Zuerst war er gestoßen worden, dann ließ er sich fallen und am Ende war es ein unaufhaltsamer Sturz, den er genoss – und er sah noch immer keinen Boden unter sich, der Fall war ein Flug - sein Flug - geworden. Arnold saß auf einer alten Decke neben der Eingangstür zu Aldi; früher hatte er Schilder vor sich aufgestellt, heute brauchte er das nicht mehr, alles was er hätte schreiben können, konnte jeder vorbeieilende Passant bei einem flüchtigen Blick auf seine gekrümmte Gestalt erkennen. Je länger er hinab segelte, desto süchtiger wurde er nach diesem Gefühl. Oft überkam ihn die Angst, nicht weiter sinken zu können, die Ahnung des Aufpralls und der nachfolgenden, bewegungslosen Stille.
An diesem eisigen Januartag fühlte er seine Füße in den alten Sportschuhen kaum noch, aber er wusste, der schlimmste Augenblick stand ihm noch bevor, wenn sie sich langsam wieder aufwärmten. Dieser Schmerz trieb ihm immer die Tränen in die Augen. Er sah in seine kleine Schale, Dreimarkfünfzig, dafür bekam er noch keine Flasche Korn. Er würde noch weiter hier sitzen müssen, bis er die sechs Mark beisammen hätte. Er war ein schlechter Bettler, bedankte sich, kaum wenn jemand ihm ein Almosen vor die Füße warf, spuckte sogar manchmal abfällig zur Seite aus. Er hatte auch keinen niedlichen Hund und war so dreckig, dass er merkte wie die Menschen die sich zu ihm hinabbeugten plötzlich die Luft anhielten, wenn sie den Gestank wahrnahmen, der ihn gleich einer Rüstung umgab. Er hatte sich seit über einem Jahr nicht mehr gewaschen und genoss es, mit seinem Schmutz untrennbar zu verwachsen, seine Poren wurden schwarz, sein Körperfett talgte eine Schicht Kleidung nach der anderen ein, um schließlich alles was er trug zu durchdringen und an der Oberfläche diese Patina der Verkommenheit entstehen zu lassen, die ihn selbst unter den Pennern heraushob. Arnold sah die vermummten Menschen kaum an, manchmal sprach er leise mit sich selbst, erinnerte sich an die lange Strecke die er schon zurückgelegt hatte oder versuchte sich vorzustellen, wie weit er noch kommen könnte in dieser stetigen Abwärtsbewegung. Den Stoß hatte er vor fünf Jahren bekommen, damals flog er der Sonne entgegen und nichts schien seinen Aufstieg aufhalten zu können, er kannte nur diese eine Richtung - empor. Arnold beobachtete eine kranke Taube im Hausflur gegenüber, die mit aufgeplustertem, zerzaustem Gefieder versuchte der Kälte zu trotzen und deren Kopf immer wieder erschöpft nach unten nickte. Sollte er sie mit einem Tritt töten, würde es sein Sinken beschleunigen oder wäre es eher eine Geste des Mitleides die seinen Fall nur aufhielt?
Manchmal fiel es ihm inzwischen schwer die niedrigste Handlungsweise zu erkennen, alles schien immer doppeldeutiger, weniger klar als zu Beginn seines Abstieges. Damals hatte er sich zuerst gewehrt, hatte Kredite verlängert, Gläubiger hingehalten, gelogen und vertuscht. Schließlich war nichts mehr geheim zu halten, er versuchte für seine Familie ein kleines Leben einzurichten, bereit zu verzichten, gewillt zu kämpfen. Zu Beginn klammerte es sich verzweifelt am Rande des Abgrundes fest, dann begann er hart zu trinken, seine Familie verschwand aus seinem Leben – er bemerkte es kaum. Mit dem Alkohol kam eine unerwartete Klarheit in seinen Kopf, er erkannte sich, er verstand, dass es die Lust an der Bewegung war, die früher seine Flugbahn bestimmt hatte. Arnold wusste plötzlich, auch ein Fall konnte ihn genauso berauschen wie der Erfolg. So plante er seinen Abstieg sorgfältig wie einst seine Karriere. Beim Weg aufwärts kam ihm nie der Gedanke, dass es einen obersten Punkt geben könne, unendlich schien der Weg nach oben zu sein. So stellte er sich die Frage, wie tief er sinken könne vor dem Aufprall und erkannte, dass auch diese Strecke sich lange hinziehen konnte, wenn er sie nur offenen Auges in Angriff nahm. So begann seine neue Karriere sachte, mit ungezahlten Telefon- und Mietrechnungen, Zwangsräumung und seit zwei Jahren das Leben auf der Strasse. Aber dies waren nicht die