelten, behielten sie doch in Erinnerung, dass auf der anderen Seite des Gelbwaldes Gemüse hausten, die ihnen übel wollten, wie sie meinten.
Sie gaben das Geheimnis ihren Kindern weiter, die nach ihnen herrschten, mit der Ermahnung, es niemals zu vergessen.
Die beiden Reiche blühten und gediehen. Die Gemüse lebten zufrieden, beherrscht und behütet von Königen und Königinnen, die bestrebt waren, ihre Untertanen vor Üblem zu bewahren und ohne zu wissen, dass es außerhalb des eigenen Beetes eine Welt gab, die darauf wartete, dass man sie betrat. Die Hoffnung, mit der der Garten gegründet worden war, war im Verlauf der Generationen einer zufriedenen Trägheit und gediegenen Langeweile gewichen, ohne dass die Pflanzen sich dessen bewusst waren. Aber dann, nach so vielen Jahren, dass nur die Weisesten imstande sind sie zu zählen, begab sich etwas, das die Hoffnung in den einst gesegneten Ort zurückbrachte.
Es trug sich eine Geschichte von Liebe und Mut zu:
Die Geschichte vom Möhrchenprinzen und der Prinzess Bohna
Viele Jahre nach dem Großen Gartenkrieg, aber noch lange vor der Zeit, in der ich euch dies erzähle, herrschte im Beet der roten Gemüse König Tomate mit Königin Rote Bete an seiner Seite. Dieses Königspaar lebte in der Rübenburg, dem größten Bauwerk im gesamten Reich. Die Königin hatte ihrem Gemahl dereinst einen schönen Sohn geschenkt, den Möhrchenprinzen, eine stattliche Erscheinung mit glänzendem Schopf, bei dessen Anblick die Mägde verträumt seufzten. Die Bürgertöchter dagegen ließen ihre Taschenblätter fallen, damit er sie ihnen aufhob und blickten ihn dabei verliebt an. Seine Eltern suchten ihm unter den Mädchen eine passende Braut aus: Radies sollte er freien, wenn er erst großjährig wäre, war sie doch das schönste rote Gemüse weit und breit und ihr Liebreiz wurde von den Dichtern gerühmt. Der Prinz willigte ein, denn er konnte sich nicht vorstellen, eine noch schönere Frau zu finden als das anmutige Radieschen. Auch Radies‘ Eltern waren einverstanden, denn durch die Heirat mit dem Möhrchenprinzen würde ihre Tochter einst Königin sein. Die Hochzeit wurde beschlossen und sollte einen Monat später stattfinden. König Tomate besprach sich mit seiner Frau und sie kamen überein, dem Prinzen am Tag nach der Hochzeit die Wahrheit über die Geschichte des Gartens und das Volk jenseits des Gelbwaldes zu sagen. Bis dahin aber sollte sein Leben unbeschwert von der Bürde der Verantwortung sein. Sie beschlossen das in dem Glauben, dass es das Beste für ihren Sohn und das Königreich wäre.
Auf der anderen Seite des Gelbwaldes herrschte zur gleichen Zeit der Kohlrabikönig über die grünen Gemüse. Seine Frau war die liebliche Rosenkohl. Dieses Königspaar hatte eine Tochter, Die Prinzess Bohna, die nach ihren Eltern über das Beet herrschen sollte. Die Bohnfolgerin war von schlanker, hellgrüner Gestalt und Nacht für Nacht stahlen sich die jungen Peperonis unter den Augen der Wache durch und sangen verliebte Lieder unter dem Fenster der Prinzessin. Der Kohlrabikönig ließ die treue Gurkengarde des Nachts verstärkt um das Salatschloss patrouillieren, in welchem die königliche Familie lebte. Aber es nützte nichts. Schon bald fanden die feurigen Galane Möglichkeiten, den Wächtern zu entgehen und wieder erklangen Liebesgesänge aus dem Schlosshof.
Das Königspaar entschied sich, die Tochter zu verheiraten und suchte unter den Bewerbern den vielversprechendsten aus. Es war dies der reiche Kohlkopf, der sich ob dieser Ehre erfreut zeigte und gelobte, an der Seite der Prinzess Bohna dereinst ein gütiger Herrscher zu sein. Auch Kohlrabi und Rosenkohl kamen überein, ihrer Tochter erst nach der Heirat zu eröffnen, welch schweres Erbe und große Verantwortung auf den Schultern des zukünftigen Königspaares lasten würde. Ebenfalls sollte sie dann von der wirklichen Aufgabe des Paprikaministers erfahren, der ein Spion in des Königs Diensten war. Weil er nämlich die Farbe wechseln konnte und die geheimen Wege durch den Gelbwald kannte, schlich er regelmäßig heimlich und im Schutze der Nacht in das Rote Reich und erstattete Bericht. So war der Kohlrabikönig immer rechtzeitig im Bilde über die Vorgänge im anderen Land.
Aber als der Prinzessin eröffnet wurde, wer ihr Gemahl sein sollte,antwortete sie: "Nein,ich werde ihn nicht heiraten. Niemals. Weil er hässlich ist und seine Blätter schon zu welken beginnen, werde ich nicht seine Frau werden".
Der Kohlrabi-König geriet außer sich und schimpfte und schrie. Königin Rosenkohl war ratlos und versuchte die Tochter umzustimmen. Aber weder das eine noch das andere zeitigte Erfolg. Die Prinzessin weinte und flehte, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen, aber sie blieb unerbittlich und weigerte sich, den runden Kohlkopf als Gatten zu akzeptieren.
Da schlug der Kohlrabikönig auf den Tisch und rief: "Wenn du nicht den Wegen folgst, die deine Eltern dir vorgeben, wirst du nicht länger unsere Tochter sein! Als einfache Erbse unter vielen wirst du dein Los fristen und als Magd hier im Palast bleiben. Heiratest du aber das Gemüse, dass wir für dich vorgesehen haben, so sollst du unser geliebtes Kind und Bohnfolgerin sein." Die Prinzess Bohna erschrak über diese Drohung und bekam große Angst, war sie doch von dem Tag, an dem sie spross verwöhnt worden und wusste nichts vom Leben einer Magd, außer dass es hart war. Sie willigte schließlich doch ein und erbat von ihren Eltern einen letzten Monat, in dem sie ihre Jugend genießen und sich von ihrer Kindheit verabschieden wollte. Das erleichterte Königspaar willigte ein und ließ dem Kohlkopf berichten, dass er in einem Monat die Bohnfolgerin ehelichen konnte. Dem war es recht , war er doch im Grunde seines Herzens ein gutmütiger und geduldiger Gesell.
Insgeheim aber dachte die Prinzessin an nichts anderes, als wie sie der Falle entrinnen könnte, die die Eltern ihr gestellt hatten, ohne ihre Stellung und die Liebe des Königspaares zu verlieren. So kam es, dass sie eines Tages tief in Gedanken versunken durch das Königreich spazierte und nicht bemerkte, dass sie die Grenze des Beetes überschritten hatte und sich am Rande des Gelbwaldes befand. So sehr war sie in Überlegungen über ihre missliche Lage vertieft, dass sie erst bemerkte, wo sie sich befand, als ihre Wurzeln sich in den Blättern der Gelbpflanze verfingen. Da kam sie wieder zu sich und blickte sich furchtsam um. Aus welcher Richtung sie gekommen war, wusste sie nicht mehr und ihr Beet konnte sie nirgends mehr erkennen. Die Sonne ging bereits unter und sie war hier ganz alleine am Rande des Gelbwaldes, in dem, wie jeder wusste, finstere Gestalten hausten, die ein jedes Gemüse, dessen sie habhaft werden konnten, bei lebendigem Leibe fraßen.
Erschöpft und verängstigt ließ sie sich am Rande des Dickichts nieder und weinte bitterlich, da sie sich verloren wähnte.
Am selben Tag stahl sich der Möhrchenprinz aus dem Rübenpalast davon, um den Hochzeitsvorbereitungen zu entgehen. Er hatte den ganzen Vormittag damit verbracht, sein Hochzeitsgewand auszusäen und wollte nun zur Entspannung einen Ausritt auf seinem weißen Prachtrettich - einem Geschenk seiner Patenbeere-machen. Er ritt heißblütig durch das Beet, brachte die alten Schwarzwurze dazu, ihre Blätter wütend zu schütteln und rang den Mädchen wehmütige Seufzer ab, wussten sie doch, dass er eine andere heiratete.
Radies aber schaute gleichmütig drein als sie ihn in der Ferne vorbei sprengen sah.
Als der Möhrchenprinz am Rande des Beetes angekommen war, zügelte er seinen Rettich und blickte nachdenklich zum Gelbwald hinüber. Schon immer hatte er wissen wollen, was sich dahinter befand, aber seine Eltern hatten ihm mit nervösen Blicken geboten, von anderen Dingen zu reden und nicht vorzeitig nach Wissen zu streben, das ihm noch nicht zustand.
