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In meinen Kinder- und Jugendjahren verbrachte ich die Sommerferien ausnahmslos im kleinen Örtchen Zell am Attersee.
Der Attersee, einer der wärmeren Badeseen im Salzkammergut, liegt sehr malerisch am Fuße des Höllengebirges und bildet gemeinsam mit dem Hallstättersee, dem Wolfgangsee, dem Irrsee, dem Fuschlsee, dem Mondsee und dem Traunsee ein bei Touristen aus aller Welt sehr beliebtes "Reiseziel mit Seen-Hopping" sozusagen. Wolfgangsee und Hallstättersee werden zu bestimmten Zeiten im Jahr vor allem von asiatischen Touristen geflutet (am Wolfgangsee gibt es zum Beispiel inzwischen Charter-Schifffahrten außerhalb der regulären Schifffahrtssaison - ausschließlich für koreanische Reisegruppen).
In dieser schönen Gegend hatte ich also das Glück, jedes Jahr herrliche Sommertage verbringen zu dürfen.
Zell kann man eigentlich nicht einmal als Örtchen bezeichnen. An der Seeuferstraße gelegen, ist man mit dem Auto so schnell von der Ortsanfangs- bei der Ortsendetafel angelangt, wie man Zeit braucht, um den Namen Zell zu buchstabieren. Der Name leitet sich von einer Mönchszelle aus dem Mittelalter her, doch davon ist heute nichts mehr zu sehen. Zwei große Bauernfamilien dominieren das Örtchen mit den Wäldern und Feldern ringsum (verfeindet natürlich, wie es sich gehört) und bieten in ihren großen Höfen auch Ferienzimmer und -wohnungen mit dazugehörigen Badeplätzen an. Dazwischen eingestreut stehen etliche Wohnhäuser der familiären Ableger der zwei Bauernsippen sowie ein paar Wohnhäuser von wohlhabenderen Zweitwohnsitzlern.
Meine Schwester, meine Mutter und ich verbrachten die ganzen neun Wochen Ferien stets beim gleichen Bauern und dessen Familie und gehörten dort relativ rasch mit dazu. Im Wohnhaus schräg gegenüber wohnte im Dachgeschoß die Familie Haller mit zwei Töchtern in ungefähr meinem Alter. Dorli, die Ältere, war die stillere von beiden und meist mit den Größeren unterwegs, während Ingrid, die auffallend hübsch war und jeden Sommer irgendwelchen norddeutschen Jungs vom Ferienbauernhof nebenan die Köpfe verdrehte, nie stillsitzen konnte und für jeden Spaß und jede Action zu haben war. Sie war nur ein Jahr jünger als ich und wir passten in vielerleich Hinsicht gut zueinander. Wir besuchten uns täglich an unseren Badeplätzen und oft saßen wir abends auf dem Holzsteg am See, spielten bei Kerzenlicht Gitarre und sangen Beatles-Songs und andere Lieder, die ich in meinem eher schmächtigen Repertoire hatte.
An besonders heißen Tagen gingen wir auch gerne mal vom See nach oben in Ingrids Wohnung, um ein wenig Auszeit von der Hitze zu nehmen und eine Kleinigkeit zu essen. Der Weg vom Badeplatz führte vorbei an Wiesen, auf denen teilweise Hühner gehalten wurden. Auf anderen standen Zwetschgen- und Birnbäume, an denen wir uns gegen Ende des Sommers im Vorbeigehen immer gerne bedienten. Meist waren wir barfuß und nur mit T-Shirts und leichten Shorts überm Badeanzug unterwegs. Spätestens Ende Juli hatte die Sonne unsere blonden Haare in hellstes Strohblond verwandelt (Ingrid bleichte ihre gerne noch mit Zitronensaft nach) und wir hatten auch schon eine ordentliche Bräune bekommen. Wir waren ein Duo, das auffiel - Ingrid, mit ihrer niedlichen Stupsnase, die sehr großen Wert auf gepflegtes Haar und die neuesten modischen Badetrends legte, stets massenweise Freundschaftsbändchen an Hand- und Fußgelenken trug und auch Perlen in ihr Haar flocht, und ich, etwas burschikoser, mit kurzem Igelschnitt (meine damalige Protestfrisur) und Sommersprossen. Beide waren wir, was weibliche Rundungen anging, von der Natur gut beschenkt worden. Es kam also nicht selten vor, dass, wenn wir die stark befahrene Seestraße überqueren wollten, man uns aus vorbeifahrenden Autos nachpfiff oder sogar anquatschte. Ich nehme an, die meisten Pfiffe galten Ingrid, aber das war mir eigentlich egal. Hauptsache, es war was los. Und von den deutschen Urlauberjungs fiel letztlich auch für mich immer einer ab für eine kleine unschuldige Ferienromanze.