wichtigen Stationen, Arnold beobachtete sein moralisches Sinken wie ein Forscher, das Lügennest das unter ihm zusammenbrach, das Geld was er von seinen Freunden lieh, obwohl er wusste, dass er es nie zurückgeben könnte, die kleinen Diebstähle, die gemeinen Betrügereien an den arglosesten und engsten seiner Freunde. Arnold konnte Dinge tun, derer er sich früher nie für fähig gehalten hätte, vor einem halben Jahr entriss er einer alten Frau die Geldbörse, als sie nach Kleingeld für einen Fahrschein suchte. Diese Alte war sicher fast so arm wie er, klammerte sich aber fest über ihren Abgrund, um nicht weiter zu stürzen – kleinlich und sinnlos erschien Arnold dieses Festhalten an der letzten Stufe vor dem Untergang. Wie ein Albatros kam er sich vor wenn er in sanften Spiralen immer tiefer glitt, jede neue Niedrigkeit auskostete, zu Gemeinheiten fähig wurde, die ihm in den Zeiten seines Glanzes unmöglich erschienen wären. Er hatte einmal ein Hündchen mit einem Tritt getötet, nur weil er vorher gesehen hatte, wie ein alter Mann es liebevoll mit kleinen Bissen seines Frühstücksbrotes fütterte. Der Neid dieses Tier so umhegt zu sehen, während niemand mit ihm das Brot brach versetzte ihn in solch neidvollen Zorn, dass er ohne zu zögern so lange zutrat, bis der Hund sich nicht mehr rührte. Den herbeigelaufenen Menschen spuckte er fluchend vor die Füße, keiner wagte sich an ihn heran. Unbehelligt verschwand er in den Gassen der Stadt. Manchmal stellte Arnold sich vor, ein Kind zu schänden und zu ermorden, dies war das schmutzigste und gemeinste was er sich ausmalen konnte. Aber das wäre ein Abschluss, diese Tat würde später einmal seinen Aufprall bestimmen. Hiervon fühlte er sich aber noch weit entfernt, der Ehrgeiz der ihn früher über die anderen gestellt hatte, der ihm einstmals Macht verliehen hatte, dieser Ehrgeiz trieb ihn heute dazu, der niedrigste aller Menschen zu werden, er wollte tiefer sinken als die Dealer, die Stricherinnen, die kleinen Diebe und Sittenstrolche, er wollte ohne Verharren bis in die Hölle hinab gleiten und von glühender Hitze verschlungen werden, so wie er einst versuchte, sich an der Sonne zu verbrennen.
Widerwillig stand er auf, als das Geschäft um acht Uhr schließen wollte, drängte sich an einer ängstlichen Kassiererin vorbei und griff eine kleine Flasche Schnaps aus dem Regal neben der Kasse. Dafür reichte sein Geld, mehr würde er heute nicht bekommen. Während er Richtung Dom und Bahnhof ging, merkte er wie die Kälte sich immer tiefer in seine fettigen Lumpen fraß bis sie seine Haut erreichte und dort gnadenlos in sein Fleisch biss. Auf der Domplatte blieb er, an die Brüstung gelehnt stehen und sah auf den Bahnhof zu seinen Füssen. Dies war den ganzen Winter über sein Zuhause, Arnold musste lächeln – so lange er so etwas wie ein Zuhause besaß, war das Ende seines Weges noch nicht in Sicht. Arnold versuchte, nach einem kräftigen Zug, die Flasche auf einen kleinen Absatz unter seinen Füssen abzustellen. Als ihm der Flachmann aus den Händen glitt stöhnte er verdrossen auf, aber zum Glück landete er wenige Zentimeter tiefer auf dem nächsten Vorsprung und ging dabei nicht zu Bruch. Er wollte diesen letzten Schluck nicht mit einem der anderen Stadtstreicher teilen müssen, die jetzt alle zum Bahnhof strebten. Dieser Geiz entlockte ihm ein krächzendes Lachen - der Geiz der Besitzlosen war ohne Gnade, jeder war bereit seinen Bruder neben sich verhungern zu lassen, um selber noch ein wenig weiter zu leben. Leben war alles um was es immer ging, Arnold schüttelte sich angewidert. Jetzt wollte er nur noch schnell die Flasche leeren, dann würde er sich in die Bahnhofshalle schleichen, vorbei an den Polizisten und den jungen Strichern und seinen Platz hinter dem Klo an der Warmwasserleitung aufsuchen. Arnold konnte die kleine Flasche nicht mehr greifen, sie war zu tief. Unbeholfen überkletterte er das Geländer und als er abrutschte und plötzlich in die Tiefe fiel überkam ihn ein lautes Lachen - bei diesem Sturz würde er sich selber überholen.
