Harle Kin
Mitglied
Der Scheibenwischergummigeschäftgeschäftsführer
Es gab Dinge im Leben, die man einfach nicht verstand. Die Unendlichkeit des Weltalls, das Geheimnis des Lebens, und warum jemand sein gesamtes Geld in ein Geschäft investierte, das ausschließlich Scheibenwischergummis verkaufte.
Bernd verstand das sehr wohl. Er verstand es so tief, dass es fast schon pathologisch war.
Während andere Jungs von Sportwagen oder Superhelden träumten, las er Fachliteratur über die perfekte Gummimischung oder dachte über die aerodynamischen Vorteile einer speziell geformten Wischlippe nach.
Jetzt stand er in seinem Reich.
Ein kühler, weiß gefliester Raum, in dem das Licht von den makellosen Glasvitrinen reflektierte und die Gummis in ihren Verpackungen wie seltene Schmetterlinge aussehen ließ.
„Bernd´s Scheibenwischergummi Geschäft“,
stand in schlichten, schwarzen Lettern über der Eingangstür.
Ein Hauch von Stolz schwang in jedem Buchstaben mit. Bernd trug ein perfekt gebügeltes Hemd und eine Weste, an der ein Namensschild prangte:
„Scheibenwischergummigeschäftgeschäftsführer Bernd Pfennig“.
Er wusste, dass dieser Titel fast länger war als seine tägliche Kundenliste, aber das war ihm egal, er trug ihn mit stolz. Das war sein Traum, seine Bestimmung, und er war bereit, die Welt davon zu überzeugen, dass ein Leben ohne den perfekten Scheibenwischergummi ein Leben in ewiger Schlieren-Hölle war.
Die Mittagssonne warf einen Streifen Licht über den makellosen Boden seines Ladens, und er wartete.
Er wartete mit der Geduld eines buddhistischen Mönchs und der Passion eines Weinliebhabers auf den ersten Kunden.
Er blickte auf sein Namensschild:
„Scheibenwischergummigeschäftgeschäftsführer Bernd Pfennig“. Ein Monument der Hingabe, ein Mahnmal für die Träume, die man nicht aufgeben sollte, nur weil die Tante beim Familienessen die Augen verdrehte und der Onkel fragte:
„Warum nicht gleich ein Geschäft für Einweg-Zahnseide?“
Bernd hatte geantwortet:
„Onkel Horst, die Zahnseide-Branche ist überfüllt. Aber wer versteht wirklich die Seele eines Gummis, das bei minus 15 Grad und strömendem Regen zuverlässig die Sicht freihält?“
Er hatte eine Weile geredet, über die Wichtigkeit der Graphitbeschichtung, über die Symmetrie der Gummilippe, über die subtile Kurve, die das Wischbild perfekt machte.
Am Ende hatte Onkel Horst genickt, aber Bernd wusste, dass es ein Nicken war, das nichts verstand.
Nun saß er hier, umgeben von 100 verschiedenen Gummis, jedem einzelnen mit einer Geschichte, einer Bestimmung. Er hatte sogar Gummis aus Schweden, die angeblich so flexibel waren, dass sie sich fast von selbst an die Scheibe schmiegten. Und aus Japan, Gummis, die so leise wischten, dass man sie kaum hörte – eine Art Zen-Erlebnis für die Windschutzscheibe.
Bernd schaute aus dem Fenster. Eine Taube landete auf dem Dach seines Ladens, als würde sie die Wichtigkeit dieses Ortes verstehen. Ein neuer Tag, ein neues Kapitel. Und er war bereit, der Welt die Wahrheit zu erzählen:
Ein Auto ist nur so gut wie seine Sicht. Und die Sicht ist nur so gut wie der Scheibenwischergummi.
Die Glocke über der Ladentür klingelte. Bernd blickte auf.
Eine alte Dame betrat den Laden, den Kopf skeptisch geneigt. Die dicke rundlich Brille mit den beschlagenen Gläsern auf ihrer Nase erinnerten Bernd sofort an Schlieren und schlechte Sicht.
„Verzeihung“, krächzte sie. „Ist das hier ... ein Geschäft?“
Bernd richtete sich auf, den Blick ernst wie ein Chirurg vor dem Schnitt.