Nun aber dachte er sich: "Ich bin ein ausgereiftes Gemüse und soll bald das schönste Mädchen im Beet heiraten. Bald werde ich über alle Gemüse in meinem Reich herrschen. Wer will mir verbieten, den Gelbwald zu betreten?" gab dem Rettich die Sporen und ritt in den Wald hinein.
Doch schon bald bereute er sein Tun, denn waren anfangs noch schmale Pfade im Dickicht zu erkennen, so sah er nach kurzer Zeit keinen Weg mehr. Er blickte über die Schulter zurück und sah... - nichts. Nur das gelbe Geflecht und Gewirr, das ihn umgab. Keine Wege zeichneten sich auf dem Boden ab, kein Sonnenstrahl drang durch das Dach aus gelben Blüten und fast vermeinte er, im Rauschen der Blätter zischelnde Drohungen zu erkennen. Da sank ihm das Mark bis in die Wurzeln.
Vorsichtig und verzagt ritt er weiter in der Hoffnung, irgendwann auf einen Pfad zu stoßen, der ihn herausbrachte. Wie lange er so dahin ritt, wusste er später nicht mehr zu sagen, aber plötzlich bemerkte er weit vor sich einen hellen Schein."Das ist doch Sonnenschein!"dachte er erleichtert und ritt frohgemut darauf zu. Doch ach, es war nur eine Lichtung, von allen Seiten von Dickicht umschlossen. Trotzdem entschied er sich, hier eine Rast einzulegen und den Stand der Sonne zu erkunden. Vielleicht fand er auf diese Weise den Weg zurück.
Als er sich aber der Lichtung näherte, da vernahm er leisen Gesang. Fremd klang es, wie er nie zuvor etwas gehört hatte. Zaghaft ritt er auf die Lichtung und blickte wie gebannt auf den Anblick, der sich ihm bot: Kleine Gestalten, die sich versammelt hatten und miteinander sangen, während sie um ein Häufchen Kapseln tanzten, von welchem ein süßer Duft aufstieg. Die kleinen Wesen waren wirklich winzig und gekrümmt. Sie waren eindeutig nicht rot, auch nicht grün, sondern hatten die Farbe der Erde und sahen auch nicht bedrohlich aus. Beim um den Haufen springen wiederholten sie immer ein Lied:
"Wir sind die Kümmel-Kobolde,
und leben verborgen im Walde
sind frohgemut und ohne Sorgen
den neuen Trank, den gibt es balde"
Dann aber erblickte einer den Möhrchenprinzen und erschrak so heftig, dass er umfiel. Da die kleinen Wesen sich beieinander eingerankt hatten, riss er seine Kumpane mit und so purzelten alle durcheinander auf den Waldboden. Als sie sich schließlich gefangen hatten, blickten sie den Prinzen furchtsam an und baten, ihr Leben und ihr Versteck zu verschonen und niemandem zu verraten. Der Möhrchenprinz wollte ihnen versichern, dass er ihnen nicht übel wollte, aber kaum begann er zu reden (für die Winzlinge klang das wie Donnerhall), schrien wieder alle durcheinander und flehten um Gnade. Der Prinz beschloss von seinem Rettich zu steigen und sich ihnen zu nähern. Da schubsten die Kümmel-Kobolde einen der ihren aus ihrer Mitte, auf den furchterregenden Fremden zu, ein Geschenk zu kredenzen, um den riesigen Eindringling milde zu stimmen.
Der kleine Kerl näherte sich zitternd und bot dem Möhrchenprinzen furchtsam einen Blütenkelch an, der mit einer wasserklaren, aber ebenso süß wie die am Boden liegenden Kapseln duftenden Flüssigkeit gefüllt war. Mit piepsiger Stimme sprach er "Mein Herr, wir sind die Kümmel-Kobolde und leben hier für uns im Wald. Wir wissen nicht wer du bist, aber wenn du uns versprichst, unser Versteck niemandem preiszugeben, dann wollen wir dir unseren erfrischend heilenden Anistrank schenken."
Der Prinz, der vor Verwunderung ganz vergessen hatte, dass er auf Irrwegen war, willigte ein und nahm aus den Händen des Kobolds einen Kelch entgegen. Als er kostete, war ihm als hätte er noch nie etwas so Merkwürdiges und gleichzeitig wohltuendes getrunken. Ja ihm wurde ganz schwindelig und plötzlich schien ihm als hätte sich die Anzahl der Kümmel-Kobolde verdoppelt. Dann wurde es um ihn dunkel.
Die Kümmel-Kobolde waren ganz ratlos: Der Möhrchenprinz legte sich vor ihren Augen auf den Waldboden und schlief ein. Hatte er denn noch nie Anistrank getrunken? Mit vereinten Kräften hoben sie ihn auf seinen Rettich und überlegten dann aus welcher Richtung er gekommen sein mochte. Da sie sich nicht einigen konnten, gaben sie dem Rettich einfach einen Klaps auf die Wurzeln und er trabte an. Froh waren sie da den Eindringling los zu sein, konnten sie sich doch nun ihren alltäglichen Angelegenheiten zuwenden.
Der Rettich lief immer weiter in die Richtung, in die die Zwerge ihn gesandt hatten und auf seinem Rücken saß der betäubte Prinz. Nach einiger Zeit lichtete sich der Wald und der Möhrchenprinz erwachte wieder. Sein Rübenschädel fühlte sich merkwürdig schwer an und er konnte sich nicht erinnern, wo er gewesen war, doch dass er sich im Gelbwald verirrt hatte, wusste er noch. So ritt er also auf das Licht zu, welches ihm den Waldrand verhieß. Dort angekommen aber verharrte er verblüfft, denn es sah ähnlich aber doch so ganz anders aus als im heimatlichen Beet. Das musste wohl die andere Seite des Gelbwaldes sein. Erst einmal schaute er sich gründlich um. Und plötzlich sah er eine Erscheinung die ihm nahezu die Sinne raubte, so unwirklich schaute sie aus.
Eine schlanke hellgrüne Gestalt saß da am Rande des Waldes und blickte ihn aus verweinten Augen ängstlich an. So etwas hatte der Möhrchenprinz in seinem Leben noch nie gesehen. Dieses Gemüse war ja ganz und gar ...grün!
So sehr er sich auch bemühte und die Augen anstrengte, er sah kein klitzekleines bisschen Rot an ihr. Doch die Erscheinung sah so lieblich und anmutig aus ,dass er sicher war, dass sie an keiner Erkrankung litt, sondern das Fehlen der roten Färbung ganz natürlich war.
Langsam ritt er auf sie zu und als sie Anstalten machte, vor ihm zu fliehen, rief er: "Bleib! Ich tu dir kein Leid an."
Da blieb sie stehen und fragte ihn, wer er denn sei, denn so ein Gemüse wie ihn habe sie noch nie erblickt.
"Ich bin der Möhrchenprinz" antwortete er auf ihre Frage. "Auf der anderen Seite des Gelbwaldes herrscht mein Vater,der König Tomate über das Beet mit den roten Gemüsen.Wer aber seid ihr, holde Maid?"Da sagte sie ihm, dass sie die Prinzess Bohna sei, Tochter von König Kohlrabi und Königin Rosenkohl und die Bohnfolgerin im Beet der grünen Gemüse.
So redeten sie und die Angst wich von ihnen und sie erkannten, dass sie sich gar nicht so unähnlich waren. Nur die Verwunderung blieb bestehen.
Der Möhrchenprinz bot der Prinzessin an, sie auf seinem Rettich zu ihrem Palast zu bringen, weil er nicht wollte, dass sie sich noch einmal verirrte.
So hob er sie also vor sich auf seine Reitpflanze und machte sich auf den Weg. Hoch oben auf dem Rücken des feurigen Rettichs konnte die Prinzessin auch die richtige Richtung ausmachen und dem Prinzen den Weg zum Palast weisen. Unterwegs genoss jeder die Nähe des anderen, denn trotz ihrer Fremdartigkeit fühlten sie sich auf unwiderstehliche Weise voneinander angezogen.
Es geschah das Undenkbare: noch ehe sie beim Salatschloss angelangt waren, hatten sie sich unsterblich ineinander verliebt und schworen sich ewige Treue und Beisammensein.
Diesen Schwur besiegelten sie mit einem zarten Kuss. Die grünen Gemüse, die das mit ansahen, waren schockiert. Jedoch nicht zu schockiert, um es schnell weiterzutratschen.
So kam es, dass die Kunde von diesem Ereignis schneller beim Kohlrabikönig war, als die beiden Liebenden auf ihrem Rettich.
Sorgenvoll beriet sich der König inzwischen mit seiner Königin, schließlich ging es ja um ihr Kind. Die Königin, immer ausgleichend und auf Frieden bedacht, versuchte ihren Mann dazu zu bewegen, um das Glück ihres Kindes willen, Frieden zu schließen um den Garten wieder zu einen, aber der König wollte davon nichts wissen.