An diesem eisigen Januartag fühlte er seine Füße in den alten Sportschuhen kaum noch, aber er wusste, der schlimmste Augenblick stand ihm noch bevor, wenn sie sich langsam wieder aufwärmten. Dieser Schmerz trieb ihm immer die Tränen in die Augen. Er sah in seine kleine Schale, Dreimarkfünfzig, dafür bekam er noch keine Flasche Korn. Er würde noch weiter hier sitzen müssen, bis er die sechs Mark beisammen hätte. Er war ein schlechter Bettler, bedankte sich, kaum wenn jemand ihm ein Almosen vor die Füße warf, spuckte sogar manchmal abfällig zur Seite aus. Er hatte auch keinen niedlichen Hund und war so dreckig, dass er merkte wie die Menschen die sich zu ihm hinabbeugten plötzlich die Luft anhielten, wenn sie den Gestank wahrnahmen, der ihn gleich einer Rüstung umgab. Er hatte sich seit über einem Jahr nicht mehr gewaschen und genoss es, mit seinem Schmutz untrennbar zu verwachsen, seine Poren wurden schwarz, sein Körperfett talgte eine Schicht Kleidung nach der anderen ein, um schließlich alles was er trug zu durchdringen und an der Oberfläche diese Patina der Verkommenheit entstehen zu lassen, die ihn selbst unter den Pennern heraushob. Arnold sah die vermummten Menschen kaum an, manchmal sprach er leise mit sich selbst, erinnerte sich an die lange Strecke die er schon zurückgelegt hatte oder versuchte sich vorzustellen, wie weit er noch kommen könnte in dieser stetigen Abwärtsbewegung. Den Stoß hatte er vor fünf Jahren bekommen, damals flog er der Sonne entgegen und nichts schien seinen Aufstieg aufhalten zu können, er kannte nur diese eine Richtung - empor. Arnold beobachtete eine kranke Taube im Hausflur gegenüber, die mit aufgeplustertem, zerzaustem Gefieder versuchte der Kälte zu trotzen und deren Kopf immer wieder erschöpft nach unten nickte. Sollte er sie mit einem Tritt töten, würde es sein Sinken beschleunigen oder wäre es eher eine Geste des Mitleides die seinen Fall nur aufhielt?
Manchmal fiel es ihm inzwischen schwer die niedrigste Handlungsweise zu erkennen, alles schien immer doppeldeutiger, weniger klar als zu Beginn seines Abstieges. Damals hatte er sich zuerst gewehrt, hatte Kredite verlängert, Gläubiger hingehalten, gelogen und vertuscht. Schließlich war nichts mehr geheim zu halten, er versuchte für seine Familie ein kleines Leben einzurichten, bereit zu verzichten, gewillt zu kämpfen. Zu Beginn klammerte es sich verzweifelt am Rande des Abgrundes fest, dann begann er hart zu trinken, seine Familie verschwand aus seinem Leben – er bemerkte es kaum. Mit dem Alkohol kam eine unerwartete Klarheit in seinen Kopf, er erkannte sich, er verstand, dass es die Lust an der Bewegung war, die früher seine Flugbahn bestimmt hatte. Arnold wusste plötzlich, auch ein Fall konnte ihn genauso berauschen wie der Erfolg. So plante er seinen Abstieg sorgfältig wie einst seine Karriere. Beim Weg aufwärts kam ihm nie der Gedanke, dass es einen obersten Punkt geben könne, unendlich schien der Weg nach oben zu sein. So stellte er sich die Frage, wie tief er sinken könne vor dem Aufprall und erkannte, dass auch diese Strecke sich lange hinziehen konnte, wenn er sie nur offenen Auges in Angriff nahm. So begann seine neue Karriere sachte, mit ungezahlten Telefon- und Mietrechnungen, Zwangsräumung und seit zwei Jahren das Leben auf der Strasse. Aber dies waren nicht die wichtigen Stationen, Arnold beobachtete sein moralisches Sinken wie ein Forscher, das Lügennest das unter ihm zusammenbrach, das Geld was er von seinen Freunden lieh, obwohl er wusste, dass er es nie zurückgeben könnte, die kleinen Diebstähle, die gemeinen Betrügereien an den arglosesten und engsten seiner Freunde. Arnold konnte Dinge tun, derer er