Er durfte nicht lesen, nicht fernsehen, auch Radio hören war verboten. Die Schranken waren entweder geöffnet oder geschlossen. Er genoss es, wenn die Autos sich stauten, Radfahrer sich an der Autoschlange vorbeimogelten, um dann genau wie die Fußgänger vor der Schranke zum stehen zu kommen. Er musste die Schranken schon früh schließen, wenn das Läutwerk ertönte und dann dauerte es oft minutenlang bis ein Zug kam. Kam noch einer aus der Gegenrichtung, blieben die Schranken unten. Manche Autofahrer hupten dann ungeduldig, aber er sah mit stoischer Miene auf seinen Schreibtisch, so als ob dort wichtige Dokumente lägen, die es zu studieren galt. Klopfte jemand an seine gläserne Tür, so tat er, als hörte er dies nicht.
Erst wenn der Betreffende lauter pochte, öffnete er das kleine Fenster und erteilte dem Ungeduldigen auf dessen Beschwerde, warum die Schranken so lange unten blieben, eine Lektion in puncto Sicherheit, Beamtentum, Zuverlässigkeit und bestehenden Vorschriften. Zumeist ging aber sein barsch gehaltener Vortrag im Rauschen und Rattern des vorbeirasenden Zuges unter. Danach kurbelte er die Schranken hoch, und der Beschwerdeführer war flugs über die Gleise entschwunden.
Es ärgerte ihn, wenn die Leute seine Aufgabe nicht ernst nahmen, meinten er habe zu bestimmen wann die Schranken geschlossen wurden, ihn beschimpften oder auch nur missbilligend zu seinem Wärterhäuschen blickten.
Das lange Warten auf den nächsten Zug konnte ermüdend und langweilig sein. Dann goss er die Blumen auf der Fensterbank oder blickte einfach in die Ferne. Hatte er Hunger, so packte er die Brote aus, die seine Frau im eingepackt hatte. Sie waren manchmal zu dick mit Wurst oder Käse belegt, aber er aß sie alle auf, manchmal nur aus Langeweile. Er bekam deshalb Probleme mit seinem Gewicht, da er auch kaum Bewegung hatte außer dem Kurbeln an den Schranken. Er hatte oft gewünscht Lokführer zu sein oder Bahnhofsvorstand oder Zugführer. In schicker Uniform mit amtlich wichtiger Miene den Fahrgästen erzählen, was sie dürfen und was nicht. Er bewunderte die Stationsvorsteher, die alle Zugverbindungen herunterrasseln konnten, so dass der verdutzte Fahrgast ob der Menge an Information flugs die Flucht ergriff und doch lieber auf den Fahrplänen seine Verbindung zusammensuchte.
Er wartete immer nur darauf, dass die Meldeglocke anschlug oder das Telefon klingelte und ihm angekündigt wurde, dass er die Schranken zu öffnen oder zu schließen habe.
Wie, wenn er selbst bestimmen würde, wann er die Schranken schließen oder öffnen würde, je nach eigenem Gutdünken. Nicht mehr Sklave sein, sondern Herr.
Der Gedanke faszinierte ihn immer mehr. Wer sollte etwas merken. Seine Vorgesetzten? Die waren weit. Die Passanten? Sollten sie sich doch beschweren. Wer wollte ihm nachweisen, dass er die Schranken ohne Anweisung geschlossen hatte? Die Leute würden ganz schon blöde gucken, wenn sie minutenlang vor der geschlossenen Schranke stehen und diese sich wieder öffnet, ohne dass ein Zug gekommen wäre. Sollte er irgendwie auffallen, so würde er einfach behaupten, die Meldeglocke habe angeschlagen. Notfalls würde er nachträglich eine Eintrag in das Dienstbuch machen.