Bald darauf traten der Prinz und die Prinzessin vor das Königspaar. Sofort wurde das Mädchen von ihrem Liebsten getrennt und in ihre Kemenate gebracht. Währenddessen erhielt die Gurkengarde Order, den Möhrchenprinzen bis vor das Torblatt zu eskortieren. Zuvor aber verlangte er zu wissen, warum er nicht einmal ein Wort des Dankes erhielt, wo er doch die Königstochter gerettet hatte. Der König blieb stumm.
Mutiger geworden sprach also der Prinz: "Nie erblickte ich ein lieblicheres Wesen als eure Tochter. Mein Herz hat sie im Sturm erobert und ich wage zu sagen, auch ich das ihre. So gestattet mir nach altem Brauch, um ihre Ranke anzuhalten."
Nun endlich schüttelte der König seine Erstarrung ab und wurde vor Zorn ganz dunkelgrün.
"Duuuu!!" brüllte er."Elender Nachfahre der Aubergine, die Krieg und Elend über den Garten gebracht hat, wagst es hier um die Ranke meiner Tochter anzuhalten?
Ja ich bin dir dankbar,das du sie mir heil wiederbrachtest und ich beweise dir meine Dankbarkeit dadurch, dass ich dich unversehrt gehen lasse und nicht Befehl gebe, deine Wurzeln abzuhacken und deine Blätter zu versengen. Nun verschwinde von meinem Beet und lass dich nie wieder diesseits des Gelbwaldes blicken."
Mit diesen Worten gab er den Gurken ein Zeichen und sie warfen den Möhrchenprinzen unter Gejohle aus dem Schloss und vom Beet.
Der weinenden Prinzess Bohna aber wurde eröffnet, dass die Hochzeit vorgezogen werde und nun schon in einer Woche stattfinden würde. Der traurige Möhrchenprinz ritt derweil in den Gelbwald hinein, wo er schnell verzagte, denn die Sonne ging schon unter und er wusste auch den Rückweg immer noch nicht.
Dass er beobachtet wurde, merkte er nicht. Auf einer Gelbpflanze saß nämlich die Petersilienfee Grünlinde und sah den Prinzen kommen. Er dauerte sie, wusste sie doch, was ihm eben widerfahren war. Also schwebte sie so leise wie eine Frühlingsbrise zu ihm herunter und hauchte ihm einen zarten Kuss in den Nacken, worauf er sofort in einen tiefen Schlaf fiel. Dann packte sie den Rettich am Zügel und brachte ihn aus dem Gelbwald hinaus bis in die Nähe der Rübenburg. Dort zwickte sie den Prinzen und verschwand lautlos. Der Möhrchenprinz aber wachte auf und sah sich wieder in seinem vertrauten Beet.
Zuerst dachte er, er hätte alles nur geträumt, aber er konnte noch den Kuss seiner Prinzess Bohna spüren. Schließlich fasste er Vertrauen in seine Erinnerungen und ritt heim in die Rübenburg zu seinen Eltern. Alle Burgbewohner erwarteten ihn schon besorgt und ängstlich, alles scharte sich um ihn, zu fragen wo er denn gesteckt habe, denn natürlich hatte keiner ihn gefunden. Der Möhrchenprinz aber entzog sich geschickt allen Fragen, weil er nur mit seinen Eltern über seine Herzensangelegenheit sprechen wollte. Er erwartete von seinen Angehörigen mehr Verständnis als es die Grüne Sippe aufbrachte, also erzählte er, wo er den Nachmittag verbrachte. Seine Abenteuer im Gelbwald mit den Kümmelkobolden, von seinem überraschenden Einschlafen, seinem noch überraschenderem Aufwachen am falschen Ende des Gelbwaldes.
Nach kurzem Zögern erzählte er auch von seinem zufälligen Zusammentreffen mit der entzückenden Prinzess Bohna, die sich auch verirrt hatte. All das erzählte er dem Königspaar, auch dass er das Reich, das ausschließlich von grünem Gemüse bevölkert war, kennengelernt hatte. Er endete mit den Worten :"Die Prinzessin dieses Reiches, ist die Frau, die ich liebe, ohne sie will ich nicht sein. Ihr Vater aber den ich förmlich um die Ranke seiner Tochter bat, warf mich unter Drohungen aus seinem Palast. So bitte ich euch, als meine Eltern und Herrscher für mich zu vermitteln, denn ich kann mir nicht denken, dass ihr nichts von dem Königreich jenseits des Gelbwaldes gewusst habt. Helft ihr mir aber nicht, so verzichte ich auf die Thronfolge und gehe zusammen mit der Frau meines Herzens, der Prinzess Bohna,weit weg von hier."
Rote Bete brach ob dieser Worte in Tränen aus und zwirbelte verzweifelt ihre Schopf blätter ineinander, König Tomate aber ward vor Zorn ganz purpurfarben. "Diese verfluchten Erben des Brokkoli haben dich umgarnt. Unsere Gelehrten haben immer prophezeit dass es mit dieser Bande von Farblosen noch einmal schweren Ärger geben würde. Aber Ach! Dass es ausgerechnet unter meiner Herrschaft geschehen muss!"
So tobte er im Thronsaal vor seiner weinenden Frau und dem verzweifelten Sohn. Schließlich war seine schlimmste Wut verraucht und er beruhigte sich wieder. Aber er war nicht gewillt seinem einzigen Sohn und Erben zu helfen."Höre mein Sohn" sprach er. "Diese Prinzessin schlägst du dir am besten schnellstens aus der Rübe. Niemals werden wir dir helfen, sie zu freien. Du wirst nach deiner Hochzeit mit Radies die ganze Geschichte über diese hinterlistigen Grünen erfahren und wie sie Not und Elend über den Garten brachten vor langer Zeit. Hätten wir dir nur vorher erzählt, was das für ein Volk ist, das da jenseits des Gelbwaldes lebt, so wärest du nicht so sorglos in ihr Beet geritten. Nun aber müssen wir dafür sorgen, dass daraus kein Schaden erwächst."
Der Prinz wollte seinen Vater unterbrechen, doch der hob sein Zeigeblatt und hieß seinen Sohn schweigen. Dann fuhr er fort: "Du wirst wie besprochen Radies heiraten. Um Schlimmeres zu verhindern, wird die Hochzeit vorgezogen und findet schon nächste Woche statt.
Das du gedroht hast, uns und das Beet zu verlassen, trifft mich tief und zeigt mir, dass du im Bann dieser grünen Hexe stehst und so wirst du zu deinem Schutz und dem Wohl des Reiches die Tage bis zur Hochzeit in deinem Gemach verbringen und bewacht werden. Nun entferne dich und lass jeden Gedanken an Flucht fahren."
So kam es, dass der Prinz in seine Kammer eingeschlossen um ihm jede Hoffnung zu nehmen, seine Prinzess Bohna jemals wiederzusehen.
Doch eine große Liebe kann nicht durch Drohungen und Verbote abgetötet werden, darum geht die Geschichte auch noch weiter:
In der folgenden Nacht, als die Einwohner beider Reiche erschöpft von Hochzeitsvorbereitungen, in tiefen Schlafe lagen, merkte niemand, wie fremde Ranken in das Rote Beet schlichen. Nicht einmal die Chilisöldner, welche die Rübenburg bewachten, sahen diese Ranken an der Rinde der Rübenburg hochklettern, so dass niemand Alarm schlug, als sie heimlich und leise in das Gemach des Prinzen eindrangen, ihn betäubten und umschlangen und sich ebenso still mit ihrer Beute auf den Rückweg machten.
Erst am nächsten Tag wurde das fehlen des Thronfolgers bemerkt. Schnell war man mit der Vermutung bei der Hand, nur die Farblosen von „da drüben“ könnten zu so einer ruchlosen Tat fähig sein. Hatten sie den arglosen Prinzen nicht schon mit ihrer Prinzessin betört?
König Tomate raste vor Zorn, Rote Bete weinte vor Ungewissheit und Angst um ihren Sohn.
Um seinen Sohn zu retten tat König Tomate etwas, das kein König vor ihm getan hatte: Er weihte das Volk in das Wissen um die andere Seite des Gelbwaldes ein.
Nun wollte er einen Feldzug ins Leben rufen um seinen Sohn zu befreien und forderte jeden treuen Untertan auf, sich anzuschließen.