„Ja, gnädige Frau. Dies ist Bernd´s Scheibenwischer- gummi Geschäft. Das erste und einzige Fachgeschäft für Scheibenwischergummis im Land.“
Er sprach, als ginge es um ein Heiligtum.
Die Dame schaute sich um, musterte die Gummireihen. „Und was ... macht man hier?“
„Man findet Erlösung“, sagte Bernd feierlich. „Den Gummi, der nicht nur wischt, sondern das Leben klarer macht. Perfektes Wischbild – das ist unser Ziel.“
Sie zog die Brauen hoch. „Ich dachte, man kauft die einfach im Baumarkt.“
Bernd schüttelte den Kopf. "Gnädige Frau, das ist, als würde man in einer Sterneküche nach einem Hotdog fragen. Das sind Kompromisse. Hier gibt es keine Kompromisse. Nur die absolute Perfektion für Ihre Windschutzscheibe."
Er trat hinter seinen Verkaufstresen, der aussah wie der Altar einer Kirche, und griff nach einer Packung. "Erzählen Sie mir von Ihrem Wagen. Welche Marke? Welches Baujahr? Wir finden den Gummi, der zu Ihnen passt. Oder besser gesagt: Sie finden den Gummi, der Sie verdient hat."
Die Dame schwieg lange, dann seufzte sie. „Na gut. Einen Versuch ist es wert.“
Bernd lächelte, als hätte er einen Gläubigen bekehrt.
Minuten später verließ sie zufrieden den Laden mit einer schlichten, aber von Bernd sorgsam ausgewählten Packung in der Hand.
Er trug den Verkauf in sein Notizbuch ein und markierte den Tag als kleinen Triumph.
Die nächsten Tage verliefen ruhig.
Es kamen nicht viele Kunden, aber genug, um Bernd glücklich zu machen.
Manchmal kam Herr Lang, der schon vor einer Woche einen Gummi gekauft hatte, und bestand darauf, „noch einen, für alle Fälle“ zu nehmen. Einen, Wohlgemerkt.
Auch Frau Fromm kehrte zurück – angeblich, um „nochmal zu schauen, ob die Reihenfolge der Gummis noch stimmt“.
Sie blieb immer ungewöhnlich lange, diskutierte mit Bernd angeregt über die Vorteile unterschiedlicher Gummiprofile und zeigte ein fast schon professionelles Interesse an der neuesten Winteredition.
Gemeinsam verglichen sie Elastizität und Wischverhalten, als hinge das Wetter der nächsten Monate von ihrer Entscheidung ab.
Bernd beriet, erklärte, schwärmte von Polymer-Mischungen und perfekter Passform, als hinge die Rettung der Menschheit daran.
Die Kundschaft hörte aufmerksam zu, stellte gelegentlich eine respektvolle Frage, nickte ehrfürchtig.
Wenn Bernd einen Wischergummi auswählte und feierlich überreichte, nahm man ihn entgegen wie eine Reliquie.
Manche Kunden bedankten sich überschwänglich, manche bewunderten staunend die feine Struktur des Materials oder ließen sich begeistert die Vorzüge einer speziellen Graphitbeschichtung erläutern.
Ein älterer Herr murmelte sogar einmal:
„Man lernt nie aus. Sie haben mir heute wirklich die Augen geöffnet, Herr Pfennig.“
Im Stillen war Bernd überzeugt: Er hatte ihren Blick auf das Wesentliche gelenkt.
Für einen kurzen Moment hatte er sie erlöst von der Ignoranz der Baumarktmentalität – und ihnen gezeigt, dass Klarheit kein Zufall ist, sondern das Ergebnis echter Hingabe.
Klarheit war für Bernd die oberste Priorität, in jedem Bereich des Lebens.
Wenn die Kunden den Laden verließen, taten sie es mit einem Lächeln und einem Funkeln in den Augen, das nur diejenigen kennen, die den wahren Wert einer perfekten Sicht erkannt haben.
Abends, wenn die Sonne flach durch die Scheiben fiel, ordnete Bernd fein säuberlich seine Waren und betrachtete zufrieden sein Reich.
Vielleicht war es nur ein kleiner Laden, aber für Bernd war es das Zentrum einer besseren, klareren Welt.
Und manchmal hatte er das Gefühl, seine Stammkunden spürten das genauso.