An einem ruhigen Sonntagnachmittag war es soweit. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, kein Auto, kein Radfahrer, kein Fußgänger - nichts. Der letzte Zug war vor einer Viertelstunde durch, die Schranken waren geöffnet. Er stand auf, trat vor sein Wärterhäuschen, stellte sich an die Schrankenwinde, sah nach links, sah nach rechts, nach hinten, nichts und niemand war zu sehen. Er fasst wie schon so unzählige Male die beiden Kurbel. Sein Beamtenherz sträubte sich gegen sein Tun, aber gleichzeitig bereitete es Wonne es zu überwinden, Verbotenes zu tun, etwas das ihn seinen Job, seine Existenz kosten könnte. Mahnenden Worten seines Gewissens zum Trotz fing er langsam an zu kurbeln. Die Schrankenbäume begannen sich zu senken und das Läutwerk ließ seine ersten Klang vernehmen. Er zuckte zusammen, stets setzte das Läutwerk beim Senken der Schranke ein, nie hatte ihn dies irritiert. Im Gegenteil, wenn es nicht eingesetzt hätte, wäre er stutzig geworden aber jetzt erschreckte es ihn. Er hatte nicht damit gerechnet, jetzt zeigte dieses laute "Plink" öffentlich seine Missetat an. Die Schrankenbäume hatten sich schon bewegt. Jetzt konnte er nur noch nach weiter machen. Sein Herz hämmerte, sein Gesicht füllte sich mit Blut, sein Atem ging rasch. Er kurbelte und stellte sich dabei vor, wie er erwischt wurde, wie man ihn disziplinarisch maßregelte, wie er es seiner Frau, wie seinen Kindern, seinen Eltern erklären sollte. Dann waren die Schranken unten. Die Behänge klapperten, die Schranken setzten auf ihren Halterungen auf, klapperten, sprangen zurück, klapperten wieder, bis sie ruhig in ihren Positionen lagen.
All diese Geräusche, die er sonst so genossen hatte, weil sie von seiner Arbeit, seiner Wichtigkeit, seinem Pflichtbewusstsein kündeten, all diese Geräusche verrieten ihn jetzt, machten alle auf sein schändliches Tun aufmerksam. Er blickte sich rasch um. Niemand zu sehen, und doch spürte er den Bahndirektor in seinem Rücken, dem er nun erklären würde, dass dies nur ein Testlauf war, da die Schranke beim letzten Öffnen so seltsame Geräusche gemacht habe und man doch nicht wolle, dass beim nächsten heran nahendem Zug die Schranken sich nicht schließen lassen.
Rasch kurbelte er die Schranken wieder hoch und glaubte nun selbst, was er sich gerade zusammen gefaselt hatte. Das "Plink" und Geklappert der Behänge war nun nicht mehr so schlimm, trotzdem stand ihm der Schweiß auf der Stirn, als er so schnell wie möglich in seinem Dienstraum verschwand. Er saß regungslos eine halbe Stunde, bis der Glockenschlag ihn an seine Dienstpflicht gemahnte und er nach draußen eilte, um höchstoffiziell die Schranken zu schließen, wobei ihm das regelmäßige Anschlagen des Läutwerks, das Rasseln der Behänge, das Klappern der Schrankenbäume in ihrer Halterung wie Musik vorkamen.
Bald darauf donnerte eine Dampflok mit ihrem Güterzug vorbei und schleppte eine Geräuschkulisse der ratternden Güterwagen hinter sich her. Der Heizer hatte kurz die Hand zum Gruß gehoben, dann war auch schon alles vorbei und er kurbelte die Schranken nach oben und machte seinen Diensteintrag.