Und wirklich: In Scharen strömten die roten Gemüse an jenem Tag in den Schlosshof um sich anwerben zu lassen zur Rettung des Möhrchenprinzen. Scharfe Stöcke, spitze Zweige und feste Blattschilde wurden ausgegeben um sich gewaltsam einen Weg durch den Gelbwald zu bahnen. Das gesamte Beet hallte wieder vom Kriegsrauschen der zornigen Gemüse. All dies sah der Paprikaminister. Sofort berichtete er dem Kohlrabikönig von den Kriegsvorbereitungen in der Rübenburg und auch, was der Grund für diese Aktivitäten war, nämlich dass der Prinz verschwunden war und man nun annahm, er wäre im Salatschloss eingekerkert. Daraufhin rüstete man auch im Grünen Reich für den Krieg - schließlich musste man sich ja seiner Schale wehren. Die Grünen Gemüse waren betroffen und wütend und all die, die noch nicht zu welk waren und nur ein Tröpfchen Tau in ihren Rispen hatten, meldeten sich zum Schutz ihres Beetes und nahmen ihre Waffen in Empfang.
Niemand hatte in dem ganzen Trubel bemerkt, dass die Prinzess Bohna hinter einem Wandblatt versteckt alles mit angehört hatte. Sie hatte eigentlich ihre Eltern bitten wollen, ein Einsehen zu haben und musste nun hören, dass es Krieg geben sollte zwischen den Reichen. Aber das schlimmste für sie war, dass der Möhrchenprinz anscheinend verschwunden war und niemand wusste, wo er zu finden war.
Untröstlich ging sie in ihre Kammer zurück, wo sie ihren Tränen freien Lauf ließ. Plötzlich aber bewegten sich wie von Geisterhand die Grasvorhänge an ihren Fenstern. Die Prinzessin hob den Kopf und sah, wie eine Pflanze von berückender Anmut und Grünheit in ihr Zimmer schwebte. So zart und freundlich sah die Gestalt aus, dass die Prinzessin ganz vergaß zu erschrecken und nur offenen Mundes staunen konnte.
Als sie sich wieder gefasst hatte, setzte sie sich vorsichtig auf und fragte: "Wer bist du und wie bist du hereingekommen?"
Die Pflanze antwortete: "Ich bin Grünlinde, die Petersilienfee und ich kenne deinen Kummer. Wenn du entschlossen bist und deinen Prinzen wirklich liebst, dann kann ich dir vielleicht helfen."
"Du weißt um meine Liebe zum Möhrchenprinzen? Aber woher? Ich kenne dich nicht!" rief da die Bohnenprinzessin.
"Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich" antwortete die Petersilienfee. "Ebenso wie ich jeden Liebenden im Garten kenne. Meine Aufgabe ist es, der Liebe zu ihrem Recht zu verhelfen und mir scheint, du kannst ein bisschen Hilfe gebrauchen."
Da sprang die Prinzessin von ihrem Hängeblatt und rief aufgeregt:"Weisst du etwa, wo er steckt? Dann sag es mir doch. Vielleicht können wir den Krieg noch abwenden."
Aber die Petersilienfee erwiderte:"Der Krieg ist nicht meine Aufgabe, auch nicht seine Vereitelung. Ich kann dir auch nicht sagen, wo der Möhrchenprinz steckt, nur die Richtung, in welche die fremden Ranken ihn entführt haben, kann ich dir weisen und dir etwas geben, was dir vielleicht auf deinem Weg helfen könnte. Aber du selbst musst dich aufmachen, deinen Geliebten zu suchen. Wenn dir das gelingt, dann kann doch noch alles gut werden."
Die Prinzessin atmete tief durch und blickte die Fee entschlossen an.
"Ja" sprach sie. "Ich will aufbrechen und meine Liebe suchen. Weise mir den Weg und gib mir deine guten Wünsche mit. Den Rest will ich alleine schaffen wenn du mir nur hilfst, unbemerkt aus dem Schloss zu entkommen."
"Nichts leichter als das "meinte die Petersilienfee, hieß die Prinzessin sich an ihr festhalten und schwebte mit ihr aus dem Schloss bis zum Rande des Gelbwaldes, ohne dass jemand sie sah. Dort angekommen gab die Fee der Prinzess Bohna ein aus feinem getrocknetem Gras geflochtenes Beutelchen, welches eine winzige Ranke und ein Samenkorn enthielt. "Diese Gaben werden dir helfen, deinen Prinzen aufzuspüren. Die Ranke ist eine Findelranke, die hier und jetzt eingepflanzt sofort zu wachsen beginnt und dir den Weg zu deinem Geliebten zeigt. Du musst ihr nur noch folgen und du wirst ihn finden. Was nun das Samenkorn angeht, so weiß selbst ich nicht wie es verwendet wird und was sein Zweck ist. Es ist nur für eine Pflanze auf der Suche nach wahrer Liebe gedacht und nur dann wird sich der Zweck enthüllen. Also zögere nicht und frisch ans Werk. Nur eins noch: sobald du die Ranke gepflanzt hast, bist du auf dich allein gestellt. Auch ich kann dir dann nicht mehr helfen.“
Die Prinzessin schluckte einmal, zweimal, straffte dann die Schultern und wandte sich entschlossen dem Gelbwald zu. Sie steckte die Ranke in die Erde und sogleich begann die sich zu drehen und auszudehnen und wuchs in den Wald hinein, während die Prinzessin staunend zuschaute. Dann dankte sie der Fee für ihre Gaben und machte sich entschlossen auf den Weg.
Wo aber war der Möhrchenprinz? Nun um ihn zu finden, müssen wir uns in den Gelbwald begeben an der Lichtung der Kümmelkobolde vorbei und immer weiter, bis wir erst den Gelbwald und dann auch den Garten hinter uns gelassen haben. Hinter den Hecken, die ihn umgeben, lagen Felder und Wiesen und auf einem dieser Felder standen Pflanzen, hoch und finster anzuschauen. Ihre Ranken ragten hoch in den Himmel und ein unangenehmer betäubender Geruch ging von ihnen aus.
Dies war das Hopfenreich. Zur Zeit unserer Geschichte wurde es regiert von der schwarzäugigen Susanne, welche die Herrin des Hopfens war und eine schöne und mächtige, aber böse Zauberin.
Sie hatte einen stark berauschenden Zaubertrank gebraut, der bei den armen Seelen, die damit in Berührung kamen, dazu führte, dass sie im Kreis herumliefen und völlig orientierungslos waren. Noch schlechter erging es denen die dieses Zeug tranken: Sie verloren nach einiger Zeit völlig ihren Verstand.
Den Möhrchenprinzen hatte sie entführen lassen, um ihr Herrschaftsgebiet auszudehnen und den Garten ihrem Reich anzuschließen. Der Prinz sollte ihr Unterpfand für die Unterwerfung eines Teils der Gemüse werden und außerdem sollte er als ihr Gemahl freiwillig bei ihr bleiben.
Sie hängte sich also ihre prächtigsten und schönsten Blätter um und hieß ihre Kammerpflanzen ihr die Ranken kunstvoll zu flechten. Hauchfeine Spinnweben umschleierten ihre Gestalt.
So angetan ließ sie den Prinzen in ihre Kammer bringen um ihn zu verführen.
Doch der Prinz konnte seine Liebe zu Prinzess Bohna nicht vergessen, so dass ihn die Versuchungen der Herrin des Hopfens kalt ließen. Er wies sie in höflichen, aber klaren Worten ab.
Das machte die Zauberin zornig und voll Wut ließ sie ihn in ein finsteres Verlies werfen, wo nicht einmal der Hauch eines Sonnenstrahls die uralten Mauern durchbrechen konnte.
Bevor die Kerkertür hinter ihm zufiel und ihn in lichtloser Einsamkeit zurückließ, erhaschte er einen letzten Blick auf das Innere seines Verlieses. Da sank ihm der Mut: vertrocknete und verdorrte Gemüse lagen auf dem schmutzigen Fußboden. Er konnte es nicht wissen, ahnte aber, dass sie hier lagen, weil sie vor ihm das Pech hatten, auf die eine oder andere Weise die launische Zauberin erzürnt zu haben. Womöglich war sogar der eine oder andere ehemalige Bräutigam wider Willen in dieser Kammer, die dem Prinzen immer mehr wie eine Grabkammer erschien.
Alle Überlegungen wurden hinfällig als die Kerkertür endgültig ins Schloss fiel und dem Möhrchenprinzen nun doch für kurze Zeit der Mut sank.
Die Prinzess Bohna war derweil schon auf dem Weg, ihren Möhrchenprinzen zu finden. Als der Gelbwald sie einschloss, bekam sie Angst, aber ohne zu zögern ging sie weiter, ahnte sie doch dass ihr Prinz verloren war, wenn sie ihm nicht half.