Ein paar Tage vergingen. Die Stille des Ladens war nie wirklich leer – sie war angefüllt mit leisen Gesprächen, dem Rascheln von Verpackungen, dem Murmeln zufriedener Kunden.
Bernd war gerade dabei, einem älteren Herrn die Vorteile der japanischen Mikrofaser-Beschichtung zu erklären, während Frau Fromm – mal wieder – prüfend die Abstände der Gummireihen kontrollierte.
Da hörte er ein Geräusch.
Ein leises Klopfen an der Tür, kaum hörbar im sanften Stimmengewirr.
Bernds Herzschlag beschleunigte sich.
Jeder neue Kunde war eine kleine Bestätigung:
Sein Traum lebte.
Die Tür schwang auf.
Herein trat eine Frau in den späten 50zigern, die eine Einkaufstasche krampfhaft an sich drückte.
Ihre Kleidung war unauffällig, ihre Augen wirkten müde.
Für einen Moment blieb sie stehen, als müsse sie sich vergewissern, dass sie hier richtig war.
Bernd erhob sich sofort.
Sein perfekt gebügeltes Hemd knackte. "Guten Tag", sagte er, seine Stimme klang wie die einer seriösen Koryphäe. "Willkommen bei 'Bernd's Scheibenwischergummis'. Wie kann ich Ihnen helfen?"
Die Frau lächelte schwach.
"Bernd, mein Schatz", sagte sie,
ihre Stimme sanft. "Ich bin's, Mama."
Bernd nickte,
sein Gesichtsausdruck blieb ernst.
Er deutete mit einer eleganten Geste auf eine der Vitrinen, in der ein besonders hochwertiger Scheibenwischergummi thronte, importiert aus Indonesien, gefertigt aus einer speziellen, geräuschlosen Kautschukmischung.
"Für Sie gilt natürlich der Stammkundenrabatt", sagte er. "Aber ich muss sagen, dass Sie heute etwas verloren aussehen. Gibt es Probleme mit der Sicht? Sind Sie es leid, die Welt durch einen Grauschleier zu sehen?"
Die Frau, seine Mutter,
trat einen Schritt näher.
Sie blickte sich um.
Die Glasvitrinen waren in Wirklichkeit einfache Holzkisten, auf denen fein säuberlich beschriftete Kartons standen. An den Wänden klebten Hunderte von gebrauchten Scheibenwischergummis, akribisch nach Größe und Fabrikat sortiert. Ein paar Schaufensterpuppen standen reglos in den Ecken, eine davon trug eine alte dicke runde Brille.
"Die Puppen", fragte seine Mutter leise, in einem sanftem Ton, "sind das die Kunden, von denen du immer sprichst?"
Bernd seufzte.
"Ah, Sie meinen Frau Müller und Herr Lang von der Autobahn. Ja, ich berate sie gerade bezüglich ihrer Wischbilder.
Sie fahren viel, deshalb ist es wichtig, dass sie sich nicht für das erstbeste Modell entscheiden."
Er ging zu einem der Kartons, nahm einen Gummi heraus und hielt ihn liebevoll in der Hand.
"Fühlen Sie das? Die Symmetrie. Die Kurve. Das ist ein Zen-Erlebnis für die Windschutzscheibe."
Bernds Mutter sah auf den Gummi, den er ihr hinhielt,
und dann in seine Augen.
Sie wusste, dass dieser Laden nicht real war,
dass es nur die winzige Ein-Zimmer-Wohnung war,
in der er lebte.
Sie wusste, dass die Kunden, mit denen er redete aus Schaufensterpuppen bestanden und das Resultat seiner Krankheit waren.
"Bernd", sagte sie, ihre Stimme zitterte leicht,
"ich habe dir etwas zu essen mitgebracht.
Kartoffelsalat, den magst du doch so gern."
Sie öffnete ihre Einkaufstasche.
"Und es ist alles in Ordnung, mein Schatz. Das Wichtigste ist, dass du glücklich bist." Sie lächelte freundlich,
aber in ihren Augen glitzerten Tränen, die sie nicht zeigen wollte.
Bernd schüttelte den Kopf.
"Glück ist vergänglich. Aber die perfekte Sicht, die bleibt. Glauben Sie mir!