Es dauerte wieder bis zu seinem nächsten Sonntagsdienst als es ihn wieder ohne Zugmeldung nach draußen trieb. Wieder lag das kleine Städtchen in seiner Sonntagsruhe. Es fiel ihm diesmal schon leichter. Auch das Geplinkere des Läutwerks, das Rasseln der Behänge, das Klappern beim Aufsetzen der Schranken störte nicht weiter. Er sah sich auch nicht mehr so vorsichtig um, wie beim ersten Mal. Erst als er sich umdrehte, um in seine Behausung zu gehen, sah er den jungen Mann, wie dieser mit seinem Fahrrad daher rollte, bremste, abstieg und sich in geduldiger Warteposition vor der Schranke aufstellte. Er erschrak leicht, setzte dann aber eine möglichst wichtige, dienstliche Miene auf und ging ins Innere des Wärterhauses. Dort setzte er sich an seinen Schreibtisch und sah im Buchungsplan nach, wann der nächste Zug kam. Dieser war erst in fünfzig Minuten zu erwarten. Er hatte jetzt Lust den jungen Burschen etwas zu ärgern und die Schranken noch geschlossen zu halten. Der Radfahrer machte einen langen Hals und sah gleisauf, gleisab nach dem zu erwartenden Zug. Er beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, während er so tat als hätte er wichtige Dokumente zu studieren. Von der anderen Seite tuckerte jetzt ein Auto heran und hielt vor der Schranke. Die Sache wurde jetzt doch zu heiß und er eilte geschäftig nach draußen, um sein Kurbelgeschäft zu beginnen. Das Auto fuhr an, kaum dass es gehalten hatte. Der Radfahrer stieg in die Pedale und sah ihn befremdet an. Er sah zurück und versuchte amtlich und verärgert auszusehen.
Als er wieder am Schreibtisch saß, atmetet er erst einige Male tief durch. Zu groß war jetzt wieder die Aufregung. Er schwitzt, das Herz klopfte bis zum Hals. Was, wenn..........? Der Autofahrer musste annehmen, dass gerade ein Zug durchgefahren wäre, aber der Bursche, wenn er sich nun beschwerte. Nein, dann würde er alles abstreiten. Soll er doch mal beweisen, dass.........Aber wenn es vielleicht der Sohn eines hohen Tieres war? Eines Bahnchefs? Sein Herz hämmerte noch lauter und seine Kehle schnürte sich zu, so dass er erst mal etwas trinken musste.
Er malte sich zunehmend aus, wie er in der Hauptbetriebszeit die Schranken geschlossen hielt, wie die Leute sich beschwerten und er sie abkanzelte, ihnen klar machte, dass nur er das Sagen hatte, dass die Schranken unten blieben solange es ihm passte. Er würde ihnen frech ins Gesicht lachen.
"Beschweren Sie sich doch!" würde er ihnen ins Gesicht schleudern und lachen in sein Häuschen gehen, die Tür schließen und von drinnen Grimassen schneiden.
Dann setzte sich plötzlich ein Gedanke fest - die Schranke offen zu lassen, wenn ein Zug kommt. Ein russisches Roulette mit dem Leben anderer und mit dem seinigem, denn dieses würde im Gefängnis enden.
Zunächst probierte er es wieder an ruhigen Sonntagmorgenden aus. Doch mittlerweile musste er sich stark auf sein Tun konzentrieren. Hatte er nun die Schranken geschlossen, weil er das Signal dazu bekam, oder weil es ihn wieder in den Fingern gejuckt hatte. Wenn er Nachtdienst hatte, ließ er die Schranken gleich geschlossen. Das hielt ihn auch wach, denn nun er musste nun höllisch aufpassen, wenn doch jemand kam.
In einer Nacht vor einem Feiertag morgens um 03:30 Uhr öffnete er die Schranken, obwohl ein Zug gemeldet war. Es war Totenstille als die Elektrolok mit ihrem Güterzug heranbrauste, aber ihn seinen Adern kochte das Blut, das Herz hämmerte bis in den Schläfen und seine Hände zitterten. Als der Zug vorbei war, schloss er die Schranken wieder. Das gab ihm jetzt ein sichereres Gefühl, als sie geöffnet zu lassen, wie es vorgeschrieben war.
Er saß am Schreibtisch und zitterte am ganzen Leib. Ein Kloß saß ihm in der Kehle. Er schluckte, versuchte sich zu beruhigen und fragte sich warum er diesen Unsinn überhaupt machte.