sich früher nie für fähig gehalten hätte, vor einem halben Jahr entriss er einer alten Frau die Geldbörse, als sie nach Kleingeld für einen Fahrschein suchte. Diese Alte war sicher fast so arm wie er, klammerte sich aber fest über ihren Abgrund, um nicht weiter zu stürzen – kleinlich und sinnlos erschien Arnold dieses Festhalten an der letzten Stufe vor dem Untergang. Wie ein Albatros kam er sich vor wenn er in sanften Spiralen immer tiefer glitt, jede neue Niedrigkeit auskostete, zu Gemeinheiten fähig wurde, die ihm in den Zeiten seines Glanzes unmöglich erschienen wären. Er hatte einmal ein Hündchen mit einem Tritt getötet, nur weil er vorher gesehen hatte, wie ein alter Mann es liebevoll mit kleinen Bissen seines Frühstücksbrotes fütterte. Der Neid dieses Tier so umhegt zu sehen, während niemand mit ihm das Brot brach versetzte ihn in solch neidvollen Zorn, dass er ohne zu zögern so lange zutrat, bis der Hund sich nicht mehr rührte. Den herbeigelaufenen Menschen spuckte er fluchend vor die Füße, keiner wagte sich an ihn heran. Unbehelligt verschwand er in den Gassen der Stadt. Manchmal stellte Arnold sich vor, ein Kind zu schänden und zu ermorden, dies war das schmutzigste und gemeinste was er sich ausmalen konnte. Aber das wäre ein Abschluss, diese Tat würde später einmal seinen Aufprall bestimmen. Hiervon fühlte er sich aber noch weit entfernt, der Ehrgeiz der ihn früher über die anderen gestellt hatte, der ihm einstmals Macht verliehen hatte, dieser Ehrgeiz trieb ihn heute dazu, der niedrigste aller Menschen zu werden, er wollte tiefer sinken als die Dealer, die Stricherinnen, die kleinen Diebe und Sittenstrolche, er wollte ohne Verharren bis in die Hölle hinab gleiten und von glühender Hitze verschlungen werden, so wie er einst versuchte, sich an der Sonne zu verbrennen.
Widerwillig stand er auf, als das Geschäft um acht Uhr schließen wollte, drängte sich an einer ängstlichen Kassiererin vorbei und griff eine kleine Flasche Schnaps aus dem Regal neben der Kasse. Dafür reichte sein Geld, mehr würde er heute nicht bekommen. Während er Richtung Dom und Bahnhof ging, merkte er wie die Kälte sich immer tiefer in seine fettigen Lumpen fraß bis sie seine Haut erreichte und dort gnadenlos in sein Fleisch biss. Auf der Domplatte blieb er, an die Brüstung gelehnt stehen und sah auf den Bahnhof zu seinen Füssen. Dies war den ganzen Winter über sein Zuhause, Arnold musste lächeln – so lange er so etwas wie ein Zuhause besaß, war das Ende seines Weges noch nicht in Sicht. Arnold versuchte, nach einem kräftigen Zug, die Flasche auf einen kleinen Absatz unter seinen Füssen abzustellen. Als ihm der Flachmann aus den Händen glitt stöhnte er verdrossen auf, aber zum Glück landete er wenige Zentimeter tiefer auf dem nächsten Vorsprung und ging dabei nicht zu Bruch. Er wollte diesen letzten Schluck nicht mit einem der anderen Stadtstreicher teilen müssen, die jetzt alle zum Bahnhof strebten. Dieser Geiz entlockte ihm ein krächzendes Lachen - der Geiz der Besitzlosen war ohne Gnade, jeder war bereit seinen Bruder neben sich verhungern zu lassen, um selber noch ein wenig weiter zu leben. Leben war alles um was es immer ging, Arnold schüttelte sich angewidert. Jetzt wollte er nur noch schnell die Flasche leeren, dann würde er sich in die Bahnhofshalle schleichen, vorbei an den Polizisten und den jungen Strichern und seinen Platz hinter dem Klo an der Warmwasserleitung aufsuchen. Arnold konnte die kleine Flasche nicht mehr greifen, sie war zu tief. Unbeholfen überkletterte er das Geländer und als er abrutschte und plötzlich in die Tiefe fiel überkam ihn ein lautes Lachen - bei diesem Sturz würde er sich selber überholen.