Wenn die Gummilippe perfekt die Scheibe streichelt, wenn kein einziger Tropfen die klare Sicht stört,
dann sind das Momente der Ewigkeit."
Er schaute seine Mutter mit einem Blick an, der so ernst und so voller Überzeugung war, dass sie beinahe anfing, an die Echtheit der Vitrinen und an die Existenz von Frau Müller und Herrn Lang zu glauben.
Sie legte eine Hand auf seine Schulter, leicht wie ein Schatten, als fürchtete sie, ihn aus seiner Welt zu reißen. „Ich glaube dir, mein Schatz“, flüsterte sie,
ihre Stimme ein zarter Faden, der zwischen Liebe und Schmerz gewoben war.
Ihre Finger zitterten kaum merklich, während sie in seine Augen sah –
Augen, die einst die Welt mit kindlicher Neugier betrachteten und nun in einer Realität leuchteten, die nur er sehen konnte.
In diesem Moment, in seinem makellosen, wahnhaften Reich, lag die traurige, schmerzhafte Wahrheit wie ein stiller Gast zwischen ihnen:
Ein Auto ist nur so gut wie seine Sicht.
Und Bernds Sicht war ein zerbrechliches Mosaik, gefertigt aus Träumen, die längst nicht mehr mit der Welt außerhalb seiner Kisten und Puppen übereinstimmten.
Als sie sich zum Gehen wandte, hielt sie inne,
die Hand noch an der Türklinke.
Sie warf einen letzten Blick zurück.
Bernd stand da, den porösen Gummi immer noch in der Hand, und ordnete mit liebevoller Sorgfalt seine Waren. Das schwindende Licht der Abendsonne fiel durch das Fenster, tauchte den Raum in ein weiches, goldenes Glühen, doch die Schatten der Puppen wirkten länger, kälter. Ihre Kehle zog sich zusammen, als sie die Tür leise schloss,
die Einkaufstasche mit dem Kartoffelsalat schwer in ihrer Hand.
Sie trug nicht nur Essen nach Hause, sondern auch die stille Gewissheit, dass sie ihn, solange er in seiner Welt glücklich war, niemals wirklich zurückholen konnte.
Es gab Dinge im Leben, die man einfach nicht verstand. Die Unendlichkeit des Weltalls, das Geheimnis des Lebens, und warum jemand sein gesamtes Geld in ein Geschäft investierte, das ausschließlich Scheibenwischergummis verkaufte.
Bernd verstand das sehr wohl. Er verstand es so tief, dass es fast schon pathologisch war.
Während andere Jungs von Sportwagen oder Superhelden träumten, las er Fachliteratur über die perfekte Gummimischung oder dachte über die aerodynamischen Vorteile einer speziell geformten Wischlippe nach.
Jetzt stand er in seinem Reich.
Ein kühler, weiß gefliester Raum, in dem das Licht von den makellosen Glasvitrinen reflektierte und die Gummis in ihren Verpackungen wie seltene Schmetterlinge aussehen ließ.
„Bernd´s Scheibenwischergummi Geschäft“,
stand in schlichten, schwarzen Lettern über der Eingangstür.
Ein Hauch von Stolz schwang in jedem Buchstaben mit. Bernd trug ein perfekt gebügeltes Hemd und eine Weste, an der ein Namensschild prangte:
„Scheibenwischergummigeschäftgeschäftsführer Bernd Pfennig“.
Er wusste, dass dieser Titel fast länger war als seine tägliche Kundenliste, aber das war ihm egal, er trug ihn mit stolz. Das war sein Traum, seine Bestimmung, und er war bereit, die Welt davon zu überzeugen, dass ein Leben ohne den perfekten Scheibenwischergummi ein Leben in ewiger Schlieren-Hölle war.
Die Mittagssonne warf einen Streifen Licht über den makellosen Boden seines Ladens, und er wartete.
Er wartete mit der Geduld eines buddhistischen Mönchs und der Passion eines Weinliebhabers auf den ersten Kunden.
