stachelbeermond
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Als der Starkregen endlich vorbei war, erhob der Sandengel sich aus der demolierten Sandburg. Viel war nicht mehr von ihm übrig, der Regen hatte kurzen Prozeß gemacht mit seinem sandigen Körper. Die Muschelgelenke klapperten, die Treibholzarme trieften vor Feuchtigkeit und rochen nach Brackwasser und Salz. Aber er war noch da! Immerhin. Zufrieden schob der Sandengel die Reste seiner Füße in die grünen Badelatschen, die die letzte Flut ihm geschenkt hatte und machte sich auf.
Der Himmel hing schwer und nass über dem Strand, die Promenade war verlassen. Weit hinten schäumte das Meer und rief nach mehr Regen, die Luft schmeckte abwechselnd nach Tang und altem Pommesfett aus der Fastfood-Bude am Strandweg. Der Sandengel schmatzte. Das Leben roch so gut! Er war noch nicht bereit, es abzugeben, er fand, seine Zeit war noch nicht gekommen, da mochte das Meer so viel Regen schicken wie es wollte.
Als erstes lief ihm ein Hund vor die Badelatschen. Es war ein wolliger Hund mit einem schwarzen Halsband, der alleine über den Strand lief und seine Freiheit genoss. „He, du!“ rief der Sandengel, „kannst du mir helfen?“ Aber der Hund war nur ein Hund und hatte nichts märchenhaftes an sich, er roch an den Badelatschen, bekam Sand in die Nase, nieste und lief davon, ohne den Sandengel weiter zu beachten. „Toll“, murmelte der Sandengel und betrachtete seinen linken Fuß, der jetzt ein Loch aufwies, wo der Hund geschnüffelt hatte.
Als zweites begegnete ihm ein Ehepaar im Partnerlook. Sie rannten fast über das leere Watt, hatten die Kapuzen ihrer Jack-Wolfskin-Jacken hochgeschlagen und sahen aus, als ob das Laufen Arbeit wäre. Der Sandengel versuchte, mit ihnen Schritt zu halten, aber mit nur einem halben Fuß und klappernden Gelenken war das schwierig, und als er ihnen hinterherrief, drehte nur die Frau sich kurz um. „Schon wieder Plastikmüll am Strand“, murmelte sie, als sie die grünen Badelatschen sah, schüttelte den Kopf und rannte dann ihrem Mann hinterher, der schon fünf Meter weiter war. Der Sandengel blieb stehen. „Plastikmüll?“ sagte er entrüstet und sah auf seine Füße in den Badelatschen herunter. Das Grün gefiel ihm, es gab daran nichts auszusetzen. Er ordnete seine Muschelschalen neu, die bei seinem Sprint den Zusammenhalt verloren hatten, und wanderte weiter den Strand entlang. Der Wind pfiff durch seinen Sandkörper und nahm ab und zu eine Handvoll von ihm mit, und der Sandengel sah zu, wie Teile von ihm woanders zu etwas Neuem wurden. Er hatte nichts dagegen, trotzdem fand er die Idee, noch ein paar Tage länger hier zu bleiben, immer noch reizvoll. Als die Bande Möwen sich auf ihn einschoss, nahm er deswegen beherzt seine Treibholzarme hoch und verteidigte sich. Die Möwen kreischten und hackten nach ihm und hörten erst auf, als sie draussen im Watt eine Herde Krebse entdeckten. „Tja“, mumelte der Sandengel, „das lief jetzt nicht so gut.“ Die Hälfte seiner Muschelschalen war zerbrochen und die Zahnstocherkette, die er quer über die Brust getragen hatte, war auseinandergerissen und heruntergefallen.
Eilig stapfte er weiter und hinterließ unregelmässige Spuren im nassen Sand. Über den Wind hinweg hatte er ein leises Brummen gehört, und weit hinten konnte er zwei Gestalten an einem Priel sehen. Als er näherkam, sah er ein kleines Boot über den Priel fahren. Es nahm die leichten Wellen mit heulendem Motor, und jedes Mal, wenn das Boot über eine Welle sprang, lachten die beiden Teenager begeistert und schrien: „Mega! Boah! Hast du das gesehen?“ Einer hatte die Steuerung in den Händen, der andere rannte, wenn das Boot auf Sand gelaufen war, und setzte es zurück ins Wasser. Sie hörten den Sandengel nicht, und als er das zweite Mal angerempelt wurde und er einen seiner Treibholzarme mit dem anderen einsammeln musste, wandte er sich ab und ging an den Burgenstrand zurück.
Ein bisschen ratlos ließ er sich auf die erste Burg sinken, die ihm in den Weg kam. Er verschmolz fast mit dem Sand unter ihm und seufzte erleichtert. War das anstrengend gewesen! Und wie gut sich der kühle Sand anfühlte! Er schloss die Augen und schlief ein.
Als er aufwachte, fühlte er sich verändert, aber auf eine gute Weise.
„Guck mal, Papa, das war gestern noch nicht da!“
„Was denn, Schatz?“
„Das hier. Das sieht aus wie ein Mensch, guck, hier sind die Arme und hier ist der Kopf! Und da unten sind die Füße!“
„Stimmt. Vielleicht hat hier jemand gebaut, als wir weg waren und seine Badelatschen vergessen?“
„Aber es ist unsere Sandburg, oder, Papa?“
„Genau.“
„Dann mache ich etwas Neues aus dem Mensch! Guck mal, so, und das sind die Haare! Und die grünen Badelatschen braucht er nicht mehr.“
„Was wird das denn?“
„Eine Meerjungfrau!“
„Eine Meerjungfrau… ja, das kann ich mir vorstellen. Wollen wir nachher Muscheln sammeln gehen für ihren Fischschwanz?“
„Ja!“
Der Sandengel verlor sich in Meerjungfrau-Gedanken. Wie es sich wohl anfühlte, lange Haare und Schuppen zu haben? Als kleine Finger ihm energisch eine neue Nase zeichneten, löste er sich mit einem Lächeln auf und wurde zu etwas ganz Neuem.