So folgte sie also der magischen Findelranke bis zu einer Lichtung, wo sie kleine gekrümmte Wesen überraschte, die singend um einen Kessel mit süß duftendem Getränk tanzten. Dies waren die Kümmelkobolde, wie ihr euch vielleicht denken könnt und wieder erschraken sie furchtbar über das unerwartete Eindringen einer fremden Pflanze auf ihre Lichtung. Doch schnell fassten sie sich wieder, war doch die Prinzessin eine so schöne und zarte Erscheinung und wirkte überhaupt nicht bedrohlich. Eher war das Gegenteil der Fall. Sie luden die Prinzessin ein bei ihnen zu rasten. Bohna nahm das Angebot dankend an und erzählte den Kobolden vom Zweck ihrer Reise. Da waren die Kobolde doch sehr erstaunt und auch betroffen, kannten sie doch den Prinzen von dem die Prinzessin ihnen erzählte. Sie erkannten in ihm den wunderlichen, aber sehr freundlichen Besucher wieder, der sich zu ihnen verirrt hatte.
Schnell waren sie sich einig, da der schönen Bohne geholfen werden musste. Sie beratschlagten wie und kamen überein, ihr ein wenig ihres Anisgetränkes zu überlassen. Sie überreichten ihr also eine kunstvoll ausgehöhlte Frucht des Eichbaumes mit einem Verschluss aus getrockneter Waldbeere. Darin befand sich der Trank. Sie klärten die Prinzessin über die Wirkungsweise des Gebräus auf, wünschten ihr alles Gute und ließen sie ziehen, denn auch sie merkten dass die Zeit drängte.
Nachdem sie sich höflich für das Geschenk bedankt hatte, folgte die Prinzessin weiter ihrer Findelranke. Sie lief Tag und Nacht unermüdlich und merkte nicht wie ihre Wurzeln zu bluten begannen. Den Garten hatte sie schon längst hinter sich gelassen. Endlich kam sie aber doch an den Rand des Hopfenfeldes. Dort kam das Wachstum der Findelranke zum Stillstand und die Prinzessin begriff, dass das der Ort sein musste, den sie gesucht hatte. Hier musste sie ihren Prinzen finden.
Wo aber beginnen? Was sollte sie nur tun? Alles war so bedrohlich.
Die Hopfenranken, die nicht Baum, nicht Gemüse ja nicht einmal Blumen waren, sahen so furchterregend und finster aus, dass ihr bei dem Anblick ganz bange wurde. Als sie sich weiter umsah, entdeckte sie doch noch eine andere Pflanze am Feldrand und beschloss sie anzusprechen. Ein Gänseblümchen war es und stellte sich mit dem Namen Bellis vor.
Bereitwillig erklärte Bellis der Bohne, wo sie sich befanden.
"Dies ist das Reich Susannes, der Hopfenherrin. Sie ist mächtig und reich, aber nie hat sie genug. Sie will immer noch mehr. Mehr Macht, mehr Reichtum, mehr Untertanen. Nie wird sie zufrieden sein, bevor sie nicht Herrscherin über alle Pflanzen ist.
Meine gesamte Familie wurde hierher verschleppt, um an ihrem Hofe zu dienen, denn lange überlebt dort niemand und deshalb geht dort auch keiner freiwillig hin. Alle wurden geholt, meine Eltern Löwenzahn und Arnika ebenso wie meine Geschwister Kamille, Margerite und sogar der kleine Beifuß und alle anderen aus der Familie auch. Ich weiß nicht, wer du bist und woher du kommst, aber höre meinen Rat und kehre um, solange du noch kannst, denn hier ist grad Schlimmes im Gange."
Die Prinzessin aber horchte bei diesen Worten auf "Was geht denn grade vor?" wollte sie wissen. Bellis schien noch kleiner zu werden und wagte nur mehr zu flüstern.
"Krieg ist im Anzug. Ich höre das Kriegsrauschen aus dem Feld und höre Gerüchte dass die Herrin rast vor Wut über einen Bräutigam, der sich ihr verweigert: Eine Pflanze die rot, aber keine Blume ist, man stelle sich vor." So sprach das Blümchen.
Bohna war sich nach diesen Worten ziemlich sicher, an der richtigen Stelle zu sein und erkundigte sich ob immer noch Mangel an Dienstboten herrschte. Bellis bejahte und verwelkte beinahe vor Schreck, als die Prinzessin erklärte, sie wolle sich als Dienstmagd am Hopfenhof bewerben. Das Blümchen begriff nicht, wie sich jemand freiwillig in solche Gefahr begeben konnte, riet der vermeintlich Verrückten jedoch, sich ein Gewand aus losen Grashalmen zu weben und nie mit etwas anderem als reinem Brunnenwasser ihre Wurzeln zu netzen, niemals jedoch den Hopfentrank anzurühren. Auch solle sie ihre ranke Gestalt vor den groben Wachen verbergen, die jeder Pflanze die noch nicht allzu welk war, nachstellten.
Diese gutgemeinten Ratschläge wollte die Prinzessin getreulich befolgen, bedankte sich bei Bellis und begab sich dann zum Schloss der Hopfenherrin. Dort gelang es ihr, eine Anstellung zu finden und den Küchenmägden zugeteilt zu werden.
An diesem Tag arbeitete sie so hart wie noch niemals zuvor in ihrem Leben und trotzdem ging sie zur Zeit der Nachtruhe nicht schlafen, sondern durchstreifte den Palast auf der verzweifelten Suche nach ihrem Liebsten. Alle Höfe überprüfte sie und in die finstersten Ecken spähte sie, immer auf der Hut vor den Wachen. Aber ihren Prinzen fand sie nicht.
Aufgeben mochte sie aber nicht, obwohl jede Faser an ihr nach einem Ruheblatt sich sehnte.
Und so suchte sie müde weiter und weiter, während die Nacht voranschritt und allmählich schon der Morgen wieder nahte.
Endlich im letzten und dunkelsten der vielen Höfe stand sie plötzlich vor einem furchtbar finsteren Eingang, dessen bloßer Anblick ihr Angstschauer einjagte. Davor lümmelten sich brutale Spinatsöldner.
Einer hielt sie auf und grölte:"Na meine Zarte, ziehst wohl die Gesellschaft echter Kerls den verweichlichten Küchenpflänzchen vor??! Oder willst du dich vor der Arbeit drücken? Na – uns soll recht sein, so ein hübscher Schössling wie du kann uns die Zeit versüßen“ und lachte dabei laut und derb. Seine Kumpane fielen sogleich ein und umringten die unerwartete Besucherin.
Innerlich zitternd, äußerlich jedoch furchtlos entgegnete da die Prinzessin: "Ich will mich nicht vor der Arbeit drücken, aber ihr Armen dauert mich so sehr, dass ich euch besuchen wollte.“
„Was?“ entfuhr es verblüfft dem Söldnerhauptmann. „Wieso dauern wir dich? Weißt du nicht, wer wir sind? Ein jeder hier fürchtet uns.“
Nun war es an der Prinzessin, zu lachen: „Aber keiner mag euch! Einsam seid ihr und habt nur euch selbst zur Gesellschaft. Steht Tag und Nacht vor den Verliesen und wenn ihr hier nicht steht, machen alle anderen trotzdem einen Bogen um euch. Nein – mir macht ihr keine Angst, ihr dauert mich.“
Die Kerkerwächter wussten darob nicht mehr, ob sie verblüfft oder wütend sein sollten, so ungewohnt war die offene Antwort für sie.
Bevor sie sich noch fassen konnten, hatte die Prinzessin das Gefäß der Kümmelkobolde hervorgezogen und hielt es dem Hauptmann hin.
Der besah das unscheinbare Behältnis recht skeptisch.
„Was ist denn das?“ fragte er.
„Nun“ antwortete Bohna. „ Ein neues Getränk ist es; es soll den Mut erhöhen und den Körper stärken. Ein jeder hat schon heimlich probiert, nur ihr kennt es noch nicht. Aber wenn ihr nicht wollt…“ Dabei zwinkerte sie schalkhaft und machte Anstalten, das Gefäß wieder wegzupacken.
Nun zauderten die Söldner nicht mehr, sondern griffen zu, ließen den Behälter im Kreis herumgehen und bekamen nicht genug davon. Es dauerte denn auch nicht lange und alle fingen an zu wanken wie Schilfrohr im Sturm, auch fiel ihnen das Sprechen sehr schwer, deshalb legten sie sich einfach auf den harten Boden und schliefen wie Steine. Einer aber hatte weniger getrunken als die anderen, denn er war von Natur aus misstrauisch.
Als die Prinzessin sich nach einiger Zeit unbeobachtet wähnte, weil sie alle Söldner schlafend glaubte, durchschritt sie das Portal zu den Verliesen. Sie bemerkte nicht den Wächter, der leise hinter ihr erschlich.
Bohna ging die Kerkertüren entlang und Härchen auf ihren Blättern wollten sich sträuben wegen des Geruches nach Tod und Verwesung, der hier unten herrschte. Aber tapfer ging sie weiter und spähte durch die Gucklöcher in jedes Verlies. Viel sah sie nicht, da in den einzelnen Zellen Finsternis herrschte, aber sie verließ sich darauf, dass ihr Herz ihr sagen würde, wenn sie am Ziel wäre.
