Der Schüler

Felix Ludwig

Mitglied
Dunkle bedrohliche Wolken hielten jegliches Sonnenlicht fern. Der Wind blies stark, zerrte an Fensterläden und riss Mülltonnen mit sich. Ein Regenschauer bahnte sich an.
Der Wecker schrillte los und riss den kleinen John aus einem schrecklichen Traum. Ein Traum von einem weiteren Schultag.
Schon lange bereitete dem Jungen die Schule keine Freude mehr. Jedoch nicht wegen des Lernens oder der Hausaufgaben. Vielmehr waren es seine Mitschüler und Lehrer die ihm zusetzten.
In der Schule nannten ihn beinahe alle Dud. Versager, ein Name der ihn traurig und zornig stimmte, doch lies er sich dies kaum anmerken.
Er schlug die Bettdecke zurück und schritt dann durch sein dunkles Zimmer. Ed hatte keine Fenster, denn seine Eltern hatten ihn im Keller untergebracht, obwohl im zweiten Stock des Hauses ein Zimmer völlig leer stand. Der Junge, sein Name war John, war sich fast sicher, dass seine Eltern ihn nicht liebten. Ihn sogar als Plage ansahen, wie die meisten, die ihn kannten.
Gähnend betätigte er den Lichtschalter. Die nackte Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke herabhing, flackerte auf. Fest kniff er die Augen zusammen, gähnte erneut und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Seine Eltern schliefen noch, sie standen meistens erst auf, wenn er das Haus verließ. John blickte auf das Tagebuch neben seinem Bett herab. Darin schrieb er all seine Gedanken und Erlebnisse nieder. Ließ mit Hilfe von Worten Dampf ab, darin ließ er den unsäglichen Zorn freien Lauf.
Schon unzählige dieser Bücher hatte er vollgeschrieben, die nun alle in dem Regal neben seinem Bett standen. In diesen Büchern hatte er auch seine Phantasien zu Papier gebracht. Nachdenklich saß John auf seinem Bett, lauschte dem leichten klopfen der Rohre über ihm. Die Gedanken an den Traum den er gehabt hatte, ließen es in ihm brodeln. Er biss die Zähne fest zusammen, blinzelte nicht und ballte die Hand zur Faust. Wie an jedem Morgen stapfte er nach diesem kurzen Ritual in die Küche hinauf. Es war noch völlig still im Haus. So still wie auf einem Friedhof, dachte der Junge.
Seine nackten Füße klatschten rhythmisch auf dem gefliesten Küchenboden. Er nahm sich ein großes Glas mit frischer Milch und watschelte dann in den Keller, sein Kinderzimmer, zurück. Das Glas hatte er schon zur Hälfte geleert als er sich an seinem wackeligen Schreibtisch niederließ. Vor ihm lag ein Buch, ein Buch in dem er am gestrigen Abend noch gelesen hatte, bevor er sich schlafen gelegt hatte. Er schlug es am Anfang auf und begann darin zu lesen. Gelegentlich blickte er auf seine Armbanduhr. Es war noch ausreichend Zeit.

John Doe saß alleine auf der hintersten Sitzbank in dem gelben Schulbus. Wie immer hatte ihn niemand gegrüßt oder ihm einen Platz angeboten.
Er beobachtete sie während der Fahrt zur Schule. Sah wie sie sich unterhielten und lachten. Gelegentlich blickte jemand zu ihm, lachte und wandte sich dann wieder dem ebenfalls lachenden Kameraden zu.
Äußerlich ließ sich John Doe nichts anmerken, doch innerlich brodelte es in ihm wie in einem Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht.