An einem dieser herrlich schönen Sommertage also - ich glaube, ich war damals vierzehn oder fünfzehn - wollten Ingrid und ich gerade die Straße überqueren, als eine glänzend-schwarze Stretchlimousine direkt vor uns hielt. Das verspiegelte Fenster des Beifahrers wurde heruntergekurbelt und eine dunkelhäutige Hand mit auffallendem Goldschmuck an Fingern und Handgelenk winkte uns lässig zum Wagen. Wir zögerten kurz, aber es fragten öfter mal Touristen nach dem Weg und wir waren zu zweit am helllichten Tag. Also näherten wir uns dem geöffneten Fenster. Dahinter saß ein arabisch aussehender und auffallend gepflegter Typ mit Sonnenbrille und fragte etwas in schlecht verständlichem Englisch. Wir fragten also nach und schließlich redeten er und wir mit Händen und Füßen und dem, was unser Schulenglisch hergab. In der Zwischenzeit waren die hinteren Wagentüren aufgegangen und zwei in sehr teuer aussehende Tücher gehüllte Frauen mit unzähligen Goldreifen an den Armen waren ausgestiegen und blickten sich mit zusammengerollten Orientteppichen und Picknickkörben in den Händen suchend um. Zwei junge Männer in schwarzen Anzügen entstiegen ebenfalls dem Wagen und stapften schnurstracks in die von einem niedrig gespannten Seil provisorisch umzäunten Wiesen.
Inzwischen hatten wir erfolgreich in Erfahrung bringen können, dass wir es mit einem Scheich zu tun hatten, der auf der Suche nach dem schönsten Badeplatz hier am See war. Natürlich hatte bald jeder zweite Satz mit dem Zusatz begonnen, wie hübsch wir beide doch wären und bald folgte die Anfrage, ob wir bereit wären, für diesen Tag als Reiseführerinnen einzuspringen. Ich sah, wie Ingrid - typisch für sie - tatsächlich schon ernsthaft überlegte. Ich kannte diesen Blick nur zu gut und wusste, sie wäre leichter bereit, sich überreden zu lassen als ich. Für mich war eigentlich klar, dass das nicht in Frage kam. Man stieg einfach nicht in die Autos fremder Männer. Auch nicht in die von Scheichs.
Während sie angeregt mit Scheich und Chauffeur konferierte und sich dabei von ihrer verführerischsten Seite zu zeigen versuchte, grübelte ich angestrengt, wie ich ihr möglichst unauffällig - denn unhöflich wollte ich einem Scheich gegenüber keinesfalls sein - klarmachen konnte, dass es Wahnsinn wäre, in dieses Auto einzusteigen.
In dem Moment wurde mir diese Last abgenommen, denn die zwei jungen Männer in Anzügen kamen zurück zum Wagen - jeder mit einem erlegten Huhn in der Hand. In der Zwischenzeit hatten die beiden Frauen sich mitten in einer der privaten Wiesen des Gneisslbauern niedergelassen, die Teppiche ausgebreitet und einen kleinen Griller sowie etliches an Geschirr und Getränken zu Tage befördert. Sie hatten wohl den für sie besten Badeplatz am See gefunden.
Ich war fassungslos. Der Gneisslbauer war gefürchtet und duldete nicht einmal, dass man in seine Wiesen trat, um ihm und seinem Traktor Platz zu machen auf dem schmalen Feldweg. Und er wurde so richtig fuchsteufelswild, wenn man seine aggressiven und gruselig großen Gänse scheuchte, wenn diese sich anschickten, einen in die Wadeln zu kneifen. Und irgendwie hatte der seine Augen immer und überall. Ich wartete nur darauf, dass er jeden Moment brüllend heranlief und dem Scheich unmissverständlich und mit einer Heugabel drohend klarmachte, dass er hier sein Allerheiligstes entweihte.