Als sie sich dem letzten Kerker näherte, packte der wache Söldner sie unversehens und hielt sie mit seinen groben Ranken fest, während er sie verhöhnte: "Na, suchst du ein neues Kämmerlein? Wollen doch mal sehen ob wir nicht ein neues Quartier für dich finden können."
Er entriegelte die Zelle und schubste sie hinein.
Im Davongehen drohte er ihr noch einmal: "Wir werden bald in den Krieg ziehen, aber sei gewiss das sich unsere Herrin nach dem Feldzug ausgiebig mit dir befassen wird. Wenn du dann noch lebst, denn es könnte sein, dass man dich und den Rest des Gesindels hier unten vergisst." Sprach so und schlug die Kerkertür hinter sich zu.
Niedergeschlagen lehnte sich die Prinzessin an die eiskalte Kerkerwand.
Konnte es wirklich sein, dass sie so weit gekommen war, nur um jetzt zu scheitern? Ihre Zuversicht, die sie bis hierher begleitet hatte, begann zu schwinden; sie glitt an der Wand entlang nach unten und begann leise zu weinen. Um sich, ihren Prinzen, ihre Eltern, ihr wohlgeordnetes Leben.
Doch plötzlich spürte sie ein Zupfen an ihren Wurzeln und hörte eine leise, vertraute Stimme, nach der sie so lange gesucht hatte und die sie schon verloren glaubte, ihren Namen nennen. Sie fuhr auf und tastete um sich, glücklich trotz der schier ausweglosen Lage, denn sie hatte ihren Prinzen erkannt; etwas angetrocknet zwar, ob der fehlenden Nahrung, aber er war es und nichts anderes zählte jetzt.
Überglücklich fielen sie sich in die Ranken, herzten und küssten einander. Für einen kurzen und wunderbaren Moment schien ihnen alles möglich. Aber die Realität holte sie nur allzu bald wieder ein: Sie saßen fest in Feindesland und um sie herum lag Krieg in der Luft, der ihre Länder zu verheeren drohte.
Nichtsdestotrotz wollten sie nicht aufgeben. Sie hatten beide füreinander Gefahren auf sich genommen, da konnte es doch nicht der Wille des Schicksals sein, dass sie sich nur gefunden hatten, um nun gemeinsam unterzugehen.
Sie mussten zu Kräften kommen und von hier fliehen.
Nur wie?
In diesem Moment höchster Not fiel der Prinzessin die zweite Gabe der Petersilienfee ein.
Sie erzählte ihm von dem geheimnisvollen Samenkorn und endete mit den Worten: „Ich weiß nicht, ob es uns wirklich helfen kann, aber einen besseren Zeitpunkt, es herauszufinden wird es wohl nimmer mehr geben.“
Sie pflanzten also das Körnchen in den Dreck des Zellenbodens.
Was dann geschah, konnte keiner der beiden so recht glauben:
Ein sanftes Glühen breitete sich um die Pflanzstelle herum aus und erhellte die Finsternis ein wenig. Endlich konnten die beiden Verliebten einander wieder ansehen. Aber das Wunder war damit noch nicht vorbei:
Vor ihren Augen wuchs ein schlankes, grünes Bäumchen mit silberfarbenen Blüten aus dem Boden, von dessen Blättern kristallklarer Tau in die Blütenkelche tropfte.
Das Samenkorn der Petersilienfee hatte sie gerettet, denn nun mussten sie nicht mehr verdursten. Sie tranken ausgiebig vom süßen Tau und benetzten auch ihre Wurzeln damit. Dann schliefen sie Arm in Arm ein.
Als sie erwachten, fingen sie an zu überlegen, wie sie sich befreien und ihre Königreiche warnen konnten. Aber es fiel ihnen nichts ein. Sie konnten nur abwarten. Abwarten, ob die Hopfenhexe in den Garten einfiel; abwarten, wie die Invasion ausging; abwarten, was dann geschah.
Abwarten und bereit sein.
Im Garten hatten sich derweil die beiden Heere auf den Weg gemacht und waren durch den Gelbwald marschiert. Auf der Lichtung der Kümmelkobolde kam es zum Zusammentreffen.
Die friedlichen Kobolde waren schon durch den Lärm der anrückenden Armeen gewarnt worden und hatten sich in eine Erdhöhle geflüchtet. Sie weinten vor Angst und Zorn über die rohe Invasion ihrer heimatlichen Lichtung.
Rote und Grüne Gemüse standen sich zum ersten Mal seit vielen Generationen gegenüber. Aufgeregt raschelten sie mit ihren Blättern um den Feind zu beeindrucken sich selbst Mut zu machen. Ihre Feldherren wollten soeben den Befehl zum Beginn der Schlacht geben, als aus den Baumkronen auf einmal ein helles Licht auf den Boden fiel.
Alle rissen die Köpfe hoch und vergaßen kurz, warum sie hier waren, als eine wunderschöne grüne Pflanze mit weißen Wurzeln zu ihnen herunter schwebte.
Obwohl sie nichts rotes an sich hatte, wurde sie von den roten Gemüsen nicht als feindlich wahrgenommen, noch hielten die Grünen sie für eine der ihren.
Wie ihr euch sicher denken könnt, war es Grünlinde, die Petersilienfee, die jetzt einschritt.
Ihre Aufgabe war zwar eigentlich nur, verliebten Paaren Hilfestellung zu leisten, doch sie hatte das Kriegsaufgebot beobachtet und bei sich gedacht, dass es für die Liebenden bestimmt eine enorme Hilfe wäre, wenn ihre Familien und Freunde einander nicht gegenseitig niedermetzelten.
Also gab sie ihren Beobachterposten auf und mischte sich ins Geschehen ein.
Sie ließ sich auf einem Ast nieder, der nur wenig über den Köpfen der versammelten Heere aus einem Baum spross und hielt dabei eine Daturablüte, die ihr als Sprachrohr dienen sollte.
Sobald sie sah dass sie alle aufmerksam ansahen, begann sie zu sprechen:
„Haltet inne!! Hass und Zwietracht sind mir fremd und helfen euch nicht weiter! Hört auf meine Worte: Weder haben die roten Leute eure Prinzessin, noch die grünen Leute euren Prinzen betört und entführt.
Eine Bedrohung wartet auf euch alle außerhalb des Gartens und hat die Königskinder schon erfasst. Ihr müsst nun Hass und Zwietracht zwischen euch beenden, denn nur gemeinsam könnt ihr die Gefahr besiegen und nur dann werdet ihr eine Chance haben, eure Thronerben zu retten.“
Alle lauschten gebannt den eindringlichen Worten. Sogar die Kümmelkobolde waren während der Ansprache aus ihrer Höhle gekommen und standen nun inmitten der vielen vielen Gemüse auf ihrer Lichtung.
Nachdem die Petersilienfee geendet hatte, war es still auf der Lichtung. Alle wussten, was getan werden musste, aber keine Seite wollte den Anfang machen.
Da trat aus den Reihen der Grünen eine stämmige Gestalt hervor. Es war der Paprikaminister. Er, der beide Seiten kannte, wollte nun die so lange Getrennten im gemeinsamen Ziel einen.
Erwartungsvoll schauten ihm die Grünen hinterher.
Erwartungsvoll schauten ihm die Roten entgegen.
Er holte tief Luft und tat etwas, was seit Urzeiten niemand mehr aus den Reihen der grünen Gemüse gemacht hatte: er verbeugte sich vor König Tomate.
Der König staunte und nickte ihm huldvoll zu.
Paprika hub an zu reden und sprach von seinem Volk, das er liebte; von seinem Königspaar, dem er diente und von der Prinzessin, die von allen so sehr geliebt wurde, dass sie bereit gewesen wären, zu sterben und zu töten, um sie zu retten.
Er sprach von seinen Aufgaben und wie diese es ihm möglich gemacht hatten, auch das Rote Reich kennenzulernen und zu sehen, dass es seinem eigenen ähnlich war. Von der Ehrerbietung des Volkes gegenüber dem Königshaus und der Bewunderung, die dem Prinzen zuteil wurde und die der Verehrung seiner Prinzessin so glich.
Er sprach indes so laut, dass alle ihn hören konnten und wenn auch generationenlanges Misstrauen sich nicht in wenigen Momenten auflösen ließ, so hörten doch alle die tiefe Wahrheit aus seinen Worten heraus und begriffen, dass der Feind zwar existierte, aber im Moment nicht auf dieser Lichtung war.
Als er geendet hatte, schwiegen alle.
Sie waren ergriffen, aber da war auch noch etwas anderes: sie waren ratlos. Sie hatten begriffen, dass sie einen gemeinsamen Feind hatten, nur wusste niemand, wer das war.