Als letzter verließ er den Bus und trottete über den Schulhof, in Richtung Eingang. Wieder begegnete er Schülern und Schülerinnen, die sich über ihn lustig machten. Man warf ihm Dinge wie leere Getränkedosen, Bananenschalen und Papiertücher hinterher. Dies war für ihn nichts neues, alltäglich spielten sich solche Dinge ab. Dagegen tat niemand etwas, nicht einmal er selbst, stattdessen unterdrückte er seine Wut und versuchte dies alles zu ignorieren.
„Guten Morgen,“ begrüßte Mr. . Cooper die Klasse, nachdem er eingetreten war. John saß in der vordersten Reihe, welch eine Qual. Immer wieder warf man Papierkügelchen auf ihn oder klebte Papierzettel an seinen Rücken, worüber natürlich alle lachten.
Mr. Cooper war Mathematiker, einer der schlimmsten Art. John konnte ihn nicht ausstehen. Wenn er ihn sah, musste er sich zusammenreißen, musste seine Wut unterdrücken. Mal wieder prallte ein Papierkügelchen an Johns Hinterkopf ab.
Mr. Cooper drehte sich langsam um und blickte verärgert auf den Jungen in der ersten Reihe herab.
„Dud, was zum Teufel soll diese Sauerei an deinem Platz? Kannst du dich denn nicht benehmen und wie die anderen aufpassen.“ Coopers Brille rutschte auf seiner Hakennase leicht nach vorne. „Nach der Schule wirst du hier bleiben und das gesamte Klassenzimmer aufräumen.“
John sagte dazu nichts, blickte ihn lediglich verärgert an, woraufhin Cooper sich wieder der Tafel zuwandte. Im Hintergrund erklang leises kichern. Verärgert zeichnete John eine Karikatur von Mr. Cooper, mit einem Strick um den Hals, auf seinen Block und ließ anschließend das Blatt in seiner Schultasche verschwinden. Er hasste ihn mehr als alles andere. Mr. Cooper schien es zu genießen ihn zu quälen und sich über ihn lustig zu machen. Bei schier jeder Frage wurde John als erster aufgerufen, und wollte er versuchen eine Antwort zu geben, so rief Cooper sofort einen anderen Schüler auf. Er hatte es satt und wollte, dass damit endlich Schluss war, wollte dies nicht mehr ertragen müssen.
Als endlich zum letzten mal die Schulklingel erklang, erhoben sich alle von ihren Plätzen und verließen das Klassenzimmer. Niemand ließ es sich nehmen noch etwas mehr Unordnung zu schaffen. Schließlich stieß Gary - ein hirnloser Footballspieler, der ihn beinahe Tag für Tag quälte - den Mülleimer um. John saß noch Minuten an seinem Platz und starrte an die Tafel, die Cooper, der auch Physik unterrichtete, mal wieder peinlich genau abgewischt hatte.
Schließlich erhob er sich und begann den Raum aufzuräumen. Nach zehn Minuten warf Cooper einen Blick herein.
„So ist es gut, Dud. Ich habe schon befürchtet, dass du dich aus dem Staub gemacht hast. Doch das würdest du nicht wagen, dem ist doch so?“ John kroch auf allen Vieren vor Cooper herum und blickte verärgert zu der anzugtragenden Witzfigur auf. Zwar wollte er ihm etwas entgegnen, doch unterdrückte er dies, so wie er es immer tat.
„Du musst deine Einstellung grundlegend ändern, ansonsten wirst du für immer ein Versager bleiben.“ Mit diesen Worten verließ Cooper das Klassenzimmer.

John wachte mitten in der Nacht schweißgebadet auf. Er hatte die Augen weit aufgerissen und starrte zur Decke empor. Nicht ein einziges mal blinzelte er, als er sich langsam zu seinem Schreibtisch begab. Sicher durch die Dunkelheit seines Verlieses, schritt er voran. Nach kurzem überlegen, wobei ihm die nervtötende Stimme von Mr. Cooper durch den Kopf schwirrte, machte er einen Eintrag in sein Tagebuch. Schrieb seine grausigen Phantasien nieder, die schier schneller aus ihm heraus wollten, als er schreiben konnte.

Auch der nächste Tag verlief für ihn wie der gestrige. Man lachte ihn aus, schuppste ihn herum und auch Mr. Cooper schloss sich dem an. Mehrmals hatte er ihn nach vorne an die Tafel gebeten und ihn mit Fragen bombardiert, Fragen die auch keiner der anderen hätte beantworten können.
Es hatte dem schlanken Lehrer, der an den Vater der Comicfigur Dennis erinnerte, großes vergnügen bereitet ihn so zu sehen. Hilflos an der Tafel stehend, nicht im Stande die gestellte Frage zu beantworten.
Von den anderen hatte niemand Mitgefühl gezeigt, sie hatten lediglich leise vor sich hin gekichert.