Der Scheich hatte wohl meinen fassungslosen Gesichtsausdruck wahrgenommen, denn er fragte, welchem Bauern diese Hühner gehörten. Er wolle sie natürlich bezahlen. Und dann würde er sich unendlich freuen, wenn Ingrid und ich Gäste bei seinem Picknick wären. Ingrids Gesicht sprach Bände und sie wollte wohl eben begeistert zusagen, als tatsächlich der Gneisslbauer angerannt kam. Und mit ihm Ingrids Mutter, hochrot im Gesicht und fast so aufgeregt wie der Gneissl, der aussah, als würde er jeden Moment einen Herzkasper bekommen. Heugabel hatte er dann doch keine dabei, aber dafür jede Menge unflätiger Kraftausdrücke.
Es war eine skurrile Situation. Da standen die zwei elegant gekleideten Herren in Anzug und mit den leblosen Hühnern in den Händen. Dort der Gneissl mit einem Kopf, der aussah, als würde er gleich explodieren, weiter hinten in der Wiese die seidentuchvermummten Frauen, die liebevoll und unter leisem Singsang den Picknickplatz in der Gneissl-Wiese herrichteten, das hohe Gras sorgsam flachtraten und den Grill anheizten und auf der anderen Seite der Straße Ingrids Mutter, die sichtlich erregt versuchte, ihrer Tochter Signale zu geben, diese solle sich sofort von dem Auto entfernen.
Inzwischen war auch der Scheich selbst ausgestiegen und die Ruhe in Person. Ich weiß noch heute, wie mich das zutiefst faszinierte und beeindruckte. Ich glaube, in diesem Moment begriff ich zum ersten Mal, welche Macht und Sicherheit der Besitz von unanständig viel Geld verleihen kann.
Inmitten dieses Theaters blieb der Mann total entspannt, hatte ein mildes Lächeln auf den Lippen und wartete höflich, bis der Gneisslbauer ihm seinen letzten Funken Zorn ins Gesicht gespuckt hatte. Dann zückte er eine edle Ledergeldbörse und bat mich, den "gentleman" nach dem Preis für die Hühner und der Miete für die Wiese zu fragen. Der Stolz, als fähige Dolmetscherin betrachtet zu werden, verlieh mir offensichtlich den Mut, den Gneisslbauern anzusprechen, vor dem ich unter normalen Umständen möglichst floh. Der stutzte kurz, wohl ebenfalls beeindruckt von der entspannten Lässigkeit des Scheichs, der sich natürlich mit seinem vollen Namen, den ich leider nicht zu wiederholen imstande war, vorstellte. Dann nannte der Gneissl einen völlig abwegigen Fantasiepreis, den ich mich fast nicht zu übersetzen traute, es aber schließlich doch tat. Ich hatte definitiv vor dem Gneissl mehr Angst als davor, den Scheich zu verärgern.
Der Scheich zahlte, ohne mit der Wimper zu zucken. Einige Tausenderscheine (wir sprechen hier noch von österreichischen Schilling) wechselten den Besitzer, der Gneissl schaute plötzlich sehr geschäftig drein und meinte, er könnte noch einen Kartoffelsalat zu den Hendln bringen, wenn die Herrschaften das wünschten. Ich kämpfte gerade mit der Übersetzung von Kartoffelsalat ("potatoe salad" erschien mir zu einfach zu sein um richtig sein zu können...zu dem Zeitpunkt hatte die Aufregung bei mir wohl auch schon ihre Spuren hinterlassen), als endlich Ingrids Mutter sich doch entschlossen hatte, sich in die Gefahrenzone zu begeben, um ihre Tocher und mich aus den Klauen der finsteren, hühnermordenden Gestalten zu retten.
Ingrid und ich wurden von ihr unter eisigem Schweigen geradezu abgeführt, natürlich nicht ohne vom Scheich nochmals versichert zu bekommen, wie hilfreich und hübsch und klug wir doch beide wären und wir hätten diesem schönen Tag noch mehr Glanz verliehen. So zumindest hab ich ihn verstanden. Ingrid schmollte und bekam zwei Tage Hausarrest. Meine Mutter hatte gottlob nichts von all dem mitbekommen. Nur ganz Zell wusste bereits am selben Abend noch, dass "da Scheich mit seine Weiba do woa und dem Gneissl sei heilige Wiesn zaumtretn und beinoh zwoa Heana gfladert hätt". Etwas, das noch Jahre später gerne als Schwank in lustiger Runde erzählt wurde.
Der Gneissl hat das, glaube ich, mit Fassung getragen. Immerhin hat der an dem einen Tag so viel verdient, wie an der Vermietung eines seiner Doppelzimmer für einen ganzen Sommer.