Da erklang noch einmal die Stimme der Petersilienfee: „Folgt der magischen Findelranke. An deren Ende werdet ihr die Prinzessin finden und mit ihr, wen sie gefunden hat.“
Nun wurde nicht mehr viel geredet, es wurde vielmehr marschiert. Die gewaltige Menge an kampfbereiten Pflanzen stapfte dahin und ließ schon bald den Gelbwald hinter sich.
Und obwohl Marschdisziplin herrschte, vermischten sich hie und da rote und grüne Truppen, so dass es von oben bald aussah, als würde ein rotgrüner Flickenteppich über das Land wogen.
Ein Flickenteppich mit braunen Sprengseln, denn selbst die Kümmelkobolde hatten ihre Ängste überwunden und sich dem Heer angeschlossen.
So zogen sie schon eine geraume Weile dahin, als sie plötzlich auf Wesen stießen, die sich keiner von ihnen selbst in den schlimmsten Alpträumen hätte ausmalen können.
Konnten das Pflanzen sein?
Die Kreaturen waren groß und rund und weiß und sie hatten nicht nur einen Stamm, sondern gleich vier. Der Geruch, der von ihnen ausging, trieb allen das Harz in die Augen. Die Wesen stapften auf ihren vier Stämmen auf der Wiese umher und fraßen das Gras auf und mitunter ertönten aus ihnen Geräusche, die die Gemüse vor Schreck fast verwelken ließen.
Aber bald merkten sie, dass die merkwürdigen Gesellen keine Anstalten machten, das Heer anzugreifen. Sie schienen es nicht einmal zu bemerken. Das würde allerdings bestimmt nicht so bleiben, wenn Tausende von Gemüsen direkt an ihnen vorbeimarschierten. Es musste also jemand mit ihnen reden und so wurde der bewährte Paprikaminister vorgeschickt zur Kontaktaufnahme. Er trat vor und rief hinauf: „Heda, ihr weißen Gesellen! Wir wollen euch nichts Übles, sondern nur euer Land durchqueren.“
Da erschollen ihre schrecklichen Stimmen im Chor, denn es war ihnen unmöglich einzeln zu antworten: "Wiiiir siind die knoooolligen woolliiiigen Schaaaafsnaaaasen. Wir sind aaaauf der Suuche nach Futttaa, und am liebsten fressen wiiir Pflaaaanzen. Nuuun scheiiint es als ooob uuunsere Suuuche eeeein Äääände hat."
Da erzitterten die Gemüse und sie begriffen, dass sie sich aufs Verhandeln verlegen mussten wollten sie einem schrecklichen Ende entgehen.
Wieder ergriff der Paprikaminister das Wort und mühte sich um Festigkeit in der Stimme:
"Seht, ihr könnt uns natürlich einfach auffressen…“
Schon stürzten die ersten Schafsnasen vor und ein Schreckensschrei entfuhr den Gemüsen, aber der Minister sprach schnell und mit lauter Stimme weiter: „Jedoch, was hättet ihr davon? Wir wären dann weg und ihr satt, aber morgen wären wir immer noch weg und ihr wieder hungrig.
Ihr könntet uns aber auch verschonen oder uns sogar helfen. Als Dank könntet ihr soviel Futter von uns haben, dass ihr nie wieder Hunger leiden müsst.“
Da horchten die knolligen wolligen Schafsnasen auf und baten den Minister mit seiner Geschichte fortzufahren und alles genau zu erklären. Der Minister erzählte also von den verschwundenen Königskindern und der gemeinsamen Mission, von der niemand genau wusste, wie sie eigentlich aussah. Aus diesem Grund wäre jede Hilfe willkommen.
Er redete auch vom Gelbwald, der die Eigenschaft hatte, schnell und unermüdlich nachzuwachsen und bot den Schafsnasen an, ihn jederzeit abfressen zu dürfen.
Das gefiel den wolligen Tieren und sie fragten, wie ihre Hilfe aussehen sollte.
"Ihr sollt für uns" sprach der Paprikaminister. "für uns den Weg freimachen mit eurer Gabe des Fressens. So kommen wir schneller voran. Nur diese Ranke hier fresst nicht, denn sie weist uns den Weg."
Das schien den Schafsnasen ein sehr annehmbarer Vertrag, denn er brachte ihnen nur Vorteile.
Sie machten sogar selbst den Vorschlag, sich die Gemüse auf den Rücken zu laden. So würden alle schneller vorankommen und es bestünde keine Gefahr, dass man aus Versehen einen neuen Verbündeten verschlingt.
Die Gemüse waren einverstanden und sahen dabei sogar über den Geruch ihrer seltsamen neuen Gefährten hinweg.
Die solcherart gewachsene Streitmacht marschierte, oder besser gesagt: stampfte also weiter über das Land. Stunde um Stunde liefen die Schafsnasen unermüdlich und viel schneller als unsere Prinzess Bohna sahen sie das Hopfenfeld vor sich aufragen.
Die kleine Bellis zog sich beim Anblick dieses absonderlichen Heeres vor Furcht bebend unter die nächstgelegenen Grashalme zurück und betete um ein Wunder.
Die Schafsnasen hingegen informierten den Paprikaminister, dass dort, wo die hohen düsteren Pflanzen aufragten, die Findelranke endete.
Der Minister gab diese Nachricht an alle Gemüse weiter und alle begriffen: Sie waren am Ziel der Reise angelangt.
Den Schafsnasen kamen diese Pflanzen bekannt vor und sie erzählten den Gemüsen, dass sie dieses Feld noch nicht abgefressen hatten, weil es dort so seltsam roch, aber für schlechte Zeiten hatten sie es sich gemerkt. Auch, dass allenthalben gemunkelt wurde, dass Pflanzen dorthin entführt wurden und nie wiederkamen, wussten sie zu berichten.
Nach kurzer Beratung kamen alle überein: Dort mussten die Königskinder sein. Das war der Ort, den zu finden sich alle aufgemacht hatten.
Der Paprikaminister ließ die Gemüse absitzen und gab das Kommando: „SCHAFSNASEN GREIFT AAAAAAAAAAAAN!! FRESST SIE NIEDER!“
Die Schafsnasen stürmten voran und ließen ihr schreckliches Geblöke zum Himmel erschallen.
Sie waren so schnell, dass im Hopfenreich keine Zeit blieb zu reagieren.
Sie stampften und stapften, kauten, rissen und malmten, was ihnen zwischen die Zähne kam.
Als die Spinatwachen endlich begriffen, was diese Stampede für eine gewaltige Bedrohung darstellte, war es schon zu spät. Sie versprühten Susannes Rauschtrank als letzten Versuch die Horden aufzuhalten. Damit aber erreichten sie nur, dass ihre eigenen Truppen berauscht umfielen, noch bevor die Schafsnasen sie erreichen konnten.
Die Hopfenhexe selbst konnte nichts ausrichten gegen die gewaltige und hungrige Übermacht. Statt zuzusehen, wie ihr Reich in den Bäuchen der wolligen Ungeheuer verschwand, suchte sie ihr Heil in der Flucht.
Doch sie kam nicht weit – ein vorwitziges Böckchen schnappte nach ihr und noch ehe sie um Gnade flehen konnte, war sie schon verschluckt.
Die Gemüse schwärmten hinter den Schafsnasen aus und suchten nach den Königskindern. Sie wendeten jedes Hopfenblatt, das den Tieren entgangen war und schauten unter jeden Stein, bis sie endlich den Eingang zu den Verliesen fanden. Sofort wurden die Verliestüren geöffnet und alle Gefangenen, die noch am Leben waren, waren wieder frei.
Einige waren schon so lange dort unten festgesetzt, dass sie an den Blatträndern begannen, braun zu werden, für andere kam jede Hilfe zu spät.
Türe um Türe wurde geöffnet, Verlies um Verlies leerte sich der Kerker. Schon sank allen die Hoffnung, als plötzlich „Hurraaaaaaaaaaaaaaaaa!“ ein Freudenschrei aus dem schauerlichen Gewölbe erklang. Der Paprikaminister höchstselbst nämlich hatte den Suchtrupp in die Gefangenenquartiere angeführt und so war er auch derjenige, der die letzte Tür geöffnet und dahinter etwas erblickt hatte, das für ihn einem Wunder gleichkam:
Der Möhrchenprinz und die Prinzess Bohna, gefangen, aber lebendig und hinter ihnen ein leuchtendes Bäumchen, das sogar Blüten trug, mitten im Verlies!
Bevor die beiden sich noch fassen konnte, packte er sie und zog sie nach draußen.
Als die Gemüse sahen, dass die beiden gesund und wohlbehalten waren, brach ein ungeheurer Jubel los. Die Angehörigen beider Armeen lachten und klatschten. Die Königspaare vergossen indes Tränen der Erleichterung und umarmten ihre zurückgekehrten Kinder voll Inbrunst.
Als die Aufregung sich gelegt hatte, standen die Angehörigen der beiden Gartenreiche allerdings inmitten des Chaos, das die Schlacht hinterlassen hatte und wussten nicht, wie sie fortan miteinander umgehen sollten.