Blitze durchzogen den abendlichen Himmel, Regentropfen zerplatzten auf der erde und gelegentliche Windböen zogen durch die Straßen wie streunende Katzen.
Langsam streifte John Doe an einer Reihe von geschlossenen Läden vorbei. Regentropfen schlugen ihm ins Gesicht. Seine Augen standen weit offen, schienen zu brennen. Das Blut schoss schneller als jemals zuvor durch seine Adern, Adrenalin erfüllte ihn. Er kannte die Straße, kannte sein Ziel.
Er bog nach rechts und kurz darauf nach links. Schon oft war er diese Straße entlang gegangen und er kannte das Haus, welches sich am Ende dieser Straße befand. Er wusste wer dort wohnte, wusste weshalb er auf dem Weg dorthin war.
Erneut flackerte ein Blitz am Firmament auf. John blieb stehen, blickte hinauf und lächelte breit. Dies war sein Tag. Solche Tage beziehungsweise Abende liebte er. Er liebte den Regen und die Dunkelheit. Fühlte sich dort geborgener und sicherer.
Schon kurz darauf hatte er das Ende der Straße erreicht. In dem Haus brannte Licht. Da nahm er seinen Rucksack ab und schlich näher heran.
Das Haus hatte keine Alarmanlage, denn diese Gegend war nicht für Einbrüche bekannt. Die Bürger dieser Stadt fühlten sich ohnehin viel zu sicher. Das hatte John schon mehrmals in seinem Tagebuch niedergeschrieben.
Nun war er seinem Ziel nahe, nicht mehr viel trennte ihn davon.

Mr. Cooper saß an dem Computer in seinem gemütlichen Arbeitszimmer, wie er dies jeden Abend tat. Auch diesmal ergötzte er sich an dem Anblick widerlicher pornographischer Aufnahmen aus dem Internet.

Ein widerlicher Kerl, der seines gleichen vergebens sucht, dachte John als er Cooper vom Fenster aus beobachtete.
Kurz darauf schlich er um das Haus. An der Hintertür blieb er stehen, zog sich seine schwarzen Lederhandschuhe über und machte sich an dem Schloss der Hintertür zu schaffen.
Ein stupides Schloss das er rasch geknackt hatte. Er fand sich in der Küche wieder. Das Licht war hier ausgeschaltet, nur gelegentlich wurde sie durch das aufflackern der Blitze erhellt.
Er schlich rasch weiter, bemüht so leise als nur möglich zu sein.
Er vernahm ein leichtes stöhnen, das aus dem Arbeitszimmer zu ihm drang.
John schlich langsam weiter, kam dem Arbeitszimmer von Mr. Cooper immer näher. Die Tür war lediglich angelehnt...

Am nächsten Morgen schlief John etwas länger als gewöhnlich, schließlich hatte er in der gestrigen Nacht viel zu erledigen gehabt.
Er richtete sich in seinem Bett auf und knipste den Fernseher an. Es liefen gerade die Nachrichten des lokalen Fernsehsenders. Der Nachrichtensprecher versuchte bedrückt auszusehen, doch schaffte er dies nicht recht. Auf John wirkte er eher lächerlich.
„Am gestrigen Abend ereignete sich eine Tragödie die wohl niemand erwartet hatte. Der angesehene Lehrer Charles Cooper beging im Arbeitszimmer seines Hauses Selbstmord. Die Polizei fand ihn vor drei Stunden, da sich Nachbarn über zu laute Musik beschwert hatten. Cooper hat sich erhängt, kurz zuvor hat er nach angaben der Polizei auf seinem Computer einen Abschiedsbrief verfasst. Über den Inhalt und den Grund dieser tat ist noch nichts näheres bekannt...“
John schaltete den Fernseher wieder ab und nahm an seinem Schreibtisch platz. Er las in dem Buch weiter das immer auf seinem Schreibtisch lag. Er lächelte breit.
Große Zufriedenheit und Erleichterung schien sich in seinem Gesicht abzuzeichnen.
„Es musste getan werden, was nun mal getan werden musste,“ las er laut aus dem Buch vor. Danach machte er einen langen ausführlichen Eintrag in sein Tagebuch.




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