.dez_2022
Der Attersee, einer der wärmeren Badeseen im Salzkammergut, liegt sehr malerisch am Fuße des Höllengebirges und bildet gemeinsam mit dem Hallstättersee, dem Wolfgangsee, dem Irrsee, dem Fuschlsee, dem Mondsee und dem Traunsee ein bei Touristen aus aller Welt sehr beliebtes "Reiseziel mit Seen-Hopping" sozusagen. Wolfgangsee und Hallstättersee werden zu bestimmten Zeiten im Jahr vor allem von asiatischen Touristen geflutet (am Wolfgangsee gibt es zum Beispiel inzwischen Charter-Schifffahrten außerhalb der regulären Schifffahrtssaison - ausschließlich für koreanische Reisegruppen).
In dieser schönen Gegend hatte ich also das Glück, jedes Jahr herrliche Sommertage verbringen zu dürfen.
Zell kann man eigentlich nicht einmal als Örtchen bezeichnen. An der Seeuferstraße gelegen, ist man mit dem Auto so schnell von der Ortsanfangs- bei der Ortsendetafel angelangt, wie man Zeit braucht, um den Namen Zell zu buchstabieren. Der Name leitet sich von einer Mönchszelle aus dem Mittelalter her, doch davon ist heute nichts mehr zu sehen. Zwei große Bauernfamilien dominieren das Örtchen mit den Wäldern und Feldern ringsum (verfeindet natürlich, wie es sich gehört) und bieten in ihren großen Höfen auch Ferienzimmer und -wohnungen mit dazugehörigen Badeplätzen an. Dazwischen eingestreut stehen etliche Wohnhäuser der familiären Ableger der zwei Bauernsippen sowie ein paar Wohnhäuser von wohlhabenderen Zweitwohnsitzlern.
Meine Schwester, meine Mutter und ich verbrachten die ganzen neun Wochen Ferien stets beim gleichen Bauern und dessen Familie und gehörten dort relativ rasch mit dazu. Im Wohnhaus schräg gegenüber wohnte im Dachgeschoß die Familie Haller mit zwei Töchtern in ungefähr meinem Alter. Dorli, die Ältere, war die stillere von beiden und meist mit den Größeren unterwegs, während Ingrid, die auffallend hübsch war und jeden Sommer irgendwelchen norddeutschen Jungs vom Ferienbauernhof nebenan die Köpfe verdrehte, nie stillsitzen konnte und für jeden Spaß und jede Action zu haben war. Sie war nur ein Jahr jünger als ich und wir passten in vielerleich Hinsicht gut zueinander. Wir besuchten uns täglich an unseren Badeplätzen und oft saßen wir abends auf dem Holzsteg am See, spielten bei Kerzenlicht Gitarre und sangen Beatles-Songs und andere Lieder, die ich in meinem eher schmächtigen Repertoire hatte.
An besonders heißen Tagen gingen wir auch gerne mal vom See nach oben in Ingrids Wohnung, um ein wenig Auszeit von der Hitze zu nehmen und eine Kleinigkeit zu essen. Der Weg vom Badeplatz führte vorbei an Wiesen, auf denen teilweise Hühner gehalten wurden. Auf anderen standen Zwetschgen- und Birnbäume, an denen wir uns gegen Ende des Sommers im Vorbeigehen immer gerne bedienten. Meist waren wir barfuß und nur mit T-Shirts und leichten Shorts überm Badeanzug unterwegs. Spätestens Ende Juli hatte die Sonne unsere blonden Haare in hellstes Strohblond verwandelt (Ingrid bleichte ihre gerne noch mit Zitronensaft nach) und wir hatten auch schon eine ordentliche Bräune bekommen. Wir waren ein Duo, das auffiel - Ingrid, mit ihrer niedlichen Stupsnase, die sehr großen Wert auf gepflegtes Haar und die neuesten modischen Badetrends legte, stets massenweise Freundschaftsbändchen an Hand- und Fußgelenken trug und auch Perlen in ihr Haar flocht, und ich, etwas burschikoser, mit kurzem Igelschnitt (meine damalige Protestfrisur) und Sommersprossen. Beide waren wir, was weibliche Rundungen anging, von der Natur gut beschenkt worden. Es kam also nicht selten vor, dass, wenn wir die stark befahrene Seestraße überqueren wollten, man uns aus vorbeifahrenden Autos nachpfiff oder sogar anquatschte. Ich nehme an, die meisten Pfiffe galten Ingrid, aber das war mir eigentlich egal. Hauptsache, es war was los. Und von den deutschen Urlauberjungs fiel letztlich auch für mich immer einer ab für eine kleine unschuldige Ferienromanze.