Er blickte auf sein Namensschild:
„Scheibenwischergummigeschäftgeschäftsführer Bernd Pfennig“. Ein Monument der Hingabe, ein Mahnmal für die Träume, die man nicht aufgeben sollte, nur weil die Tante beim Familienessen die Augen verdrehte und der Onkel fragte:
„Warum nicht gleich ein Geschäft für Einweg-Zahnseide?“
Bernd hatte geantwortet:
„Onkel Horst, die Zahnseide-Branche ist überfüllt. Aber wer versteht wirklich die Seele eines Gummis, das bei minus 15 Grad und strömendem Regen zuverlässig die Sicht freihält?“
Er hatte eine Weile geredet, über die Wichtigkeit der Graphitbeschichtung, über die Symmetrie der Gummilippe, über die subtile Kurve, die das Wischbild perfekt machte.
Am Ende hatte Onkel Horst genickt, aber Bernd wusste, dass es ein Nicken war, das nichts verstand.
Nun saß er hier, umgeben von 100 verschiedenen Gummis, jedem einzelnen mit einer Geschichte, einer Bestimmung. Er hatte sogar Gummis aus Schweden, die angeblich so flexibel waren, dass sie sich fast von selbst an die Scheibe schmiegten. Und aus Japan, Gummis, die so leise wischten, dass man sie kaum hörte – eine Art Zen-Erlebnis für die Windschutzscheibe.
Bernd schaute aus dem Fenster. Eine Taube landete auf dem Dach seines Ladens, als würde sie die Wichtigkeit dieses Ortes verstehen. Ein neuer Tag, ein neues Kapitel. Und er war bereit, der Welt die Wahrheit zu erzählen:
Ein Auto ist nur so gut wie seine Sicht. Und die Sicht ist nur so gut wie der Scheibenwischergummi.
Die Glocke über der Ladentür klingelte. Bernd blickte auf.
Eine alte Dame betrat den Laden, den Kopf skeptisch geneigt. Die dicke rundlich Brille mit den beschlagenen Gläsern auf ihrer Nase erinnerten Bernd sofort an Schlieren und schlechte Sicht.
„Verzeihung“, krächzte sie. „Ist das hier ... ein Geschäft?“
Bernd richtete sich auf, den Blick ernst wie ein Chirurg vor dem Schnitt.
„Ja, gnädige Frau. Dies ist Bernd´s Scheibenwischer- gummi Geschäft. Das erste und einzige Fachgeschäft für Scheibenwischergummis im Land.“
Er sprach, als ginge es um ein Heiligtum.
Die Dame schaute sich um, musterte die Gummireihen. „Und was ... macht man hier?“
„Man findet Erlösung“, sagte Bernd feierlich. „Den Gummi, der nicht nur wischt, sondern das Leben klarer macht. Perfektes Wischbild – das ist unser Ziel.“
Sie zog die Brauen hoch. „Ich dachte, man kauft die einfach im Baumarkt.“
Bernd schüttelte den Kopf. "Gnädige Frau, das ist, als würde man in einer Sterneküche nach einem Hotdog fragen. Das sind Kompromisse. Hier gibt es keine Kompromisse. Nur die absolute Perfektion für Ihre Windschutzscheibe."
Er trat hinter seinen Verkaufstresen, der aussah wie der Altar einer Kirche, und griff nach einer Packung. "Erzählen Sie mir von Ihrem Wagen. Welche Marke? Welches Baujahr? Wir finden den Gummi, der zu Ihnen passt. Oder besser gesagt: Sie finden den Gummi, der Sie verdient hat."
Die Dame schwieg lange, dann seufzte sie. „Na gut. Einen Versuch ist es wert.“
Bernd lächelte, als hätte er einen Gläubigen bekehrt.
Minuten später verließ sie zufrieden den Laden mit einer schlichten, aber von Bernd sorgsam ausgewählten Packung in der Hand.
Er trug den Verkauf in sein Notizbuch ein und markierte den Tag als kleinen Triumph.
Die nächsten Tage verliefen ruhig.
Es kamen nicht viele Kunden, aber genug, um Bernd glücklich zu machen.
Manchmal kam Herr Lang, der schon vor einer Woche einen Gummi gekauft hatte, und bestand darauf, „noch einen, für alle Fälle“ zu nehmen. Einen, Wohlgemerkt.
Auch Frau Fromm kehrte zurück – angeblich, um „nochmal zu schauen, ob die Reihenfolge der Gummis noch stimmt“.
