Der Mut der Vögel

Max Neumann

Mitglied
Der Mut der Vögel ist in die Stirn
Des Kranken eingebrannt
Er atmet den Schweiß des Krieges
Bei jedem Schritt schwitzt er
Der Kranke trägt zahllose Narben
Auf dem starken Körper — jede von
Ihnen eine Erinnerung daran, dass
Er jetzt am Leben sein soll

Der Mut der Vögel ist im Traum des
Kranken ein wiederkehrender Leitspruch:
Nur der Mutige wird bestehen;
Angst führt zu Trauer;
Trauer zu Unglück

Der Mut der Vögel leitet den Kranken —
Darum brüllt er jeden Tag viele Male
Das Brüllen löst den Schmerz;
Wohltuend zucken dann seine Narben

Der Mut der Vögel schreibt jeden Tag
Des Kranken mit mutfarbenen Wörtern
Jede Wunde beflügelt den
Mut der Vögel
Doch nicht ohne Erschütterungen —
Dann weint der Kranke, verschämt

Der Mut der Vögel ist nicht irdisch
Aber auf Erden die Eintrittskarte
Zum Glück

Der Mut
Die Vögel
Der Kranke
Das Glück
 
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Mitglied
Ui, da steckt wieder so viel Starkes drin, lieber Max!

Narben
[....] jede von
Ihnen eine Erinnerung daran, dass
Er jetzt am Leben sein soll
Das mag ich sehr in seiner bejahenden, annehmenden Haltung.
Der Mut der Vögel leitet den Kranken —
Darum brüllt er jeden Tag viele Male
Das Brüllen löst den Schmerz;
Wohltuend zucken dann seine Narben
Da liegt viel Kraft drin und kein verdrängendes Kämpfen gegen die Traumata, sondern ein Annehmen, Sich-Stellen und körperliches Verarbeiten. Wenn sich der Schmerz löst, kann auch erst Heilung geschehen.

Ein paar Formulierungen sind mir für meinen Geschmack zu "viel" bzw. zu erklärend.

Jede Wunde — griechisch jedes Trauma —
Beflügelt den Mut der Vögel
Der Kranke trägt zahllose Narben
Auf dem starken Körper — jede von
Dass der Kranke im Gedicht sehr stark ist, wird überall überdeutlich. Ich würde es nicht vorwegnehmen, indem er bzw. sein Körper
als stark benannt wird.
Außerdem ist es eher eine innere Stärke, möchte ich meinen. Ein Kranker ist immer geschwächt - gerade deshalb ist der Mut ja erst Thema. Was leicht fällt, weil genug Stärke da ist, erfordert ja keinen Mut.

Der Mut der Vögel ist nicht irdisch
Aber auf der Erde Erden die Eintrittskarte
wär ein bisserl geschmeidiger mMn. Ist aber natürlich Geschmacksfrage.


Nur der Mutige wird bestehen;
Angst führt zu Trauer;
Trauer zu Unglück
Das wirft für mich die Frage auf, ob jeder Kranke es schafft Mut aufzubringen. Und wenn nicht; ist er dann also automatisch zum Absturz ins Unglück verdammt? Das Thema der individuellen Resilienz ist aus meiner Sicht ein Heikles. Es sei jenen von Krankheit betroffenen gegönnt, die ausreichend resilient sind, um diesen von den Vögeln zugesprochenen Mut schöpfen zu können. Aber das sucht man sich nicht aus. Resilienz ist zum größten Teil etwas, das durch Vorbilder in der Familie vermittelt und Erlebtes gefestigt oder eben ausgehebelt wird. Letzteres - Depression durch Krankheit - deutet dein Gedicht ja auch an.

Nicht jeder schafft es, mit seinen Narben so umzugehen, dass er sie als Beweis seiner Überlebensfähigkeit wahrnimmt.
Der Gedanke, dass so zarte Wesen wie die "unirdischen" Vögel als Vorbild für das Aufbringen von Mut dienen und die (vermutlich schweren) Träume des Kranken mit ihrem Flügelschlag "heben" und leichter machen, ist wirklich schön und birgt viel Kraft in sich. Wie es auch - wie immer - deine Worte und Bilder tun.

Wieder gerne gelesen!
Liebe Grüße,
Claudia
 

Max Neumann

Mitglied
Hallo Claudia,

vielen Dank für deine ausführliche Rückmeldung. Was den Kranken betrifft, hat dieser einen sehr massiven Körperbau, und das soll auch so bleiben.Ich finde es okay, das zu benennen, genauso wie eine andere Figur dürr sein kann.

Was den Mut angeht, bin ich der Überzeugung, dass wir glücklicher sind, wenn wir uns vom Mut leiten lassen. Wenn wir uns dagegen von der Angst leiten lassen – wenn wir Dinge hinnehmen, schweigen, nicht für uns einstehen –, dann äußert sich das bekanntermaßen eher in Depressionen. Das ist meine Haltung, meine Ansicht dazu. Und genau das zeichnet auch den Kranken in diesem Text aus. Natürlich gibt es dazu zahlreiche Gegenbeispiele, die genauso ihre Gültigkeit haben.

Die Erklärung über das griechische „Trauma“ lässt mich ehrlich gesagt noch etwas hin- und hergerissen zurück. Wie dir vielleicht aufgefallen ist, ist dieser Text sehr prosaisch – eigentlich einer meiner prosaischsten überhaupt. Deshalb finde ich diesen Einschub, auch an der Stelle mit den Semikola, gar nicht so unpassend. Aber er wirkt schon ein wenig erklärbärhaft. Das muss ich erstmal sacken lassen.

Nochmals vielen Dank für dein Feedback, und ich wünsche dir ein schönes Wochenende.
 



 
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