Dann durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Der Lokführer - er hatte gesehen, dass die Schranke offen war. Er würde das melden. Gott, daran hatte er gar nicht gedacht. In den nächsten Tagen wartete er angespannt darauf, dass die Bahnpolizei ihn aufsuchen und erklären würde, dass er mitkommen solle, da man Fragen an ihn habe. Doch es geschah nichts. Dafür war er bei der Übergabe bei Schichtwechsel so fahrig und unkonzentriert, dass ihn sein Kollege darauf ansprachen. Er wiegelte dann ab, sagte dass nichts gewesen sei.
Er wurde mutiger. Hatte er sonntags Dienst und waren die Straßen leer, ließ er die Schranken offen und grüßte auch noch freundlich den Lokführer durch Winken. Andererseits ließ er die Schranken geschlossen und genoss es, wenn einzelne Autofahrer oder Fußgänger vor der geschlossene Schranke minutenlang warten mussten und dann verdutzt schauten, wenn die Schranke geöffnet wurde, obwohl kein Zug kam. Er schaute die Leute sogar noch frech an, mit einer dienstlich strengen Miene und verärgert darüber, dass er jetzt extra für sie die Schranken öffnen musste.
Es war jener Sonntagmorgen, er ließ die Schranken einfach offen. Es war ein D-Zug angekündigt. Weit und breit kein Auto zu sehen.
Er las, was streng verboten war. Er tat es trotzdem. Er hörte den Zug von weitem kommen, hörte das Pfeifen und Rauschen des herannahenden Zuges. Er hörte nicht das Auto, das sich langsam aber kontinuierlich dem Übergang näherte.
Es kam wie es kommen musste. Auto und Zug trafen sich am Übergang. Die Lok erfasste das Auto an der Frontseite und riss es herum. Es wurde mitgeschleift, schrammte am Wärterhaus entlang. Durch das metallisch klirrende Geräusch des am Gebäude vorbeischrammenden Wagens, durch das Kreischen der Zugbremsen, durch den Dauerton des Horn der Lokomotive, wurde er aus seiner Lethargie gerissen. Es war wie ein Erwachen aus einem langen Traum. Er erkannte, das jetzt etwas geschehen war, dass nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Jetzt konnte es nur noch um Schuld und Sühne gehen. Jetzt war alles aus. Hatte er das gewollt?
Als die Polizei und die Feuerwehr eintrafen, fanden sie das Wärterhaus leer. Erst später entdeckte man ihn. Er saß am Bahndamm etwa zwei Kilometer von seinem Wärterhaus entfernt. Er schwieg, kam in die Psychiatrie. Seine Frau befragte ihn unter Tränen. Er hat nie mehr etwas gesagt.
Erst wenn der Betreffende lauter pochte, öffnete er das kleine Fenster und erteilte dem Ungeduldigen auf dessen Beschwerde, warum die Schranken so lange unten blieben, eine Lektion in puncto Sicherheit, Beamtentum, Zuverlässigkeit und bestehenden Vorschriften. Zumeist ging aber sein barsch gehaltener Vortrag im Rauschen und Rattern des vorbeirasenden Zuges unter. Danach kurbelte er die Schranken hoch, und der Beschwerdeführer war flugs über die Gleise entschwunden.
Es ärgerte ihn, wenn die Leute seine Aufgabe nicht ernst nahmen, meinten er habe zu bestimmen wann die Schranken geschlossen wurden, ihn beschimpften oder auch nur missbilligend zu seinem Wärterhäuschen blickten.
Das lange Warten auf den nächsten Zug konnte ermüdend und langweilig sein. Dann goss er die Blumen auf der Fensterbank oder blickte einfach in die Ferne. Hatte er Hunger, so packte er die Brote aus, die seine Frau im eingepackt hatte. Sie waren manchmal zu dick mit Wurst oder Käse belegt, aber er aß sie alle auf, manchmal nur aus Langeweile. Er bekam deshalb Probleme mit seinem Gewicht, da er auch kaum Bewegung hatte außer dem Kurbeln an den Schranken. Er hatte oft gewünscht Lokführer zu sein oder Bahnhofsvorstand oder Zugführer. In schicker Uniform mit amtlich wichtiger Miene den Fahrgästen erzählen, was sie dürfen und was nicht. Er bewunderte die Stationsvorsteher, die alle Zugverbindungen herunterrasseln konnten, so dass der verdutzte Fahrgast ob der Menge an Information flugs die Flucht ergriff und doch lieber auf den Fahrplänen seine Verbindung zusammensuchte.