Sie blieb immer ungewöhnlich lange, diskutierte mit Bernd angeregt über die Vorteile unterschiedlicher Gummiprofile und zeigte ein fast schon professionelles Interesse an der neuesten Winteredition.
Gemeinsam verglichen sie Elastizität und Wischverhalten, als hinge das Wetter der nächsten Monate von ihrer Entscheidung ab.
Bernd beriet, erklärte, schwärmte von Polymer-Mischungen und perfekter Passform, als hinge die Rettung der Menschheit daran.
Die Kundschaft hörte aufmerksam zu, stellte gelegentlich eine respektvolle Frage, nickte ehrfürchtig.
Wenn Bernd einen Wischergummi auswählte und feierlich überreichte, nahm man ihn entgegen wie eine Reliquie.
Manche Kunden bedankten sich überschwänglich, manche bewunderten staunend die feine Struktur des Materials oder ließen sich begeistert die Vorzüge einer speziellen Graphitbeschichtung erläutern.
Ein älterer Herr murmelte sogar einmal:
„Man lernt nie aus. Sie haben mir heute wirklich die Augen geöffnet, Herr Pfennig.“
Im Stillen war Bernd überzeugt: Er hatte ihren Blick auf das Wesentliche gelenkt.
Für einen kurzen Moment hatte er sie erlöst von der Ignoranz der Baumarktmentalität – und ihnen gezeigt, dass Klarheit kein Zufall ist, sondern das Ergebnis echter Hingabe.
Klarheit war für Bernd die oberste Priorität, in jedem Bereich des Lebens.
Wenn die Kunden den Laden verließen, taten sie es mit einem Lächeln und einem Funkeln in den Augen, das nur diejenigen kennen, die den wahren Wert einer perfekten Sicht erkannt haben.
Abends, wenn die Sonne flach durch die Scheiben fiel, ordnete Bernd fein säuberlich seine Waren und betrachtete zufrieden sein Reich.
Vielleicht war es nur ein kleiner Laden, aber für Bernd war es das Zentrum einer besseren, klareren Welt.
Und manchmal hatte er das Gefühl, seine Stammkunden spürten das genauso.
Ein paar Tage vergingen. Die Stille des Ladens war nie wirklich leer – sie war angefüllt mit leisen Gesprächen, dem Rascheln von Verpackungen, dem Murmeln zufriedener Kunden.
Bernd war gerade dabei, einem älteren Herrn die Vorteile der japanischen Mikrofaser-Beschichtung zu erklären, während Frau Fromm – mal wieder – prüfend die Abstände der Gummireihen kontrollierte.
Da hörte er ein Geräusch.
Ein leises Klopfen an der Tür, kaum hörbar im sanften Stimmengewirr.
Bernds Herzschlag beschleunigte sich.
Jeder neue Kunde war eine kleine Bestätigung:
Sein Traum lebte.
Die Tür schwang auf.
Herein trat eine Frau in den späten 50zigern, die eine Einkaufstasche krampfhaft an sich drückte.
Ihre Kleidung war unauffällig, ihre Augen wirkten müde.
Für einen Moment blieb sie stehen, als müsse sie sich vergewissern, dass sie hier richtig war.
Bernd erhob sich sofort.
Sein perfekt gebügeltes Hemd knackte. "Guten Tag", sagte er, seine Stimme klang wie die einer seriösen Koryphäe. "Willkommen bei 'Bernd's Scheibenwischergummis'. Wie kann ich Ihnen helfen?"
Die Frau lächelte schwach.
"Bernd, mein Schatz", sagte sie,
ihre Stimme sanft. "Ich bin's, Mama."
Bernd nickte,
sein Gesichtsausdruck blieb ernst.
Er deutete mit einer eleganten Geste auf eine der Vitrinen, in der ein besonders hochwertiger Scheibenwischergummi thronte, importiert aus Indonesien, gefertigt aus einer speziellen, geräuschlosen Kautschukmischung.
"Für Sie gilt natürlich der Stammkundenrabatt", sagte er. "Aber ich muss sagen, dass Sie heute etwas verloren aussehen. Gibt es Probleme mit der Sicht? Sind Sie es leid, die Welt durch einen Grauschleier zu sehen?"
Die Frau, seine Mutter,
trat einen Schritt näher.
