Der Regenmacher

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magnona

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Der Regenmacher

Es lebte einst ein junger Mann, ebenso begabt wie geplagt, in einem bescheidenen, kleinen Haus mitten im Land der Dürre. Wann das letzte Mal der Regen fiel, wusste der Mann nicht, denn er hatte aufgehört die Monate zu zählen und es war auch niemand mehr dort, den er hätte fragen können, denn die anderen Menschen waren vor langer Zeit weitergezogen, in der Hoffnung, einen Ort zu finden, an dem klares Wasser fließt und rote Rosen blühen. So ließen sie nichts weiter zurück als steinerne Ruinen und die Geister, die in ihnen lebten. Doch es waren nicht die Geister von außen, die unseren jungen Mann auf Schritt und Tritt verfolgten, es waren die in seinem Kopf, geboren durch die Strapazen der Vergangenheit, genährt durch die Ungewissheit seiner Bestimmung.

Obwohl er es nie anders kannte, war dieses einfache Leben ihm schon lange zuwider und so suchte er jeden Tag neue Wege, sich auszudrücken und Licht ins Dunkel zu bringen. An manchen guten Tagen, an denen die Sonne seine Haut küsste, sang er hohe Töne bis zum Sonnenuntergang. An anderen war es genau dieser Untergang, den er auf einer Leinwand lebendig werden ließ. Manchmal schnitzte er sich kleine Talismane aus Holz. Hin und wieder schrieb er Geschichten auf, die seiner Fantasie entsprangen über alte Götter und Dämonen, über Frauen mit besonderen Kräften, die im Wald mit den Wölfen leben und jagen, oder fremde Zivilisationen, in denen kein Mensch jemals alleine sein muss, denn alle sind miteinander verbunden und alle wissen stets, was ihr Nächster fühlt.

Es gab flüchtige Momente, wenn er all dies tat, in denen er für einen Augenblick loslassen konnte, doch auch diese kurzen Eindrücke hinterließen einen bitteren Nachgeschmack. Er wusste, dass er nur auf die Oberfläche des Wassers blickte und dass es Aspekte seiner Selbst gab, so tief verborgen, dass kein Lied und kein Gemälde der Welt die Macht hatte, sie zu spiegeln.

So wurde der junge Herr jeden Tag etwas unzufriedener, fühlte sich oft Unnütz sogar und tat sich schwer damit, den Sinn für seine Mühen zu erkennen. Er warf sich selbst vor, in der Vergangenheit die falschen Entscheidungen getroffen zu haben, und nun in ewiger Verdammnis zu leben. Es gab Tage, an denen fragte er sich, ob er bereits in der Hölle wäre.

Eines Mittags, als die Sonne bereits ihre sengende Hitze auf seinem Land verbreitete, ging unser Hermit zum Brunnen, um frisches Wasser zu schöpfen, nur um festzustellen, dass ein riesiger Geier auf dem Dach saß und seine Ankunft erwartete. Er fragte sich inständig, ob das Tier wohl ein Zeichen für seinen baldigen Tod wäre. Doch der Vogel blickte ihm nur tief in die Augen, erhob sich wenig später mühelos in die Lüfte und stieß einen lauten Schrei aus, der durch Mark und Bein des Mannes ging und ihn zusammenzucken ließ. Er blickte ihm eine Weile nach und seine Augen füllten sich mit Tränen. Nun konnte er nicht mehr still bleiben und so schrie er hinauf zum Himmel:

„O großer Geier, was würde ich nur tun für deine schwarzen Flügen auf meinem Rücken, mit denen du mich hier am Boden verspottest! Tag für Tag spüre ich diese brennende Hitze auf meiner Haut und verliere mich in der Kunst des Wartens, und doch scheint sich nichts um mich herum zu verändern, nichts in mir zu verändern. Während du mit nur einem Satz davonfliegen und alles zurücklassen kannst, bin ich in diesem Leben gefangen, denn wo soll ich hin? Wer soll mir meine Fehler jemals verzeihen?“

Und während er sprach, zogen dunkle Wolken am Himmel auf, die die Sonne verdeckten und er schrie weiter, so laut wie er konnte, bis seine Stimme versagte:

„Dieser Ort ist von Gott verlassen und ich frage mich, habe ich diesen Fluch über ihn gebracht? Wie die Wurzeln der Wüstenpflanzen klammere ich mich an den letzten Tropfen Wassers und versuche diese fade Existenz mit Leben zu füllen, diese gähnende Leere in meiner Brust. Diese Bürde ist zu schwer, um sie noch weiter zu tragen! Großer schwarzer Geier, was willst du mit mitteilen? Was siehst du in mir, was ich nicht sehen kann? Was ist da, tief unter meiner Haut, was nach außen treten will? O Geier, wer bin ich?“

Seine Augen waren nun geschlossen und er spürte einen kühlen Tropfen auf seiner Wange, Aus diesem Tropfen wurden zwei, dann drei und er öffnete die Augen wieder um zu erkennen, dass es nicht seine Tränen waren, denn die dunklen Wolken bedeckten nun den ganzen Himmel und es dauerte nicht lang, bis der Regen in Strömen floss. Überwältigt vom Geist dieses Augenblickes fiel er auf seine Knie und verweilte, fühlte den nassen Boden mit seinen Händen und Füßen, nahm den Sturm in sich auf.

Und so erblühte das Land bald so wie in längst vergangenen Zeiten. Tiere und Menschen kehrten zurück, beeindruckt von der Schönheit und vom Überfluss, der sich ihnen anbot.

Der junge Herr war nun in der Lage, seine wahre Natur im Spiegel zu erkennen; und als der Regenmacher benutzte er seine Worte nur für das Gute, denn er wusste, seine Stimme war Macht und davon genug, um Wüsten in Wälder zu verwandeln, oder einen Bach in einen Ozean. Der Geier kehrte niemals zurück, und doch war der Regenmacher überzeugt, die schwarzen Schwingen von Zeit zu Zeit in seinen Träumen wiederzuerkennen, irgendwo am fernen Horizont. Es waren diese Nächte, in denen er sich am lebendigsten fühlte.
 
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