An einem dieser herrlich schönen Sommertage also - ich glaube, ich war damals vierzehn oder fünfzehn - wollten Ingrid und ich gerade die Straße überqueren, als eine glänzend-schwarze Stretchlimousine direkt vor uns hielt. Das verspiegelte Fenster des Beifahrers wurde heruntergekurbelt und eine dunkelhäutige Hand mit auffallendem Goldschmuck an Fingern und Handgelenk winkte uns lässig zum Wagen. Wir zögerten kurz, aber es fragten öfter mal Touristen nach dem Weg und wir waren zu zweit am helllichten Tag. Also näherten wir uns dem geöffneten Fenster. Dahinter saß ein arabisch aussehender und auffallend gepflegter Typ mit Sonnenbrille und fragte etwas in schlecht verständlichem Englisch. Wir fragten also nach und schließlich redeten er und wir mit Händen und Füßen und dem, was unser Schulenglisch hergab. In der Zwischenzeit waren die hinteren Wagentüren aufgegangen und zwei in sehr teuer aussehende Tücher gehüllte Frauen mit unzähligen Goldreifen an den Armen waren ausgestiegen und blickten sich mit zusammengerollten Orientteppichen und Picknickkörben in den Händen suchend um. Zwei junge Männer in schwarzen Anzügen entstiegen ebenfalls dem Wagen und stapften schnurstracks in die von einem niedrig gespannten Seil provisorisch umzäunten Wiesen.
Inzwischen hatten wir erfolgreich in Erfahrung bringen können, dass wir es mit einem Scheich zu tun hatten, der auf der Suche nach dem schönsten Badeplatz hier am See war. Natürlich hatte bald jeder zweite Satz mit dem Zusatz begonnen, wie hübsch wir beide doch wären und bald folgte die Anfrage, ob wir bereit wären, für diesen Tag als Reiseführerinnen einzuspringen. Ich sah, wie Ingrid - typisch für sie - tatsächlich schon ernsthaft überlegte. Ich kannte diesen Blick nur zu gut und wusste, sie wäre leichter bereit, sich überreden zu lassen als ich. Für mich war eigentlich klar, dass das nicht in Frage kam. Man stieg einfach nicht in die Autos fremder Männer. Auch nicht in die von Scheichs.
Während sie angeregt mit Scheich und Chauffeur konferierte und sich dabei von ihrer verführerischsten Seite zu zeigen versuchte, grübelte ich angestrengt, wie ich ihr möglichst unauffällig - denn unhöflich wollte ich einem Scheich gegenüber keinesfalls sein - klarmachen konnte, dass es Wahnsinn wäre, in dieses Auto einzusteigen.
In dem Moment wurde mir diese Last abgenommen, denn die zwei jungen Männer in Anzügen kamen zurück zum Wagen - jeder mit einem erlegten Huhn in der Hand. In der Zwischenzeit hatten die beiden Frauen sich mitten in einer der privaten Wiesen des Gneisslbauern niedergelassen, die Teppiche ausgebreitet und einen kleinen Griller sowie etliches an Geschirr und Getränken zu Tage befördert. Sie hatten wohl den für sie besten Badeplatz am See gefunden.
Ich war fassungslos. Der Gneisslbauer war gefürchtet und duldete nicht einmal, dass man in seine Wiesen trat, um ihm und seinem Traktor Platz zu machen auf dem schmalen Feldweg. Und er wurde so richtig fuchsteufelswild, wenn man seine aggressiven und gruselig großen Gänse scheuchte, wenn diese sich anschickten, einen in die Wadeln zu kneifen. Und irgendwie hatte der seine Augen immer und überall. Ich wartete nur darauf, dass er jeden Moment brüllend heranlief und dem Scheich unmissverständlich und mit einer Heugabel drohend klarmachte, dass er hier sein Allerheiligstes entweihte.