Sie blickte sich um.
Die Glasvitrinen waren in Wirklichkeit einfache Holzkisten, auf denen fein säuberlich beschriftete Kartons standen. An den Wänden klebten Hunderte von gebrauchten Scheibenwischergummis, akribisch nach Größe und Fabrikat sortiert. Ein paar Schaufensterpuppen standen reglos in den Ecken, eine davon trug eine alte dicke runde Brille.
"Die Puppen", fragte seine Mutter leise, in einem sanftem Ton, "sind das die Kunden, von denen du immer sprichst?"
Bernd seufzte.
"Ah, Sie meinen Frau Müller und Herr Lang von der Autobahn. Ja, ich berate sie gerade bezüglich ihrer Wischbilder.
Sie fahren viel, deshalb ist es wichtig, dass sie sich nicht für das erstbeste Modell entscheiden."
Er ging zu einem der Kartons, nahm einen Gummi heraus und hielt ihn liebevoll in der Hand.
"Fühlen Sie das? Die Symmetrie. Die Kurve. Das ist ein Zen-Erlebnis für die Windschutzscheibe."
Bernds Mutter sah auf den Gummi, den er ihr hinhielt,
und dann in seine Augen.
Sie wusste, dass dieser Laden nicht real war,
dass es nur die winzige Ein-Zimmer-Wohnung war,
in der er lebte.
Sie wusste, dass die Kunden, mit denen er redete aus Schaufensterpuppen bestanden und das Resultat seiner Krankheit waren.
"Bernd", sagte sie, ihre Stimme zitterte leicht,
"ich habe dir etwas zu essen mitgebracht.
Kartoffelsalat, den magst du doch so gern."
Sie öffnete ihre Einkaufstasche.
"Und es ist alles in Ordnung, mein Schatz. Das Wichtigste ist, dass du glücklich bist." Sie lächelte freundlich,
aber in ihren Augen glitzerten Tränen, die sie nicht zeigen wollte.
Bernd schüttelte den Kopf.
"Glück ist vergänglich. Aber die perfekte Sicht, die bleibt. Glauben Sie mir!
Wenn die Gummilippe perfekt die Scheibe streichelt, wenn kein einziger Tropfen die klare Sicht stört,
dann sind das Momente der Ewigkeit."
Er schaute seine Mutter mit einem Blick an, der so ernst und so voller Überzeugung war, dass sie beinahe anfing, an die Echtheit der Vitrinen und an die Existenz von Frau Müller und Herrn Lang zu glauben.
Sie legte eine Hand auf seine Schulter, leicht wie ein Schatten, als fürchtete sie, ihn aus seiner Welt zu reißen. „Ich glaube dir, mein Schatz“, flüsterte sie,
ihre Stimme ein zarter Faden, der zwischen Liebe und Schmerz gewoben war.
Ihre Finger zitterten kaum merklich, während sie in seine Augen sah –
Augen, die einst die Welt mit kindlicher Neugier betrachteten und nun in einer Realität leuchteten, die nur er sehen konnte.
In diesem Moment, in seinem makellosen, wahnhaften Reich, lag die traurige, schmerzhafte Wahrheit wie ein stiller Gast zwischen ihnen:
Ein Auto ist nur so gut wie seine Sicht.
Und Bernds Sicht war ein zerbrechliches Mosaik, gefertigt aus Träumen, die längst nicht mehr mit der Welt außerhalb seiner Kisten und Puppen übereinstimmten.
Als sie sich zum Gehen wandte, hielt sie inne,
die Hand noch an der Türklinke.
Sie warf einen letzten Blick zurück.
Bernd stand da, den porösen Gummi immer noch in der Hand, und ordnete mit liebevoller Sorgfalt seine Waren. Das schwindende Licht der Abendsonne fiel durch das Fenster, tauchte den Raum in ein weiches, goldenes Glühen, doch die Schatten der Puppen wirkten länger, kälter. Ihre Kehle zog sich zusammen, als sie die Tür leise schloss,
die Einkaufstasche mit dem Kartoffelsalat schwer in ihrer Hand.
Sie trug nicht nur Essen nach Hause, sondern auch die stille Gewissheit, dass sie ihn, solange er in seiner Welt glücklich war, niemals wirklich zurückholen konnte.
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