Er wartete immer nur darauf, dass die Meldeglocke anschlug oder das Telefon klingelte und ihm angekündigt wurde, dass er die Schranken zu öffnen oder zu schließen habe.
Wie, wenn er selbst bestimmen würde, wann er die Schranken schließen oder öffnen würde, je nach eigenem Gutdünken. Nicht mehr Sklave sein, sondern Herr.
Der Gedanke faszinierte ihn immer mehr. Wer sollte etwas merken. Seine Vorgesetzten? Die waren weit. Die Passanten? Sollten sie sich doch beschweren. Wer wollte ihm nachweisen, dass er die Schranken ohne Anweisung geschlossen hatte? Die Leute würden ganz schon blöde gucken, wenn sie minutenlang vor der geschlossenen Schranke stehen und diese sich wieder öffnet, ohne dass ein Zug gekommen wäre. Sollte er irgendwie auffallen, so würde er einfach behaupten, die Meldeglocke habe angeschlagen. Notfalls würde er nachträglich eine Eintrag in das Dienstbuch machen.
An einem ruhigen Sonntagnachmittag war es soweit. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, kein Auto, kein Radfahrer, kein Fußgänger - nichts. Der letzte Zug war vor einer Viertelstunde durch, die Schranken waren geöffnet. Er stand auf, trat vor sein Wärterhäuschen, stellte sich an die Schrankenwinde, sah nach links, sah nach rechts, nach hinten, nichts und niemand war zu sehen. Er fasst wie schon so unzählige Male die beiden Kurbel. Sein Beamtenherz sträubte sich gegen sein Tun, aber gleichzeitig bereitete es Wonne es zu überwinden, Verbotenes zu tun, etwas das ihn seinen Job, seine Existenz kosten könnte. Mahnenden Worten seines Gewissens zum Trotz fing er langsam an zu kurbeln. Die Schrankenbäume begannen sich zu senken und das Läutwerk ließ seine ersten Klang vernehmen. Er zuckte zusammen, stets setzte das Läutwerk beim Senken der Schranke ein, nie hatte ihn dies irritiert. Im Gegenteil, wenn es nicht eingesetzt hätte, wäre er stutzig geworden aber jetzt erschreckte es ihn. Er hatte nicht damit gerechnet, jetzt zeigte dieses laute "Plink" öffentlich seine Missetat an. Die Schrankenbäume hatten sich schon bewegt. Jetzt konnte er nur noch nach weiter machen. Sein Herz hämmerte, sein Gesicht füllte sich mit Blut, sein Atem ging rasch. Er kurbelte und stellte sich dabei vor, wie er erwischt wurde, wie man ihn disziplinarisch maßregelte, wie er es seiner Frau, wie seinen Kindern, seinen Eltern erklären sollte. Dann waren die Schranken unten. Die Behänge klapperten, die Schranken setzten auf ihren Halterungen auf, klapperten, sprangen zurück, klapperten wieder, bis sie ruhig in ihren Positionen lagen.
All diese Geräusche, die er sonst so genossen hatte, weil sie von seiner Arbeit, seiner Wichtigkeit, seinem Pflichtbewusstsein kündeten, all diese Geräusche verrieten ihn jetzt, machten alle auf sein schändliches Tun aufmerksam. Er blickte sich rasch um. Niemand zu sehen, und doch spürte er den Bahndirektor in seinem Rücken, dem er nun erklären würde, dass dies nur ein Testlauf war, da die Schranke beim letzten Öffnen so seltsame Geräusche gemacht habe und man doch nicht wolle, dass beim nächsten heran nahendem Zug die Schranken sich nicht schließen lassen.