Der Scheich hatte wohl meinen fassungslosen Gesichtsausdruck wahrgenommen, denn er fragte, welchem Bauern diese Hühner gehörten. Er wolle sie natürlich bezahlen. Und dann würde er sich unendlich freuen, wenn Ingrid und ich Gäste bei seinem Picknick wären. Ingrids Gesicht sprach Bände und sie wollte wohl eben begeistert zusagen, als tatsächlich der Gneisslbauer angerannt kam. Und mit ihm Ingrids Mutter, hochrot im Gesicht und fast so aufgeregt wie der Gneissl, der aussah, als würde er jeden Moment einen Herzkasper bekommen. Heugabel hatte er dann doch keine dabei, aber dafür jede Menge unflätiger Kraftausdrücke.
Es war eine skurrile Situation. Da standen die zwei elegant gekleideten Herren in Anzug und mit den leblosen Hühnern in den Händen. Dort der Gneissl mit einem Kopf, der aussah, als würde er gleich explodieren, weiter hinten in der Wiese die seidentuchvermummten Frauen, die liebevoll und unter leisem Singsang den Picknickplatz in der Gneissl-Wiese herrichteten, das hohe Gras sorgsam flachtraten und den Grill anheizten und auf der anderen Seite der Straße Ingrids Mutter, die sichtlich erregt versuchte, ihrer Tochter Signale zu geben, diese solle sich sofort von dem Auto entfernen.
Inzwischen war auch der Scheich selbst ausgestiegen und die Ruhe in Person. Ich weiß noch heute, wie mich das zutiefst faszinierte und beeindruckte. Ich glaube, in diesem Moment begriff ich zum ersten Mal, welche Macht und Sicherheit der Besitz von unanständig viel Geld verleihen kann.
Inmitten dieses Theaters blieb der Mann total entspannt, hatte ein mildes Lächeln auf den Lippen und wartete höflich, bis der Gneisslbauer ihm seinen letzten Funken Zorn ins Gesicht gespuckt hatte. Dann zückte er eine edle Ledergeldbörse und bat mich, den "gentleman" nach dem Preis für die Hühner und der Miete für die Wiese zu fragen. Der Stolz, als fähige Dolmetscherin betrachtet zu werden, verlieh mir offensichtlich den Mut, den Gneisslbauern anzusprechen, vor dem ich unter normalen Umständen möglichst floh. Der stutzte kurz, wohl ebenfalls beeindruckt von der entspannten Lässigkeit des Scheichs, der sich natürlich mit seinem vollen Namen, den ich leider nicht zu wiederholen imstande war, vorstellte. Dann nannte der Gneissl einen völlig abwegigen Fantasiepreis, den ich mich fast nicht zu übersetzen traute, es aber schließlich doch tat. Ich hatte definitiv vor dem Gneissl mehr Angst als davor, den Scheich zu verärgern.
Der Scheich zahlte, ohne mit der Wimper zu zucken. Einige Tausenderscheine (wir sprechen hier noch von österreichischen Schilling) wechselten den Besitzer, der Gneissl schaute plötzlich sehr geschäftig drein und meinte, er könnte noch einen Kartoffelsalat zu den Hendln bringen, wenn die Herrschaften das wünschten. Ich kämpfte gerade mit der Übersetzung von Kartoffelsalat ("potatoe salad" erschien mir zu einfach zu sein um richtig sein zu können...zu dem Zeitpunkt hatte die Aufregung bei mir wohl auch schon ihre Spuren hinterlassen), als endlich Ingrids Mutter sich doch entschlossen hatte, sich in die Gefahrenzone zu begeben, um ihre Tocher und mich aus den Klauen der finsteren, hühnermordenden Gestalten zu retten.
Ingrid und ich wurden von ihr unter eisigem Schweigen geradezu abgeführt, natürlich nicht ohne vom Scheich nochmals versichert zu bekommen, wie hilfreich und hübsch und klug wir doch beide wären und wir hätten diesem schönen Tag noch mehr Glanz verliehen. So zumindest hab ich ihn verstanden. Ingrid schmollte und bekam zwei Tage Hausarrest. Meine Mutter hatte gottlob nichts von all dem mitbekommen. Nur ganz Zell wusste bereits am selben Abend noch, dass "da Scheich mit seine Weiba do woa und dem Gneissl sei heilige Wiesn zaumtretn und beinoh zwoa Heana gfladert hätt". Etwas, das noch Jahre später gerne als Schwank in lustiger Runde erzählt wurde.
Der Gneissl hat das, glaube ich, mit Fassung getragen. Immerhin hat der an dem einen Tag so viel verdient, wie an der Vermietung eines seiner Doppelzimmer für einen ganzen Sommer.
.dez_2022
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