Der Himmel hing schwer und nass über dem Strand, die Promenade war verlassen. Weit hinten schäumte das Meer und rief nach mehr Regen, die Luft schmeckte abwechselnd nach Tang und altem Pommesfett aus der Fastfood-Bude am Strandweg. Der Sandengel schmatzte. Das Leben roch so gut! Er war noch nicht bereit, es abzugeben, er fand, seine Zeit war noch nicht gekommen, da mochte das Meer so viel Regen schicken wie es wollte.
Als erstes lief ihm ein Hund vor die Badelatschen. Es war ein wolliger Hund mit einem schwarzen Halsband, der alleine über den Strand lief und seine Freiheit genoss. „He, du!“ rief der Sandengel, „kannst du mir helfen?“ Aber der Hund war nur ein Hund und hatte nichts märchenhaftes an sich, er roch an den Badelatschen, bekam Sand in die Nase, nieste und lief davon, ohne den Sandengel weiter zu beachten. „Toll“, murmelte der Sandengel und betrachtete seinen linken Fuß, der jetzt ein Loch aufwies, wo der Hund geschnüffelt hatte.
Als zweites begegnete ihm ein Ehepaar im Partnerlook. Sie rannten fast über das leere Watt, hatten die Kapuzen ihrer Jack-Wolfskin-Jacken hochgeschlagen und sahen aus, als ob das Laufen Arbeit wäre. Der Sandengel versuchte, mit ihnen Schritt zu halten, aber mit nur einem halben Fuß und klappernden Gelenken war das schwierig, und als er ihnen hinterherrief, drehte nur die Frau sich kurz um. „Schon wieder Plastikmüll am Strand“, murmelte sie, als sie die grünen Badelatschen sah, schüttelte den Kopf und rannte dann ihrem Mann hinterher, der schon fünf Meter weiter war. Der Sandengel blieb stehen. „Plastikmüll?“ sagte er entrüstet und sah auf seine Füße in den Badelatschen herunter. Das Grün gefiel ihm, es gab daran nichts auszusetzen. Er ordnete seine Muschelschalen neu, die bei seinem Sprint den Zusammenhalt verloren hatten, und wanderte weiter den Strand entlang. Der Wind pfiff durch seinen Sandkörper und nahm ab und zu eine Handvoll von ihm mit, und der Sandengel sah zu, wie Teile von ihm woanders zu etwas Neuem wurden. Er hatte nichts dagegen, trotzdem fand er die Idee, noch ein paar Tage länger hier zu bleiben, immer noch reizvoll. Als die Bande Möwen sich auf ihn einschoss, nahm er deswegen beherzt seine Treibholzarme hoch und verteidigte sich. Die Möwen kreischten und hackten nach ihm und hörten erst auf, als sie draussen im Watt eine Herde Krebse entdeckten. „Tja“, mumelte der Sandengel, „das lief jetzt nicht so gut.“ Die Hälfte seiner Muschelschalen war zerbrochen und die Zahnstocherkette, die er quer über die Brust getragen hatte, war auseinandergerissen und heruntergefallen.
Eilig stapfte er weiter und hinterließ unregelmässige Spuren im nassen Sand. Über den Wind hinweg hatte er ein leises Brummen gehört, und weit hinten konnte er zwei Gestalten an einem Priel sehen. Als er näherkam, sah er ein kleines Boot über den Priel fahren. Es nahm die leichten Wellen mit heulendem Motor, und jedes Mal, wenn das Boot über eine Welle sprang, lachten die beiden Teenager begeistert und schrien: „Mega! Boah! Hast du das gesehen?“ Einer hatte die Steuerung in den Händen, der andere rannte, wenn das Boot auf Sand gelaufen war, und setzte es zurück ins Wasser. Sie hörten den Sandengel nicht, und als er das zweite Mal angerempelt wurde und er einen seiner Treibholzarme mit dem anderen einsammeln musste, wandte er sich ab und ging an den Burgenstrand zurück.
Ein bisschen ratlos ließ er sich auf die erste Burg sinken, die ihm in den Weg kam. Er verschmolz fast mit dem Sand unter ihm und seufzte erleichtert. War das anstrengend gewesen! Und wie gut sich der kühle Sand anfühlte! Er schloss die Augen und schlief ein.
Als er aufwachte, fühlte er sich verändert, aber auf eine gute Weise.
„Guck mal, Papa, das war gestern noch nicht da!“
„Was denn, Schatz?“
„Das hier. Das sieht aus wie ein Mensch, guck, hier sind die Arme und hier ist der Kopf! Und da unten sind die Füße!“
„Stimmt. Vielleicht hat hier jemand gebaut, als wir weg waren und seine Badelatschen vergessen?“
„Aber es ist unsere Sandburg, oder, Papa?“
„Genau.“
„Dann mache ich etwas Neues aus dem Mensch! Guck mal, so, und das sind die Haare! Und die grünen Badelatschen braucht er nicht mehr.“
„Was wird das denn?“
„Eine Meerjungfrau!“
„Eine Meerjungfrau… ja, das kann ich mir vorstellen. Wollen wir nachher Muscheln sammeln gehen für ihren Fischschwanz?“
„Ja!“
Der Sandengel verlor sich in Meerjungfrau-Gedanken. Wie es sich wohl anfühlte, lange Haare und Schuppen zu haben? Als kleine Finger ihm energisch eine neue Nase zeichneten, löste er sich mit einem Lächeln auf und wurde zu etwas ganz Neuem.