Rasch kurbelte er die Schranken wieder hoch und glaubte nun selbst, was er sich gerade zusammen gefaselt hatte. Das "Plink" und Geklappert der Behänge war nun nicht mehr so schlimm, trotzdem stand ihm der Schweiß auf der Stirn, als er so schnell wie möglich in seinem Dienstraum verschwand. Er saß regungslos eine halbe Stunde, bis der Glockenschlag ihn an seine Dienstpflicht gemahnte und er nach draußen eilte, um höchstoffiziell die Schranken zu schließen, wobei ihm das regelmäßige Anschlagen des Läutwerks, das Rasseln der Behänge, das Klappern der Schrankenbäume in ihrer Halterung wie Musik vorkamen.
Bald darauf donnerte eine Dampflok mit ihrem Güterzug vorbei und schleppte eine Geräuschkulisse der ratternden Güterwagen hinter sich her. Der Heizer hatte kurz die Hand zum Gruß gehoben, dann war auch schon alles vorbei und er kurbelte die Schranken nach oben und machte seinen Diensteintrag.
Es dauerte wieder bis zu seinem nächsten Sonntagsdienst als es ihn wieder ohne Zugmeldung nach draußen trieb. Wieder lag das kleine Städtchen in seiner Sonntagsruhe. Es fiel ihm diesmal schon leichter. Auch das Geplinkere des Läutwerks, das Rasseln der Behänge, das Klappern beim Aufsetzen der Schranken störte nicht weiter. Er sah sich auch nicht mehr so vorsichtig um, wie beim ersten Mal. Erst als er sich umdrehte, um in seine Behausung zu gehen, sah er den jungen Mann, wie dieser mit seinem Fahrrad daher rollte, bremste, abstieg und sich in geduldiger Warteposition vor der Schranke aufstellte. Er erschrak leicht, setzte dann aber eine möglichst wichtige, dienstliche Miene auf und ging ins Innere des Wärterhauses. Dort setzte er sich an seinen Schreibtisch und sah im Buchungsplan nach, wann der nächste Zug kam. Dieser war erst in fünfzig Minuten zu erwarten. Er hatte jetzt Lust den jungen Burschen etwas zu ärgern und die Schranken noch geschlossen zu halten. Der Radfahrer machte einen langen Hals und sah gleisauf, gleisab nach dem zu erwartenden Zug. Er beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, während er so tat als hätte er wichtige Dokumente zu studieren. Von der anderen Seite tuckerte jetzt ein Auto heran und hielt vor der Schranke. Die Sache wurde jetzt doch zu heiß und er eilte geschäftig nach draußen, um sein Kurbelgeschäft zu beginnen. Das Auto fuhr an, kaum dass es gehalten hatte. Der Radfahrer stieg in die Pedale und sah ihn befremdet an. Er sah zurück und versuchte amtlich und verärgert auszusehen.
Als er wieder am Schreibtisch saß, atmetet er erst einige Male tief durch. Zu groß war jetzt wieder die Aufregung. Er schwitzt, das Herz klopfte bis zum Hals. Was, wenn..........? Der Autofahrer musste annehmen, dass gerade ein Zug durchgefahren wäre, aber der Bursche, wenn er sich nun beschwerte. Nein, dann würde er alles abstreiten. Soll er doch mal beweisen, dass.........Aber wenn es vielleicht der Sohn eines hohen Tieres war? Eines Bahnchefs? Sein Herz hämmerte noch lauter und seine Kehle schnürte sich zu, so dass er erst mal etwas trinken musste.
Er malte sich zunehmend aus, wie er in der Hauptbetriebszeit die Schranken geschlossen hielt, wie die Leute sich beschwerten und er sie abkanzelte, ihnen klar machte, dass nur er das Sagen hatte, dass die Schranken unten blieben solange es ihm passte. Er würde ihnen frech ins Gesicht lachen.
"Beschweren Sie sich doch!" würde er ihnen ins Gesicht schleudern und lachen in sein Häuschen gehen, die Tür schließen und von drinnen Grimassen schneiden.
Dann setzte sich plötzlich ein Gedanke fest - die Schranke offen zu lassen, wenn ein Zug kommt. Ein russisches Roulette mit dem Leben anderer und mit dem seinigem, denn dieses würde im Gefängnis enden.