Konnte man denn generationenalte Konflikte einfach so über Bord werfen? Hinter sich lassen? Sollte man das überhaupt? Sie waren ratlos. Das Grauen aus dem Gelbwald hatte sich als Ihresgleichen herausgestellt. Es war eine seltsame Situation.
Da lösten sich Prinzess Bohna und der Möhrchenprinz von ihren Eltern und wandten sich einander zu. Sie sahen sich tief in die Augen und traten dann Ranke in Ranke vor ihre Völker.
Die Prinzessin sprach als erste: „Ihr guten Gemüse“ rief sie. „Wir danken euch sehr. Wir verdanken euch unsere Freiheit und unser Leben. Nur weil ihr mutig und stark wart, können wir hier vor euch stehen und zu euch sprechen.“
„Aber“ rief da der Prinz. „Wir verdanken euch auch EURE Freiheit und EUER Leben. Wärt ihr nicht losgezogen, uns zu suchen, hätte die Herrin des Hopfens wohl beide Reiche erobert.
Wir bitten euch – lasst euch nicht einschüchtern von alten Geschichten. Seht uns an – wir lieben uns und wollen mit euch gemeinsam einen Garten ohne Grenzen bewohnen.“
Stille folgte diesen Worten.
Doch dann klatschte erst einer, dann noch einer, dann fielen gleich mehrere ein und plötzlich brandete Applaus und neuerlicher Jubel zum Himmel auf.
Sogar die Schafsnasen blökten und stampften begeistert.
Da drehten sich die Königskinder zu ihren Eltern um und blickten sie bange an. Denn letztlich lag die Entscheidung bei ihnen. Und für sie war es viel schwerer, sich zu überwinden. Das Volk hatte vor kurzem nicht gewusst, dass es noch andere ihrer Art gab. Die Herrscherfamilien aber lebten seit Generation nicht nur in dem Wissen um die anderen, sondern in Furcht vor ihnen.
Aber als sie die jungen Leute vor sich stehen sahen, aufrecht und stark und entschlossen, ihren Weg gemeinsam zu gehen… da entschieden sie einmütig und ohne Zögern, die beiden nicht länger zu hindern, ihr Glück zu finden.
Der Kohlrabikönig fasste sich als erster, räusperte sich und sagte: „Ihr braucht nicht länger getrennt voneinander sein, denn unseren Segen habt ihr. Eure Liebe konnte nicht durch Gefahren besiegt werden und soll nun nicht zerstört werden durch die Sturheit von uns Alten.“
Und auch des Möhrchenprinzen Eltern wollten nicht zurückstehen und gaben den Liebenden gerührt ihr Einverständnis.
Sie gingen sogar noch einen Schritt weiter und beschlossen, den Garten wieder zu einem Königreich zu machen, über das nach ihrer Hochzeit ihre Kinder herrschen sollten.
In dem ganzen Trubel hatten alle die Kümmelkobolde vergessen, die am Rande der fröhlichen Menge standen. Sie sahen und hörten, seufzten und berieten sich und fassten einen Entschluss. Der Mutigste unter ihnen – daran erkennbar, dass die anderen ihn einfach nach vorne schubsten – räusperte sich laut und vernehmlich und als das ungehört verhallte, trat er ganz von alleine todesmutig vor die königlichen Familien.
Das Reden und Lachen verklang, als alle Blicke sich gespannt auf den Kobold richteten, der das Wort ergriff:
„Verehrte Gemüse, wir freuen uns, dass für euch alles gut ausgegangen ist und ihr wieder zusammenfügt, was nie hätte getrennt werden dürfen. Aber wir Kümmelkobolde leben seit Wurzelgedenken im Gelbwald auf unserer Lichtung. Sie war unser Zuhause und unsere Zuflucht und sie wird bald nicht mehr existieren, wenn erst die Schafsnasen Einzug halten.“
Bekümmertes Schweigen folgte diesen Worten.
Bei all dem Jubel und der Freude über den gelungenen Feldzug hatte niemand mehr an die tapferen Winzlinge gedacht.
Bevor aber allgemeine Trübsal um sich greifen konnte, sprach der Kümmelkobold schon weiter.
„Trotzdem sind auch wir glücklich über den guten Ausgang des großen Abenteuers und wollen daher nicht klagen. Stattdessen geben wir unsere Zurückgezogenheit auf und wollen mit euch zusammenleben. Unseren Anistrank können wir weiter brauen, wenn wir ein Eckchen des Gartenreiches bewohnen dürfen. Von dort aus wollen wir einen Handel aufbauen, der den Wohlstand des Königreiches mehren soll.
Die Stelle jedoch, an der sich noch unsere Lichtung befindet, wollen wir Prinz und Prinzessin als Baugrund für ihre gemeinsame Residenz schenken, denn dieser Flecken befindet sich genau auf halbem Wege zwischen Rübenburg und Salatschloss.
Natürlich nur, wenn ihr einverstanden seid.“
Nach diesen Worten schwieg die Menge erneut. Diesmal allerdings nur kurz und niemand machte ein bekümmertes Gesicht.
Es dauerte auch nur wenige Augenblicke und erneut konnte man Jubel und Applaus hören, als alle ihr Einverständnis bekundeten.
So fröhlich klangen alle, dass sogar die kleine Bellis, die ihr Wunder bekommen und die Stampede überstanden hatte, sich unter den Grashalmen hervorwagte und ein glückliches Wiedersehen mit ihren Familienmitgliedern feiern konnte.
Nachdem der Jubel verklungen war, saßen alle Gemüse, Kümmelkobolde und auch Bellis und ihre Verwandten wieder auf die Schafsnasen auf und Heißa! ging es im Schafsgalopp zurück in den Garten.
Dort angekommen, zogen die Blumen vorübergehend zur Prinzess Bohna, während die Kümmelkobolde beim Möhrchenprinzen unterkamen. Die Schafsnasen hingegen machten sich umgehend daran, den Gelbwald abzufressen.
Und so hungrig sie auch waren und wie eifrig sie auch mampften, es gelang ihnen nie, das Dickicht zur Gänze abzukauen. So fraßen sie immer wieder neue Gänge und Alleen hinein, deren Verlauf sich von einem Tag auf den anderen ändern konnte.
Ein Phänomen, von dem die Gartenbewohner nie genug bekommen konnten, machte es doch die Durchquerung zu einem Abenteuer. Allerdings zu einem ungefährlichen und kurzweiligen Abenteuer.
Nur die frühere Lichtung der Kümmelkobolde und die Wege, die dahin führten, hielten die Schafsnasen peinlichst frei von der Gelbpflanze, denn dort entstand ein wunderschönes, aus roten Knollen und grünen Blättern bestehendes Schloss für das zukünftige Königspaar. Jeder, der etwas von Pflanzenarchitektur verstand, half mit und niemand scherte sich mehr um die Blattfarbe seines Nachbarn.
So kam es, dass schon nach wenigen Monaten eine große rauschende Hochzeit gefeiert wurde mit vielen Geschenken, darunter ein Krüglein Anistrank und ein Wandteppich aus streng riechenden Locken. Die Bellisfamilie webte ein wunderschönes Brautkleid aus Timotheusgras und schenkte es der Prinzessin für ihren großen Tag.
Zwei weitere Geschenke müssen hier noch besonders erwähnt werden.
Eines war eine Kinderwiege, die auf höchst wunderbare Art gefertigt war: Man konnte nicht sehen, ob sie geflochten, geklebt, gezimmert oder anders von Hand gemacht worden war. Sie sah aus, als wäre sie in einem Stück so aus dem Boden gewachsen, wie sie im Thronsaal stand.
Die Wiege war ein Geschenk der Petersilienfee.
Das zweite Geschenk war ein exquisites Büchlein aus verschiedenfarbigen gepressten Blättern, in welchem die Geschichte des Königreiches, welches lange zweigeteilt war und schließlich wieder zu einem zusammenwuchs aufgeschrieben war.
Diese Gabe kam von einem anderen Paar, das vor kurzem Hochzeit gehalten hatte – nämlich Kohlkopf und Radies. Die beiden, die eigentlich mit den Thronfolgern verlobt gewesen waren, hatten sich nicht nur in ihr Schicksal gefügt, sondern obendrein auch noch Gefallen aneinander gefunden.
Der Möhrchenprinz und die Prinzess Bohna aber lebten in Eintracht und Harmonie in ihrem Palast und herrschten vorausschauend über ihr Reich. Sie hatten Höhen und Tiefen, stritten und lachten, verzweifelten und fassten neuen Mut.
Ihren buntschaligen Kindern brachten sie bei, niemals Angst vor jemandem zu haben, nur weil er anders aussieht.
So lebten sie also alle ihr Leben und mussten auch durchaus noch das eine oder andere Abenteuer meistern.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Ende .