Zunächst probierte er es wieder an ruhigen Sonntagmorgenden aus. Doch mittlerweile musste er sich stark auf sein Tun konzentrieren. Hatte er nun die Schranken geschlossen, weil er das Signal dazu bekam, oder weil es ihn wieder in den Fingern gejuckt hatte. Wenn er Nachtdienst hatte, ließ er die Schranken gleich geschlossen. Das hielt ihn auch wach, denn nun er musste nun höllisch aufpassen, wenn doch jemand kam.
In einer Nacht vor einem Feiertag morgens um 03:30 Uhr öffnete er die Schranken, obwohl ein Zug gemeldet war. Es war Totenstille als die Elektrolok mit ihrem Güterzug heranbrauste, aber ihn seinen Adern kochte das Blut, das Herz hämmerte bis in den Schläfen und seine Hände zitterten. Als der Zug vorbei war, schloss er die Schranken wieder. Das gab ihm jetzt ein sichereres Gefühl, als sie geöffnet zu lassen, wie es vorgeschrieben war.
Er saß am Schreibtisch und zitterte am ganzen Leib. Ein Kloß saß ihm in der Kehle. Er schluckte, versuchte sich zu beruhigen und fragte sich warum er diesen Unsinn überhaupt machte.
Dann durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Der Lokführer - er hatte gesehen, dass die Schranke offen war. Er würde das melden. Gott, daran hatte er gar nicht gedacht. In den nächsten Tagen wartete er angespannt darauf, dass die Bahnpolizei ihn aufsuchen und erklären würde, dass er mitkommen solle, da man Fragen an ihn habe. Doch es geschah nichts. Dafür war er bei der Übergabe bei Schichtwechsel so fahrig und unkonzentriert, dass ihn sein Kollege darauf ansprachen. Er wiegelte dann ab, sagte dass nichts gewesen sei.
Er wurde mutiger. Hatte er sonntags Dienst und waren die Straßen leer, ließ er die Schranken offen und grüßte auch noch freundlich den Lokführer durch Winken. Andererseits ließ er die Schranken geschlossen und genoss es, wenn einzelne Autofahrer oder Fußgänger vor der geschlossene Schranke minutenlang warten mussten und dann verdutzt schauten, wenn die Schranke geöffnet wurde, obwohl kein Zug kam. Er schaute die Leute sogar noch frech an, mit einer dienstlich strengen Miene und verärgert darüber, dass er jetzt extra für sie die Schranken öffnen musste.
Es war jener Sonntagmorgen, er ließ die Schranken einfach offen. Es war ein D-Zug angekündigt. Weit und breit kein Auto zu sehen.
Er las, was streng verboten war. Er tat es trotzdem. Er hörte den Zug von weitem kommen, hörte das Pfeifen und Rauschen des herannahenden Zuges. Er hörte nicht das Auto, das sich langsam aber kontinuierlich dem Übergang näherte.
Es kam wie es kommen musste. Auto und Zug trafen sich am Übergang. Die Lok erfasste das Auto an der Frontseite und riss es herum. Es wurde mitgeschleift, schrammte am Wärterhaus entlang. Durch das metallisch klirrende Geräusch des am Gebäude vorbeischrammenden Wagens, durch das Kreischen der Zugbremsen, durch den Dauerton des Horn der Lokomotive, wurde er aus seiner Lethargie gerissen. Es war wie ein Erwachen aus einem langen Traum. Er erkannte, das jetzt etwas geschehen war, dass nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Jetzt konnte es nur noch um Schuld und Sühne gehen. Jetzt war alles aus. Hatte er das gewollt?
Als die Polizei und die Feuerwehr eintrafen, fanden sie das Wärterhaus leer. Erst später entdeckte man ihn. Er saß am Bahndamm etwa zwei Kilometer von seinem Wärterhaus entfernt. Er schwieg, kam in die Psychiatrie. Seine Frau befragte ihn unter Tränen. Er hat nie mehr etwas gesagt.
Zuletzt bearbeitet: